Ich stelle mir vor wie es wohl gewesen wäre wenn Lilia (neben Ash) als eine vollständige Hauptfigur im Best Wishes-Anime fungiert hätte: sie verliert einige Kämpfe, gewinnt andere, hat mit Ängsten & Zweifeln zu kämpfen und muss schwere Hindernisse überwinden an denen sie manchmal zu zerbrechen droht aber letzten Endes meistert. Das Auf und Ab des Lebens aus der Perspektive einer angehenden Drachenmeisterin, die von Kindesbeinen an ohne elterliche Zuneigung unter Erfolgsdruck stand.
Diese Episode ist wie ein kurzer Einblick in Lilias Innenleben, eine Momentaufnahme der Empfindungen wo man die innere Aufruhr, die Lilia so lang begleitet, zum ersten Mal zu fassen bekommt...etwas, das im Verlauf des BW-Animes leider zu kurz geraten wird. Die Episode stellt mit der vorangegangenen Episode 759: Heimkehr ins Dorf der Drachen! im Grunde einen Zweiteiler dar, was ich als sehr gelungen empfinde, da wir hier effektiv 40 Minuten exklusiv für Lilia haben. Daher wird sich meine Rezension auf beide Folgen beziehen.
Zunächst einmal finde ich die generelle Ästhetik des Dorfes und der Bewohner sehr charmant: es wirkt wie eine gelungene Mischung aus indigenen Völkern Nord-, Mittel- & Südamerikas wobei auch eine gewisse künstlerische Freiheit in den Vordergrund zu rücken scheint. Das alles schlägt eine Brücke zu den indigenen Völkern Einalls aus dem 14. Pokemon-Film.
Dennoch stehen weder das Dorf der Drachen noch Lysander im Mittelpunkt dieses Zweiteilers, es geht hier ausschließlich um Lilia und die kindgerecht verpackten Implikationen, die diese beiden Episoden suggerieren: Lilia ist eine Vollwaise. Obwohl die beiden Episoden bemüht sind nicht zu viel Preis zu geben und ins Schmerzhafte abzugleiten, bekommt man als Zuschauer relativ früh diesen Umstand durch passives Storytelling mit. Das macht Lilias Geschichte so einzigartig, denn während man als Zuschauer von jedem anderen Poke-Girl im Anime mindestens ein Familienmitglied zu Gesicht bekam; ob Mistys Schwestern oder Maikes- & Lucias Familie, ist Lilia von Kindesbeinen an auf sich allein gestellt und wird von einer älteren Frau betreut zu der sie zwar eine respektvolle aber dennoch vergleichsweise distanzierte Beziehung hat (Lilia nennt sie stets "Dorfälteste").
Das alles macht Lilia so ungemein einzigartig unter all den Poke-Girls des Pokemon-Animes.
Besonders schmerzhaft scheint für Lilia der von Lysander ausgeübte (Erfolgs-)Druck zu sein, welcher seit ihrer frühesten Kindheit ein ungewollter Begleiter in ihrem Leben ist. Als Erwachsener mutet es grotesk an zusehen zu müssen wie ein verwaistes Kind im Vorschulalter auf ein Elite-Internat verfrachtet wird weil sie "Potential hat und Erwartungen erfüllen muss". Es verwundert nicht, dass die einzige Konstante in Lilias Leben der Ausbruch aus besagtem Internat ist, in dem sie nebenbei aufgrund ihrer Art ausgegrenzt wird.
Wenn man die kindgerechte (pokemon-typische) Erzähltstruktur einmal durchbricht, so bleibt am Ende eine sehr tragische Geschichte eines Kindes übrig, das nur weg will von all dem Stress, Druck und der Erwartungshaltung. Glücklicherweise findet sie Trost, Geborgenheit und Freundschaft in der Gruppe um Ash & Benny und es wird ihr "gestattet" mit der Truppe weiterzureisen.
Am Ende darf Lilia sich in einem Pokemon-Kampf gegen Lysander beweisen und einige (wenn auch kleinere) Erfolge für sich verbuchen. Trotzdem dürften weder Lysander noch die Dorfälteste Sympathiewettbewerbe gewinnen, da beide (aber besonders Lysander) recht gefühlskalt rüberkommen.
Außerdem bin ich heilfroh, dass die Produzenten des Animes Lilia im späteren Reisen-Anime einbezogen haben; ihre charakterliche Entwicklung wurde dadurch zu einem angenehmen Ende gebracht.
Für mich bleibt Lilia aufgrund ihres einzigartigen Schicksals das beste Poke-Girl des Animes.