Das Alleinstellungsmerkmal dieses Abenteuerbeginns, soweit man das aus den paar Folgen die ich mir angesehen habe, beurteilen kann, ist für mich die Experimentierfreudigkeit der Macher The Pokemon Company/OLM. Was für ein Zungenbrecher. höhö
Aber ja, seit nunmehr 3 Generationen ist der Anime stetig in Bewegung. Es implementiert Dinge, wirft sie manchmal rasch wieder raus und fügt wieder anderes Neues hinzu. So dynamisch war der Pokemon Anime noch nie zuvor. Generationen 1 bis 6, oder um es in der Regionen Sprache auszudrücken: Von Kanto bis Kalos war der Pokemon Anime ein statisches, unbewegliches & (relativ) uninspiriertes Konstrukt nach einem ähnlichen Schema, welches mit der 7. Generation eine erste frische Brise der Erneuerung erhielt und mit der 9. Generation den bisher verdienten Höhepunkt erreicht. Seit 2016 kann man beobachten wie sehr die Macher (hinsichtlich des Animes) bemüht sind einen Wandel einzuleiten und genau das gibt dem Ganzen einen sehr angenehmen Geschmack der Unvorhersehbarkeit. "Pokemon ist immer das Gleiche" gilt nicht mehr, jedenfalls nicht für den Anime.
Im Mittelpunkt dieses neuen Abenteuers steht Liko, die charakterlich sehr im Kontrast zum vorherigen Protagonisten Ash steht: schüchtern mit einem Hang zur Introversion. Ihr Felori ist da um ein vielfaches abenteuerlustiger, impulsiver und (in klassischer Katzen-Manier) chaotischer. Wie auch in der Alola Region, steht die Schule zunächst im Vordergrund und wir erkennen einige Parallelen zu den Spiele-Editionen, obwohl die Schule überraschenderweise nicht in Paldea- sondern in Kanto angesiedelt ist.
All zu sehr will ich diese doch sehr positiven Aspekte des Animes nicht nochmal durchkauen, da Rusalka & Webu Johnson hier aber auch anderswo in den Kommentarbereichen zur ersten Folge alles toll zusammengefasst haben, Rezensionen denen ich vollumfänglich zustimme. Im Großen und Ganzen ist der Zweiteiler (eigentlich Dreiteiler) ein sehr gelungener Einstieg in ein neues Abenteuer mit sehr vielen Neuerungen, welche sinnbildlich für den Wandel des Pokemon-Animes stehen, etwas dass diesmal sogar für Pokemon-Verhältnisse mutig anmutet.
Ich wage mich aber mal dezent an einer Kritik der ersten Folge(n). Ohne die deutsche Synchronsprecherin von Liko zu sehr kritisieren zu wollen: deutsche Synchronsprecher:Innen kriegen innere Monologe von japanischen Animes nicht so gut hin. Das ist nebenbei kein ausschließlich im Pokemon Anime auftretendes Phänomen, auch andere Animes leiden oftmals (jedoch nicht immer!) darunter. Die japanischen Seiyūs (声優) bringen ein lebendiges Innen-/Gefühlsleben zu Tage, während die deutschen Pendants im Vergleich etwas hölzern und steif wirken. Die Dialoge sind aber in der deutschen wie auch japanischen Fassung durchweg gelungen. Die erste Überraschung war für mich jedoch der Zustand der englischen Synchronisation: diese erreicht eine ungewöhnlich hohe Qualität mit einer vergleichsweise lebhaften Hauptfigur, etwas mit der die englische Fassung in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte.
Obwohl ich jetzt auf ein paar zukünftige Folgen Bezug nehme, muss ich zugeben dass mir die Einbettung des ersten (Schein-)Schauplatzes nicht gefällt, diese bleibt durchweg blass und irrelevant: irgendwo in der Nähe von Vertania City gibt es eine Schule auf die eine Paldeanerin kommt, leider war es das auch schon, denn sie verlässt diese Schule relativ schnell wieder. Dieser Ersteindruck zieht sich weiter bis zum Erstauftritt des zweiten Protagonisten Rory nur ein paar Folgen weiter, der irgendwo auf einer namenlosen Insel in Kanto aufwächst und diese (forciert durch die Handlung) zügig verlässt. Eine eigentlich interessante Insel, die an Okinawa angelehnt zu sein scheint und ein Geheimnis birgt, verkommt zu einem namenlosen Statistenschauplatz. Es ist kurios dass man dieses Steampunk-esque Luftschiff so abrupt als Heimatbasis in den Vordergrund rückt, sehr zum Leidwesen der umliegenden Gebiete/Areale/Inseln. Kein noch so neuer Ort scheint wichtig zu sein. Wir sind irgendwo im Nirgendwo, da werden die furchtbaren Erinnerungen an den Decolor-Arc der Black & White Staffeln wach.
Positiv vermerke ich Flugkapitän Pikachu, dessen Synchronisation erneut von Ikue Otani übernommen wird (Yaaaay!). Sie spricht Kapitän Pikachu in einem etwas kühleren bzw. aggressiveren Unterton als den Ketchup-Junkie alias Ashs Pikachu. Außerdem finde ich die Idee eines Pokemon Kapitäns auf einem Steampunk inspirierten Luftschiff richtig cool, gerade weil Kapitän Pikachu seine Rolle auf der Tapferen Oliviana sehr ernst nimmt. Der Art-Stil der Besatzung des Luftschiffes ist entfernt angelehnt an Piraten (ähem das heißt Freibeuter wenn ich bitten darf!), wie Liko relativ trocken bemerkt ("Ihr seid nicht gekleidet wie die Guten"). Die Idee eines Pokemon Piraten-Kapitän finde ich zu witzig um es hier nicht zu erwähnen: Der Korsare Khair-ad Din Barbarossa Kapitän Pikachu auf seinen all monatlichen Beutezügen auf der Tapferen Oliviana. Generell verbuche ich die Crew des Luftschiffes als eine gelungene Dreingabe: jede Figur wirkt wie ein natürlicher Bestandteil-, ein elementares Mitglied des Schiffes. Professor Friedel sticht da besonders heraus, der mit seiner lockeren Art die Handlung oft genug "erdet".
Die Bösewichte, von denen wir glücklicherweise bis auf den Namen wenig wissen, wirken professionell und stets bedrohlich, definitiv kein Vergleich zum allseits bekannten Verbrecher-Trio Jessie, James & Mauzi und ihren durchgeknallten, oft sinnlosen Eskapaden. Die Tatsache dass das Luftschiff Tapfere Oliviana konsequent offenen Kämpfen mit Amethio auszuweichen versucht, soll suggerieren dass wir es hier mit einer sehr kompetenten Crew zutun haben und dieses stilistische Mittel geht gekonnt auf.
Ich finde im Endeffekt ist der Einstieg extrem gut geglückt. Dass das kein Erfolgsgarant für den Rest der Staffeln ist, dürfte jedem aber klar sein. Ich hoffe weiterhin, dass man auf einem ähnlich hohen Niveau abliefert.
Edit#1 Oh man, ich habe allen Ernstes einen ganzen Roman verfasst. Was soll's. Eine Ode an Captain Blackbeard Pikachu! Yohoho!