Deswegen bezieht sich meine Kritik ja auch hauptsächlich darauf, dass meiner Ansicht nach zu wenig getan wird, um uns dieses Wissen zu gewinnen. Die Kernfrage ist halt, wann die negativen Auswirkungen einer jeden Maßnahme die positiven übersteigen und ob bis dahin realistischerweise ein Impfstoff oder eine Therapie gefunden werden kann. Ich persönlich kann so etwas kaum berechnen, aber ich halte es durchaus für realistisch, dass die negativen, mittelbaren Folgen der Krise schon in einem Jahr größer sind als die direkt verursachten Tode. Und dann ist ein Impfstoff schlicht kein realistisches Ziel, sondern wir müssen darüber nachdenken, wie wir Herdenimmunität mit möglichst geringen Verlusten erreichen. So unschön das auch ist.
Ich glaube, dass aktuell sehr wohl sehr viel getan wird in vielen Ländern, aber für vieles ist es einfach noch zu früh - gerade wenn es um die Beurteilung der Frage geht, wie lange eine Immunität hält und ob überhaupt jeder genesene Patient immun ist. Wenn man z.B. nur 6 Monate immun ist und man verfolgt das Ziel der Herdenimmunität, wären die ersten geheilten Patienten nächsten Winter schon wieder erneut erkrankt. Aber die Frage kann man jetzt noch nicht beantworten, wenn es das Virus erst 4 Monate gibt. Deswegen kann man momentan auch schlecht abwägen, welche Schäden größer wären, denke ich.
Und das liegt halt daran, dass die Definition für "Risikopatient" ausgesprochen schwammig und weit ist. Leute mit Diabetes werden zu den Risikopatienten gezählt, weil Leute mit Diabetes im Schnitt deutlich öfter versterben als Leute ohne Vorerkrankungen. Darüber, ob zum Beispiel Leute zwischen 20-29, die Diabetiker sind, auch ein signifikant erhöhtes Risiko haben, gibt es meines Wissens schlicht noch keine gesicherten Erkenntnisse, die Einstufung als "Risikogruppe" ist also eher eine Vorsichtsmaßnahme. Ein Blick auf die Todesrate in dieser Altersgruppe - 0,2% im überlasteten Wuhan, ohne Berücksichtigung einer Dunkelziffer, legt zumindest nahe, dass auch die nicht sonderlich gefährdet sind.
Und wenn wir uns dann mal einig sind, wer so alles tatsächlich durch Corona stark gefährdet ist, ist halt immer noch fraglich, ob man diese Leute nicht einfach besser schützen und andere ihr Leben leben lassen kann.
Das stimmt, dazu braucht es auch noch mehr Untersuchungen. Aber auch das ist so etwas, was man eher erst später feststellen wird, denn wie viele Diabetiker in den 20ern hatten schon Covid-19? Ich glaube nicht, dass viele Patienten, die aktuell zu den Risikopatienten gezählt werden, darauf Lust haben, dass man das Virus einfach mal "frei" lässt und es darauf ankommen lässt, wenn ihre Lebenserwartung durchaus hoch ist.
Das habe ich deswegen doch auch nirgends gesagt?
Sorry, der Absatz bezog sich auch nicht auf dich, sondern war allgemein.
Und auch dafür gibt es halt keine wirklichen Anhaltspunkte. Selbst in Bergamo, wo das Gesundheitssystem zusammengekracht ist und Menschen mangels Behandlung gestorben sind, gab es für Leute außerhalb des Rentenalters immer genug Beatmungsplätze, für welche ohne Vorerkrankungen erst recht. Ob es jemals zu einem Engpass auch für, sagen wir, Leute unter 65 gekommen wäre, ist nicht ersichtlich.
Aber auch das ist schon krass, oder? Jemanden mit 65 Jahren nicht mehr beatmen zu können, weil einfach gerade eine jüngere Person eingetroffen ist. Das müssen ja nicht mal vorerkrankte Personen sein, sondern sie haben einfach nur einen schweren Verlauf, wie es auch bei jüngeren Menschen vorkommt.
Aber abgesehen davon geht es auch um die ganzen anderen medizinischen Notfälle wie Unfälle, Herzinfarkt, Schlaganfall, etc... Man muss auch diese Fälle jederzeit noch behandeln können. Und dann ist man eben doch plötzlich auch als jüngere Person betroffen, wenn alle Krankenhäuser überlastet sind.