Dass Muslime im Schnitt konservativer sind als z.B. die Kulturchristen, ebenso. Das sieht man allein schon daran, wie oft Jesus Gegenstand von Satire und Karikaturen war, während dasselbe Vorhaben dem islamischen Propheten Mohammed gegenüber praktisch unmöglich ist, ohne mit Gewalt und Anschlägen zu rechnen. Charlie Hebdo anyone?
Also, ich lese Charlie Hebdo nicht, unter anderem weil ich die Sprache nicht verstehe. Aber da es hier ja ohnehin um Deutschland geht und die Frage, wie hier Satire über den Islam möglich ist, könnten wir ja mal schauen, wie denn die deutsche Satirelandschaft so nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo damals drauf war und wie sie diese "Bedrohung" und die behauptete Unmöglichkeit, Satire über den Islam zu machen, wahrnahm und auch heute noch wahrnimmt. Als Gewährsmann lässt sich hier sehr gut Tim Wolff nehmen, der zur Zeit der Anschläge Chefredakteur des deutschen Satiremagazins TITANIC war und dessen Reaktionen zu unserem Glück (und seinem Pech, denn es ging ihm offenbar ziemlich auf die Nerven) recht gut in Interviews und auch Satirebeiträgen dokumentiert sind.
Ein wesentlicher Punkt, auf den er etwa in diesem Interview direkt hinweist, ist schlicht erst einmal die Tatsache, dass die Anschläge auf Charlie Hebdo nicht einfach als Sache des Islams gesehen werden können, da Leute, die mit Waffen eine Satireredaktion stürmen und das durchaus professionell durchziehen, eben nicht einfach mit den muslimischen Bürger*innen eines Landes in verbindung gesetzt werden können. Darüber hinaus nimmt Wolff es offensichtlich überhaupt nicht so wahr, dass er keine Satire über den Islam machen könne, ohne Angst zu haben, denn Muslim*innen in Deutschland könnten eigentlich sehr gut mit Satire umgehen. Wie er hier auch einmal anmerkt, haben seine Satirebeiträge, die irgendwie den Islam thematisieren, ein deutliches Übergewicht gegenüber solchen, die das Christentum aufs Korn nehmen.
Im Gegenzug ist es witzigerweise so: Wann immer die TITANIC Witze über das Christentum macht, rastet das deutsche Publikum völlig aus und wünscht der Redaktion teilweise den Tod, wobei es ein wiederkehrendes Motiv ist, dass die fraglichen Leute das Satiremagazin auffordern, gefälligst doch mal Witze über den Islam und Mohammed zu machen (was, wie gesagt, bereits passiert), aber das würden sie sich ja nicht trauen, denn dann würden Leute kommen und sie umbringen, was aber, so die Leute weiter, bei diesem Drecksblatt ja auch nicht schlimm wäre. Und die Kröung der Ironie ist dann noch, dass solche Reaktionen auch kommen, wenn die Satire der TITANIC zwar das Christentum thematisiert, aber eigentlich gar nicht darauf abzielt, es zu kritisieren, sondern - auf einer Meta-Ebene - eben gerade diese aggressiven Reaktionen auf Satire, die das Christentum thematisiert, zum Gegenstand hat, was dazu führt, dass dann die ganzen Leute effektiv in den vorgehaltenen Spiegel rennen (siehe hier; eins sollte meinen, die Überschrift "Wir provozieren die Falschen" sei eigentlich schon eine wenig subtile Erklärung des eigentlichen Witzes, aber offenbar verstanden die Leute es ja trotzdem nicht). Diesen teilweise Gewalt gegen Satireschaffende herbeisehnenden Reaktionen inhärent ist nebenbei bemerkt gerade jener Vorwurf des Gratismuts, den auch du hier in allgemeinerer Form erhebst.
Das alles offenbart nun Folgendes: Deutsche verstehen bei Satire über das Christentum absolut keinen Spaß und würden die Redaktion dann auch schon gerne tot sehen, aber weil sie das eben nicht so offen schreiben möchten, projizieren sie diesen Wunsch in den islamistischen Terroristen hinein, den sie aber dann auch gerne gewähren lassen möchten. Dahinter steht eben nicht eine Einstellung, die sich offen und ehrlich für die Freiheit der Satire einsetzt, sondern genau das Gegenteil. Und das alles berücksichtigt noch nicht einmal, worüber sich sonst noch so aufgeregt wird: Nachdem die TITANIC ihre Aktion mit der Bestechung bei der WM gemacht hatte, rief die BILD-Zeitung dazu auf, mal bei dem Satiremagazin anzurufen und ihnen die Meinung zu geigen. Entsprechend riefen Leute an, forderten das Verbot der Zeitschrift oder meinten so Sachen wie, dass die Redaktion doch auf den elektrischen Stuhl gehöre. Oder wir können auch mal die Satire über den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz anmerken, in deren Folge sich die österreichische Bevölkerung teilweise echauffierte. Wer die Reaktionen auf Satireaktionen der TITANIC mal tatsächlich verfolgt, wird wahrscheinlich wie Wolff selbst zu dem Schluss kommen, dass Muslim*innen hier wirklich das kleinste Problem sind. (Aus wütenden Zuschriften bezüglich ihrer diversen Satiren konnte die TITANIC sogar mal ein Lied zusammenschreiben.)
Und noch etwas: Tim Wolff wurde nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo unter Polizeischutz gestellt und das war nun anscheinend unnötig (Anschlagsversuche gab es keine), aber irgendwie auch erst der Auslöser von so etwas wie Angst. In seinem Text "Auch ich war ein Opfer" (ist in der Lesung abrufbar im "Endgültigen Satire-Soundtrack", finde leider keine frei verfügbare Version) hat Wolff das humoristisch verarbeitet: Die ständigen Nachfragen der diversen Nachrichtensender, ob er denn Angst habe (das oben verlinkte taz-Interview fängt ja genau so an), hätten es noch nicht geschafft, ihm Angst zu machen, aber dass ständig bewaffnete Leute um ihn herum waren, hätte es dann schon mal mit sich gebracht. Natürlich hätte der Personenschutz auch Vorteile gehabt: Er konnte sich bei Lesungen im Club Voltaire hemmungslos besaufen und wurde dann ja auf Staatskosten sicher nach Hause gebracht, aber allgemein schien die Bedrohung durch den radikalen Islamismus von Wolff wie auch der gesamten Redaktion recht locker gesehen zu werden.
Und bezüglich der Frage nach Satire über den Islam bzw. der Notwendigkeit derselben mal allgemein: Wolff hat auch in einem Interview mit der Tagesschau damals gesagt, dass er natürlich für die Freiheit der Satire sei, aber jetzt auch nach den Anschlägen nicht unbedingt angefangen werden müsse, Muslim*innen in Deutschland mit irgendwelchen Mohammed-Karikaturen zu kommen, da die muslimischen Bürger*innen nun einmal nichts damit zu tun haben. Witze über den Islamismus, der hinter den Anschlägen steckt, hat das Magazin damals freilich trotzdem gemacht. Gleichwohl gilt, dass in Deutschland offenbar ein weitgehendes Bedürfnis nach "Islamkritik" oder "Islamsatire" herrscht, dessen Ursprung aber eher im Ressentiment liegt. Leute, die Satire machen, werden damit vor eine Situation gestellt, in der sie nun einmal auch darüber nachdenken müssen, wie sie ggf. Satire machen, ohne das mehrheitlich vorherrschende Ressentiment gegenüber einer marginalisierten Gruppe zu bedienen. Denn Satire ist eben nicht dazu da, diesem nach dem Mund zu reden oder es zu bestätigen; sie soll eben nicht "die Masse" unterhalten. Das ist einer der Gründe, warum ein Dieter Nuhr, der kaum noch was anderes macht als das, als Satiriker ziemlich mies ist. Die Ironie ist hier dann, dass es gerade dieses Narrativ ist, demzufolge über den Islam ja nie etwas gemacht wird und sich das ja niemand trauen würde (was, erneut, faktisch nicht einmal korrekt ist) und aber unbedingt mal etwas gemacht werden sollte, eher noch dazu führen würde, dass die Leute die herrliche Islamsatire, die sie beständig herbeisehnen, nicht so einfach erhalten werden (oder vielmehr doch, weil es ja auch genug Leute gibt, die dieses Bedürfnis bedienen, habe Dieter Nuhr ja schon erwähnt).
Und das Ganze kann nun, auch vor dem Hintergrund, dass eine "Angst" behauptet wird, über Islamismus zu reden und ihn zu verurteilen, auf die Gesamtsituation übertragen werden. Es ist hier natürlich erst einmal darauf hinzuweisen, dass es nicht um "Angst" geht. Dieses Framing ist falsch und vergiftet eben direkt den Diskurs. Worum es geht, ist schlicht das Bewusstsein darüber, dass in Deutschland bestimmte mit bestehenden Ressentiments verknüpfte Diskursmechanismen bestehen, die letztlich immer darauf abzielen, das Leben von Muslim*innen in Deutschland schwieriger zu machen, und innerhalb derer islamistische Anschläge leichtfertig auf die Gesamtheit der Muslim*innen projiziert werden. Das alles heißt nicht, dass nicht über homogene patriarchale Strukturen in muslimischen Gemeinden in Deutschland diskutiert werden könne (und Islamismus ist selbstverständlich zu verurteilen); es heißt lediglich, dass dies in einer Art geschehen sollte, die das Ressentiment nicht bedient. Das ist aber, gerade wenn allein aufgrund der Tatsache, dass eins sich dieser Ressentiments bewusst ist und sie im Hinterkopf behält, direkt "Angst" unterstellt wird, nicht so einfach möglich. Und wenn wir dann noch weiter in die Frage gehen, um die es hier ursprünglich ging, nämlich um die Frage danach, welche (strafrechtlichen) Maßnahmen angemessen sind, um auf eine (eventuelle) islamistische Bedrohung zu reagieren (bei aller Schrecklichkeit des Anschlags: Er konstituiert diese noch nicht in systematischer Form), dann stehen wir noch mal bei einer anderen Debatte, in die dann auch die durchaus berechtigte Sorge (nicht Angst) mit hineinspielt, dass eventuelle Maßnahmen oder zusätzlich bewilligte Kompetenzen für Polizei oder Behörden am Ende weiterreichende Konsequenzen haben. Das Polizeiaufgabengesetz in Bayern mit seiner ausgedehnten Möglichkeit zur präventivhaft wurde unter anderem mit Verweis auf die Bedrohung des radikalen Islamismus verabschiedet, und zum Einsatz kam die Präventivhaft zuletzt aber eben bevorzugt bei Klimaaktivist*innen. Dass Leute sich vielleicht erst einmal überlegen, wie sie über Anschläge wie den hier diskutierten sprechen, liegt eben nicht einfach an "Angst", sondern an berechtigten Bedenken wegen bestehenden Ressentiments (um derartige Ressentiments müssen sich bei der Verurteilung rechtsextremer Bedrohungen nebenbei bemerkt keine Gedanken gemacht werden, weil niemand rechtsextreme Gewalt zum Anlass nimmt, um gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu hetzen) und der grundsätzlichen Konsequenzen einer Ausweitung der staatlichen Machtkompetenzen, die am Ende eben auch deutlich mehr Leute treffen können als zunächst angekündigt.