»AUFSTEHEN!«
Warumono schreckte panisch auf. Es war schon hell geworden, doch er erkannte, dass der Morgen noch verdammt jung war. Dann blickte er sich hastig um und erkannte, dass Enigme einige Meter entfernt stand und sie die Urheberin des Schreis gewesen sein musste. Melodys Kopf lag indes noch regungslos in seinem Schoß und ihr Körper bewegte sich langsam im Takt ihres Atems auf und ab.
»Warum zum Teufel weckst du uns?!«, rief Warumono etwas verärgert.
»Ganz einfach. Das Training beginnt jetzt.«
Auch Melody war erwacht und blickte verschlafen um sich. Kurz darauf begann sie, mit Enigme zu streiten, da sie überhaupt nicht damit einverstanden war, so früh aufzustehen. Warumono empfand das als sehr starken Gesinnungswechsel, wo sie doch gestern noch so viel Respekt gegenüber dem Wächter des Waldes aufgebracht hatte. Vom starken Protest genervt führte Enigme die beiden dann zu einem Fluss, in dem sie sich waschen konnten.
»Ich habe siebzehn Partner auftreiben können, die bereit sind, euch beim Training zu helfen«, erwähnte das Psiana beiläufig, als Warumono sich seinen Kleidung wieder anzog, die er vor Ewigkeiten zusammen mit Melody aus gefundenen Stofffetzen zusammengeflickt hatte, als ihm seine alte Kleidung langsam zu klein geworden war. »Ich denke, ihr werdet sie nicht mögen. Sie sind echte Fieslinge.«
Warumono schenkte Enigme keinen Glauben und fragte sich, wie sein Training wohl aussehen möge. Genau genommen hatte er so etwas noch nie durchgemacht. Er wusste allerdings, dass Melody vor langer Zeit, als sie noch von Sover aufgezogen worden war, auch eine Zeit lang trainiert hatte. Jedoch hatte sie das Meiste wieder vergessen, und ihr Körper war, genau wie der von Warumono, durch den hastigen und vegetarischen Lebensstil recht schwach geworden. Aus diesem Grund erklärte die Wächterin den beiden auch, sie müssten erst einmal zu Kräften kommen, bevor sie auslaugendes Training durchstehen könnten. Deshalb aßen sie üppig zu Mittag, und Warumono kam zum ersten Mal in seinem Leben, zumindest soweit er sich erinnern konnte, in den Genuss von Wildschweinfleisch.
»Ferry hat das Schwein erlegt«, erklärte Enigme. »Er ist einer der beiden, die euch später helfen werden. Und Neymenae hat es gegrillt. Sie ist die andere.«
Schließlich begann die Wächterin, ihre zwei Schützlinge noch mehr in Hast zu versetzen und sie fanden sich schneller auf dem Trainingsplatz wieder, als ihnen lieb war. Tatsächlich handelte es sich um eine geräumige Lichtung, in der einige wenige Holzstümpfe herumstanden.
»Also gut!«, rief Enigme dann, als sie sich in der Mitte des Trainingsplatzes positioniert hatten. »Warumono, ich nehme an, dass du über Pokémon noch nicht so viel weißt.«
Empört sah er das Psiana an, bis er sich dachte, dass es sich wohl wieder um eine dieser Lügen handeln musste.
»Ich habe ihm nie...«, begann Melody daraufhin zögernd, mit einem absichernden Blick zu Warumono, »also, von Pokémontypen und Fähigkeiten weiß er nicht viel...«
Enigme seufzte und schloss die Augen. »Wie erwartet. Und dein Wissen wird wohl auch dürftig sein.«
»Nein! Ich weiß alles darüber!«
»Achso? Dann weißt du sicher auch, ob die Attacke Juwelenkraft gegen ein Skaraborn effektiv ist oder nicht?«
»Ähm, also...«
»Okay wir fangen also ganz von vorne an. Darf ich euch vorstellen – Neymenae und Ferry.«
Es waren zwei neue Pokémon auf die Lichtung getreten. Bei Ferry handelte es sich um ein großes, beigefarbenes Fellknäuel mit Schweinsnase, aus dem vier offenbar stark trainierte Gliedmaßen herausragten. Neben diesem Rasaff hatte auch ein Vulpix das Feld betreten. Es hatte acht Schwänze und sein Fell begann, sich aufzuhellen. Auch war es recht groß für ein Vulpix, was Melody annehmen ließ, dass es kurz vor der Entwicklung stand.
»Nun gut, ich habe vor, euch in nächster Zeit zu echten Experten zu machen – immerhin wollt ihr einen Krieg beenden. Ich halte dieses Vorhaben zwar für absurd, aber ich kann wenigstens verhindern, dass ihr zu leicht totzukriegen seid. Merkt euch eines: Was ihr bei mir lernt, ist mehr als bloße Hau-Drauf-Strategie. Mit dem Wort Experten meine ich auch Experten. Ihr werdet büffeln müssen. Ich habe mit Franziskas Hilfe in den letzten Jahren viele Tabellen und Listen zu den Fertigkeiten und Typen von Pokémon angefertigt. Ihr gewaltiges Wissen, was Pokémon betrifft, war eine verdammt große Hilfe – selbst für mich, obwohl ich selbst eines bin. Ach, wäre sie nur Trainerin geworden, niemand hätte sie je schlagen können!«
Zum Leidwesen von Melody und Warumono meinte Enigme ihre Worte tatsächlich mal ernst. Warumono schien zu begreifen, dass sie während des Trainings nicht log – nur danach und davor. Die Wächterin brauchte einen Tag, um die beiden in die, wie sie es nannte, Grundmaterie einzuführen, die das Wissen Melodys bereits an einigen Stellen überholte. So wusste sie nicht, dass Pokémon, die den gleichen Typ haben wie die Attacke, die sie einsetzen, diese besser benutzen als andere. Das war, wenn sie es sich recht überlegte, recht logisch, und dennoch hatte ihr dieses Wissen zuvor gefehlt. Auch lernten beide mehr über das Level von Pokémon, das man hauptsächlich durch Ditto erfahren konnte, die andere kopieren und so auch analysieren konnten. Franziska jedoch war so erfahren, dass sie mit Leichtigkeit Melodys Level auf 24 einschätzte, was Enigme zufolge lächerlich wenig war.
Außerdem lernten sie etwas über Geist-Pokémon. So waren beispielsweise Rasaffs Kampf-Attacken und somit auch die meisten Attacken der Menschen gegen sie nutzlos. Auch gab es viele Geister, die offenbar schweben konnten und so von Boden-Attacken unberührt blieben.
Der schwierigste Teil stand ihnen jedoch noch bevor. Eine ganze Woche verbrachten sie damit, jeden Typ der rund 500 von Enigme und Franziska in die Listen aufgenommenen Pokémon auswendig zu lernen – und zusätzlich die wahrscheinlichsten Attacken, die jedes einzelne benutzen würde. Warumono fiel dies besonders schwer, da er in seinem Leben nur rund 50 verschiedene Pokémon gesehen hatte und sich Namen und Aussehen jedes einzelnen extra merken musste.
Dann – nach dieser schier endlos währenden Theoriephase – begann das physische Training. Bereits nach zwei Tagen wünschten sich Melody und Warumono in die alten Tage zurück. Sie wurden gezwungen, Liegestützen, Ausdauerläufe, Sprints und verschiedenste akrobatische Übungen durchzuführen, was sie so auszehrte, dass all die Nahrung, die ihnen in der Woche zuvor in den Hals gesteckt worden war, noch immer viel zu wenig zu sein schien. Melody bereute inständig, im Stillen Angst um ihre Figur gehabt zu haben.
Und dann, nachdem die Stärkungsphase (nach einer weiteren Woche) endlich beendet war, kam der schmerzhafteste Teil. Sie mussten gegen Neymenae und Ferry kämpfen.
»Okay. Ich habt nun ein bisschen Grips und Muskelmasse angesammelt. Nicht, dass es genug wäre, nein nein, davon kann ganz gewiss nicht die Rede sein. Jetzt geht es aber um das, was in der Realität wirklich auf euch zukommt.«
Warumono fand den Gedanken, bis zu diesem Moment nicht auf die Realität vorbereitet worden zu sein, mehr als verärgernd.
Am Abend des letzten physischen Trainingstages saßen sie zu fünft an einem Lagerfeuer, über dem mal wieder ein Wildschwein hing. Franziska war zuhause geblieben, um sich um das verletzte Evoli zu kümmern, während der Rest sich entschlossen hatte, einen gemeinsamen Abend zu verbringen, um die Moral für den nächsten Tag zu stärken.
»Sag mal«, begann Melody an Ferry gewandt, »Findest du es nicht anstößig, deinesgleichen zu essen?«
Das Rasaff blickte es verwirrt an, bis ihm auffiel, worauf das Kirlia hinaus wollte.
»Willst du etwa behaupten, ich sei ein Schwein?«
Neymenae fing an, herzhaft zu lachen, doch in Warumonos Kopf begann ein leichter Druck zu entstehen. In einer der Listen hatte er gelesen, dass Rasaffs sehr leicht wütend zu machen waren, und es war ihm sehr mulmig dabei zumute, überhaupt in seiner Umgebung zu sein. Er hatte Angst, dass es bei jedem kleinsten Fehler durchdrehen könnte. Melody schien noch einigermaßen sicher, da sie ein Psycho-Pokémon war, das gegen Kampf-Pokémon wie Rasaff einen großen Vorteil besaß, doch da Warumono sich selbst als »Normal-Pokémon« ansah, ging diese Rechnung nicht unbedingt zu seinen Gunsten auf.
»Sag mal, Neymenae, wann hast du eigentlich vor, dich zu entwickeln?«, fragte Melody, als das Vulpix endlich zur Ruhe gekommen war. Ferry hatte sich von der ganzen Sache scheinbar nicht sonderlich beeindrucken lassen, da es grinste.
»Hm«, machte es. »Sobald ich einen Feuerstein gefunden habe, denke ich.«
Melody lief sichtlich rot an – sie hatte die Tatsache, dass manche Entwicklungen Entwicklungssteine benötigten, völlig vergessen. »Oh«, antwortete sie dann und biss verlegen in ihr Steak.
»Ich werde mal neues Feuerholz holen gehen«, warf daraufhin Ferry ein, der merkte, dass das alte langsam zur Neige ging. »Kommst du mit, Warumono?«
Der Angesprochene war von dem Vorschlag völlig überrumpelt. Er starrte das Rasaff ängstlich an und blickte sich hilflos um. Enigme begann daraufhin, zu lächeln und sagte: »Keine Sorge, er ist völlig harmlos. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ihm damals sein geliebtes Pummeluff zum wiederholten Male eine gewaltsame Abfuhr erteilte.«
»Fang nicht wieder damit an«, antwortete Ferry verlegen und drehte sich zu Warumono. »Keine Sorge, du brauchst keine Angst haben. Aber wenn du nicht mitkommen willst, ist das auch okay.«
Daraufhin drehte er sich mit einem verständnisvollen Lächeln um, in dem jedoch noch etwas Enttäuschung steckte.
Kurz darauf spürte Warumono einen stechenden Schmerz in seinem Rücken, drehte sich um und sah in das allessagende Gesicht Melodys. Sie war offenbar sauer und empfand sein Verhalten als unangenehm peinlich, und als er das bemerkte, verstand er prompt ihre Nachricht, dem Rasaff sofort hinterherzueilen.
Da er vor ihr weitaus mehr Angst hatte als vor dem laufenden Fellungeheuer machte er sich auch hurtig auf den Weg und hatte Ferry innerhlb kurzer Zeit eingeholt.
»E-«, begann Warumono stotternd, »Entschulding!«
Ferry grinste nun aufrichtig. »Kein Problem! Ich bin froh! So muss ich nicht allein bis zum Fluss laufen.«
BIS ZUM FLUSS?!, rief Warumono völlig erschrocken und negativ erstaunt in sich hinein, GOTT HIMMEL SO WEIT?
»Oh.«
»Ja, ich hätte nicht gedacht, dass wir so lange dort sitzen, deswegen habe ich nicht vorsichtshalber mehr Holz geholt.«
»Wir sind in einem Wald – warum ist es so schwer, Holz zu finden? Hier liegen überall Äste.«
Ferry hatte ein verlegen-scheinheiliges Lächeln aufgesetzt, als er antwortete: »Naja, weißt du, die Schweine haben mit normalen Ästen nicht das richtige Aroma. Hier sind viele Äste auch noch nass, und dann schmeckt es nach Rauch.«
Abgesehen davon, dass diese Antwort völlig unplausibel war, leuchtete sie Warumono ein.
»Ähm, aber, kann Neymenae die Äste nicht trocknen?«
Ferry schien bemerkt zu haben, dass er auf einen Gegner getroffen war, der argumentativ schwer zu knacken schien, denn sein Lächeln war ein wenig erstarrt.
»Nun ja, es ist vielleicht so, dass du den Unterschied nicht schmeckst. Du hast noch nicht viel Fleisch in deinem Leben gegessen, oder? Weißt du, jedes Holz verleiht jedem Fleisch ein Aroma. Und ich mag nun einmal nur das Aroma von dem Holz, das auf den nährstoffreichen Böden in der Gegend des Flusses gewachsen ist.«
Die beiden liefen eine Weile weiter. Mit der Erklärung hatte sich Warumono zufrieden gegeben, obgleich er noch immer nicht verstand, warum der Fluss unbedingt so weit entfernt fließen musste.
»Sag mal«, begann Warumono nach einer längeren Pause, »Hast du gar kein Problem damit, die einem Menschen zu zeigen? Und mit einem zusammenzuarbeiten?«
»Aber was redest du denn da?«, rief er lachend, »Ich gehöre gar nicht zu den Pokémon, die sich nicht zeigen dürfen. Diese Regelung gilt immerhin nicht für alle.«
»Ich habe das noch nie verstanden. Für welche Pokémon gilt es denn nun?«
»Ach, ich habe darüber keine Ahnng. Meine Eltern haben mich so erzogen. Sie haben mir immer gesagt, die Menschen wären völlig okay und man kommt sehr gut mit ihnen aus, wenn man es versucht. Bei Neymenae war das ähnlich. Enigme wurde ganz anders erzogen, aber ihr Status als Wächter des Waldes lässt sie tun und lassen, was sie will.«
Als Warumono an das mystische Psiana dachte, wurde ihm plötzlich ein besonderer Umstand bewusst: Sie log immer. Immer. Außer im Training. Aber vorhin... da war kein Training.
Erschrocken drehte er sich zu dem Rasaff um und machte unbewusst einen Schritt zurück.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, grinste es, und blieb stehen.
»Ähm, gar nichts...«
»Potz Blitz! Warum hast du so eine Angst vor mir? Du bist ein Kämpfer! Von einem Kämpfer hast du nichts zu befürchten!«
»Kämpfer?«, wiederholte Warumono.
»Wusstest du es nicht? Menschen sind vom Typ Kampf. Deswegen sind sie von Psycho-Attacken so leicht zu beeinflussen – das Unerklärliche macht sie ganz kirre. Gleichzeitig sind sie jedoch stark gegen das dunkle und Unbekannte. Das Unlicht bekämpfen sie mit Schlägen – immer feste druff. Mir geht’s da ähnlich.«
»Aber ich dachte, wir wären vom Typ normal...«
»Überleg mal. Wenn ihr tatsächlich Normal wärt, könnten euch Geist-Angriffe nichts ausmachen.«
Das leuchtete Warumono ein. Er hatte genau gemerkt, wie viel Geister bei ihm ausrichten konnten. Und als nächstes musste er an den Krieg denken. Normale Menschen würden keinen Krieg beginnen. Normale Menschen würden keinen Krieg führen. Das würden nur kämpferische.
Es dauerte schließlich gar nicht so lang, wie Warumono gedacht hatte. Es fiel ihm auf, dass das Training tatsächlich etwas genützt hatte, denn zuvor war er nie so weit gelaufen.
Zu fünft verbrachten sie dann den Abend in übergroßer guter Laune, und nun war auch das Eis um Warumono gebrochen, sodass er sich rege die ganze Nacht fröhlich an jeder Diskussion beteiligte.
Irgendwann wurden Melody und Warumono müde. Sie waren es nicht gewohnt, allzu lang aufzubleiben, und entschlossen sich, schlafen zu gehen. Sie hatten sich in den vergangenen zwei Wochen einen Schlafplatz für sich gebaut, der im wesentlichen aus einem Blätterhaufen bestand.
»Sag mal, Melody«, begann Warumono, nachdem sie bereits einige Minuten lang in ihrem Gelage lagen, »woher wusstest du, dass Ferry ein guter Kerl ist? Er ist ein Rasaff.«
Er blickte sie fragend an. Sie lagen eng nebeneinander, da die Nacht nicht die wärmste war, und ihr Gesicht war dicht an seinem.
Sie lächelte. »Ich werde immer besser. Langsam entwickelt sich meine Fähigkeit, Gedanken zu lesen. Weil ich in den letzten Jahren nicht von vielen Gedanken umgeben war, bin ich etwas im Verzug, was das angeht. Aber zumindest spüre ich, ob jemand etwas Böses im Schilde führt, oder voller Rache, Angst, Glück oder Hass innerlich überschäumt.«
»Gedankenlesen...«, murmelte Warumono dann. »Weißt du, wenn ich dir ganz nah bin, so nah wie jetzt, zum Beispiel... dann habe ich genau das Gefühl, was du gerade beschrieben hast. Ich fühle, ob es dir gut oder schlecht geht. Und ob du wütend bist. Aber ich glaube, das geht nur bei dir. Ist das auch Gedankenlesen?«
Melody sah ihn mit einem tiefen Blick an und begann, sacht zu grinsen. »Ich habe keine Ahnung, was das ist«, antwortete sie dann ehrlich.
Am nächsten Tag kam es dann endlich zum Kampf. Warumono und Melody standen ihren beiden Trainingsgegnern entschlossen gegenüber. Alle vier hatten sich am Vorabend versprochen, alles zu geben und sich trotzdem nichts zu schenken. Warumono und Melody hatten sich in den vergangenen Jahren bereits überlegt, wie sie eine Krisensituation handhaben sollten und waren sich nun sicher, sie würden mit dieser wacker den Kampf bestehen können. Zudem waren Neymenae und Ferry, laut Enigme, keinen Doppelkampf gewöhnt, sie würden nur immer gegeneinander antreten. Was die ganze Sache noch spannender machte, war die Tatsache, dass das Gewinnerteam Preise vom spendablen Wächter-Pisana erhalten sollte. So waren für Neymenae und Ferry ein Fokus-Band und ein Feuerstein vorgesehen, und für die anderen beiden anderen das Empfehlungsschreiben der alten Franziska. Warumono empfand das als unfair, da ihnen das Schreiben eigentlich schon versprochen wurde, doch er hatte mit Melody entschieden, es trotzdem durchzustehen. Schließlich mussten sie auf ihrem Weg wenigstens gegen solche Gegner kämpfen können.
Langsam rückte der Beginn des Kampfes näher, und kaum hatte Enigme ihn ausgerufen, nahm Warumono einen Stein in die Hand und warf ihm Ferry ins Gesicht. Ohne Skrupel nahm er daraufhin einen weiteren in die Hand und schleuderte ihn auf Neymenae. Diese war nun jedoch vorbereitet und wich gekonnt aus. Melody stand immernoch neben Warumono, und kurz darauf erkannte er, wie Ferry auf ihn zu rannte und Neymenae auf Melody Kurs nahm.
Genau so hatte er das erwartet, denn er wusste, dass es für das Rasaff schwer war, gegen ein Psycho-Pokémon anzukämpfen. Dieses tat nun jedoch prompt etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte – es sprang hoch in die Luft und steuerte mit den Worten »Dynamic … ENTRY!« und erhobenem Fuß direkt auf Warumonos Gesicht zu.
Knapp verpasste der Fußkick Warumono, der daraufhin die Situation aus den Augen verlor. Kurz danach versuchte er, das Rasaff zu Fall zu bringen, indem er ihm ein Bein stellte, doch schnell merkte er, dass sein Gegner viel zu erfahren war, als dass er auf so einen Trick hereinfallen könnte. Zudem wurde sein Vorhaben durch die Tatsache erschwert, dass Ferry beim Angriff versehentlich seinen Fuß derart tief in die Erde gerammt hatte, dass er gar nicht zu Fall zu bringen war.
Als er sah, dass sein Gegner halbwegs gelähmt war, drosch Warumono mit einem robusten Ast, der neben ihm gelegen hatte, auf das arme Schwein ein.
Nach kurzem fing sich Ferry jedoch wieder und setzte mit Gewissheit einen gezielten Schlag auf Warumono an, der daraufhin schwer getroffen zu taumeln begann. Bald darauf wurde ihm schwindlig, und kurz nachdem er dem ihm entgegentretenden Ferry Erde ins Gesicht geworfen hatte, begann dieser, sie das Fell zu raufen. Warumono blickte sich kurz um und entdeckte sehr bald, dass Melody dabei war, Konfusion auf das Rasaff anzuwenden. Dann machte Warumono kurzen Prozess und schlug ihm mit seiner Waffe kräftig auf die Nase. Als er sich zu Melody umdrehte, um sich zu bedanken, sah er, wie von hinten Vulpix auf sie zugesprungen kam. Dann gellte ein heller Blitz auf, was Warumono vermuten ließ, dass Melody Teleport eingesetzt hatte, doch sie stand nach wie vor an der gleichen Stelle wie zuvor, was ihm einen Schrecken in die Glieder jagte. Er hätte gern gesehen, was weiter geschehen würde, doch unvermittelt spürte er einen Schatten hinter sich, drehte sich um und erblickte Ferry – der nun das erste Mal die für Rasaff übliche Ärgernis-Ader voller Blut pumpte und scheinbar nicht mit Warumonos Kampfstil einverstanden war. Er erhob beide Arme zu einem Kreuzhieb und sah dabei völlig unverletzt aus – scheinbar hatten ihm die bisherigen Attacken nicht so viel ausgemacht, wie Warumono zuvor angenommen hatte. Er versuchte, einige Zentimeter rückwärts zu kriechen, da er sich, wenn er aufgestanden wäre, direkt in die wütenden Fäuste begeben hätte.
Kurz bevor das Unheil auf ihn hinuntersausen konnte, wurde Ferrys wild gewachsenes Fell von mehreren fliegenden Blättern ein paar Zentimeter kürzer gestutzt, doch außer seiner Verwirrung darüber schien die Attacke nichts weiter bewirkt zu haben. Kurz darauf erfasste ihn wieder eine Konfusion, die ihn zum Wanken brachte, und Warumono hatte wieder vor, seine Chance zu nutzen.
Doch aus irgendeinem Grund war es Ferry möglich, den Angriff abzuwehren, weshalb Warumono lieber ein paar Meter Abstand zwischen sich und das wütende Rasaff brachte; auch, um die Situation besser beobachten zu können. Er sah nun, dass Melody einige Meter hinter Rasaff stand, und gleichzeitig rechts neben ihm mit Neymenae kämpfte. Er brauchte einen Moment, um herauszufinden, dass Melody Doppelteam eingesetzt hatte, und kurz danach merkte er, dass der Doppelgänger, den das Vulpix wohl bisher noch nicht enttarnt hatte, einfach bloß allen Angriffen auswich.
Als er sich wieder umdrehte, erkannte der Junge, dass Rasaff nun nicht mehr hinter ihm her war, sondern auf Melody losging. Eine Konfusions-Attacke steckte er auf dem Weg lässig ein, und als er sich Melody bedrohlich genähert hatte, schlug er sie einfach nieder.
Warumono traute seinen Augen nicht und seine Arme wurden schwach.
Nein, dachte er, nicht schwach. Das Gefühl, das sich in seinen Armen und Beinen, in seinem ganzen Körper, breit machte, war nicht Schwäche. Es war auch nicht die altbekannte Angst, die ihn noch in den Kämpfen von vor drei Jahren beherrscht hatte. Das, was nun seinen Geist und seinen Körper füllte, war Wut. Eher Zorn. Es war, genau genommen, pure Stärke.
Entschlossen rannte er auf das Rasaff zu, und dass ein Flammenwurf den Weg zwischen ihm und seinem Ziel abschneiden sollte, bekam er gar nicht richtig mit. Mit vollem, brennenden Herzen schritt er durch das Feuer und schlug das Vulpix, das sich kurz danach auf ihn gestürzt hatte, mit Leichtigkeit bewusstlos.
Nun waren nur noch er und Ferry übrig, und sie beide loderten vor Wut, und vor Ehrgeiz, vor Stolz und Entschlossenheit.
Ein fürchterlicher Schlag löste sich aus Ferrys Arm, doch Warumono wich diesem, unbeeindruckt und ohne überflüssige Bewegungen knapp aus. Ferrys Arm befand sich nun ausgestreckt direkt neben Warumonos Kopf. Warumono packte den Arm kurzerhand und wuchtete das Rasaff, das er für schwerer gehalten hätte, mit wilder Gier über seinen Kopf auf die andere Seite des Bodens.
Doch es dauerte nicht lang, bis es wieder auf seinen kurzen Beinen stand und Warumono erneut angriff, der dieses Mal die volle Breitseite des Karateschlags einbüßen musste. Warumono wich ein paar Schritte zurück, doch nicht aus Angst, sondern um seinem nächsten Schlag mehr Wucht zu verleihen.
Gerade kurz bevor Warumono seinen Schlag ansetzen konnte, griff sich das Rasaff wieder an seinen Kopf. Es schien, als würde ihn eine Konfusionsattacke treffen. Der Junge blickte kurz zurück, um seine Gefährtin zu erblicken, wie sie leblos in der Luft schwebte, als würde sie nur an ihrem Kopf hochgezogen werden. Es war genau wie damals, und auch dieses Mal glitzerte eine rote Mauer aus leichten Flammen um ihren Körper. Warumono drehte sich so schnell wie möglich zurück und erkannte, dass Ferry noch immer taumelte, und schlug nun mit aller Kraft zu – doch wieder, wie beim letzten Mal, war der Gegner fähig, den Angriff zu parieren.
»Blöder Scanner«, hörte Warumono Melody hinter sich murmeln. »Nochmal«, ergänzte sie schwach.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Noch einmal sammelte Warumono Kraft für einen heftigen Schlag, der das zu seinem Erstaunen noch immer schwankende Rasaff diesmal voll erwischte.
Kurz darauf wurde Melody wieder bewusstlos, und Warumono merkte, wie auch ihn sein Bewusstsein verließ.