Aaron warf einen prüfenden Blick in den Himmel. Zumindest regnen würde es heute wohl nicht mehr, dadurch konnte sich seine Laune also nicht weiter senken, was allerdings ohnehin kaum möglich war. Praktisch permanent kreisten seine Gedanken um Hera und die Tatsache, dass er ihr gestern bei Weitem nicht so sehr hatte helfen können, wie er gerne gewollt hätte. Doch in Bezug auf Anhor war er einfach mit seiner Weisheit am Ende. Verständlich, dass Hera dadurch enttäuscht, dass sie deshalb wohl auch traurig war, doch etwas überrascht hatte Aaron daraufhin registrieren müssen, dass er selbst dadurch irgendwie lustlos und ebenso traurig geworden war.
Selbst Tara konnte daran nichts ändern, obwohl sie wirklich ihr bestes versuchte. Schwanzwedelnd sprang sie um ihn herum, bellte in kurzen Abständen und versuchte so, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch mehr als ein leichtes Kopftätscheln hatte er nicht für sie übrig – ebenso ungewöhnlich.
Nach einiger Zeit jedoch stellte Tara plötzlich die Ohren auf und blickte in Richtung des Parkeingangs. Zuerst reagierte Aaron auch darauf in keinster Weise, doch als die Freude, die das Hunduster überkam, auch seinen Geist berührte, blickte er auf – und sah sowohl Hera als auch Hades auf sich zukommen, letzerer jedoch in ungleich schnellerem Tempo, er sprintete schon beinahe auf Tara zu und warf sie schließlich fast um, als die beiden Hunduster sich glücklich begrüßten. Auch Hera kam wenige Momente später etwas außer Atem neben ihnen zum Stehen, verschnaufte einen Moment und begrüßte ihn dann.
„Hi“. Einen Moment lang zögerte sie, dann fuhr sie fort. „Jetzt weiß ich, warum Hades unbedingt in den Park wollte.“ Sie zeigte kurz auf Tara, um zu verdeutlichen, was sie gemeint hatte – unnötig natürlich, es war Aaron ohnehin bewusst.
„Hast du was anderes erwartet?“, erwiderte er und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, welches ihm wohl so halb gelang. Immerhin etwas. Anstatt etwas zu erwidern, blickte Hera infolgedessen jedoch zu Boden, ganz offensichtlich hatte sie die Enttäuschung nicht verkraftet, im Gegenteil, sie schien überaus traurig, fast deprimiert zu sein. Die beiden Hunduster wieder ignorierend, rang Aaron einen Moment mit sich selbst, eher er den Versuch wagte, sie auf andere Gedanken zu bringen.
„Und… und… hast du die Arenaleiterin schon besiegt?“
Recht einfallslos, doch ihm fiel in diesem Moment nichts Besseres ein – eine Situation, die auch nicht besonders häufig vorkam. Aaron war zwar niemand, der viel redete, wenn er dies jedoch einmal tat, fand er im Prinzip immer die richtigen und ausreichend Worte.
Diese Frage beantwortete sie zumindest. „Ja – Traunfugil hat mir gegen Miltank sehr geholfen. Und du? Hast du den Orden schon?“
Ohne zu zögern nickte er, darauf bedacht, dieses Gespräch erst gar nicht einschlafen zu lassen und Hera – und sich selbst – somit Gelegenheit zu geben, sich erneut über besagtes Thema Gedanken zu machen.
„Miltank hat sich selbst besiegt, nachdem Pionskora etwas nachgeholfen und sich eingebuddelt hat.“ Er betrachtete die beiden Hunduster einen Moment, die mittlerweile friedlich nebeneinander standen und die Köpfe aneinander gelehnt hatten. Auch Hera blickte die beiden Pokémon nachdenklich an. Ihr kurz einen Seitenblick zuwerfend, fragte Aaron sich, was sie wohl in diesem Moment dachte, verwarft den Gedanken dann jedoch und richtete seine Augen wieder auf Tara und Hades.
„Freut mich, dass du den Orden gewonnen hast“, begann sie plötzlich und zog damit seine Aufmerksamkeit auf sich. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. „Shin ist gerade beim Käferturnier, ich schätze, das gibt eine Katastrophe…“
Das Grinsen, welches sich nun auf das Gesicht Aarons legte, war definitiv nicht mehr so aufgesetzt wie das vorherige Lächeln, auch wenn es immer noch ein wenig halbherzig aussah.
„Da kann ich dir nur zustimmen“, erwiderte er. Shin war dermaßen verplant, wahrscheinlich würde er sich zig Raupys fangen, in der Hoffnung, mit denen das Turnier gewinnen zu können – oder er würde ganz einfach nicht den Weg zur Siegerehrung finden.
„Und was hast du heute noch vor?“, fragte er sie und blickte ihr in die Augen.
„Nicht mehr viel. Hades wollte unbedingt zum Park, also bin ich hier. Etwas Bestimmtes hab ich allerdings nicht mehr vor – und du?“
Er schüttelte den Kopf. Den wahren Grund – Antriebslosigkeit – hierfür wollte er ihr keinesfalls mitteilen, weshalb er sich in Windeseile eine Art Ausrede einfallen ließ.
„Ich hab‘ ehrlich gesagt nicht drüber nachgedacht, also anscheinend auch nicht.“ Er rückte ein Stück zur Seite und deutete auf den Platz neben sich auf der Parkbank. „Willst du dich nicht setzen?“
„Ja, danke“, erwiderte Hera, nahm dann sein Angebot an und zögerte erneut einen Moment, bevor sie mit auf den Boden gerichtetem Blick fortfuhr. „Wegen Anhor… könnten wir das vielleicht irgendwann zusammen machen? Ich habe keine Ahnung, wie ich das mit ihm machen soll…“
Nun, da war sein Versuch, von dem Thema, was ihn und sie offensichtlich auch die ganze Zeit beschäftigte, abzulenken, definitiv in die Hose gegangen. Er verzog leicht das Gesicht, antwortete ihr dann aber. „Jederzeit.“ Zaghaft versuchte er, mit Hera Blickkontakt aufzunehmen, blieb mit diesem Versuch jedoch erfolglos, da ihr Blick weiterhin starr auf den Boden vor ihren Füßen gerichtet war.
„Hera, ich wollte…“, wollte er noch hinzufügen, doch zeitgleich setzte auch sie an. „Aaron, danke, dass…“ Einen Moment lang verstummten sie beide, dann vollendete Hera ihren Satz stockend. „… du mir… hilfst…“ Peinlich berührtes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Beide blickten sie nun zu Boden, doch Aaron war der erste, der den Blick wieder hob.
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht so helfen kann, wie du vielleicht gehofft hast…“ Mit diesen Worten schwand auch das Lächeln endgültig aus seinem Gesicht und wich stattdessen einem beinahe traurigen Gesichtsausdruck, der seine Stimmung weitaus besser verdeutlichte. Ebenso wirkte auch Hera, als sie endlich ebenfalls den Blick hob.
„Vielleicht habe ich einfach zu viel erwartet… das kann ja nicht von heute auf morgen funktionieren.“ Wieder nickte Aaron nur als Reaktion – natürlich ging so etwas nicht so schnell, nichtsdestotrotz war er selbst enttäuscht davon, dass es noch nicht geklappt hatte. Wirklich verstehen konnte er es ohnehin nicht, das Potenzial war bei ihr definitiv vorhanden. Warum also konnte sie nicht in der Art mit Hades kommunizieren wie er mit Tara?
„Dann sollten wir vielleicht… morgen weitermachen, damit es so schnell geht wie möglich!?“, fragte er, eine Frage, die zum Teil ebenfalls eine Feststellung war. Noch einmal versuchte er, zu lächeln, um sie vielleicht ein wenig zu motivieren, obwohl er sich eigentlich sicher war, dass es nicht funktionieren würde.
„Ja, vielleicht kommen wir dann noch ein Stück voran.“ Wie um seine Annahme zu widerlegen lächelte auch sie – ein Lächeln, das in seinem Innern urplötzlich ein Gefühl auslöste, das er am heutigen Tag noch gar nicht gespürt hatte: Glück. Und zeitgleich Verwirrung, ausgelöst durch eben dieses Gefühl und die Frage, warum er es spürte. Bevor er sich jedoch Gedanken darüber machen konnte, vernahm er Taras Stimme in seinem Kopf. Das Hunduster schien voll und ganz mit Hades beschäftigt, hatte ihr Gespräch jedoch offenbar genau verfolgt.
„Aaron… sag mal – was hältst du von Hera?“
Die Frage traf ihn mehr oder weniger unvorbereitet, erschien sie ihm doch so fehl am Platz.
„Sie ist nett. Ich mag sie – aber warum fragst du das?“
Sie schien amüsiert zu sein, amüsiert über seine Antwort und die ganze Situation, stieß damit bei ihm jedoch auf völlige Unverständnis. Was zum Teufel fand sie so lustig?
„Was hast du denn gerade gespürt, als sie dich angesehen hat?“, fragte das Hunduster weiter. Aaron kam sich vor wie in einem Verhör.
„Ich… naja, glücklich, aber das hatte doch nichts damit zu tun!“ Noch während er ihr diesen Gedanken übermittelte, warf er einen Seitenblick auf Hera, um zu überprüfen, ob sie von diesem Gespräch irgendetwas mitbekam. Dem schien nicht so zu sein, zumindest war ihr Blick starr geradeaus gerichtet, scheinbar beobachtete sie die beiden – scheinbar ganz mit sich selbst beschäftigten – Hunduster. Als Reaktion auf seine Antwort gab Tara ein amüsiertes Schnauben von sich.
„Nein, natürlich nicht. Und womit dann?“ Leicht verärgert starrte Aaron sie an. Scheinbar wollte sie, dass er selbst auf die Antwort kam, welche ihm jedoch partout nicht einfallen wollte.
„Was weiß ich? Das müsstest du doch wissen, immerhin scheinst du hier die Expertin zu sein, was das betrifft.“ Sie schien ihn nicht ernst zu nehmen. Stattdessen öffnete sie kurz ihr rechtes Augenlid und zwinkerte ihm zu, bevor sie weitere Andeutungen machte.
„Stellst du dich absichtlich so naiv? Aaron – denk nach. Sie hat dich angesehen und du hast Glück verspürt. Das ging nicht von mir aus, sondern von dir. Von deinem Herzen. Was sagt dir das?“
Aaron kniff die Augen zusammen, redete sich ein, ihre Worte würden keinen Sinn ergeben. Wieso sollten sie auch? Er mochte Hera eben, ihr Schicksal ging ihn etwas an, weil sie so war wie er. Warum sollte er sie… lieben?
„Das bildest du dir ein“, meinte er schließlich entschlossen – oder zumindest mit der Absicht, entschlossen zu klingen, was ihm wohl gründlich misslang, denn erneut gab Tara ein Geräusch von sich, das nach erheitertem Lachen klang.
„Wenn du meinst… Wie du gesagt hast – ich bin die Expertin, was das betrifft.“
Mit diesen Worten erklärte sie das Gespräch gleichzeitig für beendet. Aaron, vollends verwirrt, atmete tief durch und lehnte sich zurück. Sein Blick glitt noch einmal zu Hera hinüber – hatte seine Partnerin wirklich recht? Eigentlich – eigentlich konnte das nicht sein. Und obwohl er versuchte, das einzureden, wusste er doch, dass die Worte Taras der Wahrheit entsprachen…