Kapitel 35: Geheimnisse (Silver)
Als ich die Rüpel sah, knirschte ich mit den Zähnen. Wenn sie uns sahen und sich verplapperten, dann war es aus für uns. Dann würden wir Gejagte sein, denn Kotone und Kisho würden bei dem Fakt, dass wir zu Team Rocket gehörten und gerade erst ausgetreten waren, sicher nicht zimperlich sein. Mich würde man erkennen, schließlich war ich der Sohn ihres Arbeitgebers und Oberhauptes. Eigentlich hätte ich der Erbe der Organisation sein sollen. Nun bereute ich, dass wir uns mit Kotone und Kisho zusammengefunden hatten. Clarice blickte mich erschrocken an und ich wusste, dass sie auch keine Lösung für unser Problem hatte. Schließlich konnten wir jetzt nicht einfach unbemerkt verschwinden, durften aber auch nicht von den Mitgliedern der Organisation erkannt werden. Was sollten wir nur tun?
Da bemerkte ich, wie eine von Clarices Händen zu ihrem Gürtel mit Pokébällen wanderte. Ihr Blick war von Zorn geprägt. Klar, sie wollte Gerechtigkeit, schließlich hasste sie Team Rocket wie sonst nichts anderes. Doch dann hielt sie inne und schaute mich fragend an. So verharrte sie für einen Moment, die Hand noch immer an ihrem Gürtel. Doch dann begriff ich endlich. Ging es etwa darum, dass sie nicht ohne mein Einverständnis gegen Leute antreten wollte, die für meinen Vater arbeiteten, und so seine Pläne zu vereiteln? Ich hätte ihr an sich jederzeit mein Einverständnis gegeben, doch jetzt war das unpraktisch. Damit machten wir uns nur unnötig bemerkbar. Deswegen ergriff ich ihre Hand, drückte sie sanft und schüttelte den Kopf. Nicht jetzt. Im Inneren des Holzbaus sah ich Josh, der inzwischen wieder zurück zu den Pokémon gegangen war. Er trieb die Evoli zusammen und versuchte, sie zu beruhigen. Keine schlechte Idee, sonst konnten sie, wenn sie nervös waren, in ihrer großen Anzahl noch etwas anstellen. Ich ging zu ihm, gefolgt von meiner Begleiterin mit den rotblonden Haaren. Es war eine gute Möglichkeit, zu helfen sowie eine gute Ausrede, um nicht mitkämpfen zu müssen und außer Sicherweite der Rüpel zu bleiben. Glück gehabt.
(Kisho)
Kotone und ich waren sofort zu Evelyn geeilt, die Pokébälle schon in der Hand. Das Evoli der Leiterin der Farm keuchte bereits und hatte von den drei Mauzi der Verbrecher schwere Schläge einstecken müssen. Sein Fell war zerzaust, und es zog die linke Hinterpfote nach. Rote Striemen einer Kratzfurie machten sich überall bemerkbar. Der Anblick tat mir im Herzen weh. Entschlossen zückte ich den Ball von Feurigel, welches ich als Kampfpartner gewählt hatte. Vor meinen Füßen formierte sich sogleich der Igel, der schnell das Kampfgeschehen erfasste. Er gab einen kampfeslustigen Laut von sich, und Rauchschwaden kamen aus den Löchern auf seinem Rücken.
„Glumanda!“, rief Kotone und warf energisch einen ihrer Pokébälle. Die rote Echse stand sogleich neben meinem Pokémon und machte sich ebenfalls zum Kampf bereit. Die Rüpel wirkten überrascht aufgrund der plötzlichen Unterstützung, denn vorher hatten sie uns nicht bemerkt. Sofort schickte einer von ihnen sein Mauzi los, damit dieses das Evoli mit einem weiteren Kratzer schädigen konnte. Der Plan war wohl, Evoli so schnell wie möglich auszuschalten, um wieder einen Vorteil für sich zu erlangen.
„Also los, heizen wir ihnen ein! Feurigel, der Flammenwurf!“ „Glumanda, leg los mit Glut!“, hörte ich Kotones Befehl neben mir. Ein flammend roter, heißer Strahl verließ den Mund des Igels, wobei nun auch gleichzeitig zum ersten Mal Flammen aus seinem mit blauem Fell bedeckten Rücken stießen. Nun war es richtig aufgeheizt! Ummantelt wurde der Flammenwurf von dutzenden glühend heißen Geschossen, die wie kleine Meteore durch die Luft zischten. Also hatte jetzt auch Glumanda mit seinem Angriff angefangen. Insgesamt war es ein beeindruckendes Bild. Die Energie der Angriffe ließ sich mit mehreren Sinnen deutlich erfassen, denn auch die immense Wärme war für uns spürbar. Die Kombination der Attacken traf das voran stürmende Mauzi direkt, wodurch es zurück geschleudert wurde. Es war ein reiner Volltreffer, der dafür sorgte, dass sich das mit weißem Fell bedeckte Wesen überschlug und über den Boden rollte. Die Katze landete unsanft auf dem Boden und stöhnte auf. Es blieb liegen, und wurde von seinem wütenden Trainer zurück beordert. Dieser hatte gleich erkannt, dass er am Kampfgeschehen nicht mehr teilnehmen würde. Somit waren wir nun eindrucksvoll in das Kräftemessen eingestiegen.
„Evoli, zurück zu mir!“, befahl Evelyn dann. Kotone und ich blickten augenblicklich zu der Besitzerin der Farm. „Nun, da es nur noch zwei Pokémon sind, die wir besiegen müssen, wollte ich Evoli nicht länger leiden lassen. Es geht ihm so schon schlecht genug und wir beide hätten euch sowieso nicht mehr lange helfen können. Darf ich den Rest euch anvertrauen?“ Ich nickte als Zeichen des Einverständnisses. Genau das hätte ich auch gemacht. Ein Pokémon war nicht nur irgendeine Maschine, sondern irgendwann auch am Ende. Die Pause und eine ordentliche Behandlung brauchte es dringend. „Gut, dann beenden wir die Sache! Glumanda, Schlitzer!“, rief Kotone entschlossen und deutete auf die gegnerischen Pokémon. Die Feuerechse machte sich auf den Weg, um den beiden Mauzi entgegenzutreten. „Feurigel, gib ihm Rückendeckung mit der Rauchwolke!“, gab ich sofort darauf mein Kommando. Je besser wir im Team arbeiteten, desto eher schlugen wir unsere Gegner. Neben meinem Feurigel sollte natürlich auch Kotones Glumanda so wenig Schaden wir möglich davontragen.
„Mauzi, Finte!“, hörte ich schon den Befehl von einem der verbliebenen Rüpel, der energisch zu uns hinüber deutete. Doch die Attacke war nicht etwa auf Glumanda gerichtet, sondern auf Feurigel! Bevor mein Partner seine Aktion hatte ausführen können, wurde es schon von einer der beiden Katzen getroffen, welche sich blitzschnell über das Feld bewegt hatte. Die Finte war eine der fiesesten Attacken, die ich kannte. Ihr konnte man nicht ausweichen, wenn man erst fest im Visier des Gegners war. Der Anwender bewegte sich blitzartig über das Feld und war nicht mehr deutlich sichtbar. Feurigel raffte sich nach einem Moment unbeholfen wieder auf und ächzte. Doch es schien an sich noch okay zu sein. Währenddessen hatte das andere Mauzi ebenfalls einen Angriff gestartet: Dutzende Goldplättchen flogen wie kleine Geschosse durch die Luft. Es war leicht als der Zahltag zu erkennen, doch der Drache hatte auf die Unterstützung meines Igels gezählt, welche aber nicht kam, und so wurde er ebenfalls verletzt. Die Wucht der Aufschläge ließ ihn taumeln und schlussendlich fallen. Ein Schrei seinerseits machte deutlich, was auf das Pokémon einprasselte.
„Verdammt, die sind gut“, dachte ich verbissen. Dann mussten wir eben mit einer besseren Taktik daher kommen. Noch einmal würde mich die Finte nicht überraschen. Ich schickte Feurigel mit dem Befehl für eine Rauchwolke los. Der Partner meiner besten Freundin postierte sich als Deckung vor ihm. Sehr gut, so konnten die Mauzi nicht meine Attacke verhindern, da die Echse Angriffe unserer Gegner abwehren konnte. Es war wichtig, dass dieses Vorhaben klappte, denn es würde unseren Feuer-Pokémon enorm weiterhelfen, wenn sie außer Sichtweite waren. Erneut folgte ein Beschuss mit dem Zahltag, hinein in den sich nun bildenden und ausbreitenden Rauch, dieses Mal ausgeführt von beiden Katzen. Ein flächendeckender Angriff war keine schlechte Idee, da man in der schwarzen Masse sowieso niemanden gezielt erkennen und attackieren konnte.
„Los, Feuerzahn!“, befahl meine braunhaarige Freundin daraufhin. Ich konnte die Bewegungen aller Pokémon nicht mehr sehen, aber trotzdem waren wir nun im Vorteil. Unsere Pokémon hatten auch in diesen Bedingungen beste Sicht, da auch in den Vulkangebieten, aus denen diese Pokémon ursprünglich kamen, genau das herrschen konnte, was Feurigel im Moment erschuf. Vorbei an den Goldplättchen manövrierte sich Kotones Pokémon durch den Nebel. Man hörte einen Schrei aus den Schwaden und es bildete sich ein Loch in der dichten Decke des Rauches. Das Mauzi hatte seinen Schwanz eingesetzt, um die Sicht in der schwarzen Wand wiederzuerlangen. Als die Feuerechse aufgetaucht war, hatte die Katze ihr mit einer Kratzer-Attacke zu schaffen gemacht. Dies ließ sich auch gut an den Furchen in Glumandas Gesicht erkennen.
„Gib nicht auf, Glumanda!“, rief Kotone und ihr Partner tat wie geheißen. Es ließ die Flammen erneut um seine Zähne züngeln und biss zu. Dieses Mal hatte Mauzi nicht schnell genug reagieren können, sodass es den Treffer einstecken musste. Sofort beschloss ich, ebenfalls die Chance zu nutzen und Feurigel zur Unterstützung zu schicken. Sogleich machte es sich mit einem Sternschauer bemerkbar, der auf die Kontrahenten niederregnete. Gelb leuchtende, sternenförmige Brocken regten hinab auf die Erde. Der Drache ließ von seinem Gegner ab und brachte sich vor der Attacke in Sicherheit, indem er wegrannte. Unerbittlich prasselte die Attacke meines Partners auf das andere Pokémon ein und machte ihm zu schaffen. Doch da tauchte aus den noch immer vorhandenen Rauchschwaden das zweite Mauzi auf und schleuderte Kotones weglaufendes Glumanda mit einem gewaltigen Eisenschweif zurück in die Richtung, aus der das Feuer-Pokémon gekommen war. Glumanda flog schreiend durch die Luft und prallte mit dem ersten Mauzi zusammen, gerade als Feurigels Sternschauer diese Katze getroffen hatte und verebbt war. Kotone schrie beunruhigt auf und griff angespannt meine Hand, die sie dann drückte. Auch wenn es ein wenig schmerzte, so zog ich meine Hand nicht weg. Beide Pokémon lagen regungslos auf dem Boden und atmeten durch, für einen Moment tat sich rein gar nichts. Inzwischen hatte sich der Rauch immer mehr vom Kampffeld verzogen. Doch dann erholte sich das Pokémon der Rockets eher als das von Kotone: Es sprang auf und stellte eindrucksvoll seine Krallen zur Schau. Es grinste hämisch und näherte sich dem erschöpften und somit wehrlosen Glumanda. Kotone neben mir schrie aufgeregt und bat ihr Pokémon, wieder aufzustehen, doch das tat es nicht. Stattdessen landete Mauzi mit seinen Krallen einen direkten Treffer und versetzte so seinem Gegner den entscheidenden Schlag. Glumanda, welches sich zuvor schon kaum geregt hatte, lag nun völlig ausgeknockt auf dem Boden. Meine Freundin seufzte ernüchtert und rief die Echse zurück in ihren Ball. Somit trat mein Feurigel allein gegen zwei Mauzi an. Die Katzen positionierten sich angriffsbereit und zeigte eindrucksvoll ihre langen Krallen. Wir brauchten eine flächendeckende Attacke, wenn wir sie fernhalten wollten.
„Sternschauer, los!“ Feurigel tat wie geheißen und setzte die Attacke ein. Doch der Konter seiner Kontrahenten folgte sofort: Während das eine Mauzi den Zahltag einsetzte, um damit die sternförmigen Brocken zu zerstören und somit den Angriff meines Partners auszulöschen, machte sich das zweite auf und näherte sich uns. Feurigel wollte seinen Angriff noch in eine andere Richtung lenken, doch das klappte nicht, da weiterhin der Zahltag kam. Wäre der Sternschauer in eine andere Richtung abgelenkt worden, wären die Goldplättchen hemmungslos auf den beigefarbenen Igel eingeprasselt. Somit wurde es von Mauzis silbern glänzendem Eisenschweif getroffen und landete nach kurzem Flug direkt vor meinen Füßen unsanft auf dem Boden. Angespannt biss ich mir auf die Lippe. Wenn wir es nicht schaffen konnten, hätte Team Rocket gewonnen und würde die Evoli mitnehmen! Doch leider sah es überhaupt nicht gut für uns aus, denn als Feurigel am Boden lag wurde es sofort von zwei Zahltag-Attacken der beiden Gegner getroffen. Schnell war es sehr mitgenommen und konnte sich nur mit Mühe und Not wieder aufrappeln.
Da leuchtete sein Körper plötzlich weiß auf und veränderte sich immer mehr. Vor Überraschung hielten auch die Katzen inne, und ich selbst merkte nur schwach, wie sich meine Mundwinkel nach oben zogen. War das etwa eine Weiterentwicklung, die da von statten ging? Auch Kotone neben mir schaute verwundert, doch grinste dann begeistert, als Feurigel wieder aufhörte, zu leuchten. Nur, dass es jetzt kein Feurigel mehr war, sondern ein Igelavar! Es besaß nun eine stürmische Flammenmähne auf seinem Kopf und Feuer züngelte um seine Beine. Die Löcher auf seinem Rücken waren verschwunden, sein Körper aerodynamischer, länger, schlanker, schneller. Ich kam nicht umhin, zu lachen. Nach all dem Training war es endlich soweit gewesen! Selbst die Mauzi schauten beeindruckt. Da ich mich mit Pokémon ausführlich befasst hatte, wusste ich auch um eine neue Attacke.
Und mir war auch im Gedächtnis geblieben, wie sehr genau das uns jetzt helfen konnte: „Igelavar, Flammenrad!“ Sofort machte sich mein Pokémon bereit, rollte sich zusammen und ließ Flammen an seinem ganzen Körper auflodern. Als zischender Feuerball rollte es schnell auf seine Gegner zu, die dem ersten Versuch knapp mit Hechtsprüngen nach links, beziehungsweise nach rechts, ausweichen konnten. Doch mein Partner rollte sofort zurück und traf schlussendlich sein Ziel. Zufrieden jubelte ich auf. So konnte es weitergehen!
(Clarice)
Ich hörte Kisho lachen, während Silver, Josh und ich uns gemeinsam um die Evoli kümmerten. Der Sohn der Farmbesitzerin war dankbar für unsere Hilfe gewesen. Doch wunderte ich mich nun, wieso Kisho gelacht hatte. War der Kampf entschieden? Interessiert sprang ich auf und beschloss, nach draußen zu schauen. Silver blickte mir zusammen mit Josh verwundert hinterher. Da sprang der Rothaarige auf, um mir zu folgen. Auf dem Hof sah ich Kotone zusammen mit Evelyn etwas abseits stehen, während Kisho sein Igelavar lobte. Anscheinend hatte sich sein Feurigel weiterentwickelt! Das freute mich zwar für ihn, doch allein konnte er gegen zwei Gegner nicht bestehen. Jemand musste ihm helfen! Meine Hand wanderte zu meinen Pokébällen und ich stürmte hinaus auf den Hof.
„Clarice, nicht!“, schrie Silver und wollte meine Hand greifen, doch bekam er mich nicht zu fassen. Diesen Kampf zu gewinnen ging im Moment vor, schließlich war damit das Wohl der Evoli verbunden! Kisho blickte mich umso erstaunter an, als ich plötzlich aus dem Holzbau gerannt kam und mich neben ihn stellte. Mein rothaariger Freund fluchte, verfolgte mich aber aufgrund seiner Bekanntheit unter den Rockets nicht nach draußen.
„Was machst du hier?“, fragte mich der Blondhaarige verwundert, nachdem ich bei ihm angekommen war. „Ganz einfach, ich helfe dir. Allein hast du gegen die schlechte Karten.“ Daraufhin schauten Kotone und der Junge zwar nicht schlecht, hielten mich aber nicht von meinem Vorhaben ab. „Gut, wir können jede Hilfe gebrauchen“, lächelte der Blondhaarige. „Hey, was machst du denn hier? Solltest du nicht eher uns helfen?“, tönte es da von der anderen Seite des Kampffeldes herüber. Die Rockets blickten wütend drein und verschränkten die Arme. Anscheinend hatten mich die Rüpel erkannt! Mist. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie beim Einsatz im Dorf mit in Kaitos Team gewesen waren. Daher wussten sie also, wer ich war! Aber gut, das Risiko war ich auf eigene Gefahr eingegangen. Entschlossen zückte ich einen Pokéball. „Vergesst es! Nun seid ihr dran! Endivie - “ Eigentlich hatte ich jetzt mein geliebtes Pflanzen-Pokémon in den Kampf schicken wollen, doch da postierte sich plötzlich ein ganz anderer Kampfpartner vor mir. Er, oder besser sie, war garantiert nicht von mir aus einem Pokéball gerufen worden. Das junge Evoli schrie kraftstrotzend und wollte partout nicht aus dem Weg gehen. Mitten in meiner ausladenden Armbewegung hielt ich verwundert inne und ließ meine Hand wieder sinken.
„Sam?“