Vielen Dank für eure Kommis!
Um eurer Aufmerksamkeit gerecht zu werden, werde ich mich der Beantwortung der Kommis später widmen.
Erstmal viel Spaß mit dem neuen Kapitel! :)
Dunnottar Castle, Schottland, November 2066
Das Erste, was sie am Morgen hörte, waren die Wellen, die sich am Fuß der Klippen brachen. Langsam setzte Catherine sich auf, darauf bedacht, Hikari nicht zu wecken. Hikari war gestern bis spät in die Nacht wach geblieben; sie war in das kleine Städtchen Stonehaven gefahren und hatte sich die neuesten Gerüchte über die Pläne der Regierung angehört. Dementsprechend spät war sie wiedergekommen. Jetzt drehte sich Hikari im Schlaf auf die andere Seite, wobei ihr ihre schwarzen Haare ins Gesicht fielen. Catherine erhob sich leise und huschte aus dem gemeinsamen Zimmer im ehemaligen Wachhaus. Catherine wusste nicht viel über die Burgruinen, in denen sie lebten.
Die Menschen, die diese Anlage vor Jahrhunderten erbaut hatten, nannten sie „Dunnottar Castle“ und Catherine hatte sich entschlossen, es dabei zu belassen. Schließlich brauchten die Menschen, die mit ihr hierher geflüchtet waren, einen Namen für den Ort, an dem sie jetzt leben sollten. Catherine zog sich ihre, vor dem Zimmer stehenden Stiefel an, und ging den kleinen Flur entlang nach draußen. Die alte Burganlage lag auf einem hohen Felsplateau an der Küste. Bis auf einen schmalen Felspfad, der zum Festland führte, waren ringsum nur steile Klippen. Das ehemalige Wachhaus lag an der Südseite des Plateaus und war nur wenige Meter vom Klippenrand entfernt.
Nachdem Catherine einige Minuten auf das Meer hinaus gestarrt hatte, wandte sie sich nach links und ging zu den ehemaligen Stallungen, welche jetzt sowohl Küche, als auch Vorratskammer waren. In mühevoller Arbeit hatten die neuen Bewohner ein neues Dach gebaut. Jeder hatte auf seine Art und Weise geholfen und Catherine war der Meinung, dass nichts die Gemeinschaft der britischen Nachtbringer je so gestärkt hatte. Als sie vor knapp sechs Jahren aus Edinburgh hierher geflüchtet waren, war dieser Ort kaum bewohnbar gewesen. Catherine hatte sich, als neue Vorsitzende, mit der Aufgabe konfrontiert gesehen, eine Gruppe von ungefähr 250 Leuten zu einer Einheit zu formen, die hier überleben konnte. Am Anfang hatten viele noch in provisorischen Zelten geschlafen, bis man nach und nach die verfallenen Gebäudeteile bewohnbar gemacht hatte. Es war ein schweres Unterfangen gewesen und selbst jetzt gab es immer noch genug zu tun. Catherine hatte oft an sich gezweifelt, doch Hikari war immer da gewesen, wenn sie kurz davor war, aufzugeben. Sie hatte ihr die schönen und unbezahlbaren Momente gezeigt. Die Kinder dieser Truppe, die auf der riesigen Rasenfläche vor dem ehemaligen Hauptgebäude spielten und alles in kindlicher Naivität als Abenteuer sahen; die Eintracht, mit der jeder hier mit den anderen lebte; die Liebe und die Freundschaft, die so ziemlich jeder hier offen zeigte. Diese Momente waren es, die Catherine versicherten, dass es wichtig war hier zu sein und zu helfen.
Aus den erneuerten Schornsteinen sah Catherine Rauch aufsteigen. Anscheinend war Jane, die unumstrittene Küchenchefin, gerade dabei, neues Brot zu backen. Catherine öffnete die ramponierte Holztür und betrat durch die Vorratskammer die Küche. Sie hatte mit ihrer Vermutung Recht gehabt. Jane stand an einem der Tische und knete Brotteig. Der köstliche Duft nach frischem Brot kam aus dem großen Steinofen hinter ihr. Catherine räusperte sich und Jane sah auf. „Hallo Cate“, begrüßte sie sie. Ihr aschblondes Haar hatte Jane unter einem Kopftuch verborgen. Sie winkte Catherine zu sich und reichte ihr ein kleines Stückchen Teig. „Ich weiß doch, wie gerne du nascht“, meinte sie und lächelte schelmisch. Catherine nahm sich das Teigstückchen und aß es, nicht ohne genießerisch die Augen zu verdrehen. Jane wusste als Einzige von Catherines kleiner Schwäche fürs Naschen.
„Und was gibt es heute so zu tun?“, fragte Jane im Plauderton.
Catherine stellte sich vor den Ofen und kam nicht umhin, sich die Hände zu wärmen. Als sie den Brotteig aufgegessen hatte, antwortete sie: „Mal sehen, was Hikari von gestern so an Informationen mitgebracht hat. Danach müssen wir dringend damit weitermachen, alles winterfest zu machen. Bald wird es wieder richtig kalt hier.“ Schon bei dem Gedanken an die bevorstehende kalte Jahreszeit fröstelte es sie.
Jane ließ den Brotteig kurz liegen, ging in die Vorratskammer und kam mit zwei Blechbechern voller Apfelmost wieder. Sie drückte sie Catherine in die Hand. „Für Hikari und dich. Wärmt es am besten nochmal kurz an“, meinte sie und wandte sich wieder dem Brotteig zu. „Danke, Jane. Hikari wird Purzelbäume schlagen vor Freude“, sagte Catherine und machte sich auf den Rückweg zu Hikari.
Genau diese öffnete in dem ehemaligen Wachhaus die Augen, blinzelte ein paar Mal und zog die Decke bis zum Kinn hoch. „Caty, wenn du wüsstest, was ich herausgefunden hab“, murmelte sie und drehte sich nach rechts, nur um Catherines Schlafplatz verlassen zu sehen. Verwirrt setzte Hikari sich auf und sah sich um. Sie war allein in dem Zimmer, welches sie sich mit Caty teilte. Hikari weigerte sich hartnäckig sie Catherine zu nennen, teilte. Wahrscheinlich war ihre beste Freundin, der sie ihr neues Leben hier verdankte, mal wieder draußen bei den Klippen und sah verträumt aufs Meer. Caty tat das gerne und Hikari ließ ihr diese Freude. Schon als sie sich vor zehn Jahren kennengelernt hatten, war ihr dieser abwesende Blick aufgefallen. Sie hatte Caty mal danach gefragt und diese hatte ihr gesagt, dass sie dann an ihre Familie dachte. Mit der Zeit hatte Hikari herausgefunden, dass Catherines Familie in London lebte und der Regierung loyal diente.
Hikari musste kichern. Was für ein Schock es gewesen sein musste, als ihre Tochter sich nicht nur der Untergrundorganisation der Nachtbringer angeschlossen hatte, sondern auch noch sie, einen japanischen Flüchtling aufgenommen hatte. Damals war Hikaris Familie von der Regierung ermordet worden. Sie hatten darauf bestanden, dass ihre Familie einen Schutzengel hatte. Hikari hatte gerade noch so die Flucht nach Großbritannien geschafft. Als sie Catherine begegnet war, war sie zuerst davon überzeugt gewesen, jetzt doch noch verhaftet zu werden, doch Caty hatte sie mit zu sich nach Hause genommen und im Haus ihrer Familie versteckt. Als Morgan Pendragon zu Irlands neuer Premierministerin geworden war, hatten die beiden Mädchen ihre Sachen gepackt und sich den Nachtbringern angeschlossen. Während Caty sich mit ihrem diplomatischen Können zur Vorsitzenden hochgearbeitet hatte, bewies Hikari ihr Talent als erstklassige Spionin. So konnte sie die Nachtbringer auch rechtzeitig warnen, als man ihnen in London zu sehr auf die Schliche gekommen war. In einer Nacht- und Nebelaktion hatte Caty ein Himmelfahrtskommando gestartet und diese große Menschengruppe bis an die Ostküste Schottlands gebracht. Hier hatten sie alle ein neues Zuhause gefunden.
Gerade in dem Moment, als sie sich an die ersten Jahre hier auf Dunnottar Castle zurückerinnerte, ging die Tür auf und Caty balancierte zwei Becher mit köstlich duftendem Inhalt in den Raum. „Schon wach, meine kleine Spionin?“, fragte Caty und lächelte ihr zu. Hikari wartete, bis Caty die Becher abgesetzt hatte, dann warf sie sich auf ihre beste Freundin und kitzelte sie durch, bis Caty um Luft zum Atmen flehte. Die beiden Mädchen blieben einen Moment so liegen, bis Hikaris Magen unmissverständlich nach dem Inhalt der Becher verlangte. Caty musste lachen, stand auf und ging mit den beiden Bechern zu der kleinen Feuerstelle in der Ecke des Raumes. Nach ein paar Minuten hatte sie ein kleines Feuerchen entfacht und wärmte die Becher an. Sie reichte Hikari einen und schloss die Finger um den anderen.
Vorsichtig nippte Hikari an dem Getränk. „Apfelmost! Dafür könnt ich sterben!“, rief sie aus und hatte den Becher recht zügig geleert. Sie stellte den Becher ab und sah Caty an. „Ich hab gestern Nacht ganz interessante Dinge gehört“, begann sie ihren Bericht. „In Irland bereitet man sich auf einen Staatsbesuch vor. Laut einer Zeitung am Kiosk wird Irlands stärkster Verbündeter gegen Magie und jene, die sie praktizieren, erwartet.“ Caty sah hoch. „Du meinst doch nicht etwa…“, begann sie, doch Hikari unterbrach sie. „Doch, genau den meine ich. Diesen aufgeblasenen, wichtigtuerischen, gruseligen,…“ Caty unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Wir müssen, so lange er in Irland ist, noch vorsichtiger sein. Schließlich ist er einer der Hauptverantwortlichen für die Jagd auf übernatürliche Wesen und die Ausradierung von Regierungsgegnern. Er ist der Kopf der Regierung.“
Irland, November 2066
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wartete Morgan Pendragon auf die Ankunft ihres hohen Gastes.
Irlands Premierministerin stand mit den Mitgliedern ihres Kabinetts unter dem Vordach des Haupteingangs von Farmleigh House, der traditionellen Residenz für ausländische Staatsgäste. Seit Morgan von der Absicht des russischen Präsidenten, Irland einen Besuch abzustatten, erfahren hatte, war die sonst sehr resolute Politikerin zur nervösen Perfektionistin geworden. Ihr war sehr wohl bewusst, dass viele Politiker ihren rechten Arm hergeben würden, um Russland als direkten Verbündeten zu haben. Der amtierende Präsident war dafür bekannt, kaum Auslandsreisen zu unternehmen. Das er dann vor zwei Wochen allerdings seinen Besuch angekündigt hatte, war für alle Beteiligten mehr als überraschend gewesen. Morgan hatte bis ins Detail alles durchgeplant, sie wollte nichts dem Zufall überlassen.
Morgan winkte ihre Sekretärin zu sich. Eine kleine, dünne Frau in einem grauen Kostüm huschte zu ihr. „Wie spät haben wir es?“, verlangte sie mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Die Sekretärin sah auf eine Armbanduhr und verglich die Uhrzeit mit dem Zeitplan. „Es ist gleich zwölf Uhr mittags. Noch ungefähr drei Minuten dürfte es dauern, bis Eure Gäste da sind.“ Morgan nahm diese Informationen mit einem Nicken zur Kenntnis und die Sekretärin ging wieder ein paar Schritte zurück. Wind kam auf und ließ sie in ihrem dunkelblauen Kleid mit dem cremefarbenen Kragen und Taillengürtel frösteln. Eine Strähne ihres dunklen Haares löste sich aus der einfachen Hochsteckfrisur, wurde von Morgan jedoch energisch zurück an ihren Platz befördert.
Die Zeit schien sich in die Länge zu ziehen, bis ein Sicherheitsmitarbeiter Morgan zu nickte. Alle sahen jetzt zu der Auffahrt hin, auf welcher jetzt eine dunkle Mercedes Limousine erschien und im Schritttempo näher kam. Der Chauffeur hielt das Auto vor dem Eingang, stieg aus und ging um das Auto herum bis zur hinteren Tür. Er öffnete diese und ein Mann, den Morgan auf Mitte dreißig schätzte, stieg aus dem Auto. Der russische Präsident trug einen schwarzen Anzug ohne Krawatte und hatte sein schwarzes Haar, welches ihm bis zwischen die Schulterblätter fiel, zum Pferdeschwanz gebunden. Jetzt trat er festen Schrittes auf Morgan zu, die ungewöhnlich türkisfarbenen Augen waren auf ihre grau-grünen Augen gerichtet. Er blieb vor ihr stehen und deutete eine leichte Verbeugung an. „Wie schön, dass ihr meinen Besuch noch so kurzfristig arrangieren konntet“, sagte er mit deutlichem Akzent. Morgan erwiderte die Begrüßung. „Es ist mir eine große Ehre, Euch auf irischem Boden willkommen zu heißen, Mr. Iwanow.“ Der Präsident lachte leise. „Bitte, Alexej genügt, Madam“, meinte er und bot Morgan seinen Arm. Etwas irritiert hakte Morgan sich bei Alexej unter.
Die beiden betraten dem Kabinett voran die Residenz. Nachdem Morgan ihrem Gast alles gezeigt hatte, entließ sie ihr Kabinett für heute. Nachdem alle gegangen waren, sah sie zu Alexej rüber. „Ich hoffe, alles ist zu Eurer Zufriedenheit?“, erkundigte sie sich der Höflichkeit halber. Er nickte und meinte: „Habt Ihr noch ein paar Minuten Zeit oder warten Staatsgeschäfte auf Euch?“ Morgan war ein bisschen verwirrt. „Für meine Gäste nehme ich mir die Zeit“, sagte sie schließlich. Alexej bedeutete ihr, ihm zu folgen und ging zielsicher in die Bibliothek. Dort setzte er sich auf eines der zwei Ledersofas und bedeutete Morgan, sich ihm gegenüber zu setzen. „Ich habe noch ein wichtiges Thema, welches kaum Aufschub duldet“, begann Alexej. „Ihr wisst ja von den Todesgöttern, diesen verfluchten Lebensrichtern. Nun, auf meiner Reise hierher, traf ich in London zwei dieser ekelhaften Kreaturen. Sie waren gerade damit beschäftigt, eine Seele zu richten und so gelang es mir einen der beiden in meine Gewalt zu bringen. Der zweite ist mir und meinen Leuten entwischt. Deswegen habe ich sie auch, bis auf den Chauffeur, in London gelassen. Sie sollen auf diesen Todesgott aufpassen und nach weiteren Ausschau halten. Es können gar nicht wenig genug existieren.