Beiträge von Thrawn

    wir sind schuld dass suicune ständig überstunden machen muss imo


    Kristallklar

    Suicune durchstreift die ganze Welt,

    Läuft über Fluss und Land.

    Und wie’s durch Meereswogen schnellt,

    Wirkt durchaus elegant.


    Ihm folgt dabei auf Schritt und Tritt

    Ein kalter Wind von Norden.

    Als dessen Kind ist es somit

    Oft angesehen worden.


    Nie vergisst es die Mission:

    Es sucht verschmutztes Wasser,

    Erteilt Verschmutzern ’ne Lektion

    Und macht sie gerne nasser.


    Es reinigt Quellen und Teiche

    Und Flüsse und auch Seen.

    Doch wird die zahlenreiche

    Verschmutzung je vergehn?

    Okay, ich habe den meisten Teil hiervon gestern geschrieben und mich dann tbh nicht getraut, es abzuschicken bzw. hatte ich echt keine Lust, dass mir die Diskussion schon wieder tagelang den Schlaf raubt, aber whatever:

    Es ist nachvollziehbar, dass die beiden israelischen Botschafter erschossen wurden. Wären es jetzt jüdische Privatpersonen gewesen, die man auf der Straße erschossen hätte, weil man sie als jüdisch gelesen hat, ja, dann könnte man es als antisemitisches Hassverbrechen einstufen. Aber als Botschafter waren die beiden nun mal Repräsentanten des Staates, demnach es eine in erster Linie politisch motivierte Tat war. Und natürlich ist es in solchen Fällen so, dass die Täter die Möglichkeiten nutzen, in diesem Fall dem israelischen Staat zu "schaden", die in ihrer Macht liegen. Sie werden kaum in der Lage sein, an die Hauptverantwortlichen, wie Netanjahu und Konsorte ranzukommen, um sie abzuknallen, natürlich nehmen sie sich die Ziele, die "erreichbar" sind.

    Also, erstens finde ich, dass es sinnvoll für die Aufrechterhaltung von Menschenrechten wäre, nicht mal eben einen Mord an Leuten als nachvollziehbar zu framen. Das nachhaltigste Bekenntnis zu Menschenrechten ist meiner Ansicht nach immer noch eins, bei dem sie einfach allen Menschen zuerkannt werden und nicht mal eben nach Belieben Leuten aberkannt. Überhaupt frage ich mich, warum es offenbar so wichtig ist, einen Anschlag in Washington, D.C. in irgendeiner Form als "okay" zu bezeichnen (im anderen Thema war es erst "Vielleicht war's ja Selbstverteidigung" und jetzt ist es einfach "Ja, war keine Selbstverteidigung, aber trotzdem irgendwie okay"), wenn es darum geht, sich für Palästinenser*innen in Gaza und der Westbank einzusetzen. Vielleicht besteht eine gewisse Angst vor einer Instrumentalisierung seitens Israels und der US-Regierung, und das ist ja durchaus legitim, diese Sorge zu haben, aber vielleicht sollte sich die Kritik dann auch auf die verdammte Instrumentalisierung beziehen und nicht der Anschlag selbst kleingeredet werden. Es besteht offensichtlich ein Unterschied zwischen dem Anschlag und dem, was Trump und Netanjahu draus machen werden, entsprechend ist es doch absolut möglich, sich auf Letzteres zu fokussieren, ohne Ersteres zu verharmlosen. Falls sich irgendjemand fragt: Ich finde den Anschlag absolut schlimm, aber natürlich führt das nicht dazu, dass ich angesichts der Hungerkatastrophe und zehntausenden Toten in Gaza die Achseln zucke, weil sie es danach ja jetzt verdient hätten. Warum sollte irgendwer (hier im Forum) so etwas denken? Und ja, dass unsere verdammte Regierung es nicht auf die Reihe kriegt, da mal Druck auszuüben und im Gegenzug teilweise noch die internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen blockiert, ist mir ebenfalls absolut zuwider.

    Ansonsten habe ich gelesen, dass die beiden Opfer "Mitarbeiter*innen" der Botschaft gewesen seien, das muss jetzt auch nicht unbedingt auf eine dauerhaft oder vorrangig staatsrepräsentierende Rolle hinauslaufen, und selbst wenn, fände ich den Anschlag nicht in Ordnung, um es höflich auszudrücken. Gleichzeitig hoffe ich doch sehr, dass nicht impliziert wird, dass alle Leute, die in den Verwaltungsstrukturen eines Staates oder einer staatsähnlichen Struktur zum Abschuss freigegeben sind, solange der Staat oder die fragliche Struktur Verbrechen begangen hat. Was eine derartige Einstellung etwa umgekehrt für die moralische Bewertung der Tode von Leuten zu Folge hätte, die etwa im Verwaltungsapparat der Hamas tätig waren, aber selbst keine Terrorist*innen waren, kannst du dir denken. Meine Position ist, dass diese Leute nicht einfach getötet werden dürfen, und dass sie es trotzdem werden (um es noch einmal deutlich zu machen: Ja, ich spreche hier insbesondere auch von Gaza), ist der ganze verdammte Punkt.

    Und davon ab habe ich gelesen, dass die beiden Getöten sich sogar für Frieden und Verständnis zwischen Israelis und Palästinenser*innen engagiert haben, die getötete Sarah Milgrim etwa in der NGO Tech2Peace, die wiederum Teil der Alliance for Middle East Peace ist. Das macht es jetzt auch nicht gerade leichter zu lesen, wie leichtfertig hier über deren Menschenleben gesprochen wird.

    Im Übrigen wage ich zu behaupten – und das können andere ja wegen Kritik an den schnellebigen sozialen Medien wieder aus anderen Gründen schlecht finden –, dass dieser Anschlag hier gar nicht so lang und breit diskutiert worden wäre, wenn nicht direkt in dieser menschenverachtenden Weise auf den ursprünglichen Post im News-Topic reagiert worden wäre; wahrscheinlich hätten es in ein paar Tagen eh wieder alle hier vergessen. Warum wild über angebliches Fehlverhalten der Opfer spekuliert und sich dadurch selbst diskreditiert werden musste anstatt einfach gar nichts zu sagen, ist mir nicht nur aus moralischer, sondern auch aus argumentativstrategischer Sicht ein absolutes Rätsel. Was genau soll(te) mit all dem erreicht werden?

    Und um ehrlich zu sein finde ich diese Debatte jetzt ass, die einen macht auf "Gewalt ist nie ok" und "Empathie mit beiden Seiten". Da werden seit 1,5 Jahren große Teile der palästinensischen Bevölkerung platt gemacht, wie viele tausende Kinder sind mittlerweile gestorben, und das ganze hat ja nicht erst mit dem 07. Oktober begonnen. Die meisten dieser Opfer sind anonym, Zahlen in ner Statistik die keinen jucken, auch wenn die Leute gern virtue signaling betreiben mit "aber natürlich ist das schlimm, was da passiert". Bei den beiden political figures sind wir dann aber plötzlich total entsetzt. Bitte.

    Ich für meinen Teil finde es ass, dass seit Jahren die Antwort auf Kriegsverbrechen egal welcher Seite immer ist, zu argumentieren, dass dann wohl keine Empathie mehr gelten kann, dass dann offenbar die Regeln simpler Moral und internationalen Rechts wohl für niemanden gelten und alle einfach tun können, was sie wollen, was dann jeweils immer die nächste Eskalation rechtfertigt. Ich habe hier im Thema vor einiger Zeit mal geschrieben, dass ich den Ansatz "Stand with humans" ganz gut finde; mir wurde effektiv entgegnet, das ginge nicht, ich darf mich nur um eine Seite kümmern, was ich nach wie vor ablehne, wie eigentlich überhaupt das Konzept zweier klar definierter Seiten, in denen alle dann jeweils irgendwie gleich und ein Monolith sind. Mein Punkt ist einfach, dass ein Ende der dauerhaften Gewalt nicht dadurch erreicht wird, dass dabei jeweils die Achseln gezuckt werden.

    Und wohlgemerkt: Sich dafür zu entscheiden, dass Menschenrechte einfach für alle gelten und Leute nicht nach Belieben umgebracht werden sollten, ist auch keine "neutrale" Position, weil es ja offensichtlich darauf hinausläuft, sich gegen all die Leute zu positionieren, die das anders sehen, und dazu gehört ja unter anderem neben der Hamas und dem Mörder jetzt auch Netanjahu und seine rechtsextreme Bande, die zehntausende Palästinenser*innen auf dem Gewissen haben und schon lange hätten gestoppt werden müssen. Entsprechend habe ich auch nicht jetzt plötzlich meine Empathie entdeckt, weil die Opfer jetzt Israelis sind, sondern die jetzt Getöteten sind einfach in dem Standpunkt inkludiert, den ich vorher schon hatte.


    Und um es dann mit Anknüpfung an heute noch einmal herauszustellen:

    Aber auch hier, es ist teilweise nachvollziehbar. Ich verurteile es, aber wie viel Differenzierung und Vernunft kannst du da wirklich voraussetzen. Genauso wie es Palästinenser und Muslime gibt die antisemitisch sind und Gewalt feiern, genauso höre ich ständig pro israelische Anhänger die Palästinensern die Menschlichkeit absprechen und sagen, dass die palästinensischen Kinder von Heute die Hamas von morgen sind. Der Hass existiert auf beiden Seiten.

    Die eigentlich naheliegende Reaktion sollte sein, nicht den Hass von verschiedenen Gruppen jeweils zu normalisieren, sondern produktiv zu einer Versöhnung und Allianzbildung für Frieden und ein Ende der Gewalt beizutragen, gerade übrigens, wenn wir eben gar nicht mal von Personen sprechen, die im eigentlichen Konflikt gefangen sind, sondern in ganz anderen Ländern auf der Welt leben und zunehmend zu Gewalt greifen, die am Ende nichts bringt außer dass noch mehr Menschen sterben. Es ist nicht erforderlich, mit den jeweiligen radikalen und zu komplett sinnloser Gewalt greifenden Leuten der jeweiligen Seiten zusammenzuarbeiten, sondern es geht gerade darum, sie auszuschließen und stattdessen Bündnisse zwischen denen aufzubauen, die tatsächlich Empathie für alle Menschen aufbringen können. Das ist nebenbei bemerkt auch über den eigentlichen Nahostkonflikt hinaus und in Hinblick auf den marginalisierten Status von Jüdinnen*Juden, Muslim*innen, Palästinenser*innen und Israelis in Ländern wie eben zum Beispiel Deutschland: Von niemandem wird zum Beispiel derzeit so stark gefordert, sich von Israel zu distanzieren, wie von jüdischen Leuten, und niemand muss sich so oft von der Hamas distanzieren wie muslimische Menschen. Beide Gruppen werden permanent entlang des Nahostkonflikts gegeneinander ausgespielt, und das ironischerweise auch nicht gerade selten von Leuten, die weder jüdisch noch muslimisch sind; antimuslimischer Rassismus wie auch Antisemitismus werden in die jeweils passende Gruppe verlegt, während die sogenannte "weiße Mehrheitsgesellschaft", die in Hinblick auf beide Probleme sehr viel schlechter dasteht, ziemlich glimpflich davonkommt. Auch das sollte vielleicht mal zu denken geben, dass es nicht angezeigt ist, eine "Spirale der Gewalt" einfach hinzunehmen, weil es genau das ist, was zu weiterer Entfremdung führen kann, sondern sich ihr vielmehr konsequent entgegenzustellen.

    Um es konkret zu sagen: Der Anschlag ist nicht das, was als nachvollziehbar gelten sollte. Was als nachvollziehbar gelten sollte, sind Initiativen wie Palestinians and Jews for Peace.


    Ich habe anfangs geschrieben, dass ich Angst hatte, das hier abzsuschicken, und das liegt aber ehrlich gesagt nicht einmal an eventuellen unfreundlichen Reaktionen, die ich bekommen könnte, sondern eher daran, dass sich am Ende vielleicht herausstellt, dass der Zynismus offenbar schon lange über die Menschlichkeit gesiegt hat. Ich persönlich brauche ehrlich gesagt für Diskussionen zumindest einen gewissen moralischen common ground, bei dem ich mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher bin, ob er hier noch vorhanden ist – auch wenn ich hoffe, dass meine Zweifel da nicht berechtigt sind.

    es frisst mir noch das letzte haar vom kopf


    Sonnentag

    Die Morgensonne strahlt es an,

    Doch Krokel bleibt noch liegen,

    Sodass es Sonne tanken kann,

    Um Energie zu kriegen.


    Am Mittag singt es laut und froh

    Für seine Freundeskreise.

    Viel Hunger hat’s nach dieser Show

    Und gönnt sich reichlich Speise.


    So singt und beißt und isst es gern

    An allen neuen Tagen.

    Und abends, unter hellem Stern,

    Träumt’s sanft mit vollem Magen.

    Ich erlebe es ehrlich gesagt nicht, dass ein Narrativ, demzufolge ältere Menschen mit ihrem individuellen Verhalten die vorrangige Schuld am Klimawandel tragen würden, tatsächlich verbreitet und mehrheitsfähig wäre (und als einmal hierzulande im WDR ein Witz darüber gemacht wurde, lief natürlich die Empörungsmaschinerie an). Wer genau behauptet das? Wenn überhaupt ein Punkt gemacht wird, dann meiner Wahrnehmung nach der, dass beim Klimawandel nun einmal schon vor Jahrzehnten hätte gegengesteuert werden müssen, und die Verantwortung dafür lag nun einmal de facto bei den Menschen, die damals am Leben und in politischer Verantwortung waren. Da geht es dann aber auch nicht um individuelles Konsumverhalten oder die Reparatur von Klamotten. Die jüngere Generation hat halt auch nicht mehr politischen Einfluss als die ältere früher hatte, der Unterschied ist aber, dass Erstere jetzt eben mal tatsächlich initiiert hat, gegen den Klimawandel auf die Straße zu gehen und sich vermehrt politisch für Klimaschutz zu engagieren, was dazu geführt hat, dass das Thema, so sehr es auch immer noch von der Politik vernachlässigt wird, immerhin endlich mal auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde und nicht mehr länger ignoriert werden kann. Hingegen sind die Warnungen eines Hoimar von Ditfurth in den 70ern ohne vergleichbare politische Auswirkungen verhallt. Nota bene: Ich behaupte freilich nicht, absolut niemand hätte sich darum gekümmert. Natürlich baut auch die heute bestehende Klimabewegung in vielerlei Hinsicht auf Arbeit auf, die vorher gemacht wurde und es beteiligen sich natürlich auch an den heutigen Protesten viele ältere Menschen. Nichtsdestoweniger ist die politische Setzung des Themas in der heutigen Form etwas, was vermehrt durch die jüngere Generation vorangetrieben wurde, während die ältere Generation das mehrheitlich verschlafen hat. Wenn ein Armin Laschet 2019 nach der Europawahl überrascht sagt, dass der Klimawandel "plötzlich zu einem weltweiten Thema geworden" sei, dann belächeln wir das natürlich, weil es das ja in Hinblick auf seine objektive Relevanz schon immer war, aber die Aussage ist ja trotzdem und eigentlich gerade deswegen so bezeichnend: Die eigentliche Überraschung für ihn bestand nicht darin, dass das Thema wirklich neu war, sondern dass es politisch gesetzt werden konnte, was aber, deswegen lachen alle so bitter über die Aussage, schon viel früher hätte passieren müssen, und dass das nicht der Fall war, stellt nun einmal ein gewisses Versäumnis dar.


    Und selbst in puncto Konsumverhalten habe ich – und dafür bin ich ja durchaus dankbar – zwar von meinen Eltern mitgegeben bekommen, immer das Licht auszuschalten, wenn ich es nicht brauche und dass kleine Strecken nicht mit dem Auto gefahren werden müssen, sondern auch gelaufen/mit dem Rad gefahren werden können, auf der anderen Seite fahre ich nun aber sogar gar kein Auto, wobei sie mir aber oft zur Anschaffung eines Autos geraten haben, weil ich dadurch ja unabhängiger wäre. Dass die ihre Autos (ja, Mehrzahl) abgeben oder sich das nächste Mal, wenn eines nicht mehr mitmacht, sich kein neues mehr kaufen, erachte ich als unwahrscheinlich. Und wie oft habe ich mir schon anhören müssen, das T-Shirt könne ich nicht mehr tragen, das sei doch schon zu sehr kaputt und reparieren hätte da jetzt auch wenig Sinn, zumal ja auch die Reparatur sichtbar wäre und nicht als "schick" gilt. Reparaturen an Kleidung gerne, aber bitte nur da, wo es wirklich nicht gesehen wird, sonst lieber wegschmeißen.

    Ich nehme es insgesamt in meinem Umfeld so wahr, dass natürlich auch ältere Menschen ihre Ahnung von einfachen Einsparungsmaßnahmen haben, zugleich gehen sie aber bei denen, die ich kenne, auch nur bis zu einer gewissen Grenze – eben die Grenze, an die sie selbst gewöhnt sind und die ich mittlerweile aber eher überschreite als vor ihr zum Erliegen zu kommen.

    Eine andere Sache aber, wenn wir mal von dieser individuellen Konsumebene weggehen, um die es ja wie gesagt eigentlich nicht geht: Meine Eltern haben mir diesen schönen Spruch "Wir haben die Welt nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen" mitgegeben, und das scheint mir dann doch ziemlich gut auszudrücken, dass es nun einmal eine Verantwortung dafür gibt, wie die Welt hinterlassen wird und dass die sich auch gar nicht dagegen sperren, wenn ihnen eine solche zugeschrieben wird. Was möglicherweise ja auch gerade ein wesentlicher Grund dafür ist, dass ältere Menschen sich ja auch an den heutigen Protesten beteiligen.


    Hingegen wirkt es auf mich so, dass es eher salonfähig ist, auf die jüngere Generation zu schimpfen. Thunberg ist eine nervige Göre und wie sie zu irgendeiner Konferenz anreist, wird zum Riesenpolitikum, die FFF-Kinder sollen mal lieber was lernen, und der Verweis auf individuelles Konsumverhalten wird überhaupt immer genutzt, um strukturellen Forderungen zu entgehen. Ach, du bist jung und forderst also mehr Klimaschutz? Sorry, mach mal erst den CO2–Rechner und erst wenn mir dein Ergebnis gut genug ist, darfst du irgendwelche Forderungen stellen, sonst ist es nur heuchlerisch.

    Und es ist ja auch nicht nur der Klimwadel und war es ja auch nie: Aufstieg der Rechten? Ja, sind halt die Kinder, die sich so leicht auf TikTok radikalisieren lassen. Schwächelnde Wirtschaft? Die Kinder wollen nicht mehr arbeiten und faseln ständig was von Work-Life-Balance. Mangelnde Abschreckungsfähigkeit des Westens in Bezug auf Russland? Liegt an der verweichlichten Jugend, die keinen Dienst an der Waffe mehr verrichten will, klar, dass Putin davor keine Angst hat.


    Ich würde zustimmen, dass es jetzt nicht unbedingt sinnvoll ist, auf die älteren Generationen wegen individuellem Konsumverhalten zu schimpfen, ich finde es aber falsch, die politische Verantwortung dieser Generation zu negieren und dann umgekehrt sogar wieder die jüngere Generation ins Gebet zu nehmen, was ja auch nur wieder ein Ausspielen einer Gruppe gegen die andere ist, nur eben aus der anderen Richtung.

    Vielleicht, weil er dort nicht leben musste?

    In dem Sinne, wie du es hier jetzt in der spöttischen Nachfrage meinst, ist das natürlich nicht korrekt. Aber wo Rawls lebte, ist natürlich insofern relevant, als dass er, amerikanischer Liberaler, der er war (mithin eben auch kein "verklärt denkender Kommunist" oder gar Freund der Sowjetunion), gesehen hat, dass die von ihm aufgestellten sehr simplen Gerechtigkeitsgrundsätze, denen zufolge erstens alle Anspruch auf das umfassendste System an Freiheiten haben sollen, das mit dem gleichen System für alle anderen vereinbar ist und zweitens soziale Ungleichheiten, so sie denn existieren, so gestaltet werden sollen, dass sie sich zugunsten der am wenigsten Begünstigten der Gesellschaft auswirken, in keinem Land der Erde erfüllt sind und dass spezifisch das kapitalistische System, in dem er selbst lebte, diesen im Grunde sehr einfachen Grundsätzen nicht genügen kann.

    Im Übrigen scheinst du hier aber ohnehin insofern einer Fehlannahme zu unterliegen, als dass es mir hier natürlich nicht um die Versuche der Umsetzung von Sozialismus der damaligen Zeit ging, für die Rawls wahrscheinlich auch eher weniger übrig hatte. Insofern kann ich dich beruhigen, dass es natürlich um sozialistische Ideen in einer hinreichenden Allgemeinheit ging, die Rawls mit Freiheit zusammenbrachte (was eigentlich auch demonstrieren sollte, dass dazwischen kein Widerspruch bestehen muss).

    Ich muss sagen, dass bei mir generell immer sehr schnell die Augenbrauen im Haaransatz verschwinden, wenn gesagt wird, Kapitalismus sei doch in Ordnung, denn es gebe ja bei uns die Institution der sozialen Sicherung und so weiter. Ich stimme einerseits der These zu, dass diese Einrichtungen eine systemstabilisierende Wirkung haben, und ein Teil dieser Wirkung besteht in der freundlichsten Interpretation ja darin, die ganzen Ungerechtigkeiten, die der Kapitalismus produziert, irgendwie noch zumindest teilweise zu kompensieren. Auf diese Einrichtungen sozialer Absicherung zu verweisen und das damit zu kombinieren, den Kapitalismus gut zu finden, hat etwas sehr Widersprüchliches: Denn wenn der Kapitalismus so toll wäre, bräuchte es das alles ja nicht. Es ist für mich deswegen so merkwürdig, weil offenbar dann doch immer ein Bewusstsein darüber besteht, dass Kapitalismus eben nicht funktioniert und dass es Mechanismen braucht, die der Wirkweise seines Systems zuwiderlaufen. Die Errungenschaften sozialer Sicherung, so sie denn als solche angesehen werden, wurden (und werden immer noch, denn Vieles soll ja schon wieder eingedampft werden) gegen kapitalistische Interessen durchgesetzt. Ich verstehe es daher nicht, wenn sie dann herangezogen werden, um zu argumentieren, dass der Kapitalismus so schlimm nicht sein muss. Es ist, als würde gesagt werden, dass Brandstiftung nicht schlimm sei, weil die Feuerwehr ja das Schlimmste verhindere.

    Die andere Seite dieser Medaille ist dann noch, dass es ebenfalls seltsam ist, wenn einerseits einem kapitalistischen System zugestanden wird, mit einigen Einhegungen und Rahmenbedingungen zu funktionieren, und das dann aber als unmöglich für den Kommunismus behauptet wird. Wer Ersteres akzeptiert und sich Sorgen macht, dass es im Kommunismus wirklich keinerlei Privateigentum gebe oder keine Individualität (ich würde beidem widersprechen, aber das mal beiseitegelassen jetzt), müsste eigentlich keine Probleme haben, sich zumindest formal ein kommunistisches Grundsystem mit einigen zusätzlichen Rahmenbedingungen zu denken, die die fraglichen Bedenken adressieren. Es kann doch nicht sein, dass wir alle in einem Kapitalismus leben, in dem Wachstum und Profitstreben die Umwelt zerstören, unsere Daten klauen, die Kunst mechanisieren, unsere Diskurse vergiften sowie zunehmend die demokratischen Elemente unserer Gesellschaft erodieren und dann aber jedes Mal, wenn überlegt wird, etwas an den Grundstrukturen dieser gesellschaftlichen Verfasstheit etwas zu ändern, einfach mit geradezu apriorischer Gewissheit behauptet wird, dass alle Alternativen zweifellos schlechter und/oder zum Scheitern verurteilt sind.


    Ansonsten, wo es hier auch um persönliche Erfahrungen und Chancengleicheit geht: Ich selbst hatte nie materielle Sorgen, weil ich ja so ein verdammter Abkömmling der zwar nicht übermäßig reichen, aber relativ gut gestellten Bildungsbourgeoisie bin. Und genau das ist aber auch der Punkt: Ich hatte in meinem Leben definitiv mehr Chancen als viele andere Leute, die ich kenne, und das potenziert sich natürlich: Mein Studium wurde von meinen Eltern finanziert, ich musste nebenher nicht arbeiten. Daraus resultierte, dass ich mich viel aufs Lernen konzentrieren konnte. Dadurch bekam ich gute Noten, die dann, als ich dann doch als SHK und später WHK arbeiten wollte, bei der Bewerbung für entsprechende Stellen durchaus hilfreich waren. Es sollte nicht überraschen, dass solche Hilfskraftjobs um Einiges angenehmer sind als etwa kellnern zu müssen. Ich hatte schließlich genug Stunden an der Uni, um von meinen Eltern nicht mehr unterstützt werden zu müssen, aber von der Langzeitwirkung dieser Unterstützung – einer Unterstützung, die viele meiner Kommiliton*innen eben nicht hatten – habe ich damit natürlich nach wie vor profitiert. Und auch jetzt mit meinen guten Abschlusszeugnissen habe ich offensichtlich bessere Startbedingungen als viele andere. Hinzu kommen noch andere Dinge: Ich hasse es ja, Bewerbungen zu schreiben, aber weil ich neben allem Zeit hatte, um einer Schreibtätigkeit als Hobby nachzugehen, habe ich relativ wenige Probleme damit, Motivationsschreiben und alles zu verfassen. Andere Leute müssen sich sehr mühsam in so etwas reinfuchsen.

    Ich war selbst btw mal in der Tagesklinik wegen Depression und da war ein anderer Patient, etwa in meinem Alter, der lange obdach- und arbeitslos und jetzt eben depressiv war. Die Pointe: Weil er nur in der Notversicherung war, musste er die Therapie abbrechen, die er eigentlich gerade dringend brauchte. Von Chancengleichheit ist hier offensichtlich keine Spur, ich bin dieser Person gegenüber enorm privilegiert, während ihr im Gegenzug die Chance, an der Gesellschaft mitzuwirken und/oder sich selbst zu verwirklichen, einfach verwehrt wird. Und jeden Tag, wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich Obdachlose, jedes Mal, wenn ich in die sozialen Medien schaue, lese ich Berichte von Leuten, denen das Geld am Monatsende nicht reicht. All diese Dinge sind keine "Betriebsunfälle" des kapitalistischen Systems, sondern seine unmittelbaren Folgen.1 Und ich habe, nachdem ich vor Jahren auch noch dachte, dass sich das alles vielleicht irgendwie reformieren ließe, mittlerweile einfach doch sehr starke Zweifel daran, dass sich das alles ohne einen tiefergreifenden Systemwechsel beheben lässt. Dieser sollte natürlich nicht zu einer kommunistischen Gesellschaft führen, sondern zu einer anarchistischen, aber das können wir auch später klären.


    1Wer übrigens sieht, dass es diese Probleme gibt und trotzdem vor dem Kommunismus zurückschreckt, kann natürlich auch einfach John Rawls lesen und seine Gerechtigkeitsgrundsätze ernst nehmen. Der hegte am ende seines Lebens übrigens auch Sympathien für den Sozialismus. Ich frage mich, warum nur.