Geschwind schritt Zera einer der vielen steinernen Treppen empor und hatte nur ein einziges Ziel vor Augen: Das Erdgeschoss.
Schließlich würde es alle dorthin verschlagen, oder nicht? Das Gejammer wurde immer durchdringender und lauter. Zera festigte den Griff um ihre Waffe. Wenn ihr irgendwelche Gefängniswärter entgegen kamen, dann würde sie diese sofort niederstrecken.
„Sie sollten sich jetzt erst Recht nicht mit mir anlegen“, begann sie zu drohen, „Nun habe ich meine Waffe wieder und werde nicht zögern, sie gegen diese Schwachköpfe einzusetzen.“
In der Ferne erkannte sie, wie der zuvor monoton wirkende Gang sich änderte; sie war in einem anderen Zellengeschoss gelandet. Das Gejammer war nur noch einige Meter entfernt; und es war in der Tat kein klagendes Geschrei, sondern eher ein freudiger Aufschrei. Hatte da jemand Spaß am Töten?
Zera presste sich an einer der naheliegenden Wände und blickte über ihre Schulter, um sich ein genaueres Bild vom Schlachtfeld zu machen. Überall lagern Kadaver mit blutbespritzten Metallrüstungen; hier hatte tatsächlich jemand seine Wut ausgelassen. Inmitten all diesem standen drei Jünglinge, deren Schwerter blutgetränkt waren. Während die zwei eher großgewachsenen Männer ein Langschwert und ein dazugehöriges Turmschild trugen, führte der eher kleine, doch muskulöse Mann zwei Dolche oder Kurzklingen. Scheinbar spürte er Zeras Blick auf sich, wandte sich um und winkte ihr erfreut. Es war der ehemalige Rebelle, der ihr zuvor in der Zelle unheimlich auf die Pelle gerückt war.
„Na los, komm’ schon Zera! Wir wollen weiter!“, schrie er ihr zu. Zera blickte ihn verwirrt an. Hatte sie ihm seinen Namen verraten? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, aber dies war in jenem Augenblick gleichgültig. Schnell schritt sie zu den dreien und nickte dem Jüngling, der offensichtlich der Anführer des Dreiergespanns war, zu.
„Bist wohl nach wie vor schüchtern, was?“, sagte er scherzhaft und ging gleichzeitig los. Zera schritt ihm nach und beschleunigte ihren Schritt zugleich, um mit ihm auf eine Ebene zu sein.
„…Woher kennst du meinen Namen?“, fragte sie, obwohl sie es eigentlich nicht wissen wollte. Irgendetwas verriet ihr, dass er ihr etwas verheimlichte. Sie sah, wie er sich versuchte ein Grinsen zu verkneifen.
„Nun, sagen wir mal so. Ich kenne dich dadurch, dass ich jemand anderen sehr gut kannte.“
„Aha, und wer wäre das?“
Der Jüngling presste sie unwillkürlich gegen eine Wand, hielt dabei ihren Mund bedeckt und schaute in einen weiteren Gang, welcher von der Wand an der Zera sich befand und einer weiteren umrahmt wurden. Die zwei anderen Jugendlichen standen auf der anderen Seite und warteten auf das Zeichen ihres Chefs. Der nickte ihnen entgegen, ließ langsam von Zera ab und leitete seine Hand gen Schwert, das nach wie vor in der Scheide lag und darauf wartete, weiteres Blut vergießen zu dürfen.
„Was sollte –!“, wollte Zera ihn mit lauter Stimme fragen, jedoch wurde sie zugleich unterbrochen und mittels einer Fingergeste dazu gemahnt, leise zu sprechen.
„Wir müssen vorsichtig sein.“, sprach der Jüngling schließlich und blickte Zera dabei an. Scheinbar war ihm die vorige Situation nicht völlig egal, sein Blick verriet etwas Entschuldigendes. Jedoch wollte er es nicht direkt ansprechen. Sie klopfte ihm auf die Schulter.
„Mach’ dir keine Sorgen, ist halb so wild.“, bemerkte sie und sah, dass er ihr mit einem kurzen Nicken zustimmte.
„Laut der Karte“, begann einer der anderen Rebellen, „müssten wir bald eine Treppe erblicken, die uns hinauf in das dritte Untergeschoss führt.“
„Gut.“, antwortete der Anführer und lockerte seinen Handgriff um die Schwertscheide. Schweigsam schritten sie in Pärchen den Gang entlang, stets wachsam für weitere Angriffe. Doch zur ihrer Überraschung schien es keine weiteren Wächter zu geben.
„Wahrscheinlich sind sie damit beschäftigt, die restlichen Rebellen auszuschalten, doch Erfolg werden sie nicht haben. Es gibt zu viele bewaffnete Rebellen, die die Kaiserlichen mit ihren eigenen Waffen erschlagen.“
„Du scheinst sehr zuversichtlich zu sein, Kerl.“, stellte Zera fest und versuchte dabei, seinen Namen zu entlocken.
Der Schwertkämpfer lachte kurz auf. „Schon gut, schon gut…mein Name ist Marcus. Sehr erfreut.“, stellte er sich vor und reichte dabei Zera scherzhaft die Hand, welche sie belustigt in die ihrige nahm.
„War das jetzt so schwer?“, fragte sie während sie sich ihm zuwandte und dabei weiterdachte: „Marcus…irgendetwas sagt mir dieser Name…nur was.“
Nach einiger Zeit waren sie in einem großen Portal angekommen in welcher sich auch die vorhin erwähnte Treppe befand. Bis auf einige wenige entflammte Fackeln war der Raum in einziger Dunkelheit umfüllt. Zera wurde leicht schwindlig. Er erinnerte sie ungemein an den vorigen Raum, den sie mit ihren Rebellenfreunden durchschritten war. Der Raum, in dem Flaime die Gefängniswärter selbstständig ausgeschalten hatte.
„Dieses Mal werden wir keine Feuermagie haben.“, dachte Zera und stärkte ihre Halterung am Dark Screamer. Gleichzeitig griff sie bereits in ihren Köcher Bolzen, stets bereit, die erste Munition zu verschießen um einen tötlichen Angriff zu starten.
„Alles in Ordnung bei dir? Hast du etwa Angst in der Dunkelheit?“, fragte Marcus neugierig. Er hatte ihre Anspannung bemerkt und war sich unsicher, wie er ihr begegnen sollte.
„Ich habe lediglich schlechte Erfahrungen mit dunklen Räumen. Das ist –“, sprach sie während ein Pfeil an ihrem Ohr vorbei pfiff und gegen eine Mauer hinter ihr abprallte.
„Wie ich es vermutet hatte.“, dachte sie während sie hinter einer niedrigen Mauer Deckung suchte, ihren Blaster Edge auf der steinernen Fläche ablegte und den ersten Bolzen lud. Marcus und die anderen Zwei gesellten sich zu ihr. Auf ihren Augen war Angst zu erkennen.
„Wer hat jetzt Angst im Dunkeln?“, dachte sie scherzhaft, blieb aber konzentriert und vermied das Zwinkern. Sie musste jede Bewegung wahrnehmen, wenn sie einen erfolgreichen Schuss erreichen wollte. Stille war im Raum eingebrochen; niemand wagte es auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben. Zera schloss ihre Augen in der Hoffnung, dass sich dadurch ihre Hörfähigkeit verbesserte und sie einen der in der Dunkelheit stehenden Wärter wahrnehmen und anschließend töten konnte. Und tatsächlich: Nach nur einem kleinen Moment hörte sie, wie Schritte langsam nach vorne glitten. Die Wache trug keine schwere Kleidung, ansonsten wären ihre Füße wesentlich lauter und das Geräusch durchdringender.
„Leichte Rüstung sollten meine Bolzen durchdringen können.“, dachte sie und lud ihren Bolzen auf. Gleichzeitig fluchte sie innerlich: Wäre sie alleine, so hätte sie ihre Spezialtechnik, ihren „Last Whisper“, anwenden können. Die so abgeschossenen Giftbolzen hätten mit Sicherheit die Anzahl der Wärter auf die Hälfte dezimiert. Sie schüttelte den Kopf. Es gab keine Zeit über „Was wäre wenn…“-Situationen nachzudenken; und ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, schoss sie den Bolzen in Richtung Gefängniswärter ab. Ein Stöhnen ertönte, auf welches der stumpfe Aufprall eines Gewichtes folgte. Leichtes Murmeln brach in den Reihen der Wächter aus; Marcus und die anderen Rebellen blickten Zera erstaunt aber auch gleichzeitig froh an. Vielleicht gab es doch noch eine Chance lebendig aus diesem Drecksloch herauszukommen.
„Das reicht!“, schrie die Stimme erneut und plötzlich wurden die an den Wänden befestigten Fackeln wie durch Zauberhand erleuchtet. Langsam öffnete Zera ihre leicht sensiblen Augen und erkannte, dass ihnen ein Magier entgegen stand, welcher von drei weiteren Schwertkämpfern begleitet wurde. Zera hatte mehr Wachen erwartet, doch scheinbar war es nur eine kleine Patrouille.
„Ein Feuermagier also.“, dachte sie und stand auf. Durch das von ihm verursachte Licht war es nun nahezu unmöglich sich zu verstecken. Die anderen Rebellen taten es ihr nach, Marcus zückte sein Schwert und hielt es dem Pyromanen entgegen.
„Wir werden und sicher nicht ergeben.“, sagte er entschlossen und stärkte den Griff um sein Schwert. Der Magier grinste. „Dann kämpft.“, sagte er, streckte seine Arme jeweils nach links und rechts. Rötlich leuchtende Flammenkugeln flackerten bedrohlich in seinen Handflächen. Die verbliebenen drei Wachen schritten nach vorne und hielten ihre Schilde vor sich.
„Lebendige Schutzschilde für den Magier…auch das noch.“, dachte Zera und blickte um sich herum. Wenn jemand diesen Magier ausschalten sollte, dann war es sowieso sie. Die anderen drei würden, auch wenn sie unheimlich begabte Schwertkämpfer waren, niemals in die Nähe des Magiers kommen.
„Und wenn sie ihm zu nahe treten, dann würde er sie bei lebendigen Leibe verbrennen.“, beendete sie ihren Gedanken und kniete hinter der von ihr zuvor verwendeten niedrigen Steinwall. Marcus hingegen lief entschlossen gegen die Schildwachen, gefolgt von seinen zwei Freunden, die ebenfalls ihre Waffen gezückt hatten und einen Kampfesschrei von sich gaben.
Zera blickte Dark Screamer an. Die rote Essenz zitterte unruhig. Sie schluckte.
„Bist du dir sicher?“, fragte sie ihre Waffe innerlich und streichelte sanft über diese.
„Aaaargh!“, schrie Marcus auf einmal auf und ließ Zera dabei hochfahren. Erstaunt erkannte sie, dass die zwei Rebellen alle drei Schildwachen beschäftigt hielten, während sich Marcus ein kleines Scharmützel mit dem Magier lieferte. Doch vergebens: Wie Zera bereits vorausgeahnt hatte, hatte Marcus keinerlei Chance den Magier im Nahkampf zu verletzen. Sein Schwert war geschmolzen; die Hände des Feuermagiers standen in Flammen und hatten die Waffe samt Schwertgriff zerstört. Zähneknirschend stand Marcus neben dem Zauberer. Von seinen Händen stach der Geruch verbrannter Haut empor.
„Marcus! Verschwinde von ihm!“, schrie Zera und blickte ihn flehend an. Er wandte sich zu ihr um.
„Na los! Worauf wartest du eigentlich noch?!“, schnaufte er zurück, packte den Magier an beiden Handgelenken. Schmerzenstränen waren in seinen Augen zu erkennen.
„Ich kann das nicht tun! Ich würde dich mit ver-“
„Scheiß drauf!“
Sie sank ihren Kopf und biss sich auf die Lippe. „Er hat Recht.“, dachte sie und hörte, wie seine Schmerzensschreie immer lauter und durchdringender in ihrem Kopf wahrgenommen wurden. Schnell legte sie ihre freie, linke Hand auf Dark Screamer’s Körper und schloss ihre Augen. Energie übertrug sich von ihrem Körper auf die Waffe. Die roten Essenzen flackerten immer schneller und bedrohlicher. Zera öffnete ihre Augen.
„Last Whisper!“, schrie sie, ließ vom Blaster Edge ab und schoss die magischen Giftstachel aus ihrer Halterung. Zehn waren es, die nun blind durch die Gegend flogen und nach Zielen Ausschau hielten.
Einige prallten mit einem leicht knirschenden Geräusch auf den steinernen Boden. Andere trafen die im Raum verteilten Körper. Ächzen war zu vernehmen. Zeras Atem beruhigte sich zunehmend. Sie schritt in den Mittelpunkt des Raumes. Sechs Leichen lagen auf dem Boden, die Augen starr und von verschiedenen Emotionen geprägt.
„Was habe ich getan?!“, schrie Zera verzweifelt, fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und sank auf ihre Knie, direkt neben Marcus. Marcus sah zufrieden aus. Zera presste ihre Lippen und schloss die Augen. Warme Tränen flossen über ihre Wangen.
„Warum hast du das für mich getan…du kennst mich doch gar nicht.“, murmelte sie und glitt über seine Augen, um diese zu schließen. Langsam glitt sie zu der Stelle, an der ihre Waffe ihn tödlich verwundet hatte. Sie hatte seine Brust, wahrscheinlich gar sein Herz, durchdringt. Zögerlich griff sie nach der Munition und wollte diese mit möglichst wenig Kraftaufwand entnehmen, doch es gelang ihr nicht. Irgendetwas war an ihr befestigt. Mühsam und mit leichten Hemmungen öffnete sie sein Hemd. Ihre Augen weiteten sich. An ihrem Bolzen war ein Foto befestigt. Es war eine Schwarz-Weiß-Kopie, geschossen in Timber City. Es war in Zeras Lieblingskneipe. Sie, Seth, Marcus und eine ihr vertrauten weiblichen Person, deren Name sie jedoch nicht kannte, waren dort zu sehen. Alle hatten die Arme umeinander geschlungen…eine Gruppenumarmung.
„Warum kann ich mich an nichts erinnern?“, fragte sie sich bestürzt und griff das Foto fester. „Was ist aus mir geworden…bin ich wirklich so kalt geworden? Mein Leben…was ist nur aus mir geworden?“
Weitere Tränen flossen über ihr Gesicht und landeten auf dem steinernen Boden. Kraftlos ließ sie ihre Hände auf den Boden fallen und berührte die kalte Gehfläche.
„Was soll ich nur tun?“, fragte sie sich erneut und wusch sich die Tränen aus ihrem Gesicht.
„Nicht weinen.“ Zera wandte sich schlagartig um. Schock war in ihrem Blick zu erkennen.
„Seth?!“, schoss es aus ihr heraus während sie schnell einige Schritte Abstand von ihm nahm. Sie erinnerte sich nur zu gut, was in ihrem letzten Traum passiert war.
„Dies ist kein Traum. Dies ist lediglich eine Vorstellung deines Geistes.“, sagte er seelenruhig und gestikulierte währenddessen mit seiner Hand.
„Hör zu. Du musst deine Freunde wiederfinden. Es war von vornherein keine gute Idee, alleine durch das Gefängnis zu streifen. Du siehst selbst, was geschehen ist.“, erklärte er, während er panisch umherschaute. Scheinbar erwartete etwas.
„Du musst schnell weitergehen. Der Ausgang ist beinahe erreicht, zumindest wenn du dieser Karte hier glauben schenken kannst.“
Richtig. Die Karte. Schnell hob Zera sie auf ohne dabei den leicht verschwommenen Körper Seths aus den Augen zu verlieren. Er wirkte tatsächlich wie eine Fata Morgana, die man in einer Wüste durch das Sonnenlicht und die Trockenheit wahrnehmen würde. Tatsächlich war der Ausgang nicht mehr weit; noch einige Etagen und sie würde im Erdgeschoss landen. Seths Lächeln wurde ernst. Schritte waren im Gang hinter ihm zu vernehmen.
„Du musst gehen, ehe es zu spät ist. Finde die anderen und bleibe bei ihnen.“
„Kannst du nicht bei mir bleiben? Immer verschwindest du und –“
„Wir haben keine Zeit, doch eins sei gesagt: Ich bin am Leben…und jetzt beeil dich!“, fauchte er sie an und zeigte auf die Metalltür, die vor Zera lag. Sie nickte ihm zu, wandte sich um, öffnete die Tür und schritt in einen weiteren Treppenkorridor.
„Schnell!“, dachte sie und sprintete die leicht niedrigen Stufen der Wendeltreppe empor, während sie die Karte studierte. Sie hörte, wie ihre Verfolger sie anfluchten und dazu aufforderten, stehen zu bleiben. Zera blickte nicht zurück, auch wenn sie noch gerne einen letzten Blick auf Marcus geworfen hätte. Scheinbar stand er ihr Nahe.
„Verdammt, ich hätte Seth fragen sollen!“, warf sich sie sich wütend vor, während sie eine Metalltür öffnete und sich in einem Gang befand, der lediglich in eine Richtung führte. Leicht atemlos eilte sie den Korridor entlang, welcher sich nun in zwei Wege teilte. Ein kurzer Blick auf der Karte verriet ihr, dass sie nach rechts musste. Dann kam ihr eine Idee, wie sie ihre Verfolger abschütteln konnte. Geschwind suchte sie Deckung in einer Furche innerhalb der Mauer, lud ihren Blaster Edge und schoss zwei Bolzen blitzschnell ab, um die Fackeln im linken Gang umzuwerfen. Das sollte ihre Aufmerksamkeit erregen und auf eine falsche Fährte locken. Innerhalb weniger Sekunden waren die trägen Wachen auch schließlich an der Gabelung angekommen.
„Verdammtes Weib, sie ist unheimlich schnell aber nicht sehr gut im Verstecken ihrer Spur. Los, sie ist im linken Gang!“
„Jawoll!“, schrien die Wärter und folgten ihrem Patrouillenanführer. Zera grinste.
„Von wegen nicht gut im Verstecken meiner Spur…Dummchen“, murmelte sie lautlos, glitt langsam und lautlos aus der Furche und preschte den rechten Gang entlang. Sie musste die anderen Ex-Rebellen finden…Samea, Senshi, Flaime…irgendwo waren diese drei, gemeinsam mit den anderen Kämpfern. Sie musste sie finden.
OT: So, ich melde mich mal frisch erholt aus dem Urlaub zurück. ;)