Es kursiert immer wieder ein Satz, der mir schon seit längerem übel aufstößt. Zunächst hörte ich ihn aus vornehmlich rechten Kreisen, später jedoch musste ich feststellen, dass auch Personen, mit deren Ansichten ich eigentlich sympathisiere, diesen Vergleich anstellten - so z.B. Richard Dawkins.
Es handelt sich um folgende Aussage: "Muslime haben in über hundert Jahren keinen wissenschaftlichen Nobelpreis bekommen!"
Zunächst mal mag das eine Behauptung sein, die man überprüfen könnte. Ich finde darüber jedoch relativ wenige Informationen. Für die Argumentation gehe ich mal davon aus, dass das der Wahrheit entspricht.
Oft wird diesem Satz noch beigefügt, dass Muslime 20% der Weltbevölkerung stellen. Und in einer noch unglückseligeren Variante wird ein Vergleich mit Juden angestellt, die, obwohl sie nur ein Tausendstel an Anhängern haben, weit über hundert Nobelpreise gewonnen haben.
Als Richard Dawkins gefragt worden ist, warum er diesen Satz so offensiv und unsensibel gepostet hat, antwortet er, dass dies schlicht "ein Fakt" sei.
Ein Fakt also - genau wie der Fakt, dass unter Nobelpreisträgern deutlich weniger Frauen als Männer sind. (784 Männer, 43 Frauen) Was schließen wir daraus? Nähmen wir die Logik, die hinter dem Muslimvergleich steckt, so müssten wir schließen, dass irgendetwas in der Frau liegt, das verhindert, dass Frauen Nobelpreise bekommen.
Dass Nobelpreise vorwiegend an Menschen gehen, die aus Ländern der sog. "westl. Welt" kommen, ist auffällig. Muslime sind in der westlichen Welt der Moderne unterrepräsentiert gewesen, weshalb sie in Zeiten der Einführung des Nobelpreises schlichtweg am falschen Ort gelebt haben. Im Gegensatz bspw. zu den Juden, die in der europäischen Diaspora lebten/leben und dort am Wissenschaftsbetrieb rege teilnahmen.
Dass Muslime also in der westl. Welt bei Einführung des Nobelpreises gar nicht anwesend waren, bleibt unerwähnt.
Unerwähnt ebenso, dass Europa bereits vor Einführung des Nobelpreises die Welt im Kolonialismus in Geiselhaft genommen und ausgebeutet hat. Auch die muslimische Welt war davon betroffen, was dort als schwere Niederlage gesehen wurde. Verschärft wurde die muslimische Reaktion durch die immer weiter ausufernde Brutalität der europäischen Besatzer. Die Intelligenz Arabiens fragte sich - und das war nicht untypisch damals - wie es sein konnte, dass die Muslime den Europäern so hilflos ausgeliefert waren. Manche - jedoch nicht alle! - kamen auf die Idee, dass die Uneinigkeit der Umma, der islamischen Gemeinschaft, daran schuld sei, weshalb man eine Einigung anstreben solle. Der Islamismus als antikoloniale und religiös-nationalistische Bewegung entstand, stark geprägt durch Ideen des europäischen Nationalismus (weshalb auch der unselige Antisemitismus Einzug in den Islam erhielt, den es davor kaum gegeben hatte).
In der islamischen Welt gab es also zahlreiche Intellektuelle, die ein Weltbild entwickelten, in dem der Westen als feindlich galt; und mit dem Westen alles, wofür er stand. Das war auch die Naturwissenschaft und der Säkularismus. In vielen Gebieten der islamischen Welt griffen diese nicht gerade intelligenten Ideen um sich und Terrorgruppen versuchten mithilfe von Gewalt die Stärke des Islam von anno dazumal wieder herzustellen. Der gekränkte Stolz erhielt den wohl härtesten Schlag, als die arabischen Staaten Israel im Sechstagekrieg chancenlos unterlagen.
Dass die islamische Welt also auf die so würdevolle europäische Denktradition, aus der auch der "wissenschaftliche" Rassismus und der Antisemitismus stammen, einen gewissen Hass hatte, ist.. ich möchte nicht sagen verständlich, aber erklärbar. Es ist eine unverhohlene Arroganz des europäischen Menschen, der vor wenigen Jahrzehnten noch die Welt ausraubte und sie mit seinen Kackideen die Politik bis heute unselig prägte, sich nun über die muslimische Welt zu erheben und darüber zu spotten, dass es dort keine Nobelpreisträger gibt.
Besonders doof wird das Ganze, wenn dabei der Vergleich zu Juden angestellt wird. Das Klischee des gelehrsamen, klugen Juden ist alt. Es ist ein charmantes Klischee, aber keinen Deut schlauer als das des raffsüchtigen Geldschieberjuden. Die Juden sind nicht aufgrund ihres Judeseins intelligent und ich bin mir sicher, es gibt eine Erklärung dafür, dass sie viele Nobelpreise gewonnen haben. Philosemitismus, also eine wohlwollende/bewundernde Einstellung ggü. Juden ist, das wusste auch Simon Wiesenthal, die kleine Schwester des Antisemitismus.
Sobald in den muslimischen Ländern freie Systeme regieren, in denen Oppositionelle nicht aufgeknüpft und religiöse Frevler nicht gehenkt werden, wird es auch viele Muslime unter den Nobelpreisträgern geben. Und dann wird man hoffentlich zurückschauen und den Kopf schütteln darüber, dass die Menschen lachten, als Dieter Nuhr im Staatsfernsehen sagte: "Die arabische Welt hat bisher nur 20 Patente angemeldet. Die Hälfte davon waren wahrscheinlich Steinigungsautomaten."
Nur bräuchte man dafür eben Demokratie statt Ayatollah und Taliban..