Eigentlich hatte ich mir schon vor Wochen vorgenommen, hier zu schreiben, aber meine politischen Aktivitäten haben es mir nicht zugelassen. Ob ihr’s glaubt oder nicht, Demos zu organisieren ist viel Arbeit, aber es macht Spaß! Dennoch, wir können doch nicht solch Phantasievorstellungen einfach kommentarlos stehen lassen. Also im „Quickfire“:
Dass der Kapitalismus die Unterklasse ökonomisch unweigerlich unterdrückt, bestreite ich wirklich. Die Zahl der Menschen weltweit, die an extremer Armut leiden, hat sich von 1,85 Milliarden ~1990 auf 767 Millionen ~2010 verringert, was vor allem auch mit der Hinwendung Chinas zum Kapitalismus zusammenhängt.
Interessant dass du dich speziell für das Jahr 1990 entscheidest als Anfang deiner These. Die Vereinigten Nationen, die Weltbank und der Internationale Währungsfond (die Organisationen die diese Zahlen produzieren und direkt für sie verantwortlich sind) haben dreckige Methoden mit der Zeit entwickelt, um die wahren Auswüchse des globalen Kapitalismus zu verschleiern. Das Programm der „Millennium Development Goals“ wurde in 2000 von der UN gestartet, jedoch wurde das Startdatum zu 1990 rückwirkend zurückgesetzt um, wie du beschreibst, Chinas Hinwendung zum Kapitalismus sich zunutze zu machen indem man diese Zahlen rückwirkend den eigenen Zielen zufügt. Das ist aber eine völlig unehrliche Arbeitsmethode und zugleich statistische Manipulation, da genannte Organisationen nicht die Lorbeeren dafür ernten können - China ist das wohl einzige Land, dem der Kapitalismus von diesen Organisationen nicht gewaltsam auferlegt wurde.
Zudem sind die Zahlen, die die UN benutzt, um die „extreme Armut“ (was für ein Begriff lol) zu berechnen, äußerst unehrlich. Ihr Maßstab zur Berechnung (International Poverty Line) liegt bei $1,90 pro Tag. Das ist so abseits von irgendeiner Realität irgendwo auf der Welt dass es beinahe lachhaft ist. Unabhängige Forscher*innen haben kalkuliert, dass global gesehen der durchschnittliche Mensch mindestens $5,- pro Tag braucht um zu überleben, 5 Jahre alt zu werden und eine durchschnittliche Lebenserwartung zu genießen. Würden wir den Maßstab zur Berechnung auf dieses akkurate Niveau heben, würde sich die schreckliche Wahrheit zeigen, dass über 4 Milliarden Menschen weltweit unter dieser Grenze leben. Das ist die Mehrheit der Menschheit. Die Berechnungen der UN und der Weltbank sind nicht falsch per se, es werden nur die falschen Zahlen benutzt, um zu einem gewünschten Ergebnis zu kommen, nämlich dass die Arbeit und die wirtschaftlichen Bedingungen der UN, Weltbank und des IWF hilfreich bei der Bewältigung von Armut sind. Ganz im Gegenteil.
Das Problem sind aber auch den freien Markt behindernde Einfuhrzölle der Industrieländer auf Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse, also Produkte, von denen die Dritte Welt ausnahmsweise mal mehr als genug produziert.
Coole Umschreibung für Ausbeutung! Am Markt ist nichts „frei“. Arme Länder exportieren rohe Materialien, die in reichen Ländern verarbeitet wieder an die armen Länder zu riesigen Profitmargen verkauft werden. Arme Länder werden von reichen Ländern gezwungen, Einfuhrzölle zu akzeptieren - ein Überbleibsel der Kolonialära, aber die armen Länder verfüg(t)en nicht über die politischen, rechtlichen und militärischen Ressourcen und Mittel, sich dagegen zu wehren. Diese Kontrolle des Globalen Südens wird durch Kredite und Schulden erzwungen. Sollte sich die Regierung eines armen Landes dem zu trotz gegen Privatisierung, Einfuhrzölle, Kredite etc. (mit anderen Worten Kapitalismus) wehren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie entweder durch oder Mithilfe von reichen Ländern entfernt wird und hier könnten wir eine wirklich lange Geschichte aufzählen.
und dass in ihnen hohe Korruption dazu führt, dass interventionistische Politik vom Volk befürwortet wird.
Ich finde es immer ziemlich grotesk, irgendwelche inhärenten und/oder simplistischen Gründe für Armut im Globalen Süden herzuholen. Solche Erklärungen ignorieren in der Regel völlig die Kolonialgeschichte und den Neokolonialismus, mal abgesehen von der Tatsache, dass in reichen Ländern ebenso viel, wenn nicht mehr, Korruption herrscht. Die Wahrheit ist, dass die arbeitenden Völker des globalen Südens mit Absicht geknechtet werden, damit ihr billig extrahiertes Material im Norden teuer verkauft werden kann. Der globale Kapitalismus ist ein komplexes System, lässt sich aber soweit versimpeln, dass arme Länder einfach keine Wahl haben, als die ihnen auferlegten Bedingungen zu akzeptieren.
Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem der Privatkontrolle über die Produktionsverhältnisse. Wirtschaftlich wird diese Kontrolle erreicht durch die Ausbeutung der Arbeitskraft: Arbeiter*innen verkaufen ihre Zeit und Arbeit an einen Arbeitgeber, der durch diese Arbeit einen Profit schafft, für sich behält und die Krümel den Arbeiter*innen zurück gibt (Arbeiter*in = Lohnabhängige). Arbeitende Menschen haben keine Entscheidungsgewalt darüber, wieviel sie von was produzieren und wohin diese Produktion fließen soll.
Politisch wird diese Kontrolle erreicht durch den bürgerlichen Staat. Wenn die arbeitende Masse zurecht um Verbesserungen der Arbeitsverhältnisse kämpft (in Form von Protesten, Streiks und vereinzelten Belagerungen von privatem Eigentum), greift der bürgerliche Staat zu den zur Verfügung stehenden Mitteln, um diese Arbeitskämpfe zu brechen, da der bürgerliche Staat im Dienst des Privateigentums steht (aktuell gut zu beobachten in Frankreich, Peru, Sri Lanka, im Iran). Hinzu kommt, dass ein bürgerlicher Staat Geheimdienste und militärische Mittel einsetzen kann, um in fremden Ländern gleiche Bewegungen zu unterbinden, oder einfach klassisch um Ressourcen zu sichern (historische Beispiele: Iran, Guatemala, Kongo, Syrien und so viele mehr, ich kann gerne ins Detail gehen). Das sind keine Verschwörungstheorien, das ist der natürliche Verlauf des Kapitalismus mit dem Imperialismus als letzte Form.
PS. Die Kriterien, nach denen die heutigen USA faschistischer seien als Stalins UdSSR, würde ich gern mal sehen.
Wie Alaiya korrekt anführt, wird viel zu oft „Faschismus“ geschrien, wenn sich ein Staat autoritär verhält. Jedoch muss ich dir hier widersprechen, denn weder die Sovietunion noch die USA können als faschistisch klassifiziert werden. Die westliche Intelligenz hat sich nach dem 2. Weltkrieg um Faschismusdefinitionen bemüht, die sehr oberflächliche Kriterien, wie Obsession zum Traditionalismus und einem Opfermythos, sowie der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten usw., nennt (bekannt ist hier die Definition von Umberto Eco).
Faschismus ist ein Phänomen, dessen Essenz aus diversen Seiten heraus über Jahrzehnte weg verwischt wurde. Faschismus bezieht sich sehr spezifisch auf Klassenverhältnisse in der Zwischenkriegszeit: Nach dem ersten Weltkrieg standen die Arbeiterklassen Europas an einem Wendepunkt; diverse Länder waren in Trümmern und die Arbeiter*innen Deutschlands waren nicht bereit, die Bedingungen des Versailler Vertrags zu zahlen. Der Kapitalismus war am Ende und die Revolution schritt in einigen Ländern voran. Durch die Krise des Kapitalismus spitzten sich Klassenkonflikte zwischen der herrschenden Klasse und der arbeitenden Klasse zu. Dazwischen gab es noch eine Klasse von Menschen, die durch den Krieg deklassiert, herabgestuft und enteignet wurden. Dazu zählten Beamte wie Lehrer und ehemalige Offiziere, Kleinunternehmer und vor allem Kleinbauern. Die Klasse die als Kleinbürgertum (oder petit bourgeoisie) bezeichnet wird. Das war die materielle Basis der Faschisten und das hat ihre Macht ermöglicht. Die Massenbasis war nicht ideologisch, sondern materialistisch: wenn man einen Haufen Leute hat, die durch den Krieg so gut wie alles verloren haben (ihr Eigentum, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre staatlichen sozialen Leistungen usw.) dann besteht einfach die Chance, dass die sich zu einer organisierten gewaltbereiten Bande vereinigen. Und genau das ist ab den 20er Jahren auch passiert: finanziert und bewaffnet vom Großkapital hatten die faschistischen Banden die Aufgabe der Streikbrecher: sie schlugen dort hart zu, wo sich Arbeiter*innen selbst stark und/oder gewerkschaftlich organisierten, da die Arbeiter*innenbewegung zunehmend zu einer Gefahr für das Bürgertum wurde.
Diese Verhältnisse gab es nicht in der UdSSR und gibt es auch nicht in den USA heute. Die Sovietunion war ab Stalin ein degenerierter Arbeiterstaat unter bürokratischer Kontrolle von wenigen. Aber die Sovietunion hatte kein Klassensystem. Klassen definieren sich durch ihr Verhältnis zum Privateigentum und dieses wurde nach der Oktoberrevolution abgeschafft. Es gab Einkommensschichten und ungerechte Machtverteilung, aber keine Klassen.
Somit wird auch erklärt, warum der Faschismus auch nicht mehr kommen kann - natürlich gibt es ultranationalistische Parteien und Anhänger sowie faschistoide Banden wie die Identitären in Österreich. Aber es gibt für den Faschismus einfach keine Massenbasis mehr. Der Kapitalismus tendiert in seinem Verlauf zur Monopolisierung der Industrien. Es gibt heute noch kaum Kleinunternehmer*innen und noch weniger Kleinbauern. Dazu haben Beamte (insb. Lehrer*innen) heute nicht den Stellenwert in der Gesellschaft, den sie mal hatten. Die Bevölkerung der Welt wurde völlig proletarisiert - es gibt eine Handvoll Großkapitalisten (die über die überwältigende Mehrheit der Produktion und des gesellschaftlichen Reichtums verfügt), eine Handvoll Kleinbürger*innen (die immer kleiner wird, da Kleinbauern und Kleinunternehmen langfristig nicht mit Monopolen konkurrieren können) und eine riesige Masse an Arbeiter*innen (= Lohnabhängigen), die kein Interesse an der Ausbeutung hat, die letzten Endes zu immer zu Krisen, Kriegen und der Vernichtung des Planeten führt. Es wird höchste Zeit, sich von diesem System zu verabschieden und es durch eines zu ersetzen, in dem diejenigen, die das soziale Reichtum wirklich produzieren, auch wirklich ein kollektives demokratisches Entscheidungsrecht darüber haben. Dazu muss die Arbeiter*innen klasse nur richtig organisiert werden. Für eine sozialistische Räterepublik! Hoch die internationale Solidarität!
… damn, das hätten eigentlich nur 5 Zeilen werden sollen …