Marina verließ die kleine Moskauer Wohnung, in der sie lebte, bereits am frühen Morgen. Sie war auf dem Weg zu einem Bücherhändler, um sich dort ihre Klaviernoten abzuholen, die sie schon vor einigen Wochen bestellt hatte. Das Mädchen hatte in vielen Zeitungen und Telefonbüchern nach Buchhandlungen gesucht, die dieses Buch anboten, doch nur eine einzige, von der Marina noch nie zuvor etwas gehört hatte, nahm den Service in Anspruch, diese Noten zu bestellen. Um das Exemplar zu ergattern, musste sie zu dem ihr gesagten Termin dort erscheinen, sonst würde sich die Buchhandlung so stark füllen, dass sie wegen der langen Schlangen womöglich nicht mehr drankam, sagte jedenfalls der Mann, mit dem sie telefoniert hatte. Ihr Termin war gleich, es war schon so spät, dass sie es nur noch mit einem Taxi schaffen würde, rechtzeitig zu kommen, denn ihre Eltern arbeiteten bereits und die Busse fuhren entweder zu spät oder in die falsche Richtung. Allerdings wunderte es sie, dass dort überhaupt Menschen hinkamen, denn das Geschäft lag sehr nah am Stadtrand von Moskau, sodass es für die meisten Leute wohl sehr umständlich wäre, nur wegen eines Buches so weit vom Stadtzentrum entfernt einzukaufen. Marina ließ sich davon allerdings nicht stören und machte sich auf den Weg zu einer Telefonzelle.
Sehr weit brauchte sie jedoch nicht zu laufen, denn ein Taxi hielt unerwartet, für Marina jedoch gerade richtig, auf einem freien Parkplatz, sodass sie sich nicht die Mühe machte, extra irgendwo anzurufen, sondern sofort einstieg und zu dem Fahrer sagte: "Ich möchte bitte in die Moloko Straße." Der Taxifahrer nickte nur stumm und fuhr los. Während er fuhr, hing der Blick des Mädchens an den vielen unterschiedlichen Gebäuden, an denen sie vorbeifuhren. Dort standen riesige Häuser mit prachtvollen Gärten neben kleinen, verfallenen Steinklötzen, die womöglich schon bald abgerissen würden. Die Sonne war bereits aufgegangen und die Straßenlaternen hatten sich vollends abgeschaltet. Auch das eine oder andere Tier war erkennbar, genauso wie einige kleine Kinder, die bereits um diese Zeit draußen in ihren Gärten spielten. Auch Passanten und Jogger waren draußen unterwegs und brachten bereits am frühen Morgen Leben in die Moskauer Straßen. Marina beobachtete die Umgebung die ganze Zeit über, merkte sich jedoch nicht, wo sie langfuhr. So kam es, dass der Taxifahrer bereits nach wenigen weiteren Fahrminuten anhielt und sagte: "Wir sind da." Marina bedankte sich bei ihm, zahlte und stieg aus, worauf der Fahrer sofort umdrehte und wieder wegfuhr.
Sogleich machte sich Marina daran, die Umgebung zu mustern und nach einer Buchhandlung Ausschau zu halten. Dort, wo sie war, schien es noch recht dunkel zu sein, denn die Straßenlaternen waren hier noch nicht abgestellt. Außerdem gab es keine Hochhäuser, auch Gärten waren eine Seltenheit. Weder Passanten noch Kinder schienen unterwegs zu sein, weshalb die Gassen ziemlich einsam wirkten. Diese Straße ließ dem Mädchen einen kalten Schweißtropfen über den Rücken laufen, worauf Marina sich sofort nach einem Straßenschild umsah, jedoch auch nach einigen weiteren Minuten keins fand. "Ist das wirklich die Moloko Straße?", fragte sie sich unsicher und machte einige Schritte vorwärts. Sofort fing ihr Kopf an, stark zu schmerzen, und Marina konnte einige Wortfetzen verstehen, die sie in die Gasse links von ihr zu weisen schienen, worauf sich Angst in ihr breitmachte. Sie wollte nicht in solch eine dunkle und dreckig scheinende Gasse gehen, sie wollte lieber wieder nach Hause, doch unter ihren starken Kopfschmerzen, unter denen sie sich kaum noch konzentrieren konnte, gab sie schließlich nach und folgte den undeutlichen Beschreibungen. Nach einiger Zeit Umherirren blieb sie schließlich vor einem der zerfallenen Häuser stehen. Es war das Haus mit der Nummer 21, laut Marinas Angaben müsste diese Buchhandlung eigentlich direkt in der Nähe sein. Doch das Mädchen konnte immer noch keine Buchhandlung zwischen den vielen heruntergekommenen Häusern erkennen. "War das etwa nur eine Art Trick?", fragte sie sich besorgt. "Dann sollte ich wohl besser in dieses Haus hineingehen, denn die Kopfschmerzen scheinen Nachzulassen, wenn ich mich dem Haus nähere. Es sieht zwar ziemlich schrecklich aus, aber was soll's...?" Nach einigen Überlegungen, welche die Kopfschmerzen zuließen, entschied sie sich schließlich, in das Haus einzutreten. Sie öffnete die knarrende Eingangstür und wurde sofort von reiner Dunkelheit empfangen.