Nachdem Glen die Ladentür abgeschlossen hatte, ging er die Treppe hinauf und klopfte erst an der Wohnungstür seines Großvaters und danach an der Wohnungstür seiner Mutter.
Während Craig sofort herauskam, bat Grace noch um einen Moment Geduld. Der Großvater hatte für die Feier einen Schottenrock und ein einfaches Oberhemd angezogen, während seine Tochter, die nur wenig später den Flur betrat, ein geblümtes Kleid gewählt hatte. Zu dritt machten sich die Smiths auf den Weg. Nachdem sie das ihr Haus verlassen hatten, folgten sie der (seit langer Zeit nicht mehr reparierten) Straße in die südliche Richtung, denn anders als es den anderen Dorfbewohnern bekannt war, führte diese Straße tatsächlich an dem Grundstück der Zaubererfamilie vorbei bis nach Hogsmeade, dem einzigen Ort in Großbritannien, in dem ausschließlich Zauberer und Hexen wohnen.
Nach einigen Kilometern erreichten sie eine Stelle, an der die Straße von der Küste des Sees abbog. Von hier an befand sich zwischen der Straße und dem See ein kleiner Wald. Die drei Smiths folgten einem kleinen Waldweg und gelangten nach etwa fünfzig Metern auf das Grundstück der Zaubererfamilie. Tatsächlich bestand dieses aus einem Haus mit einem größeren Garten, und es war komplett von dem Wald umgeben.
Kurz nachdem die drei Neuankömmlinge das Grundstück betreten hatten, kam ihnen auch schon Frau Macdavid entgegen. Sie war eine dunkelblonde Hexe mit leuchtend blauen Augen und trug an diesem Tage ein schlichtes, grünes Kleid. Sie war die Dame des Hauses und begrüßte die Familie Smith, und auf Glens Frage nach dem Anlass der Feier antwortete sie: „Wir feiern heute unsere Silberhochzeit, den Schulabschluss von Blaan und die Geburt unserer ersten Enkeltochter.“
„Das ist aber ganz schön viel auf einmal“, stellte Craig fest, und fragte anschließend: „Wieso feiert ihr Blaans Schulabschluss und Fionas Geburt erst jetzt? Das hättet ihr auch gut vor einem halben Jahr und vor zwei Monaten machen können.“
„Nun ja, nach Blaans Schulabschluss haben wir nicht gefeiert, weil es nach Dumbledores Tod zu viel Aufregung gegeben hat, und für Fionas Geburt wollten wir ohne ausreichende Vorbereitungen kein großes Fest ausrichten. Ihr wisst ja, dass wir in der derzeitigen politischen Situation vorsichtig sein müssen.“
Mit der Formulierung „in der derzeitigen politischen Situation“ spielte die Frau darauf an, dass es einem gewissen machthungrigen Zauberer (bei dem sich die meisten Magier davor fürchteten, den Namen auszusprechen) vor einem halben Jahr gelungen war, das Zaubereiministerium unter seine Kontrolle zu bringen. Das war ein großer Schritt zu einer zweiten Schreckensherrschaft von Du-Weißt-Schon-Wem gewesen, und tatsächlich war Glens Vater auch einer der ersten Zauberer gewesen, die die neuen Gepflogenheiten zu spüren bekamen: Weil er angeblich seine magische Begabung von einem „reinrassigen“ Zauberer gestohlen hatte wurde er von dem Erfassungsamt für Muggelgeborene zu einem Verhör nach London bestellt, wo er angeben sollte, woher seine Magie stammt. Da er auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort liefern konnte, wurde er kurzerhand in das Zauberergefängnis Askaban gesteckt.
Auch die Macdavids konnten sich unter der neuen Schreckensherrschaft nicht sicher fühlen, denn dafür waren sie Muggeln und muggelstämmigen Zauberern gegenüber viel zu freundlich eingestellt. Das fing damit an, dass sie Glens Vater zu dem Patenonkel von Blaan, dem Sohn der Familie, gemacht hatten und endete nicht zuletzt darin, dass Ailsa, die Tochter der Familie, einen Muggel geheiratet hatte.
Da die Familie Macdavid für den Anfang des Festes geplant hatten, dass der Familienvater eine Rede halten sollte und noch nicht alle Gäste da waren, bat die Gastgeberin die Smiths, sich erst einmal im Garten unter die anderen Gäste zu mischen. Wie sich heraus stellte, hatten sich dort eine Reihe von Verwandten und Bekanntschaften der Zaubererfamilie Macdavid versammelt, aber auch Zauberer und Hexen aus der näheren Umgebung waren darunter. Glen sah sich unter den Anwesenden um und stellte dabei fest, dass er nur wenige der Anwesenden kannte. Trotzdem wurden die Smiths bald angesprochen, und so entstand ein inhaltlich belangloses Gespräch mit den eingeladenen Magiern.
Etwa eine Viertelstunde später bat Herr Macdavid um Ruhe. Der Familienvater war ein etwas dickerer Zauberer mit leicht angegrauten Haaren, der für diesen Tag einen blauen Festumhang angezogen hatte. Neben ihm standen die anderen Mitglieder der Zaubererfamilie. Neben der Ehefrau waren das der Sohn Blaan und die Tochter Ailsa mit ihrem Mann Jack Brown und ihrer zwei Monate alten Tochter Fiona.
„Liebe Freunde und Verwandten“, begann Herr Macdavid eine Rede, „wir haben uns heute hier versammelt, um unsere Silberhochzeit, aber auch den Schulabschluss unseres Sohnes Blaan und die Geburt unserer Enkeltochter Fiona zu feiern. Das sind drei Ereignisse, die eigentlich jedes für sich gefeiert werden müssten, aber durch bestimmte Umstände haben wir bei Blaans Schulabschluss und bei Fionas Geburt auf eine Feier verzichten müssen, so dass wir die Silberhochzeit jetzt entsprechend größer feiern.“
Als nächstes ging der Redner darauf ein, wie ereignisreich die fünfundzwanzig Ehejahre gewesen waren. Danach bat er Blaan, ein paar Worte über seinen Schulabschluss und zu seine beruflichen Zielen zu sagen. Der Junge war ein mittelgroßer, schwarzhaariger Junge im Alter von achtzehn Jahren, und er erzählte, dass er nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung bei einem Tiergeschäft in Hogsmeade begonnen habe. Zum Schluss sagte auch Ailsa ein paar Worte darüber, wie sehr ihr Mann und sie sich ein Kind gewünscht hatten, und sie konnte den versammelten Magiern tatsächlich auch über ein freudiges Ereignis berichten: „Unsere Tochter Fiona hat vorgestern zum ersten Mal gezeigt, dass sie über magische Fähigkeiten verfügt“, erläuterte sie. „Wir waren bei Jacks Eltern zu Besuch, und haben dort Kaffee getrunken. Die Familie unter uns hat an diesem Tag ihren Hund leider nicht im Griff gehabt, so dass dieser ständig gekläfft hat. Das hat Fiona so gestört, dass sie geweint hat, und dieses Babygeschrei ging dem Rentner im Stockwerk über uns auf die Nerven, so dass dieser voller Wut einen Blumentopf herunter geworfen hat. Das Erstaunliche war, dass der Blumentopf ohne unser Zutun einen kleinen Sprung gemacht hat und so nicht auf Fiona, sondern auf dem Hund gelandet ist.“
Nach diesen Reden gab Frau Macdavid bekannt, dass im Wohnzimmer des Hauses ein Buffet aufgebaut war. Die Gäste drängten sich darauf hin in die Richtung des Hauses, und damit man sich während des Essens nicht gegenseitig bei dem Buffet im Wege stand, machte die Gastgeberin eine kleine Bewegung mit ihrem Zauberstab, worauf in dem nun leeren Garten etwa ein Dutzend runder Tische mit einer passenden Anzahl Stühle auftauchte.
Nachdem Glen sich am Buffet von verschiedenen Speisen etwas auf einen Teller gepackt hatte, ging er wieder in den Garten und setzte sich an einen der Tische. Seine Mutter setzte sich an einen anderen Tisch um sich mit Fiona und Jack zu unterhalten, aber Glens Großvater setzte sich kurze Zeit später neben den Squib. Nach und nach setzten sich noch einige Zauberer und Magier an Glens Tisch, und so entstand erneut ein Gespräch zwischen den beiden Smiths und den Magiern. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde (bei der Craig erklärte, dass sein Sohn der Patenonkel von Blaan wäre, und dass die Macdavids Glen und ihn eingeladen hätten, weil James zur Zeit leider verhindert wäre) wurden die Gesprächsthemen mit der Zeit immer magischer, so dass die Smiths nur einem kleinen Teil der Gespräche folgen konnten.
Nach etwa einer halben Stunde beobachtete Glen, dass ein weiterer Gast den Garten betrat. Dieser Zauberer hatte schon ein hohes Alter erreicht, und nach kurzer Zeit wurde er von Blaan begrüßt. Weil an Blaans Tisch jedoch alle Stühle besetzt waren, blieb der alte Magier erst einmal einige Zeit stehen, während er sich mit dem Sohn der Familie Macdavid und den anderen Gästen an dem Tisch unterhielt.
Währenddessen hatte das Gespräch an dem Tisch, an dem Glen und sein Großvater saßen, wieder ein Thema erreicht, welchem der rotblonde Junge ohne Probleme folgen konnte: Craig hatte im Gespräch ganz nebenbei erwähnt, dass er selbst ein Muggel und Glen ein Squib wäre. Natürlich waren die Tischnachbarn im ersten Moment überrascht darüber, dass die Macdavids zwei Nichtmagier eingeladen hatten, aber dann fragte einer der anderen Gäste, was die beiden in der Muggelwelt denn beruflich machen würden. Craig antwortete, dass die beiden als Pfandleiher arbeiten würden. Mit dem Begriff „Pfandleiher“ konnten die meisten Magier allerdings nichts anfangen, und deshalb fing der Weißhaarige an, den interessierten Zauberern zu erklären, worum es bei einem Pfandleihgeschäft ging.
Kurze zeit später wurde das Gespräch jedoch unterbrochen, als der grauhaarige Magier, der erst verspätet bei dem Fest angekommen war, auf einen leeren Stuhl neben Glens Großvater deutete und fragte, ob dieser schon besetzt ist.
„Nein, der Stuhl ist noch frei“, antwortete Craig. Wie sich heraus stellte, war der Zauberer der Besitzer des Tiergeschäftes, bei dem Blaan seit seines Schulabschlusses arbeitete. Damit er einen schnelleren Einstieg in das Gesprächsthema des Tisches bekommen konnte, erwähnte einer der Tischnachbarn, dass die Smiths gerade erwähnt hatten, dass sie als Pfandleiher arbeiten.
„Das weiß ich doch“, antwortete der alte Zauberer. Nach einer kurzen Pause wandte er sich an die Pfandleiher und fügte noch hinzu: „Ich hatte zwar eigentlich nicht vor, das hier auf der Feier anzusprechen, aber wenn das Thema jetzt schon bei eurem Pfandhaus gelandet ist denke ich, dass ich meinen Besuch bei euch auch vorher ankündigen kann. Ich habe das Geld jetzt endlich zusammen, daher werde ich morgen zu euch kommen und den Schmuck meiner Frau wieder auslösen.“
Glen war durch diese Aussage etwas überrascht, aber sein Großvater klärte die Sache auf, indem er erwähnte, dass der Tierhändler vor einigen Monaten knapp bei Kasse gewesen war und sich deshalb etwas Geld geliehen hatte. An jenem Tag war Glen gerade unterwegs gewesen, so dass der grauhaarige Zauberer die Angelegenheit mit dem weißhaarigen Pfandleiher besprochen hatte.
Danach sprach Craig allerdings ein Thema an, welches der Tierhändler nicht bedacht hatte: „Da ein Teil des Schmucks magische Eigenschaften besitzt, haben wir diesen in London bei Gringotts eingelagert. Es tut mir also Leid, aber wir werden einige Tage brauchen, um ihn dort wieder heraus zu holen.“
„OK, wenn ihr erst noch nach London müsst“, überlegte der Magier, „dann kann ich auch übermorgen früh bei euch vorbei kommen und ihn abholen.“
„Auch das wird nicht gehen“, wandte Glen ein. „Wegen der abgelegenen Lage unseres Dorfes brauche ich einen Tag um nach London zu reisen, einen weiteren Tag, um bei den verschärften Kontrollen den Schmuck aus der Bank heraus zu holen, und einen dritten Tag für die Rückreise.“
„Ihr braucht einen ganzen Tag für die Reise? Warum benutzt ihr denn nicht einfach Flohpulver oder appariert dorthin? Meine Frau hat übermorgen Geburtstag, und zu diesem Anlass würde sie den Schmuck gerne wieder tragen.“
„Als Zauberer sind Sie sicher schneller in London und zurück. Aber weder Glen noch ich verfügen über magische Fähigkeiten, und deshalb können wir auch nicht apparieren, und einen Anschluss an das Flohpulver-Netzwerk gibt es nur in den Häusern von Magiern. Und wenn ich die derzeitige politische Lage bedenke, dann sollten wir eine solche Reise auch nicht überstürzen. Wenn ich an meinen Sohn denke...“
Der Weißhaarige brach den Satz ab, offensichtlich weil er es nicht übers Herz brachte, auszusprechen, dass James seiner Meinung völlig zu Unrecht in Askaban saß.
Schließlich war es Glen, der das Schweigen brach, indem er die Pfandgegenstände der Landstreicher erwähnte: „Ein Besuch in London würde mir auch aus einem anderen Grund gut passen: Ich habe heute ein paar magische Gegenstände von einem anderen Kunden angenommen, die ich gerne bei Gringotts einlagern würde.“ Mit einem Blick auf seinen Großvater ergänzte er noch: „Ich habe dir bisher nichts davon erzählt, weil die beiden Kunden erst kurz vor Feierabend im Laden waren und ich die Feierstimmung nicht mit einem Besuch in London kaputt machen wollte.“
Wieder schwiegen sich die Gesprächspartner gegenseitig an, bis dem Zauberer eine Idee kam: „Ich kann euch zwar nicht selbst begleiten, weil ich mich um meinen eigenen Laden kümmern muss, aber vielleicht hat Blaan Lust, euch zu begleiten. Mit seiner Hilfe schafft ihr den Weg deutlich schneller, und in meinem Laden kann ich ihn einen Tag lang auf jeden Fall entbehren.“
„Das könnte man machen“, stimmte Craig nach kurzem Überlegen zu, und zu Glen gerichtet fügte er noch hinzu: „Wenn ich mich um das Pfandhaus kümmere, kannst du nach London reisen.“