Nachdem Conan dem Mönch erklärt hatte, woher Ayumis und Mitsuhikos Stimmen gekommen waren, holte er seine Brille aus der Tasche und aktivierte den Empfänger für die Signale der in den „Detective Boys“-Ansteckern eingebauten Peilsender. Soweit er es erkennen konnte, befand sich ein Peilsender im Klostergarten, und die anderen drei Peilsender befanden sich gemeinsam ein ganzes Stück weiter in nordwestlicher Richtung. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um heraus zu finden, dass er dem Signal der drei Peilsender folgen musste. Also machte er sich auf den Weg dorthin.
__„Musst du gar nicht nachfragen, wo sich die beiden befinden?“, fragte Bruder Cadfael daraufhin etwas verwundert.
__„Nein, ich habe hier noch ein weiteres Hilfsmittel. In meiner Brille ist ein Empfänger für die Signale der Anstecknadeln eingebaut, so dass ich sehen kann, wo sie sind. Aber Sie können ruhig zurück zur Abtei gehen oder weiter nach Zeugen suchen oder so. Ich denke, ich komme auch alleine klar.“
__„Ich werde dich nicht weiter alleine durch die Gegend laufen lassen. Euer Professor hat zwar gesagt, dass ihr alleine auf euch aufpassen könnt, aber doch nur, wenn ihr zusammen bleibt.“ Der Mönch schwieg einen Moment und kam dann erneut auf Professor Agasas Erfindungen zu sprechen: „Ich habe übrigens keine Ahnung, wie ich deine ‚Hilfsmittel‘ beurteilen soll. Die meisten Leute würden die Teile ohne zu zögern als Teufelswerk bezeichnen, aber ich habe auf meinen Reisen schon viel unglaubliches gesehen, und ihr habt ja erzählt, dass ihr aus der Zukunft kommt. Ich nehme an, in eurer Zeit sind das ganz alltägliche Dinge?“
__Conan zögerte einen Moment. Tatsächlich waren Funkgeräte im zwanzigsten Jahrhundert nichts Ungewöhnliches, und über Peilsender würde sich auch keiner wundern, aber in der Form der „Detective Boys“-Anstecker wären das wohl eher Utensilien eines Geheimdienstes als Alltagsgegenstände. Auch der in seiner Brille eingebaute Empfänger war alles andere als normal. Aber weil er das dem Mönch gegenüber nicht so genau erklären wollte, sagte er schließlich einfach: „Ja, das könnte man so sagen.“
Nachdem die beiden etwa zehn Minuten lang weiter gelaufen waren, bemerkte der Mönch: „Ich glaube, ich kann deine Kameraden schon sehen.“ Tatsächlich befanden sie sich auf einem Gelände, bei dem sich Conan nicht sicher war, ob er es eher als ‚Wiese mit vielen Obstbäumen‘ oder als ‚Obstgarten mit wiesenartig ungepflegtem Rasenboden‘ bezeichnen sollte. Kurz bevor dieser Obstgarten beim Fluss endete, standen Genta, Mitsuhiko und Ayumi bei einem Apfelbaum.
__Sobald Bruder Cadfael und Conan nahe genug waren, deutete Ayumi neben dem Baumstamm auf den Boden und sagte: „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, wir haben hier eine Leiche gefunden.“ Tatsächlich lag an der bezeichneten Stelle der Körper einer jungen Frau.
__„Eine Leiche?“, fragte der für den Kräutergarten zuständige Mönch. „Lasst mich mal sehen.“ Danach ging er zu der auf dem Boden liegenden Frau und fühlte nach ihrem Puls. „Die ist tatsächlich tot“, verkündete er.
__„Und was machen wir jetzt mit der Frau?“, fragte Genta.
__„Auf jeden Fall müssen wir die zuständigen Behörden informieren“, antwortete Conan. Anschließend wandte er sich an Bruder Cadfael: „Ich glaube, das ist hier Sheriff Prestcotte?“ Tatsächlich fühlte er sich überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, den Sheriff zu informieren. Dieser hatte schon den Professor für schuldig erklärt, nur weil ein Stadttorwächter jemanden mit seinem Laborkittel gesehen hatte. Wenn jetzt heraus kam, dass Genta, Mitsuhiko und Ayumi eine Leiche gefunden hatten, könnte der Sheriff vielleicht wieder etwas falsch verstehen und auch den Detective Boys irgend etwas anhängen.
__Aber Bruder Cadfael wartete nicht ab, ob Conan seinem Unbehagen Ausdruck verlieh. „Wenn die Frau ermordet wurde, ist es tatsächlich seine Aufgabe, den Täter zu finden und für Gerechtigkeit zu sorgen“, bestätigte er. „Aber auf jeden Fall müssen wir den für sie zuständigen Priester informieren, damit sie anständig beerdigt werden kann. Und falls die Frau Angehörige hat, müssen die auch von ihrem Tod erfahren.“
__„Aber wie finden wir heraus, wer der zuständige Priester oder die Angehörigen sind?“, fragte Ayumi.
__„Zunächst einmal gehört der Obstgarten zur Abtei“, überlegte der Mönch. „Also können wir sie erst einmal in die Totenkammer des Klosters bringen. Und wenn wir den Bürgermeister der Stadt und den Vorsteher der Klostersiedlung fragen, können wir heraus finden, ob irgendwo eine Frau vermisst wird. Mehr als das können wir eigentlich nicht tun.“ Er zögerte einen Augenblick und fügte dann hinzu: „Vielleicht solltet ihr jetzt zur Abtei zurück kehren und dem Pförtner Bescheid sagen, dass wir hier eine Leiche haben. Dann kann er mit einigen weiteren Brüdern hierher kommen und mir tragen helfen.“
__„Warum bitten wir nicht einfach Ai mit dem Mikroemitter, jemanden vorbei zu schicken?“, fragte Genta. „Das geht doch schneller.“
__„Ganz einfach: Ai könnte dann nicht erklären, wie sie von der toten Frau erfahren hat“, antwortete Conan. „Außerdem wissen wir nicht, wer gerade in der Nähe steht und das Gespräch mit bekommen würde.“ Er schwieg einmal kurz und wechselte dann das Thema: „Wie kommt es überhaupt, dass ihr die Frau hier gefunden habt? Ich dachte, ihr wärt im Klostergarten und würdet bei der Gartenarbeit helfen?“
__„Die drei sind ins Gästehaus gegangen, weil ihnen die Gartenarbeit zu langweilig war“, erklärte Bruder Cadfael. „Aber wie kommt ihr vom Gästehaus hier her? Hat euch der Professor den Ausflug erlaubt?“
__„Nein, wir haben eigenmächtig entschieden, dass wir entlang des Flusses gucken, ob wir heraus finden, was der Unbekannte in den Fluss geworfen hat oder ob es in der Nähe vielleicht ein Versteck gibt, wo Nouel gefangen gehalten wird“, gab Mitsuhiko schuldbewusst zu. „Und auf dem Rückweg hat Ayumi die Leiche entdeckt.“ Tatsächlich konnte man die junge Frau von dem am Ufer entlang laufenden Weg aus unter dem Apfelbaum liegen sehen.
__Während er die Leiche betrachtete, fiel dem jungen Detektiv auf, dass sie bis jetzt nur darüber gesprochen hatten, der Frau ein ordentliches Begräbnis zu geben und bei Bedarf den Sheriff zu informieren. Daher wandte er sich jetzt erneut an Bruder Cadfael: „Würden wir keine Beweise vernichten, wenn wir die Frau jetzt zur Abtei bringen? In unserer Zeit ist es so, dass die Leiche erst bewegt werden darf, wenn die Polizei - oder in diesem Fall der Sheriff - den Tatort untersucht und mögliche Spuren, die auf den Täter hinweisen, gesichert hat.“
__„Wenn es nur darum geht, den Fall aufzuklären, ist das wohl auch angemessen“, stimmte der Mönch ihm zu. „Aber hier sind diese Dinge anders geregelt. Das Seelenheil der Verstorbenen - und dazu zählt auch eine angemessene Beerdigung - sind das Wichtigste, und die Spurensuche beginnt - wenn sie überhaupt statt findet - oft erst, wenn einer der Angehörigen oder irgend jemand Anderes den Sheriff darum bittet.“ Nach etwas Zögern fügte er noch hinzu: „Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Während ihr zum Kloster lauft und jemanden zum Tragen vorbei schickt, werde ich mir die Umgebung ansehen und nach möglichen Hinweisen suchen.“
__Tatsächlich war es Conan gar nicht so recht, jetzt vom Fundort der Leiche weg geschickt zu werden. Er kannte den Mönch nicht gut genug, um zu wissen, ob dieser tatsächlich richtig nach Spuren suchen würde oder das nur so gesagt hatte, um die Kinder zur Abtei zu schicken. Um dafür sorgen zu können, dass die Spurensuche ordentlich ablief, fragte er: „Ist es nicht sinnvoller, wenn nur Genta, Mitsuhiko und Ayumi zum Kloster gehen und ich erst einmal noch hier bleibe? Falls es Probleme gibt und wir schnell etwas absprechen müssen, könnten wir uns dann per Funk unterhalten.“ Mit einem Blick auf seine Klassenkameraden fügte er noch hinzu: „Aber auch wirklich nur im Notfall. Falls es bei der Abtei Probleme gibt und der Professor helfen kann, fragt ihr zuerst den.“
__Genta schien darauf schon etwas erwidern zu wollen, aber Bruder Cadfael kam ihm zuvor. „Hmm“, sagte er, „das klingt irgendwie sinnvoll.“
__Nachdem das geregelt war, wandte sich Conan noch einmal an Genta, Mitsuhiko und Ayumi: „Sagt mal, gab es vor eurer Ankunft schon irgend welche sichtbaren Spuren - also so etwas wie platt getrampeltes Gras oder so etwas? Oder lag die Frau inmitten einer ansonsten unberührten Wiese?“
__„Da du jetzt so danach fragst“, antwortete Ayumi, „sah die Wiese tatsächlich unberührt aus. Aber wahrscheinlich habe ich nur nicht richtig geguckt, denn irgendwie muss die Frau da ja hin gekommen sein.“ Nach einem kurzen Moment fügte sie noch hinzu: „Auf jeden Fall stammt das platt getretene Gras zwischen dem Ufer und der Leiche von uns.“
__„Und weil Bruder Cadfael und ich von der anderen Seite gekommen sind, stammt die andere Spur von uns beiden“, fügte Conan überlegend hinzu. Tatsächlich gab es außer den beiden angesprochenen Spuren nicht das geringste Anzeichen von platt getretenem Gras.
__„Was bedeutet das jetzt?“, erkundigte sich Genta. „Sollen wir jetzt zur Abtei gehen oder nach Spuren suchen, wie die Frau hier hin gekommen sein kann?“
__„Ihr drei geht zur Abtei und schickt ein paar Erwachsene zum Tragen der Verstorbenen hier hin“, antwortete der Mönch. „Wahrscheinlich liegt sie hier schon so lange, dass das Gras Zeit hatte, sich wieder aufzurichten - und damit ist es nur um so wichtiger, dass wir sie für die Beerdigung vorbereiten.“
Nachdem sich Conans Klassenkameraden auf den Weg gemacht hatten, sahen sich Bruder Cadfael und Conan erst einmal die Oberseite der Leiche und die nähere Umgebung an. Aber weder bei der Leiche noch in der Umgebung konnten sie wichtige Hinweise entdecken. Vielleicht gab es auf dem Rücken der Frau oder unter ihr irgend welche Hinweise, aber bevor die beiden sich dazu durchringen konnten, den Körper zu bewegen, waren auch schon ein paar von Cadfaels Mitbrüdern angekommen, und sie hatten auch ein Brett dabei, auf welches man die Frau für den Transport legen konnte. Mit vereinten Kräften hoben die Mönche die Leiche auf das Brett.
__Als das erledigt war, wandte sich Bruder Cadfael an Conan: „Kommst du? Ich will dich hier nicht alleine zurück lassen.“
__Aber Conan dachte nicht daran, jetzt schon mit zu kommen. „Wenn ich es richtig gesehen habe, hat die Frau auf ihrem Rücken einen sehr großen Blutfleck“, sagte er. Dann deutete er noch auf die Stelle, an der die Leiche bis gerade eben noch gelegen hatte: „Aber dort ist kein entsprechendes Blut zu sehen. Nur platt getretenes und durch fehlendes Licht ausgebleichtes Gras.“
__Der eigentlich nur für den Kräutergarten zuständige Mönch hob den Körper der Frau noch einmal kurz an und warf einen Blick auf ihren Rücken. Danach sah er sich dort, wo die Frau gelegen hatte, das Gras an und sagte schließlich: „Tatsächlich. Also ist das wirklich ein Fall für den Sheriff.“
__Anschließend machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Abtei.