So, Loide, ich geb euch auch mal wieder ein wenig Content, nachdem dieses Thema scheinbar aus den Tiefen des Abyss' erneut heraufbeschworen wurde und ich hier noch keinen Kommentar dazu abgegeben habe.
Beginnen wir mit tl;dr: Männlich geboren, eine Dekade in Crippling Depression und "Gender Dysphoria" (bewusst in Klammern, weil ich stark bezweifle, dass es mit einer solchen wirklich viel am Hut hatte), mittlerweile ist mir geschlechtlich alles ziemlich egal.
Tja, scheinbar hab ich jetzt geteasert, dass ich es irgendwann in meinem Leben recht bezaubernd gefunden hätte, doch der anderen Fraktion im binären Geschlechtsmodell zugehörig zu sein, doch stellt sich mir heute die Frage: Wie kam es überhaupt dazu? Denn wenn ich mich realistisch an das Thema herantaste, dann...ja, dann weiß ich eigentlich nicht, wie ich zur Überzeugung kam, dass das Leben als cutes Gurl genau das ist, was mir für mein Seelenheil fehlt (ich kann die Wörter "Mann" und "Frau" in dem Kontext irgendwie nicht mal ausschreiben, weil sie mir dezente creeps geben, dunno why, tho).
Zeit meiner Kindheit hab ich mich zwar in Film und Fernsehen meist mit den Heldinnen oder auch weiblichen Sidekicks identifiziert. Ich erwarte an der Stelle ja, dass einigen die Haare zu Berge stehen, weil sich ja bereits oft genug in einschlägigen BB-Topics lang und breit darüber ausgelassen wurde, wie wenig Tiefgang viele solcher Figuren eigentlich haben, aber hey, ich war halt irgendwie 4 - 10 oder so, lol. Davon abgesehen aber, ja, wie hab ich meine Kindheit verbracht? Ganz normal mit Jungs gespielt, zwar keinen Sport, sondern eher so Geheimbasen-Spaß und ansonsten halt, bevor irgendwann mit 9 Jahren Videospiele dazu kamen, gerne gemalt und mit Plüschtieren gespielt. Autos hatte ich, haben mich jetzt eher mäßig interessiert, dafür hab ich mir mal im Volksschulwerkunterricht mein eigenes Puppenhaus aus Sperrholzplatten und Karton zusammengeschustert. Puppen selbst hatt ich nie, weil ich diese Baby-Puppen damals wie heute nicht leiden konnte und bei Barbies dann dieses "oh fuck, wenn einer von meinen Freunden vorbeikommt, dann bin ich doch das Gespött schlechthin" als Hinderung war. Das könnte tatsächlich das erste Mal gewesen sein, dass ich mir dieser gesellschaftlichen "Weirdness" bewusst wurde, die man als Mitglied dieser Gesellschaft ja selbst eingetrichtert bekommen hat. Hätte irgendn anderer Junge aus meiner Schule mit Puppen gespielt, hätt ich den sicher auch ausgelacht, bevor ich selbst in die Situation gekommen bin, dass das ja Spaß machen könnte.
Gut, wir haben die Grundschuljahre durchgekaut. Hatte ich da jemals wirklich das Gefühl, dass ich doch eigentlich ein Mädchen sein sollte? Nein, also ja schon, aber nicht so wirklich in einer "poah, das wäre das größte Glück auf der Welt für mich"-Form, wenn ich ehrlich sein soll, aber hey, es kommt ja noch die lustige Phase der Pubertät auf einen zu. Ja, Schwärmereien, körperliche Anziehung, so weit, so cis, aber doch...ja, ich war wohl so 10 oder 11, als ich erstmals in einem Word-2003-Dokument (!!!) festgehalten habe, dass ich gerne ein Mädchen wäre. Faszinierend. Ich erinnere mich, wie ich in süßer, kindlicher Manier nachts vor dem Einschlafen gebetet oder mir bei vorbeiziehenden Sternschnuppen oder den Geburtstagskerzen gewünscht habe, ich könnte ein Mädchen sein. ^_^ Äh, ja, Spoiler: Hat nicht geklappt.
Aber hey, wenn man schon Angst vor Social Judgement hat, dann kann man sich ja immerhin die Haare lang wachsen lassen und Metal hören, weshalb man für die Haare gleich auch noch 'ne Berechtigung hat! Eigentlich konnt ich ja mit dieser ganzen Weiblichkeitssache ganz gut zurückstecken, weil ich so dieses Bild hatte "wenn's keine Magie gibt, die mir Wünsche erfüllt, dann ist man so 'ne seltsame, hässliche Drag Queen ausm Fernsehen und DAS IST NICHT MEIN BILD VON WEIBLICHKEIT, REEE". Und das hieß also "es gibt eh keine Alternative, also bringt's auch nix, drüber nachzudenken". Aber dann kam im TV was über "Trans Teen". Das waren nicht die komischen schrillen Tunten, das waren keine hässlichen Männer, die sich morbides Übergewicht für Brustwachstum anfressen, nein, das waren einfach Mädels, die so verdammt cute und beautiful waren und halt einfach...ja, komplett gepasst (das englische Wort obv) sind. Und ich erinnere mich noch dran, dass ich damals wirklich 'nen Heulkrampf gekriegt hab, weil diese Fantasie, die mich seit Jahren und somit einen großen Teil meines Lebens irgendwo verfolgt haben, scheinbar tatsächlich nicht so unrealistisch sind, wie ich's mir bis dato gedacht hab: Ja, verdammt, natürlich wollt ich den Pfad beschreiten, wenn das möglich ist! Hat nicht lang gedauert, bis ich aber feststellen durfte, dass man dafür legalerweise 18 sein muss, ja, Misti.
Ob die auf mich zukommenden Depressionen deswegen oder wegen etwas anderes kamen, wusst ich nach 'nem Jahr Therapie immer noch nicht, nur dass Antidepressiva einen zu 'nem willenlosen Zombie machen können. Ich Genius hatte 'n Coming Out an meiner Schule (dort war ich erstmal nur bi) und Familie und 'ne nicht ganz so amüsante Oberstufenzeit, aber die paar Strapazen, die ich da auf mich nehmen musste, stehen nicht in Relation zu dem, was ich bereits von anderen in Bezug auf Mobbing lesen musste. Meine Ma hat's zwar nicht verstanden, aber war trotzdem supportive in der Hoffnung, dass es mir helfen könnte. "Supportive" sah in dem Fall eben so aus, dass ich zu drölf Psychologen, Psychiatern und sonstigen Medizinern gehen konnte (ich mein das nicht sarkastisch, ich war froh drum), weil die Hoffnung bestand, dass vielleicht hormonell irgendwas nicht stimmt, ich inter oder sonst was bin und das möglicherweise dazu beiträgt, dass ich meinen Willen krieg, bevor 'ne männliche Pubertät meinen Körper in 'ne breitschultrige Katastrophe verwandelt. Drölf Psychologen, Psychiater und sonstige Mediziner später stand ich immer noch dort, wo ich zuvor auch stand. Cool, Bruder, bist wohl einfach 'n Kerl mit seltsamen, unerreichbaren Wünschen.
Aber was bleibt einem übrig, wenn man sich nicht wohl unter seiner Haut fühlt und keinen Einfluss - zumindest in den nächsten Jahren - drauf hat? Das Übliche eben: Abhungern, um irgendwie in 'ne Größe 34/36 zu passen und parallel dazu beten, dass man nicht mehr wächst. Endorphinhagel, wenn ich beim Einkaufen mit "Wie kann ich der Dame weiterhelfen?" angesprochen wurde. Ich war in der Phase ziemlich auf mein Äußeres fixiert und erwisch mich auch heute noch dabei, wie ich automatisch stehen bleiben muss, wenn ich einen Spiegel sehe, um ein kurzes "Fuck" auszustoßen und weiterzuziehen. Aber Frauen sind doch keine reinen Modepüppchen. Und dann kamen irgendwann eben die anderen Fragen auf: Was bedeutet es überhaupt, weiblich zu sein? Was gehört denn da überhaupt dazu? Muss ich mich jetzt irgendwie verstellen, schüchtern kichern oder Charakterzüge und Hobbies komplett eliminieren, um zu "passen"? Bin das dann überhaupt noch ich oder ist das bloß ein morbides Produkt meiner Fantasie? Also DAS wollte ich definitiv nicht werden, nur redet man sich gern mal was anderes ein, wenn's die Ungereimtheiten in der eigenen Weltanschauung übermalt. Aussagen, wie "Aber du hast doch gar nichts wirklich Weibliches an dir", haben mir Albträume bereitet, denn ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Natürlich hab ich mich dann verstellt, um irgendwelchen Erwartungen zu entsprechen, nur um diesen grässlichen Satz nicht mehr hören zu müssen. Was ist denn überhaupt was "wirklich Weibliches"? Und diese wiederholten Aussagen, z.B. in der Sportumkleide ein "Ey, trainierst du? Du hast 'n echt breites Kreuz", haben mich einfach fertig gemacht, weshalb ich mir dann irgendwann so 'nen Genderkommunismus eingeredet hab à la "alle sind gleich und charakterliche sowie interessenstechnische Unterschiede zwischen den Geschlechtern entstehen ausschließlich durch soziale Konventionen, die man Kindern aufdrückt". Ja, sorry, ich war dumm und 16.
Als ich dann dumm und 17 wurde, hab ich komplett asozialer Mensch es irgendwie hingekriegt, 'ne Freundin zu finden. Ich! Ha, Sachen gibt's. Wolke 7, kennste, ich war erstmal 'n Jahr neben gelegentlichen Downphasen durchwegs als glücklich zu bezeichnen - sogar so glücklich, dass es mir zu Zeiten egal war, ob ich denn nun männlich oder weiblich bin. Spannenderweise trat dieses geschlechtsbedinge Unzufriedenheitsgefühl am stärksten dann auf, wenn's mir am beschissensten ging. Dabei kann ich leider nicht sagen, wie da die Kausalitätskette denn genau aussieht, also ob dieser Weiblichkeitsdrang stärker wurde durch die Depression oder die Depression schlimmer wurde durch das Gefühl fehlender Weiblichkeit, wenn's nicht sogar ganz anders war. Jedenfalls war ich jetzt erstmal 'ne ganze Zeit ziemlich zufrieden, bis der ganze Zirkus von vorne losging, aber Jackpot: Asexualität meiner Freundin kam dazu, also dacht ich mir "heyyyyy, wenn Sex eh nicht wichtig ist, dann - easy lifehack - bin ich jetzt einfach wieder Jacqueline". Und, Oida, das hat sogar ziemlich stabil funktioniert. Schule war mittlerweile eh vorbei, ich hatte kaum noch erzwungenes Real Life, einfach cute Strümpfe anziehen und den ganzen Winter lang vorm PC hocken, herrlich.
Irgendwann kam der Zivildienst, ich hatte auf einmal irgendwie Geld, es fühlte sich so an, als hätte ich 'n geregeltes Leben - und ich wurd sogar in 'nen neuen Freundeskreis integriert und das hat ziemlich stabil funktioniert. Nachdem's Freunde von Bisafreunden waren, konnte ich mich natürlich mit "Hi, ich heiß Jacqueline (und ernähr mich vegan)" vorstellen, weil es sich angefühlt hat, als würd ich mich keinen komplett fremden Leuten vorstellen, sondern eh schon so Kumpels, die auf 'ner gesellschaftspolitischen Ebene sicher cool drauf sind. Selbst wenn's Passing komplett fürn Arsch ist (und ich zugegeben ab Endphase der Pubertät nie viel dafür getan hab, um zu passen), hat es sich immer sehr richtig angefühlt, wenn einen Leute mit dem gewünschten Namen ansprechen - oder mit den richtigen Pronomen, wobei sich weibliche Pronomina aus fremden Mündern für mich immer ungut anfühlen, weil es sich zu gezwungen anfühlt à la "ich mach's dir halt recht, OK?". Nicht mal die Schuld der Person, aber es fühlt sich einfach unverdient an, wenn ich mir nicht einmal Mühe geb, weiblich zu erscheinen.
Das letzte Kapitel liegt jetzt 4 Jahre zurück. In der Zwischenzeit hatte ich 1-2 Phasen, in denen ich diesen männlichen Zustand überhaupt nicht ausgehalten habe, paar gröbere Downs, aber insgesamt fühlt sich mittlerweile alles ziemlich egal an. Also "ok" egal. Ich gehe davon aus, dass mir auch die perfekte Weiblichkeit - wie auch immer der Spaß aussehen mag - nicht das ersehnte Seelenheil bringt. Ich werd immer älter, immer bärtiger und anderswo vermutlich in ein paar Jahren auch immer haarloser. Nachdem ich Basic Bitch mein Wohlgefühl ja sowieso irgendwo nur an meinem Äußeren festgemacht hab, wird da ein angenehmer Zustand immer unrealistischer, aber es fällt mir daher zunehmend leicht, davon Abstand zu nehmen, wenn das, was ich im Spiegel erblicken, einfach das komplette Gegenteil von meinem Ideal ist. Like "Brudi, da helfen auch die besten Hormonpillen und teuersten Schönheits-OPs nichts mehr - find dich damit ab, ffs, und sei 'n stabiler Typ". So ganz überzeugt bin ich von meinen aktuellen Gedankengängen zwar auch nicht, aber solang ich damit irgendwie über die Runden komm, wird's schon passen.
Ähm, ja, that's it, I guess. Hatte mal das Bedürfnis, das halbwegs gesammelt (nicht wirklich) runterzuschreiben.
xoxo Jacky