Kapitel 6: Besser, als nichts zu tun?
Tony ächzte und stöhnte, als er mit seinem kleinen Propeller auf dem Kopf und dem Hab und Gut seines Ex-Vorgesetzten über die Dürrevulkan-Galaxie flog. Die letzte Befehl, den Kamella ihm wutentbrannt entgegengeschleudert hatte, war ihm noch gut im Gedächtnis geblieben: „Sorg dafür, dass der Kauz sein Zeugs nicht wiedersieht! Und wehe, du verpatzt es!!“
Bei dem Gedanken an die mögliche Bestrafung musste der Toadie schlottern. Kurz darauf hatte sie ihm gesagt, er sollte die Warpröhre zur Dürrevulkan-Galaxie nehmen und die Umhängetasche, den Zauberstab und den Besen in die Lava werfen.
Die Luft war unangenehm stickig und heiß und Tony begann, unter seinem roten Anzug zu schwitzen. Die toten Bäume, die er überflog, waren alles andere als angenehm anzusehen und so versuchte er, seinen Blick möglichst am Vulkan zu halten, der sich direkt vor ihm erstreckte. Heiß. Rauchend. Unnahbar. Das war also diese „neue Welt“… Von den genaueren Plänen König Bowsers hatte er nichts mitbekommen, anscheinend überließ er das meiste dieser violetthaarigen Hexe und ihren merkwürdigen, kleinen Feen.
Was ihn jetzt aber mehr beschäftigte war der Inhalt von Kameks Tasche. Es hatte keine genaueren Anweisungen von ganz oben darüber gegeben und Kamella war anscheinend nicht fähig dazu gewesen, sie zu öffnen, anscheinend war sie durch eine Art Zauber geschützt. König Bowser hätte sich bestimmt für ihren Inhalt interessiert, aber dann hätte Kamella vor ihm zugeben müssen, dass ihre Magie weitaus schwächer war als die Kameks und hielt es deswegen für besser, sie zu entsorgen. Das hielt Tony jedenfalls für möglich, denn ihm war schon vorher ihre übermäßige Eitelkeit aufgefallen.
Plötzlich vibrierte die Luft und der Boden schien zu beben. Der Toadie erschrak und kauerte sich in der Luft zusammen und ehe er sich versah hatte er tatsächlich… Er sog scharf die Luft ein. Jetzt hatte er tatsächlich alles fallen gelassen! Ein gigantischer Schatten zeichnete sich am Horizont. Was war nun wichtiger? Sein Leben riskieren und seinen Auftrag erfüllen oder Kamella einfach anzulügen? Panisch entschied er sich für letzteres und machte sich ohne einen zweiten Gedanken einfach aus dem Staub.
Als Rosalina wieder aufwachte, konnte sie sich vor lauter Kopfschmerzen nur schwach an das erinnern, was vorher geschehen war. Es hatte eine Art Erdbeben gegeben, Luigi war plötzlich neben ihr zusammengeklappt… Und anscheinend hatte sie selbst auch eine Art Schlag auf den Kopf bekommen und war bewusstlos geworden.
Stimmt, wo waren Luigi und Alis? Schnell schreckte sie hoch und hörte ein metallenes rasseln. Ihr rechtes Bein war angekettet. Neugierig blickte sie sich um. Sie saß in einer Art zimmergroßem Vogelbauer, der mit Stroh ausgelegt war. Außerhalb der Gitter konnte sie Steinwände erkennen, unter denen etwas glühte. Sie richtete sich auf, ging näher an die Gitterstäbe heran und blickte nach unten. Direkt vor ihr erstreckte sich qualmend ein gigantisches Lavabecken, an dessen Rändern sich zwerplanetenbreit ein Ring aus Gestein erstreckte. Zu ihrer linken befand sich ein gigantischer Ausgang, ungefähr so groß wie Peachs Schloss und zu ihrer rechten schien sich ein gewaltiges, aus Stein gehauenes Regal zu befinden, in dem allerdings nichts war, außer einem silbernen Funken, der unter einer Glasglocke zu schweben schien. Sie kniff ihre Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Dieser Funke schien einen Körper zu besitzen, fünf Zacken, zwei große, schwarze Augen… Das war doch der Luma, der sie auf die Erde begleitet hatte!
„Luma!“, rief die Sternenmutter ihrem Kind zu, doch es reagierte nicht. Die Entfernung war wohl zu groß und unter dieser Glocke war es wohl auch schallabgeschnitten von der Außenwelt. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf ihre Knie sinken. Von Luigi und Alis keine Spur.
Kurz darauf erschütterte wieder dasselbe rhythmische Beben wie auch zuvor die Umgebung und es schien immer lauter zu werden. Rosalina blickte zum Eingang des gewaltigen Raumes und machte sich innerlich auf das gefasst, was ihr nun entgegentreten würde.
Ein gigantischer Zyklop mit roter Haut und ledernem Lendenschurz trat hindurch, aus seinem Maul lugten zwei nach oben zeigende, spitze Reißzähne. Die Blondhaarige sog erschrocken die Luft ein. Das war also das schreckliche Wesen, das sie in diesen Käfig gesperrt hatte.
Mit großen Schritten kam er direkt in ihre Richtung und sie wich mit panischem Blick zurück. Sie hatte weniger Angst, eher machte sie sich Sorgen um die anderen. War Luigi von diesem Wesen getötet worden?
Der Zyklop kam näher.
Rosalina hob abwehrend die Hand und schloss die Augen, als er mit seiner gigantischen Hand in den Käfig fasste. Doch nichts geschah. Sie wurde nicht gepackt, nicht gedrückt, allmählich nahm sie ihren Arm wieder herunter und blickte vor sich. Vor ihr lag ein etwas größerer Teller, ähnlich einem Tablett, auf dem ein wenig gekochtes Fleisch lag. Erstaunt betrachtete sie den Zyklopen. Dieser blickte sie mit einem sanften Ausdruck in seinem Auge an, als wäre sie ein wunderschöner Singvogel, der von seinem Halter beobachtet wurde.
Allmählich schritt sie näher an das Monstrum heran und war etwas verwirrt. Was ging hier vor?
„Kyah, kyah! Aufwachen!“
Schmerz. Abrupt fuhr Luigi herauf, sein Kopf dröhnte und er rieb seinen Kopf unter der Mütze. Mit einem Mal erwachte seine Erinnerung und er sprang auf. „Rosalina! Wo…?“
Alis flog direkt in sein Gesichtsfeld mit einem besorgten Gesichtsausdruck. „Du bist Ohnmächtig geworden, als du von dem Zeug da getroffen wurdest. Ich dachte, du wachst auf, wenn ich an deinem Schnurrbart zupfe.“
Als die Hymna „das Zeug“ sagte, zeigte sie auf den dürren Boden und der Klempner blickte hinterher. Dort lagen ein Zauberstab, eine schwarze Umhängetasche und ein zerbrochener Besen. Luigi kniete sich hin und nahm den Zauberstab und die obere Hälfte des Besens in die Hand.
„Das sind doch Kameks Sachen…“, murmelte er, „Was machen die denn hier?“
Alis zuckte mit ihren kleinen Schultern. „Weiß nicht. Ist vom Himmel gefallen.“
Luigi blickte sich in der Gegend um. War Kamek etwa abgestürzt und lag irgendwo bewusstlos rum? „Kamek!“, rief der grüne Hobbyabenteurer, „Kamek!!“
Keine Antwort.
„Seltsam…“, murmelte er kurz darauf mit verschränkten Armen. „Weißt du eigentlich, was mit Rosalina ist?“
Die kleine Fee schüttelte den Kopf. „Nein. Sie wurde wahrscheinlich von diesem schattenhaften Ungetüm verschleppt.“, sie seufzte, „Ich hatte so Angst, ich bin sofort weggeflogen. Rah… Ich hätte etwas tun sollen…“
Luigi hatte das Verlangen, ihr zur Aufmunterung auf den Rücken zu klopfen, aber wahrscheinlich hätte er sie damit wegen ihres mickrigen Körpers auf den Boden geschleudert, also ließ er es lieber sein. Stattdessen sagte er: „Aber… Es ist doch ganz natürlich, dass man vor großen Ungetümen Angst hat, Alis. Ich bin da auch nicht anders.“
„Echt?“, die Hymna rückte an ihrer Brille, „Mh, okay… Ich denke, wir sollten sie suchen gehen.“
Luigi nickte. Zunächst war er sich unsicher, was er mit Kameks Zeug tun sollte, aber im nächsten Moment beschloss er, alles mitzunehmen. Man konnte nie wissen.
Also hängte er sich die Tasche um und nahm den Rest unter seinen Arm. Dann ging das ungleiche Duo weiter.
Die Luft stank unerträglich nach Gasen und der Klempner konnte seinen Hustenreflex nicht mehr unterdrücken und begann zu keuchen. Er hatte keine Ahnung, wohin er lief und wie er Rosalina finden sollte. Also lief er einfach weiter. Es war besser, als nichts zu tun.
Alis machte sich allmählich Sorgen um Luigi. Während sie immer weiter neben ihm her flatterte merkte sie, dass er allmählich immer schwächer wurde. Alleine würden sie diese Hürde niemals überwinden können. Doch was sollte sie tun? Sie war nur klein und schwach und noch nicht einmal ein richtiges Lebewesen. Sie konnte das Leid, dass die anderen ertrugen, nicht wirklich nachvollziehen. Aber sie wusste, dass sie Hilfe bräuchten. Doch woher?
Sie hatte keine Ahnung. In Gedanken versunken bemerkte sie die Dinge um sie herum gar nicht mehr. Sie suchte in den unzähligen Speichern ihrer Herrin nach Daten, wie die Menschen aussichtslose Situationen bewältigten. Dann stieß sie auf ein Wort.
Beten.
„Beten?“, fragte sie noch einmal laut vor sich her, woraufhin Luigi auf sie aufmerksam wurde.
„Was meinst du?“, fragte er. Doch er erhielt keine passende Antwort, stattdessen griff die kleine Fee seinen Zeigefinger und rief: „Luigi, lass uns um Hilfe beten! Das tun Leute wie du doch, oder?“
„Wie bitte?“ Alis erkannte in seinem Gesicht eine Mischung aus Amüsement und Verwirrung. „Klar, beten… Wer soll in dieser komischen Welt schon ein Gebet hören?“
Alis zuckte mit ihren kleinen Schultern. „Versuchen kann man es ja!“ Ohne auf die weiteren Worte von Luigi zu hören faltete sie darauf ihre Hände und rief in Gedanken: Bitte… Wenn mich irgendwer hören kann, dann komm und hilf uns! Bitte!
„Wer ist da?!?“ Kamek fuhr erschrocken herum, als er glaubte, eine weibliche Stimme gehört zu haben, die nach Hilfe rief. Aber es war nicht die von Yura. Ein Hirngespinst?
„Wohl kaum!“, widerlegte er sich kurz darauf selbst, „Was zum Henker…?“
Bitte hilf uns…
Er war definitiv verwirrt. Erst vor kurzem war er in durch die Warp-Röhre an diesen komischen Ort gekommen und hatte sich gerade vorgenommen, den Vulkan zu besteigen. Er war gerade auf halber Höhe gewesen, als ihn diese Stimme erreicht hatte.
Plötzlich begann die Erde zu beben und der Magikoopa wedelte verzweifelt mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten und den Hang nicht hinunter zu kullern.
Er war sich sicher, dass das, was er suchte, direkt in der Nähe war. Er würde danach suchen, da konnte er sich nicht auf irgendwelche seltsamen Stimmen fokussieren. Kurz darauf war das Beben verschwunden und der Magier lief weiter.
Bitte, wir brauchen Hilfe…!
Genervt warf Kamek seine Hände in die Luft. „Na schön… Na schön! Wenn du mich dann in Ruhe lässt?!“
Sofort drehte er sich um und flitzte den Hang hinunter, in die Richtung, aus der er die Stimme gehört zu haben glaubte. Er bezweifelte zwar, in seinem Status irgendwem helfen zu können, aber im Moment hatte er bis auf den Vulkan auch keinen Anhaltspunkt. Vielleicht konnte diese Person ihm ja auch weiterhelfen.
„Ich bezweifle, dass das funktioniert.“ Luigi saß im Schneidersitz da, seinen Kopf auf eine Hand gestützt, und sah zu, wie Alis sich lächerlich machte. Beten?
Der Klempner war bisher so gut wie nie auf solche Ideen gekommen. Und wer sollte in dieser komischen Dimension denn „Gott“ sein? Hatte Yura diese Welt nicht erschaffen? Na ja, Alis war eines ihrer… Schöpfungen, vielleicht betete sie ja zu ihrer Herrin? Luigi bezweifelte, dass diese Hexe darauf reagieren würde, wahrscheinlich würde sie die beiden einfach sterben lassen.
Doch da stellte sich dem Klempner die nächste Frage: Warum sollte Alis ihm denn helfen?
Plötzlich hallte ein heiserer Schrei durch die Luft und etwas Hartes landete in Luigis Nacken. Er selbst kippte vornüber und konnte wegen des Gewichtes auf seinem Rücken kaum atmen.
Alis hatte in der Zwischenzeit erschrocken aufgeschrien.
„Dieser gottverdammte Stein…“, murmelte die Person, diese Stimme kam Luigi äußerst bekannt vor.
„W-was… Wer…“, brachte der Klempner stöhnend hervor und gab mit ein paar ruckartigen Bewegungen seines Rückens zu verstehen, dass er hier unten lag.
„Ach, du bist es.“
Das Gewicht verschwand, die Person schien aufgestanden zu sein. Als der Grüne sich stöhnend aufrichtete und ihr ins Gesicht blicken wollte musste er erst einmal seinen Blick nach unten richten.
Bei der Person handelte es sich um Kamek. Kamek! Erschrocken schrie Luigi auf und schlug ihm mit der Faust direkt auf die Schnauze.
Der Magikoopa drehte sich kurz darauf mit einem Schmerzensschrei zur Seite und hielt sich mit beiden Händen das Gesicht. Wütend fauchte er: „Au… Was… Was sollte das, verdammt?!“
„Ach… Äh… Tut mir Leid…“, der Klempner rieb sich verlegen den Hinterkopf, „es ist nur so, immer wenn ich dein Gesicht sehe…“
„Jaja, schon klar!“, wurde er vom wütenden Magier unterbrochen, „Das assoziierst du ja gleich mit Feind! Schon gut…“
Für einen kurzen Moment war es still zwischen den Beiden, bis Luigi fragte: „Tja… und… Was machst du hier?“
„Geht dich nichts an.“ Die Antwort wurde knallhart zurückgeschleudert. Der Mützenträger wusste nicht wirklich, was er mit seinem Gegenüber anstellen sollte. Da kamen ihm wieder die Sachen in den Sinn, die beim Aufwachen neben ihm gelegen hatten.
Er blickte sich kurz um. Sie lagen direkt hinter ihm auf dem Boden. Für einen Moment wurde es ihm mulmig. Zuerst schlug er Kamek ins Gesicht und wenn der Magikoopa dann erfuhr, dass sein Besen zerbrochen war…
Na ja, es war ja auch nicht einhundertprozentig bestätigt, dass es Kameks Sachen waren, aber was würde er dann mit Luigi tun? Ihn in einen Frosch verwandeln?
Der Magikoopa hingegen schien abwesend in der Gegend herumzublicken. Anscheinend suchte er etwas. Leicht nervös räusperte sich der Klempner, zeigte auf die Sachen und sprach: „Tja, ähm, Kamek? Wirfst du bitte einen Blick darauf? Gehört das vielleicht dir?“
Er tat einen Schritt zur Seite und der Magikoopa legte seinen Kopf schief und verschränkte die Arme. „Tatsache.“
„D-der Besen war schon zerbrochen, nur so…“
Kurz darauf seufzte Kamek äußerst tief und deprimierend. Kurz darauf rückte er an seiner Brille und sagte emotionslos: „Siehst du das? Ich rolle mit den Augen. Aber klar, natürlich siehst du das nicht, ich trage ja eine Brille. Ist kein Problem, den kann ich irgendwann wieder reparieren.“
Zunächst hob er seinen Zauberstab auf und legte die schwarze Tasche um, anschließend machte er eine kurze, seitliche Bewegung mit seinem Stab und die Besenüberreste waren mit dem nächsten Lidschlag verschwunden.
Kurz darauf seufzte der Magier erneut, drehte sich von Luigi weg und sagte: „Ich bin dann weg. Mach was du willst, tu nur nichts unüberlegtes, okay?“ Schließlich wandte er sich zum Gehen.
Der Klempner hatte weder eine Ahnung, weshalb Kamek so deprimiert war, noch wusste er, was er nun tun sollte. Vielleicht sollte er ihm hinterherlaufen und ihm die Sache mit Rosalina erklären?
Als er sich umsah bemerkte er jedoch noch etwas anderes: Wo war Alis?