Da du hier ja auch direkt ansprichst, dass das Thema ein stückweit selbst politisch ist, wird mein Post auch politisch werden, also nur so als Warnung lol.
Integral für mich an jeder postkapitalistischen Überlegung ist die Idee von Verzicht. Wir leben zur Zeit im Kapitalismus und führen einen Lebensstil, der nicht nur den Planeten ausbeutet, sondern auch einen Großteil der Menschen, insbesondere aus allen weniger privilegierten Regionen der Welt. Der Grund, warum unser Lebensstil heute so technologisch fortschrittlich ist und wir uns überhaupt in Ideen von Sci-Fi, Cyberpunk und Steampunk verlieren können, ist weil eben gerade diese Prämisse stimmt: Wir beuten alles aus, ohne uns um die Kosten große Gedanken zu machen. Solarpunk als Fortführung dieser Glorifizierung von Technologie hat damit aus meiner Sicht schon einen schlechten Start, was die realistische Zeichnung einer postkapitalistischen Gesellschaft angeht.
Jede postkapitalistische Idee, die unseren Konsum von heute weiterführen oder noch erweitern will, aber halt in schön und besser und in toll, ist mir daher erstmal suspekt. Und sowohl das Manifest als auch deine Erklärungen des Genres, gerade auch im Kontext mit seinen Präkursoren, platzieren Technik an erster Stelle, nur halt zur Abgrenzung von anderem Sci-Fi dann eben mit nem Aufkleber draufgepatscht von wegen "Ah und das ist hier übrigens alles grün".
Aber meine Position ist halt: Wenn wir uns nicht ernsthaft einschränken und die meiste Technik und Metallverwendung auf Sachen wie Krankenhäuser, eventuell Forschung oder andere integrale Bereiche mit hohen Anforderungen beschränken, also auf die Nutzung von elektronischer Technologie für den Alltag und für Luxus verzichten, wird eine solche Zukunft immer irgendjemanden ausbeuten, trotz allen Ansprüchen, die man sich stellt, weil der Planet einfach nicht genug Metall und seltene Erden zur Verfügung hat.
Solarpunk soll oft eine Welt darstellen, in der es Technologie OHNE Ausbeutung gibt, aber man eben trotzdem Luxus hat (was auch aus dem Manifest klar hervorgeht). Und ich kann den Appeal dieser Idee verstehen, aber mein Problem damit ist halt, dass es in die typische Konsumlinken-Ideologie reingeht, wo wir einfach alle Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzen und dann in einer Utopie leben wo keiner arbeiten muss mit allem was wir uns nur wünschen. Aber wenn man einen solchen Anspruch errichtet, zum Beispiel durch politische Geschichten, die halt zeigen, dass man einen kapitalistischen Lebensstil ohne Kapitalismus haben könnte, wenn man diese Erwartungen aufbaut bei den Menschen, dann wird der Kapitalismus vermutlich nie enden.
Es gibt den Kapitalismus immer noch, weil die meisten Leute halt trotz allem dann doch nicht auf PC und Handy und immerwarme Wohnungen und Mobilität und all die Bequemlichkeit verzichten wollen und alternative Gesellschaftsstrukturen, die das nicht versprechen, als Rückschritt gesehen werden. Auf die arbeitet dann halt niemand hin, weil viele lieber auf eine Zeit warten wo die Technologie uns alle rettet und wir zum Beispiel weiterhin 100kg Fleisch pro Jahr essen können, weil es dann halt im Labor gezüchtet wird oder wir weiterhin täglich mit dem Auto pendeln, weil die Autos dann ja alle elektro- oder wasserstoffbestrieben sind und weil die Wissenschaft ja sicher noch irgendeinen Weg finden wird Probleme X, Y und Z auch noch zu lösen, ohne dass wir je mit Einschränkungen konfrontiert werden.
Ich würde mir halt wünschen, dass eine postkapitalistische Utopie eben auch Verzicht mit einbringt. Leute zeigt, die sich mit weniger zufrieden geben, und auch mal komplett ohne (elektronische) Technik auskommen (anstatt 5 Bildschirme und eine KI in der Solarbrille zu haben). Und wir dann halt merken, dass ein Leben ohne Kapitalismus, wo man sich dann halt im Winter bisschen wärmer anzieht (anstatt unter einer riesigen Glas-Kuppel zu wohnen) und mit dem Fahrrad ins Nachbarland fahren muss (und nicht als Sky Pirate auf einem Luftschiff) eben trotzdem schön sein kann und eine bessere Option ist als die allumfassende, nachhaltige Zerstörungswut des kapitalistischen Systems, trotz seiner Vorteile.
Okay, bedeutet das, dass ich Solarpunk schlecht finde?
Nein, ich liebe Solarpunk-Ästhetik, und als Fantasy-Utopie ist es extrem appealing. Und gerade low-tech-Solarpunk mag ich richtig, richtig gerne. Nur High-Tech-Solarpunk-Welten, die halt auch einfach aus der Prämisse von Solarpunk zwangsläufig erwachsen und ihr sehr nahe liegen, finde ich halt dann sehr unrealistisch, und, wenn sie zum Mainstream werden, halt auch etwas harmful, wenn sie unkritisch mit dem Thema umgehen. Aber wenn Leute das halt mögen... idk, solange man sich halt gewisser Probleme, die in dem Genre implizit eingebacken sind, zumindest bewusst ist, sollte das ja alles ehh kein Problem sein.