Ein wenig verdutzt schaute Samuel bei diesen Erklärungen drein. „Das ist ... richtig. Das ist wirklich ein wenig anders.“ Er versuchte die Fragen, die er hatte besser zu ordnen, da er den anderen immer mehr Unbehagen zu verursachen schien. Gleichzeitig wusste er nicht, ob er auf den persönlichen Teil eingehen oder das Thema lieber auf sich beruhen lassen sollte.
Nach einem Moment des erneuten Blicksenkens versuchte er einen Mittelweg. „Warum sollte jemand soetwas“ er machte eine Geste, mit der er auf ihre Umgebung deutete „hier ohne Hintergedanken machen?“ Er runzelte die Stirn und fuhr leicht besorgt fort. „Da glaube ich nicht dran.“ Einen Moment schwieg er darauf, bevor er das linke Handgelenk mit der rechten Hand umklammerte. „Aber ...was genau meinst du mit 'du durftest nicht fragen'?“ fragte er langsam, sich jedes Wort abringend, schob jedoch hektisch noch ein „Will dich nicht bedrängen. Nur, wenn es in Ordnung ist.“ nach.
„Nun... das war...“, Xaroc legte den Kopf leicht schief und musste unwillkürlich grinsen, „eine der vielen Fragen die ich hatte. ‚Stell keine Fragen!‘, war mit das erste, was ich jemals gelernt habe. Auf die Gegenfrage, warum denn überhaupt, kam nur die wütende Reaktion, dass gerade dies eine Frage sei. Zumindest wenn ich Glück hatte.
Da ich ohnehin nie eine Antwort bekam, ließ ich es mit der Zeit sein. Ich versuchte nur noch etwaigen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Und das ging am besten, wenn ich mich soweit es ging zurückzog. Ausgenommen jene Situationen, bei denen meine ausdrückliche Anwesenheit erfordert war, bei jenen ich jedoch keinerlei besondere Rolle inne hatte.
Ansonsten habe ich eben für mich selbst gelernt, auch wenn es nicht allzu viel war oder erfolgreich. Immerhin sollten Kinder ja eigentlich eine Schule dafür besuchen. Und hier hab ich vielleicht sogar die Chance zumindest ein wenig nachholen zu können.“, kam er wieder auf das Thema Bleiben zurück.
Xaroc war also auf keiner Schule gewesen? Wie war das möglich, bei ihm war doch jeder in der Schule gesteckt worden, ob er nun wollte oder nicht.
Doch auch, wenn der andere gegrinst hatte, hatte Samuel nun endgültig das Gefühl, zu weit vorgedrungen zu sein. „Tut mir Leid.“ brachte er noch vorsichtig heraus, bevor er stumm wurde, weil er nicht mehr wusste, was er sagen sollte, aber auch nicht einfach weiter essen wollte. Das hätte er selbst nicht gut aufgefasst, also wollte er es selber auch nicht machen.
Jetzt war der Junge wieder verwirrt. Für seine Vergangenheit konnte Samuel ja überhaupt nichts. Dennoch schien ihn irgendwas zu bedrücken. Xaroc überlegte, wie er ihn auf andere Gedanken bringen konnte, wenn alles was Xaroc von sich erzählte, den anderen immer trübseliger werden ließ.
Dann kam ihm eine Idee. „Also es braucht Euch wirklich nicht leid zu tun, immerhin seid Ihr nicht für mich verantwortlich. Aber Ihr könntet ja vielleicht etwas über Euch erzählen, nachdem ich an der Reihe war. Dann würden wir beide jeweils etwas mehr über den anderen wissen. Zumindest erschiene mir dies nur fair.“
Jetzt wollte Xaroc etwas über ihn wissen. Das war bei weitem nicht sein liebstes Thema, doch es war Samuel in dieser Situation noch deutlich lieber als der bisherige Verlauf des Gespräches.
„Wäre es, ja. Was ... willst du denn wissen?“ erwiderte er so mit einem Hauch von Erleichterung und den Anderen wieder anschauend.
Er wusste selber nicht, was er wirklich sagen würde und was verstecken, doch noch weniger wusste er, was jemand anders an ihm interessieren könnte.
Während er jedoch auf eine Antwort wartete, versuchte er, sich so hin zu setzen, dass es entspannter wirkte, was jedoch nicht so recht gelingen wollte, da er zwei Mal das Gesicht verzog, als er sich ungünstig bewegte und ein Stechen ihn erneut daran erinnerte, dass er sich um die Verletzung kümmern musste.
Es fiel ihm schwer nicht gleich mit „Alles!“ rauszuplatzen, doch irgendwie schaffte Xaroc es, sich zu beherrschen und abzuwarten, bis der andere sich, mit ein paar Schwierigkeiten, bequemer hingesetzt hatte. „Also womit fange ich an? Hmm... einfach... Woher stammt Ihr? Womit habt Ihr Euch beschäftigt, bevor Ihr - weshalb auch immer - aufbrechen musstet? Wie alt seid Ihr? Habt Ihr Familie? Warum-“ Er unterbrach sich hastig und wurde rot. „Verzeihung. Wahrscheinlich ein wenig zu viel des Guten für den Anfang, oder?“ Er senkte verlegen den Kopf und versuchte überall hinzugucken, nur nicht in Samuels Gesicht.
Die nun über ihn hineinbrechende Welle hatte Samuel nicht erwartet, sodass er den Moment nutzte, in dem der rot gewordene Xaroc seinen Blick mied, um die Fragen zu verarbeiten. Der andere wollte ziemlich viel wissen. Nicht unbedingt nun Sachen, über die er zu reden bereit war. Und er schien... Es war seltsam, dass er so interessiert schien. Warum sollte sich jemand so an ihm interessieren? Warum war das so? Und dann noch seine Reaktion jetzt.
Mit einem entsprechend verwirrten Gesichtsausdruck blickte sich Samuel noch einmal nach links und rechts um, was sich noch so für Gestalten in ihrer Umgebung befanden. Es würde keinen Einfluss auf seine Antworten haben, da er hier an diesem Ort eh über nichts reden würde, dass nicht auch bekannt sein dürfte, doch es gab ihm ein leichtes Gefühl der Sicherheit. „Ich komme von einer Insel. Das Teil war zu einem Teil Kaserne, zu einem Teil eine gigantische Werft und sonst Siedlung für die Angehörigen und Arbeiter. Irgend so ein Modellversuch.“ Kurz schwieg er und entschied sich, die Frage, die zu nächst gekommen war, erst einmal zu übergehen. „Müssten jetzt 18 Jahre sein. Aber Zahlen sind nich' so wichtig. Familie ... habe ich ... wahrscheinlich.“ Er kratzte sich am Kopf und musterte den anderen einmal, noch immer versuchend, den Ursprung des scheinbaren Interesses zu verstehen.
Xaroc lauschte gebannt. Das waren immerhin schon mal ein paar Informationen, wenn sie auch ein paar neue Fragen aufwarfen. Aber auf alles wollte der andere anscheinend nicht eingehen. Aber immerhin, Xaroc wusste nun, dass Samuel definitiv älter als er war, wenn er auch das schon vorher vermutet hatte. Mit der Insel konnte er jedoch weniger anfangen. Gut, eine Kaserne war irgendwas militärisches, aber mit der Werft wusste er überhaupt nichts anzufangen.
Ein wenig schade fand er es schon, dass der Nicht-Soldat nichts über seine Tätigkeiten preisgab, aber Xaroc war auch eher am letzteren Thema interessiert.
„Also... habt Ihr... habt Ihr auch eher schlechtere Erfahrung mit Eurer Familie gemacht? Oder sprecht Ihr allgemein nicht gerne darüber? Ich... ich wüsste nämlich gerne, wie es bei anderen so ist oder war. Denn alles was ich bislang über Familien weiß, ist, dass mein Vater sich bei weitem nie so verhielt, wie Väter in Büchern und Geschichten immer beschrieben werden. Ich möchte einfach wissen, ob ich der einzige bin, dem es so erging und verstehen, warum es so ist...“
Dennoch vermeid er es weiterhin Samuel anzusehen. „Ich kann freilich verstehen, wenn Ihr nicht darüber reden möchtet.“
„Meine Mutter kenne ich nicht. Mein Vater ist“ er pausierte kurz und ein Hauch von Eiseskälte mischte sich in seinen Gesichtsaudruck. „oder war Soldat. War irgendwann weg. Nicht tot, aber weg. Da sind die Militär-Autoritäten eingesprungen. Aber nicht für lange.“
Sein Gesichtsausdruck wurde wieder steinerner doch wich dabei auch die Kälte wieder aus seinem Gesicht. „Wie das mit Geschichten ist, kann ich nicht sagen.“
Diese Fragen schienen Samuel seltsam und wanderten gleichzeitig gerade so auf der Linie dazu, in den Bereich zu fallen, auf den er nicht eingehen wollte, doch das sagte er nicht und wartete lieber ab, worauf Xaroc genau hinauswollte.
„Oh, das... tut mir leid. Ich wollte Euch wirklich nicht an etwas erinnern, worüber Ihr wahrscheinlich nicht nachdenken möchtet.“, entschuldigte Xaroc sich hastig. „Ich möchte einfach nur wissen, ob Mistress Alicia Recht behält damit, dass wir mit... ‚gewöhnlichen‘ Menschen, und sei es unsere eigene Familie, nicht zurechtkommen. Ich möchte wissen, was Verbundenheit ausmacht und wer soll sowas nicht wissen, wie jemand, der eine Familie hat, die einen nicht jahrelang einsperrt.“
Seine Stimme wurde ein wenig leiser. „Ich möchte wissen, was das für eine Verbundenheit zwischen uns Erleuchteten ist. Woher dieses Gefühl der Zuneigung vollkommen fremden gegenüber herkommt. Wie ich darauf reagieren soll.“ Nun sah er Samuel doch wieder in die Augen. „Ich möchte wissen, warum ich die übrigen Erleuchteten größtenteils mag und...“, nun starrte er wieder auf seinen Teller, „warum Euch im besonderen. Und wie ich jetzt deswegen handeln soll...“
Nach einer Pause fügte er hinzu: „Tut mir leid. Ich... weiß einfach nicht wie ich es ausdrücken soll. Es... ist einfach so.“
Der erste Teil löste gemischte Gefühle in Samuel aus. Die Entschuldigung des anderen empfand er als unnötig. Der Teil zu Alicia ließ ihn innerlich mit den Augen rollen und das letzte durchfuhr ihn.
Eingesperrt? Du wurdest also ... Jetzt verstehe ich. Und jetzt suchst du ...
Weiter kam er mit seinen Gedanken jedoch nicht, da der andere bereits leise weitersprach und Samuels Gedanken zumindest teilweise aussprach. Samuel versuchte, seine Gesichtszüge etwas aufzulockern, was sich jedoch von allein erledigte, während der andere auf seinen Teller schaute und nach einer Pause weitersprach.
Es geht dir also auch so ... Dann ... ist in mir vielleicht doch nicht so viel durchgebrannt.
„Also...“ suchte nun Samuel nach Worten, die er nicht nur denken, sondern auch aussprechen konnte und blickte dabei auch erneut auf den Tisch hinab, obwohl es keinen Blick zum Ausweichen gab. „ich verstehe.“ war jedoch das einzige, was er nachdenklich hinaus bekam, bevor er sich einmal räusperte und mit etwas Verwunderung in der Stimme fortfuhr. „Das komische Gefühl ist also doch nicht nur Einbildung.“
Er lächelte leicht und das aufrichtig und hoffte, dass der andere aufschauen würde.
„Also... geht es Euch ähnlich?“ Xaroc sah überrascht auf und blickte umso überraschter drein, als er feststellte, dass Samuel tatsächlich lächelte. Er blinzelte verwirrt. „Habe ich irgendwas...? Oh. Nun, wie dem auch sei, das dürfte mit der wichtigste Grund für mich sein, weshalb ich zumindest eine Zeit lang hier verweilen werde. Aber wie ich bereits bei meiner Vorstellungsrede verlauten ließ, kenne ich selber noch nicht die endgültige Länge meines Aufenthalts. Und, nun, hier bin ich. Wenn ich auch nicht wirklich weiß, was ich nun machen soll. Ich habe hier so viel Freiheit, so viele Möglichkeiten, welche mir Daheim stets verwehrt gewesen waren.“ Jetzt erwiderte er Samuels Lächeln. „Ich schätze es klingt höchst bizarr, für einen 16-jährigen, dass er nichts mit seiner Freizeit anzufangen weiß.“
Während Xaroc redete und das Lächeln erwiederte bleib auch Samuels Gesichtsausdruck freundlich, nur bei Xarocs letztem Satz verhärteten sich seine Züge wieder, wurden wieder aussagelos. „Besser sie zu haben.“ war sein einziger neutraler Kommentar zu dieser Aussage. Das war nun wirklich ein Thema, was er schnell vom Tisch haben wollte. Den Anfang seines sechzehnten Lebensjahres, das das Ende seines alten Lebens gewesen war.
Irgendwas schien er wieder falsch gemacht zu haben. Erst lächelte der andere, dann wirkte es wie weggewischt und seine Erwiderung wirkte auch nicht allzu fröhlich. Xaroc rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. „Ihr habt wahrscheinlich Recht. Wenn ich so auf meine bisherigen Erlebnisse zurückblicke, habe ich keinerlei Befugnis mich über die Situation hier zu beschweren.“
Schließlich hatte er es geschafft, seinen Kuchen zu verschlingen und seufzte zufrieden. „Das war wahrlich gut. Ich hoffe das gibt es hier öfters.“ Dann warf er Samuel erneut einen fragenden Blick zu. „Was habt Ihr als nächstes vor?“
Auch Samuel hatte seinen Kuchen in der Zwischenzeit vertilgt und erwiderte prompt „Muss noch was hier für suchen.“ und zeigte auf seine Brust. Damit stand er dann auch auf und blickte sich in dem Raum um, während er überlegte, wo er anfangen sollte zu suchen und abwartete, was Xaroc machen würde. Weil er selbst wusste gar nicht, was ihm lieber wäre, wenn er wieder sein Ruhe hätte und alleine auf die Suche gehen würde oder doch, dass Xaroc bei ihm blieb.
Als Samuel ihn an seine Verletzung erinnerte, wurde Xarocs Gesichtsausdruck trauriger, da immerhin er der Grund für die Verletzung gewesen war. Trotzdem versuchte er es sich nicht anmerken zu lassen. „Oh, ich fürchte, dass ich Euch da nicht behilflich sein kann. Aber so wie diese Einrichtung ausgestattet scheint, sollte es definitiv etwas dafür geben.“
Er überlegte einen Moment. Sicherlich würde der andere jetzt lieber wieder ein wenig für sich sein. Immerhin hatte er wesentlich öfter geredet, als die beiden Tage zuvor, obwohl es nicht seiner Natur zu entsprechen schien. Daher beschloss Xaroc ihn in Frieden zu lassen. Fürs erste.
„Nun, ich denke ich werde erst einmal ein wenig an die frische Luft gehen. Draußen gefällt es mir wesentlich mehr als drinnen. Und die Außenanlagen hier sind wirklich schön anzusehen.“ Er stand auf, verbeugte sich knapp und nahm dann sein Tablett. „Nun, ich wünsche Euch viel Erfolg bei Eurer Suche und habt Dank für Eure Gesellschaft.“
Samuel nickte anerkennend für das,was Xaroc sagte, da er nicht so recht wusste, was er mit Worten erwidern sollte. „Dann bis später.“ war so das einzige, was er heraus bekam.
Also würde er alleine auf die Suche gehen müssen.
Dann habe ich immerhin ein wenig Zeit zum Überlegen und weiß, wo ich ihn nachher finden kann.
Mit diesem Gedanken überprüfte Samuel noch einmal seinen Rucksack und machte sich dann auch auf den Weg.
OT: And time to move on. Teil zwei der Zusammenarbeit mit Orawolf.