Artemis' Schlaf war durchzogen von Träumen, welche sich vorwiegend um Blut, Waffen und finstere, quadrupedale Gestalten mit einem ganzen Maul voller Reißzähne, Schneidezähne, Mahlzähne und anderer Variationen des gemeinen Zahns drehten. Ein solches Maul war vermutlich biologisch unmöglich, aber Artemis war kein hauptberuflicher Zahntechniker und konnte deshalb ohne Probleme von solchen Kiefern träumen, ohne Beschwerdeschreiben vom Bund Amruonischer Zahnärzte zu erhalten, dass seine Träume Hohn und Spott auf ihre gesamte Forschung zögen. Die Kreaturen taten allerdings nicht viel, abgesehen davon, ihre irrationalen Gebisse zur Schau zu stellen - meist kippten sie kurz darauf röchelnd um, ins Maul getroffen von einer der vorhin erwähnten Waffen, wobei das ebenfalls am Anfang des Abschnitts erwähnte Blut aus ihren Mundwinkeln sickerte. Und jedem dieser Monster blickte sein träumendes Ich ins zerfetzte Maul - der Erleuchtete befürchtete, dass er seinen Blick in das Maul des ersten erlegten Dwuochsé nicht sorgfältig durchdacht hatte. Eventuell hatte er ein leichtes Trauma davon getragen.
Er wachte ohne viel Aufhebens auf - erst öffnete er sein rechtes Auge, dann, nachdem dieses die Umgebung sondiert hatte, sein linkes. Gähnend stand er im stockfinsteren Zimmer auf, warf einen kurzen Blick auf die unscharfe Silhouette Hongs, schlurfte durchs Zimmer und warf einen Blick aus dem Fenster. In diesem Moment war es vier Uhr dreiundfünfzig und zwölf Sekunden nach der Central Standard Time Zone; im Staat Wejau wurden in diesem Moment 22 Kinder unter verschiedenen Umständen geboren, zur gleichen Zeit geschahen in dieser Sekunde - auf den ganzen Staat betrachtet - 18 Todesfälle, darunter 11 infolge eines Gewaltverbrechens. Von all dem hatte Artemis Benjamin Faraday, welcher in diesem Moment in der Morgan-Fox-Anstalt, offiziell eine Einrichtung zur Wiedereingliederung straffälliger Jugendlicher in die Gesellschaft, aber tatsächlich eine Auffangstelle für die Erleuchteten, nach dem Zufallsprinzip von einer als Wetterphänomen bekannten Macht auserwählt und mit speziellen Kräften versehen wurden, aus dem Fenster blickte, keine Ahnung. Er sah nur die vagen Farbveränderungen, die mit dem nahenden Sonnenaufgang einher gingen, und beschloss, dass es nutzlos war, sich jetzt wieder ins Bett zu legen.
Das war genug Introduktion für einen Tag.
Artemis überlegte kurz, was er nun machen konnte. Seine Optionen waren nicht sonderlich breit gefächert, aber vielleicht würde es etwas bringen, sich erst einmal zu duschen. Mit noch steifen Fingern griff er das oberste Sweatshirt - er vertraute dem Wetter dieserorts immer noch nicht - und eine Unterhose vom Kleidungsstapel und begab sich in den Duschraum, welcher den Zimmern 1 bis 3 gegenüber lag und - obwohl nicht der nächste - der erste war, welchen Artemis beim Verlassen des Zimmers sah.
Mit schnellen Schritten betrat er den Raum und schaltete das Licht an und bemerkte als Erstes, dass dieser Raum vor kurzem erst noch benutzt worden war - ein dünner Kondensfilm war das zweitprominenteste Zeichen, weit hinter dem achtlos auf dem Fußboden liegenden, blassgelben Handtuch. Er hob es auf und hörte den Sand herausrieseln; dabei betrachtete er die Blutspuren, die sich auf dem Handtuch deutlich abzeichneten. Trotz der Frühe des Morgens war ihm klar, dass er das im Hinterkopf behalten sollte; offensichtlich war jemand verletzt - und voller Sand gewesen. Solange er die Umstände nicht kannte, war das Handtuch allerdings wertlos für ihn - noch nicht einmal Abtrocknen konnte man sich mit dem feuchten Ding, also knüllte er es zusammen und warf es punktgenau in den offenen Wäschekorb am Eingang.
Als nächstes duschte er sich - kein Akt, der besondere Beschreibung benötigte. Das Gefühl, als hätte jemand seinen Mund von innen mit Gelee ausgestrichen, welches er seit dem Aufstehen mit sich trug, erinnerte ihn daran, dass er sich am vergangenen Abend - so wie die letzten paar Monate - nicht die Zähne geputzt hatte; diese hatten sich erstaunlich gut dafür gehalten, was teilweise damit zusammenhing, dass er auch kaum aß und so kaum Essensreste zurückblieben. Ein kurzer Schluck Wasser aus dem Duschkopf genügte für ihn als morgendliche Mundspülung.
Nach dem Duschen trocknete er sich mit einem frischen Handtuch ab (für diejenigen, welche Details mögen - es war lachsfarben), welches er auch zusammenknüllte und dem blutigen Handtuch folgen ließ. Er zog sich mit dem neuen Sweatshirt und seiner Hose wieder an, wobei er die Gelegenheit nutze, das im dunklen Zimmer ausgewählte Oberteil zu begutachten - ein dunkelrotes, recht dünnes Sweatshirt ohne Kapuze, mehr ein etwas dickeres T-Shirt als ein wirklicher Vertreter der Gattung Sweatshirt. Eigentlich kümmerte es ihn ja eh nicht, da er sowieso den Mantel darüber trug. Nach dieser Begutachtung verließ er das Duschzimmer, wobei er darauf achtete, das Licht hinter sich auszuknipsen.
Zwei Stunden später - Artemis verfluchte bereits die Tatsache, dass seinen Augen eine Beleuchtungsfunktion zu der bereits vorhandenen Teleskopfunktion fehlte - war der Morgen weit genug fortgeschritten, dass er die Laute anderer Erleuchteter hörte, die zum ersten Mal in diesem fremden Haus aufwachten. Eigentlich war ihm so früh noch nicht nach Interaktion und dem daraus zwangsweise resultierenden Ärger, doch wenn sie wach waren, war vielleicht auch schon Frühstück in diesem Haus möglich. Also legte er sein Buch - immer noch Carpe Noctem - auf sein Kopfkissen und stand unsicher, aufgrund seiner eingeschlafenen Beine, auf. Mit einer Hand klopfte er an Hongs Bett - wieso sollte er sie auch das Frühstück verschlafen lassen - und verließ das Zimmer in Richtung Mensa.
Das Frühstück war opulent, einschließlich Waffeln. Artemis war sich ziemlich sicher, dass diese nicht zum Standardaufgebot zählten, sondern vermutlich eine Art Begrüßungsritual für ihn und den Rest waren - eindeutig eine unfreundliche Geste, diese nicht anzunehmen. Schnell legte er drei der Waffeln auf seinen Teller - Puderzucker konnte er nicht ab, doch er fand es schade, dass kein Sirup am Tisch stand. Oder vielleicht übersah er ihn auch bloß.
Doch obwohl der Sirup nur ein kleiner Lapsus war, gab etwas anderes, das wesentlich bedrückender auf ihn wirkte. Mit dem Teller in der Hand suchte er die Köchin - die er schließlich dabei erwischte, wie sie eine Kanne Milch aus der Küche mitbrachte.
"Pardon, Ma'am," fragte er sie, "aber gibt es hier Schwarztee? Ich bevorzuge solchen normalerweise zu meinem Frühstück, ganz egal wie es aufgebaut ist."
"Kann ich nicht mit dienen," gab die Köchin zurück. "Wird nicht jeden Tag verlangt, aber ich seh zu, dass er beim nächsten Mal auf dem Einkaufszettel steht. Die nächsten paar Tage musst du aber ohne auskommen."
Artemis' Miene erhärtete sich. "Damit kann ich leben," antwortete er, wesentlich unfreundlicher als vorher allerdings. Die Inkompetenz des Durchschnittsmenschen, eine Küche auch nur mit dem Grundlegendsten auszurüsten, hatte seine Laune schlagartig von der Nulllage ins Negative fallen lassen. "Für ein paar Tage. Ich hoffe bloß, sie fahren bald Einkaufen."
Mit diesen Worten drehte er sich um und suchte sich einen Platz weit weg von den anderen Erleuchteten, von dem er allerdings noch kurz aufstand, um sich sein Glas mit normalem Wasser zu füllen. Hoffentlich kam bald der Tee an. Ohne Tee wurde er morgens nicht wach - oder nicht wach genug.
Nach dem Frühstück - Artemis hatte aus Protest gegen den fehlenden Schwarztee seinen Platz nicht abgeräumt, sondern war einfach gegangen - versuchte er sich daran zu erinnern, was Alicia gestern erwähnt hatte. Es sollte doch eine Vorstellungsrunde geben - perfekt, um Informationen zu sammeln, auch wenn er momentan wirklich nicht in der Stimmung war - und zwar in einem der Unterrichtsräume.
Wo waren die Unterrichtsräume?
Momentan hatte er die beiden unteren Stockwerke des Wohnhauses komplett abgesucht und nichts gefunden, was an einen Unterrichtsraum erinnerte. Ganz im Gegenteil, die anderen Jugendlichen machten sich zunehmend rarer - sie schienen zu wissen, wo sie hin mussten, bloß ihn hatte das Memo anscheinend nicht erreicht. Er war kurz davor, aufzugeben und jemanden um Hilfe zu bitten, als...
Ein Notfall-Gebäudeplan ("Was ist zu tun im Falle eines Feuers?") am anderen Ende der Halle fiel ihm ins Auge. Auf ihm - Zoom in - war eine Art Brücke in das gegenüberliegende Gebäude zu sehen, auf welchem drei der Räume mit "Unterrichtsraum 1,2,3" gekennzeichnet waren. Also das war es. Im anderen Gebäude.
Mit einer Fortbewegungsart, die bis auf die Geschwindigkeit normalem Gehen zum Verwechseln ähnlich sah, eilte er ins andere Gebäude, wo ihm eine halboffene Tür ins Auge fiel, durch deren Spalt bereits das gedämpfte Murmeln größerer Menschenansammlungen - oder vielmehr Erleuchtetenansammlungen - zu hören war. Als einer der letzten - doch nicht der letzte, denn Alicia fehlte noch - betrat er den Raum und wählte einen der letzten freien Plätze, wobei er nicht darauf achtete, wer neben ihm saß - er hatte auch kaum Gelegenheit dazu, denn in dem Moment betrat Miss Young den Raum.
Die Nachricht, wegen der sie hierherzitiert worden waren, war keine besonders weltbewegende - Einkaufstrip, Taschengeld, wir kaufen Tee. Mehr war Artemis zu diesem Zeitpunkt nicht wichtig. Zum Schluss rief Ms Young noch eine Vorstellungsrunde aus, und ihre Begleiterin schlug vor, dass sie auch ihre von der Rosetta verliehenen - oder sonstwie, auch wenn der Rosetta-Part momentan von den meisten akzeptiert wurde, erlangten Fähigkeiten veröffentlichten, auch wenn dafür kein Zwang bestand.
Damn well kein Zwang, dachte Artemis dazu. Selbst wenn einige von ihnen seinen Namen schon kannten - oder, mit Seitenblick auf Laverne, dachten seinen Namen zu kennen - gab es keinen Grund, ihnen seine Fähigkeit gleich zu verraten. Nicht, dass es für ihn besonderen Nutzen hatte, aber es würde ihm sicherlich einigen Zeitvertreib bereiten, mit ihren Hirnen zu spielen. Wenn sie dabei noch in ihren Schädeln waren, gab das Bonuspunkte.
Er passte eine Pause in den Vorstellungen ab und sagte dann beinahe gähnend, "Art Faraday. G'day." Keinerlei Erwähnung seiner Fähigkeit oder sogar seines Verzichts auf das Erwähnen der Fähigkeit - den meisten würde es noch nicht mal auffallen, dass er nichts gesagt hatte.
Off Topic: Wie ihr seht, habe ich Marikas Handtuch zwar in die Wäsche getan, aber das heißt nicht, dass es verloren ist. Schließlich muss Artemis nicht der Erste gewesen sein, der das Bad nach Marika wieder betreten hat, und außerdem kann eventuellen Nachduschern ja das sandige, blutige Handtuch in der Wäschetonne auffallen.
On a related note, sehe ich das richtig, dass das Erwähnen der Fähigkeit optional ist? Es kam mir ziemlich so vor. Wenn mein Chara damit den Unmut anderer Charaktere auf sich zieht - sei's drum. Es ist zwar nicht so auffällig wie bei TheSnobs Laverne, aber auch ich habe Artemis nicht so entwickelt, damit er Mister Popular wird.