6 - blurred legends and realities
Vage Züge der Zufriedenheit umspielten die hellen Mundwinkel des gottgleichen Wesens, sein steinhartes Herz pochte rascher denn je. Silberweiße Reißzähne, ähnlich eines Raubtieres – vielleicht sogar eines Wolfs –, zeigten sich im äußersten Winkel seiner Schnauze. Die eisblauen, kristallklaren Augen waren geschlossen; dann blitzten sie siegessicher auf und die darin enthaltene Pupille verengte sich wie die einer Schlange. Der Kopf, welcher mit schneeweißen Schuppen besetzt war, war in die federähnlichen Brustschuppen gereckt. Die Arme des Biests, an dessen Unterseiten gewaltige silberweiße Schuppenfortsätze herauswuchsen, die Ähnlichkeiten mit Flügeln aufwiesen, waren um seinen Körper geschlungen, der im Gesamtbild einer weißen Planeten glich – schützend wie ein Panzer, der nur durch Knochenbrüche hätte geknackt werden können. Knochenbrüche waren jedoch rar und so gut wie unmöglich, denn seine Schuppenplatten waren beinahe undurchdringlich.
Sein gewaltiges Schweiforgan, welches von edelstahlähnlihen Ringen umschlossen wurde, glühte blutrot auf und es schien für einen kurzen Moment, als sammle es Kraft um einen gewaltigen Angriff zu starten - es war allerdings eher wie ein Herzschlag, ein Lebenszeichen, dass der gewaltige Weiße König erwachte.
Speicheltröpfchen bildeten sich am Rand seiner Lefzen und Reißzähne, tropften in die Düsternis unter ihm. Ein Puls durchtrieb die Stille, erregt wie der Sieg, den das Monstrum verspürte, wenn er auch nicht ganz errungen war. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, ein widerwärtig abwertender Blick tänzelte um seine Gesichtszüge, ehe sein Maul sich zum Sprechen öffnete, dies jedoch nur eine vorgetäuschte Maßnahme war.
„Helden gehören allein! Familie hält sie von ihrem Wege ab, vernebeln ihren Instinkt“, knurrte eine dunkle Stimme, welche die Welten zwischen maskulin und feminin hinter sich ließ und als nicht einordbar in die umliegenden Gehöre drang. Sie klang in einem Hundertstel der Sekunde traurig, in einem anderen wieder aggressiv und provokant.
„Keine der ihren weiß noch von den alten Gebräuchen und den Enthaltsamkeiten der Helden, den Weltenrettern“, fauchte es wiederholt und wurde herrischer. „Unter diesen Umständen wird keines der Bindungen und Versprechen halten. Er ist eine Beleidigung! Wir entfachen den einst vergangenen Zorn von Neuem und verschlingen die Welt - und diesmal gibt es keinen Neubeginn! Sie sollen wissen, wozu wir fähig sind. Niemand zieht uns zu sich in den Dreck. Nicht einmal die Drachenblüter.“
„Nein! Ihr habt Euch diesen Jungen ausgesucht - und nun tragt Ihr die Konsequenzen dieses Entschlusses. Lebt damit“, knurrte ein ähnlich schuppiges Bündel in einer anderen Ecke des schwarzen Universums, das langsam leicht abgebildete Sterne zeigte. Es hebte sich kaum erkennlich von der Düsternis ab, nur sein elektrisch aufgeladenes Schweiforgan knisterte und wurde von bläulich-weißen Blitzen umzüngelt, das seine Aufgebrachtheit repräsentierte. Dieses schwärzliche Biest zuckte kurz mit seinem gesamten Körper zusammen.
„Seid ruhig“, provozierte das weiße Wesen sein gegenüber und fing an, deutlich zu beben, gefolgt von einem bedrohlichen Geknurre und ein in Falten gelegte Schnauze, die vor Anspannung erzitterte. Es zog sich weiter zusammen, krümmte seinen geschmeidigen Rücken, als sammle es Energie, und im selben Atemzug schienen seine flügelähnlichen Arme - gefolgt von einer Lichtstrahlensalve - von seinem Körper zu sprengen und seine Gesamtheit wurde entblößt, leicht in das restliche Licht der Strahlen, die von seinem Körper ausgingen, angehaucht.
Nun erkannte man ein engelsgleich geflügeltes Wesen, dessen Flügel wie Arme an seinem Oberkörper angeknüpft waren und vor federähnlichen Schuppen strozten - gewaltige Schwingen wie eines Adlers -, die glänzten wie poliertes Platin. An der Oberseite der Beugung waren drei funkelnde, bedrohliche Krallen angebracht, die ihre Gegner zerfleischen konnten.
Das schwarze Monster tat es ihm gleich, allerdings wurde sein Körper nicht von weißen und lichthellen Wellen umschlungen, um seine Gestalt tummelten sich kleine Blitze, die zuckend und angriffslustig um ihn herumtanzten und seinen kohlschwarzen Körper entblößten. Dieser war mit zwei Flügeln auf dem Rücken gekrönt und mit zwei Kräftigen Armen ausgestattet, die Reshiram mit leichtigkeit hätten bändigen können und einen kleinen Vorteil Zekroms darstellten.
„Ihr verbietet mir nichts, wir stehen gleich, Bruder“, versuchte er den Weißen zu beruhigen und von seinem hohen Thron zu befördern. Vergebens, denn dieser strahlte nur noch heller und seine kaltblauen Augen wurden von ihrem weißen Schleier befreit, hasserfüllt blickten sie den Schwarzen an.
„Brüder? Hah! Wir? Ihr Narr, wir waren niemals wie ein Wesen ... und werden es nie sein, Ihr wisst das. Wir beide entstanden aus dem selben Vorfahr, aber wir sind nicht dasselbe - seht es ein.“
„Ihr seid krank“, fauchte die dunkle Gestalt und brüllte in die Richtung des Weißen, seine Augen, ebenfalls von ihrem dunkelgrauen Vorhang entfesselt, vor Zorn glühend. „Ihr werdet das zerstören, was ihr geschworen habt, zu schützen, Reshiram. Ihr seid verwirrt, aber hört mich an“, bettelte der schwarze Gigant. „Dieser Mann braucht das, was ihr eben zerstört habt. Diese Gefühle werden wir nie verstehen, aber das, was wir davon verstehen können - und müssen -, unterstützen wir ... und ihr handelt mit dem Gegenteil! Lasst diesen Achtzehnjährigen laufen, er gehört sich selbst.“
Der Weiße lachte verächtlich, ehe sein Mund sich wieder öffnete, sich aber nicht sichtbar bewegte. Anscheinend kommunizierten beide telepathisch. „Ich soll ihn ziehenlassen? Ihr seid lächerlich, Zekrom, schwarzer Herrscher. Ihr wisst genau, was auf dem Spiel steht - entweder ihr zieht hinterher oder es wird für euch kein morgen mehr geben.“ Wieder blitzen seine dolchähnlichen Tötungsinstrumente aus den Zahnreihen seiner Schnauze, diesmal deutlich erkennbar und beängstigender denn je. „Das Mädchen ist dumm, sie soll wissen, was sie davon hat. Sie soll es schultern, lasst sie leiden. Sie ist nur eine Marionette im gesamten Spiel, das im Moment deutlich für uns spielt und sich nicht auf die Seite dieser Menschlein zu schlagen versucht. Sehen wir zu, genießt es,... Bruder. Oder soll ich lieber sagen Schwarzer König, der Ihr nicht seid?“
Im selben Augenblick, der blitzschnell wirkte und wieder verendete, funkelten Reshirams Augen sekundenschnell in einem kleinen Licht auf. Dieses Funkeln, so hypnotisieren es auch war, stellte für menschliche Wesen eine gefährliche Versuchung dar. Selbst Zekrom schien ihm kurz zu verfallen, indem seine glühenden Seelenfenster kurz zuckten und sich dann wieder auf den Weißen Herrscher konzentrierten.
Diese Attacke verzog Zeit, Raum und Empfindungen so lange es Reshiram wollte - sein Sondersensor kam zum Einsatz, und er wusste genau bei wem. Dem, der ihm die ganze Zeit über treue Dienste erwies.
Ein tiefer, dunkler Impuls drängte sich zwischen vereinzelte Teile seines Gehirns, betäubten seine menschlichen Instinkte und pressten ihn in eine Welt, in der er nicht mehr er selbst war. Ein schier unendliches Universum, taumelnd in einer Endlosschleife, in der er gefangen war. Zeit, Raum und Empfindungen aller menschlichen Sinne wurden betäubt und wurden durch einen gefährlichen fremdartigen Wechsel seiner Persönlichkeit beeinflusst und ihn blasser wirken ließ. Leichte Übelkeit war nicht unausgeschlossen.
Er war ein bedrohliches Tier, das schnellstmöglich beseitigt werden musste - wenn nötig, sofort.
Draußen in der molligen Wärme der Abenddämmerung, die sich langsam von einem goldgelb in ein rosarot färbte und davon zeugte, dass die Nacht bald hereinbrach, kam ein flauer Wind auf. Blätter, die von den Bäumen durch den leichten Wind ins Rascheln gebracht wurden, tanzten wie kleine Irrlichter in ihren Kronen, einige von ihnen glichen einem rhythmischen Wellenschlag, der an der Brandung zu verebben schien, manche flankierten ihr Gegenüber so, dass es beinahe so aussah, als wehe die feurige Mähne eines Mädchens im Grün der Dächer.
Kaum Menschen waren zu sehen, nur der Sand, der von den erdigen Wegen zwischen den vereinzelten Häuser durch die Abendluft strich und die Luft knapp über dem Boden leich bräunlich färbte.
Schemenhafte Silhouetten, die im Gegenlicht der Abendsonne schwarz wie Schatten durch den Abendhimmel glitten, wurden erblickt. Rabenschwarze Schwingen bewegten sich auf und ab und leichtes Gurren ertönte, das kaum hörbar durch das offene Fenster drang. Im nächsten Moment fiepten Fletiamo und Fleknoil durch die Lüfte und verließen sich vollends auf ihr Gehör oder die Route der Fletiamo bis sie sich in die aufgebauschte Wolkendecke, die langsam von dannen zog, verschwanden.
Vereinzelte Blütenblätter tanzten durch das traumgleiche Ambiente und tauchten das leicht triste Avenitia in einen kleinen Traum für verliebte Pärchen. Einige von ihnen wandten sich um ihre eigene Achse, umwirbelten die leicht rostigen Laternen, die ein einzelner Bewohner mit einer kleineren Lampe anzündete. Einige verirrten sich auf den Boden und räkelten sich auf dem schlammfarbenen Weg.
Einige schweigsame Momente verstrichen wie schmelzende Butter, ehe das braunhaarige Mädchen wieder das Wort ergriff: „Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst furchtbar aus.“ Nicht lange schwieg sie, schlich sich ein besorgter Ausdruck in ihr Gesicht und Sorgenfalten legten sich auf ihre Stirn, ihre blauen Augen schienen zu zittern - - wie ihre schmalen Hände und Finger.
„Danke für die Nettigkeit“, giftete er auf einmal unverhofft in die Richtung des Mädchens. „Ich werd schon wieder, keine Panik. Du solltest erst einmal dich ansehen. Ich meine, du warst bei ihm - wie soll es dir nach einer solchen Lapalie nur gehen, du armes Ding.“ Ein widerwärtiges Grinsen legte sich auf seine Lippen, seine Augen leuchteten bläulicher als zuvor, griffiger und abstoßender als sonst. Verhasst dreinblickend auf alles, was er sah.
„Guter Junge. Jetzt tu das, was dir vorbestimmt ist, erfüllte deine Aufgabe“ herrschte ihn ein dunkler Puls an und er begann, rasend zu werden. Einladende Gestiken von Grace, die ihm noch immer im schwarzen Shirt mit V-Ausschnitt gegenüber saß, erfassten sein Blickfeld. Illusionen, die er nie für möglich hielt - aber hier waren sie. Ihre Lippen sahen schmackhafter aus als alles, was er bis jetzt sah - und sehen wird.
„Was ist denn mit dir los? Wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden...“, scherzte sie weiter als wäre nichts gewesen - und Cheren hätte sich für keinen Moment gewandelt. Und wenn, dann nur zum Guten.
„Nicht in deinen kühnsten Träumen“, grunzte er. Der schwarzhaarige Mann legte eine elfenbeinfarbige Hand auf die Wange von Grace, welche weicher war als jedes Fell eines Kleoparda. „So jung. So schön. So... vollkommen“, begann er weiter zu murmeln als sprach er mit sich selbst. Das Mädchen, das ihm gegenüber saß, zuckte nervös zusammen. Sie wusste, wie falsch es war. Sie erkannte aber auch, wie gut es ihrem Herzen tat, aber was genau tat sie überhaupt hier?
Sie verließ ihren festen Freund, ihre damalig größte Errungenschaft, und jetzt hörte sie sich diese schnulzigen Worte von Cheren an, der deutlich nicht mehr er selbst war und verschlungen schien. Grace jedoch vernahm nur das süße Streicheln der Worte an ihren Ohren, seine männlichen Hände an ihrer samtweichen Haut. Ihr Herz raste, rang stetig mit der Normalität, konnte sich aber nicht beruhigen.
Er rückte seinem Ziel dauerhaft näher, ihrem Ziel. Der Schwarzhaarige hatte immer nur das Beste für seine „Schwester“ gewollt, sie glücklich und unversehrt zu sehen. Und jetzt verzehrte es ihn beinahe als er sie ansah, immer eindringlicher und verträumter wurde sein Blick mit den eisblauen Augen... den unnatürlichen Fenstern zur Seele.
Jeder, der halbwegs normal denken konnte, wusste, dass an diesem Jungen etwas faul war und nach Abnormalität stank. Die Braunhaarige war jedoch voll und ganz von seinen Augen gefangen und begann langsam, sich dem Willen des Achtzehnjährigen zu beugen - obgleich sie wusste, dass es unrecht war.
Der Alkohol und die beschwipsten Gemüter der leicht angetrunkenen Menschen ließen sie alles vergessen, was je gewesen war, und ließen sie neue Geschichten schreiben.
Dann passierte es alles ganz schnell, einem gewaltigen Blitzeinschlag gleichsetzend.
„Grace“, seuftze der Junge angespannt, straffte den gerade noch so liebevollen und brüderlichen Strich auf ihrer Haut und drückte seine Finger leicht an ihren Unterkiefer. Ein Griff, der sie hätte warnen sollen, bis es geschah.
Cheren kam dem Mädchen näher, rückte ihr gebieterisch nah und Grace wich im ersten Moment, in dem ihr Rücken von der Rückenlehne der Couch wich und ihr Körper in eine leichte Liegeposition rutschte und langsam zum anderen Ende der Couch anrückte. Cheren folgte ihr, beugte sich über ihren leichten Körper - und Grace wehrte sich nicht weiter, es kam ihr immer besser vor, wie Balsam für ihr Herz. Cheren stützte sich mit dem rechten Handballen auf das Wildleder des Sofas und die linke schob ihren Kopf näher zu seinem, ehe er seine schmalen, geschmeidigen Lippen auf die ihren presste und beide zu einem innigen Kuss verschmolzen.