Was ich auf jeden Fall mal gelesen habe ist, dass selbstverletzendes Verhalten wie Schneiden eben in den letzten Jahren drastisch zugenommen hat, warum sei mal dahingestellt, schieben kann man das natürlich auch ganz leicht auf unsere heutige Gesellschaft.
Ritzen ist ein Hilferuf. Die Botschaft an das Umfeld lautet ungefähr "Eigentlich fühle ich mich hundeelend. Merkt das keiner?" Um Wunden zu verdecken, trägt man im Sommer lange Pullover, die Ärmel bis zum Daumen vorgezogen. Ich finde es hierbei wichtig, dass man diesen Hilferuf früh erkennt, es kann schon damit anfangen, dass man sich wegen vermeintlichen Mückenstichen kratzen will oder muss. Ich behaupte auch mal ganz vage, dass sich mehr Mädchen als Jungs schneiden, in Deutschland sollen es rund 800.000 Mädchen sein, die sich selbstverletzen. Die Zahl ist erschreckend, wie ich finde. Allein dafür, dass es eine offizielle Angabe ist, die Dunkelziffer wird ja demzufolge weitaus höher liegen.
Ritzen ist ja bekanntermaßen eine Form von Selbstverletzendem Verhalten, was man auch als SVV abkürzt. Betroffene schneiden sich meist mit Rasierklingen, aber auch mit Messern, Scherben oder anderen scharfen Gegenstände, die man so findet. Andere Formen von einem solchen Verhalten können zum Beispiel Brandwunden (Branding) oder auch blaue Flecken sein. Teilweise schneiden sich Menschen so heftig, dass die Wunden eigentlichen genäht werden müssten. Für Außenstehende (wie mich) ist es ziemlich schwer nachvollziehbar, wieso Menschen so etwas tun. Man hört meistens nur, dass es sie von den Schmerzen befreit, für einen kurzen Moment. Andere greifen zu Alkohol oder illegalen Drogen - manche schneiden sich. Es kann aber auch natürlich so weit gehen, dass man garkeinen Grund mehr braucht, sich selbst zu verletzen, sondern es einfach aus Gewohnheit tut - und das gerne.
Sie brauchen den Schmerz, um sich selbst zu spüren und den seelischen Schmerz mit körperlichem Schmerz zu überdecken - das geht aber auch nur kurzfristig, auf lange Sicht ist das Schneiden ein echt fieser Teufelskreis, aus dem man nur schwer rauskommt. Seelische Schmerzen können viele Ursachen haben, wie ein mangelndes Selbstwertgefühl sein, die Unfähigkeit, Gefühle gegenüber anderen auszudrücken, Depressionen, Panikattacken, Angstzustände und viele mehr. Diese Emotionen üben einen ungeheuren Druck auf diese Leute aus, da die Betroffenen sie nicht nach außen tragen können oder es auch garnicht wollen und sich querstellen. Und dann passiert es: Das Ritzen dient als Ventil für den seelischen Druck, der in körperlichem Druck mündet.
Um nochmal auf meine These von vorhin zurückzukommen, dass es mehr Mädchen sind. Mädchen gelten als ruhiger, fürsorglicher und "lieber" als Jungen (das sei mal dahingestellt, haha). Zumindest wird das von ihnen erwartet. Und: Aggressionen und Ärger fressen Mädchen eher in sich hinein als Jungs. Gerade in der Pubertät, wenn die Gefühle vor allem bei Mädchen verrückt spielen, können Mädchen ihre Wut und Stimmungen nicht so gut rauslassen wie Jungs. Die Folge: Sie lassen sie an ihrem Körper aus. Durch das Ritzen. Ich habe mal von einem Verhältnis von 4 sich schneidenden Mädchen zu 1 schneidendem Jungen gehört, aber wie gesagt - die Dunkelziffern bleiben unberührt. Wichtig ist aber, dass man Schneiden NICHT mit Krankheiten wie Borderline oder dem Begriff "Emo" o.Ä. gleichsetzen darf, das sind alles komplett verschiedene Paar Schuhe und haben nicht unbedingt was gemeinsam. Klar schneiden sich viele Borderliner, aber Borderline zu haben bedeutet nicht gleich, dass man sich schneidet. (Achja: Borderline ist zudem eine Persönlichkeit[/b]sstörung, die erst ab achtzehn Jahren, wenn man volljährig ist also, diagnostiziert werden).
Für die, die nicht wissen, wie man da raus soll. Es ist wichtig, dass man sich anvertraut. Nicht unbedingt direkt den Eltern, eher dem besten Freund und/oder der besten Freundin. Man kann das auch halbwegs anonym im Internet machen, bekannt sind mir Seiten wie Rote Tränen und Versteckte Scham.
Schneiden ist ein schwieriges Thema und ich denke, dass jede einzelne Person, die sich schneidet, einen ganz anderen wunden Punkt hat und somit auch einen ganz anderen Weg benötigt, wie man dem-/derjenigen helfen kann, da raus zu kommen. Früher war das Schneiden viel mehr ein Tabuthema, das ist das einzig Positive - es gab damals kaum deutsche Seiten dazu, auch kaum Hilfe - heutzutage sind viele davon betroffen und die Hilfe ist da, man muss sie nur wahrnehmen.
Zum Schluss möchte ich noch indirekt eigene Erfahrungen aufzeigen, da meine Ex-Freundin, mit der ich knapp zehn Monate zusammen war, sich auch geschnitten hat und ich sehr oft damit konfrontiert wurde. Sie hat sich teilweise auch geschnitten, als ich da war - weil es in ihrer Familie wirklich heftigen Krach gab - wenn sie sich geschnitten hat, war sie völlig außer sich, hat auch versucht, auf mich einzuprügeln, als ich sie davon abgehalten habe, solche Menschen bemerken es denke ich gar nicht, wenn sie anderen Schaden zufügen, die sie eigentlich lieben. Sie war ein Mädchen, das sich nicht für ihre Wunden geschämt hat, sie hat im Sommer trotzdem Tops angezogen und da fängt man sich natürlich dumme Blicke ein - auch Fragen mir gegenüber wie Warst du daran Schuld?! standen an der Tagesordnung. Sie hat das schon zwei Jahre vor meiner Zeit gemacht, warum, sei mal dahingestellt. Ich hatte anfangs schon so Hemmungen - hab aber nie gesagt, dass ich mich dafür schäme. Es ist nur ungewohnt gewesen am Anfang, ein Mädchen an seiner Seite zu haben, deren Arme aufgeritzt sind. Und bei ihr war es wirklich heftig, nicht nur Arme. Auch Oberschenkel und Bauch waren betroffen und die Narben sind teilweise aufgeplatzt, sind blau geworden und sahen auch aus wie ein hässlicher Regenwurm, so muss ich es leider mal ausdrücken. An den Armen hatte sie cirka 100 gut sichtbare Schnitte über den ganzen Arm verteilt, und da schauen natürlich viele. Sie hat es nicht gestört. Geredet hat sie darüber aber zum Beispiel mit meiner Mutter nicht, sondern hat immer die Klappe gehalten, was ich sehr schwach finde, wenn man sich anderen so zeigen kann, aber mit der Mutter des Freundes nicht darüber reden kann - aber egal. Für mich war es schon nach ein paar Wochen Routine, ich hab das gar nicht mehr wahrgenommen, dass sie sich verunstaltet hat.
Hinzu kam auch, dass wir eine Fernbeziehung führten und es schon vorkam, dass ich nachts unter der Woche zweieinhalb Stunden mit dem Zug fahren musste, um sie davon abzuhalten, sich umzubringen. Mittlerweile, so hab ich das mitbekommen, hat sie sich seit der Trennung (von ihrer Seite!) zwei Mal versucht umzubringen und verbringt momentan die Zeit in einer psychiatrischen Behandlung. Es sind oft Kommentare von ihr mir gegenüber gefallen, die unangemessen waren und verletzend gewirkt haben. Ein Mädchen, das sich schneidet, als Freundin zu haben, ist keine leichte Sache - aber ich denke, dass sie schon ein enormer Extremfall war und mir gegenüber war sie auch sehr unfreundlich und nicht sehr gutmütig und Dankbarkeit habe ich auch nie gesehen, aber das ist ein anderes Thema...