Völlige Dunkelheit ... absolute Stille ... volle Konzentration und keine Ahnung, was ich jetzt machen sollte. Ich soll durch Meditation an einem dunkelen Ort mein Qajô trainieren? Soll es das schon gewesen sein? Ich ging dem erst mal nach und verbannte alle meine Gedanken aus dem Kopf. Anschließend ließ ich mein Qajô durch meinen ganzen Körper fließen. Ich dachte, ich könnte es so etwas lockern. Auf jeden Fall fokussierte ich mich darauf, meinem Qajô und besonders mir die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Dies machte ich seelenruhig und die Dunkelheit genießend eine Stunde. Was mir komisch erschien, war dass ich mit zunehmender Zeit und Entspannung meinen Körper immer schwächer fühlte. Ich spürte, wie mein Qajô sich lebhaft die Wege durch meinen Körper suchte. Mit der Zeit fühlte es sich auch angenehm an, was mich glauben ließ, dass diese Meditation auch das belastete Qajô nach dem Training wieder entlastet. Auf jeden Fall meditierte ich circa eine Stunde. Gerne hätte ich damit noch weitergemacht, doch ich hörte plötzlich, wie die Tür aufging.
"Jay?", hörte ich die Stimme meines Bruder. Ich ließ die Augen zu und wollte ihn ignorieren, was aber nicht möglich war, da er das Licht anschaltete. Ich öffnete die Augen und sah Kahiko und Roumald. Mein Bruder hatte irgendein komisches Buch in der Hand.
"Verfluchte scheiße!", knurrte ich angefressen, "Was wollt ihr?!"
"Naja, also ich war in der Bibliothek und hab mir ein Buch ausgeliehen, welches sich mit dem Lichtelement beschäftigt."
"Und in wie fern hat das Relevanz für mich?"
"Da stand, dass Lichtbändiger Kreaturen beschwören können. Nämlich Engel, Feen und Diener Gottes ..."
"Derbe schwul, sag ich dazu. War's das?", unterbrach ich ihn.
"Jay, jetzt sei bitte mal nicht so herablassend!"
"Hm", antwortete ich desinteressiert, "dann rede weiter, aber erwarte nicht, dass ich zuhöre!"
"Naja, okay. Hier steht, dass Beherrscher der Dunkelheit auch Kreaturen beschwören können. Weißt du, welche ..."
"Schatten, Dämonen und Geister", unterbrach ich ihn erneut, "war's das?"
"Qiez. Weißt du vielleicht, wie ich diese Kreaturen beschwören könnte?"
Mein Bruder sah mich überrascht an, fing dann aber an zu lachen.
„Du meinst das doch nicht ernst, vek?“, fragte er mich, worauf ich etwas wütend wurde.
„Qiez, es ist mein Ernst. Pryavet, Jay, erkläre es mir.“sprach ich und versuchte dabei, mit einer möglichst neutralen Stimme zu reden.
„Led, Kahiko. Aber nur, wenn du nicht gleich flennst, wenn es bei dir nicht klappt.“, meinte er, worauf ich seine Aussage ignorierte und bejahte.
„Ich erkläre dir jetzt, was du machen sollst. Hör gut zu, zweimal erkläre ich das sicher nicht.“
Ich nickte und er erklärte mir, wie ich mein Qajô zu verlagern habe, damit ich Wesen erscheinen lassen konnte. Nach einer - überraschend - ausführlichen Erklärung von ihm, demonstrierte er mir noch, wie er einen Schatten beschwor.
„An den erinnere ich mich noch.“meinte Roumald als er zu Jay sah, der ihn aber nicht beachtete.
„Und jetzt du, Zäl. Streck deine Hand aus, und zwar so, dass deine Fingerspitzen nach oben zeigen und stell dir vor, wie dein Qajô in deine Fingerspitzen fließt. Wenn du meinst, es ist genug, dann heb deine Hand.“, sagte Jay, worauf ich tat, wie mir befiehl.
Als ich meine Hand ausgestreckt hatte, schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf mein Qajô, wie ich es damals mit meinem Bogen tat. Nach einer geschätzten Minute spürte ich, wie meine Fingerspitzen kribbelten, doch noch hob ich noch nicht die Hand, ich wartete noch ein paar Augenblicke damit. Kurz darauf kribbelte meine Hand noch mehr. Jetzt beschloss ich, sie zu heben, was ich auch tat während ich meine Augen öffnete. Am Boden war ein kleiner Lichtkreis, der aber schnell wieder verblasste.
„Noch mal!“, sprach Jay, worauf ich wieder meine Augen schloss und meine Hand ausstreckte.
Nach ein paar Minuten, wurde das Kribbeln noch stärker. Ich öffnete meine Augen und hob abermals meine Hand, worauf wieder ein Lichtkreis erschien, aber auch gleich schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war. Ich wiederholte diesen Ablauf immer wieder, und beim zehnten Versuch blieb der Lichtkreis erhalten und ein goldener Engel mit großen weißen Flügeln erschien vor uns. Ich konzentrierte mich aber weiter auf das Qajô in meinen Fingerspitzen.
„Kahiko, das ist genial!“, sprach Roumald aufgeregt.
„Nicht schlecht, hätte nicht gedacht, dass du das hinbekommst“, meinte Jay etwas überrascht, „Jetzt erkläre ich dir, wie du den Engel lenkst.“
Ich nickte und konzentrierte mich auf mein Qajô.
Ich erklärte meinem Bruder, in welche Bereich das Qajô muss und wie er den Engel bewegt.
"Okay, ich versuch's mal!", sprach er und hob seine Hände hoch. Nach kurzer Zeit bewegte er sie, doch es passierte nicht. Ich merkte, dass er ziemlich verkrampft war.
"Also so schaffst du es ganz sicher nicht!", sprach ich, "So kommt sich dein Qajô ja wie ein Terrorist am Zoll vor!"
"Was meinst du?"
"Du musst dich nicht so verkrampfen. Das Qajô kann nur richtig fließen, wenn du locker bleibst. Schau mal!"
Ich beschwor einen Schatten herauf, was mir komischerweise blitzschnell gelang. Dann bewegte ich mit lockerer Körperhaltung den Schatten etwas in der Luft herum. Kahiko und Roumald verfolgten ihn mit ihren Blicken. Als ich den Schatten wieder absetzte, drehte er sich plötzlich automatisch zu dem Engel um, flog blitzschnell auf ihn zu und zerfetzte ihn. Kahiko und Roumald erschraken und schauten dann mich fraglich an.
"Das war kurios ...", sagte ich ebenfalls etwas überrascht, während ich meinen Schatten anschaute.
"Ich gehe mal davon aus, dass Schattenwesen nicht so gut auf Lichtwesen zu sprechen sind ...", sprach Roumald perplex.
"Auf jeden Fall hat dein Schatten ihn richtig zerrissen!", sagte mein kleiner Bruder.
"Interessant", antwortete ich darauf, "naja, nun gut. Dann versuch es einfach nochmal"
Ich ließ meinen Schatten verschwinden. Kahiko beschwor wieder einen Engel, versuchte ihn zu kontrollieren, aber scheiterte immer wieder dabei.
"Naja, mach ruhig weiter. Ich verpiss mich!", sprach ich nach etwa 20 Minuten voller Ungeduld und nahm mein Schwert. Warum mich mit diesem Trauerspiel beschäftigen, wenn ich produktiv sein kann?
"Wo gehst du hin?", fragte Roumald.
"Ich geh in den Park, noch etwas zu trainieren. Wenn was sein sollte, lasst mich trotzdem in Ruhe!"
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ ich mein Zimmer, ging die Treppe runter und verließ das Haus. Ich bewegte mich auf den Park zu. Ich wollte einmal noch meine Schwerttechniken üben und noch ein bisschen das Bewegen von Gegenständen trainieren ... falls ich mich da nicht überarbeite ...
„So langsam glaube ich, dass ich das nie hinbekommen werde …“sprach ich, worauf Roumald mir auf die Schulter griff.
„Beim nächsten Mal klappt’s bestimmt. Versuchs nochmal!“, versuchte er mich zu motivieren, was ihm nicht so gelang, aber ich versuchte es trotzdem erneut.
Ich beschwor wieder einen Engel und konzentrierte mich wieder auf mein Qajô und dieses Mal gelang es mir, den Engel zu bewegen. Zuerst steuerte ich ihn etwas nach links, doch dann verlor ich die Kontrolle über ihn und er verschwand wieder. Ich schnaufte heftig und Roumald fragte mich, ob alles in Ordnung ist, worauf ich stotternd bejahte.
„Ich glaube, es reicht für heute.“meinte Roumald fürsorglich, worauf ich nickte.
„Wie spät ist es?“fragte ich ihn, worauf er auf seine Armbanduhr sah.
„Es wird Acht.“
Als wir in mein Zimmer gingen, sagte ich zu ihm: „Ich will noch ein paar Techniken üben, die im Buch stehen. Hilfst du mir?“
Er nickte, wir saßen uns auf mein Bett und ich schlug das Buch auf. Als erste Technik war ‚Tjoraverez‘ angeführt, was so viel wie 'Kometenschweif' hieß.
„Versuch einmal diese Technik, Kahiko!“, sprach Roumald, worauf ich sie mir durchlas.
Der Anwender schießt drei Pfeile schnell hintereinander in einem steilen Winkel in die Luft, worauf die Pfeile sich vielfach duplizieren und auf den Gegner herunterprasseln. Diese Technik eignet sich am besten für Anfänger und Amateure.
„Das musst du mal versuchen!“, sagte Roumald aufgeregt.
„Led, ich werd’s morgen versuchen.“
„Achja … Wie war eigentlich das Treffen mit Hokulani?“, fragte er mich.
Ich erklärte ihm alles, was passiert ist und auch, dass ich vorhabe, mich mit Ri anzufreunden, worauf er laut loslachte.
„Du willst dich mit DER anfreunden?“, meinte er, als er endlich aufhörte, zu lachen.
„Qiez, wenn ich mit Hokulani ungestört zusammen sein will, muss ich mich mit ihr anfreunden. Hast du ein paar Ideen?“
Roumald zuckte nur mit den Schultern und blätterte weiter im Buch herum.
„Sieh dir das an! Da hat jemand ins Buch geschrieben. Aber … das ist kein Techorianisch." ,sprach Roumald etwas verwirrt.
„Kein Techorianisch? Aber … was ist es dann?“
Im Park angekommen, der aufgrund der etwas späten Uhrzeit jetzt weniger belebt war, ging ich zu meinem Trainingsplatz. Die Sonne warf ein goldbraunes Licht auf mich und meine Umgebung. Die Luft war wie immer angenehm einzuatmen. Drako aus meiner Hülle gezogen und ihn fest in der linken Faust haltend, übte ich wieder meine beiden Schwerttechniken. Morgen werde ich wieder zu meinem Schwertmeister gehen, da will ich zeigen, dass ich etwas getan habe und vielleicht auch schon, wenn auch nur minimal, Fortschritte gemacht hatte. Auf jeden Fall war ich motiviert. Während des Trainings dachte ich an heute Vormittag, als ich mit Lilly am Strand war. Ich bin wirklich froh, dass wir uns so gut verstanden haben und wir uns gegenseitig auch viel abgewinnen konnten. Nachdem ich vom Surfen wiederkam und mich wieder zu Lilly setzte, zeigte sie mir ihr Erstauenen über meine Surfkünste. Klar, jahrelange Übung, die macht sich immer bezahlt, dachte ich grinsend. Wir wechselten danach noch viele Worte. Lilly erzählte, wie es in Aphaio so ist, was ich mir auf jeden Fall ansehen müsste und was man hier alles machen kann. Doch sie sagte mir, dass sie sich nicht gut dabei fühlte, nur über ihre tolle Heimat zu reden, während Kaleon in Schutt und Asche lag und mein Bruder und ich lediglich als Flüchtlinge hier sind. Auch wenn ich mit so etwas echt gut klar komme, war es echt süß zu sehen, wie sie Rücksicht auf mich nahm. Ohne, dass ich sie darum gebeten habe. Lilly ist schon ein besonderes Mädchen. Ich bin echt froh, sie kennengelernt zu haben. In meinem ganzen Leben ist mir noch kein so süßes, hübsches und sympatisches Mädchen untergekommen. Klar, in Kaleon gab es auch schon ein paar nette Exemplare; mit der ein oder Anderen hatte ich auch was, aber Lilly scheint irgendwie ganz anders zu sein ... und das mehr als nur positiv gesehen. Auf jeden Fall war die Zeit am Strand mit ihr wirklich klasse. Und eins ist klar, ich werde mich wieder mit ihr treffen. Keine Ahnung was, aber irgendetwas hat die Kleine mit mir angestellt. Echt verrückt. Aber an ihrer Mimik und an ihrer Stimme hab ich erkannt, dass es ihr sicherlich auch gefallen hatte. Es war nun 20:30 Uhr. Dunkel wird es in Techoras meist erst zwischen 21:30 Uhr und 22:00 Uhr. Da tut die Natur meistens, was sie will. Nach einer Trainingseinheit setzte ich mich an einen Baum, aß einen Apfel, den ich mir von einem anderen Baum genommen hatte und ließ die Seele baumeln. Nach kurzer Zeit hörte ich, wie etwas im Gebüsch raschelte, doch ich ignorierte es. Nach ganz kurzer Zeit packte mich etwas an meinen Schultern und jemand sprach: "Tyén, Jay. Menjâ Yzka! (Na, Jay. Altes Haus!)" Ich wusste sofort, wer das war. Ich stand auf und drehte mich um.
"Montana, qor' plejâ? (Montana, was geht?)", antwortete ich und sah meinen guten Kumpel Montana mit dem großen Bizeps.
"Plyo azéga! (Nicht viel!)", antwortete er. Er schaute auf den Baum, den ich zum Training benutzte. "Zäl, pereza hechor kalarp redit? (Bruder, warst du das?)"
"Cryu hechor plyo kap uyno ilygio dey Greenpeace, qiez! (Wenn du kein Aktivist von Greenpeace bist, ja!)"
"Caviza. Arp jer vred kenyn ascoy tshôga ikyano á jó izyn! (Nett. Auf jeden Fall war hier brutale Gewalt im Spiel!)"
"Qiez!", antwortete ich grinsend.
Da ich für heute genug Training hatte, beschloss ich, mit Montana zurück in die Stadt zu gehen. Dabei unterhielten wir uns noch etwas.
„Irgendwie kommt mir diese Sprache bekannt vor …“, meinte ich zu Roumald, worauf dieser einen Geistesblitz hatte: „Das ist Lizagisch!“
Ich sah ihn verwirrt an.
„Woher willst du das wissen?“
„Fabés hat mir neulich ein Bild von Soldaten aus Lizagon gezeigt, auf deren Uniformen ähnliche Wörter waren. Einige Wörter erkenne ich sogar wieder ... glaube ich, zumindest. Nur die Frage ist jetzt … wer hat das in das Buch geschrieben?“
Während ich darüber nachdachte, gähnte ich.
„Es ist schon recht spät … ich gehe jetzt am besten schlafen. Sehen wir uns dann morgen?“
„Kann ich bei dir pennen? Ich hab keinen Bock, jetzt noch nach Hause zu gehen.“
„Qiez, natürlich.“antwortete ich worauf wir uns zum schlafen fertig machten.
Ich gab Roumald ein paar Sachen von mir. Ich legte mich in mein Bett und Roumald lag auf einer Decke auf dem Boden.
Mitten in der Nacht wachte ich schweißgebadet auf, ich hatte einen fürchterlichen Alptraum, konnte mich aber nicht an ihn erinnern. Ich saß mich auf und sah mich um. Roumald schlief tief und fest und hatte sich zusammengekugelt. Ich nahm mein Handy und las die Zeit darauf ab. Es war knapp vor Mitternacht. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und wandte mich um. Es war Roumald, der im Schlaf redete. Ich legte mich wieder hin und hörte ihm zu. Ich verstand zwar nicht, was er sagte, aber irgendwie fand ich es witzig. Das erinnerte mich an die Kindheit von uns, wir haben einigen Blödsinn gemacht, sowie auch Jay und ich. Nach ein paar Augenblicken schlief ich aber schnell ein.
„Kahiko, wach auf! Wir kommen zu spät zum Training!“weckte mich Roumald auf.
Er war über mich gebeugt und schüttelte mich heftig.
„Q-Qiez, ich bin ja schon wach!“
„Komm, wir müssen uns noch umziehen und dann laufen!“
Ich nickte, wir zogen uns an und liefen Richtung Schwertplatz.
An diesem Morgen war ich schon recht früh unterwegs nach Valeko. Bepackt mit Schwert, Messer und Knarre stand ich im Zug. Es waren nicht wirklich viele Passagiere dabei. Ich gähnte ausgelassen, weil ich diese Nacht nicht geschlafen hatte. Ich hatte bis circa Mitternacht noch mit Lilly auf WhatsApp geschrieben und danach lohnte es sich für mich auch nicht mehr, die vier oder fünf Stunden zu schlafen, darum hab ich Musik gehört. Dies alles konnte ich mir glücklicherweise wieder bis zum Exzess leisten, da ich mir von Está ein Ersatz-Ladekabel für mein Handy geliehen hatte. Eines der wenigen Dinge, die er von Zuhause retten konnte. Pragájuna (Hallelujah!) ! Plötzlich nach wenigen Minuten, deren einzige akustische Füllung aus dem Rattern der Räder des Zuges bestanden, hörte ich plötzlich ein Klicken und ein lautes: "ALLE AN DIE WAND!"
Ich drehte mich blitzschnell um. Die Passagiere schrien. Etwa fünf Meter gegenüber von mir stand ein schwarz gekleideter Mann. Er hatte schwarze Haare, braune Augen und hielt in seiner linken Hand eine Pistole, mit der er auf die Menschenmasse zielte, welche sich ängstlich in einer Ecke des Zuges versammelten. Soll er sie doch umbringen, ist mir doch egal. Hauptsache der stört mich nicht.
"EY, DU DA! JUNGE! HAST DU MICH NICHT GEHÖRT?!", rief der Mann agressiv.
Ich nahm die Kopfhörer aus meinen Ohren und antwortete: "Nein, sollte ich?"
"LOS! Ab in die Ecke mit dir!"
"Oder was?"
"Komm schon, Junge! Mach keinen Quatsch, der bringt dich um!", rief ein Passagier hinter mir.
"Ja, genau. Tu, was er sagt!", rief ein anderer.
Jedoch machte ich keine Anstalten, zu gehorchen.
"Ich gebe dir jetzt noch fünf Sekunden, dann bist du in der Ecke! Fünf ... vier ... drei ..."
"Juckt mich nicht!", antwortete ich zutiefst gelangweilt.
"Zwei ... eins!"
Der Mann drückte ab, ich zog meisterlich getimed mein Schwert und hielt es in einem Abstand von etwa 30 Zentimeter vor mein Gesicht. Während die Kugel auf mich zukam, schrien einige weibliche Passagiere, bis sie dann sahen, dass die Kugel an meinem Schwert abgeprallt war. Sie fiel zu Boden. Das Geräusch von aufprallendem Metall stieg in meine Ohren. Der Schütze war sichtlich erstaunt ... die Passagiere ebenso. Ich steckte mein Schwert wieder ein, ich musste lebensmüde sein. Doch ich hatte da eine andere Idee.
"Da hattest du nochmal Glück!", brüllte der Mann und jagte noch weitere Patronen aus seiner Waffe.
Blitzschnell ließ ich mein Qajô in meine linke Hand und deren Finger fließen, hob sie an und ließ direkt vor mir einen Schatten auftauchen. Die Kugeln, die auf mich zuflogen, wurden von meinem düsteren Gefährten einfach aufgesaugt. Wie eine kleine Nussschale von einem Wasserstrudel. Schnell zog ich mein KA-BAR, bewegte den Schatten etwas nach links und warf das Armeemesser auf den Mann zu. Es traf ihm direkt in den Arm, in der er die Pistole hielt. Genauer genommen in die Pulsader. Die Waffe ließ er sofort fallen; er sackte zusammen. Ich ging auf den ächzenden Mann zu, der fast schon auf dem Boden lag, aber sich noch knapp mit seinen Beinen und Unterarmen hochhalten konnte. Ich trat ihm einmal mit voller Wucht gegen seinen Oberkörper, sodass er etwa einen Meter weiter auf die Seite fiel. Das Messer zog ich aus seinem Arm raus; der Verletzte schrie laut auf. Die Pistole des Mannes kickte ich mit dem Fuß in die Ecke. Ich schnipste einmal und plötzlich kam der Schatten zu mir geflogen. Davon erzählte mir der Schattenmeister, dass ich mit einem Schnipsen Schatten direkt zu mir befehligen konnte. Ich drehte mich kurz um und sah die Passagiere an, die mich mit großen Augen anstarrten. Eine Mischung aus Überraschung und Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Ich sah sie mit einem desinteressierten Blick an. Ich drehte mich wieder um und sah, dass sich der Verwundete gerade ein Tuch um sein Handgelenk wickelte. Mein Qajô verlagerte ich, um den Schatten zu bewegen. Ich hob meinen Arm und schwang ihn dann sofort wieder nach unten. Der Schatten flog los und tauchte in den Körper des Mannes ein. Dieser fing daraufhin heftig zu schreien an. Er schien noch stärkere Schmerzen zu haben, wohl ausgelöst von dem Schatten. Er zitterte am ganzen Körper, schien schon regelrecht depressiv zu sein. Der Mann war ganz klar außer Gefecht gesetzt. Ich drehte mich wieder um; die Passagiere, die noch in der Ecke hockten, standen auf und kamen mit langsamen Schritten näher. Sie schauten den Mann an, den ich zu einem kompletten Wrack gemacht hatte. Bei diesem Anblick hätte sich jeder Mediziner die Kugel gegeben.
"D-Du hast ihn ... a-außer Gefecht gesetzt!", sprach eine Frau.
Kurz darauf fingen alle Passagiere an, zu jubeln. Manche umarmten mich, um ihr Glück zu zeigen, sie dankten mir etliche Male. Ein älterer Mann holte sein Handy raus und rief die Polizei. Als der Zug in Valeko ankam, stieg ich mit den Passagieren aus meinem Waggon aus. Nach und nach stiegen auch die Passagiere aus den anderen Abteien aus. Die Nachricht von meiner Tat verbreitete sich schnell, war schon ein nettes Gefühl. Die Polizei kam auch rasch und die Passagiere schilderten ihnen den Sachverhalt.
"Gute Arbeit, Junge!", sprach einer der Polizisten, während er mir auf die Schulter klopfte, "SO, MITNEHMEN!"
Die Polizisten nahmen den Mann mit, der immer noch zitterte wie Espenlaub und nun nicht mehr ganz so laut schrie. Mit einigen Gesten holte ich den Schatten aus dem Körper des Mannes und ließ ihn im Boden verschwinden. Dies schien aber nichts an dem äußerlich erkennbaren Zustand des Mannes zu ändern. Naja, wen juckt's. Als die meisten Passagiere gerade abgelenkt waren, bewegte ich mich schnell Richtung Nord-Stadt, dort wo der Meister wohnt. Länger hätte ich jetzt nicht gern gewartet, aber sicher hätten die Leute mich noch richtig lange gefesselt.
„Ihr kommt spät.“, meinte Sorao, worauf er uns musterte.
Roumald und ich standen ängstlich vor ihm und starrten gen Boden, das Buch aus der Bibliothek hielt ich fest in meiner linken Hand.
„Was ist das für ein Buch?“, fragte Sorao, worauf ich ihm in die Augen sah.
„Ich will neue Techniken lernen, deshalb habe ich das Buch auch mitgebracht. Es beinhaltet alles über das Element Licht und -“, bevor ich weiterreden konnte, nahm mir Sorao das Buch aus der Hand und blätterte darin bis zu Seite mit den kuriosen Buchstaben.
„Weißt du, was das ist?“, meinte Roumald neugierig, worauf Sorao mit geweiteten Augen nickte.
„Das ist Lizagisch.“, antwortete er knapp, als wir hinter uns eine Stimme hörten und Fabés, Carlos, Roumald und ich uns unverzüglich umdrehten.
„Led lanza!“, begrüßte uns Ales gut gelaunt, wir erwiderten diese Begrüßung.
Als er das Buch erblickte meinte ich, einen Moment lang Angst auf Ales Gesicht erkannt zu haben.
„Ist das ein Buch über dein Element, Kahiko?“, fragte er mich lächelnd.
Als ich bejahte wollte er wissen, ob er sich das Buch einmal ansehen kann, worauf ich zögerte.
„Du hast dir doch sicher schon eine Technik ins Auge gefasst, die du lernen möchtest, vek?“, sagte er immer noch lächelnd, „Ich will dir mit dieser Technik helfen.“
Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Mein ganzer Körper sträubte sich in der Vorstellung, dass er das Ganze nur spielt.
Sorao musste mein Verhalten bemerkt haben, denn er ging auf Ales zu und sprach: „Das übernehme ich, ich bin schließlich sein Lehrmeister.“
Ales sah ihn etwas sauer an, erwiderte dann aber überraschend ruhig: „Leech, wie sie meinen. Dann sehe ich eben nur zu.“
„Kahiko, welche Technik willst du lernen?“, fragte mich Sorao als er Ales den Rücken zuwandte und mich ansah.
„Tjoraverez.“antwortete ich etwas eingeschüchtert von Soraos Blick.
Sorao blätterte im Buch und fand schnell die Seite mit der Erklärung zu Tjoraverez.
„Led … ich verstehe. Kahiko, mach dich bereit. Ales, würde es dir etwas ausmachen, mit den anderen zu trainieren?“, meinte Sorao und sah Ales grinsend an, worauf dessen Lächeln von seinem Gesicht verschwand und sich in eine düstere Mine umverformte.
Überraschenderweise willigte er ohne Widerworte ein und ging zu den Anderen. Während die vier in die Mitte des Raumes gingen, verließen Sorao und ich den Raum. Die Gänge waren mit Fackeln beleuchtet. Mir kam diese Route bekannt vor, doch ich wusste nicht, woher. Als wir dann bei einer hölzernen Treppe ankamen, erinnerte ich mich wieder daran, wohin dieser Weg führte.
„Werden dort nicht viele Menschen sein, die uns sehen werden?“, fragte ich Sorao als er vor der Holztreppe stehenblieb.
„Wer sagt denn, dass wir hinauf gehen?“, erwiderte er, als er die Wand abtastete.
Er drückte einen Stein in die Mauer. Vor uns tat sich ein Weg auf, worauf ich Sorao erstaunt ansah. Wir betraten den erschienenen Gang und sobald wir das taten, schloss sich hinter uns wieder die Wand. Ich erschrak, worauf Sorao lächelte, aber nichts sagte. Wir gingen den Gang hinab, bis wir zu einem runden Raum mit Statuen kamen. Die Statuen symbolisierten die Elemente als Mythengestalten. Wir gingen in die Mitte, Sorao stand etwa fünf geschätzte Meter vor mir.
„Nun werde ich dir die Technik erklären. Bist du Bereit?“, fragte er mich.
„Qiez“, antwortete ich selbstbewusst.
Als ich am Haus des Meisters ankam, klopfte ich an die Tür. Nach kurzer Zeit öffnete sie sich und der Meister kam zum Vorschein.
"Swäl, Jay. Schön, dich wieder zu sehen!", sprach er freundlich.
"Swäl, Trechô (Hallo, Meister)", entgegnete ich.
"Na dann, trete ein!"
Ich betrat sein Haus und ließ mich von ihm wieder in seinen Hinterhof führen.
"Ich hoffe doch, du hast die Techniken auch gut geübt, die ich dir beigebracht habe"
"Nun ja, jeder hat seine eigene Definition von 'gut' ...", konterte ich darauf.
"Okay, dann werden wir mal sehen!", lachte der Meister kurz.
Als wir uns wieder im Hinterhof befanden, bat er mich, mein Schwert zu ziehen und ihm die Techniken zu zeigen.
"Als Erstes möchte ich bitte den Curl sehen!", sprach er.
Mein Schwert in die richtige Position gebracht und mir das Neun-Punkte-System ins Gedächtnis gerufen, schwang ich mein Schwert blitzschnell. Er bat mich, das einige Male zu wiederholen.
"Hm, leech. Auf jeden Fall schon wesentlich besser als letztes Mal. Allerdings bist du in der Kurve zwischen acht und vier noch etwas wackelig, das darf nicht sein. Man sieht aber, dass du trainiert hast, sehr schön. Das solltest du weiterhin auch noch tun. So, jetzt den Stack bitte!"
Ich legte mein Schwert an meine Schulter an, hoffte, dass es richtig positioniert war, hob das Schwert hoch, drehte es in meiner Hand und stach damit diagonal auf den Boden ein. Auch dies sollte ich mehrmals wiederholen.
"Auch nicht schlecht. Die richtige Positionierung bei dir ist noch etwas schwammig, zwei von sieben Versuchen waren ganz gut, aber für die richtige Positionierung musst du noch ein Gefühl entwickeln. Der letztendlich Angriff war auch ganz gut von der Ausführung, nur war der Angriff nicht schnell genug. Das ist sehr wichtig, dass der Stack schnell ausgeführt wird. Bei der Vorbereitung bist du nämlich ein leichtes Ziel, deshalb musst du einen Angriff deines Gegners in Sekundenschnelle mit deinem Angriff verhindern. Das ist alles reine Übungssache!"
Wow, der Meister bewertet ja jedes Detail. Aber gut, er ist halt auch ein Schwertmeister, die streben Perfektion bei ihren Schülern an.
"Nun, gut. Ich sehe aber, dass du gut trainiert hast und dir auch Mühe gegeben hast. Trotzdem möchte ich noch warten, bevor ich dir eine weitere Technik beibringe. Stattdessen möchte ich sehen, wie gewandt du mit dem Schwert umgehen kannst. Denn bei den Techniken, die nun mal eine gewisse Gewandheit erforden, das ist Fakt, musst du ja auch gewisse Bewegungen fließend ausführen können. Also möchte ich, dass du die Bäume dort hinten mit einigen gewandten Bewegungen angreifst. Du kannst dein Schwert über den Kopf schwingen, du kannst ausholen, du kannst Wellenbewegungen machen, was du willst. Es geht nur darum, dass du etwas lockerer mit dem Schwert wirst. Und bitte!"
Ich ging zu den Bäumen und dachte mir ein paar schöne Angriffe aus, die viel Bewegung erforderten.
„Versuch so schnell wie möglich, drei Pfeile steil in die Luft zu schießen.“, sagte Sorao, worauf ich nickte, meinen Bogen vom Rücken nahm und einen Pfeil darin einspannte.
Ich atmete einmal tief ein und konzentrierte mich kurz noch einmal. Irgendwie war ich nervös, aber wird schon schiefgehen. Ich schoss den ersten Pfeil nach oben, der Zweite folgte sogleich, den Dritten hatte ich auch schnell gezogen, doch ich schoss ihn anscheinend nicht schnell genug hoch, da alle drei Pfeile vor mir auf den Boden fielen.
„Nochmal“, sprach Sorao, während er die Arme verschränkte und mich mit strengem Blick ansah.
Diese Prozedur wiederholte sich ein paar Mal, als ich dann beim zigsten Versuch endlich die drei Pfeile schnell genug in die Luft geschossen hatte. Sie duplizierten sich mehrfach und flogen mit einem Lichtschweif auf Sorao zu, vor dem plötzlich eine Steinmauer auftauchte in welche die Pfeile rasten und abprallten.
Die Mauer versank wieder im Boden und Sorao sagte lächelnd: „Néz led, Kahiko. Gleich nochmal.“
Ich versuchte es nochmal, doch dieses Mal gelang es mir nicht. Bevor ich darüber nachdachte, warum, konzentrierte ich mich noch einmal und wiederholte die Technik abermals. Dieses Mal gelang sie mir.
„Du siehst, Kahiko; Es hängt allein von der Konzentration ab. Natürlich darfst du im Kampf nicht innehalten und dich konzentrieren, sonst bist du leichte Beute. Du musst es indes machen. Das heißt, du musst dich konzentrieren, während du kämpfst. Wenn du das nicht hinbekommst, bist du bald tot.“, erklärte mir Sorao, worauf ich nickte.
„Ich werde jetzt ein paar ‚Zielscheiben‘ erscheinen lassen, die du so schnell wie möglich treffen musst. Bist du nicht schnell genug, verschwinden sie wieder. Triffst du sie, bleiben sie so, wie du sie getroffen hast.“, sagte Sorao als vor mir ein Felsbrocken aus dem Boden erschien.
Ich zog einen Pfeil und wollte ihn gerade schießen, da verschwand der Fels wieder im Boden.
„Schneller!“, sprach Sorao streng, worauf er wieder vor mir einen Felsbrocken erschienen ließ.
Da ich ja jetzt schon einen Pfeil in der Hand hatte, konnte ich ihn schnell einspannen und schießen, was ich auch tat. Ich traf den Felsen gerade noch bevor er im Boden verschwand. Ein Seufzer entfuhr mir, während Sorao noch einen Brocken erscheinen ließ. Schnell zog ich einen Pfeil, schoss ihn auf den Felsen, traf diesen aber nicht. Wieder erschien ein Felsbrocken, dieses Mal aber nicht mehr vor mir sondern links von mir, der Nächste rechts und der Nächste wieder woanders. Wenn ich zweimal hintereinander traf, erhöhte Sorao das Tempo, worauf ich den Felsen darauf nie getroffen habe. Nach einer gefühlten Ewigkeit schmerzten meine Hände schon fürchterlich, dies schien auch Sorao bemerkt zu haben.
„Deine Haltung lässt nach. Bist du etwa schon erschöpft? Haha, die Jugend von heute … hält einfach nichts aus. Du bist schon viel schneller geworden. Versuche noch einmal Tjoraverez.“, meinte Sorao worauf ich etwas erschöpft nickte.
Nach dem Besuch des Schwertmeisters war ich bei Meister Chanâ und zeigte ihm meine Fortschritte bezüglich des Bewegens von Gegenständen. Auch er entdeckte einen gewissen Fortschritt, sagte aber, dass ich noch etwas üben soll, bevor er mir etwas Anderes beibringt. Alles in allem also nicht wirklich der Rede wert.
Als ich um circa 16 Uhr wieder in Aphaio ankam, ging ich direkt nach Hause. Kahiko war auch da, er saß auf dem Sofa.
"Swäl", sagte er.
"Mhm", entgegnete ich.
Ich war gerade auf den Weg, in mein Zimmer zu gehen, doch da sprach Kahiko plötzlich:
"Para, Qorad redit kynzet calen rî soqâ hyro, cyá Lilly? (Und, wie hat es dir mit Lilly eigentlich so gefallen?)
Ich atmete tief durch und antwortete dann leicht genervt: "Redit ascoy caviza. Plyen jrêd! (Es war nett. Nichts weiter)"
"Silla! Tschoa ión caviza ... (Klar doch! Einfach nur nett ...)", sprach er. Ich hörte sofort raus, dass er mir das nicht glaubte, was mir aber ziemlich egal war.
"Akiiz! (Halt die Fresse!)", antwortete ich angefressen und ging weiter hoch.
"Quario hechor plyo asyez varar tschoa redit? (Warum kannst du es nicht einfach zugeben?)
Langsam wurde ich richtig sauer. Ich ging wieder runter zu Kahiko.
"Faro plyo ceriva, quer hechor oza á jó párn, lecio triez ozanar bajôna para á rayan erás arya levyon pal tâzar voyn pronjâs anôs! (Ich weiß ja nicht, was du im Kopf hast, aber wir haben Krieg und in solchen Zeiten sollte man sich um andere Dinge sorgen!)", knurrte ich.
Kahiko sah mich wortlos an. Ich drehte mich um und ging in mein Zimmer. Ich war mir sicher, dass er das wusste, sich aber nur selbst etwas aufheitern wollte. Kann ich ja eigentlich verstehen, aber nicht auf meine Kosten. Eigentlich war das, was ich zu ihm sagte, ernst gemeint, auch wenn wir hier in Aphaio wohl wenig vom Krieg mitkriegen würden. Auch egal, mein kleiner Bruder wird's überleben. Als ich in meinem Zimmer war, holte ich mein Handy raus. Ich schrieb ganz kurz Lilly bei WhatsApp an und wechselte dann in die Gruppe von Joshua, Montana und Está. Wir verabredeten uns für 17:30 Uhr in der Bar. Es war immer so; Kahiko oder meine Eltern fucken mich extrem ab, woraufhin ich mich ins Koma saufe. Naja, jedenfalls übte ich noch etwas das Bewegen von Gegenständen in der Zwischenzeit. Ich hatte neuerdings was gegen meine eigene Faulheit.
Ich saß mit dem Kopf im Nacken auf der Couch und starrte Löcher in die Luft. Wieso? Mir tat alles weh. Sorao ließ mich heute über meine Grenzen gehen, und das mehrmals. Die Technik beherrsche ich zwar, aber Sorao meinte, ich müsste noch schneller werden. Ich seufzte laut und schloss meine Augen. Sollte ich noch etwas das Beschwören von Engel üben? Wenn ich so darüber nachdenke, lieber nicht. Noch etwas mehr Anstrengung und ich kipp um.
Nach einer Weile hörte ich jemanden die Treppe hinunterkommen, worauf ich die Augen öffnete und mich auf dem Sofa umdrehte. Ich sah Jay, wie er gerade das Haus verließ. Ich wollte wieder eine Bemerkung über ihn und Lilly machen, aber ich erinnerte mich an seine vorherigen Worte. Krieg … Plötzlich dachte ich wieder an Kaleon und wurde traurig. Neben Jay musst du stark sein!, dachte ich mir, als mich Jay fragend ansah.
„Alles in Ordnung?“, sprach er in einem desinteressierten Ton.
Ich nickte nur, drehte mich wieder um und legte mich auf die Couch, meine Augen schloss ich abermals. Hinter mir hörte ich, wie sich Jay verabschiedete und sich eine Tür schloss. Wie lange sind wir in Aphaio vor dem Krieg sicher? Was tun wir, wenn es soweit ist und der Krieg in Aphaio ist? Kämpfen wahrscheinlich. Aber … Was ist, wenn ich bis dahin nicht stark genug bin? Je mehr ich darüber nachdachte, desto ängstlicher wurde ich. Ich schüttelte meinen Kopf, ich musste meine Gedanken ordnen. So denken durfte ich nicht, sonst ende ich noch als Feigling … Bin ich das nicht schon längst? Nein, ich habe Mut, ich habe Selbstbewusstsein und, ich habe auch Angst. Aber ich darf meine Angst nicht die Kontrolle über mich überlassen. Ich werde den Krieg überleben und ich werde mein Versprechen gegenüber Skye auch einhalten. Ich werde Imperator von Techoras.
Als ich in der Bar war, entdeckte ich auch schon Joshua, Montana und Está, die am Tresen saßen. Ich ging zu ihnen.
"Swäl", sprach ich.
"Was geht?", fragte Joshua.
Wir checkten uns ab und ich saß mich an den Tresen. Danny war auch da, er trocknete gerade ein paar Gläser ab.
"Swäl, Jay. Das Übliche?"
"Jau, tu mal", antwortete ich.
Die ganze Zeit redeten wir über die verschiedensten Dinge. Eigentlich nicht der Rede wert, aber nach einiger Zeit kamen wir auf ein besonderes Thema.
"Wisst ihr schon, in ein paar Monaten sind ja wieder Imperialwahlen ...", sprach Danny an.
"Wirklich? Wird ja Zeit meinen Perso zu fälschen", sprach ich, woraufhin Está fast seinen Energy-Drink ausspuckte.
"Also große Sorgen mache ich mir nicht, ich bin mir sicher, dass West wieder gewählt wird", äußerte sich Montana dazu.
"Kann natürlich gut sein, aber Dejîn hat auch viele Leute auf seiner Seite. Ich denke mal, das wird ein harter Kampf!", sagte Está.
Leider konnten wir vier nur davon reden, denn in Techoras darf man erst ab 17 wählen. So eine verfluchte Scheiße.
"Ich freue mich auf jeden Fall auf das Wahlfest. Wenn acht Stunden vor Bekanntgabe des Siegers auf dem Rathausplatz Stände eröffnet werden und die wahlfreudige Masse mit Plakaten und Schildern bewaffnet zeigen, wen sie denn als Imperator haben wollen ...", sprach Joshua.
" ... und das Ende ist dann die Bekanntgabe des Siegers, gefolgt von einer großen Saufaktion der glücklichen Wähler. Die Wähler des Verlierers nehmen sich alle einen Strick oder machen Häuser kaputt ... dafür gibt's aber Freibier!", vollendete ich.
"Wisst ihr noch letztes Jahr? In Kaleon haben wir alle die Wahl mitverfolgt. Als zum dritten Mal der Name 'West' fiel, jubelten wir und sauften uns dann zu Tode!", sprach Montana nostalgisch.
"Pff ... ja, dafür hab ich von meinen Eltern übelst einen drauf bekommen!", antwortete Joshua.
"Ich bin auf jeden Fall überzeugt, dass wieder Isaac West gewinnen wird", warf Danny ein, der gerade mit fünf Cocktails auf einmal zu kämpfen hatte, "denn der Großteil von Techoras ist nicht blöd; sie wissen, dass West einfach zu den besten Imperatoren von Techoras gehört, extrem patriotisch, engagiert und hat auch was in der Birne. Für mich steht das Ergebnis schon fest!"
"Ja, für mich auch. Falls es keine Schwierigkeiten gibt, wird West sicherlich sein Amt behalten! Wenn nicht, nehme ich mir den Strick.", sagte Montana.
"Falls die ganzen neuen Wähler keine Vorurteile haben!", sagte ich.
Das kann ich mal kurz erklären : Isaac West ist Autist; er leidet an dem Asperger-Syndrom. Er ist hoch begabt, ein wahrer Meister mit dem Schwert. Er soll alle techorianischen Schwerttechniken beherrschen. Und das sind Hunderte. Weiterhin verwechselt er oft links und rechts miteinander, ist bei Arbeit oft sehr hektisch und schläft wenig. Er schaut bei Wahlreden oder Pressekonferenzen die Menschen immer nur ganz kurz an und starrt die meiste restliche Zeit dann einfach in die Luft und redet dann weiter. Für mich war das nie ein Problem, weil er mir aufgrund seines Humors sehr sympatisch ist. Und ich habe allgemein auch nicht viele Vorurteile. Außerdem hab ich ja schon oft genug gesehen, dass West seinen Job gut macht.
"Also ich mache mir da gar keine Sorgen. Als mit 69, 77,5 und 81% konnte er sich die letzten drei Jahre ja gut durchsetzen. Hoffen wir mal, dass das so bleibt.
"Ich werde auf dem Wahlfest auf jeden Fall schon um sechs Uhr da sein. Und wenn dann Wests Name erwähnt wird, werde ich so richtig abgehen!", sagte Joshua.
"Du sprichst mir aus der Seele, Yoshi!", sprach ich und trank genüsslich meinen Candiar.
Ich lag noch immer auf der Couch und langweilte mich zu Tode. Zwar tat mir noch sehr vieles weh, aber im Großen und Ganzen ging es mir schon viel besser. Als ich ein Klopfen hörte, ging ich zur Tür und öffnete diese, Fabés stand vor der Tür.
„Swäl, Fabés.“, sprach ich während er eintrat.
„Swäl, Kahiko. Ich muss mit dir über etwas Wichtiges reden.“, sagte er und wir saßen uns auf das Sofa.
„Also, was gibt’s?“, fragte ich ihn, er antwortete: „Hast du noch das Buch über dein Element?“
Als ich nickte, sprach er weiter: „Gib es mir bitte einmal.“
Ich ging schnell auf mein Zimmer und holte das Buch. Dann lief ich wieder schnell nach unten. Während ich mich wieder neben Fabés saß, gab ich ihm das Buch in die Hand, welches er schnell durchblätterte.
„Hier … ist es. Lies den Titel!“sagte er und überreichte mir das Buch.
Stel Zorâ … Moment, das war die Technik, die ich gegen Ales eingesetzt hatte! Ich sah Fabés abwartend an. Er sagte nur, ich solle mir die Technik durchlesen, was ich auch tat. Neugierig sah ich wieder ins Buch und las sie mir durch; Stel Zorâ ist eine Technik, die nicht für Amateure und Anfänger gedacht ist, sondern nur für Meister. Nur die Wenigsten können sie fehlerlos einsetzen oder können sie überhaupt einzusetzen. Für diese Technik muss man seine Angst überwinden und darf nicht an sich selbst Zweifeln.
Ich sah Fabés mit großen Augen an.
„W-Woher weißt du eigentlich von dem Eintrag?“. fragte ich ihn etwas verwirrt.
„Ich hatte mich bei Sorao erkundigt, wie dein Training gelaufen war und er sagte, dass er morgen diese Technik mit dir üben will. Da sie dir bereits einmal gelungen war, dachte ich, sie ist perfekt für Anfänger. Doch Sorao erklärte mir dann, für wen sie wirklich war und was man dafür brauchte. Deshalb hatte es mich umso mehr gewundert, dass du sie hinbekommen hast … Nichts für Ungut, Kahiko.“, erläuterte mir Fabés, worauf ich wieder ins Buch starrte.
„Er will mir wirklich diese Technik beibringen? Aber … Ich bin doch noch lange kein Meister und außerdem bin ich ein Feigling.“, sagte ich als ich mich wieder an meine vorherigen Gedankengänge erinnerte.
„Anscheinend hast du in diesem Moment keine Angst gehabt und hattest sehr viel Selbstvertrauen. Kahiko, ich glaube an dich, du schaffst das.“
Fabés sah mir in die Augen, worauf ich entschlossen nickte.
Als ich nach einiger Zeit die Bar verließ, mit der Begründung, dass ich noch etwas trainieren wollte, machte ich mich auf den Weg zum Park. Die Sonne leuchtete goldbraun auf die Großstadt. Es dauerte zwar nicht mehr lange, bis es dunkel werden würde, aber ich wollte jede Minute noch nutzen, um zu trainieren. Wenn ich Glück habe, bringen mir meine Meister schon bald etwas Neues bei. Sie sagten mir, dass ich vorher noch viel zu trainieren habe und so gerne ich auch schnell diese ganzen Techniken und Fähigkeiten runterrattern würde, sah ich ein, dass ich mich auch in Geduld üben musste, was mir nie leicht fiel. Aber ich denke, die Meister haben ein Gefühl dafür, wann ich bereit für etwas Neues bin. Auch wenn ich mich einige Zeit mit denselben Techniken und Fähigkeiten vergnügen muss. Als ich im Park war und dort zu meinem Trainingsplatz ging, zog ich mein Schwert und schaute meinen Trainingsbaum an. Dann fing ich wieder an, den Stack und den Curl exzessiv zu üben. Ich hatte einen richtigen Ehrgeiz in mir. Ich weiß nicht, warum, doch irgendwie lag mir daran mehr als an allem anderen. Vielleicht war es auch nur dieses Gefühl von Macht, eine Waffe und ein Element zu beherrschen, mit denen man sich nicht nur wehren kann, sondern auch Schaden anrichten kann. Auf jeden Fall brachte es mir sehr viel Ehrgeiz. Nach einiger Zeit stoppte ich und dachte nach. Sollte das wirklich schon alles sein? Ich lasse mir von den Meistern vieles beibringen, während die Lizagon in unser Land marschieren. Versteht mich nicht falsch, wenn Leute dabei verrecken, dann ist mir das egal. Aber die ganzen Städte werden zerstört, Land wird erobert und irgendwann sind sie in Aphaio. Ich bin zwar überzeugt, dass es hier in Aphaio mehr als sicher ist, aber sollten wir uns von dem Gedanken betüdeln lassen? Klar, innerhalb der Mauern ist das Leben gut, man macht sich keine Sorgen, aber außerhalb der Mauern ist es nicht so sicher und ich weiß, dass ich nicht alles mitkriege, was sich dort abspielt. Vielleicht sollte ich handeln! Vielleicht sollte ich zu den Menschen gehören, welche die ganze Sache auch aus einer anderen Sicht sehen. Ich habe mich in den letzten Tagen sehr sicher und geschützt gefühlt und das war vielleicht auch berechtigt, aber irgendwie auch falsch. Außerhalb der Mauern gibt es auch ein Leben und je nach Region sieht das nicht unbedingt gut aus. Nein, ich werde mich ganz sicher nicht an Sicherheit und Schutz gewöhnen. Das werde ich erst tun, wenn der Krieg vorbei ist ... und wir hoffentlich gewonnen haben. Ich überlegte, selbst das Ruder in die Hand zunehmen und meinem Wunsch nach kompletter Sicherheit selbst ein Stück zu erfüllen. Doch ich musste wieder etwas auf die Realität kommen: Was sollte ich schon tun? Wirklich geübt bin ich nicht, weder mit dem Schwert noch mit meinem Element, ich muss immer für meinen Bruder da sein und ... auf jeden Fall kann ich nichts tun. Ich bin zum warten verdonnert. Aber ist meine Vorstellung überhaupt realistisch? Ich habe keine Ahnung und ich will auch nicht weiter darüber nachdenken, mal sehen, was die nahe und ferne Zukunft mir bringt. Als es langsam dunkel wurde, verließ ich den Park und ging wieder nach Hause.
Am nächsten Tag war ich schon früh munter, aber ich hoffte, dass ich wieder einschlafe, da mir noch immer alles weh tat. Ich legte meinen Kopf zur Seite und sah meinen Bogen, welcher auf dem Schreibtisch lag. Das erinnerte mich wieder, dass Sorao mit mir heute eine Meistertechnik üben will. Während ich daran dachte, spürte ich wieder meinen Muskelkater. Besonders schlimm war er in meinen Oberarmen. Wie sollte ich heute überhaupt einen Pfeil schießen?, fragte ich mich, als ich mich aufsetzte. Schweigend sah ich aus dem Fenster. Es war ein verregneter Tag, als ob der Himmel wegen etwas weinen würde. Diese Stille wurde durch ein energisches Klopfen durchbrochen, welches mich innerlich zusammenzucken ließ. Ich rührte mich aber nicht von der Stelle, sondern wartete ab. Auf einmal hörte ich wütende Schritte, die die Treppe runtergingen.
„Weißt du denn nicht, dass wir auch eine Klingel haben?“, hörte ich Jay wütend sagen.
„C-Contrâ! Ist Kahiko schon wach?“, erwiderte eine Stimme, die ich nur allzu gut kannte.
„Keine Ahnung, geh einfach rauf und lass mich in Ruhe.“
Abermals vernahm ich wütende Schritte, anschließend knallte irgendwer eine Tür zu. Danach machte irgendwer hinter mir die Tür auf.
„Led Lanza! (Guten Morgen!)“, sprach hinter mir Roumald, während er die Tür schloss.
Ich erwiderte ein kurzes ‚Mmh‘, als Roumald neben mich saß.
„Warum bist du denn schlecht gelaunt? Etwa wegen dem Wetter? Ich dachte, du magst Regen?“
„Das ist es nicht …“, meinte ich gedankenversunken.
Ich dachte schon wieder über den Krieg nach, aber über so etwas konnte ich mich nicht mit Roumald unterhalten, da er bei so etwas nicht ernst bleiben konnte.
„Wegen Hokulani?“, fragte er weiter.
„Kalt.“, antwortete ich kurz.
„Wegen Jay?“
„Kälter.“
Bevor Roumald noch etwas fragen konnte, läutete mein Handy. Fabés rief an, ich hob sofort ab. Er fragte, ob wir uns jetzt in der Bibliothek treffen könnten, worauf ich bejahte und er auflegte.
„Schon wieder in die Bibliothek?“, meinte Roumald genervt.
Ich zuckte mit den Schultern und sagte, er müsse nicht mitkommen, worauf er mich aber trotzdem begleitete.
Es war Samstag Morgen und ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Zu den Meistern zu gehen machte nicht viel Sinn; sie sagten mir, dass ich meine derzeitigen Techniken erst vertiefen sollte, bevor sie mir etwas Neues beibringen. Aber jetzt trainieren war für mich auch keine sonderlich interessante Option. Da fiel mir ein, dass ich schon seit etwa einer Woche in Aphaio war, aber vielleicht gerade mal einen Prozent oder weniger der abnormal großen Stadt gesehen hatte, vielleicht sollte ich mich ja mal hier etwas umgucken. Und ich hatte auch schon eine gute Idee, wer mich eventuell rumführen könnte. Ich holte mein Handy raus und rief Lilly an. Ich fragte sie, ob sie Zeit hätte, mir etwas die Stadt zu zeigen. Zu meinem Glück hatte sie und sagte, dass wir uns um 10:00 vor dem Rathaus treffen würden. Ich ging nur noch schnell duschen und zog mir etwas Anderes an. Anschließend verließ ich das Haus und ging zum Rathausplatz. An diesem Samstag Morgen war viel los. Die Geschäfte waren überfüllt, die Straßen genau so, am Rathausplatz war ein großer Obst- und Gemüsemarkt und alles in allem bekam ich hier ironisch gesehen, sehr wenig Luft. Als ich am Rathaus ankam, entdeckte ich auch schon Lilly vor der Tür. Sie hatte ein pinkes T-Shirt an und eine blaue Jeans. Ich ging auf sie zu. Sie bemerkte mich vorerst nicht, erst als ich sie antippte, drehte sie sich um und sah mich.
"Swäl", sprach ich ausgesprochen gut gelaunt.
"Swäl", sagte sie lächelnd.
Wir lächelten uns kurz an, bevor Lilly sprach: "Naja ... wollen wir dann mal?"
Ich nickte wortlos und folgte Lilly. Wir gingen quer durch die halbe Stadt, sie zeigte mir besondere Bauwerke oder Sehenswürdigkeiten und erzählte auch ein Bisschen. Ich konnte mich jedoch nicht besonders darauf konzentrieren, die Stadt zu bewundern, in dem Moment wollte ich nur ihre Stimme hören. Sie zeigte mir zum Beispiel das Pêreceo, eine große Arena im Stadtteil Ilýgia. War schon ein gigantisches Bauwerk, das aus Marmor gebaut war und in dem laut Lilly 110.000 Menschen passten. Nach einigen anderen Sehenswürdigkeiten, die sowieso schon ganz nett waren, kamen wir nach einigen Stunden an einem großen Palast an. Neben der großen Eingangstür und entlang der vorderen Wand waren Goldstatuen von besonders berühmten Imperatoren. So eine bekommt man nur, wenn man eine besondere Leistung als Imperator vollbracht hat und auch nur, wenn man aus dem Amt raus ist, weshalb sich leider noch keine Statue von West darunter finden ließ. Und leider wurden viele gute Imperatoren durch ihren Tod aus ihrem Amt gerissen. Generell finde ich das Thema sehr interessant und weiß auch viel darüber, hab gut im Unterricht aufgepasst und immer schön recherchiert. Naja, ich glaube, es ist jetzt klar, was das für ein Palast ist. Das ist natürlich der Imperatorenpalast, besser bekannt unter dem Namen 'Reveéla'. Vor dem Palast standen in schwarz gekleidete vermummte Soldaten, die wie angewurzelt da standen und weder sprechen noch sich bewegen durften, solange sie im Dienst waren. Höchstens, wenn sie angegriffen oder ihre Waffen geklaut werden. Passiert aber eh nur selten; das Schlimmste, was mit denen unter dem alltäglichen 'Joch' des Volkes passiert, ist dass Menschen Fotos mit oder von ihnen machen oder irgendwie vor ihnen rumhampeln. Links und rechts am Rand des Reveéla standen etwa zehn Meter hohe Fahnenmasten, an denen die Flagge Techoras prangten. Schwarz, giftgrün, weiß, das waren unsere Nationalfarben. Welche Bedeutungen die Farben hatten, weiß ich jetzt aber gerade nicht, muss ich mal irgendwen fragen; Lilly wusste es auch nicht. Auf jeden Fall war es ein wirklich sehenswertes Gebäude. Da bald die Imperatorenwahl ist, werde ich hier bald wieder zurückkehren und ganz fest hoffen, dass West weiterhin Imperator bleibt. Lilly sagte mir, dass sie ebenfalls ein Fan von West sei ... so müssen Mädchen sein. Nach einigen Stunden gingen wir wieder langsam zurück Richtung Zchéner, dem Stadtteil, in dem ich ja nun wohne. Lilly und ich gingen noch in den Park, setzten uns auf eine Bank und redeten noch eine Weile. Ich erzählte ihr noch viel über mich selbst und meine Zeit in Kaleon, wollte sie halt wissen.
"Krrr ... rede ja nur von mir, erzähl du doch noch was.", sprach ich.
"Naja, mein Leben ist nicht so interessant, finde ich. Ich hab eine große Schwester, eine kleine Schwester, eine Weitere ist unterwegs ... mein Vater ist Handwerker, baut und repariert Häuser, meine Mutter ist Köchin und ... ja, viel Interessantes ist da nicht mehr bei!"
Trotzdem redeten wir noch viel weiter, über Schule zum Beispiel auch und über dies und das halt. So um etwa 16 Uhr sagte sie, dass sie nach Hause müsse, es ihr aber sehr viel Spaß gemacht hat mit mir. Und was soll ich sagen, das beruht auch auf Gegenseitigkeit. Als sie dann nach Hause ging, verließ auch ich den Park und kehrte zu meinem Haus zurück.
„Wir sind jetzt seit in der Früh hier … und haben noch immer nicht das Buch gefunden, welches wir suchen!“, meinte Roumald seufzend.
„Qiez, wir haben jetzt sicher schon die ganze Bibliothek abgesucht.“, stimmte ich Roumald zu.
„Das Buch muss aber hier sein.“, sagte Fabés, der die Bücherregale weiter mit Elan durchkämmte.
Er sah Roumald und mich mit ernstem Blick an worauf wir uns widerwillig weiter auf die Suche begaben. Wir schlenderten genervt die langen Gänge entlang und durchsuchten ab und zu die Regale an Stellen, an denen wir meinten, etwas finden zu können, doch vergebens. Als wir die andere Seite der Bibliothek erreichten, lehnten wir beide uns gegen die Wand.
„Das ist doch unmöglich in den Unmengen von Büchern IRGENDETWAS zu finden.“, sprach Roumald etwas wütend.
Er schlug mit seinen Fäusten gegen die Wand hinter uns die darauf plötzlich verschwand und wir nach hinten kippten. Roumald flog um, ich konnte mich gerade noch fangen und sah erstaunt den langen, steinernen Gang entlang. Während ich Roumald aufhalf, kam Fabés zu uns und musterte den Eingang.
„Dieser Gang gehört wahrscheinlich zu den Katakomben. Vielleicht finden wir ja dort etwas?“meinte Fabés und ging den Gang entlang.
Roumald und ich folgten ihm schleunigst. Da es sehr düster war, versuchte ich, einen Engel zu beschwören, der uns den Weg erleuchten sollte. Ich konzentrierte mich auf mein Qajô und beschwor gerade so einen Engel.
„Gehen wir lieber schnell weiter, da ich nicht weiß, wie lange ich das aushalte.“
Roumald und Fabés nickten und wir liefen den fast dunklen Gang entlang. Nach kurzer Zeit sahen wir geschätze zehn Meter vor uns eine Tür, doch in diesem Moment wurde es mir zu viel und der Engel verschwand. Nun war es stockdunkel. Roumald schlug vor, dass wir einfach weiterlaufen, da wir die Tür schon gesehen haben, aber Fabés war dagegen und meinte, ich soll uns mit meinen Pfeilen den Weg erhellen. Roumald gab klein bei und ich bejahte.
„Sobald Kahiko den Pfeil geschossen hat, müssen wir schnell weiter.“erklärte Fabés.
Roumald und ich bejahten und kurz darauf meinte Fabés, dass ich losschießen könne. Etwas nervös zog ich einen Pfeil und schoss ihn vor mich hin. Der Lichtschweif von ihm erhellte den Gang und wir drei liefen los. Kurz bevor das Licht ausging kamen wir bei der Türe an. Ich hörte, wie jemand die Tür aufmachte, dann drang gleißendes Licht in den Gang und wir betraten den Raum, aus dem dieses kam. Wir standen in einem kleinen, runden Raum mit einem moosgrünem Teppichboden und mit Bücherregalen, die vor den Wänden standen, sodass man sie nicht mehr sehen konnte. Die Decke war eine Kuppel, die den Sternenhimmel mit seinen Sternbildern zeigte. Auf dem Boden waren überall die verschiedensten Bücher und während wir in die Mitte des Raumes gingen, wirbelten wir einigen Staub auf.
„Hier werden wir bestimmt finden, was wir suchen.“meinte Fabés und Roumald und ich fingen wieder an, zu suchen.
„Das sind die komischsten Bücher, die ich je gesehen habe … die braucht doch kein Mensch“, sagte Roumald etwas enttäuscht und hielt ein Buch hoch, „das hier zum Beispiel. Das handelt davon, dass Steine Gefühle haben.“
Ich lachte und Roumald meinte, dass man keines dieser Bücher gebrauchen könne.
„Hier sind noch mehr von denen … ‚Pflanzen-Tanz‘, ‚Gefühle für materielle Dinge‘ und ‚Legenden von Techoras‘ “zählte Roumald auf, worauf Fabés und ich ihn überrascht ansahen.
„Du hast es gefunden!“meinte ich, doch Roumald sah mich verwirrt an.
„Quer?“fragte Roumald, worauf Fabés etwas wütend zu ihm ging und das gesuchte Buch in die Hand nahm.
„Das!“sprach Fabés und Roumald ging nun endlich ein Licht auf.
„Ay, ich hab´s gefunden! Ist ja cool.“
Ich ging zu ihnen und sah das Buchan. Es war beige, nur der Buchrücken war grün. Fabés blätterte schnell durch das Buch und fand auch schnell das, was wir brauchten. Im Buch stand groß die Überschrift ‚Der Kontinentalkrieg‘.
„Led, ich bin froh, dass wir das Buch gefunden haben. Ich nehme es mit nach Hause und ruf euch an, sobald ich was herausgefunden habe.“, sagte ich, während er das Buch zuschlug und wir wieder in die Bibliothek zurückgingen.
Als ich nach etwa 20 Minuten wieder zu Hause war, bemerkte ich, dass Kahiko noch nicht da war. Naja, irgendwann kommt der schon. Ich saß mich auf das Sofa und überlegte, was ich machen sollte. Da beschloss ich, noch etwas das Bewegen von Gegenständen zu üben. Morgen werde ich ja wieder zu meinen Meistern gehen und da sollte ich vorbereitet sein. Ich übte erst mal noch mit kleinen Gegenständen wie Patronen aus meiner Deseart Eagle und auch mit kleinen Lebensmitteln, die unsere Großeltern uns zukommen ließen. Ich schaffte es höchstens 90 Sekunden, mehr war nicht drin. Aber wenn ich mal bedenke, wie viel Potenzial diese Fähigkeit hat, ist das ja schon mal nicht schlecht. Und wenn ich weiterübe, kann da ja noch mehr draus werden. So etwa um 17 Uhr hörte ich, wie sich die Tür öffnete. Mein Bruder trat ein, mit einem Buch in der Hand. Ich beendete mein Training und sah zu Kahiko.
"Abend", sprach er.
"Mh", summte ich.
Er kam näher, setzte sich neben mich auf's Sofa und zeigte mir das Buch.
"Schau mal. Legenden von Techoras, da wird sicher was Interessantes drin sein!", meinte er.
"Davon bin ich überzeugt ... ", antwortete ich sarkastisch.
Kahiko schlug das Buch auf und blätterte eine Weile in ihm herum. Nach einigen Minuten, hielt er mir das Buch vor die Nase und sprach: "Schau mal, das könnte doch was für dich sein!"
Ich warf einen kurzen gelangweilten Blick darauf. Auf der aufgeschlagenen Seite waren Abbildungen von Schwertern. Die Überschrift lautete: "Die Legendenschwerter". Plötzlich wurde mein Interesse geweckt. Mir fiel ein, dass ich mich sowieso danach erkundigen wollte. Ich las mir die Seiten durch.
"Drako, Legios, Kalyo, Cyn, Rio, Narco und Zyan sind die sieben sogennanten 'Legendenschwerter'. Sie bestehen alle aus Meteoritengestein und einem individuellen Material. Über ihre Herkunft ist nicht viel bekannt, es gibt lediglich einige Theorien über sie."
Ich las an dieser Stelle nicht weiter, sondern schlug direkt die nächste Seite auf, die vollgestopft mit diesen Theorien war. Die Erste brachte mich sofort ins Grübeln.
"Die am meist verbreitetste Theorie über die Herkunft der Legendschwerter ist die von den Göttermeteoriten. Vor Tausenden von Jahren sollen die Götter von Techoras Meteoriten auf das Volk haben fallen lassen, welche an verschiedenen Orten in Techoras aufprallten und zersplitterten. Es gab sieben Splitter, die exakt die Form von Schwertklingen hatten, jedoch von der Länge her zwischen normalen Schwertern und Langschwertern lagen. Die anderen Materialien wurden vermutlich von Waffenschmieden mit eingebaut. Auf den Schwertern sind alt-techorianische Wörter eingraviert."
Könnte vielleicht wirklich so etwas passiert sein? Und soll das wirklich die plausibelste Theorie sein? Bevor ich weiterlesen konnte, riss mein Bruder mir das Buch aus der Hand und sprach: "Lass mich auch mal!"
Er schlug ein paar Seiten weiter und fand eine Seite mit der Überschrift "Die Legendenbögen". Mein Bruder sagte: "Hör dir mal das an!" Anschließend begann er, etwas vorzulesen: "Eine sehr verbreitete Theorie zu der Entstehung der Legendenbögen hat wieder den Ursprung bei den Göttern. Vor sehr langer Zeit soll der Totengott Zarro den Sohn des Gottes Danyo entführt haben. Der Sohn wurde mit Schnüren gefesselt und in der Unterwelt gefangengehalten. Danyo und einige andere Götter führten daraufhin eine Schlacht mit den Totengöttern. Dabei haben die Götter den Sohn Danyos gerettet. Die Schnüre, mit denen er gefesselt war, sollen die Schnüre sein, die bei den Legendenbögen mitverwendet wurden. Aus Wut über die Rettung des Gefangenen, richteten die Totengötter wilde Verwüstungen in ganz Techoras an. Jeder einzelne Baum im Land wurde komplett vernichtet ... außer einer. Ein etwas kleinerer Baum neben der Kirche der Legendenstadt Varish soll nicht vernichtet worden sein. Er zersplitterte nur in dünne Äste. Man vermutete, dass aus diesen Ästen, weitere Materialien und den Schnüren, diese Legendenbögen entstanden."
Kahiko schaute mich an und sprach: "Klingt doch gar nicht mal so uninteressant ... "
Ich wachte aus meinem Tagtraum auf und sprach: "Hä, was? Hab nicht zugehört, war viel zu langweilig."
"Ach, vergiss es ..."
"Gut, ich geh mir ein Candiar holen!", antwortete ich, stand auf und ging in die Küche, während Kahiko weiterlas.
Ich saß noch eine ganze Weile auf der Couch und las mir das Kapitel über den Kontinentalkrieg durch. Viele Jahre über führten Lizagon und Techoras einen grausamen Krieg, der niemanden verschonte. Fabés meinte, dass wir das wieder erleben werden, wenn wir nichts dagegen machen … und davor habe ich Angst. Aber deshalb meinte Fabés, dass wir dieses Buch brauchen, sodass wir etwas über die Verteidigungs- und Angriffsmanöver des damaligen techorianischen Militärs erfahren können. Doch das stellte sich als schwieriger heraus, als ich dachte.
Nachdem ich schon eine Ewigkeit las und noch immer nichts über den eigentlichen Krieg gelesen hatte, blätterte ich ein paar Seiten weiter und stieß auf einen Holzschnitt, welcher sich über beide gilblichen Seiten erstreckte. Ganz rechts befand sich eine Stadt, die von einer hohen Mauer umgeben war, auf welcher eine Menge Bogenschützen standen. Vor der Stadt waren Soldaten die ihre Speere und Schilde schützend vor sich hielten. Auf der linken Seite waren Soldaten, welche mit ihren Schilden und Schwertern auf die Stadt zurstürmten. Am linken Seitenrand war ein Mann auf einem Pferd, welcher einen sehr großen Schild mit einem Emblem darauf trug. Das Wappen bestand aus zwei sich kreuzenden Rosen, hinter denen ein karierter Rundschild war. Da mir das Emblem bekannt vorkam, blätterte ich ein paar Seiten zurück und suchte nach einer Beschreibung von diesem.
Ich musste zwar eine Weile lang suchen, aber endlch fand ich das Gesuchte. Das Wappen gehörte dem ehemaligen Lord von Lizagon, Jazyo Wyres, der diesen Krieg erst angezettelt hatte. Der Holzschnitt zeigte also, wie die Soldaten von Lizagon eine Stadt stürmen, bei der es sich wahrscheinlich um Aphaio handelte. Ich blätterte wieder auf die Seite mit dem Bild, sah es mir noch einmal genau an und entdeckte bei der Stadt auf einem Hügel einen Mann, welcher gen Himmel sah und die Hände zur Sonne streckte. Zuerst fand ich das sehr skurril und blätterte schnell weiter, doch sobald ich die nächste Doppelseite erblickte, verstand ich es sofort. Ein weiterer Holzschnitt erstreckte sich über die Seiten und man sah, wie die Soldaten von Lizagon kehrt machten, da vor ihnen Schatten und über ihnen Engel aufgetaucht waren, welche sie angriffen. Die techorianischen Soldaten und Bogenschützen halfen dabei. Doch der Mann auf dem Hügel war nicht mehr da. Etwas verwirrt sah ich nach, ob ich nicht eine Seite überblättert habe, doch dem war nicht so.
Ich blätterte eine Seite weiter und am Anfang der Seite stand die Überschrift ‚Myhten‘. Interessiert las ich mir die Seite durch.
‚Der Mythos der ‚Schlacht um Aphaio‘ ist einer der Geheimnisvollsten von allen. Der Legende nach soll mitten im Kampfgetümmel vor den Soldaten unheimliche Schatten und über ihnen strahlende Engel erschienen sein, welche die Soldaten von Lizagon vertrieben und Aphaio einmal mehr zur uneinbehmbaren Festung machten.‘
MFG
Alito