Verblendet
geschrieben am 20. und 21.04.24
„Das Leben ist schön.“
So oft habe ich diesen Satz gehört und immer danach gelebt. Aber warum eigentlich? Es ist eine leere Floskel. Schnell daher gesagt und schnell wieder verflogen. Ganz einfach. Warum beschäftigt es mich dann so sehr? Liegt es daran, dass ich abgelehnt wurde? Aber nein, heute ist das alles ganz egal. Vergangen sind die Tage. Nur lässt mich die Sache auch nicht los.
Eigentlich sollte es mich nicht mehr belasten. Und doch denke ich wieder daran. Verdammt! Ich hätte alles hinter mir lassen können. Die Gedanken. Die Tränen. Und doch bin ich hier und erinnere mich wieder daran. Die gehässigen Worte über mein Aussehen. Nein, nicht noch einmal! Es ist vorbei. Ja. Vorbei.
Sie ziehen vorbei. Die Blicke wieder auf mir. Verachtend? Bewundernd? Fällt mir schwer zu bestimmen. Damals nicht. Ja, damals. Hätte ich es nur geahnt, wäre es anders gekommen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Hätte ich nur nicht zu singen begonnen. Vielleicht wäre mir dann der Schmerz erspart geblieben. So blieb ich abgeschieden und zog mich vollends zurück.
Eine kleine Melodie. Ich dachte, sie wäre verschwunden. Aber hier ist sie wieder. Singt in meinem Kopf ihre Weise. Und ich mit ihr mit. Eine fremde Sprache. Wo warst du nur so lange?
Die Wörter. Sie klingen vertraut. Meine? Ihre? Fantasie? Schwer zu sagen. Der Fluss der Zeit ist unbarmherzig. Ich habe sie gelernt. Damals? Nein. Sie waren schon immer da. Haben mich immer begleitet. Haben mir geholfen. Selbst in schwierigen Momenten. Ja, die Worte waren da. Sie haben mich nie beurteilt.
Und nun bin ich hier. Wieder unter ihnen. Wieder diese Blicke. Verachtend? Bewundernd? Vielleicht letzteres. Eine glitzernde Schuppe hat die Veränderung gebracht. So viele Blicke, die mich ansehen, als gehöre ich zu ihnen. Als gehöre ich ihnen. Als würde ich ihnen meine Aufmerksamkeit geben. Und doch fühlt es sich nicht richtig an.
Was ist dieses Gefühl? Einsicht? Unverstandenheit? Mein Gesang war ein Segen, mein Aussehen ein Dorn. Beides war nicht vereinbar. Und doch wurde ich gesehen. Heute ist nicht damals. Aber heute denken alle nur an sich. Wen interessiert das Gegenüber? Was es denkt, was es fühlt oder was es ist? So tief kann vermutlich niemand tauchen. Nicht in diese Emotionen. Und besonders nicht in diese Gedanken.
Wer sind diese Schemen? Was wollen sie von mir? Reden über Dinge, die sie nicht verstehen. Ich bin im Mittelpunkt? Wozu? Ich bin einfach ich. Habt ihr mich nicht erkannt? Ihr kennt mich von damals. Ignoranz. Der Schmerz. Verdammt, warum holt er mich wieder ein? Sollte es nicht eigentlich anders sein? Diese schöne Schuppe hat keine Veränderung gebracht. Alles ist noch wie früher. Meine Umgebung ist verblendet und erkennt nicht das Wesentliche.
Schönheit ist Gift. Solange man nur in ein bestimmtes Bild passt, ist alles andere egal. Aber ihr kennt mich nicht. Ihr wolltet mich damals nicht verstehen und versteht mich bis heute nicht. Alles, was ihr seht, ist mein neues Äußeres. Alles, was ihr hört, ist mein Gesang. Nichts davon wird allerdings je beschreiben können, wie ich mich wirklich fühle. Dazu müsstet ihr mich verstehen. Oder ihr euch selbst.
Das Leben ist schön.
… Oder?
Es ist heute auf den Tag zwölf Jahre her, dass ich die Geschichte Blind geschrieben habe. Seitdem hatte ich mehrmals vor, dem Text entweder ein Remake oder eine Fortsetzung zu geben. Vieles würde ich heute definitiv nicht mehr so schreiben und deswegen war es auch interessant, zu der Geschichte zurückzukehren. Letztendlich ist es eine Neuinterpretation geworden, von der ich hoffe, dass sie dieses Mal als innerer Monolog durchgeht.