Informationen und Regeln der Wettbewerbssaison 2013

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  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein] Gewinner der 19. Wettbewerbs. - Saison 2013
    Freie Kurzgeschichte
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    [tab=1. Platz][subtab='Cáithlyn']"Cogito, ergo sum''
    Sie trafen sich in Downtown, hinter dem Club am Ufer des Sees, wo schwarze Wellen von der Nacht in einen Strom aus übelriechendem Öl verwandelt wurden. Dicke Wolken verhangen den Himmel, Smog und Rauch aus der Umgebung stiegen auf. Von fern knallten Bässe auf ihre Ohren, als sie durch das trockene, gelbliche Gras schlenderte.
    Sie setzte sich neben ein Denkmal aus Bildern, Plüschtieren und Karten, Zeichen der Trauer und des Entsetzens. Zeichen, die bald schon weggeräumt sein würden, wenn man sie und ihn vergessen hatte.
    „Hast du lange gewartet?“
    Sie drehte das hübsche Gesicht herum. Er stand nur einen Meter hinter ihr, die langen Arme in die Hosentasche gesteckt, ein entschuldigendes Grinsen aufgesetzt. Sie schüttelt den Kopf.
    „Nein, ich bin auch gerade erst angekommen.“
    Als er sich neben sie auf den Boden fallen lässt, streicht sie über das vertrocknete Gras. Ihre Hände gleiten durch die Halme, sie spürt nur einen zaghaften Hauch, als fürchtete sich die Natur davor, ihr zu nahe zu kommen.
    Dabei waren die Grashalme doch genauso tot wie sie.
    Sie beobachtet ihn aus dem Augenwinkel. Er sieht genauso aus wie immer, genauso wie sie selbst. Die gleiche dreckverkrustete Kleidung, die Haare unordentlich vom Kopf abstehend. Unter seinen Augen haben sich tiefe Ringe gebildet, zartes Violett schimmert durch seine bleiche Haut hindurch.
    „Und, was machen wir heute?“, fragt er sie irgendwann, den Blick auf die ölige Masse gerichtet, die stetig flussabwärts rinnt, alles mitnimmt, was er zu greifen bekommt. Wie ein Monster, das dich an den Haaren zu Tode schleift.
    „Ich glaube, heute bin ich mit Erzählen dran, oder?“, antwortet sie und zuckte die Schultern. Ihre bleichen Beine wirken durch das flackernde Neonlicht der Straßenlaternen beinahe grünlich. Sie hielten sich immerzu im Schatten der Brücke auf, aber trotzdem fand es jedes Mal den Weg zu ihnen.
    „Ich meine auch“, antwortet er und setzt sich auf, die Beine leicht angewinkelt und den Rücken zu einem Buckel geformt.
    „Was willst du wissen?“
    „Erzähl mir mehr über...“, er hielt kurz inne und überlegte. Dann begann er zu grinsen: „Über deine Familie.“
    Sie legt den Kopf schief und wischt sich eine dreckige Strähne ihres nassen, dunklen Haares aus dem Gesicht. Was konnte sie ihm erzählen? Sie hatte doch längst den Überblick verloren, worüber sie sich bereits unterhalten hatten.
    „Cogito ergo sum“, sprach sie letztlich laut den ersten Gedanken aus, der ihr kam, als sie an ihren Vater dachte.
    „Das hat dein Vater immer gesagt, oder?“ Der Junge schaute kurz in den Himmel, verzog das Gesicht, als er merkte, wie Regentropfen auf sie hinunterprasselten, zuckte dann aber mit den Schultern. Sie waren eh schon nass. Und der Regen fiel durch sie hindurch, färbten den kalten, harten Boden mit dunklen Flecken ein, als wären sie Illusionen.
    Vielleicht waren sie das auch. Nur Illusionen, mehr nicht.
    Ihr Leben hatten sie schließlich schon hinter sich gelassen.
    „Hab ich das schon erzählt?“, fragte das Mädchen mit einem schiefen Grinsen. „Tut mir Leid.“
    „Ist nicht deine Schuld. Du hast dir schließlich den Kopf gestoßen, da ist das normal. Denke ich.“
    Nachdenklich und wie von automatisch griff die Hand der Dunkelhaarigen an ihren Hinterkopf. Ihre Finger tasteten entlang des Kraters, den der Felsen hinterlassen hatte, als das Wasser sie gegen ihn getrieben hatte. Sie spürte keine Schmerzen, aber es war trotzdem ein komisches Gefühl, dass dort, wo zuvor noch ihre Kopfhaut gewesen war, plötzlich ein großes Loch war.
    „Erzähl ruhig mehr von ihm“, sagte der Junge und richtete sich auf. „Der Teddy da ist auch von ihm, oder?“ Er deutete auf ein kleines Stofftier inmitten des Schreines, den Passanten, Freunde und Fremde errichtet hatten.
    Das Mädchen nickte und begann zu lächeln.
    „Den hat er mir geschenkt, als ich zwei Jahre alt war.“
    „Ja, das hast du erzählt.“
    „Tut mir Leid.“
    „Muss es nicht. Ich ja auch meine Schuld.“
    Sie lächelte schief, als er aufstand und nachdenklich auf den Schrein zuging. Er lag in leichtem Feuerschein der Teelichter und Grabeskerzen, ein rotes, flackerndes Flammenmeer. Sie folgte ihm langsam.
    „Er hat es sogar in seine Karte geschrieben“, schmunzelte er, als er sich hinunterbeugte, hinein in den roten Schein, ins Innere der Gedenkstätte, und einen einfachen Zettel betrachtete. Er war nicht eingerahmt, steckte in keiner Hülle. Er war der Natur überlassen, schon an vielen Stellen vom Regen verwischt.
    „Cogito, ergo sum“, zitierte das Mädchen, als sie sich neben ihn bewegte und sich ebenfalls herunterbeugte. „Und weil du dachtest, warst du wahr, und jeder wird wissen, du warst da.“
    „Poetisch“, kommentierte der Junge mit einem kurzen Anflug eines Lächelns.
    „So war er nun einmal.“
    „Nein, so ist er. Wir waren einmal.“
    „Da hast du wohl Recht“, hauchte sie in die Kälte hinein. Sie fröstelte, rein aus Gewohnheit. Eigentlich war ihr nicht kalt. Eigentlich fühlte sie gar nichts. Aber es gab ihr ein Gefühl der Genugtuung, dass sie sich noch daran erinnern konnte, wie es war zu fühlen. Als könnte sie es immer noch.
    „Wie lange ist es wohl her?“, unterbrach er ihren Gedankengang. Seine Augen fuhren über die Textzeilen, die ihnen gewidmet waren. Bilder der beiden, getrennt durch ein großes Gedenkschild, seine rechts, ihre links. Und doch standen sie gemeinsam vor dem kleinen Tempel. Als hätte sie schon immer zusammengehört.
    „Ich weiß nicht.“
    „Zwei Wochen?“
    „Ich kann mich nicht erinnern“, gab sie zu.
    „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal als einer dieser Menschen enden würde“, lachte er mit ehrlicher Belustigung. Als könnte er es immer noch nicht ganz fassen. Aber er hatte es längst akzeptiert. Vielleicht konnte er deswegen Scherze darüber machen.
    „Menschen, denen man ein Denkmal baut?“, grinste sie schief und deutete auf all die kleinen, kitschigen Dinge, die man auf seine Seite gelegt hat. Briefe auf bunten Papier, eingerahmt in Plastikfolie, die die unsaubere Schrift darauf schützte. Die Kette, die er um den Hals trug, ein Armband mit Nieten, dutzende dieser Konzertbänder. Vieles davon war längst schon wieder weggenommen worden. Mal von Freunden, die ein Andenken an ihn wollten, mal von jemandem, dem gefiel, was er sah.
    „Nein, Menschen, die in der Presse stehen.“ Er formte mit seinen Daumen und Zeigefinger ein Quadrat und richtete es in den Himmel. „Junger Mann, 19, und junge Frau, 17, sterben in den Fluten. Er ertrinkt, als ihn jemand aus Spaß gegen das Brückengeländer schubst und er in den Fluss fällt...“ Er schaut sie mit einem schelmischen, provozierenden Lächeln an.
    „Und sie“, lachte die Braunhaarige. „Stürzt todesmutig hinter dem vollkommen Fremden hinterher, stößt sich den Kopf und ersäuft jämmerlich.“
    „Die ganze Nation ist geschockt, Angehörige und Freunde trauern und- Oh, einen Moment, uns erreicht die Eilmeldung! Eine Sensation! Der Berliner Zoo hat Nachwuchs bei den Pinguinen gemeldet!“
    Seine Schultern bebten vor Lachen.
    „Glaubst du wirklich, sie würden unsere Todesnachricht so unterbrechen?“
    „Pinguine sind niedlich“, meinte er leichthin und zuckt mit den Schultern. „Alle mögen Pinguine, du nicht?“
    Sie musste grinsen und knuffte ihm in die Seite. Er spürte es nicht, aber aus Reflex sprang er zurück und grinste breit. „Fies von dir.“
    „Ich und fies?“ Sie weitete die Augen und legte mit gespieltem Entsetzen eine Hand vor den Mund. „Niemals!“
    Er grinste. Er lächelte. Und plötzlich wurde der Junge wieder ernst.
    „Du solltest eigentlich gar nicht hier sein“, murmelte er und starrte abwesend in die Flammen der Teelichter. Sie strömten Hitze aus, die Beide nicht mehr spüren konnten. Wärme und Leben, das Gefühl von Schutz. Doch ihnen wurde es verwehrt. Sie waren so nahe dran, konnten es berühren.
    Aber niemals mehr spüren.
    „Du auch nicht“, entgegnete sie. Ihre Finger griffen nach dem Teddybären, der traurig das nasse Fell hängen ließ. Ein letzter Wächter der Erinnerung, unbewegt und schwach. Sie glitten hindurch ohne Wiederstand. Das Mädchen biss sich auf die Lippen.
    „Bereust du es?“ Er sah sie direkt an, mit den Augen eines Toten, weit entfernt und ohne einen Funken Licht in ihnen.
    „Ja.“
    Seine Schultern sanken etwas herunter, aber ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Natürlich bereute sie es. Jeder würde bereuen, sich für einen Fremden in den Tod gestürzt zu haben.
    Doch sie war noch nicht fertig.
    „Ich bereue, dass ich dir nicht helfen konnte.“
    „Du konntest nichts dagegen tun.“
    „Ich hätte warten können, besser nachdenken. Dann wären wir beide noch am Leben.“
    Er nickte nachdenklich, schüttelte aber letztlich den Kopf.
    „Ich bin froh, dass ich nicht alleine bin. Aber es ist schade, dass ich dich erst im Tod kennenlernen durfte“, meinte er und sah sie an. „Wir hatten wohl etwas Pech, hm?“
    Sie lächelte und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, als würde sie so etwas wie Wärme spüren.
    „Cogito, ergo sum“, zitierte sie erneut. „Wir sind immer noch. Irgendwie sind wir immer noch.“
    „Ja“, lächelte er. Der junge Mann schaute in den Himmel. Durch die Wolkendecke hatte sich ein einziger Stern gekämpft. Eine einzige Hoffnung.
    Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, und jetzt spürte auch er den Anflug von Wärme auf seiner Haut.
    „Was heißt lieben auf Latein?“, fragte er, und berührte ihre Stirn mit seiner.
    „Amare“, antwortete sie schmunzelnd.


    „Te amo, ergo sum.“



    [tab=2. Platz][subtab='Dia']"Ich will nie mehr aufhören"
    „Yeah!“, rufe und strecke die Hand in die Höhe. Die Menge macht es: „Yeah!“ Ich spüre ein Kribbeln in meinen Fingerspitzen, als ich sie zu meinem Mund führe. Behutsam lege ich meinen rechten Zeigefinger auf meinen Mund und forme ein „Shhh“. Das Stadion wird totenstill. Langsam drehe ich mich eine Runde auf meinen Versen und schaue dabei erwartungsvoll in die Gesichter der Leute. In ihnen sehe ich unterschiedliche Emotionen. Freude, Erwartung, Berührung, Euphorie, Glück, Gelassenheit. Alle schauen mich an. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich spüre, wie mein Zeigefinger kribbelt. Ich höre meine Adern pochen. In meinem Kopf pulsiert es und ich bemerke, dass es nur um eins geht: Um mich! Ich wirbele herum und drehe einen Runde mit dem Mikrophonständer über die Bühne. Kalter Schweiß rinnt mir die Stirn herunter und meine Beine sind taub. Es schweigen immer noch alle Menschen, die sich in dem Stadion befinden. Geschickt drehe ich den Mikrophonständer in meinen starken. Wie im Rausch tänzele ich zu meinen Bandkollegen Martin, dessen blonde Locken schon ganz schweißnass an seinem Kopf kleben. Er wirft mir kurz einen Blick zu und ein Grinsen ziert sein Gesicht. Ich weiß, was er denkt, denn ich kenne ich schon lange. Zu lange und zu gut, um eine kleinste Emotion von ihm nicht deuten zu können. Er weiß, was jetzt kommt. Wir stellen uns Rücken an Rücken. Alle wissen, was jetzt kommt. Schon die Vorahnung lässt unsere Fans jubeln. Und ich fühle mich unglaublich glücklich. Während ich Martins Atmen an meinem Rücken spüre, hebe ich das Mikrophon auf Mundhöhe und gebe Martin mit einem leichten Knuff ein Zeichen. Jetzt geht’s erst richtig los! Ich setze an: „I’m in chains!“ Mein Kollege macht es mir nach und singt es mit seiner hohen Tenor-Stimme nach. „I’m in chains!“ Ich merke, dass wir perfekt die Töne getroffen haben, denn unsere Fans kreischen und brüllen. Mir entweicht ein Glucksen und ich konzentriere mich voll und ganz auf meinen Gesang als ich weitermache. Jeder Ton ist für mich, und Martin wahrscheinlich auch, pure Euphorie, die durch alle Reihen des Stadions fließt und ihre Energie auf alle Menschen gleichzeitig wirft. Ich singe mit Leichtigkeit, schon fast automatisch, aber immer noch mit vollem Gefühl und mit voller Stimme. Die Musik klingt ab und auch allmählich werde ich leiser. Martin steht immer noch an meinem Rücken. An seiner Berührung spüre ich, wie glücklich er ist. Die Musik endet. Das Stadion jubelt. Martin und ich verbeugen uns und ich lasse ein dankbares „Thank you“ durch die Runde gehen. Das war das vorletzte Lied. Ich muss noch einen Song, den finalen Song, durchstehen. Ich schaffe das, denke ich mir. Verschwitzt hopse ich hinüber zu meiner Wasserflasche und nehme einen großen Schluck. Die kühle Erfrischung tut richtig gut. Aber es geht gleich weiter. Ich muss mich beeilen. Flink husche ich auf die Bühne zurück und gebe meinem zweiten Kollegen Andy, der derweil hinter dem Synthesizer steht und eine Banane isst, ein Zeichen. Er blickt mich unüberrascht an und bringt alles in Position. Auch Martin verschwindet hinter einem der elektronischen Geräte und scheint bereit. Ich drehe mich zur Seite und gebe nun auch unserem Helfer Christian Eigner, der hinter dem Schlagzeug sitzt, ein Zeichen. Nicht umsonst nennt man ihn „das Tier“, wenn er hinter den Drums sitzt. Etwas aufgeregt wende ich mich wieder dem Publikum zu, das schon ganz ungeduldig auf den letzten Song wartete. Auch ich kann es auch kaum erwarten. Mit einem breitem Grinsen lege ich das Mikrophon zurück in die Halterung und trete auf den Steg vor. Mittlerweile ist mir kalt und ich kann meine Gänsehaut an allen Stellen meines Körpers spüren. Aber das macht nichts, denke ich mir. Ein letztes Mal drehe ich mich zu meinen Kollegen um... und dann geht es los. Es wird dunkler in der Arena und ein weiteres letztes Mal sind alle Blicke auf mich gerichtet. Ich schließe die Augen und erwarte geduldig Christians Einsatz. Er legt los. Gleichzeitig stimmen die Männer hinter den Synthesizern ein und geben dem Abschlusslied seinen unverwechselbaren Sound. Ich lasse mich von der Musik treiben und zeige dem Publikum ein paar Moves, die ich schon seit meiner Jugend kenne. Jede Bewegung wird bejubelt und ich fühle mich einfach unglaublich stolz. Mein Einsatz!, schießt es mir durch den Kopf. Ich setze an: „I’m taking a ride with my best friend.“ Die Worte kommen etwas dunkler als geplant aus mir heraus. Ich habe mich eben nicht immer voll im Griff. Vor lauter Gedankengängen verpasse ich beinahe die zweite Textzeile. Ich fahre rechtzeitig fort: „I hope he never let me down again.“ Erst jetzt merke ich die Freude, die ich gerade verspüre voll und ganz. Christian scheint es genau so zu gehen, denn ich höre seine rhythmischen Schläge auf den Drums. Wieder voll im Song singe ich weiter: „Promises me there he’s taking me. Taking me there I want to be. I hope he never let me down again.“ Das Stadion ist jetzt schon am ausrasten. Die verbliebenen Sekunden zwischen Strophe und Refrain tänzele ich weiter auf den Steg und stelle das Mikro vor mir ab. Rechtzeitig zum Refrain hebe ich die Hand und singe kräftig mit Martin und Andy im Chor: „We’re flying high. We’re watching the world pass us by. Never want to come down. Never want to put my feet back down on the ground!“ Perfekt. Ich wusste es. Mit Leichtigkeit groove ich über die Stage und gebe zwischendurch noch ein „Whoho“ hinzu, was die Massen wieder kreischen lässt. Die zweite Strophe beginnt. Und auch sie meistert unser eingespieltes Team ohne Patzer. Wieder diese letzte Zeile. „I hope he never let me down again.“ Nun nehme ich das Mikrophon aus dem Halter und singe wieder laut den Refrain. Ich spüre zwar noch meine Gänsehaut, aber die Aufregung ist komplett verschwunden. Mein Schweiß rinnt in Bächen von mir herab, aber es fühlt sich echt gut an. Das ist mein Leben. Die Stage ist mein Leben! Und keiner kann mir etwas anhaben! Wenn man selbst den Tod überwindet und danach auf die Bühne zurückkehrt, muss man echt von Gott gesegnet sein. Aber was denke ich denn da. Leicht tänzelnd, wie immer, trete ich an den Bühnenrand und klatsche mit den Leuten ab. So viele Hände, die mich berühren wollen. Das gibt mir immer wieder einen Kick. Ich spüre sie, die Hände. Manche berühren mich nur sacht, andere hauen kräftig auf die meinen. Wie unterschiedlich Leute doch nur sind. Rechtzeitig bin ich wieder auf der Stage und jetzt wissen alle was kommt. Kurz vor der Bridge hebe ich langsam die Arme und erwarte den Augenblick. Diesen Augenblick. Ich winke mit beidem Händen von links nach rechts, von rechts nach links und das im Sekundentakt. Das gesamte Stadion macht es mir nach. Ich rufe: „Keep your hands up!“ Jetzt kommt die Bridge. Ich lasse die Menschen weiter winken und drehe mich zu Martin um, der schon das Mikrophon an seinem Synthesizer eingerichtet hat. Mit pulsierenden Fingern führe ich wieder das Mikrophon zum Mund und singe: „Never let me down!“ Das wiederhole ich wieder und wieder. Martin singt derweil im Hintergrund mit seiner hohen Stimme: „Seeing the stars they’re shining bright. Never let me down tonight.“ Das Publikum winkt immer noch mit den Händen. Das werden sie bis zum Ende durchhalten müssen. Ein weiteres Mal singe ich mit voller Kraft, mit letzter Kraft, diese eine Zeile. Und das bis die Musik ausklingt. Bis Christian, Andy, der jetzt eine Bananenschale in der Hand hält und Martin nicht mehr spielen. Bis nur noch ich im Scheinwerferlicht da vorn stehe und bejubelt werde. Völlig erschöpft ziehe ich meine Weste aus und schmeiße sie irgendwo ins Publikum. Nach dem Motto: Der, der’s findet, darf’s behalten! Jetzt ist mir erst richtig kalt. Mein schweißüberströmter Brustkorb hebt und senkt sich. Ich bin völlig aus der Puste. Mit einem Lächeln auf den Lippen drehe ich mich zu Martin und den anderen um, die sich nun neben mich stellen. Andy ist in eine schwarze Baumwolljacke gehüllt. Er friert entsetzlich. Martin hat auch nur noch die Jeans und die Weste an, schließlich hatte er den ersten Teil der Zugabe gegeben. Christian atmet schwer. Er hat anscheinend sehr hart gedrumt. Das sieht man ihm an. Und seinen schweißverklebten braunen Haaren auch. Arm in Arm posieren wir vor unseren Fans, die immer noch applaudieren. Schließlich hatten wir alles gegeben! Martin sieht mich an und spricht mir ins Ohr: „You should see you now.“ Ich gluckse und knuffe ihn in die Hüfte. Naja, ich weiß, wie ich aus aussehe. Ein dünner Mann mit Tattoos auf dem gesamten Körper und oben ohne. Na, wie sieht das schon aus? Aber eins ist klar: Wir alle fühlen uns großartig. Wenn man eben einmal ein Konzert gegeben hat, will man nie mehr aufhören. Und wir machen das schon seit dreißig Jahren! Und wir sind verdammt gut! Mit dem Lobgesang der Fans in den Ohren verlassen wir alle erschöpft, aber mit guten Gefühlen die Stage.


    [subtab='Flameheart']"Caged Bird"
    Zaghaft streckte der kleine Vogel den Kopf unter seinem wärmenden Flügel hervor und ließ die schwarzen Augen, rund wie kleine Perlen, umherwandern. Die Stille drückte bleiern auf seinen zarten Körper, die Finsternis um ihn herum ließ ihn mit dem Kopf zurück in den Schutz seiner Flügel flüchten, doch auch dort konnte er ihr nicht entkommen.
    Also richtete er sich wieder auf, öffnete den rötlichen Schnabel und entließ einige Töne aus seiner Kehle, die sich in der Schwärze verteilten. Regungslos lauschte er, doch seine Rufe nach Gesellschaft, seine Bitte um Hilfe verhallten ungehört. Niemand war da, der ihm aus seiner trostlosen Einsamkeit helfen konnte.
    Gewillt, diesem drückenden und dunklen Ort zu entkommen breitete er die Flügel aus. Ein feiner Lufthauch, nicht mehr als ein sanftes Streicheln, erfasste seine reinweißen Federn und versetzte sein kleines Herz in Euphorie, die jedoch augenblicklich erstarb, als seine Schwingen zu beiden Seiten gegen etwas Festes stießen. Dünne, aber widerstandsfähige Stäbe versperrten ihm den Weg in die Freiheit, die Lücken dazwischen zu schmal, um hindurch zu schlüpfen.
    Verzweifelt begann der kleine Vogel mit den Flügeln zu schlagen, um sich zu erheben. Seine Krallen lösten sich von der Stange, um die sie sich zuvor geschlungen hatten und der zwar geschwächte, jedoch noch nicht erstorbene Funke Hoffnung in ihm glomm erneut auf, wurde aber kurz darauf wieder erstickt, als sein Köpfchen dumpf gegen etwas Kaltes stieß. Weitere Stangen, die sich in einem Bogen über dem Zentrum seines Gefängnisses trafen und ihn dazu zwangen, sich wieder auf die haltende Stange sinken zu lassen. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinem Kopf und die Dunkelheit um ihn schien noch undurchdringlicher zu werden.
    Ähnlich wie die Anziehungskraft der Erde wirkte die Hoffnungslosigkeit auf den schwachen Leib, drückte ihn nieder. Die schwarzen Äuglein starrten trübe zu Boden, reglos hockte das freiheitsliebende Tier auf der Stange, erfüllt von ebensolch einer Leere wie um es herum herrschte. Einzig sein rasch pochendes, von Beklemmung und Angst angetriebenes Herz durchbrach die Stille in seinen Ohren, doch vermochte der immergleiche Ton seine Zuversicht nicht wiederaufleben zu lassen.
    Die stählernen Wände seines engen Käfigs schienen jegliche Anzeichen von Mut aus dem zerbrechlichen Leib zu saugen, in sich zu speichern, ohne sie jemals wieder freizugeben. Sein einst schimmerndes Gefieder wirkte längst stumpf, die ehemals glänzenden Äuglein trübe und leer. Der winzige Verstand klammerte sich nur noch an einen schwächlichen Funken Hoffnung, geboren aus dem illusionistischen Glauben, nach dem Schlaf würde sich vielleicht etwas geändert haben. Doch auch dieser drohte endgültig zu erlöschen, wurde immer wieder zerschmettert von den gleich bleibenden Eindrücken. Kalte, schwere Dunkelheit und trostlose Einsamkeit innerhalb des kleinen Gefängnisses.
    Immer noch schweiften die schwarzen Augen ruhelos in der Dunkelheit umher, die alles nur schemenhaft preisgab, auf der Suche nach einem Zeichen, dass sich etwas an seinem hoffnungsfernen Dasein ändern würde. Sie blieben unverwandt an der verschlossenen Käfigtür hängen, dem einzigen Tor hinaus, gesichert mit einem simplen Verschluss, der jedoch mehr Kraft zum Öffnen erforderte, als sein ausgelaugter Körper aufzubringen vermochte.
    Dennoch schenkte der kleine Vogel diesem Türchen mit schief gelegtem Kopf weiterhin seine volle Aufmerksamkeit. In der wie eine Ewigkeit erscheinenden Zeitspanne seiner Gefangenschaft hatte er mehrmals versucht, die Gittertür zu öffnen, doch sie hatte seinem Wunsch nie nachgegeben, war eisern und standhaft geblieben. Gänzlich unbeeindruckt von Schnabel, Krallen oder Schwingen.
    So vieles sprach dafür, dass es keinen Ausweg aus diesem erdrückendem Käfig gab und dass seine Freiheit auf immer verloren war. Und dennoch wollte das kleine Herz dies nicht einsehen, wollte sein Schicksal nicht einfach hinnehmen und hielt den letzten Funken Hoffnung, der seinem der Kälte ausgelieferten Körper schwache Wärme spendete, am Leben.
    Aber er war kurz vor dem Erlöschen, würde eine erneute Niederlage, einen abermaligen Schlag zurück möglicherweise nicht überstehen. Und dennoch…
    Ohne die Perlenaugen von dem Türchen zu lassen, hüpfte der Vogel bis zum Rand seiner Stange, die sich durch die Belastung ein Stück nach unten neigte. Zögerlich streckte er einen Flügel aus, spürte das kühle Metall der Stäbe an seinen zarten Federn, eisig genug, um die Wärme aus seinem Leib zu vertreiben, wenn er sich dieser Kälte zu lange aussetzte.
    Doch jener letzte Funke Mut, der Trostlosigkeit und Kälte überdauert hatte, trieb ihn an, ließ ihn nicht zurückschrecken, sondern fester gegen die Gitter drücken. Das Türchen aber wollte nicht nachgeben, blieb fest verankert mit den Stäben und rührte sich nicht.
    Nicht mehr bloß aus Beklemmung, sondern zusätzlich aus Anstrengung begann das Herz des Tieres schneller zu trommeln, als wolle es seine Bemühungen anfeuern, trotz der Kälte, die sich in seinem Körper ausbreitete wie eine zäh fließende Masse. Trotz der Tatsache, dass seine Anstrengungen bisher umsonst geblieben waren. Längst war die Umgebung versunken, unwichtig geworden. Alle Konzentration, die er aufzubringen vermochte, lenkte der Vogel auf sein Vorhaben.
    Unbemerkt von ihm wurde die Dunkelheit langsam durchbrochen. Ein sanfter Strahl der aufgehenden Morgensonne suchte sich seinen Weg durch eine kleine Lücke in der alles umspannenden Wolkendecke, passierte das offen stehende Fenster und glitt geräuschlos auf den Käfig zu, verfing sich in den Stäben und traf schließlich in die tiefschwarzen Perlenaugen des Vogels.
    Dieses schwache Zeichen von Licht vermochte ihn abzulenken, den kleinen Kopf unbewegt folgte er dem Sonnenstrahl zu seinem Ursprung, durch den Fensterrahmen hindurch bis hinaus in den Himmel, wo die Helligkeit den Kampf gegen die Finsternis aufzunehmen begann.
    Nun ließ sich auch die Umgebung außerhalb des Käfigs erkennen. Es war ein Zimmer, ebenfalls klein und voller Staub, der vom Licht aufgescheucht träge zu schweben schien. Aber der Vogel achtete mehr auf die Welt außerhalb des Raumes, sah sich grüne Wiesen und kräftige Bäume von ihrem Mantel der Nacht befreien. Sah, wie sich die tiefgrünen Blätter sachte im Wind bewegten, glaubte beinahe den leisen Gesang der Freiheit zu vernehmen, den nur hören konnte, wer bereit war, sich darauf einzulassen, innezuhalten und aufmerksam zu lauschen. Ein Gesang, der Bestandteil seines Lebens und stets ein treuer Begleiter gewesen war, der ihm jedoch immer mehr zu entgleiten drohte, je länger er in der stummen Trostlosigkeit seines Gefängnisses ausharren musste.
    Als hätte der erwachende Tag seine Hoffnung beflügelt und längst verloren geglaubte Kräfte geweckt, begann er erneut mit aller Entschlossenheit, die sein kleines Herz aufzubringen vermochte, gegen die Tür zu drücken und drängte die Erschöpfung beiseite. Noch schien es, als würde selbst das nicht ausreichen, doch dann bewegte sich der Verschluss ein Stück.
    Von seinem kleinen Erfolg angestachelt lehnte der kleine Vogel sich noch weiter nach vorne, einzig auf das Türchen konzentriert, drückte ohne Unterlass dagegen, nicht weiter auf die Kälte achtend, die dieses ihm entgegenschickte.
    Und dieser Mischung aus verzweifeltem Mut und aufkeimender Hoffnung vermochten die Stäbe nicht länger Einhalt zu gebieten, mit einem Ruck löste sich der Verschluss und das kleine Tor schwang auf. Nun versperrte keine undurchdringliche Wand aus eng beieinander stehenden Eisenstangen mehr die Sicht nach draußen.
    Unter den raschen Atemzügen des Vogels hob und senkte sich sein ganzer Körper, als verlangte jede Faser seines Leibes nach Luft. Einen Augenblick lang verharrte er so auf seiner Stange, doch dann schien das berauschende Gefühl seines Erfolges jegliche Erschöpfung beiseite zu wischen, denn er hüpfte auf den unteren Rand des nun offen stehenden Türchens und breitete die weißen Schwingen aus. Ein leichter, kühler Windhauch wehte durch das offen stehende Fenster hinein und bauschte seine Federn. Es war eine andere Kälte als die der bleiernen Stäbe, eine, die das in ihm lodernde Hoffnungsfeuer nur noch höhere Flammen schlagen ließ, welche den kleinen Körper stärkten und von jener drückenden Last der Einsamkeit befreiten. Es war, als würde er die stumpfe Glanzlosigkeit von seinen Federn abstreifen wie einen hässlichen Mantel und auch seine schwarzen Perlenaugen strahlten wieder, als ob jemand dahinter das Licht einer Kerze entfacht hätte.
    Mit den Krallen abstoßend glitt der kleine Vogel durch das Zimmer, schlug einige Male mit den Flügeln, um an Höhe zu gewinnen und kreiste dicht unter der alten Decke, wirbelte den Staub auf.
    Ein letztes Mal flog er einen Bogen, sodass er zurück auf sein enges Gefängnis blicken konnte, das nun, da sich sein Gefangener aus seinen Klauen befreit hatte, leer und offen dastand. So lange war er ihm ausgeliefert gewesen, hatte wehrlos spüren müssen, wie sich jegliche Wärme aus seinem Körper verflüchtigte. Und doch hatte ein kleiner Funke aus Licht und Hoffnung in ihm überlebt, hatte nicht erlöschen wollen und ihm schließlich den Weg hinaus gewiesen.
    Sanft schnitten die im Morgenlicht rötlich scheinenden Schwingen durch die Luft, als er den Käfig einmal umkreiste wie in einem Triumphzug. Dann steuerte er ohne zu Zögern auf das offen stehende Fenster zu und schwebte hinaus in seine wieder gewonnene Freiheit, die ihn mit offenen Armen empfing.


    [subtab='Alyson']"Von dem die Welt bestimmt"
    Undurchdringlicher Nebel lag über dem Pyroberg und hüllte den Gipfel in erdrückende, graue Düsternis. Kein Windstoß drang zu seinen Höhen empor, um das feuchtkalte Anthrazit zu verwehen, und so wie kein Geräusch bis in seine Tiefen getragen wurde, so trat auch kein Laut aus ihm heraus in die Außenwelt.
    Keleiya konnte nicht umhin, sich inmitten des bedrückenden Nebels, der den Friedhof wie eine Parodie von Watte ausschmückte, unwohl zu fühlen. Ihre Augen, normalerweise geübt darin, selbst die entferntesten Dinge auszuspähen, suchten fieberhaft nach etwas anderem als dem Grau vor ihr, während ihre Ohren von der unnatürlichen Stille schmerzten. Sie war es nicht gewohnt, von solch einer Ruhe umgeben zu sein.
    Grabesruhe, dachte sie und warf einen gehetzten Blick über ihre Schulter. Zum Glück war Asson bei ihr, denn ohne ihn und die Sicherheit, die er selbst an einem Ort wie dem Pyroberg ausstrahlte, hätte sie diese Mission wahrscheinlich schon im Inneren des Berges abgebrochen. All diese trauernden Menschen und Pokémon, die mit leeren Blicken Löcher in die erstickende Luft gebrannt hatten, versunken in Trauer und Agonie … Keleiya schüttelte sich aufgrund so vieler negativer Emotionen, die auf sie eingestürmt waren, kaum dass sie die Grabesstätte betreten hatten. Sie sollte jetzt wirklich nicht über den Schrecken nachdenken, der sie an diesem Ort langsam und schleichend überfiel. Immerhin hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen.
    Ein kurzer, kaum zu hörender Pfiff und schon war Asson an ihrer Seite. Seine Augen, tiefblau und von einer überirdischen Klarheit, blickten gebannt in den dichten Nebel, fast so, als könnte er etwas in seinen verworrenen Tiefen erkennen. Tatsächlich hatte das Absol bereits das eine oder andere Unheil gesehen, noch bevor es eingetreten war, was ihm auch seinen Namen eingebracht hatte: Unglück. Nicht, dass er tatsächlich das Unglück anzuziehen pflegte, wie es in alten Volksmythen behauptet wurde; aber in den letzten Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte Keleiya immer mehr gelernt, sich auf die außergewöhnliche Fähigkeit ihres Partners zu verlassen. Und so ließ sie Asson auch jetzt den Vortritt, zwang ihre Gedanken mühsam zur Ruhe und konzentrierte sich auf das Pokémon an ihrer Seite, dessen unergründlicher Blick den Nebel zu ergründen versuchte.
    »Keleiya.« Eine leise, männliche Stimme war es, die sowohl das Absol als auch ihre Partnerin aus der Betrachtung des dichten Nebels riss. Ohne zu überlegen, stieß die Trainerin einen scharfen, gellenden Pfiff aus, woraufhin Asson sich ohne einen Moment des Zögerns auf den Mann stürzte, dessen Schemen undeutlich im wabernden Grau vor ihnen zu sehen war. Als dieser jedoch nun seinerseits eine kurze Melodie pfiff, hielt das Pokémon irritiert inne.
    »Nayilu?« Keleiya konnte sich ein hoffnungsvolles, fast schon erleichtert anmutendes Aufatmen nicht verkneifen. Innerlich hatte sie sich schon auf das Schlimmste vorbereitet; auf jemand Fremden, der hier seiner Trauer Ausdruck verleihen wollte; es hätte aber auch noch einer von ihnen sein können. Dass es jedoch Nayilu war, dessen Gestalt sich nun langsam aus dem Nebel zu schälen begann, erfüllte ihr Herz mit stiller, beruhigender Freude. Zwar hatten sie schon vor einigen Wochen ausgemacht, sich heute zu treffen, um die Heiligen Kugeln gemeinsam zu entfernen und an einen sicheren Ort zu bringen; doch bis zuletzt hatte Keleiya nicht mehr zu hoffen gewagt, Nayilu wirklich hier anzutreffen.
    »Wer denn sonst, Dummkopf?«, erwiderte dieser nun, als er vor der jungen Trainerin zum Stehen kam und sie überlegen musterte. Sein Blick, golden wie flüssiges Karamell, ruhte auf ihren angespannten Zügen, die bei seinen Worten jedoch deutlich weicher geworden waren. Ein erfreutes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, und für einen Moment stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um auf einer Augenhöhe mit ihm zu sein, bevor sie suchend einen Blick hinter ihn warf.
    »Wo ist Chabala?«, fragte sie, und leichte Besorgung mischte sich in ihre Stimme. Für gewöhnlich hatte immerhin ein jeder Trainer, ganz gleich, ob er nun Koordinator oder Züchter oder gar Verbrecher war, seinen Partner stets an seiner Seite. Nayilu und sie hatten da bislang nie eine Ausnahme gebildet; zumindest nicht dann, wenn sie einander treffen wollten.
    Ein verbittertes, zugleich aber auch amüsiertes Lächeln umspielte die Lippen Nayilus.
    »Sie ist zu Hause geblieben«, sagte er mit übertriebener Betonung und verdrehte genervt die Augen. Auch Keleiya konnte nicht anders, als entnervt zu stöhnen. Wie konnte er es nur bei diesen Idioten aushalten? Zwar verspürte auch sie in regelmäßigen Abständen das unbestimmte Bedürfnis, einen jeden ihrer kleinen, vertrauten Familie ihren eigenen Pokémon zum Fraße vorzuwerfen, aber bei ihnen waren solche Anfälle bei jedem an der Tagesordnung, und so kümmerten die Aggressionen eines Kollegen die anderen recht wenig.
    »Tja«, sagte Nayilu mit einem Achselzucken und wippte auf den Fußballen, »da sieht man mal wieder, dass die Ergreifung der Weltherrschaft jeden Tag erneut vor Probleme gestellt wird.« Er kicherte leise und Keleiya schlug spielerisch nach ihm, lachte aber ebenfalls. Diese Aussage war schon vor einigen Jahren so etwas wie ein Insiderwitz zwischen ihnen geworden, und tatsächlich hatten sie bislang immer wieder aufs Neue die Möglichkeit gefunden, ihn fallen zu lassen.
    Asson streifte unruhig um Keleiyas Beine herum und winselte leise; er hatte die letzten Minuten augenscheinlich damit verbracht, die Umgebung nach seiner Schwester Chabala abzusuchen; ohne Erfolg. Sein Wimmern riss Keleiya und Nayilu in die Wirklichkeit zurück, und die friedliche Atmosphäre, die sich im Laufe des Wortwechsels um die beiden gebildet hatte, zerplatzte. Mit einem Mal war es wieder nebelig und kalt, düster und still. Keine Geräusche drangen durch die nasse graue Wand zu ihnen hindurch, und auch wenn sie beide lieber noch weiter in Erinnerungen geschwelgt hätten, wussten sie doch beide, dass dafür auch noch später Zeit war. Jetzt mussten sie erst einmal ihre Mission erfüllen.
    Ein einziger kurzer Blick reichte, schon hatten beide Trainer ihre Pokébälle gezückt.
    »Tarela«, flüsterte Keleiya und drückte ihre Lippen für einen Moment auf das glatt geschliffene, kalte Metall, bevor sie die kleine Kapsel in die Luft warf, wo diese für einen Augenaufschlag zu verharren schien. Dann öffnete sie sich und enthüllte in einem Strahl gleißenden Lichtes ein großes, mehr als zwei Meter langes Vipitis, das mit einem sanften, dumpf klingenden Geräusch auf dem mit Gras bedeckten Weg aufkam. Eine rote, gespaltene Zunge schnellte aus dem Mund der Schlange hervor, und in einer einzigen geschmeidigen Bewegung wandte sich das Pokémon in Richtung Nayilu und fixierte gespannt den noch ruhenden Pokéball in dessen Hand.
    »Vermisst du deinen Freund?«, fragte dieser, sichtlich amüsiert, bevor er nun seinerseits die weiß-rote Kapsel in die Luft warf, wo diese ebenfalls verharrte, bevor sie in einer Explosion aus reiner Helligkeit die Umrisse eines Sengo enthüllte, das geduckt auf dem Boden landete und sich sogleich mit einem Kampfschrei auf Tarela stürzte. Diese jedoch hatte scheinbar nur damit gerechnet, von dem Mungo attackiert zu werden, denn noch bevor dieser bei ihr angelangt war, hatte sie bereits eine elegante Schlängelbewegung zur Seite ausgeführt und ihren Körper angriffsbereit zusammengerollt. Als das klauenbewehrte Pokémon dann auf dem Boden aufkam und herumwirbelte, um einen neuen Angriff zu starten, war es bereits zu spät; die Schlange war im Bruchteil einer Sekunde bei ihm, und es dauerte nicht einmal einen Wimpernschlag lang, bis der Mungo wehrlos im eisernen Griff des Vipitis gefangen war.
    Keleiya und Nayilu hatten das Spektakel, das sich ihnen bot, interessiert gemustert, und schließlich war es an Keleiya, ihrem Freund einen überlegenen Blick zuzuwerfen.
    »Gewonnen«, säuselte sie amüsiert und trat mit ihm zusammen zu den beiden Pokémon, die noch immer in einem undefinierbaren Knäuel auf dem klammen Gras kugelten. »Und ich wage fast zu behaupten, dass das ein neuer Rekord für uns war.«
    Nayilu murmelte etwas Unverständliches, konnte sich ein Grinsen allerdings nicht verkneifen.
    »Wir bringen es halt nicht über uns, Mädchen zu schlagen«, erwiderte er schließlich und hockte sich hin, den Blick noch immer auf Tarela und sein Sengo geheftet. »Nicht war, Teleff?«
    Die beiden Pokémon lösten sich voneinander, fast so, als hätte niemals ein Kampf zwischen ihnen stattgefunden, und der Mungo eilte geschwind zu seinem Trainer. Sanft schmiegte er sich an dessen Bein, und Nayilu kraulte seinen Partner sanft unter dem Kinn, noch immer grinsend und vergnügt. Dann aber wurde er ernst und erhob sich, und auch Teleff richtete sich wieder auf und blickte in den kühlen, unwirtlichen Nebel. Keleiya schaute ebenfalls in die düsteren grauen Tiefen, und auch wenn sie nicht wollte, dass die gemeinsame Zeit mit Nayilu bereits wieder endete, wusste sie doch, dass es nun soweit war.
    »Ich schätze, wir können es nicht mehr aufschieben«, flüsterte sie und sah Tarela traurig an. Diese erwiderte ihren Blick aus großen roten Augen, und obwohl Keleiya nicht danach zumute war, schlich sich doch wieder ein Lächeln auf ihre Züge.
    »Bist du bereit?«, fragte sie und wandte sich Nayilu zu, der sie grimmig und entschlossen anschaute.
    »Lass uns den Laden auf den Kopf stellen«, sagte er mit dem Anflug eines bitteren Lächelns auf den Lippen, und sie nickte. Die Plänkelei hatte ein Ende. Jetzt würde der richtige Spaß beginnen.
    »Dunkelnebel«, flüsterte sie, und ohne zu zögern führte Tarela den Befehl ihrer Trainerin aus. Das Ende der Welt, so wie man es bisher kannte, stand kurz bevor.


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