Träge rollte ich mich, mit meiner Decke, zusammen und zog den Kopf gemächlich ein. Von den Seiten des großen Dachfensters, welches mit einem dunkelblauen Rollladen verdeckt war, drangen die neckischen Strahlen der Morgensonne hindurch. Nur in einem Ohr hörte ich des Radio die Wettervorhersage von heute stammeln und drehte mich murrend auf die andere Seite. „ …heute können wir uns auf viele Sonnenstunden und einen blauen, wolkenlosen Himmel freuen. Klingt doch toll, findest du nicht auch Sue?“, lachte der Moderator heiter aus meinem alternativ Wecker. Wie können die nur so fröhlich sein?, dachte ich mir und öffnete meine Decke ein Stück. Sofort strömte etwas kühle Luft herein. Obwohl es 7:50 Uhr am Morgen war, konnte man draußen die Grillen zirpen hören und das war das Zeichen für einen langen, unfassbar warmen Tag. Ich war froh, dass ich am Vortag eben solch ein Wetter erwartet hatte und mit weiser Voraussicht die Rollladen geschlossen hatte. Andernfalls würde die Luft in meinem Zimmer jetzt stehen.
So war das hier in Almia. Alles schien etwas länger, etwas klares, etwas frischer zu sein. Nur die Nacht, die Nacht war kurz, vernebelt und kalt.
Langsam streckte ich meinen zusammen gerollten Körper aus und drehte mich auf den Bauch, um meinen Kopf in mein Kissen zu drücken. Das große, mausgraue Kopfkissen, war in der Mitte eingedrückt und an dieser Stelle warm. Da diese Art zu Liegen nach wenigen Sekunden anfing, durch Sauerstoffmangel und der Wärme, unangenehm zu werden, rappelte ich mich benommen auf und ließ meine Beine aus dem Bett gleiten. Müde rieb ich mir den Sand aus den Augen und zog mein himbeerfarbenes T-shirt runter, welches beim Schlafen immer hochglitt. Angenehm beim Schlafen, aber unangenehm wenn man bedenkt, dass ich hier im Haus mit meinen beiden Neffen, meinem Schwager und meiner Schwester zusammenlebte. Bis auf den Mann meiner Schwester, Julian, waren wir alle Morgenmuffel. Er war der Einzige der im Stande war, morgens aufzustehen und Brötchen zu holen. Bill und Tom, die beiden Zwillinge, standen meistens auf und gingen dann schnurstracks in Richtung Bett von ihrer Mutter. Und meine Schwester? Die machte sich nicht die Mühe, sich im Bad zu beeilen, immerhin kam eh niemand vor 8:15 Uhr dorthin, und schlief dort vor dem Spiegel weiter.
Langsam stand ich auf und torkelte zu meinem Schrank.
Wahllos griff ich mir eines der Pakete in meinem Schrank. Meine Schwester legte meine Uniformen immer genau so rein, das ich nur nach einem dieser ‚Pakete‘ greifen musste um sowohl das schwarz-weiße Tanktop, die kurze, wasserfeste, hitze- und kälteresistente Leggins, als auch die schwarze Hot-Pants, mit dem goldenen Unterstoff und zu guter Letzt der gold-roten Jacke, in der Hand zu halten. Auch wenn ich ihr oft gesagt hatte, sie solle das nicht mehr tun, ich könne meine Wäsche immerhin selbst waschen, bestand sie weiterhin drauf und wen ich ehrlich bin, konnte ich mich auch nicht beschweren. Das ersparte mir viel Zusammenstellen und das damit verbundene konzentrierte Denken am Morgen.
Benommen öffnete ich die rechte Tür des Schrankes und nahm mir noch einen der roten Gürtel und Unterwäsche, bevor ich mich um 180 Grad drehte und zu der, aus hellem Kieferholz gefertigten, Tür torkelte, um mich zum Bad zu begeben. Auf dem, ebenfalls hölzernem, Flur, schlürfte ich zuerst an dem Zimmer der Zwillinge vorbei, sie hatten sich, allem Anschein nach, auch schon in das nächste Bett begeben. Im Zimmer war keine Spur von den Beiden.
Auf dem Fußboden lagen verschiedene Action-Figuren und einige Kuscheltiere, darunter auch zwei kleine Staraptor, die ich ihnen von dem Jahrmarkt mit gebracht hatte. Die beiden Betten waren zerwühlt und durcheinander. Bills grüne Bettdecke, mit dem Pikachu-Muster, befand sich schon gar nicht mehr auf dem Bett des kleinen Jungen, sondern lag, zu einer Kugel zusammengefallen, auf dem Fußboden daneben. Neben dem Schrank, in der rechten, hintersten Ecke, lag ein großer Berg mit dreckiger Wäsche und die offenen Schranktüren zeigten ein Bild der Verwüstung. Zirka jedes zuvor noch zusammengefaltetes Shirt, war entweder herausgezogen, lag auf dem Boden oder war einfach unordentlich reingestopft. Da würde sich meine Schwester sehr freuen, wenn sie das sah.
Lustlos schlürfte ich weiter, passierte die Abstellkammer mit dem gelben, lachenden Smiley auf der Tür und erreichte dann das Badezimmer. Wie zu erwarten Stand meine großes Schwester Natalia in dem länglichen Raum. Er war mit Fliesen ausgelegt und am hintersten Ende war eine Badewannen-Dusche, mit einem blauen Plastikvorhang. Das Blau wurde von dem, verhältnismäßig kleinen, Dachfenster mit Licht bestrahlt, weswegen das ganze Bad in diesem Ton schimmerte. Vor der Dusche war die Toilette. Der Deckel mit dem hölzernen Muster – welches ein relativ schwaches Imitat war – war zu und drauf lagen drei blaue Handtücher und das Almia-Journal von gestern. Die kleinen Einbuchtung, welche ausgefüllt war, mit den weißen Waschbecken, zwei an der Zahl, wurde von kleinen Scheinwerfern beleuchtet. Der, an die Lücke angepasste Spiegel, reflektierte das Licht und machte den Raum dadurch sehr gemütlich.
„Morgen.“, krächzte ich. Meine Schwester, gehüllt in einen weißen Bademantel, putzte sich weiter monoton die Zähne. Ihre Bewegungen waren ruckartig und eckig. Sie wirkte wie ein Roboter, dessen Schrauben gerostet waren. Als sie mich im Spiegel vorbei schlürfen sah, hielt sie in ihrer Bewegung inne und murmelte, mit sehr viel Schaum im Mund, eine Begrüßung und etwas was ich als: „Du bist früh.“, aufschnappte. Dann fuhr sie fort mit dem Zähneputzen. Bei näherer Betrachtung, sah ich, dass sie ihre aschblonden Haare hochgesteckt hatte und ihre sonst so munteren blauen Augen, trist und müde unter den Wimpern versteckt waren. Ihr eigentlich filigranes Gesicht, war heute etwas schlaff und sie sah auch etwas blasser aus als sonst. Aber wer konnte ihr das auch vorwerfen, es war früh am Morgen.
„Ja.“, antwortete ich. „Das Radio hat mich geweckt.“, fügte ich noch hinzu, bevor auch ich mir die Zahnbürste in den Mund steckte und anfing zu putzen. Kurzweilig wurde es still, bis ich fertig war und mir den Mund ausspülte. Natty dagegen, putzte einfach immer weiter. Ich fragte mich, wie lange sie wohl am Morgen die Zahnpflege betrieb.
Um ein wenig wacher zu werden, lehnte ich mich über das Becken und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Diese Methode hatte sich schon immer bewährt und auch diesmal half es mir sehr. Langsam wurde das Gefühl in mir wach, das ich mich ein bisschen beeilen musste, wenn ich noch ein Frühstück zu mir nehmen wollte, vor der Arbeit. Ich sah auf und betrachtete mich selbst im Spiegel. So schlimm sah ich heute gar nicht aus. Mit einem Haargummi band ich meine schulterlangen, ebenfalls aschblonden Haare zu einem Dutt zusammen und rieb mir nochmals die blauen Augen. Dann schnappte ich mir meine Klamotten und begann das tägliche Anziehen-Ausziehen-Spiel. Als ich fertig war, legte ich meinen zweiteiligen Pyjama zusammen und platzierte ihn feinsäuberlich über der Badewanne. Wieder hörte ich meine Schwester grummeln und interpretierte: „Ich werde das später waschen.“, hinein. „Wenn du meinst.“, brummte ich und verließ das Bad wieder.
Der nächste Ort, wo ich es mich hinzog, war das Schlafzimmer meiner Schwester und deren Lebensgefährten. Es war das kleinste Zimmer. Ein mittelgroßer, brauner Schrank, mit kleinen, altmodischen Schnörkeln, begrüßte einen als aller erstes. Darauf folgte das große Ehebett, mit je einem kleinen Nachttischchen rechts und links. Und mittendrinn, gehüllt in weiße Laken und farbenfrohen Decken, lagen meine Neffen Bill und Tom. Nur die braunen Haarbüschel und die geschlossenen Augen waren zu sehen. Doch man konnte auch klar und deutlich die Atembewegungen unter dem, sich auf und ab bewegenden, Laken wahrnehmen. Seufzend ging ich um das Bett herum und zog die Decke zur Seite, worauf sich sogleich die Körper der beiden Jungen zusammenzogen und sie kurz zitterten, bevor sie die Augen öffneten und mich mit großen, grünen Äugelein anstarrten. Wie ihre Mutter brachten die Beiden nur kleine, protestierende Laute von sich, bevor sie sich – erstaunlich wach – auf hievten und aus dem Bett kletterten. Zusammen verließen sie den Raum, Hand in Hand, wie es sich gehörte. Ich sah ihnen nach. Die Kleinen sahen richtig niedlich aus, wenn sie solche Gesten machten.
Doch der eigentliche Grund weshalb ich mich hier befand, brachte immer noch die Decke zum Beben. Vorsichtig zog ich an dem weißen Überzug und sah das silberne Pokémon schimmern. Das einzige große Fenster warf Licht genau auf das kleine Stollunior, welches von dem Strahl geweckt wurde. Verschlafen blinzelte es und streckt mir dann seinen stählernen Kopf mit den großen, blauen Augen entgegen. Ein freudiges Aufblitzen, zeigte sich, als es mich erkannte. „Kommst du?“, fragte ich und schritt über den leicht grünlichen Teppichboden zurück in den Flur. Das Eisenpanzer-Pokémon schüttelte sich geschwind wach, was seinen Panzer zum Klirren brachte, und hechtete mir dann hinterher. Zusammen erreichten wir mein Zimmer und ich sah mich erst mal in Ruhe um.
Ich hatte am Vortag wohl nicht drauf geachtet und die Uniform von gestern achtlos in die einzige freie Ecke, rechts von der Tür, gepfeffert. Mein Zimmer war nicht sehr groß und besaß blauen Teppichboden. Gleich wenn man reinkam, starrte man in einen Ganzkörperspiegel, der an meinem Schrank hing. Es war ein relativ großer, schlichter Kiefernschrank, mit vier Türen und ganz unten eine Schublade für Bettbezüge. Links in der Ecke war ein Eckschreibtisch. Auf ihm standen allerlei Stifte, Bürokram und Ableger. Es war ein neuartiges Model, ohne Beine und mit einer königsblauen Arbeitsfläche. An der Wand mit der Tür inne, hingen direkt über dem Arbeitsplatz kleine Bilder. Sie zeigten mein Team bei der Arbeit und die Menschen inklusive ihrer Pokémon aus Brisenau. Es waren lustige und heitere Bilder. An langweiligen Tagen saß ich gerne da und dachte an die Tage, in denen sie entstanden waren.
Ich ging zu dem einzigen Fenster im ganzen Raum. Es war an der Dachschräge, welche ebenfalls eine hölzerne Verkleidung bekommen hatte. Meiner Schwester gefiel dieser Holzstil einfach sehr gut, weshalb sie sich für dieses Haus entschied. Ich öffnete den Haken, an dem Fenster um das Rolle hoch zu rollen. Sofort wurde der Raum heller und erstrahlte in der aufgehenden Sonne. Mit einem Ruck öffnete ich das Glasfenster und vernahm nun die Hitze und die Grillen, welche mir: „Guten Morgen“, zirpten.
Gemächlich dehnte ich mich in der frischen Luft und machte einige Streckübungen. Rechts von mir sprang mein Partner Stollunior auf das Bett und streckte sich ebenfalls lang. Als ich fertig war, machte ich mein Bett zurecht und wand mich dann wieder Richtung Tür. Langsam wurde es Zeit für das Frühstück. Wie zur Bestätigung knurrte mein Magen. Ich wollte gerade gehen, als mit etwas Glänzendes ins Auge stach. Für einen Moment hielt ich inne und ging schlussendlich zu meinem Sideboard, welches, eingeklemmt zwischen Bett und Schrank, mein Nachtkästchen ersetzte und leicht über die Kante des Bettes hinaus stand. Ich hatte zur Verschönerung einige alte Bilder, von meinem früheren Zuhause und aus meiner Kindheit darauf gestellt, jedoch waren sie alle verstaubt. Langsam griff ich nach dem Bild mit dem glänzenden Rahmen und wischte den Staub mit meinem Ärmel ab. Es war ein älteres Foto, die Grafik war noch ein bisschen patzig und alles in allem sah es ziemlich billig aus. Ich hatte es in einen Rahmen aus Silber, der verziert mit kleinen Blumenranken war, getan, was der einzige Grund für dieses Glänzen war.
Es zeigte mich, als kleines Mädchen, mit meinem Pummeluff-Kuscheltier, wie ich neben einer erwachsenen, sich neben mich knienden Frau stand. Die Frau hatte grüne Haare und grüne Augen. Ihr rechter Arm war liebevoll um mich gelegt und sie hatte ein breites Lächeln im Gesicht, wohingegen ich ein wenig desorientiert aussah.
Ach ja, ich erinnerte mich noch sehr gut an die Geschichte, die es mit diesem Bild auf sich hatte. Ich fragte mich, wie lange es wohl her war, als ich an diesem schicksalhaften Tag, den fliegenden Ranger traf.