Ich poste das mal hier, weil es auf die Posts weiter oben eingeht. Falls es jetzt zu Offtopic wird, mag wer das ins Geschlechtertopic verschieben, danke im Voraus.
Du hast immer noch nicht erklärt warum dir das so wichtig ist, dass es nur 2 Geschlechter gibt und dass jeder auch mit seinem angebotenen Geschlecht angesprochen wird.
Ich denke, das ist einfach ein Problem im Deutschen. Wir hatten halt im Gegensatz zu den Briten nie zwei synonyme Wörter für Geschlecht, von denen man jetzt eins zweckentfremden kann, um das soziale Geschlecht zu bezeichnen (so es denn eins gibt).
Die Sache ist, dass Sharqi objektiv mehr oder weniger Recht hat - von der Natur sind exakt 2 biologische Geschlechter vorgesehen. Das ist soweit einfach Fakt. Zu behaupten, dass die Behauptung, es gäbe nur zwei Geschlechter, Quark ist, ist damit halt einfach Quark, zumindest soweit der Gesprächspartner sich auf das biologische Geschlecht bezieht, was Sharqi ja eindeutig tut.
Die Frage ist darum einzig und allein, wie Abweichungen des sozialen Geschlechts vom biologischen zu bewerten sind.
Man kann sich ohne weiteres auf den Standpunkt stellen (so interpretiere ich jetzt einfach einmal Sharqi), dass das soziale Geschlecht schlicht und einfach ein Gedankenkonstrukt ist, das real nicht existiert. Das würde dann dazu führen, dass man einfach jeden Menschen, unabhängig von seinem Empfinden aufgrund von Tatsachen einordnen könnte (XX, XXX, XXXX usw. = Frau, XY, XXY, XXXY usw. = Mann, X0 = Andere). Das ist rein biologisch nicht falsch und damit meiner Meinung nach absolut vertretbar (Abweichende gefühlte Geschlechter sind dann halt geistige Behinderungen), dürfte aber für Transgender nicht unbedingt interessengerecht sein. Die Frage ist dann halt, ob man die Interessen von Transgendern vertreten muss, und da kann man sicherlich auch geteilter Meinung sein.
Im anderen Extrem könnte man vertreten, wie es von einigen Feministinnen vertreten wird und im Geschlechtertopic mehrmals angeklungen ist (wenn auch eher in der Gleichberechtigungsdebatte), dass es eigentlich kein biologisches Geschlecht gibt, sondern alle Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen letztendlich kulturell geprägt sind. Das würde dazu führen, dass sich jeder Mensch frei da einordnen dürfte, wo er steht und Transgender sich furchtbar aufregen dürften, wann immer man sie mit dem optisch richtigen, aber gefühlt falschen Geschlecht anredet. Das Problem daran ist halt nur, dass das biologisch absoluter Blödsinn ist, also evident den Tatsachen widerspricht, sodass jeder, der das ernsthaft vertritt, in Sexualkunde in der schon in der dritten Klasse nicht aufgepasst hat und damit - Verzeihung - schlicht und einfach nicht qualifiziert genug ist, Stellung zu dem Thema zu beziehen. Ich finde übrigens, dass diese Ansatz Gefühle über Fakten stellt und sich damit den gleichen Methoden bedient wie rechtspopulistische Parteien, aber das nur so am Rande.
Richtig dürfte es darum wohl sein, davon auszugehen, dass es zwei biologische Geschlechter gibt und dass das biologische Geschlecht das soziale indiziert, aber in Ausnahmen beides auseinander fallen kann. So sollte dann in einer perfekten Gesellschaft niemand mehr einen Transgender (darf man hier eigentlich das generische Maskulinum benutzen oder ist das politisch unkorrekt? o.O) schief angucken, wenn der das falsche WC benutzt. Ich persönlich finde aber auch, dass das nicht dazu führen sollte, dass man immer penibel darauf achtet, wie man jemand anderes anspricht.
Beispiele zur Verdeutlichung: Wenn mein bester Freund mir jetzt morgen sagen würde, er habe es satt, sich zu verstecken und ich solle ihn in Zukunft Hanna statt Hannes nennen (Namen von der Reaktion geändert), würde ich das mit Freude tun und unser Verhältnis würde sich nicht groß ändern (hoffe ich, man weiß das im Voraus ja nicht). Wenn ich jetzt aber einen wildfremden Mann anspreche und er mich anpöbelt, er heiße Melanie, wie könne ich es wagen, ihn mit männlichen Pronomen anzusprechen, finde ich das nicht okay. Es ist nun mal so, dass das biologische Geschlecht das Aussehen bestimmt und ich bei Menschen, die wie Männer aussehen, davon ausgehe, dass sie männlich sind. Bei 99% der Personen ist das ja auch der Fall. Wenn ich, der ich genotypisch, phänotypisch und psychisch eindeutig ein Mann bin, mich jetzt auf ner Party mit wem Unbekannten unterhalte, bin ich ja auch nicht beleidigt, wenn der anhand meines optischen Geschlechts zum Beispiel davon ausgeht, dass ich Autos mag, obwohl ich das nicht tue. Ich erkläre dem das dann, er akzeptiert es und damit ist's gut. Davon auszugehen, dass es 10000 verschiedene Geschlechter gibt und sich für alle Eventualitäten abzusichern, halte ich im Alltag schlicht für unpraktikabel.
Wohlgemerkt, mich hat noch nie ein Transgender angefahren, dass ich sein Geschlecht nicht erkannt habe, tatsächlich kenne ich gar keine Transgender. Das zeigt aber halt auch, dass es sich um ein absolutes Nischenproblem handelt, das meiner Meinung nach von Linken über Proportion aufgeblasen wird. Außerdem sind halt die "Lösungen" die zumindest bei mir an der Uni von den Jusos angeboten werden, absolut lachhaft. Ich kann das natürlich jetzt nicht abschließend beurteilen, aber fühlt sich irgendein Transgender durch Student*in mehr angesprochen als durch Student/in? Und selbst wenn, ist es notwendig, deswegen kostenintensiv sämtliche Standartbögen umzuschreiben? Meiner Meinung nach ist das eigentlich nicht so. Das führt halt dazu, dass die Ideen ziemlich schnell ins lächerliche gezogen werden (Did you just assume my gender?) und ist letztendlich meiner Ansicht nach für die Entwicklung von Toleranz eher kontraproduktiv.
Zusammengefasst würde zumindest ich formulieren, dass das Problem für mich nicht darin liegt, dass Leute annehmen, es gäbe mehr als zwei Geschlechter. Das Problem ist für mich eher, dass die Menschen, die dieser Ansicht sind (komischerweise meiner Erfahrung nach fast immer Jusos oder junge Grüne, seltener die Betroffenen selbst), dazu neigen, alle anderen Ansichten pauschal abzuwerten, obwohl sie genau so valide oder biologisch sogar besser vertretbar sind (Das funktioniert aber wohlgemerkt umgekehrt genau so, siehe amerikanische Südstaaten etc.). Die Wahrheit ist halt, dass die Forschung, was die Entstehung von Geschlechteridentitäten angeht, noch immer in den Kinderschuhen steckt und wir nicht genau wissen, warum Menschen sich nicht mit ihrem Geschlecht identifizieren. Ich gebe offen zu, dass ich Menschen, die sich nicht mit ihrem Geschlecht identifizieren, nicht für normal halte und ich, wenn ich Personen kennen lerne, daher immer von ihrer Optik auf ihr Geschlecht schließe. Nur: Ich bin halt auch nicht normal und mir ist es grundsätzlich völlig wurscht, als was mein Gegenüber sich bezeichnet, und wenn der mich freundlich darum bittet, von meinem ersten Eindruck abzuweichen, werde ich das gerne tun.
Kurzum: Es wäre echt toll, wenn beide Seiten mehr Toleranz füreinander zeigen würden und tatsächlich zusammen daran arbeiten würden, dass Transgender, Homosexuelle und was weiß ich mehr Akzeptanz erfahren, statt sich über Herleitungen und Formalitäten zu bekriegen.