"Зaкoннaя пepeдaчa" [Sakonnaja peredatscha] bedeutet "rechtmäßige Übergabe". Ein Titel, der mir ehrlich gesagt noch besser als der des 12. Kappis gefällt (es ist übrigens keine Absicht, dass das 12. und das 24. Kappi die bisher einzigen mit russischem Titel sind. Zufall ist es natürlich auch nicht, aber es hat einfach am besten gepasst. Das nächste mit russischem Titel wird nämlich eher nicht das 36. sein, sondern wird es schon früher sein - es sei denn, mir fällt noch zu viel ein.
„Diese verdammte...“, wütend hieb ich mit der linken Faust gegen einen Baumstamm. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die raue Rinde die Haut meiner Finger teilweise ein wenig abrieb; außerdem wurde die gesamte Kraft des Hiebes von meinem Handgelenk aufgefangen, sodass ich auch dort etwas Schmerz verspürte. Mit mehreren Tritten gegen eine hervorstehende Wurzel fuhr ich fort, meine Aggressionen abzubauen. Prisca war mir tatsächlich entkommen, irgendwie hatte es diese penetrante Person geschafft, mich abzuhängen. Nun stand ich irgendwo im Inneren eines anscheinend recht ausgedehnten Waldes und hatte keine Ahnung, welche Richtung ich nun einschlagen sollte. Dragonir war sicherlich erschöpft, auf seine Hilfe konnte ich nicht zählen, während ich Solniza schon genug Probleme beschert hatte, indem ich ihr den Befehl gegeben hatte. Viel zu impulsiv hatte ich gehandelt, war vollkommen unüberlegt vorgegangen. Was sollte ich jetzt machen? Keines meiner übrigen Pokémon war in der Lage, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, und nicht einmal meinen PokéCom konnte ich verwenden, da er keinen Empfang hatte.
Mit einem in der Stille des Waldes unnatürlich laut erscheinenden Splittern brach schließlich die Wurzel, die ich bearbeitet hatte. Was war nur los mit mir, dass ich mit so viel Gewaltanwendung auf die verzwickte Situation reagierte? Normalerweise konnte ich Ausweglosigkeit nicht einmal akzeptieren, sondern fuhr einfach damit fort, einen Ausweg zu suchen. Und jetzt? Ich verzweifelte doch nicht etwa an einer so lächerlichen Sache? Am Stamm entlang blickte ich nach oben zur Baumkrone, die über feste, ausladende Äste verfügte. Der perfekte Beobachtungsplatz. Ein einziger Nachteil lag darin, dass ich nicht hinaufkam, da im unteren Bereich keine Zweige vorhanden waren.
Der laute Schrei eines Vogel-Pokémons zerschnitt die Stille des Waldes und ließ mich herumfahren. Zwar hatte ich, was die Laute von Pokémon anging, kaum Erfahrung, doch identifizierte ich das Geräusch als den Ruf eines Noctuhs. Was nur konnte eine Eule dazu bewegen, am helllichten Tag wach zu sein und zu schreien? Es war ein vollkommen untypisches Verhalten für diese Pokémon-Art.
Kurz entschlossen eilte ich schnellen Schrittes in die Richtung, aus der das Geräusch anscheinend gekommen war. Meist riefen diese Vögel höchstens im Kampf oder wenn sie erschreckt wurden. Den ersten Fall konnte ich jedoch mit beinahe kompletter Sicherheit ausschließen, da Noctuh dafür berühmt waren, Kämpfen in freier Wildbahn aus dem Wege zu gehen, vor allem tagsüber. Nur wie konnte ein Pokémon mit einem solch guten Gehör in einem vollkommen ruhigen Wald erschreckt werden? Instinktiv zog ich im Lauf mein Taschenmesser aus der hinteren Hosentasche und ließ es aufschnappen. Schon wieder ein Zeichen von Gewaltbereitschaft, wie ich sie heute scheinbar öfter an den Tag legte. Was war nur los mit mir?
Der Griff aus Landschaftsjaspis wurde in meinem festen Griff schnell warm, während der Stahl, den er umhüllte, eiskalt blieb. Vor einiger Zeit hatte ich gehört, dass ein Halbedelstein, je schneller in der Hand warm wurde, besser zu einer Person passte. Zwar hielt ich es für einen haltlosen Aberglauben, doch war mir schon öfters aufgefallen, dass das Messer in den Händen meiner Schwester kühl blieb. Dafür aber erwärmte sich der Anhänger aus Sodalith, den Claire zu tragen pflegte, kaum, berührte ich ihn. Irgendetwas schien an der Behauptung also doch wahr zu sein, wenngleich ich es bezweifelte. Was würde es für einen Effekt haben, wenn ein Stein zu jemandem „passte“? Und was bedeutete überhaupt dieses „passen“? Ich schnaubte belustigt auf. Schön und gut, wenn sich irgendjemand eine unsinnige Geschichte ausdachte, doch sollte er in einem solchen Falle auch Hintergrundinformationen spinnen.
Mein Weg wurde schließlich von einem Pfad gekreuzt. Im humusreichen Boden war eine Menge an Reifenspuren zu erkennen, doch vermochte ich keine Anzahl zu schätzen. Was hingegen klar war, war, dass hier sowohl leichte PKWs wie auch vollbeladene Lieferwagen vorbeigekommen waren, wie ich aus der unterschiedlichen Tiefe der Abdrücke schloss.
Neben dem Pfad blieb ich im Gras stehen, um meinerseits keine verräterischen Spuren zu hinterlassen. Prisca hatte im Gebäude, das sich irgendwo hier befand, mindestens schon Bescheid gegeben, selbst, wenn sie noch nicht dort war. Wer wusste schon, vielleicht wurde ich bereits von einer Anzahl von Rocket Rüpeln gesucht? Möglicherweise waren sie mir bereits dicht auf den Fersen, nur ahnte ich nichts davon. Meine freie Hand ballte sich zu einer Faust. Warum nur hatte ich Solniza diesen unüberlegten Befehl gegeben? Wer wusste, was sie im Moment durchmachte.
Ich versuchte abzuschätzen, in welcher Richtung der Waldrand lag und entschloss mich dazu, das Zentrum des Gebiets auf der linken Seite zu suchen, da mich meine Intuition nach rechts lockte. Warum nur musste ich über einen solch schlechten Orientierungssinn verfügen? Es wäre von Vorteil, wenn ich immer mit einer Karte in der Hand durch die Gegend streifen würde. Doch selbst eine solche würde mir im Moment herzlich wenig nützen, da ich nicht sagen konnte, wo genau ich mich befand.
Nach einigen Sekunden Überlegung schielte ich in Richtung der Baumwipfel. Genau neben mir befand sich ein guter Kletterbaum und ich entschied, diesen Wink des Schicksals wahrzunehmen. Schließlich konnte ich nicht ahnen, wann der nächste Wagen vorbeikommen würde. Was sollte ich machen, wenn ich genau zu diesem Zeitpunkt kein Versteck hatte? Ich würde ein kleines Problem bekommen.
Flink wie ein Griffel angelte ich nach dem tiefsten Ast, doch zuvor nahm ich mein Taschenmesser zwischen die Zähne, um beide Hände zum Klettern gebrauchen zu können. Der Rest des Baumes war ein Kinderspiel – die festen, weit auslandenden Äste, die recht knapp untereinander wuchsen, waren eine ausgezeichnete Kletterhilfe und so fand ich mich bereits wenig später einige Meter über dem Erdboden wieder. Ein weiteres Mal schalt ich mich in Gedanken für den Befehl an Solniza, als ich mir des Höhenunterschiedes und der daraus resultierenden Gefahr bewusst wurde. Die Sonnenkatze hätte mir die nötige Sicherheit mithilfe ihrer Konfusion geben können, doch war die bereits ins feindliche Lager vorgedrungen, während ich noch auf der Suche danach war.
Laut schlugen die Autotüren zu, dann entfernten sich langsam Schritte vom Wagen, bis ich das Schließen einer weiteren Tür hörte. Wenn ich nicht geübt darin gewesen wäre, meine Emotionen zu verbergen, wäre vermutlich meine Atmung ausgeblieben. Doch so zeigte sich meine Überraschung nicht äußerlich, auch wenn mich die Erkenntnis wie ein Paukenschlag traf. War Majas Bruder hier eingeschleust worden, um die verbrecherische Organisation zu stoppen oder... nein, er konnte nicht auf freiwilliger Basis mit ihnen zusammenarbeiten. Auch wenn Darkrais Fluch sein Verhältnis zu meiner Trainerin verändert hatte, so war er doch ein durch und durch ehrlicher, gerechter und guter Mensch. Oft hatte ich ihn beobachtet, wenn er sich Übungskämpfe gegen Claire geliefert hatte – so lange Maja nicht in der Nähe gewesen war, hatte es, abgesehen von kleinen geschwisterlichen Streitigkeiten keine Probleme gegeben.
Und wenn ich die Stimme verwechselt hatte? Unmöglich. Mein Gehör war fein genug, außerdem besaß Siegfried eine äußerst charakteristische Stimme, die kaum zu verwechseln war. Hier passierten einige seltsame Dinge, denen ich auf den Grund zu gehen hatte...
Ich beschloss, dass inzwischen bereits genug Zeit vergangen war und benutzte den Teleport, um mich direkt auf den Beifahrersitz zu versetzen.
Durch die Windschutzscheibe hindurch blickte ich mich im Raum, in welchem der Wagen abgestellt war, um. Es schien sich um eine recht große Garage zu handeln, deren Wände unsauber verputzt waren. Licht fiel nur aus wenigen schmutzigen Schlitzen an der Decke ein, weshalb die gesamte Szenerie im Halbdunkel lag. Eng aneinandergereiht waren ausnahmslos olivgrün lackierte Autos zu sehen. Nicht nur Geländewagen waren abgestellt worden, in den Reihen konnte ich auch den einen oder anderen Lieferwagen ausmachen. Gut organisiert waren die Verbrecher schon, das musste man ihnen zugestehen. Doch war nicht zu verleugnen, dass sie das Gesetz brachen.
Ich wollte meine Konfusion benutzten, um das Handschuhfach zu öffnen, da ich auf die Entdeckung von interessantem Material hoffte. Mein Vorhaben wurde allerdings gestört, als ich die Tür, die ich zuvor nicht hatte entdecken können, aufgehen hörte. Flugs verbarg ich mich, indem ich mich unter den Beifahrersitz zwängte. Das Versteck war jedoch recht klein, sodass meine Schweifspitzen, die sich nervös umeinanderschlangen, zu sehen waren. Meine einzige Hoffnung war in diesem Moment, dass die Person, die die Garage soeben betreten hatte, nicht bis zum Geländewagen vordrang.
Doch all mein innerliches Flehen half nichts. Ängstlich hörte ich, wie die rechte Vordertür geöffnet wurde und spürte einen leichten Druck auf meinen Rumpf, als sich die Person auf dem Sitz niederließ. Dann trat das Rocket-Mitglied genau auf meinen Schweif. Der Schmerz war so stark, dass ich nicht umhinkonnte, einen Schrei auszustoßen und unter dem Sitz hervor zu preschen. Mit einem kurzen Sprung landete ich auf der Rückbank, auf die ich jedoch nur einen Sekundenbruchteil lang berührte. Dann schon sprang ich nämlich auf den Fahrersitz, jederzeit bereit, einen Psystrahl abzufeuern, sollte es brenzlig werden.
Der junge Mann nahm seine Baskenmütze und die Sonnenbrille, die er trotz des Halbdunkels trug, ab und blickte mich verwirrt an. Ich starrte mit einem ähnlichen Gefühl zurück, als ich mir seines pinkfarbenen Haares und den rotbraunen Augen gewahr wurde. „Psiana?“, fragte er leise, aber überrascht. „Majs Psiana?“
Der Weg endete direkt vor einer kleinen Lichtung, die unnatürlich eben wirkte. Auch das Ende des schmalen Erdstreifens erschien mir zu plötzlich, um natürlich zu sein, sodass ich mich entschied, vom Baum zu klettern und die Sache genauer unter die Lupe zu nehmen. Natürlich bedeutete dies ein ziemliches Risiko, doch, das war mir inzwischen klar geworden, wer keine Risiken auf sich nahm, war bei den G-Men vollkommen fehl am Platz. Und selbst wenn jemand von der verbrecherischen Organisation auftauchen würde – wozu hatte ich meine Pokémon dabei?
Flink hangelte ich mich aus luftiger Höhe nach unten, konnte es mir aber nicht nehmen lassen, vom vorletzten Ast abzuspringen und auf der ebenen Fläche zu landen. Härter als erwartet wurde mein Sprung abgebremst, sodass meine Beine eine überraschend starke Beschleunigung abfangen mussten. Meine Landung verursachte jedoch außerdem einen seltsam hohl klingenden Ton, der mich sofort aufhorchen ließ. War es möglich, dass sich das feindliche Lager direkt unter meinen Füßen befand? Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. War ich etwa dem Rätsel auf der Spur? Mit einer fließenden Handbewegung zog ich das Taschenmesser zwischen meinen Zähnen hervor und begann, am Boden zu kratzen. Wenn meine Schlussfolgerung stimmte, konnte sich unter mir nicht viel Erde befinden.
Tatsächlich stieß ich schon nach wenigen Millimetern auf festen Stahl, der zwar schwarz bemalt und von Erde verdreckt war, doch eindeutig nicht natürlicher Herkunft war. Anscheinend hatte ich das, nachdem ich gesucht hatte, tatsächlich gefunden. Doch nützte es mir wenig, wenn ich keinen Eingang zur Hand hatte.
So legte ich die wenigen Schritte bis zum Ende des Weges zurück, um diese Stelle näher zu untersuchen. Doch kaum hatte ich mich auf die Erde gekniet, spürte ich die Anwesenheit Solnizas. Wo bist du denn abgeblieben?, fragte ich die Sonnenkatze völlig überrascht.
Ich befinde mich auf dem Fahrersitz eines gewissen Geländewagens, der in einer im Halbdunkel liegenden, unterirdischen, recht großen Garage abgestellt ist. Gegenüber mir sitzt dein Bruder und starrt mich schon einige Sekunden lang überrascht an, wenn du es genau wissen willst. Denn er war der Fahrer des Autos, kam postwendend die Antwort. Das Psiana schaffte es wie gewohnt, die Stimme vollkommen emotionslos zu halten, doch kannte ich das Pokémon nun schon lange genug. Ich wusste, dass die Tochter des Sonnenstrahls nervös war. Äußerst nervös, da sie wusste, dass ich nicht weit weg sein konnte.
Das ist... nicht besonders gut, untertrieb ich. Dennoch sehe ich in dieser Tatsache keinen Grund, nicht hinzukommen zu versuchen. Ansonsten verletze ich die Regeln, wie du wissen wirst. Kannst du nicht... irgendetwas machen?
Eine Antwort erhielt ich, jedoch nicht von dem hellvioletten Wesen, sondern von einer anderen, ebenfalls weiblichen Stimme. Es ist nun beinahe an der Zeit... Lady Maja Kassandra Sandra Drachenmeister, es war eine interessante Zeit, in der ich dich als Kugelwächterin hatte. Doch bist du nur die Auserwählte Rayquazas... Möge das Licht der Kugeln auch die letzten Schatten auslöschen. Mehr war es nicht, das Cresselia zu mir sagte, doch wusste ich sofort Bescheid. Der Zeitpunkt der Übergabe der Violetten Kugel war nun nicht mehr fern.
„Cresselia...“, murmelte ich nur beinahe lautlos, als ich fahrig mit der Hand über den Boden fuhr, als ob ich dort etwas finden könnte.
Tatsächlich hörte ich ein leises, doch aus irgendeinem Grund aggressiv klingendes Surren aus dem Untergrund kommen. Instinktiv griff ich nach Satmens Pokéball und sprang auf, wobei ich die Stelle, die meine Hand zuletzt berührt hatte, nicht aus den Augen ließ.
Langsam schob sich eine geschlossene Rampe aus dem Erdreich, in die der Weg genau hineinmündete. Sie bestand aus dem gleichen Stahl, den ich bereits vorher freigelegt hatte, doch ihr Dach war von Gras und Erde bedeckt. Technischer Schnickschnack verborgen unter dem Waldboden. Belustigt schnaubte ich auf. Was das wohl alles gekostet hatte? An Geld schien es Team Rocket jedenfalls nicht zu mangeln.
Endlich kam die Bewegung zum Stillstand. Mir schien das Gebilde breit und hoch genug, um selbst einen Lieferwagen, wenn auch keinen LKW, einzulassen. Zögerlich trat ich an das stählerne Tor, das über keinen Riegel oder ähnliches verfügte. Stattdessen befand sich auf der rechten Seite ein Tastenfeld, das ich nun näher betrachtete. Mir schien, als ob es sich um dasselbe Modell wie in dem Gebäude nahe Viola Citys handelte. Schon wollte ich versuchen, die metallene graue Abdeckung abzunehmen, um die Kabel freizulegen, als ich sah, dass sich neben den Tasten kein Kartenschlitz befand. Außerdem waren nur die neun Ziffern vorhanden, während die Null, das Sternchen und die Raute im Gegensatz zu dem anderen Tastenfeld fehlten. Ich leckte mir über die Lippen. Doch ein anderes System... Mir fiel jedoch wieder ein, was Alan über die Öffnungsmethode gesagt hatte. Hatte er nicht gemeint, dass es bei allen PW-Systemen funktionierte? Ich fuhr mit den Fingerkuppen über das kalte Metall, um eine eingeätzte Typenbezeichnung ausfindig zu machen, und schnell wurde ich an der Unterseite des Geräts fündig. Doch als ich den Versuch zu lesen machte, bemerkte ich, dass die Schrift vollkommen von Erde verdreckt war und damit ein Ablesen unmöglich machte. Schon flog meine Hand zu meinem PokéCom, um mich beim Techniker zu informieren, aber Solniza unterbrach meine Handlung: Versuche die Kombination sechs-acht-eins-fünf. Ich habe es aufgeschnappt, als der Wagen hier ankam.
Ich zweifelte jedoch. Was, wenn du durch einen anderen Eingang hineingekommen bist, und hier gilt ein anderer Code?, fragte ich die Sonnenkatze.
Ob du es glaubst oder nicht, erklärte sie mir, ich kann deine Position ausmachen und dir versichern, dass es dasselbe Tor ist. Nun mach schon! Dein Bruder hört nicht auf, mich anzustarren und dies ist doch recht störend.
Kommentarlos nahm ich die Äußerung zur Kenntnis, ich wusste, was das Psiana damit aussagen wollte und streckte meinen Zeigefinger aus. Die mittlere Zahl am rechten Rand drückte ich noch recht zögerlich, ebenso die Taste in der Mitte der untersten Reihe. Doch als ich die Oberfläche der linken oberen Fläche berührte und immer noch kein Alarm zu hören war, wurde ich bereits sicherer. Komplett beruhigt war ich allerdings erst nach der Betätigung des Feldes, das exakt in der Mitte angelegt war. Denn kaum hatte ich dies erledigt, war eine Eingabebestätigung auf dem Display oberhalb der Tasten zu lesen und die Tür ging langsam auf. Vorsichtig schlüpfte ich hindurch und blickte mich um.
Der Gang, dessen Boden mit billigem PVC ausgelegt und die Wände schlecht verputzt waren, dessen Decke aus nacktem Stahl mit wenigen Lüftungsschlitzen bestand, wies ein leichtes Gefälle auf. Vielleicht zwei Meter führte er in die Tiefe, dann mündete er in eine recht große, um nicht zu sagen, gigantische Halle, die augenscheinlich als Garage benutzt wurde. Im Halbdunkel standen hier mindestens zwanzig Geländewagen und fünf Lieferwagen eng nebeneinandergereiht. Alle waren in der bereits bekannten olivgrünen Farbe lackiert. Netter Ort für ein Treffen, Solniza, bemerkte ich sarkastisch, wo bist du denn? Ich denke nicht, dass ich genügend Zeit habe, um alle Autos durchzusuchen. Prüfend sah ich mich um. An den Wänden waren insgesamt vier Rampen wie die, die ich verwendet hatte, zu sehen, doch erkannte ich keine Tür. In meinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit, denn die absolute Stille war erdrückend. Noch nie hatte ich eine solch lautes Fehlen jeglicher Geräusche erlebt.
Ich denke, du solltest dem Licht folgen, ertönte in meinem Kopf eine vor Macht bebende Stimme. Rayquaza meldete sich also auch ausnahmsweise einmal? Ich schnaubte auf. Wie sollte ich einem Licht folgen, wenn keines... Ich brach den Gedankengang ab.
Instinktiv griff ich zur Kugel um meinen Hals, da ich bemerkte, dass sie sich erwärmte. Doch als meine Finger die glatte Oberfläche berührten, fiel die Temperatur des mystischen Gegenstandes drastisch ab, sodass ich die Hand wieder eiligst wegzog. Mit staunendem Blick begutachtete ich die Spitzen meiner Finger, die nun von einem violetten Licht umgeben waren. Gebannt betrachtete ich das Leuchten, scheinbar hatten sich die Kugeln getrennt. Nun ergaben beide Aussagen der Kugelmeister einen Sinn, denn langsam stieg die Kraft der Violetten Kugel, die nun in dem kleinen Licht komprimiert war, in die Höhe. Direkt vor meinen Augen stoppte sie und begann, sich zitternd nach vorne zu bewegen. Schnell fingerte ich nach der Grünen Kugel um meinen Hals, um ihre Farbe zu begutachten.
Sanft lächelte ich. Diese hatte wieder den smaragdenen Farbton angenommen und war nicht mehr vollkommen durchsichtig wie ein Diamant. Somit war nur mehr der legendäre Drache mein Meister, ich trug nur mehr für eine der Kugeln Verantwortung.
Die zitternde Lichtkugel hatte ihre Wanderung nun gestoppt und schwebte über einem der Geländewagen. Schnellen, doch leisen Schrittes begab ich mich nun dorthin, denn schon senkte sich das Licht nach unten, wobei es mir vorkam, als ob seine Leuchtkraft immer stärker wurde.
Das plötzliche Geräusch eines Automotors ließ mich herumfahren. Von einer der Rampen konnte man zwei Lichtkegel von Scheinwerfern ausmachen. Augenblicklich eilte ich in den Spalt zwischen zwei der Geländewagen und spähte vorsichtig über die Motorhaube.
Ein Lieferwagen fuhr im Schritttempo die Rampe hinunter und bog in eine Gasse zwischen den abgestellten Autos ein. Ich zog meinen Kopf ein. Solniza, her zu mir, befahl ich kurz angebunden.
Ich werde hier gerade Zeugin eines äußerst wichtigen Ereignisses!, ereiferte sich das hellviolette Wesen hitzig, stand jedoch binnen Sekundenbruchteilen neben mir.
Geht doch, grinste ich, so ein Teleport ist schon etwas recht Praktisches, nicht wahr?
Ein wahres Wort, musste Solniza schließlich zugeben. Doch was hast du vor? In absehbarer Zeit wird der Raum für einen Augenblick in violettes Licht getaucht werden. Es war auch schon so, als du die Grüne Kugel zum ersten Mal berührt hast; du hast es nur nicht bemerkt, da du selbst die Quelle warst. Ich bezweifle, dass es nun anders sein wird. Die Insassen des Autos werden also sowieso bemerken, dass hier etwas passiert.
Genervt verdrehte ich die Augen. Ich hatte auf eine schöne Einschleichaktion gehofft, seufzte ich, aber wie es aussieht, bleibt uns nichts anderes übrig. Bist du bereits für einen Kampf, meine Freundin?
Die Psychokatze nickte voll grimmiger Zustimmung. Von mir aus kann es losgehen, knurrte sie.
Ich richtete mich auf, wobei ich mir wie im Kriegszustand vorkam. Wie eine Offizierin, die ihren Soldaten gerade den Befehl zum fatalen Angriff gibt... wobei diese Vorstellung nicht einmal fehl am Platze wirkte. Stopp mit Konfusion die Bewegung der Reifen, kommandierte ich.
Wie so oft leuchteten Solnizas Augen blau auf, und gleich darauf wurden die Räder des Wagens von gleichfarbigen Auren umhüllt. Die Felgen, die noch vor Augenblicken vor Bewegung unscharf gewesen waren, waren von einer Sekunde auf die andere vollkommen klar zu erkennen. Aus dem Inneren des Lieferwagens waren überraschte Rufe wahrzunehmen und die Türen schwangen auf. Auf der Fahrerseite stieg ein blonder Rocket Rüpel aus, den Beifahrer konnte ich nicht erkennen.
Just in diesem Moment wurde die Garage von violettem Licht erfüllt, das so hell war, dass sämtliche Schatten ausradiert wurden. Mir war es sogar, als könnte ich durch meine Hand hindurch die Knochen erkennen; ein wahrlich gespenstiger Anblick. Die Violette Kugel hatte anscheinend ihren neuen Wächter gefunden.
„Was war das?“, hörte ich einen überraschten Aufschrei von der gegenüberliegenden Seite des Autos.
„Weiß nicht Boss, kein Schimmer! Aber es kam von dort drüben!“ Der Rocket Rüpel zeigte auf die ungefähre Stelle.
Ich duckte mich rasch und versuchte, an die Rückseite des Wagens zu kommen, um einen Blick auf den „Boss“ zu erhaschen. Es schien also, als ob es neben Prisca und Professor Sebastian noch einen dritten Anführer der Organisation gab.
„Diese Prisca!“, rief der Boss aus, „Nicht einmal in der Lage, ein Mädchen ohne Probleme zu kidnappen. Schon gehört? Wurde von einer dieser G-Men unterbrochen, wie ihre Begleiter berichtet haben... Nun irrt sie vermutlich irgendwo durch die Wildnis, zu feig, um zurückzukommen. Hat allerdings vermutlich auch Recht so. Nicht einmal ihre Position als die Frau des Oberbosses hilft ihr in einer solchen Situation. Es war nämlich das gleiche Mädel, das schon die Schule bei Neuborkia auffliegen hat lassen... Auch Sebastian hat sie ziemlich fertiggemacht, der konnte vorher jedoch noch seine Aufgabe abschließen. Noch dazu haben wir dank seinem Assistenten Felix wichtige Hinweise über die Kleine. Ewig langer Name – nicht zu merken. Aber weißt du, was wirklich ärgerlich ist? Bei ihr scheint der Hass auf uns in der Familie zu liegen. Nicht nur sie, auch ihr Bruder – der übrigens der Champ ist – versucht uns zu stoppen. Hatte bereits einmal mit ihm zu tun, mir erging es aber glücklicherweise so wie Seb -“
„Ähm, Boss“, versuchte der Rüpel verzweifelt, den Monolog seines Bosses abzubrechen, „solltest du nicht eher nachsehen, was das war? Das Licht meine ich. Es ist nur so ein Gefühl... Aber ich denke, wir haben unliebsame Gesellschaft.“ Der Schwarzgekleidete drehte sich genau in dem Moment um, als ich versuchte, mich hinter dem Lieferwagen zu verstecken. „Und ich denke, ich habe den Besuch entdeckt. So ein Zufall, genau das Mädel, über das du vorhin gesprochen hast.“
Ich erstarrte in meiner Bewegung, bevor ich den Blonden finster anstarrte. „Es gibt keine Zufälle“, erklärte ich dem vollkommen Verwirrten, dann befahl ich Solniza mit einer einzigen Handbewegung, den Kerl in die Luft zu heben. Dieser Aufforderung leistete sie sofort mithilfe einer weiteren Konfusion Folge, sodass der junge Mann hilflos in der Luft zappelte.
„Was machst du schon wieder für Sachen oder fantasierst du?“, hörte ich plötzlich hinter mir die Stimme des Bosses und sofort fuhr ich herum.
„Es tut mir Leid, deinen Namen vergessen zu haben“, erklärte der Mann von vielleicht zwanzig Jahren. Seine Haare waren beinahe vollkommen von einer schwarzen Baskenmütze verdeckt, die Farbe konnte ich überhaupt nicht ausmachen. Auch der Rest seiner Kleidung unterschied sich kaum von der der Rüpel; er trug eine ebensolche Hose und Stiefel, doch anstelle einer Jacke war er mit einem einfachen T-Shirt, auf dessen Ärmeln je ein rotes R aufgedruckt war, bekleidet; Handschuhe trug er allerdings keine. „Ich habe schon einiges von dir gehört, Mädchen. Nichts Gutes, doch einen Vorteil hat es, dass Prisca nun raus ist. Das Verbot für weibliche Rüpel gilt nun nicht mehr, was die Moral der Truppe sicherlich um einiges steigern wird... Ich könnte dir auch das Angebot machen, uns beizutreten, doch bezweifle ich, dass du annehmen wirst. Ah, aber ich vergaß komplett, mich vorstellen. Mein Name ist Rico, und wie du bereits belauscht haben wirst, bin ich einer der Chefs der Johto-Abteilung. In meiner Verantwortung lagen schon mehrere Projekte; doch nur bei einem wurde ich gestört. Ausgeführt habe ich es dennoch komplett. Worum es dabei ging, wird dich vielleicht interessieren, aber gerade aus diesem Grunde werde ich es dir nicht erzählen. Ebensolches gilt für das hiesige Projekt, das nun, da Prisca mir nicht mehr hineinpfuscht, schnell erledigt sein wird. Noch schneller, wenn ich dich ausgeschalten habe... Vor allem, da ich dann den Oberbefehl über Johto erhalten werde, wie Giovanni bereits einmal hat durchblicken lassen...“ Rico grinste mich an, und ich machte langsam einen Schritt nach hinten.
„Wenn du das denkst“, ertönte plötzlich eine Stimme von der Seite, „dann ist dir nicht zu helfen.“ Ich fuhr herum und erblickte meinen Bruder in einer Rocket-Uniform. Selbst sein pinkes Haar wurde von einer schwarzen Mütze bedeckt, und er nahm gerade eine dunkle Sonnenbrille, die er anstatt einer Maske trug, ab. An seinem Hals war ein schwacher ringförmiger Lichtschein in violetter Farbe zu erkennen. Lässig hatte er es sich auf der Motorhaube eines der Geländewagen bequem gemacht, in der rechten Hand hielt er einen Pokéball.
Betont langsam stand Siegfried nun auf und stellte sich neben mich. „Schwesterherz, ich habe zwar keine Ahnung, warum, aber es scheint, als ob der Fluch gebrochen wäre. Deshalb schlage ich zur Feier des Tages vor...“ Er setzte ein breites Lächeln auf, „dass wir diesen Ort hier ein wenig ausmisten. Dem Erdboden gleichmachen geht leider nicht, da wir uns ja unter der Erde befinden.“
Ich schloss glücklich die Augen. Drei lange Jahre lang war es uns nicht möglich gewesen, ein normales Gespräch zu führen und nun hatten sich die schwarzen Schatten verflüchtigt. Nun erschien mir das gesamte Leben fröhlich, hell und zufrieden – trotz der Tatsache, dass wir uns gerade im Lager des Feindes befanden und entdeckt worden waren. Und nun stand mein Bruder neben mir und ließ, wie er es früher so oft gemacht hatte, einen seiner Sprüche vom Stapel, bevor die große Schlacht begann. Es war, als ob die letzten drei Jahre nie existiert hatten, als ob Darkrai nie am Drachenzahn-Berg erschienen war. „Brüderchen, es hat sich nichts verändert“, stellte ich lächelnd fest, „und doch kämpfen wir nun zum ersten Mal miteinander und nicht immer nur im Training gegeneinander. Also hat sich doch etwas verändert?“ Offen blickte ich in seine rotbraunen Augen. „Es gibt keine Zufälle“, flüsterte ich leise.
Siegfried legte mir nur die Hand auf die Schulter. „Denn alles folgt seiner Bestimmung“, ergänzte er den Satz, der für uns so etwas wie eine Zauberformel gewesen war, seitdem ich ihn zum ersten Mal in den verstaubten Büchern, aus denen unsere Chroniken bestanden, gelesen hatte.
Ich kämpfte mit den Glückstränen. So lange war es inzwischen her, dass der Satz ausgesprochen worden war... Verhalten wischte ich mir mit dem Handrücken über die Augen. „Nun denn...“, murmelte ich und griff nach einem Pokéball an meinem Gürtel, „auf geht’s.“ Im gleichen Moment wie mein Bruder aktivierte ich den kapselartigen Ball und entließ meinen blauen schlangenartigen Drachen. Siegfried rief ebenfalls sein erstes Pokémon; im Gegensatz zu meinem befand sich seines allerdings bereits in der letzten Entwicklungsstufe. So materialisierte sich neben meinem Dragonir ein orangefarbener Drache, dessen Flügel größer als gewöhnlich waren. Mit diesen schlug er einmal probeweise, doch als er sich des beengten Raumes bewusst wurde, faltete er sie wieder zusammen und brüllte stattdessen einmal wütend.
Auch unser Gegner war nicht untätig und rief seinerseits zwei Pokémon; zum Einen ein Hundemon, dessen Schweif nervös zuckte und es die Lefzen zu einem bedrohlichen Knurren hochzog. Zum Anderen rief Rico ein Sniebel, das ich ängstlich beobachtete. Seine im Halbdunkel unnatürlich leuchtenden Klauen schienen äußerst spitz zu sein, hinzu kam ein mir Angst einflößendes Grinsen, als es in meine Richtung blickte. Der Rocket-Boss schien die Datenbank gut studiert zu haben; es kam sicher nicht von ungefähr, dass er zwei Unlicht-Typen, gegen die Solniza keine Chance hatte, einsetzte. Wäre nicht die Übergabe der Violetten Kugel erfolgt, hätte ich mich sicherlich auf die Stärke der Sonnenkatze verlassen. Das Sniebel war in mehrerlei Hinsicht eine gute Wahl; schließlich besaß es nicht nur den Unlicht-, sondern auch den Eis-Typ, was ihm einen Vorteil gegen die Drachen verschaffte. Hinzu kam noch meine Angst vor der Pokémon-Art. Ich ließ es nicht einen Moment aus den Augen und wich vorsichtig einige Schritte zurück, bis ich gegen die Ladeklappe des Lieferwagens stieß.
Der Rocket grinste nur wissend. „Dann lasst die Show beginnen!“, rief er mit vollkommen durchgedrehtem Lachen.