Nach dem der Pazifist das Tor überprüft hatte, tat sich vor ihm ein größeres Problem auf: Wie sollte er die Unterkünfte finden? Die Beschreibung der Schule von ihrer Leiterin war für Normalsehende und nicht für Blinde gemacht worden und dementsprechend konnte Aru damit eher wenig anfangen. Ansprechen wollte er niemanden, um Fragen zu vermeiden und von seiner Blindheit musste auch nicht jeder wissen. Natürlich blieb ihm noch seine Fähigkeit, jedoch wusste er nicht wie groß das Gelände war oder wie lange der Scann dauern konnte, bis er alles "gesehen" hatte, etwas, das Aru erst dann machen wollte, wenn er in einem relativ sicheren Raum war und nicht jeden Moment von jemandem angesprochen werden konnte.
Wohl oder übel begann der Eingehüllte also auf dem Gelände um her zu irren. Zuerst zurück ins Gebäude aus dem er gekommen war, welches er glücklicherweise auch schnell wieder fand, und in die Bücherei im erste Obergeschoss. Es gab in dem Raum zwei Aussenwände und, so wie die Direktorin gesprochen hatte, dürfte man wohl durch Fenster an jenen das Gebäude mit den Wohnräumen sehen können. Zumindest eine ungefähre Richtung, in die er sich bewegen sollte, hatte der Blinde gefunden, jedoch musste er das Haus immer noch finden.
Einige Minuten später stand der Schwarzhaarige wieder auf dem Platz vor der Schule, von dem aus er sich in die Richtung auf machte, in der er das Wohlhaus vermutete. Schließlich tauchte eine Wand vor ihm auf und dahinter schienen auch Wohlräume zu liegen, jedoch wusste Aru nicht wo die Tür war und so irrte er einige Zeit um das Haus. Zu seinem Glück schaffte der Blinde inzwischen das Umherirren an neuen Orten für andere Personen als vielleicht lediglich etwas komisch anmutende Spaziergänge in der Nähe von Wänden zu tarnen. Etwas, dass er, sollten doch Fragen aufkommen, ohne das Gespräch zu verlängern, antworten konnte. Im Grunde war diese Suche nach den Wohnquartieren lediglich dazu da, dass der Eingehüllte nicht auf der Wiese oder dem Hof schlafen musste, was wiederum Fragen mit sich ziehen hätte können.
Es dauerte seine Zeit bis der Pazifist die Tür gefunden hatte, jedoch wollten die Probleme, die sein Aufenthalt in der Schule mit sich führte, nicht aufhören. So stand Aru nun im ersten Stockwerk des Hauses in dem vermutlich die Wohnräume lagen, jedoch ohne genauer zu wissen, welche Zimmer belegt waren und welche nicht. Hätte er sein Sichtfeld weiter ausgeweitet, hätte der Schwarzhaarige sicherlich einige besetzte Räume entdecken können, jedoch mussten sich nicht zwingend eine Person oder deren Sachen in einem Raum aufhalten, damit dieser besetzt war und Aru wollte weder in ein voll besetztes Zimmer, noch in ein Zimmer, in dem schon eine andere Person war. Unentschlossen stand er somit an der Seite, um anderen Personen nicht den Weg zu blockieren, die womöglich vorbei mussten.
Wachhund Tomomi schaute nach einiger Zeit auf. Die Neulinge kamen und gingen, um ihre Zimmer auszusuchen und niemand hat bisjetzt etwas falsches angestellt, was das Mumienmädchen erfreute, was sie aber nicht zeigte.
Ihr nicht verbundenes Auge sah den Jungen, neben dem sie im Bus saß, wie war nochmal sein Name....Alu, Awu oder doch nicht Aru? Woran sie sich aber erinnerte, und die Sonnenbrille machte es offensichtlich, dass der Junge kaputte Augen hatte.
Langsam stand Tomomi auf und ging zu Aru hinüber, behielt aber einen gewissen Abstand zu ihm: "Helfen?", fragte sie knapp.
In Gedanken darüber versunken, wie er nun wohl am besten an ein Zimmer kam, ohne aufsehen zu erregen, war es auch schon in gewisser Weise zuspät dafür, da Tomomi Aru angesprochen hatte. Ansich war natürlich nichts schlimmes daran, dass sie ihm helfen wollte, dem Blinden wäre es aber lieber gewesen, wenn er ihr nun nicht antworten hätte müssen. "Ist schon okay. Ich such mir nur ein Zimmer." Die Probleme verschwieg er. Bis die letzten Jahre kam er ganz gut allein zurecht und spätestens Abends, wenn alle schlafen gehen, dürfte er ein unbesetztes Zimmer finden können.
An sich war das die perfekte Antwort für Tomomi, der beste Grund ihn allein zu lassen. Leider gab es einen Haken, sie musste sich alleine um die Neulinge kümmern...
Nervös lies sie einen bandagierten Fuß über den Boden hin und zurück schleifen.
"Mama hat gesagt, ich soll aufpassen, also helf ich.", antwortete sie in ihrer gewohnten sehr ruhigen aber kindlich süßen Stimme.
Aru seufzte innerlich. Nicht auffallen und schon gar nicht jemanden Verärgern. Das ihm nun das Mädchen helfen wollte und ihn anscheinend auch nicht in Ruhe lassen würde, bis er sie ihm helfen lässt, fand er nicht so sonderlich berauschend, zum Glück hielt sie aber von ihm Abstand. Dann machen wir mal das Beste aus der Situation... "Na gut. Weißt du denn, ob es noch irgendwo ein komplett freies Zimmer, nach Möglichkeit ein Einzelzimmer gibt?"
Tomomi schaute ihn ausdruckslos an.
"Es gibt kein Einzelzimmer für Neulinge. Nur Mama und ich wohnen allein.", antwortete sie, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. "Folgen bitte.", fügte sie dann hinzu und schritt langsam und ruhig voran, um noch ein freies Zimmer zu finden, so schnell wie möglich.
Nach kurzer Zeit war aber etwas klar: Es gab kein freies Zimmer mehr. "Hmmm?", murmelte die Mumie. Wie konnte so ein Fehler passieren, vor allem bei Mama? "Kein Platz frei.", sagte sie schließlich leise, als die beiden wieder bei ihrer Ausgangsposition waren. Aber was nun? Da fiel Tomomi ein, dass Alicia ihr ab und an Briefe in das Zimmer des Mädchens hinterlies, wenn es etwas zu erledigen oder zu beachten gab.
"Warten.", flüsterte sie Aru zu und verschwand geschwind in ihr Zimmer. Tatsächlich! Da war ein Brief mit Alicias Handschrift. Was aber darin stand, gefiel Tomomi weitaus weniger:
Zitat
Liebe Tomomi,
wie es aussieht, haben wir mehr Neuzugänge als gedacht. Sollte es mit den Zimmern knapp werden, sei bitte ein Schatz und lass einen bei dir schlafen. Dann hast du jemanden zum Spielen. Es würde mich sehr freuen, wenn du mir den Gefallen tust.
Liebe dich Tomomi,
Mama
Mit einem etwas erschütterten Gesichtsausdruck kam Tomomi wieder aus ihrem Zimmer raus und hatte den Brief immer noch in der Hand. Schnell wurde ihre Mimik aber wieder emotionslos, als sie sagte: "Reinkommen."
Ihr Zimmer hätte kaum simpler sein können. Ein Bett stand an einer Ecke, ein schlichter Schreibtisch aus Holz genau zwischen den Ecken. Ansonsten war nichts zu sehen, außer ein bisher ungebrauchtes Bett, das wohl kürzlich in dieses Zimemr gekommen ist.
"Zimmer..."
Das es keine Einzelzimmer gab, fand Aru zwar schade, jedoch konnte man das nicht ändern und ein anderes Zimmer war genau so gut, solange niemand anderes zu ihm wollte. Dass es jedoch auch kein solches mehr gab, fand der Junge alles andere als gut, zeigt sein Missfallen über die Situation aber nicht. Kurz verschwand das Mädchen darauf hin in dem Zimmer, das anscheinend ihr gehörte und in dem sie noch allein wohnte, bevor sie wieder heraus kam und schließlich den Pazifisten hinein bat. Zumindest verstand er so das wortkarge Mädchen. Vielleicht hätte der Eingehüllte auch noch etwas erwiedert, jedoch sagte ihm sein Instinkt, Gespühr oder wie man es nennen möchte, dass er es lassen sollte und das Mädchen vermutlich genau so gern allein geblieben wäre wie der Junge.
Er betrat also das Zimmer und ging etwas weiter in die Mitte des Raumes, erweiterte sein Sichtfeld um einen ersten Überblick über den Raum zu bekommen, bevor sich ihm die Frage stellte, welches der beiden Betten denn seines war. Da es wohl keinen anderen Weg gab, als sich an Tomomi zurichten, drehte er sich zu ihr oder zumindest zu dem Punkt, an dem er sie vermutete. "... danke für das Zimmer." Eine kurze Pause folgt, in der er seine Unsicherheit, die er aus dem Satz heraus zu hören glaubte, herunter schluckte, bevor er fortfuhr. "Welches der Betten würde dann mir gehören?"
Sie deutete mit der bandagierten Hand auf das Bett in der linken Ecke aber sagte auch "Links", um Rücksicht auf seine kaputten Augen zu nehmen.
"Nicht viel hier. Ich brauche nicht viel, bin oft woanders. Hast du...Kleider mit?", fragte sie etwas verunsichert. "Ich kann Mama fragen einen Schrank hier reinzustellen. Ich brauch nur Bett und diesen Tisch. Dusche ist rechts, wenn du rausgehst.", erklärte sie ruhig und ausnahmsweise auch in mehreren Sätzen. "Ich....bin nachts draussen und dusch auch spät...könnte Schlaf stören.", fügte sie noch hinzu und schaute auf den Boden.
Nach dem Tomomi ihm das linke Bett zugewiesen hatte, gab sie ihm noch ein paar Informationen über den Aufbau des Gebäudes, die er sich aber so oder so später noch besorgt hätte. Auch dass er wusste wo die Duschen waren, war gut, schließlich war er die letzten Tage im Wald gewesen und somit sicherlich nicht mehr der sauberster, jedoch würde er erst später in der Nacht duschen, wenn die Chance von den anderen gestört zu werden gering war.
Aru ging zu seinem Bett, überlegte kurz ob er sich setzten sollte, da er durch seine schlechten Schlafgewohnheiten und dem noch schlechteren Dämmerschlaf im Bus müde war, blieb dann aber stehen, da vermutlich sein provesorischer Umhang sowie seine Kleidung darunter einiges an Schmutz bei seiner Wanderung und dem Kampf mit seinen waghalsigen Ausweichmanövern abbekommen haben mussten. "Ja, ich hab ein paar Kleidungsstücke dabei, aber einen Schrank werde ich nicht brauchen. Und um meinen Schlaf musst du dir keine sorgen zu machen..."
"Okay.", antwortete sie, "Falls du Fragen hast, stell sie ruhig. Ich wohnte immer alleine, ich hoffe wir kommen gut zurecht.", und ihr Gesicht spielte leichte Unbehaglichkeit wieder.
"Vielleicht du duschen, ich halt Zimmer immer sauber. Oh und zum Tisch....", sie deutete auf die oberste Schublade beim Schreibtisch, "Nicht anfassen.", und ihr Unterton zeigte, dass sie es ernst meinte.
"Ich geh dann raus und helf den anderen."
"Kein Problem, wüsste eh nicht was ich am Tisch zu suchen hätte. Ich wohnte ebenfalls bisher alleine und hoffe auch, dass es keine Probleme geben wird. Aber duschen werde ich mich wohl auch erst später," und deute beim letzten Satz auf seine Brille. "Bis dahin werde ich aber aufpassen, dass nichts schmutzig wird. Danke für deine Hilfe." Vorsichtig zog der Blinde schon einmal seinen Umhang aus und legte ihn mit der Aussenseite nach innen zusammen. Dieser dürfte wohl den meisten Schmutz und Staub abbekommen haben, wärend aber sein T-Shirt und Rücksack vermutlich im Vergleich dazu noch relativ sauber waren. Den Rucksack stellte der Brillenträger dann neben das Bett. Später würde er daraus seine neuen Kleidungsstücke holen, aber bis dahin wollte er sich noch nicht so sehr ausbreiten.
Tomomi nickte leicht und schritt aus dem Zimmer raus. Da sie abgesehn von der Schublade nichts wichtiges hatte, war es für sie auch kein Problem Aru im Zimmer zurückzulassen.Das Mädchen hatte das Zimmer verlassen und Aru blieb allein zurück. Vielleicht war es aber gar nicht mal so schlecht, das er sich mit Tomomi ein Zimmer teilte. Sie schien nur wenig anwesend zu sein, wenn sie aber mal da war, hielt sie Abstand und viel reden tat sie auch nicht.
Der Blinde wusste nun zwar nicht, was er tun sollte, aber vorerst einfach im Zimmer zu warten, dürfte auch nicht das Falscheste sein, was er tun konnte.
OT: Zusammen mit prime entstanden.