Besser spät als nie
Es war später Nachmittag in der Hafenmetropole Graphitport City. Von hier aus wird eine ungewöhnliche Geschichte ihren Lauf nehmen. Doch begonnen hat sie fern ab dieses Landes: In Isshu. Genauer gesagt in den westlichen Hainen Marea Citys. Vor 19 Jahren ward dort geboren ein Mädchen. Schön wie eine Blüte. Schwarzes Haar so unbeschreiblich wie das Fell des Meisters der Täuschung. Ein Lächeln so unwiderstehlich wie flüssiger Nektar der Wadribies. Verbunden mit der Natur als wäre sie Kobalium in Person. Man nannte sie Fleur. Als Tochter von hohem Rang stand ihr die Welt offen. Doch schon wenig später ward bestimmt und unveränderlich festgesetzt ihr Schicksal. Verwoben mit dem eines Zweiten. Nur wenn sie sich fanden würde die Welt den Morgen weiterhin sehen, denn die dunklen Wolken des Hasses zogen bereits am Himmel hinauf.
Montag 20. April 2013 – Graphitport City
12.50 Uhr
Wie jeden Tag in dieser Woche passierte die junge Frau mit der gewandartigen grünen Kleidung das Tor zum Radweg der Route 110. Ihr Oberteil war eine weitläufige waldgrüne Tunika, welche ihr fast bis zu den Knien reichte und an der Taille durch einen dunkelbraunen breiteren Ledergürtel betont wurde. Unter der Tunika trug sie ein ebenfalls grünes, etwas altertümlich anmutendes Top. Ebenso trug sie einen grünen Cape mit Kapuze, welcher ihr, aber nur bis zur Hüfte reichte, aber dennoch ihren Rucksack verbarg. Anstatt eines Fahrrads mit sich zu führen, trug sie Inliner. Der Aufseher nickte ihr freundlich zu. Er hatte sie die ganze Woche den Radweg besuchen sehen, er fand sie hübsch, aber hatte bis jetzt nicht den Mut aufgebracht sie anzusprechen. Er hatte sie die ganze Woche auf dem Radweg beobachtet. Dort hatte die Unbekannte mit dem blonden Haar, sich mit jedem auf dem Radweg duelliert, was dazu geführt hatte, dass alle Triathleten für den Rest der Woche das Laufen oder Schwimmen anstatt des Radfahrens trainieren gegangen waren. Sie skatete zügig los bis sie knapp auf der Kuppe des Radwegs war, wo keiner der Aufseher egal von welcher Seite aus sie mehr beobachten konnte.
Aus zuverlässiger Quelle wusste sie, dass heute die Videoüberwachung auf dem Radweg defekt war. Sie machte auf Höhe einer Anhöhe auf dem Weg unter dem Radweg halt, tauschte die Inliner gegen Lederstiefel aus, positionierte sich dort und zog den vermeintlichen Rucksack unter dem Cape hervor Es war Pfeil und Bogen. Sie schnallte sich den Köcher an ihren rechten Oberschenkel, befreite den Bogen aus seiner Schutzhülle und stülpte sich die Kapuze über den Kopf, denn irgendwie glaubte sie nicht, dass die Aktion komplikationsfrei verlaufen würde. „Adlerauge auf Position.“, vermeldete sie per Funk. „Staubsauger und Cargo auch“, kam die Antwort.
12.55 Uhr
„Ziel passiert gerade das Stadttor! Also Showtime!“, gab die Blondhaarige bekannt. Ein schwerer Lastwagen, der von einem Sicherheitskonvoi begleitet wurde, verließ Graphitportcity. Vor dem Laster fuhren drei Officer Rocky mit ihren Motorädern in V-Formation voraus, während hinter dem Laster nur ein Wagen mit voller Besatzung fuhr. Offensichtlich ist man davon ausgegangen, dass am Tag des Frühlingserwachen und seinen Feierlichkeiten keinerlei Risiko auf der kurzen Strecke nach Laubwechselfeld über Malvenfroh City zu erwarten war. Die Kolone steuerte auf die Anhöhe zu als plötzlich größere Steine von der Kuppe im schnellen Tempo herabrauschten. Diese Steine waren nur keine Steine, sondern ausgewachsene Geowaz. Die Spitze der Kolone war der Anhöhe schon zu nah, um noch rechtzeitig bremsen oder ausweichen zu können. Die Geowaz rollten derart schräg den Hang hinab, sodass sie als sie mit den Polizeimotorädern kollidierten, diese vom Weg ab in den Flusslauf zwischen Land- und Radweg stießen. Was den drei Rockies ein unverhofftes Bad verschaffte, bei welchem sie zwar mit ein paar Kratzern davon gekommen waren, aber ihre am Vorderrad komplett verformten, zum Totalschade degradierten Motorräder ging schneller unter als Steine. Der Lastwagen versuchte eine quietschende Vollbremsung. Allerdings verloren die Hinterräder des Anhängers den Halt und die Hinterachse versuchte das Führer Haus zu überholen, sodass der LKW beim endgültigen Stillstand schräg die gesamte Straße versperrte. Die Fahrerkabine hing fast in den Bäumen, welche die Straße auf der dem Fluss gegenüberliegenden Seite säumten, und das Heck fast in den Fluss reichte. Er stand perfekt, denn kurz vor dem Hang reißt jegliches Funk- Mobiltelefonsignal ab. Zwar kommt das Signal hinter dem Hang wieder, aber das würde den Beamten vor erst nichts nützen. Die Geowaz wurden von den drei Männern die den Hang hinab kamen, wieder zurückgerufen. Der Wagen hinter dem Lastwagen war nun vom Geschehen in der Front abgeschnitten. „Präzisionsarbeit!“, lobte Staubsauger. „Team 2 möchte aber auch noch Baden gehen“, merkte Adlerauge aufgesetzt scherzhaft an. Der Kerl hinter dem Operationsnamen Staubsauger war genial und derzeit unverzichtbar für die Organisation, aber sie mochte seine Art und damit mehr oder weniger ihn selbst überhaupt nicht. Sie traute ihm nicht, dennoch brauchte sie ihn hier und musste ihn bei Stange halten.
Die Beamten aus dem Schlussfahrzeug waren noch bevor, der LKW zum Stillstand gekommen war, herausgesprungen und ließen sich von einem ihrer Pokémon flankieren, während sie wachsam nach der Ursache des Chaos Ausschau hielten und sich gegenseitig Deckung gaben. Sie entdeckten sofort den maskierten Typen, als er aus den Bäumen auf sie zu geschlendert kam und eine Apparatur auf seinem Arm bediente. „Gentlemen, sie sehen mit Verlaub gesagt, äußerst schmutzig aus. Sie sollten sich den Reisestaub abwaschen gehen“, gab er süffisant von sich. „Bleiben sie stehen, schweigen und ergeben sich.“, blaffte der Bulligste von den Angesprochenen zurück. „Pfft, welch absonderliche Manieren. Sie wirbeln in ihrer aussichtslosen Lage eindeutig zu viel Staub auf.“ Einer der Beamten stürmte auf den Maskierten zu und wollte seiner habhaft werden, doch der Angegriffene schickte den Beamten mit einem Tritt zurück zu seines gleichen. Der Transportschätzer hatte damit nicht gerechnet, kam ins Taumeln und landete im Staub. Ein Weiterer befahl nun seinem Lorblatt den Maskierten mit einem Rankenhieb zu fesseln. Das Lorblatt schickte seine Ranken, verunsichert durch den Befehl, zögerlich aus und brach seine Attacke komplett ab als ein Schwarm Taubsi am Himmel über den Beamten kreiste, wobei jedes Taubsi dieses Schwarms eine silberne Kette um den Hals trug. „Ich glaube, ich beende dieses Intermezzo jetzt.“, stellte der Maskierte fest, „Geschwind mit Wirbelwind wird euch nun das fliegen gelehrt!“ Sofort führte der gesamte Taubsischwarm synchron die Attacke Wirbelwind aus und Beamten trug es zusammen mit ihren Begleitern himmelwärts bis zum Ende des Wirbelstroms, während dieser sich auf Fingerzeig des Maskierten Richtung Wasser bewegte und die Beamten am Ende des Stroms weit in den Fluss hinein ausgespuckt wurden. „Und nun erhöhen wir doch einfach mal die Anforderungen für den Freischwimmerschein.“, witzelte der Taubsibefehliger, „Zieht den Wirbelwind durch den Fluss.“ Die schon vorher im Wasser gelandeten Rockies waren schon fast bis ans Ufer geschwommen, wurden wieder weiter hinein gesogen in Richtung der gerade in den Fluss gefallenen Beamten. Sie hatten die Ketten bemerkt, riefen den Taubsi gut zu, sodass diese sich zu besinnen und ihr Herz wieder öffnen. Es funktionierte tatsächlich: Der starre Blick einiger Taubsi löste sich, wie die Kette um ihren Hals, und flogen verschreckt auf und davon. Der Rest führte immer noch den nun nur noch schwachen Wirbelwind aus. Der Maskierte ärgerte sich maßlos und hämmerte wütend auf die Apparatur ein. Der Wirbelstrom tat nur noch einen Bruchteil seiner vorherigen Wirkung, aber es reichte dennoch um ein paar sich im Fluss befindliche Wasserpokémon an die Oberfläche zu spülen und zu verärgern, welche so gleich die unfreiwilligen Schwimmer für die Bedrohung hielten und diese angriffen. Die Beamten ließen sich wiederum durch ihre Wasser- und Flugpokémon unterstützen und ein Kampf im Wasser begann zu toben. „Die Haushälterin meldet ein blitzblank geputztes Heck.“, gab der Maskierte an.
Adlerauge wäre für eine derartige Mission eigentlich nicht mitgekommen, sondern hätte sie nur befehligt und die passenden Leute dafür ausgewählt. Sie war diesmal lediglich als zusätzliche Beobachterin mitgekommen. Auch wenn die Umstände, dass jeder das Frühlingserwachen heute feierte, sodass niemand hier war, um den staatlichen Einheiten zu helfen, nicht hätten günstiger sein können, konnte sie das Gefühl nicht loswerden, dass es Probleme geben würde. Ebenso beunruhigte es sie, dass es bis jetzt so einfach gewesen war den Transport völlig außer Kontrolle zu bringen. „Hatten sie wirklich den Transport erwischt oder war dies nur eine Ablenkung und der echte Transport fuhr eine ganz andere Route?“ Sie hoffte einfach, dass der Informant recht hatte und ihre Vermutung, dass die Sicherheitsvorkehrungen für einen Transport von Pokémon für angehende Trainer viel zu hoch war. Sie wollte es nicht glauben, dass man Rockies, Beamte von der Ratsbehörde, einen Speziallaster mit verstärkter Außenwand und Fahrer, welche für den Fahrdienst der Regierung arbeiteten und daher über eine entsprechende Sicherheitsausbildung verfügten, dafür abstellten und das nur weil die Lieferung nach Isshu gehen sollte. Als derart außer Kontrolle war die Situation in Isshu noch nicht eingestuft worden, dass man das Aufgebot, damit rechtfertigen konnte.
Realistisch betrachtet war der Überfall auch nicht so problemlos verlaufen, wie geplant, denn die der Wahrheit unterworfenen Taubsi konnten von den Träumern wieder in ihr Reich zurückgelockt werden. Die Polizisten hatten zwar durchaus mit den Flussbewohnern zu kämpfen, aber es war offensichtlich, dass sie wieder Herr der Situation werden würden. Es wurde bei den staatlichen Kräften eindeutig nicht mehr lange gefackelt, sondern gleich durchgegriffen und anscheinend war es nicht mehr absolut inakzeptabel Pokémon gegen Menschen aufzuhetzen. Sie überlegte kurz, ob sie wirklich so viel besser waren, denn sie hatten die Geowaz gegen die Rockies ausgeschickt. Verwarf den Gedanken schnell: Sie waren nicht der Staat. Für sie galten andere Regeln. Außerdem dienten sie der Realität und ließen sich von ihr leiten zum Richtigen. Es war also die Bestätigung, dass der Don recht hatte: Die Regierung ist verkommen, von der Illusion verdorben worden.
Während des Geschehens hinter dem Laster, sollte die Gruppe mit dem Decknamen „Cargo“ die Fahrer außer Kraft zusetzten, damit diese keinen Alarm geben konnten. Doch auch das hatte nicht planmäßig geklappt. Der Plan war gewesen, sobald der Laster zum Stilstand gekommen war, die Frontscheibe zu zertrümmern und mit Smogmogs die Fahrer auszuschalten. Danach mit Hilfe von Feuerpokémon ein Loch die verstärkte Außenwand zu schweißen, damit sie der Ladung habhaft werden konnten.
Sie war nur einen kurzen Moment abgelenkt gewesen und das nur, weil sie Staubsaugers Aktion genauestens beobachtet hatte. Sie war wütend auf sich selbst, dass sie nicht gesehen hatte, wie schief es am Kopf des Fahrzeugs gelaufen war. Die Jungs hätten sich auch melden können! Da ging ihr auf, dass es nicht der Fall war, denn sie standen in dem Funkloch.
Adlerauge hatte nicht mitbekommen, dass die Fahrer weder wie erwartet zu zweit gewesen noch im Führerhaus geblieben waren, sondern sofort aus dem Führerhaus herausgesprungen waren und den Kampf eröffnet hatten, sodass es zu der Planverwirklichung gar nicht mehr gekommen war.
Die blonde Frau verschaffte sich einen kurzen Überblick über das Geschehen, um zu verstehen, was dort schief gelaufen war. Die Scheibe des Lasters war zwar von dem Quiekel vereist worden, doch das Maschok war nicht mehr dazugekommen, die durch das Eis überspannte Scheibe zu zerschlagen. Sie entdeckte drei Männer und eine Frau, welche gegen ihre Männer kämpften. Sie versuchten ihre Gegner in einen Pokémonkampf zu verwickeln, während sie diesen versuchten zu umrunden, die Verbrecher zu erreichen und offensichtlich unschädlich zu machen oder in Gewahrsam zu nehmen.
Thorsten und Serge kämpften mit ihren beiden Geowaz, dem Quiekel und dem Mashok gegen zwei Reptain, zwei Sichlor und ein Fukano, welche die drei Männer befehligten. Nahe des Waldrandes kämpfte Fenril mit seinem Feuerpokémon gegen das Aquana der Frau, welche auch den Kampf dominierte. Sie machte nicht nur erheblich viel Druck, sondern schien derart wildentschlossen, dass sie den Eindruck machte als ob sie zur Not das gegnerische Pokémon mit bloßen Händen niederringen würde. Was aber wahrscheinlich nicht nötig sein würde. Zwar hatte das Feuerpokémon sich dem Wasserpokémon zur Wehr gesetzt, sodass das Aquana deutlich angeschlagen war, aber das Jungglut schwankte mehr durch die Gegend als das man von eleganter Fortbewegung hätte sprechen können.
Auch bei dem Kampf der Männer stand es schlecht, zwar hatten beide Seiten Besiegte zu verzeichnen, sodass nur noch ein Geowaz und das Maschok gegen zwei Reptains und ein Sichlor kämpften. Dennoch war der Kampf zu unseren Ungunsten gekippt. Sie suchte verärgert die Gegend nach Staubsauger ab, aber er war nirgends zu erblicken. Es war abgesprochen worden, dass er zu den anderen stoßen und dort im Zweifel aushelfen würde.
Thorsten und Serge hielten sich die Autorität noch erfolgreich vom Hals, was in Fenriels Fall nicht gegeben war. Sein Jungglut rannte mit einem Kratzer auf das Aquana zu, welches auswich, indem des schräg rechts an den Jungglut vorbei hechtete. Es bremste ab, führte die von ihrer Trainerin befohlene Aquaknarre aus, während es sich mit dem von der Aquaknarrenspitze eingehüllten Kopf in den Rücken des Jungglut rammte. Das Jungglut verzog schmerzverzehrt das Gesicht und fiel kampfunfähig vornerüber auf den Boden. Das Aquana baute sich in Drohhaltung hinter dem Jungglut auf, als ob es damit rechnet, dass das Jungglut wiederaufstehen würde, während sich seine Trainerin auf Fenriel stürzte. In Fenriels Blick lag Furcht als ob er erkannte, dass nun sein letztes Stündlein geschlagen hatte...