Interessante Bekanntschaften
„Kami Liebling, sieh mal, wir haben Besuch.“
„Das sehe ich. Gibt es auch einen Grund dafür?“ Irgendwas muss ihr Auftreten aber mit mir zu tun haben. Immerhin haben sie nach mir gefragt.
„Ach setzt dich doch zu uns“, bittet mich meine meine Mutter, auf einen freien Platz neben sich klopfend. Die beiden Besucher sitzen uns gegenüber auf einem anderen Sofa und der Raum zwischen uns ist von einem kleinen,gläsernen Tisch versetzt. Eine Frau und ein Junge, der anscheinend tatsächlich ein wenig jünger als ich ist. Die Frau hat hellbraune Harre, die zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden wurden. Ihre Kleidung ist nicht wirklich auffällig; eine schwarze Jeans und ein hellgrünes Sweatshirt. Obwohl sie schlicht und einfach angezogen ist, strahlt ihre ganze Person Würde und Anmut aus. Hinzu kommt auch noch ein freundliches Lächeln, das sie unentwegt auf mich wirft.
Der Junge neben ihr hat im Gegensatz zu ihr keine große Präsens. Es wirkt geradezu, als würde er stets in ihrem Schatten stehen. Würde man beiden zufällig begegnen und mit ihnen ein paar Worte wechseln, würde man sich noch ziemlich genau an die Frau, aber kaum an den Jungen erinnern können; vielleicht gerade weil er so unscheinbar ist und wahrscheinlich auch, weil ich mich frage, warum er mit dieser Frau reißt und zu uns gekommen ist, schaue ich ihn mir genau an. Er trägt einen dunklen, blauen Pullover, was an sich schon recht komisch ist, da eigentlich tagsüber schon sommerliche Temperaturen vorherrschen. Des weiteren trägt er eine normale, ebenfalls blaue Jeans und dazu dunkle Turnschuhe. Alles recht einfach. Also, allein von seiner Kleidung her tut er nicht wirklich viel, um aus dem Schatten unserer Besucherin zu treten. Auch seine ovale Brille, die oben keinen Rand hat, ist dunkelblau. Vielleicht ist das ja seine Lieblingsfarbe, aber man kann es trotzdem damit übertreiben. Immer wieder fallen ihm ein paar Strähnen hell orangenes Haar in die hellblauen Augen, die er ärgerlich beiseite schiebt. Er sollte mal wieder zum Friseur gehen, es ist doch schließlich sehr nervend immer Harre in den Augen hängen zu haben. Die Sommersprossen passen recht gut zu seinem Gesicht und vom Körperbau her ist er recht schlank. Ich vermute, dass er nicht gerade vor Selbstbewusstsein trotzt, den er blickt nur immer mal wieder kurz hoch, hält nie wirklich Augenkontakt und sieht meistens auf den Boden. Zusätzlich knetet er noch seine Hände, als wenn er nervös wäre und hat bis jetzt noch kein Wort gesagt.
Während ich die mir Gegenübersitzenden gemustert habe, ist ein peinliches Schweigen entstanden. Ich warte am besten einfach erst einmal ab, bis ich genau weiß, in was für einer Situation ich gerade stecke.
Endlich beginnt die Frau damit, mich ein alles einzuweichen: „Hallo Kami, ich bin Anita. Deine Mutter und ich kennen uns noch von früher.“
„Hallo.“ Ich gebe zu, meine Antwort ist nicht wirklich wortreich, aber was kann ich bitteschön noch viel mehr dazu sagen? Ich weiß ja noch immer nicht, was überhaupt los ist.
„Das hier neben mir ist Gabriel, mein Assistent.“ Der Junge schaut kurz zu mir und lächelt sogar leicht.
„Ich bin Pokémon Professorin und immer auf der Suche nach neuen Informationen und Entdeckungen.“
„Ein wirklich interessanter Beruf, den Sie da haben, aber was hat dies mit mir zu tun?“
„Weißt du, deine Mutter und ich haben uns ab und zu geschrieben. Wann immer sie etwas von dir berichtet hat, schrieb sie auch über deine Forschernatur.“ Na toll, was hatte sie ihr bloß über mich gesagt. Eltern haben ja nun mal die komische Angewohnheit, voller stolz etwas über ihre Kinder zu erzählen, was denen vielleicht total peinlich ist. Ich werfe meiner Mutter einen etwas misstrauischen Blick zu, woraufhin sie bloß schmunzelt. Aber schon kurz darauf fokussiere ich wieder das Gesicht der Professorin, da sie weiterspricht.
„Es geht darum, dass ich mit meinen Forschungen nicht weiterkomme. Leider habe ich auch nicht genügend Zeit, um die nötige Feldforschung zu betreiben. An dieser Stelle kommst du in Spiel. Ich möchte, dass du eine Forschungsreise antrittst und das Geheimnis, welches ich nicht zu enträtseln vermag, lüftest.“
„Um was für ein Geheimnis handelt es sich?“ Nun ist meine Neugier aber wirklich geweckt. Sie hält mich für die Richtige um ein Rätsel zu lösen. Ich soll eine Forschungsreise antreten. Das klingt alles so spannend, aber muss da nicht irgendwo noch ein Hacken sein?
„Du kennst sicherlich ein paar Mythen, Märchen und Legenden zu unserer Region.“
„Ja, warum?“
„In vielen spielt eine Frau eine Rolle. Ich vermute, dass es immer die selbe ist. Es wird von ihrer besonderen Beziehung zu Pokémon gesprochen und wie sie verletzte heilt.“
„Jetzt wo sie es sagen, fällt es mir auch auf. Aber was hat dies mit der Reise zu tun?“
„Ich möchte wissen, wer diese Frau war“, sagt sie und schaut mir fest in die Augen. Sie scheint wirklich sehr entschlossen zu sein. Sie sieht mir meinen Zweifel wohl an, denn sie fährt fort:
„Es muss immer die selbe sein. Die Übereinstimmungen sind einfach zu groß, zumal sie aus unabhängigen Quellen stammen. Die Geschichten wurden nicht aufeinander abgestimmt, sie wurden unabhängig von einander erschaffen.“
„Sie meinen also, ich soll heraus finden, ob eine Frau existiert hat und wer sie war, nur indem ich alte Geschichten durchsuche?“ Keine sehr verlockende Aussicht, wobei ich auch immer noch an der Theorie der Professorin in Sachen ein und die selbe Person zweifel.
„Nicht ganz, du hast die Reise vergessen. Uns sind nur die häufigsten Geschichten bekannt. Du sollst durch die ganze Region reisen und auch die unbedeutenden Geschichten notieren.“
„Und diese unbedeutenden Geschichten helfen mir dann, alles über diese Frau herauszufinden.“
„Ganz genau. Also, was sagst du?“ Ich werfe meiner Mutter einen fragenden Blick zu. Wenn sie mir die Reise verbieten würde, müsste ich mich gar nicht erst entscheiden.
„Oh nein Schätzchen, das musst du schon alleine entscheiden.“ Na toll. Und was nun? So wirklich begeistert bin ich nicht. Viel lieber beschäftige ich mich mit Medizin. Nein, ich glaube ich werde das nicht machen.
„Nun Kami, wie entscheidest du dich?“, fragte sie mit erwartungsvoller Stimme. Ich enttäusche sie nicht gerne, aber die Reise ist halt einfach nichts für mich.
„Es tut mit leid, meine Interessen liegen mehr im Bereich der Medizin und ein wenig auch in der Allgemeinen Pokémonforschung.“ Komischerweise macht ihr meine Absage rein gar nichts aus. Sie sitzt einfach da und schmunzelt.
„Das spricht doch nun wirklich nicht dagegen“, wendet sie ein und blickt mich mit einem wissenden Lächeln an. Sie neigt ihren Kopf in Richtung ihres Assistenten und bitten ihn etwas aus einem Rucksack zu hohlen. Erst jetzt fällt mir dieser auf; ich habe ihn wahrscheinlich wegen seiner braunen, unscheinbaren Farbe übersehen. Nach kurzem Suchen befördert Gabriel ein Gerät zum Vorschein. Es erinnert ein wenig an einen Laptop, ist aber kleiner; ungefähr die Größe eines DIN A5 Blattes. Von der Farbe her ist es auch nichts besonderes, sondern einfach nur ein mattes schwarz. Interessiert beäuge ich diesen komischen Mini-Laptop, so etwas habe ich nun wahrlich noch nie gesehen.
„Anita, was hast du denn da mitgebracht?“, fragt meine Mutter. Anscheinend weiß sie auch nicht, was dieses Ding ist oder warum die Professorin meint, dies könnte mich dazu bewegen mitzukommen.
„Das hier stellt die neueste Technik auf dem Gebiet der Pokémonforschung dar. Seit Jahrzehnten bekommen junge Trainer dieses Gerät auf ihre Reise mit. Natürlich ist diese Version nicht das erste Modell, immer bessere Technik ermöglichte das ursprüngliche Gerät immer weiter zu perfektionieren. Ihr seht vor euch:den Pokédex“, antwortete unser angesprochener Gast. Vollkommen überzeugt bin ich allerdings noch nicht. Ich muss zugeben, dieser Pokédex hat mich neugierig gemacht, aber warum sollte ein Gerät mich davon überzeugen Unannehmlichkeiten und Gefahren einer solchen Reise in Kauf zu nehmen, zumal ich immer noch nicht davon überzeugt bin, dass ich nicht einfach einem Hirngespinst nachjagen würde. Da muss sie schon noch ein Ass im Ärmel haben und mit etwas besserem ankommen.
„Gabriel“, spricht sie ihren Assistenten an und unterbricht somit meine Gedankengänge, „Würdest du Kami und selbstverständlich auch ihrer Mutter bitte den Pokédex anhand deines Exemplares vorstellen. Sie sollen schließlich in den Genuss einer Vorstellung seiner ganzen Funktionen kommen.“ Ich glaube, sie ist ziemlich überzeugt von diesem kleinen Gerät. Am besten lass ich mich einfach mal überraschen.
„Also, wie schon gesagt nennt sich dieses kleine Wunder der Technik Pokédex“, beginnt Gabriel mit seinem Vortrag. Komischerweise ist von der schüchternen Zurückhaltung, die er bis jetzt die ganze Zeit an den Tag legte, rein gar nichts mehr zu merken; richtig selbstsicher spricht er jetzt.
„Sein eigentlicher Sinn ist das Erfassen von Daten verschiedener Pokémon. Trifft man auf ein unbekanntes Pokémon, klappt man ihn auf, tippt hier auf das große Feld und richtet den Bildschirm auf besagtes Pokémon. Dieses darf sich jedoch nicht weiter als fünf Meter von einem entfernen, deswegen gibt es auch die Möglichkeit Fotos von einer handelsüblichen Kamera darauf hoch zuladen. Man muss nur die Speicherkarte der Kamera in dieses Fach legen, auf einen dort erscheinenden Button drücken und -“
„Gabriel, bitte. Langweile sie jetzt nicht mir Einzelheiten. Es geht nur darum, dass sie wissen, was ein Pokédex kann; sie müssen sofort wisse, wie man diese Funktionen nutzt. Du kannst es Kami erklären, sobald sie ihren eigenen hat“, unterbricht die Frau namens Anita ihren Assistenten. Während er über die einzelnen Nutzungsmöglichkeiten geredet hat, zeigte er auf bestimmte Stellen auf dem Bildschirm und an dem Gerät. Merken konnte ich mir diese jedoch nicht; Technik ist nicht so sehr mein Fall.
„Entschuldigung. Ich hatte nicht vor, euch mit meinem Vortrag zu ermüden“, bringt er eilig hervor. Schuldbewusst richtet er seinen Blick gen Boden und sitzt dort mit hängenden Schultern. Die Ermahnung der Professorin hat ihn wohl verschreckt, er wagt auf jeden Fall keine erneuten Versuch und den Pokédex näher zu bringen.
„Das Wichtigste, nämlich das erfassen von Daten, hat Gabriel schon genannt. Man kann aber nicht nur das Aussehen eines Pokémon speichern, sondern auch alle beliebigen Forschungsergebnisse zu dem jeweiligen Pokémon eintragen. Man hat sehr viele Möglichkeiten den eigenen Pokédex individuell einzurichten. Das fängt auch schon an bei der Farbe an, man kann zwischen einer Vielzahl von Farbtönen den liebsten wählen; in Gabriels Fall war es schwarz.“, erklärte sie an Gabriels Stelle weiter.
„Man kann alles mögliche damit aufzeichnen, da sind Fußabdrücke und Rufe nur ein paar weitere Beispiel. Nicht zu vergessen, Vernetzung ist ein weiteres gutes Stichwort. In jedem Pokécenter steht dir ein Automat mit einer globalen Datenbank zur Verfügung. Sei es, weil du einem gesichteten Pokémon keinen Namen zuweisen kannst oder weil du einfach gucken möchtest, was andere über ein Pokémon herausgefunden haben, der Pokédex macht es möglich. Deine Daten werden auch nur mit deiner ausdrücklichen Erlaubnis für alle in der Welt zugänglich gemacht. Also, was sagst du?“ Das sind eine Menge Informationen, über die ich erst mal nachdenken muss. Soll ich wirklich diese Reise wagen? So ein Pokédex wäre schon nützlich und ich könnte allerlei neue Pokémon kennenlernen und erforschen, aber ich weiß nicht, ich wäre sehr lange von zu Hause fort. Meine Mutter wäre dann ganz allein hier.
„Ich bekomme also für die Dauer der Reise dieses Gerät zur Verfügung gestellt und danach?“, fragte ich. Das hätte ich eventuell so nicht sagen sollen, denn die Professorin lächelt nun siegessicher. Sie glaubt wohl, sie habe mich überzeugen können. Hat sie es etwa nicht? Ich wäge doch schließlich die Option einer Reise gerade ab und es fällt momentan sehr zu Gunsten des Anliegen der Professorin aus. Es könnte also sein, dass sie mich überzeugt hat.
„Den Pokédex darfst du natürlich sein Leben lang behalten und selbst nach deinem Tod könntest du ihn vererben. Er würde dir also vollständig gehören.“ Selbst wenn sich diese Expedition als total sinnlos erweist, würde der Pokédex trotzdem noch mein sein. Ja, ich denke, ich sollte diese Erfahrung machen. Wann hat man schließlich diese Chance? Aber, da ist noch meine Mutter. Sie sagte zwar, sie überlasse mir die Entscheidung, jedoch frage ich mich, ob es wirklich für die in Ordnung wäre. Ich werfe ihr einen kurzen Seitenblick zu und habe nun die Gewissheit, dass sie einen solchen Trip unterstützt. Ihr aufmunterndes Lächeln spricht einfach Bände.
„Nun gut, ich bin dabei“, gebe ich meine Einwilligung lächelnd kund.
„Hervorragend!“, ruft sogleich die Professorin und springt schon auf, „Wir sollten keine Zeit verlieren. Ich rufe gleich in meinem Labor an und lasse mir eine Pokédex für dich schicken. Welche Farbe möchtest du eigentlich haben?“ Sie ist voller Tatendrang und ist anscheinend gar nicht mehr zu stoppen.
„Ginge laubgrün?“, frage ich, um die kurze Chance etwas zu sagen nutzen zu können.
„Selbstverständlich. Aber ich befürchte, ihr könnt erst morgen aufbrechen. Dein Pokédex muss erst per Eilpost geliefert werden und du musst ja auch noch packen.“
„Moment mal. Ihr?“ Sagte sie gerade wirklich 'ihr'? Sie hat bis jetzt nicht erwähnt, dass ich nicht alleine unterwegs sein würde. Was meint sie nur?
„Oh, aber natürlich. Gabriel wird dich begleiten. Ihr werdet als Team arbeiten und mir so das gewünschte Ergebnis liefern. Er ist schließlich Forschungsassistent und eine Forschungsreise ist da genau das richtige für ihn. Zudem bist du dann nicht alleine weg und hast jemanden zum reden. Hast du ein Problem damit?“
„Nein, wieso sollte ich auch?“, antworte ich ein wenig verlegen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen dass Gabriel ein großartiger Gesprächspartner sein wird, aber man sehen, was die Zukunft bringt. Ich gucke kurz zu ihm und bemerke, dass ich ihn wohl ein wenig gekränkt habe. Er weicht meinem Blick aus uns sieht allgemein recht traurig aus. Die Professorin bemerkt dies aber nicht oder interessiert sich nicht dafür, denn augenblicklich fängt sie an mir mitzuteilen, was ich unbedingt mitnehmen müsste und ist ein paar Atemzüge später auch schon mit kurzen Abschiedsworten Richtung Pokécenter geeilt,um sich ein Zimmer für sich und ihren Gehilfen zu nehmen, sowie alles für die bevorstehende Abreise zu organisieren.
Ich fühle mich gerade ein wenig überfordert mit der Situation. Alles geht auf einmal so schnell. Meine Mutter scheint zu Ahnen, was in mir vor geht, denn sie nimmt mich liebevoll in den Arm und flüstert: „Alles wird gut, mein Schatz.“ Ich hoffe sie hat hat recht. Ich löse mich aus ihrer Umarmung und überlege schon, was ich alles mitnehmen werde, als sie mich mit der Frage nach dem zukünftigen Verbleib des Taubsis aus meine Gedanken reißt. Ich hatte den kleinen Vogel doch tatsächlich nicht bedacht. Mitnehmen kann ich sie nicht und da lassen … Würde meine Mutter da mit klar kommen?
„Mitnehmen kann ich sie auf keinen Fall, der Flügel ist gebrochen und braucht Ruhe“, schildere ich meiner Mutter mein Dilemma und gucke sie dabei bittend an.
„Ach, na gut. Wenn du mir sagst, was genau ich tun muss, kümmere ich mich um das kleine Ding“, willigt sie schließlich nach kurzem Zögern ein.
„Danke, du bist die Beste!“, rufe ich aus, drück ich auch sogleich noch einen Kuss auf die Wange und verschwinde in mein Zimmer, um nach dem Vögelchen zu sehen. Es liegt friedlich in seinem Korb und schlummert selig vor sich hin. Ein Schauer überkommt mich, als ich an diesen komischen Augenblick von vorhin dachte. Was ist da verdammt nochmal passiert? Der Gedanke, von ihr getrennt zu sein, schmerzt auf eine sonderbare Art und Weise. Was hat dieses Pokémon nur an sich, dass es mich so verzaubern kann? Zuvor ist mir so etwas noch nie passiert, also warum genau jetzt und bei diesem Pokémon? Es ist wahrscheinlich sogar gut, wenn ich dieses Taubsi nicht auf die Reise mitnehmen kann. Für Forschungsarbeiten brauche ich einen klaren Kopf und ich glaube, sie würde für diesen Zustand nicht gerade förderlich sein. Ach verdammt, ich sollte eigentlich packen, aber stattdessen knie ich hier vor dem Korb und betrachte sie verträumt. Ich muss mich jetzt endlich mal zusammenreißen. Also, mein Gepäck darf nicht zu schwer werden, es muss aber alles wichtige enthalten. Schlafsack und eine medizinische Grundausstattung sollten auf alle Fälle mitkommen, des weiteren wäre ein auffüllbare Trinkflasche gut und eine Taschenlampe könnte auch hilfreich sein. Solche Dinge wie Zahnputzsachen dürfen auch nicht vergessen werden, Proviant muss auch genügend vorhanden sein und eine Karte von Unova ist unabdingbar. Ich merke schon, ich habe noch eine Menge zu tun, bevor es morgen los geht.
Grübelnd betrachte ich den Rucksack, der in der Mitte meines Zimmers steht. Der Schlafsack verbraucht den meisten Platz, ist aber auch unbedingt von Nöten. In einem kleinen Seitenfach habe auch noch mein Portemonnaie untergebracht. Mir fällt zwar nicht ein, was ich noch mitnehmen müsste, aber trotzdem bin ich mir nicht sicher, alles Wichtige eingepackt zu haben.
Wie ich so dasitze, bemerke ich zunächst nicht, wie mich braune Augen anschauen. Erst, als ein kurzes, vogelrufähnliches Geräusch meine Ohren erreicht, wende ich meinen Kopf überrascht der kleinen Dame zu. Ich habe nicht erwartet, dass sie schon wach ist. Ihre Augen sehen so gütig und dankbar aus … Moment mal, kann man aus den Augen eines Pokémons so etwas wirklich herauslesen oder interpretiere ich da etwas hinein, was ich mir wünsche? Wünsche ich mir denn, dass sie mich mag?
„Na du Süße, bist du schon wach?“, spreche ich das kleine Vögelchen an. Ich lächle sie dabei und empfinde so etwas wie einen mütterlichen Instinkt; ich will sie beschützen, um jeden Preis. Es ist wirklich komisch, dass ich solche Gefühle für ein Pokémon hege und schon wieder frage ich mich: Warum bei ihr? Es gibt so viele andere Monsterchen, um die ich mich gekümmert habe, aber so etwas ist wirklich noch nie passiert. Ich verstehe auch nicht wirklich warum und das macht mir schon ein klein wenig Angst. Für alles gibt es eine logische Erklärung; ich muss einfach nur herausfinden, wieso es ausgerechnet bei ihr so ist. Nun ja, ich habe nicht gerade das Gefühl, das dies leicht werden wird, aber ich hoffe, dass ich eine Erklärung dafür irgendwann finden werde.
Schon wieder lässt sie von sich hören und zieht damit meine Aufmerksamkeit erneut auf sich. Wie auch schon zuvor, muss ich ihr einfach in ihre Augen blicken. „Du willst wohl, dass ich mich mit dir beschäftige, To - “ Ich lasse meinen Satz unbeendet und mir fällt auf, dass ich sie doch fast Toby genannt hätte. Dieser Name passt nun wirklich nicht zu ihr; sie braucht einen neuen, nur welchen? Die Entscheidung ist gar nicht mal so einfach; es gibt so viele Namen, aber welcher nur passt zu ihr? Plötzlich kommt mir ein Name in den Sinn, der nicht mehr aus meinem Kopf weichen möchte. Schließlich drehe ich mich zu ihr, da ich beim Grübeln den Boden mit meinen Blicken durchlöchert habe, und verkünde mit einer ein wenig feierlich klingenden Stimme: „Ab heute soll dein Name nicht mehr Toby, sondern Tomoko lauten.“ Meine Aussage wird mit einem Ruf ihrereseits zu Kenntnis genommen und vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich habe den Eindruck, dass ihr Ausruf erfreut klang.
„Kamilein, hast du nicht etwas vergessen?“, ertönt die Stimme meine Mutter und wenige Sekunden später steht sie auch schon in meiner Tür und schaut mich fragend an. Ich möchte auch schon zu meiner Verteidigung ansetzen, jedoch lässt sie mir keine Zeit, da sie auch schon neben Tomoko kniet und sie liebevoll ansieht.
„Oh Arceus, was ist nur mit dem kleinen Ding geschehen? Es trägt ja einen Verband um den Flügel.“ bestürmt die mich so gleich darauf mit Fragen und sieht mich auffordernd an. Gefügig seufze ich noch kurz und will beginnen, meine Verpsrechen zu halten und ihr alles zu erzählen, doch sie ist mal wieder schneller und sagt: „Nein, nein, das wirst du mir beim Essen erzählen. Hast du denn keine Hunger? Es ist schon fast Zeit für das Abendessen und du hattest nichts zu Mittag. Ich zumindest könnte ein ganzes Galoppa verdrücken.“
Ich habe wohl keine andere Wahl, als jetzt etwas zu Essen und ihr alle zu erzählen, daher stehe ich auf und folge meiner Mutter, die sich ebenfalls erhoben hat, ins Wohnzimmer, wo auch ein Esstisch steht. Sie hat alles schon bereit gestellt und daher setzte ich mich nur noch an den Tisch und gucke gleich darauf in den auf dem Tisch stehenden Topf. Was ich erblicke, lässt mein Herz ein wenig höher schlagen, eine lecker Linsensuppe befindet sich darin. Beim Anblick der braunen Linsen, die mit kleinen Karotten- und Kartoffelstückchen in der generell bräunlichen Suppe schwimmen, läuft mir das Wasser im Munde zusammen und es fällt mir ein wenig schwer, mich zu beherrschen; am liebsten würde ich mich sofort darauf stürzen, aber ich warte artig, bis meine Mutter die Salatschüssel, die sie eben noch schnell aus der Küche geholt hat, abstellt und sich setzt.
„Nimm dir ruhig“, fordert mich meine Mutter auf, als sie sieht, wie hungrig ich aussehe. Es ist so viel heute geschehen, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie der Hunger langsam an mir nagte, aber der Geruch, dieses köstlichen Essens, lässt mir meinen knurrenden Magen bewusst werden. Eilig nehme ich ein paar Kellen der Suppe und beginne diese gierig in mich hinein zu schlingen. Nachdem ich den ersten Teller geleert habe und mir nun ein wenig Salat auf diesen tue, gucken mich die Augen meiner Mutter neugierig an und ohne das sie etwas sagen muss, weiß ich, dass ich ihr die Ereignisse des Tages berichten soll. Ich fange an der Stelle an, wo ich auf Annabell traf und ende mit den Worten:
„... nun aber habe ich sie Tomoko getauft.
„Verstehe, dann war heute wirklich ein aufregender Tag für dich. Hast du schon alles für die morgige Reise gepackt?“
„Ja, es ist alles schon fertig. In dem Rucksack, den du in meinem Zimmer gesehen hast, befindet sich das Nötigste“, erwidere ich mit beruhigender Stimme. Ich glaube, sie freut sich zwar, dass ich diese Chance bekommen habe, aber so wirklich gerne lässt sie mich nicht gehen. Ich bin nun mal ihr einziges Kind und da macht sie sich halt besonders Sorgen um mich. Ich werde ihr möglichst oft schreiben, damit sie weiß, dass es mir gut geht.
Wir reden noch ein wenig während des Essens und nachdem ich ihr geholfen habe, die Sachen nach dem Essen in die Küche zu bringen, gehe kurz ins Bad Zähneputzen und danach in mein Zimmer. Ich ziehe mir mein hellblaues Nachthemd an, knipse das Licht aus, und tapse durch das nur noch vom Mondlicht, welches gedämpft durch die Gardinen scheint, sodass man grobe Schemen erkennen kann, erhellte Zimmer und lege mich letztendlich in mein Bett.
„Gute Nacht, Tomoko“ raune ich dem Pokémon noch zu, aber ich vermute, dass sie schon schläft, da von ihr nicht mehr zu hören ist. Vielleicht hat sie aber auch einfach keine Lust etwas von sich zugeben; wer kann das schon mit Genauigkeit sagen.