4. Kapitel
Das Versprechen
Haruka wachte früh morgens schon auf. Sie konnte einfach nicht mehr schlafen. An diesem Tag sollte das große Festival eröffnet werden. Ihre Gedanken waren schon auf beim Festival – auf der Bühne.
Leise schob sie die Bettdecke zur Seite und stieg aus dem warmen Bett. Genauso lautlos zog sich das Mädchen an und verließ das Zimmer.
Im Center war es still, keine Menschenseele traf sie auf dem Flur, und auch nicht auf der Straße. ‚Kein Wunder, es ist ja auch gerade mal zehn vor sieben.’, dachte sich das Mädchen belustigt, als sie einen Blick auf ihre PokéCom warf.
Die frische Morgenluft war klar, keine einzige Wolke war am Himmel. Ein Zeichen, das das Wetter schön werden sollte. Jedoch war dies eine Tatsache, die Haruka nur nebenbei bemerkte, denn ihre Gedanken waren weit, weit weg. Ihr Blick war seltsam leer, und ihre Augen ruhten auf den endlosen Horizont.
Haruka lief eine Weile rastlos durch die Stadt um sich die Zeit zu vertreiben. Doch die Zeit verging für sie, wie in Zeitlupe.
Die Straße füllte sich schon einwenig, jedoch schwärmten nur die aus, die schon früh zur Arbeit gingen.
Ohne zu merken, fand sich Haruka an dem See wieder, an dem sie vor zwei Tagen Shuu getroffen hatte. Die Oberfläche lag ruhig da, nur ein Windstoß ließ das Wasser leicht kräuseln. Das Mädchen hob den Kopf, als sie das Spiegelbild von zwei spielenden Pokémon sah – zwei Azurill. Sie waren noch sehr jung, aber als sie Haruka entdeckten erstarrten sie und verschwanden dann hastig in einem nah gelegenen Busch.
Haruka hatte viel über das Verhalten der Pokémon gelernt; sie aus einer gewissen Entfernung zu beobachten ohne sie zu verschrecken. Doch Azurill waren von Natur aus scheue Pokémon und sie lebten vorzugsweise nah an Gewässern.
Sie genoss die Stille des Sees und der Umgebung. Ab und an streckten Pokémon ihren Kopf durch die Wasseroberfläche und betrachteten den Menschen, verschwanden jedoch schleunigst, als sich Haruka kurz regte und den Kopf zum Himmel empor hob.
Sie starrte versonnen in den Himmel, der so blau strahlten, dass ihr nach kurzer Zeit die Augen wehtaten.
Sie bemerkte noch nicht mal die Anwesenheit von Saori, die hinter ihr stand. „Guten Morgen, Haruka.“, begrüßte sie und das Mädchen erwachte jäh aus ihrer Trance. Sie wandte den Blick zu Saori, die in Begleitung von Shuu war, der sich allerdings einwenig zurückhielt. „Morgen.“, antwortete Haruka hastig, als sie ihren kurzen Schreck überwand. Sie betrachtete Shuus Kehrseite, was dieser nicht bemerkte. „Konntest du nicht mehr schlafen?“, fragte Saori lächelnd. Harukas Blick schoss wieder zu Saori. Sie nickte. „Du hast es erfasst.“ Shuu wandte sich nun zu den beiden Frauen und trat neben Saori. „So geht es uns auch.“, meinte er und schob sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Haruka lächelte. Sie wusste zwar nicht warum, aber sie war froh über einwenig Gesellschaft – auch wenn es ihre Rivalen waren, die bei ihr waren.
Es dauerte nicht lange, als auch Harley, Harukas schlimmster Widersacher, auftauchte. Mit erhobener Hand kam er auf das Trio zu gerannt. Allerdings war niemand sonderlich begeistert davon, besonders Haruka. „Hallo Leute!“, rief er schon vom Weitem und kam dann schließlich zum Stehen. Haruka versuchte nicht durch seine bloße Anwesenheit in Zorn zu schwelgen, und ballte nur wütend die Faust. Shuu warf Haruka einen kurzen Blick zu und erkannte, dass sie durch Harleys Anwesenheit nervös wurde. Nun wandte sich Shuu wieder zu Harley und sah in mit ausdrucksloser Miene an.
Dieser bemerkte schnell, dass er nicht erwünscht war und meinte kühl: „Tse. Seid ihr heute mit den falschen Fuß aufgestanden?“
Shuu sah ihn kalt an. „Wir sind doch alle Koordinatoren! Wir sollten einwenig freundlicher sein zueinander und fair im Wettbewerb kämpfen“, während er sprach, gestikulierte er wild mit den Armen in der Luft herum. „Du und fair kämpfen?“, platzte es plötzlich aus Haruka heraus. „Das einzige was du kannst, ist betrügen!“ Ihr stieg die Zornesröte ins Gesicht; ballte aber nur die Faust um sich im Zaum zu halten. Sie hatte Schwierigkeiten ihn nicht weiter anzubrüllen.
Harley schaute mit unverholender Miene auf das Mädchen herab, dass er so sehr hasste, weil sie unzählige Male ihn in einem Wettbewerbskampf geschlagen hatte – und in jedem Kampf hatte er nichts unversucht gelassen sie mit trügerischen Tricks zu besiegen. Der lilahaarige Junge schwieg, verzog aber nur sein Gesicht zu einem fiesen Grinsen. „Oh, Haruka, sind wir unter die mutigen kleinen Mädchen gegangen?“ Bevor Haruka etwas zurückgeben konnte auf diese beleidigende Aussage, kam ihr Saori zuvor: „Es ist wohl besser, wenn du gehen würdest.“ Ihre Gesichtszüge waren ohne jegliche Regung. Jedoch hatte Harley nicht die Absicht die junge Frau auch noch zu seiner Feindin zu machen, bevor überhaupt das Festival begonnen hatte. Ohne ein Wort zu sagen, kehrte Harley dem Trio den Rücken zu und ging wieder. Saori neigte den Kopf zu Haruka. „Du solltest dich vor ihm in Acht nehmen.“, meinte sie. Haruka senkte den Kopf. Shuu hatte ihr sicher erzählt, dass sie am Vortag fast auf ihn reingefallen wäre, allerdings machte sie keine Anstalten, dass sie von diesem Vorfall etwas wusste, weil sie kein Wort davon erwähnte. Darum antwortete sie mit gesenkter Stimme: „Ich weiß. Er hat schon zuviel angerichtet.“ Saori nickte bloß, wandte sich dann an Shuu und Haruka. „Ich werde mich jetzt auf das Festival vorbereiten. Wir sehen uns später.“ Sie hob nur kurz die rechte Hand zum Abschied, bevor sie dann schließlich verschwand.
Hilflos stand Haruka nun alleine da; nur wenige Meter von Shuu entfernt. Allerdings beobachtete er, wie Saori auf das Stadion zusteuerte, ohne sich noch einmal nach ihren Freunden umzudrehen. Nun wandte sich der Grünhaarige an Haruka. „Ich habe ihr nichts von Harleys Versuch dich wieder zu hintergehen, erzählt.“, sagte er ruhig und schaute in ihre dunkelblauen Augen. Ihr stockte der Atem, als sie für einen Moment seinen sanften Ausdruck in den Augen las, der jedoch gleich daraufhin wieder erlosch. „Danke.“, murmelte sie leise und senkte den Blick ein weiteres Mal um ihn nicht in die Augen sehen zu müssen. Shuu, der emotionslos auf sie herab schaute, hob die Hand und im selben Moment umfasste seine warme Handfläche Harukas Handgelenk. Sanft zog er sie mit sich. „Wir sollten uns vorbereiten, findest du nicht auch?“ Seine grünen Augen erhaschten einen kurzen Blick auf Harukas verwirrten Gesichtsausdruck. Als er begriff, welche viel sagende Annäherung getan hatte, ließ er Harukas Handgelenk hastig los. Er drehte sich halb von ihr weg, aber nach einem kurzen Moment des Schweigens, sah er sie an. „Versprichst du mir etwas?“ Die Angesprochene fuhr aus ihren Gedanken hoch. „Heh?“ Shuu holte tief Luft. „Wirst du im Festival dein Bestes geben? Versprichst du mir das?“ Haruka schaute Shuu beirrt an, schließlich öffnete sie ihre Lippen um etwas zu erwidern. „Natürlich. Ich verspreche es dir, Shuu.“ Beide besiegelten ihr gegenseitiges Versprechen mit einem Handschlag. Auf dem Gesicht des Mädchens spiegelte sich ihre glückliche Miene wider, was Shuu zu einem Lächeln brachte.
Im Stadion war Hochstimmung. Überall war es voll, bis auf dem letzten Platz. Der Jubel der Zuschauer dröhnte ihr in die Ohren. Es war das, was Haruka so an Wettbewerben liebte: jubelnde Zuschauer, die sie zur Höchstleistung brachten. Sie ließ die Augen über die Zuschauertribünen gleiten und hob die Hand um ihren Jubelrufen zu erwidern. Nun tosten die Zuschauer auf, obwohl sie noch gar nicht mit ihrer Kür begonnen hatte. Wie jedes Mal fühlte sich Haruka vor einer solchen Zuschauermenge, wie betäubt, allerdings war sie solches Publikum schon gewohnt.
„Psiana! On Stage!!“, rief sie und warf den rot/weißen Pokéball in die Höhe. In einem grellen Lichtschein kam schließlich Psiana, das sehr gut gepflegt war.
Psiana rollte sich in der Luft zusammen, bevor das Pokémon elegant auf den Boden landete. „Psiana, Sternschauer!“
Psiana öffnete das Maul und schoss einen Hagel aus Sternen in die Luft, die in der Sonne glänzte. „Und jetzt Psycho-Plus!“
Der Juwel auf der Stirn leuchtete auf und die Sterne tanzten anmutig in der Luft, die schließlich einen Tunnel aus Sternen bildeten. „Beende es!“
Psiana tat, wie befohlen; sprang in den kreisförmigen Tunnel hinein und drehte sich um sich selbst bis es schließlich wieder elegant auf dem Boden landete. Die Sterne lösten sich auf und feiner Sternenstaub regnete auf Psiana und die Zuschauer hinunter.
Anschließend verbeugten sich Haruka und Psiana synchron. Das Publikum jaulte auf und spendete ihr einen Sturm aus lauter Jubelrufen. Haruka war stolz, stolz auf sich und ihr Pokémon. Auch die Juroren applaudierten. „Eine perfekte zusammen Arbeit von Pokémon und Trainer.“, lobten sie. Haruka bekam für ihre Vorführung 93 Punkte. Bei ihrer vorherigen Vorführung hatten sie und Lohgock 87 Punkte erreicht. Jedoch verlor sie darüber keinen Gedanken und verspürte nur Fröhlichkeit.
Nun wandte sie dem Publikum den Rücken zu und verließ die Bühne. Die Jubelrufe verebbten, nachdem sie sich abgewandt hatte um dem nächsten Teilnehmer die Bühne freizugeben.
Im Sammlungsraum der Koordinatoren wurde sie von Saori bereits erwartet. Shuu hielt sich im Hintergrund. Er hatte wie gebannt zum Monitor geschaut und Harukas Vorführung mit angehaltenem Atem beobachtet.
„Klasse Vorstellung, Haruka!“, lobte die junge Frau. Haruka sah hoch. „Danke.“ Sie lächelte fröhlich. Shuu neigte den Kopf zu dem Mädchen. „Du bist sehr viel besser geworden, als im letzten Jahr.“, bemerkte Saori weiter. Haruka nickte zustimmend. „Ich habe viel gelernt.“, antwortete sie knapp und lächelte schwach.
Nun jubelte das Publikum wieder Mals. Harley hatte ebenfalls eine sehr gute Vorführung geschafft. Haruka wunderte sich nicht darüber, denn Harley war wohl oder übel ein guter Koordinator.
Vor ihnen lagen noch einige Trainer, die ihr Können beweisen mussten – zwei davon waren Shuu und Saori.
Nach drei Teilnehmern war es endlich soweit. Saori war der Reihe und trat siegessicher auf die Bühne. „Lapras! Raus mit dir!“
Aus dem Pokéball kam ein imposantes Wasser Pokémon, das auf graziös auf der Wasseroberfläche landete. „Whirpool!“, befahl Saori und Lapras verursachte einen Wirbelsturm aus Wasser. Dieser drohte auf die Zuschauer zuzurasen, allerdings hatte Saori alles unter Kontrolle. „Eiseskälte!“
Blitzartig gefror der Wirbelsturm zu einer anmutigen Wasserstatue, die gleichzeitig wild und wunderschön war. Das Publikum war begeistert und Saori lächelte dankbar.
Nun war Shuu an der Reihe. Er war relaxt, wie immer und zeigte keine Spur von Nervosität. „Los Roselia!“ Er warf den Pokéball und Roselia kam zum Vorschein. Roselia war sehr graziös und hatte schon einige Wettbewerbe gewonnen. „Blättertanz, los!“ Roselia startete mit einem wunderschönen Blättertanz und ließ rosafarbene Blätter herabregnen. „Und jetzt Zauberblatt!“ Roselia drehte sich geschwind im Kreis und feuerte eine Salve aus grünlich schimmernden Blättern auf seine vorherige Attacke und zerfetzte somit die einzelnen rosa Blätter. Feiner Staub nieselte herab und Roselia und Shuu verbeugten sich.
Die Vorrunden waren nach Shuus exzellenter Vorführung beendet. Diese hatten beinahe den ganzen Tag gekostet. Weltweit hatten über 200 Trainer sich für das Festival qualifiziert, jedoch konnten nur 16 Koordinatoren die Endrunden bestreiten.
Shuu und Saori hatten bei ihrer Kür eine makellose Vorführung hingelegt. Von den Juroren hatten beide eine hohe Punktzahl bekommen. Haruka bezweifelte, dass sie jemals besser werden konnte, als Saori oder Shuu.
„Gleich erfahren wir, wer weiterkommt.“, meinte Harley und sah gehässig zu Haruka. Diese allerdings ignorierte ihn, was ihn fast auf die Palme brachte.
Kaum hatte er es ausgesprochen, wurden die Koordinatoren auf die Bühne gebeten, die eine gute Kür geboten hatten. Es herrschte allgemeine Aufregung, sowohl unter den Zuschauern, als auch unter den Koordinatoren, denn die 16 Koordinatoren wurden endlich bekannt gegeben.
„Und nun geben wir die 16 Koordinatoren bekannt, die durch ihr können bewiesen haben in diesem grandiosen Festival!“, brüllte Lilian, die Moderatorin in ihr Mikrofon. Sie führte eine Handbewegung aus, die zum Monitor deutete.
Dort erschienen die 16 Teilnehmer, die es tatsächlich geschafft haben, in den ernsthaften Runden des Festivals anzutreten. Darunter waren Shuu und Saori, dahinter mit Abstand Harley und auch Haruka, was sie sehr freute.
Shuu wandte sich zu ihr. „Nun, jetzt haben wir es beide geschafft.“, sagte er. Haruka lächelte ihn an. „Ja! Und ich werde mein Versprechen nicht brechen, Shuu!“