Okay, ich habe den meisten Teil hiervon gestern geschrieben und mich dann tbh nicht getraut, es abzuschicken bzw. hatte ich echt keine Lust, dass mir die Diskussion schon wieder tagelang den Schlaf raubt, aber whatever:
Es ist nachvollziehbar, dass die beiden israelischen Botschafter erschossen wurden. Wären es jetzt jüdische Privatpersonen gewesen, die man auf der Straße erschossen hätte, weil man sie als jüdisch gelesen hat, ja, dann könnte man es als antisemitisches Hassverbrechen einstufen. Aber als Botschafter waren die beiden nun mal Repräsentanten des Staates, demnach es eine in erster Linie politisch motivierte Tat war. Und natürlich ist es in solchen Fällen so, dass die Täter die Möglichkeiten nutzen, in diesem Fall dem israelischen Staat zu "schaden", die in ihrer Macht liegen. Sie werden kaum in der Lage sein, an die Hauptverantwortlichen, wie Netanjahu und Konsorte ranzukommen, um sie abzuknallen, natürlich nehmen sie sich die Ziele, die "erreichbar" sind.
Also, erstens finde ich, dass es sinnvoll für die Aufrechterhaltung von Menschenrechten wäre, nicht mal eben einen Mord an Leuten als nachvollziehbar zu framen. Das nachhaltigste Bekenntnis zu Menschenrechten ist meiner Ansicht nach immer noch eins, bei dem sie einfach allen Menschen zuerkannt werden und nicht mal eben nach Belieben Leuten aberkannt. Überhaupt frage ich mich, warum es offenbar so wichtig ist, einen Anschlag in Washington, D.C. in irgendeiner Form als "okay" zu bezeichnen (im anderen Thema war es erst "Vielleicht war's ja Selbstverteidigung" und jetzt ist es einfach "Ja, war keine Selbstverteidigung, aber trotzdem irgendwie okay"), wenn es darum geht, sich für Palästinenser*innen in Gaza und der Westbank einzusetzen. Vielleicht besteht eine gewisse Angst vor einer Instrumentalisierung seitens Israels und der US-Regierung, und das ist ja durchaus legitim, diese Sorge zu haben, aber vielleicht sollte sich die Kritik dann auch auf die verdammte Instrumentalisierung beziehen und nicht der Anschlag selbst kleingeredet werden. Es besteht offensichtlich ein Unterschied zwischen dem Anschlag und dem, was Trump und Netanjahu draus machen werden, entsprechend ist es doch absolut möglich, sich auf Letzteres zu fokussieren, ohne Ersteres zu verharmlosen. Falls sich irgendjemand fragt: Ich finde den Anschlag absolut schlimm, aber natürlich führt das nicht dazu, dass ich angesichts der Hungerkatastrophe und zehntausenden Toten in Gaza die Achseln zucke, weil sie es danach ja jetzt verdient hätten. Warum sollte irgendwer (hier im Forum) so etwas denken? Und ja, dass unsere verdammte Regierung es nicht auf die Reihe kriegt, da mal Druck auszuüben und im Gegenzug teilweise noch die internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen blockiert, ist mir ebenfalls absolut zuwider.
Ansonsten habe ich gelesen, dass die beiden Opfer "Mitarbeiter*innen" der Botschaft gewesen seien, das muss jetzt auch nicht unbedingt auf eine dauerhaft oder vorrangig staatsrepräsentierende Rolle hinauslaufen, und selbst wenn, fände ich den Anschlag nicht in Ordnung, um es höflich auszudrücken. Gleichzeitig hoffe ich doch sehr, dass nicht impliziert wird, dass alle Leute, die in den Verwaltungsstrukturen eines Staates oder einer staatsähnlichen Struktur zum Abschuss freigegeben sind, solange der Staat oder die fragliche Struktur Verbrechen begangen hat. Was eine derartige Einstellung etwa umgekehrt für die moralische Bewertung der Tode von Leuten zu Folge hätte, die etwa im Verwaltungsapparat der Hamas tätig waren, aber selbst keine Terrorist*innen waren, kannst du dir denken. Meine Position ist, dass diese Leute nicht einfach getötet werden dürfen, und dass sie es trotzdem werden (um es noch einmal deutlich zu machen: Ja, ich spreche hier insbesondere auch von Gaza), ist der ganze verdammte Punkt.
Und davon ab habe ich gelesen, dass die beiden Getöten sich sogar für Frieden und Verständnis zwischen Israelis und Palästinenser*innen engagiert haben, die getötete Sarah Milgrim etwa in der NGO Tech2Peace, die wiederum Teil der Alliance for Middle East Peace ist. Das macht es jetzt auch nicht gerade leichter zu lesen, wie leichtfertig hier über deren Menschenleben gesprochen wird.
Im Übrigen wage ich zu behaupten – und das können andere ja wegen Kritik an den schnellebigen sozialen Medien wieder aus anderen Gründen schlecht finden –, dass dieser Anschlag hier gar nicht so lang und breit diskutiert worden wäre, wenn nicht direkt in dieser menschenverachtenden Weise auf den ursprünglichen Post im News-Topic reagiert worden wäre; wahrscheinlich hätten es in ein paar Tagen eh wieder alle hier vergessen. Warum wild über angebliches Fehlverhalten der Opfer spekuliert und sich dadurch selbst diskreditiert werden musste anstatt einfach gar nichts zu sagen, ist mir nicht nur aus moralischer, sondern auch aus argumentativstrategischer Sicht ein absolutes Rätsel. Was genau soll(te) mit all dem erreicht werden?
Und um ehrlich zu sein finde ich diese Debatte jetzt ass, die einen macht auf "Gewalt ist nie ok" und "Empathie mit beiden Seiten". Da werden seit 1,5 Jahren große Teile der palästinensischen Bevölkerung platt gemacht, wie viele tausende Kinder sind mittlerweile gestorben, und das ganze hat ja nicht erst mit dem 07. Oktober begonnen. Die meisten dieser Opfer sind anonym, Zahlen in ner Statistik die keinen jucken, auch wenn die Leute gern virtue signaling betreiben mit "aber natürlich ist das schlimm, was da passiert". Bei den beiden political figures sind wir dann aber plötzlich total entsetzt. Bitte.
Ich für meinen Teil finde es ass, dass seit Jahren die Antwort auf Kriegsverbrechen egal welcher Seite immer ist, zu argumentieren, dass dann wohl keine Empathie mehr gelten kann, dass dann offenbar die Regeln simpler Moral und internationalen Rechts wohl für niemanden gelten und alle einfach tun können, was sie wollen, was dann jeweils immer die nächste Eskalation rechtfertigt. Ich habe hier im Thema vor einiger Zeit mal geschrieben, dass ich den Ansatz "Stand with humans" ganz gut finde; mir wurde effektiv entgegnet, das ginge nicht, ich darf mich nur um eine Seite kümmern, was ich nach wie vor ablehne, wie eigentlich überhaupt das Konzept zweier klar definierter Seiten, in denen alle dann jeweils irgendwie gleich und ein Monolith sind. Mein Punkt ist einfach, dass ein Ende der dauerhaften Gewalt nicht dadurch erreicht wird, dass dabei jeweils die Achseln gezuckt werden.
Und wohlgemerkt: Sich dafür zu entscheiden, dass Menschenrechte einfach für alle gelten und Leute nicht nach Belieben umgebracht werden sollten, ist auch keine "neutrale" Position, weil es ja offensichtlich darauf hinausläuft, sich gegen all die Leute zu positionieren, die das anders sehen, und dazu gehört ja unter anderem neben der Hamas und dem Mörder jetzt auch Netanjahu und seine rechtsextreme Bande, die zehntausende Palästinenser*innen auf dem Gewissen haben und schon lange hätten gestoppt werden müssen. Entsprechend habe ich auch nicht jetzt plötzlich meine Empathie entdeckt, weil die Opfer jetzt Israelis sind, sondern die jetzt Getöteten sind einfach in dem Standpunkt inkludiert, den ich vorher schon hatte.
Und um es dann mit Anknüpfung an heute noch einmal herauszustellen:
Aber auch hier, es ist teilweise nachvollziehbar. Ich verurteile es, aber wie viel Differenzierung und Vernunft kannst du da wirklich voraussetzen. Genauso wie es Palästinenser und Muslime gibt die antisemitisch sind und Gewalt feiern, genauso höre ich ständig pro israelische Anhänger die Palästinensern die Menschlichkeit absprechen und sagen, dass die palästinensischen Kinder von Heute die Hamas von morgen sind. Der Hass existiert auf beiden Seiten.
Die eigentlich naheliegende Reaktion sollte sein, nicht den Hass von verschiedenen Gruppen jeweils zu normalisieren, sondern produktiv zu einer Versöhnung und Allianzbildung für Frieden und ein Ende der Gewalt beizutragen, gerade übrigens, wenn wir eben gar nicht mal von Personen sprechen, die im eigentlichen Konflikt gefangen sind, sondern in ganz anderen Ländern auf der Welt leben und zunehmend zu Gewalt greifen, die am Ende nichts bringt außer dass noch mehr Menschen sterben. Es ist nicht erforderlich, mit den jeweiligen radikalen und zu komplett sinnloser Gewalt greifenden Leuten der jeweiligen Seiten zusammenzuarbeiten, sondern es geht gerade darum, sie auszuschließen und stattdessen Bündnisse zwischen denen aufzubauen, die tatsächlich Empathie für alle Menschen aufbringen können. Das ist nebenbei bemerkt auch über den eigentlichen Nahostkonflikt hinaus und in Hinblick auf den marginalisierten Status von Jüdinnen*Juden, Muslim*innen, Palästinenser*innen und Israelis in Ländern wie eben zum Beispiel Deutschland: Von niemandem wird zum Beispiel derzeit so stark gefordert, sich von Israel zu distanzieren, wie von jüdischen Leuten, und niemand muss sich so oft von der Hamas distanzieren wie muslimische Menschen. Beide Gruppen werden permanent entlang des Nahostkonflikts gegeneinander ausgespielt, und das ironischerweise auch nicht gerade selten von Leuten, die weder jüdisch noch muslimisch sind; antimuslimischer Rassismus wie auch Antisemitismus werden in die jeweils passende Gruppe verlegt, während die sogenannte "weiße Mehrheitsgesellschaft", die in Hinblick auf beide Probleme sehr viel schlechter dasteht, ziemlich glimpflich davonkommt. Auch das sollte vielleicht mal zu denken geben, dass es nicht angezeigt ist, eine "Spirale der Gewalt" einfach hinzunehmen, weil es genau das ist, was zu weiterer Entfremdung führen kann, sondern sich ihr vielmehr konsequent entgegenzustellen.
Um es konkret zu sagen: Der Anschlag ist nicht das, was als nachvollziehbar gelten sollte. Was als nachvollziehbar gelten sollte, sind Initiativen wie Palestinians and Jews for Peace.
Ich habe anfangs geschrieben, dass ich Angst hatte, das hier abzsuschicken, und das liegt aber ehrlich gesagt nicht einmal an eventuellen unfreundlichen Reaktionen, die ich bekommen könnte, sondern eher daran, dass sich am Ende vielleicht herausstellt, dass der Zynismus offenbar schon lange über die Menschlichkeit gesiegt hat. Ich persönlich brauche ehrlich gesagt für Diskussionen zumindest einen gewissen moralischen common ground, bei dem ich mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher bin, ob er hier noch vorhanden ist – auch wenn ich hoffe, dass meine Zweifel da nicht berechtigt sind.