Das ZDF Magazin Royale hat einen Beitrag dazu gemacht (zugehörige Website), wie sich Twitter mehr und mehr in eine Plattform verwandelt, auf der hauptsächlich rechte Accounts den Diskurs übernehmen. Diese Entwicklung wird letztlich auch dadurch begünstigt, dass ein kostenpflichtiges Twitter-Abonnement die eigenen Antworten in den Tweet-Replys priorisiert. Denn dieser Umstand, in Kombination mit der Tatsache, dass progressive Leute eher weniger Lust haben, für die Plattform zu bezahlen und dies mehrheitlich eher reaktionäre Musk-Anhänger*innen tun, sorgt dafür, dass die ersten Antworten unter jedem Tweet dann eben meistens reaktionärer bis beleidigender Mist sind. Wer nicht weiter runter scrollt oder die weiteren Antworten zu besagtem Mist aufklappt, bekommt folglich den Eindruck, dass die Welt sehr viel rechter ist, als es der tatsächlich der Fall ist; die Antworten unter Tweets verwandeln sich dadurch regelmäßig erst einmal in eine rein rechte Filterblase, wenn zumindest eine Handvoll von reaktionären Blauhaken was druntersetzt. Zugleich werden Inhalte, die eigentlich gegen die Nutzungsbestimmungen verstoßen - eben zum Beispiel solche, die eindeutig rechtsextrem sind -, sehr oft stehen gelassen. Das Bundesministerium für Justiz hierzulande scheint wiederum mit der Menge an Meldungen potenziell rechtswidriger Inhalte komplett überfordert und scheitert dem Eindruck nach daran, geltendes deutsches Recht gegenüber der Plattform durchzusetzen.
Während die Arbeit des ZDF natürlich in dieser Hinsicht wichtig ist, ist es zugleich irgendwo auch schade, dass der Beitrag ausgerechnet jetzt kommt, denn in den letzten zwei Tagen hat sich noch einmal etwas entfaltet, was wohl nicht mehr in den fertigen Beitrag aufgenommen werden konnte (Link zu dem, was jetzt folgt): Das hart konservative - um nicht zu sagen: rechtsextreme - Medium "The Daily Wire" hatte die Pseudo-Dokumentation "What Is a Woman?" ihres sich selbst als theokratischen Faschisten bezeichnenden Mitarbeiters Matt Walsh posten und deren Reichweite damit pushen wollen - dass dies zu Beginn des Pride Months passiert, dürfte kein Zufall sein. Wir erinnern uns: Für diesen Film hatte Walsh teilweise minderjährige trans Menschen unter falschen Vorwänden zur Mitarbeit bewegen wollen; in dem Film selbst hatte er die Stellungnahmen von Leuten, die die Rechte von trans Menschen verteidigten, im Schnitt gründlich verzerrt und eben trans Menschen auch misgendert. Der Film wurde nun auf Twitter nach Posting zunächst zurecht in seiner Verbreitung eingeschränkt und als Hate Speech geflaggt. Darüber beschwerte sich der CEO von "The Daily Wire", was sehr schnell dazu führte, dass jegliche Einschränkungen beim Hochladen und Verbreiten des Videos aufgehoben wurden. Musk selbst retweetete den Film dann auch noch und meinte, dass alle Eltern das unbedingt sehen sollten, was dem Ganzen dann zu noch mehr Reichweite verhalf. Das rechtsextreme Publikum johlte, Walsh selbst sprach von einem "großen Sieg".
Zugleich forderte das konservative bis rechtsextreme Spektrum, dass die Leute, die die Reichweite dieses Anti-Trans-Machwerks eingeschränkt hatten bzw. dafür verantwortlich waren, gefeuert werden sollten. Und es scheint, als hätte das dann auch schnellen Erfolg gehabt: Ella Irwin, Chefin der Trust and Safety Division, ist offenbar gegangen worden oder aber hat ihre Position niedergelegt, ebenso A.J. Brown, zuständig unter anderem für die Kommunikation mit Werbekund*innen, das heißt, verantwortlich dafür, irgendwie noch den Eindruck zu erwecken, dass Twitter ein guter Ort für Werbung ist, was angesichts des rasanten Ausftiegs menschenfeindlicher Inhalte immer schiweriger wurde - keine Firma, die halbwegs sauber erscheinen will, möchte ihre Werbung neben so etwas stehen haben. Musk selbst bestätigte, dass die Abgänge mit dem Vorfall bzw. seiner Entscheidung, Walshs Anti-Trans-Dokus zuzulassen und sogar noch zu pushen, in Verbindung standen. Ob das nun heißt, dass er sie einfach gefeuert bzw. zum Abgang gedrängt hat oder dass sie selbst gegangen sind, weil sie das nun wirklich nicht mehr mittragen konnten (ob aus moralischen oder schlichten "wirtschaftlich-rationalen" Gründen sei dahingestellt), ist noch unklar.
Unterm Strich aber zeigt dieser Vorfall einmal mehr, dass Musk eines der wichtigsten sozialen Medien nun mit Überdeutlichkeit in ein Sprachrohr rechtsextremer und queer-, spezifisch transfeindlicher Propaganda verwandelt hat. Wie einige vielleicht wissen, hat Musk selbst eine Tochter, die trans ist. Diese will aber anscheinend schon lange nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Woran das nur liegen mag?