War lange nicht mehr aktiv. Hatte viel Militär und sonst auch dies und das um die Ohren, und Pokémon ist wohl das Letzte, womit ich mich beschäftige. Trotzdem will ich wieder eine kleine Geschichte posten. Das Kreative ist in meinem Leben in letzter Zeit massiv zu kurz gekommen und ich merke, wie das an mir nagt. Wie auch immer, hier ist eine eher one-shot-artige Geschichte, die ich vor bald einem Jahr in Peking geschrieben habe.
From Facebook with Love
„Komm mal her, Schatz, ja?”
Ihre Stimme klang hell durch das Kolosseum, oder das, was von ihm noch übrig war.
„Schatz, stell dich dahin, so”, meinte sie und wies ihrem Freund wild gestikulierend seinen Platz neben einer Statue, die wohl seit hunderten von Jahren kopflos auf Rom niederschaute.
„Weisst du, Schatz, ich finde solche Statuen wie diese hier so romantisch. Diese hier zum Beispiel, sie ist fast wie...”, sie hielt inne und suchte nach den passenden Worten, „fast wie Venus. Vielleicht ist es ja sogar Venus, wer weiss! Auf jeden Fall, ich fühle mich irgendwie mit ihr verbunden, auf Herzesebene sozusagen, von Frau zu Frau. Ich muss einfach ein Foto davon haben. He, nicht rühren, Schatz! Noch ein wenig nach links, noch ein wenig... ja, perfekt! Excuse me, excuse me! Could you take a picture, please?”
Das angesprochene, ältere Ehepaar blieb überrascht stehen. Sie eilte sofort hin.
„You press this button here”, sagte sie mit einem triefenden amerikanischen Akzent, dem man die übertriebene Artikulierung eines Nichtmuttersprachlers sofort anhörte, und zeigte dem Herrn den Abzug auf dem Screen ihres in Louis Vuitton gehüllten Smartphones.
„Yes, here. I'll give you a sign when we are ready, okay?”, sagte sie und setzte ihr charmantestes Lächeln auf. Ohne ernsthaft eine Antwort abzuwarten, liess sie den leicht überforderten Rentner stehen und eilte zurück zu ihrem Freund.
„Ach Schatz, du hast dich schon wieder bewegt! Nach links... noch ein wenig, excuse me, we are almost ready, noch ein wenig... ja, so ist gut, we are ready."
Mit einem breiten Lächeln, das zwei schneeweisse Zahnreihen entblösste (selbstverständlich gebleicht), stellte sie sich neben ihren Freund. Im Hintergrund strahlte der abgewetzte Marmor der kopflosen Statue im Licht der italienischen Sommersonne, die aus dem stahlblauen Himmel gnadenlos auf Rom niederbrannte.
Der Rentner machte einige langsame Schritte auf das Paar zu, während er, das Handy schon in Fotografierposition, mit unsicherer Miene den Bildschirm betrachtete. Dann tippte er einmal mit dem abgespreizten Zeigfinger und schaute noch unsicherer als zuvor auf das Gerät in seinen Händen.
„Did it work?”, fragte sie mit aufgeregter Stimme und sprang neben den Fotografen. „Let me see!”
Er reichte ihr das Telefon. Sie inspizierte das Foto, zoomte hinein und wieder hinaus und legte zur genaueren Betrachtung den Kopf schräg, während bei jeder Berührung die langen, aufwändig lackierten Nägel auf dem Glas klackten.
„Could you take another one, please?”, fragte sie schliesslich und drückte dem Rentner das Gerät wieder in die Finger. Der Rentner seufzte und seine Frau warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr (nicht von Louis Vuitton), während ihr Fuss leise, aber hörbar auf dem antiken Stein auf und nieder tappte.
„Schatz, du hast dich schon wieder bewegt! Nach links... noch ein wenig... perfekt.”
Noch einmal strahlten ihre Zähne in der unerbittlichen Julisonne mit der kopflosen Statue um die Wette, der Rentner tippte noch einmal mit dem Finger, die Augen hinter den Brillengläsern zu Schlitzen zusammengekniffen, so dass er den „Button” auch sicher träfe.
Diesmal genügte das Foto offenbar ihren Qualitätskriterien.
„How kind of you, thank you so, so much!”, sülzte sie. Der Rentner winkte ab, nahm seine Frau an der Hand und ging eilig weiter. Dabei tupfte er sich mit einem zerknitterten Papiernastuch einige Schweissperlen von der Stirn. Roms Sonne war unnachgiebig.
„Schau mal, Schatz! Ist es nicht umwerfend?”
Er schaute nicht und nickte. Wieder klackten die Nägel auf dem Glas, als sie verschiedenste Apps sozialer Medien öffnete, um das Bild von ihr, der kopflosen Statue und ihrem Freund genug weit links mit der Welt zu teilen.
Zwei Stunden später meinte sie mit konzentriertem Blick auf den Bildschirm: „Schatz, schau mal, wie viele Likes wir haben! Ist das nicht toll?”
Er schaute nicht und nickte.