Der Weg der Gruppe führte sie in eine schummrige Seitenstraße, die in einem nicht sonderlich einladenden Hinterhof endete. In der Zwischenzeit beantwortete Marika Artemis' Frage, sprach dabei aber nicht den Punkt an, der ihm wirklich wichtig war - wie man das Monster verschwinden ließ. Jetzt, wo er darüber nachdachte - sie hatten sich ebenfalls nicht darum geschert, als sie ihre erste Begegnung mit einem Krochug in Oscuras gehabt hatten. Der Gedanke, dass etwas von ihnen wusste, erschien nun gar nicht mehr so abseitig. Immerhin gestand sie zu, dass man sich wärend des Kampfes noch Gedanken machen konnte - großartig. Gleichzeitig bewies es, dass sie ihre Handlung kaum durchdacht hatte - was sie trieb, schien tatsächlich der Drang zum Morden zu sein. Oh my, dachte er. Sind das etwa die Leute, die meiner Familie Waffen abkaufen?
Wo genau waren sie jetzt eigentlich? Der Hinterhof, in dem sie angelangt waren, war recht düster, und das, wo es doch gerade einmal Nachmittag war - die umliegenden, vergleichsweise hohen Häuser, kombiniert mit der schwachen Beleuchtung, sorgten für eine düstere Atmosphäre, in dem man leicht verschwinden konnte; was Art trotzdem nicht davon überzeugte, dass das Monstrum hier unbeachtet umherstreifte. Müllsäcke stapelten sich neben den Haustüren, die allesamt den Eingang zu eher zwielichtigen Etablissements wiesen; der Eingang, vor dem die Erleuchteten warteten, gehörte seinerseits zu einem... nein, keinem Casino. Casinos waren Orte, an denen sich bestens gekleidete Leute trafen, um über ein paar Gläsern teurer Getränke und ein paar Drehungen des Roulettekreisels größere Summen an Geld zu verlieren. Casinos hatten einen gewissen Stil, einen gewissen Flair. Dieser Ort war eine Spielothek, der Unterhaltungsraum des Pöbels, wo Marmorfußböden und rote Teppiche dunklen, billigen Bodenbelägen wichen und das Licht nicht von Kronleuchtern oder immerhin Designerlampen, sondern von Dutzenden von Neonröhren ausgestrahlt wurde.
Selbstverständlich traf ebendiese Beschreibung auch auf die von ihm so heißgeliebten Videoarcades zu, doch da bestand ein gewisser Unterschied. Videoarcades haftete etwas Ehrliches an, anders als den Spielotheken, die oft einen auf Casino machten, ohne tatsächlich eines zu sein. Abgesehen davon hing in der Arcade der Sieg von Können ab, nicht von Glück - in diesen Läden hing der Sieg ebenfalls nicht vom Glück ab, nein, es gab keinen Sieg. Fest stand, Artemis verabscheute diese Lokale, und falls der Krochug tatsächlich hier drin war, war sicher, dass er nichts Wichtiges zerstört haben konnte - dort drinnen gab es nichts, was irgendeinen Wert hatte.
Marika betrat das gefälschte Casino nun und ließ die anderen erst einmal am Eingang zurück. Artemis überlegte kurz, ob er zu ihr aufschließen sollte - er wollte wenigstens sehen, ob Marika nun tatsächlich recht gehabt hatte. Doch bevor er sich in Bewegung setzen konnte, griff Alicia nach seinem Arm und drückte ihm etwas kaltes, kantiges in die Hand. Der Schwarzhaarige blickte verwirrt darauf - eine halbautomatische Pistole, nicht von Faraday und ihm daher nicht genauer bekannt. Unsicher hob er das Ding auf Augenhöhe und peilte ein imaginäres Ziel entlang des Laufes an - auch wenn Pistolen wirklich nicht sein Fall waren, würde es wahrscheinlich doch gehen. Er seufzte. Dieser Tag verlief großartig, und er hatte das vage Gefühl, dass das alles nur daran lag, dass er heute Morgen keinen Tee bekommen hatte. "Danke sehr," antwortete er Alicia, ohne wirklich mitgekriegt zu haben, dass sie ihm überhaupt etwas gesagt hatte. "Aber haben Sie vielleicht noch eine zweite? In dem Fall," er vergewisserte sich, dass die Waffe gesichert war, und ließ sie dann locker an seinem rechten Zeigefinger kreisen, "würde ich nämlich beide nehmen. Ha!"
Mit der letzten, kratzig klingenden Lachsilbe marschierte er durch den Eingang, wobei er es sich nicht nehmen ließ, einen Blick über den Tresen zu werfen - gerade weil Marika davor gewarnt hatte. Bei dem Anblick, welcher hinter dem Tresen wartete, sog er zischend Luft ein und zuckte leicht mit einem Augenlid - die Szene wirkte reichlich verstörend und roch dazu noch unangenehm kupfrig. Höchstwahrscheinlich waren sie zu zweit gewesen, zumindest ließ die Anzahl der sichtbaren Gliedmaßen darauf schließen; der eine war offensichtlich ein Wachmann gewesen, das merkte man an den Uniformresten und der sauber durchgetrennten kugelsicheren Weste. Diese schien allerdings einen Teil der Wucht abgedämpft zu haben, denn der Körper war bei weitem unversehrter als der andere, auch wenn es klar war, dass in ihm kein Leben mehr ruhte. Der andere Tote war nicht so glücklich gewesen; Einzelteile in einem nun tiefroten, an Stellen jedoch noch seine alte Färbung besitzenden Streifenmuster gehalten, welches wahrscheinlich die Reste der Kleidung markierte. "Der Tote" war übrigens von Artemis geraten - die Gliedmaßen wirkten äußerst androgyn, die Körperform war nicht mehr klar erkennbar und der Kopf schlicht nicht anwesend, daher musste er von der Kleidung auf das Geschlecht schließen. Ein paar Geldscheine in der Hand des Gastes zeigten sogar, was sich abgespielt haben musste - anscheinend wollte sich der Gestreifte gerade etwas Geld in Jetons wechseln lassen. Und da brach der Krouchug ein und wechselte die zwei in handliche Stücke, kommentierte Artemis in Gedanken. Apropos Krouchug - damit musste er wohl zugeben, dass hier tatsächlich einer unterwegs war. Und vielleicht sollte er sich das eigentliche Geschehen mal näher ansehen.
Artemis erreichte den Durchgang zum Herz der Spielhalle gerade rechtzeitig, um noch den Schluss von Marikas Erklärung mitzukriegen: "...Ziele: Maul, Augen und falls ihr die Möglichkeit habt, Brust. Unterhalb des Rippenkranzes, wo bei uns etwa das Brustbein endet und die beiden Rippenbögen zusammenlaufen, ist bei diesen Wesen eine ungepanzerte Stelle, etwa so groß, wie eure Hand. Schräg darüber liegt das Herz, das bedeutet ein Treffer dort verursacht immer viel Schaden und hat gute Chancen tödlich zu sein. Aber lasst mich erst noch schnell etwas überprüfen.“ Und schon war sie in dem Raum verschwunden, in den Artemis nun auch endlich Einblick erhielt.
Das erste, was ihm auffiel, war die enorm hohe Dichte an Toten, die überall auf dem Fußboden verteilt lagen; nicht, dass sie Artemis' in irgendeiner Form nahegingen, aber ihre Anwesenheit ließ sich schwer leugnen. Gut hundert tote Augen blickten im Raum umher, ohne tatsächlich zu sehen, da diejenigen, die mit ihnen sahen, vor kurzer Zeit diesen Raum verlassen hatten, ohne sie mitzunehmen. Als nächstes fiel einem die restliche Zerstörung des Raumes auf - vor allem die Spielautomaten, die größtenteils aus ihren Verankerungen gerissen und zerfetzt auf dem Fußboden lagen, wobei sie den Fußboden mit Bergen von Jetons bedeckten - nicht, dass sie sie irgendwie einlösen könnten. Doch der tatsächliche Blickfang im Raum war der Krochug, welcher, ihnen abgewandt, etwas am Ende des Raumes beschnüffelnd; durch den Blickwinkel wirkte es von Artemis' Standpunkt aus so, als würde das Untier an der Bar hocken und seine Sorgen ertränken. Vielleicht sprach er ihm da ein bisschen zu viel Verstand zu, aber es könnte doch sein, oder?
Marika schien inzwischen etwas gefunden zu haben, das ihre Aufmerksamkeit erregte, also folgte Artemis ihr, wobei er sich keine Mühe machte, in irgendeiner Form unauffällig zu sein; er marschierte schnurstracks durch die Leichen, ohne ihnen mehr als nur einen flüchtigen Blick zu schenken. Ein großes Risiko ging er auf diese Weise eh nicht ein - die Bestie war immer noch in das vertieft, was sie dort gefunden hatte, und der dichte Teppich dämpfte das Geräusch seiner Schritte so weit, dass er selbst mit seinen Stiefeln nahezu lautlos war. Drüben an Marikas Standort erwarteten ihn gleich zwei Überraschungen - die größere von beiden war der röchelnde Lebende, der ihm sogar vage bekannt vorkam. Was für ein Zufall - erst kürzlich hatten sie über Shadowsoul gesprochen, und nun lag hier jemand, der eine frappierende Ähnlichkeit mit Jim Colman himself hatte. Die andere Überraschung war das Messer. Hier muss irgendwo noch eines dieser Dinger sein. Achtet darauf, dass die Klinge einen leichten Perlmuttschimmer hat. Das sind Deathblades und schneiden ohne Probleme durch jede Panzerung. Sucht es!“
In Anbetracht der Tatsache, dass wir alle etwas angespannt waren, ließ Art es durchgehen, dass sie nicht "bitte" gesagt hatte. "Vielleicht liegt er ja drauf," knurrte er, bevor er sich abwandte und sich auf die Suche nach dem Messer machte. Xaroc und Samuel durchkämmten bereits einen Teil des Raumes, also suchte er weiter entfernt, in den Schatten der noch stehenden Spielautomaten. Hmmm. Deathblades. Er spürte bei dem Wort ein leichtes Gefühl der Wiedererkennung, als habe er es schon einmal irgendwo erwähnt gehört; gleichzeitig, in den Tiefen seines Gehirns, versuchte ein kleiner Teil seines Verstandes ihn mit Schreien und Winken darauf aufmerksam zu machen, dass besagtes Geschehen gerade mal knapp anderthalb Tage zurücklag.
Die wirksamste Waffe, die ich kenn, sind sogenannte „Deathblades“, also Todesklingen. Diese sind gar nicht mal lang, nur bis maximal fünfzig Zentimeter, aber so wirksam, dass man mit ihnen auch Beton, Metall und Panzerhaut schneiden kann. Allerdings sind sie sehr selten und die wenigen, von denen ich weiß, befinden sich im Besitz der „Hunters“, den menschlichen Auftragskillern, die für die Bestien arbeiten - waren das nicht Marikas exakte Worte gewesen? Art hielt in seiner Suche inne und richtete sich auf. Das war ein äußerst interessantes Licht auf unseren lebendigen Bekannten - und doch erschien etwas daran merkwürdig. An dieser Sache gab es noch einige Ungereimtheiten, denen er sich nachher stellen müsste. Aber Colman behielt er besser erst mal im Auge - nicht, dass er etwas... Dummes tat.
Off Topic: Die Geschehnisse hinter dem Tresen sind selbstverständlich von Sheewa erfragt.