Gwenroths Eltern waren ein Feuerdrache und eine Erddrachenfrau, die aufgrund irgendwelcher Intrigen das Ansehen verloren hatten und als ungeachtete Drachen in einem kleinen Dorf am Rande der Drachennation leben mussten. Nach der Geburt ihres Sohnes bemerkten sie sofort, dass Gwenroth wie ein ganz normaler Erddrache aussieht, und deshalb beschlossen sie, ihn als reinrassigen Erddrachen auszugeben (damit er nicht wie andere Mischdrachen benachteiligt wird). Dabei gingen sie sogar so weit, dass sie ihm verboten, irgend jemandem sein Feuer zu zeigen, weil das angeblich eine ganz schlechte Eigenschaft von ihm wäre.
Außerhalb des Elternhauses spielte Gwenroth in seiner Kindheit oft mit den anderen Drachenkindern. Wie bei Drachen üblich, entstanden bei dem Spiel oft auch Aggressionen, die nicht selten in spielerischen Kämpfen endeten. Und in diesen Kämpfen war er ohne sein Feuer jedem anderen Drachenkind unterlegen. Weil er seine „ganz schlechte Eigenschaft“ nicht benutzen wollte, verlor er jeden einzelnen Kampf.
Recht schnell hatten die anderen Drachenkinder bemerkt, dass Gwenroth kein ernst zu nehmender Gegner für sie war. Sie machten ein Spiel daraus, ihm bei der kleinsten Aggression seinerseits zu zeigen, dass er ein Schwächling ist. Außerdem verspotteten sie ihn wegen seiner verlorenen Kämpfe. Um dem zu entgehen, versuchte er, die Kämpfe zu vermeiden, indem er seine Aggressionen für sich behielt. Mit etwas Übung gelang ihm das auch einigermaßen, aber die Aggressionen stauten sich dadurch innerlich bei ihm an. Natürlich wurde er auch so noch in Kämpfe verwickelt, aber das war jetzt deutlich seltener.
Den letzten Kampf zwischen Gwenroth und den anderen Drachenkindern muss ich etwas genauer beschreiben: Ein Erddrachen-Himmelsdrachen-Mischlingsmädchen legte sich aus irgendwelchen Gründen mit Gwenroth an. Es entstand ein ungleicher Kampf: Das Drachenmädchen benutzte neben ihren Zähnen und Klauen auch ihre Macht, Gwenroth nur seine Zähne und die Klauen. Es war abzusehen, dass Gwenroth verlieren würde. Dei der dritten Attacke erwischte sie ihn mit ihren scharfen Krallen sehr ungünstig an seinem linken Flügel. Das Resultat war, dass quer über den Flügel eine tiefe Schnittwunde verlief. Nur wenig später hatte das Drachenmädchen keine Lust mehr, aber dafür mischte sich ein Erddrachenjunge in den Kampf ein. Er versuchte, Gwenroth zu rammen und trat dabei aus Versehen auf die Flügelspitze. Entlang der Schnittwunde riss dadurch ein großer Teil des Flügel ab.
Gwenroth spürte dabei einen stechenden Schmerz, und schlagartig entbrante in ihm eine unbändige Wut über die in den letzten Jahrzehnten erlittene Schmach. Ohne dass er es hätte kontrollieren können, strömten seine ganzen angestauten Aggressionen nach draußen, und jetzt setzte er auch zum ersten Mal sein Feuer in einem Kampf ein. Die anderen Drachenkinder waren darüber so sehr überrascht, dass sie sofort aufhörten zu kämpfen. Aber Gwenroth war so erfüllt von Hass, Wut und Agressionen, dass er noch einige Zeit auf jeden losging, der sich ihm näherte. Schließlich gelang es Gwenroths Vater dann aber, seinen Sohn zu beruhigen.
Nach diesem Vorfall entschieden Gwenroths Eltern, dass es wohl doch besser ist, wenn sie Gwenroth beibringen, wie er sein Feuer richtig einsetzen kann. Aber zunächst einmal musste die Wunde an seinem linken Flügel heilen, und das dauerte ein halbes Jahr. Während dieser Zeit blieb Gwenroth zu Hause und er hatte auch keinen Kontakt zu den anderen Drachenkindern. Seinem Vater gelang es, sein sein Ansehen wieder herzustellen, und so zog er zusammen mit seinem Sohn (sobald dessen Wunde gut genug verheilt war) in das Feuerdrachendorf Hono.
Von der Wohnung her war dies eine Verbesserung, aber jetzt musste Gwenroth wegen seines Aussehens die ganze Zeit in der Wohnung bleiben. Allerdings kam Gwenroths Vater nicht dazu, seinen Sohn in der Verwendung des Feuers zu unterweisen: Tagsüber war er in einer der Schmiedestädten des Dorfes beschäftigt, und danach war er zu müde.
Etwa zwei Jahrzehnte später war ein anderer Bewohner des Hauses unachtsam und löste einen Brand aus, dem das ganze Gebäude zum Opfer fiel. Gwenroth konnte zwar aus den Flammen gerettet werden, aber dadurch waren die ranghöchsten Drachen des Dorfes auf ihn aufmerksam geworden. Statt ihn gleich zurrück in die Dörfer am Rande der Drachennation zu schicken, schickten sie ihn erst einmal zu einem Verhör bei einem General der Drachenarmee, der gerade im Ort zu Besuch war.
Den General fragte zuerst, wer Gwenroth sei und wo seine Eltern sind. Gwenroth versuchte, seinen Vater zu schützen, indem er behauptete, dass er seit einigen Jahrzehnten alleine leben würde. (Sein Vater hätte erneut sein Ansehen verloren, wenn bekannt geworden wäre, dass er zusammen mit einer Erddrachenfrau ein Kind hat.) Als nächstes interessierte den General, was ein „kleines Erddrachenkind“ ganz allein in einem Feuerdrachendorf macht. Hierauf nannte Gwenroth sein wahres Alter und behauptete, dass er in das Dorf gekommen sei, um zu lernen, wie er sein Feuer richtig eisetzen kann. Dann demonstrierte er, dass er er über die Macht des Feuers verfügt. Der General konnte nicht fassen, dass ein Erddrache über die Macht des Feuers verfügt und setzte deshalb sein Verhör fort, bis Gwenroth schließlich zugab, dass sein Vater ein Feuerdrache und seine Mutter eine Erddrachenfrau war. Allerdings ließ sich Gwenroth nicht dazu bewegen, weitere Details über seine Eltern zu verraten. Im Laufe des Verhörs begann sich der General für Gwenroth zu interessieren. Um ihn genauer beobachten zu können ohne das Interesse gleich offen zu zeigen. Deshalb gab er Gwenroth erst einmal eine niedrige Stellung in der Drachenarmee. Also musste Gwenroth ein weiteres Mal umziehen. Dieses Mal ging es zum Basislager der Drachenarmee.
Bei der Armee musste Gwenroth zunächst einmal eine Grundausbildung absolvieren. Eines der ersten Themen dieser Ausbildung war der Flugkampf. Hier war der zu klein geratene Drache natürlich mit Abstand der schlechteste in der Klasse: Er hatte Mühe, überhaupt in der Luft zu bleiben, an ein Kämpfen war dabei nicht zu denken. Als der Ausbilder dies bemerkte, fragte er Gwenroth, wieso sein linker Flügel verstümmelt ist. Diese Frage erinnerte ihn an die vielen verlorenen Kämpfe in seiner Kindheit, und er fühlte, wie Wut und Hass auf seine damaligen Spielkameraden wach wurden. Wenn sich eine größere Menge an Aggressionen in ihm angesammelt hätten, hätte er sich nicht mehr beherrschen können, aber glücklicherweise hatte er vor kurz vor seimen Eintritt in die Armee alle seine Aggressionen an seinem Vater ausgelassen. Zum Ausbilder sagte er nur: „Daran möchte ich lieber nicht erinnert werden.“
Der Ausbilder ließ aber nicht locker und drohte damit, dass er Gwenroth unehrenhaft aus der Armee entlassen und in die Dörfer am Rande der Drachenarmee schicken könnte, wenn er keine zufriedenstellende Anwort bekommt. Darauf erzählte Gwenroth, dass er in einem dieser Dörfer geboren wurde und schilderte dann seine Erlebnisse in der Kindheit bis hin zu dem Kampf, bei dem sein linker Flügen verstümmelt wurde. Zum Schluss fügte er noch hinzu, dass er auch nach diesen Ereignissen nicht gelernt hätte, wie er sein Feuer richtig einsetzen kann. Der Ausbilder war mit dem Bericht zufrieden und entschied, dass Gwenroth den Luftkampf nicht erlernen muss sondern statt dessen im Gebrauch seines Feuers unterwiesen werden sollte.
Einige Jahre später besuchte der Drachenkönig das Basislager der Drachenarmee. Einer von Gwenroths Kameraden hegte heimlich einen Hass auf den König und nutzte die Gelegenheit, um diesen anzugreifen. Als Gwenroth das bemerkte, warf er sich zwischen den Angreifer und den König. Er hatte seit seinem Eintritt in die Armee viele Aggressionen in sich aufgestaut, und die ließ er jetzt in einem Kampf gegen dem Attentäter heraus. Es wurde kein leichter Kampf. Gwenroth konnte zwar gewinnen, aber er musste ein halbes Dutzend ernsthafter Verletzungen einstecken, an die heute noch die Narben an seinem Körper erinnern.
Über die nächsten Jahrzehnte brauche ich nicht viel zu erzählen, weil nicht viel passiert ist: Gwenroth setzte seine Ausbildung fort, diente danach in der Drachenarmee und wurde ein paar mal befördert. Die Vorgesetzten hatten schon recht schnell bemerkt, dass Gwenroth so gut wie keine Emotionen zeigt, aber mit der Zeit bemerkten sie auch, dass er ab und zu extrem starke Aggressionen zeigt. Damit diese nicht zu einem Problem wurden rieten sie ihm, seine Aggressionen nicht immer nur in sich hineinzustopfen, sondern diese manchmal auch herauszulassen. Gwenroth folgte diesem Rat.
Als vor anderthalb Jahrzehnten einer der Leibwächter des Königs verstarb, wurde Gwenroth trotz seines geringen Alters in die engere Wahl für den Nachfolger genommen. Der König entschied sich dann zwar für einen anderen Kandidaten, aber Gwenroth bekam wenig später eine Stellung als Leibwächter für die Familie des Bürgermeisters der Erddrachenstadt Sekai (und durfte damit ein bisher letztes Mal umziehen).