Die Nachmittagssonne fiel in einem Schleier goldener Strahlen durch die Baumkronen. Cora räkelte sich im grünen Gras und kaute auf einem Halm. Das Sonnenlicht war wohlig warm auf ihrer Haut. Genüsslich schloss sie die Augen und lauschte den Stimmen der Vogelpokémon, während ein sanfter Wind sie mit Blumenduft umwehte. Doch was war das? Die junge Frau setzte sich auf und lauschte. Ein schrilles Kreischen drang durch den Wald zu ihrem Rastplatz. Das Geräusch wurde lauter und lauter, fast, als bewege es sich auf sie zu. Mit einem Schlag verdunkelte sich der Himmel und
wich …
„Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeeeeüüüüüüüüüüüüüüüüüüiiiiiiiiiiiii“
„Oh, verdammt nochmal. Ist ja schon gut, ist gut, Hora. Es reicht jetzt. JA DOCH!“
Endlich verstummte das Hoothoot und zupfte an Coras Kopfkissen, dass sie sich müde gegen den Schädel presste. „Womit hab ich das nur verdient?“, stöhnte sie und richtete sich auf. „Du hast bestimmt das halbe Pokémoncenter mit aufgeweckt.“ Doch das schien den Senator weniger zu interessieren. Es war Aufstehzeit, also musste seine Trainerin geweckt werden. Und mittlerweile wusste er, dass sie einen gesunden und tiefen Schlaf hatte. Aber Aufstehzeit war Aufstehzeit. Voller Unternehmungslust hüpfte er durch das Zimmer, warf Coras Rucksack um und kullerte die Pokébälle seiner beiden Teamkameraden umher. „Hey, Schluss jetzt. Syra bringt dich dafür noch um.“ Die junge Rothaarige schnappte dem Hoothoot sein „Spielzeug“ weg und verstaute ihr über den Boden verstreutes Hab und Gut wieder in ihrem Rucksack. „Was hältst du von Frühstück?“, fragte sie und hielt Hora einen Pokériegel hin. „Hoothoot!“, krakeelte das Eulenpokémon und einen Augenblick später war der bunte Happen verputzt.
Eine halbe Stunde später verließ Cora mit ihrem Partner das Pokécenter und die beiden machten sich auf in Richtung Westen. Hoothoot war so voller Tatendrang, dass es beständig mit seiner Trainerin Schritt hielt. Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen merklich gebessert und so hob sich auch die Laune der Siebzehnjährigen. Im Kopf ging sie die heutige Marschroute durch und kam mit sich überein, dass sie noch ein gutes Stück Weg vor sich
hatte. Im Stillen hoffte sie, dass Mr. Brack auch wirklich daheim, und nicht gerade unterwegs war. Denn eigentlich hatte Cora geplant, ihn auf seiner nächsten Fahrt nach Faustauhaven zu begleiten. Und vielleicht konnte sie ein paar Pokédollar sparen, wenn sie ihm dafür ein wenig zur Hand ging. Aus verlässlicher Quelle wusste sie, dass der alte Herr freundlich und hilfsbereit war.
Der Vormittag verlief relativ ereignislos und die zwei Reisenden erreichten Blütenburg City. Nach einer kurzen Mittagspause im Pokécenter brach Cora wieder auf, diesmal machte Hora es sich in seinem Pokéball gemütlich. Die junge Trainerin straffte ihr Tempo, um die Route 104, auf der sie nun unterwegs war, bald auch hinter sich lassen zu können. Doch dann blieb sie plötzlich stehen und schnupperte. „Hier riecht es doch nach Rauch“, überlegte sie und sog noch einmal tief die Luft ein. „Eindeutig“, stellte sie fest. Cora schlug sich in die Büsche und folgte dem Geruch. Sie würde sich schon nicht verlaufen.
Schon nach wenigen Minuten trat die junge Frau aus dem Wald auf eine Lichtung. Dort glühten die letzten Überreste eines Lagerfeuers vor sich hin und daneben saß ein junger Mann mit strahlend blauen, nach allen Seiten abstehenden Haaren. Er drehte sich zu ihr um und lächelte. „Hallo“, begrüßte er Cora. „Äh … hi“, erwiderte sie und runzelte die Stirn. „Warum machst du mitten am Tag ein Lagerfeuer?“ Der Fremde grinste breit.
„Ich wollte gern Setangbeeren zum Mittag essen und gegrillt schmecken sie mir besser.“ Er wies auf zwei angespitzte Stöcke, die - mit jeweils einer langen blauen Frucht bestückt - neben dem Feuer aufgestellt waren. „Möchtest du eine probieren?“
„Nein danke, ich … ich hab Sandwiches dabei.“ „Schade“, meinte der junge Mann und drehte einen der Spieße, „die sind echt lecker.“ Er warf ihr einen auffordernden Blick zu. „Hey, setz dich doch. So sieht es aus, als willst du gleich wieder abhauen.“ Als Cora sich neben dem Unbekannten ins Gras sinken ließ, bemerkte sie, dass er von ungewöhnlich kleiner Statur war. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“, wollte sie wissen.
„Ich bin Mo.“
„Und wofür steht das?“, hakte Cora nach.
„Molybdän“, antwortete der andere mit einem kecken Lächeln. Er hielt ihr die Hand hin. Cora konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Cobalt“, sagte sie mit einem Zwinkern und schlug ein. Mo lachte herzlich und warf dann einen Blick auf die Setangbeeren. „Und du bist sicher, dass du keine willst?“ „Das ist schon OK“, beeilte sich Cora. „Und ich will auch nicht unhöflich sein, aber... naja, ich hab was zu Essen mit.“ „Ich versteh schon“, antwortete Mo. Er nahm einen der Spieße vom Feuer weg und roch an der durchgegarten Frucht. Zufrieden nickte er und pustete, bevor er schließlich vorsichtig hineinbiss. Mit einem wohligen „Hm“ nahm er den zweiten Bissen. „Und, wohin bist du so unterwegs?“, wollte er dann wissen. Cora angelte ein Sandwich aus ihrem Rucksack. „Ich will zu einem älteren Herrn, der hier in der Nähe wohnt. Er fährt ab und zu nach Faustauhaven und das ist mein nächstes Ziel. Und du? Was machst du eigentlich so?“ Der Kleinwüchsige neben ihr unterbrach seine Mahlzeit und kramte nun ebenfalls in seinem Gepäck. Schließlich zog er eine kleine Box hervor. Er klappte sie auf und offenbarte ihren Inhalt: Viele kleine glänzende Sticker, ordentlich sortiert. „Ich designe Aufkleber für Ballkapseln. Und zur Zeit bin ich auf der Suche nach neuen Motiven und Ideen für Effekte. Ich hab einen guten Freund, der mir bei der Entwicklung und technischen Realisierung hilft.“ „Wow“, staunte Cora und betrachtete die filigranen Sticker. „Ich hab bisher nie welche ausprobiert. Ich bin eben keine Koordinatorin.“ Mo lächelte. „Ach, die kann man auch zu anderen Anlässen benutzen. Wenn du magst, schenke ich dir ein paar.“ „Oh, das ist sehr lieb, danke“, setzte Cora an. Der Designer fiel ihr ins Wort: „Aber du nimmst nur ungern Geschenke an, was?“ „Ich ...“ Die junge Frau suchte nach Worten. „Sag doch einfach ja“, grinste Mo und drückte ihr zehn der kleinen Kunstwerke in die Hand. „Ich verschenke gern was, das macht mir immer wieder Freude.“ Cora sah auf die glitzernden Aufkleber in ihrer Hand und musterte ihr Gegenüber. „OK“, murmelte sie und packte das Geschenk vorsichtig weg. Dabei behandelte sie die kleinen bunten Dinger als wären sie winzige Feen, die bei der sachtesten Berührung zerquetscht werden könnten. „Sie sind sehr schön“, sagte sie. „Ich freue mich, dass sie dir gefallen“, bedankte sich Mo. „Das zu sehen ist das schönste Kompliment, dass ich bekommen kann.“ Cora stand auf. „Ich würde gern länger bleiben“, sagte sie, „Ich muss sagen, dass ich deine Gesellschaft genieße und das -“, sie lachte dabei, „ - das ist wohl auch eines der besten Komplimente, die man von mir bekommen kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass du keine Gegenleistung für die Aufkleber möchtest. Aber ich will dir trotzdem gern etwas zurückgeben. Vielleicht ist es inspirierend, wer weiß.“ Sie zückte einen Pokéball. „Rafi, ich brauch dich mal.“ Kaum einen Augenblick später erschien das Bisasam auf der Lichtung. „Bisa!“, begrüßte es seine Trainerin. „Hey Rafi, wir wollen dem netten jungen Mann hier etwas zeigen.“ Cora lächelte und befahl: „Rankenhieb, deinen Spezial-Move!“ Das Pflanzenpokémon ließ zwei lange Ranken hervorschießen. Dann krümmte es diese und es entstand: „Ein Herz. Das ist ja herrlich.“ Mo war tatsächlich begeistert. „Tja … ich bin eigentlich nicht der Typ für solche … ähm … Kinkerlitzchen“, erklärte Cora, „das hat Rafi wohl schon länger drauf und es ist seine Art geworden, sich bei anderen zu bedanken oder Zuneigung zu zeigen.“
„Es ist toll, dankeschön.“ Mo streichelte den Kopf des Bisasams. „Das ist schön, verlern es nicht.“ Und zu Cora sagte er: „Ich wünsche dir noch viel Freude bei deiner Reise.“ „Danke“, erwiderte diese, „Das geb ich gern zurück.“
Bald darauf war Cora wieder im Dickicht verschwunden und machte sich auf den Rückweg. Sie war nicht weit von dem Waldpfad abgekommen und fand ihn schnell wieder. „Das war schön“, dachte sie. „Seltsam, aber auch irgendwie schön.“ Ihre gute Laune ließ sie schnell vorankommen und nach kurzer Zeit schon lichtete sich der Wald. Das Rauschen der Wellen drang an ihre Ohren und in einiger Entfernung entdeckte die Teenagerin sanfte Dünen. Dazwischen befand sich eine kleine Blockhütte mit einem Bootssteg. „Das muss es sein“, dachte Cora und steuerte das Häuschen an. Beim Näherkommen bemerkte sie, dass Mr. Bracks Boot fehlte. „Hm, das Boot ist nicht da, aber man kann ja sein Glück trotzdem mal versuchen!“, entschied sie und klopfte hoffnungsvoll an der Tür.
OT: So, da ist sie die _Luna_ . Ich freue mich, beim RPG dabei zu sein. Und kleiner Edit: Da ist ja gar kein Boot...