Dieses Mal gibt es sogar zwei Gewinner(innen). Glückwünsche an Cassia und Cáithlyn.
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[tab=Was ist Liebe für Dich?]
[subtab=Vertonung]
Cassia - Was ist Liebe für Dich?
Schwamm'sche Anmerkungen
Wow. Einfach nur wow. Ich habe die Geschichte zweimal lesen müssen, weil mich beim ersten Vorlesen meine Gefühle übermannt hatten.
Nicht, dass es mich überrascht. Ich hatte schon mit was Ähnlichem gerechnet bei so einem Thema. Wenn man dann einen sensiblen, empathischen
Kerl hinsetzt und vorlesen lässt, passiert sowas nun einmal. Außerdem habe ich jetzt einen Ohrwurm von "What is love" aus irgendwelchen, unerfindlichen Gründen.
Glückwunsch an Cassia auch von mir. Ich hoffe, dass ich der Geschichte mit meiner Interpretation gerecht werde.
[subtab=Gewinnertext]
Cassia - Was ist Liebe für Dich?
~
Es ist eine dieser Nächte.
Draußen regnet es und der Wind pfeift um das Fenster. Ich will aufstehen, um die Gardine zu zu ziehen. Aber stattdessen bleibe ich dort, wo ich bin. Mit dem Gesicht zu dir liegend, die Arme unter meinem Kopf. An deiner Seite.
Du sitzt aufrecht neben mir, dein leiser Atem wirkt so beruhigend. Manchmal frage ich mich, wann du schläfst oder überhaupt jemals ein Auge zu tun wirst. Immer, wenn ich mich schlafen lege, folgst du mir, als gäbe es keinen anderen Grund für dich im Leben, als an meiner Seite Wache zu stehen.
Ich habe es dir nie gesagt, aber wenn du bei mir bist, geht es mir stets besser. Die Dunkelheit verliert ihre Schrecken und in der Schwärze deine Umrisse ausmachen zu können, ist Balsam.
~
Es ist eine dieser Nächte.
Du schläfst, während ich neben dir sitze und versuche, in all der Finsternis nicht gleich den Verstand zu verlieren. Es macht mir Angst, trotz all der Jahre, die ich nun schon in Sicherheit bin. Aber trotzdem verfolgten mich die Bilder längst vergessener Tage, trotz all den Versuchen, sie aus meinem Kopf zu verbannen. Das ist einer der Gründe, warum ich nicht schlafe.
Ich schaue zur Seite und bemerke, dass du noch wach bist. Du lächelst, als du meinem Blick begegnest.
Ich habe es dir nie gesagt, aber wenn du bei mir bist, kann ich einfach ich sein.
Ungekünstelt, unmaskiert.
Ohne Angst.
~
Es ist eine dieser Nächte.
„Rue?“ Dein Name rollt mir von der Zunge. Wie oft ich ihn schon ausgesprochen habe, kann ich nicht sagen. Aber es sind unzählige Male, in den unterschiedlichsten Gefühlslagen und Situationen.
Ich erhalte keine Antwort, aber dass ist auch nicht nötig. Auch so weiß ich, dass du mir zuhörst. Das hast du immer getan.
„Was ist für dich Liebe?“
~
Was ist für dich Liebe?
Ich zögere. Fragend und still dasitzend sehe ich dich an, zweifelnd, ob ich die Frage überhaupt richtig verstanden habe. Etwas Vergleichbares hast du mich noch nie gefragt.
Für einen Moment sortiere ich meine Gedanken und schaue dabei aus dem Fenster. Selbst in all der Dunkelheit kann ich die Regentropfen an der Scheibe erkennen.
„Rue?“ Ich spüre, wie du dich bewegst.
~
Was ist für dich Liebe?
Ich kann nicht sagen, warum ich mich ausgerechnet jetzt traue, diese Frage auszusprechen. Wie lange kennen wir uns jetzt schon – zehn Jahre, zwanzig Jahre? Mein ganzes Leben.
Und ich habe Angst. Angst vor deiner Antwort.
Denn obwohl ich dich schon so lange kenne, weiß ich nicht, wie deine Antwort ausfallen wird. Ob sie mir gefallen wird oder auch nicht.
~
Was ist für dich Liebe?
Ich habe nur eine ehrliche Antwort für dich, ma petite. Und ich befürchte, du willst sie nicht hören, deswegen schweige ich. Denn wenn ich etwas im Leben niemals tun will, dann ist es, dich zu verletzen.
Aber ich möchte auch nicht selbst verletzt werden. Es tut weh, von den Menschen, die man liebt, verletzt zu werden. Ich habe es so oft erfahren müssen, dass mein Herz es nicht länger ertragen konnte.
Deswegen bin ich gefühlskalt und sachlich, denn Gefühle verletzen.
„Zwar verbinde ich Liebe auch mit Freude, mit Schutz, mit Glück.
Aber Liebe ist für mich vor allem Schmerz.
Schmerz, weil Liebe bricht.
Schmerz, weil Liebe nicht ewig währt.
Schmerz, weil Liebe irgendwann zu Ende geht.“
~
Liebe ist Schmerz.
Ich kann den traurigen Tonfall kaum ertragen, in dem du sprichst. Du merkst es vielleicht nicht, aber alles, was du gerade denkst, sprichst du laut aus. Ich höre die Worte, mag sie aber nicht glauben.
Langsam weicht die Dunkelheit und in dem herannahenden Tageslicht sehe ich dein Gesicht. Es ist voller Angst und unerfüllbarer Sehnsucht. Und ich bereue es, dir diese Frage gestellt zu haben.
~
Liebe ist Schmerz.
„Liebe ist Vertrauen. Und wem soll ich vertrauen, wenn ich nicht einmal mir selbst vertrauen kann? Ich betrüge mich doch jeden Tag selbst. Sage mir, dass ich keine Gefühle habe, sie schlichtweg nicht existieren. Aber dass ist gelogen.
Ich sage mir, dass du mir nichts bedeutest.
Sage mir, dass du mir nie etwas bedeuten wirst.
Aber dass ist gelogen.
Liebe ist Glück, aber ich habe keines. Jeden Tag muss ich befürchten, zu sterben, und wo ist da bitte vom Glück die Rede?“
~
Liebe ist Unglück.
Am liebsten würde ich dich unterbrechen, damit ich all die Zweifel nicht länger ertragen muss. Du merkst es vielleicht nicht, aber mit jedem Wort triffst du mich. Schneidest mich damit wie mit einem Messer, immer tiefer, immer grausamer.
Doch ich schweige und lausche weiterhin stumm deinen Worten. Und bete, dass die Zukunft noch nicht gegangen ist.
Um mich in all diesen Scherben allein zurück zu lassen.
~
Liebe ist Unglück.
„Liebe ist Schutz und von wem soll ich bitte beschützt werden?
Liebe ist, sich bei jemandem vollkommen fallen lassen zu können. Aber wo soll ich mich fallen lassen, ohne die Angst zu verspüren, mich wieder zu verletzen? Wer würde mich auffangen? Ich würde auf dem Boden aufkommen, noch bevor irgendjemand merken würde, dass ich überhaupt am Fallen bin.“
Ich atme schwer. Die Worte sind aus mir heraus gesprudelt, unaufhaltsam wie ein reißender Gebirgsbach. Aber es tut unglaublich gut, es alles einfach heraus lassen zu können.
Ich sehe dich an. Du bist so blass, deine Unterlippe zittert.
„Liebe bist du.“
~
Liebe bist du.
Hast du es wirklich, wahrhaftig gerade gesagt? Ich will aufspringen, aufschreien vor lauter Glück, will die Welt umarmen. Und vor allem dich.
Aber dein Gesichtsausdruck lässt mich innehalten. Denn du bist noch nicht fertig, begreife ich. Und obwohl ich vor lauter Glück zerspringen will, warte ich.
Denn ich habe schon so viele Jahre lang gewartet. Diese Sekunden werde ich ebenfalls überstehen.
~
Liebe bist du.
„Aber ich kann dich niemals haben, Sayumi. Denn Liebe ist nicht für mich gemacht worden. Liebe ist nicht für mich da.
Und daher ist Liebe für mich Schmerz. Denn es frisst mich auf, dass ich nicht geliebt werde und die Person, die ich liebe, mich niemals zurück lieben kann. Liebe ist etwas Zerbrechliches, denn ich zerbreche daran.
Und Liebe ist Trauer, denn innerlich weine ich.
Liebe... Liebe ist der Anfang vom Ende.“
~
Liebe ist der Anfang vom Ende.
Du stehst auf und gehst zum Fenster, wo sich einige Lichtstrahlen in deinen Augen spiegeln. Und plötzlich weiß ich es.
Du weinst.
Du weinst vor lauter Sehnsucht, vor lauter Angst und dem Drang, mich zu beschützen. Dabei musste ich niemals beschützt werden. Aber dass haben wir beide nie verstanden. Ich sehe aus wie Glas, doch obwohl ich schon so oft auf dem Boden aufgekommen bin, bin ich doch nie zerbrochen.
Du hingegen musstest dich jedes Mal erneut zusammen flicken und jedes Mal war es schwerer. Und du wusstest nicht, wie oft du es noch schaffen würdest.
Ich trete hinter dich, so dicht, dass mein Atem auf deinen Nacken trifft. Und noch bevor du mich zurückhalten kannst, lege ich behutsam meine Arme um dein Kristall-Ich. Und lasse nicht mehr los.
„Ich werde dich beschützen.“
~
Ich werde dich beschützen.
Ich kann kaum glauben, was ich da höre. Aber deine Wärme und deine Nähe trösten mich. Obwohl alles in mir schreit, es sofort zu unterbinden, drehe ich mich um und umschlinge deine zarte Gestalt. Ich vergrabe mein Gesicht mit den Tränenspuren an deiner Schulter. Und als ich nach einer Weile den Kopf hebe, blicke ich direkt in deine Augen. Blau wie das Meer, blau wie der Himmel.
Du lächelst und ich lächele zurück, wenn auch etwas zittrig. Und in diesem Moment weiß ich ganz genau, was ich will.
Ich will dich.
~
Ich will dich.
Rue. Deine Augen, vorher voller Schmerz, blicken jetzt liebevoll in die meinen. Dein Lächeln ist sanft, aber ich erkenne auch weiterhin Angst. Wovor hast du Angst? Dass ich dich abweise?
Mach dir keine Sorgen. Ich war immer da für dich und nichts wird mich zukünftig daran hindern können, nicht einmal deine Unsicherheit.
Und um dir auch die letzte Unsicherheit zu nehmen, lege ich meine Lippen sanft auf deine. Ich spüre, dass du erschrocken bist und gebe dir einen Augenblick, um zu verstehen. Danach verstärke ich vorsichtig den Druck. Ich muss leise in mich hinein lachen, als ich spüre, wie du den Kuss erwiderst.
Und dann bin ich diejenige, die erschrickt. Deine Zunge leckt über meine Unterlippe und bereitwillig öffne ich meinen Mund. Ich schmecke Zucker. Süß und rein.
Niemals werde ich dies hier aufgeben.
~
Was ist Liebe für dich?
Für uns beide ist es ein Gefühl von Echtheit. Es wird niemals gehen, obgleich man oftmals denkt, es ließe einen im Stich. Es ist die Zukunft, die die Vergangenheit auf ewig ausradiert.
Manchmal schmerzt dieses überwältigende Gefühl, aber dennoch wollen wir es niemals missen. Denn es gehört zu uns.
Liebe ist das Ende vom Anfang. Und der Anfang von Morgen.
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[tab=Wenn ich springen würde]
[subtab=Vertonung]
Cáithlyn - Wenn ich springen würde
Schwamm'sche Anmerkungen
Wie auch bei Cassias Geschichte, musste ich hier oftmals neu ansetzen, weil ich den Kloß in meinem Hals runterschlucken musste.
Richtig erschrocken war ich, als ich feststellte, dass ich genau so ein Typ bin, wie Dave. Nur mit der Ausnahme, dass ich noch nie eine
Freundin hatte und, dass meine Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben ist. Und gerade merke ich, dass das alles ziemlich privat ist und
eigentlich keinen was anzugehen hat. Was soll's.
Trotzdem muss ich noch eine kleine Beanstandung vornehmen.
"Ich stehe schon an der Straße, als ich Stimme leise an mein Ohr dringt, bleibe stehen, drehe mich zu ihr um." Wer mir diesen Satz erklären kann, der
bekommt einen Internet-Cookie. Ich habe zwei Minuten gebraucht, um diesen Satz einigermaßen zu verstehen. Aber so, wie er dasteht, macht er keinen Sinn.
Dieser eine Satz hat mich komplett aus der Geschichte gerissen. Das ist allerdings mein einziger Kritikpunkt.
[subtab=Gewinnertext]
Cáithlyn - Wenn ich springen würde
„Hey, Gem?“
„Was?“
Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Meine Augen auf den flammenden Feuerball vor mir gerichtet suche ich nach den richtigen Worten. Gem hört auf zu tippen, sieht aber nicht vom Handydisplay hoch. Ich weiß, dass ich ihre Aufmerksamkeit habe, und auch, dass sie langsam ungeduldig wird.
„Was wäre wenn…“ Ich halte inne, fahre mir mit den Fingern durch die Haare. Diese Bank ist so fürchterlich unbequem. Ich rutsche darauf herum.
„Was wäre wenn ich jetzt aufstehen würde…“
„Ja und?“, antwortet sie gleichgültig. Ihr Handy vibriert, die Glasscheibe leuchtet auf und taucht ihr Gesicht in gespenstisches hellgrün.
„Wenn ich zum Hang gehen würde…“
Sie unterbricht das hektische Drücken von Tasten, starrt das kleine Gerät einfach nur an.
„Wenn ich zum Hang gehen würde und…“ Meine Hände sinken auf meine Beine, den Kopf lege ich in den Nacken. Ich wage es nicht, sie anzusehen, während ich meinen Satz zu Ende führe.
„Springe.“
Gem antwortet nicht. Ihre Ohren zucken, diese merkwürdige Angewohnheit wenn sie nachdenkt. Die dunkelbraunen Augen huschen wieder übers Display, und mit dem rechten Bein wippt sie auf und ab. Eine Strähne rotes Haar fällt ihr über die Schulter ins Gesicht und ich muss dem Drang wiederstehen, sie ihr zurückzustreichen.
„Hm“, ist alles, was sie mir antwortet.
Das ist es also. Hm. Das wäre also ihre Reaktion, wenn ich von der Klippe, dem höchsten Punkt der Stadt ins Meer springen würde. Hm. Mehr nicht.
Ich schlucke den Frust herunter.
Vielleicht hätte ich nie etwas sagen sollen. Vielleicht hätte ich es bei mir behalten sollen. So viele Jahre ist es doch gut gewesen. Einfach nur Freunde sein. In der Schule nebeneinander sitzen, hin und wieder mal beim andere Abschreiben. Lachen, wenn sie einen Witz erzählt, für sie da sein, wenn es ihr schlecht geht. Ihr dann ein Eis kaufen, sie in die Arme schließen und das gehauchte Danke mit einem einfachen „Ist doch klar. Wir sind schließlich Freunde“ quittieren.
Es tut jedes Mal weh, wenn ich sie mit jemand anderem sehe. Wenn sie mir erzählt, wie viel Spaß sie mit dem Typen von nebenan doch hat. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, verspreche ihr, dass es diesmal gut geht. Aber es geht nie gut. Immer wieder trennt er sich von ihr, oder auch andersherum. Dann bin ich die Schulter, an die sie sich stützen kann, oder derjenige, der sich mit ihr darüber ärgert, was für ein Idiot er ist. Ich ertrage es, aber jedes Mal wird es schwerer. Wenn sie mich anstrahlt, da bricht mein Herz in tausend Teile.
„Weißt du, Jungs sind Idioten!“, fauchte sie einmal, als sie einen ihrer Freunde beim Fremdgehen erwischt hatte. Ich sah sie stirnrunzelnd an.
„Du nicht!“, korrigierte sie sich dann.
„Na, das will ich auch hoffen“, grummelte ich gespielt beleidigt. Sie reagierte nicht darauf.
„Immer wieder brechen sie einem das Herz. Was soll das denn? Irgendwann geht mir noch die Pflaster zum Zusammenflicken aus!“
Ihr gehen sie nie aus. Ich aber muss immer wieder suchen um noch ein verbliebenes zu finden.
Ich schaue zu ihr herüber. Sie sitzt nach vorne gebeugt, die Arme auf den Knien abgestützt. In ihren Händen liegt das Handy, aber jetzt schaut sie nur noch zur Klippe, keine zehn Meter vor uns. Ob sie es sich vorstellt? Was wäre, wenn ich jetzt aufstehe und springe?
Ihr Handy vibriert, sie reagiert nicht.
Gem wirkt so weit weg. In ihren Augen spiegelt sich der Sonnenuntergang. Es wird schon spät. Eigentlich sollen wir schon längst zu Hause sein. Wir sollten aufstehen, uns verabschieden und dann den Berg hinunterwandern, jeder in seine eigene Richtung.
So wie jeden Tag. Als ob ich diesen Blödsinn nie gesagt hätte.
Aber ich habe es gesagt.
Hätte ich besser nicht.
Zu wissen, dass sie sich nicht darum kümmern würde, wenn ich plötzlich weggehe… Es tut mehr weh, als sie mit den anderen zu sehen. Bin ich ihr denn wirklich so egal? War ich all die Jahre denn wirklich nur ein Abfalleimer für ihre Sorgen?
Hatte Juliet am Ende doch Recht gehabt?
„Gib es doch zu!“, hatte sie mir mit Tränen in den Augen entgegen geschrien. „Es kümmert dich einen Scheißdreck wie es mir dabei geht! Alles was für dich wichtig ist, ist Gem!“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Vielleicht hatte sie ja Recht.
Nicht vielleicht. Ja, sie hatte Recht.
„Und du Blödmann siehst nicht einmal, wie egal du ihr bist“, hauchte sie mir entgegen und machte sich an dem Ring an ihrem Finger zu schaffen. Den hatte ich ihr gekauft, als wir auf ein Doppeldate mit Gem und ihrem Freund gegangen waren. Weil ich wollte, dass Gem sieht, dass ich jemanden gefunden habe, den ich liebe. Weil ich das dumme Theaterstück vom besten Freund aufrechterhalten wollte.
Juliet trennte sich an diesem Tag von mir. Es war mir egal. Ich kümmerte mich nicht weiter darum. Ging still nach Hause, aß nichts und schloss mich in meinem Zimmer ein.
Seitdem nagte dieser Gedanke an mir. War ich wirklich nur ein Abfalleimer für Gem? War unsere Freundschaft am Ende gar nichts wert? Ich wollte sie so oft fragen, fand aber nie eine Möglichkeit. Ich wusste nicht, wie ich nachharken sollte. Direkt hätte ich mich nie getraut. Also blieb ich Nacht über Nacht wach, stellte mir ihre Reaktionen vor. Manchmal schlief ich dann mit einem Lächeln ein, und dem festen Vorsatz, es endlich zu wagen.
Manchmal presste ich mein Gesicht ins Kissen, biss die Zähne zusammen und wartete, bis der Wecker klingelte.
Und jetzt habe ich endlich Gewissheit. Ich bin ihr nicht wichtig.
Es tut weh. Wie ein Sturm aus Nadeln, der sich in mein Fleisch bohrt. Aber ich weiß, dass das vorüber geht. Weiß, dass ich darüber hinweg kommen werde und muss. Es hat keinen Sinn, etwas hinterher zu weinen, das so nie existierte.
Ich stehe auf, stecke die geballten Fäuste in meine Jackentasche und werfe einen letzten Blick zum Sonnenuntergang. Es schmerzt, aber ich drehe mich um und gehe den ersten Schritt, hoffe, dass etwas passiert. Es passiert nichts.
Zweiter Schritt. Sie reagiert nicht.
Dritter Schritt. Schaut weiter aufs Meer hinaus.
Vierter Schritt. Steckt ihr Handy weg.
Fünfter Schritt. Sechster Schritt. Siebter Schritt.
„Ich würde springen.“
Ich stehe schon an der Straße, als ich Stimme leise an mein Ohr dringt, bleibe stehen, drehe mich zu ihr um. Gem schaut mir nicht in die Augen, mustert das Gras, das von Windböen bewegt wird.
„Ich würde dir hinterherspringen“, widerholt sie, diesmal mit festerer Stimme. Ich schaue unschlüssig von ihren Händen zu ihrem Gesicht, das sie jetzt vorsichtig erhebt. Gem versucht mir in die Augen zu sehen, aber jedes Mal, wenn ich ihren Blick erwidere, gleitet ihrer davon.
„Warum?“, frage ich seltsam dumpf.
Warum würde sie springen? So etwas durfte sie nicht tun! Nie im Leben dürfte sie springen, nur wegen mir! Mein Herz klopft mir bis zum Hals als sie sich umdreht und auf die Klippe zuwandert. Erst bleibe ich stehen, gelähmt von den Gedanken, die mir durch den Kopf schwirren.
Nimmt sie… Nimmt sie das denn nun wirklich ernst? Das… Das kann doch nicht…
Gem bleibt nicht stehen. Sie geht einfach weiter, direkt auf den nur hüfthohen Zaun zu. Steigt mit einem Bein darüber, dann mit dem anderen. Balanciert am kleinen Rand des Abgrunds. Unter ihr tost das Meer.
„Und wenn ich jetzt springen würde?“, fragt sie mit einem Schulterblick. „Wenn ich springen und sterben würde?“
Mein Kopf pocht schmerzhaft. Hat sie denn wirklich vor…
„Gem, hör auf damit!“, krächze ich schon leicht hysterisch. „Komm zurück, das ist nicht lustig!“
„Was würdest du tun, Dave?“ Sie lehnt sich gegen den Zaun, starrte an den Horizont. „Was würdest du tun?“ Ihr Fuß schwebt schon in der Leere.
Ich begreife, dass sie es tatsächlich ernst meint… Da bewegt sich mein Körper schon von alleine.
Die Distanz zwischen uns bringe ich schnell hinter mir, und bevor sie sich auch nur einen Zentimeter bewegen kann, greife ich um ihre Hüfte, hebe sie über den Zaun. Presse sie an mich, unterdrücke ein Keuchen. Wir sinken auf den Boden.
„Was würdest du tun?“, widerholt sie.
Ich schweige, überlege. Was würde ich tun? Mich ebenfalls hinunterstürzen, so wie sie es tun würde? Wenn sie es denn ernst meint.
„Ich würde es nie so weit kommen lassen“, antworte ich zitternd. Gem legt die Arme um meinen Hals, ihre Wange gegen meine Schulter, sodass sie mich ansehen kann.
„Juliet hatte also doch Recht“, haucht sie und schließt die Augen.
Ich vergrabe mein Gesicht in ihren Haaren.
„Sie hat es dir gesagt?“
„Ich habe gedacht, sie lügt. Hab gedacht, dass sie nur einen Grund suchen würde.“
Wir schweigen eine Weile.
„Es tut mir Leid.“ Ihre dunkelbraunen Augen öffnen sich wieder. „Ich wusste es nicht.“
„Ich dachte, es würde alles kaputt machen“, entgegne ich.
„Tut es das denn?“
„Das musst du entscheiden.“
Der letzte Strahl Sonnenlicht bricht sich in ihren Augen. Ich sehe, dass sie feucht sind, sehe, wie ihre Lippen zittern.
„Nein“, haucht sie. „Es macht alles wieder ganz.“
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