Oh gott, da ist man mal ein WE nicht da, und dann werden gleich Seitenweise Sachen gepostet, so dass ich wirklich nicht anders kann, als auch einmal was dazu zu schreiben.
Und ich weiß eigentlich gar nicht wo ich anfangen soll. Hmm, vielleicht so...
Das Grundlegende Problem in dieser Diskussion ist, dass einige davon ausgehen, dass ihre Moral oder Ethik allgemein anwendbar ist, und dass diese nicht verstehen wollen/können, dass Moral und Ethik etwas im allgemeinen sehr individuelles ist. Auch wenn gewisse Ethische Vorstellungen innerhalb von Deutschland überwiegen, tun sie das nicht in anderen Ländern. Und auch nicht alle deutsche teilen diese Vorstellungen. Sprich: Eine Diskussion ob etwas ethisch oder moralisch "richtig" oder "falsch" ist, ist absolut sinnlos, weil es nicht eine Moral gibt, sondern viele verschiedene Moralvorstellungen. Und zu behaupten, dass die eigene die einzig wahre wäre und alle nach dieser gehen sollten, ist eindeutig ein Zeichen von Fanatismus.
Das einzige, nachdem wir gehen können, wenn es um solche Fragen geht, ist damit das Gesetz und Rechte, wie eben die oft genannten Menschenrechte. Und natürlich ein wenig logischer Überlegung, anstatt emotionaler Eingebung.
Warum ich dies betone ist, weil viele der hier von den Todesstrafenbefürwortern genannten Beispieltäter, besonders Breivik, aber auch diverse anderen Massenmörder, in ihrer eigenen Moral und Ethik "richtig" gehandelt haben. Ja, im Sinne von mehr als 95% aller Europäer hat er Wahrscheinlich "falsch" gehandelt und etwas unverzeihliches getan (und da schließe ich mich nicht aus), aber für ihn und leider nun mal einige andere auch war es "richtig". Und wer sagt, dass die Moralvorstellung der 95% stimmt? Können wir wirklich nach einem vor allem durch Emotion geprägten Sinn gehen? Nein. Deswegen gibt es das Gesetz. Um nach diesen, so objektiv wie es Menschen möglich ist, zu bewerten und zu urteilen.
Und ich muss sagen, dass ich tatsächlich Breivik allgemein noch einmal als Sonderfall sehe. Weil er, im Gegensatz zu vergleichbaren anderen Verbrechern, sich selbst als das Monster darstellt, was die Gesellschaft sehen will. Er genießt es, dieses Monster sein zu können, und tut alles daran, dieses "Image" aufrecht zu erhalten. Er wartet darauf, dass ihn jemand umbringt und er so für die wenigen, die seine Ethischen Vorstellungen teilen, zum Märtyrer wird. Genau das ist gerade etwas, über das man nachdenken sollte, wenn man für ihn die Todesstrafe fordert: Man belohnt ihn damit. Man gibt ihm genau das, was er von Anfang an wollte.
Um das ganze ein Mal in eine andere Richtung zu lenken, bezüglich der Frage von richtig und falsch: Es gibt Länder und Kulturen, in denen wird Homosexualität als unverzeihliche Sünde angesehen. Als moralisch falsch. Und dort werden Homosexuelle aufgrund ihrer Sexualität hingerichtet - auch heute noch. Es gibt Kulturen, bei denen steht die Todesstrafe auf Ehebruch, auf Scheidung, auf Abtreibung, auf das angehören einer bestimmten Religion. Es gibt Länder, in denen eine Frau, die vor ihrem gewaltätigen Mann davon läuft, dafür zum Tode verurteilt werden kann. Und tatsächlich sehen in diesen Ländern viele Leute eben genau diese mit der Todesstrafe bestraften Dinge als "falsch" und "böse" an und sagen, dass eben diese "Verbrecher" den Tod verdienen. Während wir hier diese Hinrichtungen ebenfalls als Mord bezeichnen würden. Dabei ist es genau so juristisch legitimiert, wie die Hinrichtungen diverser Mörder und Vergewaltiger in den USA oder anderen Ländern, in denen es die Todesstrafe noch gibt.
Wo ist der Unterschied?
In der Schwere der Tat? Wer - welcher Mensch - hat das Recht zu entscheiden, wann eine Tat schwer genug ist, um den Tod zu verdienen?
Und überhaupt: Wo ist der Unterschied zwischen einem Henker und einen Assasinen? Beide werden dafür bezahlt, andere Menschen zu töten.
Was mich übrigens zu einem weiteren Problem mit der Todesstrafe bringt: Jemand muss diese ausführen. Nur weil jemand zum Tode verurteilt wird, stirbt er nicht einfach. In den USA drücken vier Henker gleichzeitig einen Knopf um das Gift einzuleiten oder den Strom beim elektrischen Stuhl anzustellen, nur einer leitet es wirklich ein/legt die Spannung an und niemand weiß, welcher das ist, damit sich jeder der Henker denken kann: Ich war nicht der Mörder. Ich habe ihn nicht umgebracht. Trotzdem haben viele der Henker früher oder später psychologische Probleme. Und ja, die meisten führen immer nur eine Todesstrafe aus. Trotzdem macht es sie entweder fertig ODER sie haben daran dieselbe perverse Faszination am nehmen eines Menschenlebens, wie einige Mörder.
Das Problem, was ich hier bei denjenigen sehe, die die Todesstrafe befürworten, ist vor allem das diese ganz offenbar eine Neigung dazu haben, die Welt komplett Schwarz und Weiß zu sehen. Es gibt zwei Arten von Verbrechern: Die bösen, die durch und durch böse (also Monster) sind, und die guten, die ja nicht anders konnten. Das es viele Graustufen gibt, wird ignoriert.
Menschen sind, wie sie sind, und ändern sich nicht? Da fallen mir partout eine ganze Reihe von Dingen ein, die in so einem Psychologiewälzer stehen, die dies wiederlegen. Ich mein, seien wir mal ehrlich: Würden Menschen sich nicht ändern können, warum haben wir dann überhaupt Psychologen?
Vor allem betrachten wir doch einmal etwas anderes: Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend mit Gewalt oder Sexualdelikten konfrontiert werden, neigen wesentlich häufiger dazu, später selbst solche Straftaten zu begehen, als Menschen, bei denen dies nicht so war. Dabei heißt "konfrontiert" werden übrigens nicht unbedingt, selbst Opfer zu sein, auch wenn das erneut die Wahrscheinlichkeit erhöht. Wie erklärt ihr das, wenn "Bösmenschentum" angeboren ist? Vielleicht mit "gleich und gleich gesellt sich gern"? Vielleicht war es auch eine Vorbeugende Maßnahme Gottes/der Götter/des Schicksal/von woran immer man auch glaubt, um diejenigen schon mal vor der Straftat für spätere Verbrechen zu bestrafen (im Falle das der Konfrontierte hier selbst Opfer war)?
Ich denke in den Punkt spielt eben auch die höheren Verbrecherraten in Ländern/Regionen, wo Todesstrafen legitim sind und/oder die Staatsgewalt auch anders missbraucht wird (Folter, Vergewaltigung von Inhaftierten usw.).
Natürlich werden Menschen mit gewissen Veranlagungen geboren (und ja, es gibt psychische Krankheiten, die Angeboren werden), aber kein Mensch ist bei seiner Geburt "gut" oder "böse". Wie Cassandra schon sagte: Der Charakter ist die Summe aus Veranlagung, Umfeld und Erfahrung. Das ist auch etwas, worin sich die moderne Psychologie ziemlich einig ist.
Das "Menschen werden böse geboren" von Psychologen gibt es auch... Allerdings ist es entweder veraltet oder wird von Psychologen, die selbst Fanatiker sind oder zu einem totalitären Regiem gehören.
Und was wollt ihr machen? Die wirklich psychisch kranken dafür bestrafen, dass sie krank sind? Es tut mir leid, dass ist eine Forderung, bei der ich partout an einige Diktatoren denken muss, die Leute aufgrund von Krankheiten hinrichten ließen. Oh, und an die Hexenverbrennung und tödlich endene Exorzisten. Und bei den "Nicht-Psychisch-Kranken" ist schlicht und ergreifend die Annahme falsch, dass diese sich nicht ändern können. Auch wenn es natürlich so ist, dass es welche gibt (und ich zweifle nicht dran, dass Breivik zu diesen gehört), die sich nicht ändern wollen.
Was mich übrigens zu einem weiteren interessanten Punkt bringt. Die Länder, in denen die Todesstrafe rechtlich ist und auch durchgeführt wird, sind ausnahmslos entweder sehr religiös oder (manchmal auch "und") sehr patriotistisch. Merkt man übrigens auch wunderbar am Beispiel der USA, wo die meisten Exekutionen im super religiösen und patriotistischem Süden stattfinden.
Da gibt es also doch eine Verbindung zwischen. Allgemein bemerkt man, dass auch dort, wie ich es schon zu Beginn meines Posts auf das Forum bezogen ansprach, die Befürwortung der Todesstrafe vor allem von fanatisch eingestellten Gruppen kommt.
Und noch zum Thema "Amokläufer". Ihr wisst schon, dass solche Leute wie Breivik in unseren Breiten ausnahmen sind und die meisten hiersigen Amokläufe Resultate aus Vernachlässigung, Mobbing und einer instabilen Psyche sind, oder? Ich will keinen Amokläufer verteidigen, aber wenn ich an meine Schulzeit denke und besonders die Zeit, in der ich selbst gemobbt wurde, kann ich nicht umher zu denken, dass für mich ein paar meiner damaligen Klassenkameraden und zwei Lehrer den Tod verdient hätten. Ich bin selbst psychisch stabil genug, um die Leute nicht mit einer Pistole abzuknallen - aber andere sind es nicht. Und ich kann mir durchaus vorstellen, wie bestimmte Sachen irgendwie bei jemanden letzten Endes einen Knopf im Kopf umlegen können und jemand nur rot sieht.
Zwei Dinge möchte ich ansonsten noch speziell ansprechen:
Zum einen die Annahme der Befürworter hier, dass Opfer praktisch immer froh darüber sind, wenn ihr Vergewaltiger oder der Mörder eines Verwandten hingerichtet wird. Das stimmt einfach nicht. Mir fallen PARTOUT einige Verhandlungen ein, in denen sich Opfer oder Angehörige der Opfer gegen die Todesstrafe für den Täter ausgesprochen haben. Zum einen taten dies einige, weil sie davon ausginge, dass das Gefängnis die wesentlich bösere Strafe ist, zum anderen aber eben auch, weil sie eingesehen haben, dass die "Auge um Auge, Zahn um Zahn" Mentalität niemanden etwas bringt. Manche begründeten es sogar damit, dass sie selbst glauben, dass der Täter sich gebessert hat/sich bessern kann.
Mir fallen sogar zwei Fälle ein, wo Vergewaltigungsopfer sich für die frühere Freilassung des Täters aussprachen, eben weil sie glauben, dass er sich gebessert hat.
Und bezüglich der Aussagen à la "Menschen, die das und das tun, kennen keine Reue" möchte ich einfach einmal anmerken: Wusstet ihr, dass es "Kinderschänder" gibt, die so angewidert von ihrer Tat sind, dass sie sich nicht nur freiwillig Kastrieren lassen, sondern sich auch hormone Spritzen lassen, die jedwede Form von sexueller Begierde unterdrücken?
Zweitens gab es hier die Aussage: "Besser ein unschuldiger wird hingerichtet, als dass ein Monster Mörder aus dem Gefängnis/der Psychatrie entkommt und weitere umbringt". Während ich Lebe habe ich DIVERSE fälle mitbekommen innerhalb Deutschlands, bei denen Leute fälschlicher Weise für Mord oder Vergewaltigung inhaftiert wurden, was sich erst später aufklärte. Aber mir fällt nur ein Fall in Deutschland ein, bei dem ein Mörder entkam und weitere Menschen umbrachte (das war der Fall von Dieter Zurwehme). Wenn wir also den Wunsch auf eine Todesstrafe mit dem Wunsch nach einer Schnell ausgeführten Todesstrafe (um Geld zu sparen) verbinden, wären viel mehr Unschuldige gestorben, wenn diese Wünsche erfüllt worden wären, als so, wo es keine Todesstrafe in Deutschland gibt. Zudem komm ich nicht umher mir zu denken: Es so zu sagen ist schön und gut. Aber würdet ihr dies immer noch fordern, wenn ihr selbst derjenige wärt, der Unschuldig zu Tode verurteilt ist? Oder ein Freund/Verwandter von euch?
Ach ja, und eine letzte Sache noch: Bevor ihr sagt "Wenn ein Freund/ein Verwandter ein schweres Verbrechen begeht, würde ich nicht mehr zu ihm stehen/nicht mehr um ihn trauern": Kommt doch bitte erst einmal in diese Situation, in der jemand vertrautes als Verbrecher angeklagt wird.
Übrigens: Ich bin sicher kein Gutmensch. Ich bin mir recht sicher, das ich selbstjustiz in bestimmten Fällen durchführen würde und kann nicht behaupten (wie schon oben gesagt), dass es in meinem Leben keine Situationen gab, in denen ich nicht auch darüber nachgedacht hätte, jemanden aus Gründen der Selbstjustiz zu töten oder schwer zu verletzten. Und trotzdem: Ich finde es gut, dass Selbstjustiz, wie auch die Todesstrafe illegal ist. Denn alles andere würde den Grundstein für etwas legen, dass zur Zerstörung unserer Gesellschaft führen kann, und würde auf die Grundfesten unserer Gesellschaft spucken.