Die Dunkelheit hatte mich zu Boden gedrückt. Ich wusste nicht, ob es die Angst war, die mich nicht aufstehen liess oder der Slenderman selbst, von dem ich als einziges seine langen dünnen Beine sah. Mehrmals wollte mein Gehirn abschalten und endlich ausruhen, doch ich kämpfte dagegen an. Ich wollte nicht sterben und genau bei diesem Gedanke fiel es mir wieder ein.
„Der Stift.“, keuchte ich und sah, dass es unter dem Auto lag.
Ich schaute langsam meine Hand an. Ja, es war drauf, dachte ich und wurde ein wenig selbstsicherer, doch genau in diesem Augenblick, schnellten seine schwarzen blutbefleckten Tentakel hervor und packten mich am Körper. Er zog mich mit ungeheuerlicher Kraft hinauf, bis ich keinen Boden mehr unter meinen Füssen hatte. Und nun sah ich es. Sein völlig vermummtes Gesicht, denn er hatte keines. Wie ein Bankräuber mit einer weissen Maske, doch weitaus schlimmer. Ich wollte meine Hand erheben, doch er hatte urplötzlich seine kalte Hand fest um meine gedrückt. Ich konnte meine Hand nicht mehr öffnen. Ich hatte Panik. Wie soll ich ihm jetzt noch besiegen, dachte ich und Tränen flossen mir wieder über mein Gesicht. So sehr ich mich auch wandte und schüttelte, er liess nicht locker. Die Tränen flossen mir bis zum Kinn runter, wo es auf meiner Handfläche tropfte und zwischen den Fingern wegfloss.
Ich hatte verloren, doch plötzlich nahm der Slenderman wie von einem Blitz getroffen, rasend schnell seine Hand weg und liess mich sofort los. Ich sah wie aus seiner Hand Dampf ausstieg. Genau auf der Stelle auf den meine Träne runtertropfte, waren mehrere Brandflecken drauf. Schmerzend fasste er sich auf seien andere Hand, doch das machte es nur noch schlimmer, denn sofort war die andere Hand auch davon betroffen. Das war meine Chance! Sofort streckte ich meine rechte Handfläche raus und richtete sie exakt auf den Slenderman.
„Nimm das du Wichser!“, schrie ich wütend.
Mit einem Mal begann meine gesamte Handfläche in einem schwachen Blau zu leuchten. Ich fühlte förmlich wie die Kraft und Energie durch meinen Körper flossen. Das Licht war so stark, dass es die ganze Strasse erhellte, doch das war nicht die einzige Wirkung. Mit hilflosem Blick, hielt der Slenderman schützend seine Hand vor sein Gesicht, doch es brachte nichts. Ich sah wie all die finsteren und bösen Seelen, aus seinem Körper entschwanden und im bläulichem Licht sich auflösten. Auch er hatte keine Chance mehr, denn das Licht war so stark und hell, dass sein gesamter Körper zu brennen begann. Blaues Licht breitete sich über seinem Körper aus. Sein Anzug löste sich sofort in den Flammen auf, bis ein einziger nackter Körper dastand, welches ohne zu zögern äusserlich, wie auch innerlich, in allen Einzelteilen vebrannte. Ich hörte nur noch einen dumpfen tiefen Schrei, bevor er mit einem Knall verschwand.
Er war weg. Mit einem erschöpften Gefühl, fiel ich um.
„Jenny, Jenny?“, fragte mich eine bekannte Stimme immer wieder.
Ich wurde ständig geschüttelt, bis ich endlich mit einem verschlafenem Gefühl aufwachte. Im ersten Moment sah ich noch ziemlich verschwommene Gesichter vor meinen Augen, doch mit der zeit wurden sie klarer und ich erkannte so viele bekannte Gesichter.
„Mom, Dad? Jimmy? Herr Fisherman und Sheriff Seward? Sogar du Aylin?“, fragte ich erstaunt und nahm sofort ihr Arm im Griff, um aufzustehen.
Sie lachte und begann mich in den Armen zu nehmen.
„Ich bin so froh, dich wiederzusehen.“, sagte sie voller Freude und begann zu weinen. „Wir alle dachten schon, du seist tot.“
„N-Nein, dank deiner Hilfe Aylin.“, sagte ich dankbar und zeigte meine Hand. „Huch, ist die Farbe denn schon etwa weg?“
„Meinst du etwa das Gekritzel mit dem blauen Filzstift.“, sagte Jimmy und lächelte. „Du liegst schon seit mehreren Tagen im Spital.“
Ich sah ihn erstaunt an, denn erst jetzt bemerkte ich, dass er noch lebt. Zwar hier und da Verband, an der Stirn eine, am Bauch eine und auch an der linken Hand hatte er Gips dran. Ich war so überglücklich, dass sie alle noch am Leben sind, dachte ich und mir waren schon wieder die Tränen fast nahe, bevor mich Jimmy liebevoll in den Armen nahm.
„Na ja, uns hat es etwas schlimmer erwischt als dich, von den Äusseren Verletzungen her.“, sagte er und zeigte noch schnell auf Herr Fisherman und dem Sheriff, der übrigens auf einem Rollstuhl sass.
„Na, ich lebe ja noch zum Glück. Ein paar Knochenbrüche und Blutergüsse … Hahaha!“, sagte er lachend im Rollstuhl.
„Klappe Michael.“, sagte Herr Fisherman und schlug seinen Krückstock humorvoll auf dem Kopf des Sheriffs. „Ich habe eine Gehirnerschütterung gehabt.“
Wir alle lachten herzhaft und erzählten uns noch lustige wie auch interessante Geschichten, in meinem Krankenzimmer, im Spital. Ich hätte nie gedacht, dass es so lustig und schön, nach so einem Ereignis wäre. Aber, dann kam plötzlich die Frage auf, die sofort alle aufhorchen liessen.
„Wie hast du ihn eigentlich getötet?“, fragte mich der Sheriff in einem wenig ernsten Ton.
„Fragen Sie Aylin, ohne ihre Hilfe hätte ich es nie geschafft.“, sagte ich lächelnd und schaut zu ihr rüber.
„Was, ich?“, fragte sie in einem völlig verdutztem Ton.
„Ja, du erschienst mir in einem Traum und hast mich auf dem Basar in Istanbul hingewiesen. In den Ferien, weisst du noch?“, sagte ich und streckte meine Hand raus.
„Doch nicht etwa das mit dem Nazar-Amulett?“, fragte sie verdutzt.
„Was ist denn den mit diesem Amulett?“, fragte Herr Fishermann neugierig.
„Na ja, es gibt in unserem alten Volksglauben ein Abwehrzeichen gegen böse Geister, sogenannte Dschinn.“, fing Aylin an zu erzählen und alle hörten gespannt zu. „Das nennt sich Nazar-Amulett und ist ein Amulett mit einem blauen Auge. Eigentlich ein schönes Souvenir für Touristen, doch für uns, besser gesagt für die ältere Generation, ist das das einzige, was einem Dschinn aufhalten kann. Das Amulett wird deshalb oft mit der Hand des Fatima in Verbindung gebracht. Fatima war die Tochter von Mohammed, müsst ihr wissen. Das blaue Auge soll demnach nicht nur Dschinn abwehren, sondern auch den bösen Blick.“
„Und dieser Slenderman hatte also einen bösen Blick oder wie?!“, fragte Jimmy verdutzt. „Deshalb hast du dir also ein blaues Auge auf deiner Handfläche gemalt!“
„So sieht es aus.“, antwortete Aylin und lächelte. „Keine Sorge, er wird nie wieder zurückkehren.“
Mit einer ruhigen Miene sah ich zum Fenster hinaus. Die Sonne strahlte eine unglaubliche Helligkeit und Schönheit aus und machte unser Helena wunderschön. So schön war es nämlich schon lange nicht mehr gewesen. Es war nicht wie in einem Horrorfilm, indem der Antagonist wieder unerwartet dort draussen stand und einem anstarrte, nein, er war weg. Und zwar für immer.
Mit einem letzten Blick, riss ich mein Kreuz vom Hals und sah die Kette an, bevor ich es unter meinem Kopfkissen legte und Aylins Hand in meine nahm.
„Wir müssen dringend mal wieder was unternehmen, Aylin.“, sagte ich lächelnd.
„Ja.“, antworte sie lächelnd.