Part 4: Schwalboss' Höhenflug
Stan schien durch seinen Sieg wie ausgewechselt zu sein. Nahezu nichts erinnerte mehr an den schüchternen und nervösen Jungen, der noch heute Morgen rege an der Verwüstung des Speisesaals beteiligt war. Auch Feurigel war nicht mehr das Pokémon, wie ich es kannte. Eine Kampfmaschine. Gefährlich und völlig unberechenbar. Nicht mehr der kleine, müde und stets hungrige Zeitgenosse, wie ich ihn noch in Erinnerung hatte.
Das Publikum stand jubelnd und grölend auf den Beinen und schien Stan bereits als Sieger des Wettbewerbs zu feiern.
„Meine Damen und Herren. Der Sieger des zweiten Wettbewerbs: Stan Leonheart aus Azalea City mit seinem Pokémon, Feurigel“, tönten die Worte durch die Jubelrufe, die von der Tribüne kamen, hindurch. „Ich darf aber auch noch einmal um einen kräftigen Applaus für seinen tapferen und unerschrockenen Gegner bitten: Colin Knox aus Laubwechselfeld, verehrtes Publikum.“
Er deutete zu Colin, zu seiner Rechten.
Colin sandte, sichtlich deprimiert und unter dem höfflichen, wenn auch nicht ganz so kräftigen Beifall wie bei Stan, seinen bewusstlosen Kampfgefährten wieder zurück in seinen Pokéball und verließ mit leicht glasigen Augen den Kampfring.
Und ich...? Was in mir vorging? Ich weiß nicht, ob einfache Worte das beschreiben können, was mir in jenem Moment durch den Kopf ging. Missverstanden und verwirrt. Hass und Eifersucht loderten in mir und drohten mich innerlich bei lebendigen Leibe aufzufressen.
Das waren wohl die Worte, die meinen Gefühlszustand am einfachsten beschrieben. Warum hatte Stan Feurigel und nicht mich in den Kampf geschickt? Wieso ihn und nicht mich? Was hatte er, was ich nicht hatte?
Ich blickte melancholisch an den langen Beinen, dem schmalen Oberkörper, bis hin zu den glücklichen und erleichterten Gesichtszügen des Gesichts meines Trainers hinauf, als wir den Kampfring verließen. Es musste etwas geben. Etwas, warum seine Wahl Feurigel und nicht mich traf. Nur was?
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Wie konnte ich nur so blind sein? Es lag doch auf der Hand: Er wollte sich meine Stärke für die späteren Kämpfe aufheben. Seine Trumpfkarte, spielt man natürlich erst am Ende aus.
Von dieser Erkenntnis bestärkt, schwamm ich förmlich auf einer Woge des puren Glücks gebettet. Stan, das hieß, wir hatten gewonnen und uns unseren Weg eindrucksvoll in die nächste Runde gesichert. Auch ich konnte nun nicht anders und grinste breit in die Runde, während wir zielsicher auf die Bank mit den übrig gebliebenen Teilnehmern zusteuerten.
Stan ließ sich wieder neben Phil O’Brien, unseren Gegner im Halbfinale, nieder. Ich nahm zu Stans linken Platz und ließ es mir nicht nehmen, mich als Sieger dieses Kampfes, ordentlich breit zu machen. Genüsslich reckte ich mich in die Länge und gähnte ausgiebig. Noch ein kleines Schläfchen vor dem großen Kampf. Ich wollte schließlich in Topform sein.
„Gute Arbeit!“, lobte Phil Stan und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Ich sagte doch, es geht ganz wie von alleine, wenn man erst einmal draußen ist.“
„Äh... Ja...“
Huch? Was war das? Hatte ich mich etwa gerade verhört? Nein, das musste ein Scherz sein.
Trotz meiner schweren Augenlider konnte ich nicht anders und zwang mich dazu, einen kurzen Blick auf Stan zu riskieren. Mich davon zu überzeugen, dass mir nur meine Müdigkeit eben einen Streich gespielt hatte.
Langsam wanderten meine müden Augen an Stans Körper hinauf. Gleich hatten sie sein Gesicht erreicht. Da war es...
Rums! Meine Stirn knallte demonstrativ auf die harte Bank herab. Heftiger Schmerz durchflutete schlagartig meinen Kopf, doch es war mir in diesem Moment völlig gleichgültig.
Stan, noch vor wenigen Minuten auf Mülltonne Sieben schwebend, hatte es binnen weniger Sekunden geschafft, sämtliches, seines neu gewonnenen Selbstvertrauen zu verlieren und war wieder auf ein kümmerliches Häufchen, dass verunsichert die Krümel auf dem Boden zählte, zusammengeschrumpelt.
Nein, fragt mich bitte nicht. Hört mich auf zu quälen. Ich weiß auch nicht, wieso, weshalb oder warum...
„Hoch verehrtes Publikum“, riss mich die vertraute Stimme des Kampfkommentators aus meinen Frustgedanken. „Kommen wir nun zu unserem dritten Kampf, der ersten Runde. Ich freue mich, Ihnen diese beiden jungen Trainer vorzustellen: Eric Anderson aus Ebenholz City...“
Eric Anderson, am anderen Ende der Bank, erhob sich. Er wirkte noch wesentlich angespannter, als zu dem Zeitpunkt, an dem er seinen Namen aus der Box ziehen musste. Er steuerte, unter dem Beifall und Jubelrufen von der Tribüne, den rechten Platz des Kampfrings an.
„...und seine Gegnerin: Cecilia Murdock aus Teak City.“
Ein farbiges Mädchen, mit einem schwarzen, hüftlangen Zopf, erhob sich zwei Plätze von Stan entfernt von der Bank und nahm, unter nicht weniger Applaus, den Platz gegenüber von Eric ein.
„Trainer: Ring frei!“
Abermals spürte ich, wie sich mein Interesse an den Geschehnissen um mich herum verflüchtigte. Eine Welle der Müdigkeit überkam mich und riss mich binnen weniger Augenblicke in den Schlaf. Nur flüchtig konnte ich Sätze wie „Autsch, das muss weh getan haben...“, oder „Die Kämpfer schenken sich wirklich nichts...“ und das stellenweise Aufstöhnen des Publikums während kurzen Wachphasen aufschnappen. Es interessierte mich reichlich wenig, wer gewann. Wenn überhaupt konnte nur Ray und Voltenso mit uns Schritt halten. Alle andere waren eh nur kleine Fische.
„...freue ich mich, Ihnen die Gewinnerin des dritten Kampfes der ersten Runde bekannt zu geben: Cecilia Murdock mit ihrem Waaty und Smettbo aus Azalea City. Applaus!“
„Hurra...“, murrte ich tonlos und drehte mich gelangweilt auf die andere Seite.
Als ob sich überhaupt irgendjemand dafür interessierte, wer in den Vorrunden triumphierte. Einzig und allein das Finale zählte...
„Kommen wir nun zu unserem vierten und letzten Kampf der ersten Runde: Zhana Mic aus Moosbach City...“
Ein Mädchen mit langem, strohblondem Haar und saphirfarbenen blauen Augen erhob sich von der Teilnehmerbank. Von allen Teilnehmern schien sie die Älteste zu sein. Sie warf einen kurzen Blick in Richtung der Teilnehmerbank zurück. Genau genommen: in Rays Richtung. In ihrem rasiermesserscharfen Blick lag etwas bedrohliches, schon fast furchterregendes. Als ob sie sich jeden Moment wie ein Raubvogel auf ihre wehrlose Beute stürzen würde. Oder versuchte sie vielleicht einfach nur, ihre Furcht durch ihre bitterböse Grimasse zu verbergen? Wusste sie vielleicht schon, was in wenigen Augenblicke auf sie zukam? Falls dem so war, wusste sie wirklich, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Zhana nahm ihren Platz, unter den Pfiffen und Jubelrufen des Publikums, auf dem linken, äußeren Kampfring ein.
„... und unseren achten und letzten Teilnehmer: Ray Valentine aus Malvenfroh City!“, rief die Stimme des Ringrichters in die Menge.
Auch Ray erhob sich von der Teilnehmerbank. Lässig schlenderte er zielsicher auf die gegenüberliegende Seite des Kampfrings zu. Es blieb mir nicht verborgen, dass von allen Teilnehmern, Ray den meisten Beifall bekam. Seinen gestrigen, triumphalen Kampf auf dem Achterdeck, musste bei vielen Zuschauern einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Er war wohl so etwas, was man einen Topfavoriten nennen musste.
Ray lächelte seiner Kontrahentin charmant entgegen. Zhana war scheinbar jedoch nicht für Späße auferlegt und verzog keine Miene und starrte ihrem Gegenüber weiterhin völlig unbeeindruckt, mit ihrem vernichtenden Blick, an.
Nennt es Instinkt, ich wusste einfach, dass mit Zhana nicht gut Kirschen essen war. Sie machte den Eindruck, als wollte sie dieses Turnier um jeden Preis gewinnen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Obwohl ich sie und ihre Pokémon noch nicht kämpfen gesehen hatte, wusste ich, dass sie es zumindest ansatzweise mit Ray und Voltenso aufnehmen konnte.
„Trainer: Ring frei!“
„Schwalboss, los!“, rief Zhana im selben Moment und schleuderte ihren Pokéball in den Kampfring. Im Gegensatz zu ihrem hübschen, blonden Haar, war ihre Stimme eher rau und dunkel; nicht weniger unheilbringend wie ihr Blick.
In der Luft auf ihrer Seite des Ringes, materialisierte sich ein Raubvogelähnliches Pokémon mit gigantischer Flügelspannweite. Selbst aus dieser großen Distanz, konnte ich die starken Luftschwingen spüren, die von Schwalboss’ kräftigen Schwingen ausgingen.
Wenn man von der bläulichen Farbe seines Gefieders absah, waren Zhana und ihr Pokémon wie aus dem selben Stoff genäht: Stechend scharfe Augen, ein absolut unbarmherziger Blick und Krallen, die scheinbar selbst den härtesten Stein zum zerbersten bringen würden.
Zum ersten Mal war Rays Gelassenheit wie aus seinem Gesicht gefegt. Ihm war wohl inzwischen auch klar, wie gefährlich seine Gegnerin war. Der Kampf versprach spannend zu werden.
„Stollrak, du bist dran!“, rief Ray, tat es seiner Gegnerin gleich und warf einen Pokéball in den Kampring. Auf seiner Spielfeldseite erschien eine Art... Nun, ich würde es schlichtweg als “gepanzerte Riesenechse“ bezeichnen. Stollraks Rückenpanzer war mit metallisch, silberfarbenen und scheinbar äußerst scharfkantigen Schuppen bestückt. Eine offenbar unzerstörbare, silberfarbene Schädelplatte zierte seinen Kopf und machte ihn frontal schier unangreifbar. Sein restlicher Körperaufbau hingegen schien aus blankem Granit gemeißelt zu sein. Ein wandelndes Bollwerk. Uneinnehmbar und gefährlich.
Ich wusste nicht warum, aber meine Interesse für den Ausgang dieses Kampfes hatte sich mit dem Eintreffen von Stollrak noch einmal verdoppelt. Niemals zuvor hegte ich solche Interesse an einem Kampf anderer. Damals, zu meiner Zeit als unangefochtener Revierherrscher des westlichen Nationalparks, hatte ich selbst die erbittersten Auseinandersetzungen von anderen Bewohnern meiner Heimat einfach nur links liegen lassen. Doch dies hier, war kein normaler Kampf. Man konnte die Spannung förmlich fühlen, die hier, im Raum 002 in der Luft lag. Dem scheinbar niemals schweigsamen Ringrichter fehlten wohl zum ersten Mal in seinem Leben die Worte und selbst das grölende und jubelnde Publikums, war völlig verstummt.
Nun gab es nur noch die Teilnehmer im Ring. Die grenzenlose Freiheit des Himmels traf auf die unbändige Gewalt einer wandelnden Festung.
„Schwalboss, zeig es ihm!“, rief Zhana und reckte ihren Arm in die Höhe. „Angriff aus der Luft!“
Schwalboss’ mächtige Schwingen schlugen kräftig auf und ab, erfüllten den ganzen Raum mit einer sanften, kühlen Brise und trugen ihn stetig und anmutig in die Höhe. Im Kampfring schien alles, was nicht niet- und nagelfest irgendwo befestigt war, augenblicklich von den Böen der kräftigen Flügelschläge fortgerissen zu werden. Tatsächlich musste sich Ray seine rücklings aufgezogene Schirmkappe gegen seinen Kopf pressen, damit diese nicht sofort von dem böigen Wind fortgeweht wurde. Stollrak stand dagegen völlig unbeeindruckt an seinem Platz. Sein mäßiger Körper schien gegen die heftigen Windstöße völlig immun zu sein.
Schwalboss stieg derweil immer höher. Schon fast erreichte er die Decke des kuppelförmigen Raums, als er schließlich seinen Aufstieg beendete. Man glaubte schon fast, er würde förmlich in der Luft schweben, als er plötzlich, mit wahnwitziger Geschwindigkeit, zum Sturzflug ansetzte. Mit weit ausgestreckten Krallen, seine scharfen Augen fest auf Stollrak gerichtet, näherte er sich seiner unbeweglichen, und scheinbar wehrlosen Beute, am Boden.
„Los schnell! Eisenabwehr“, brüllte Ray seinem Pokémon zu. Etwas angsterfülltes, was im Grunde überhaupt nicht zu seiner lockeren und lässigen Art passte, lag in seiner Stimme.
Noch bevor Schwalboss seine Krallen in den dicken Panzer seines Gegners schlagen konnte, blitzte Stollraks gesamter Körper in einem gleißenden Licht auf. Was auch immer er soeben getan hatte: Schwalboss’ unheilbringende, rasiermesserscharfen Krallen prallten wie Papierkügelchen an dem schuppigen Körper Stollraks ab. Etwas benommen schwankte der, noch vor wenigen Sekunden so anmutig fliegende Vogel, in der Luft.
„Jetzt Stollrak! Kopfnuss!“, rief Ray.
„Wieder in die Luft!“, ertönte Zhanas barsch klingende Stimme von der anderen Spielfeldseite aus.
Das Publikum stöhnte auf.
Der silbrigfarbene Schein hatte den Körper der Panzerechse verlassen. Er wandte sich der, über sich fliegenden, benommen wirkenden Gestalt seines Gegners zu. Stollraks kräftige Beine stießen sich von der Kampffläche ab und trugen seinen schweren, gepanzerten Körper in die Luft; genau in Schwalboss’ Richtung. Doch noch ehe sein schildförmiger Kopf sein Ziel erreichte, hatte sein gefiederter Gegner wieder, für ihn unerreichbare Höhen, erreicht. Der Boden erzitterte, als Stollrak wieder sicher auf dem Boden landete.
Schwalboss’ Schwingen trugen ihn derweil immer weiter in die Höhen, bis er schließlich einen knappen Meter unter der Decke seine kreisförmigen Bahnen zog. Selbst aus dieser großen Distanz konnte ich deutlich erkennen, dass seine beiden Augen wieder die sich unter ihm befindende Gestalt seines Gegners fixiert hatten.
„Los Schwalboss! Setz Stahlflügel ein!“, brüllte Zhana ihrem Pokémon in die Höhe.
„Wieder Eisenabwehr und anschließend Kopfnuss“, befahl Ray.
Ob nun Schwalboss’ Flügel, oder Stollraks Körper heller leuchtete, konnte ich nur mutmaßen. Jedoch schien Stollrak abermals den Angriff seines Gegners erfolgreich abgewehrt zu haben. Die scheinbar plötzlich bleischweren Flügel, hinterließen auf dem schuppigen Panzer seines Gegners nicht einmal einen Kratzer.
Ein weiteres Mal konnte sich Schwalboss in die rettenden Lüfte erheben und dem Schädel der wütenden Bestie entgehen. Langsam stieg er in die, für Stollrak unerreichbaren Höhen, hinauf.
Schwalboss war stark, ohne Zweifel, doch er war scheinbar kein Gegner für das unüberwindbare Schuppenkleid von Stollrak. Aber was diesen an Defensive ausmachte, wurde durch seine Trägheit zum größten Manko. Offenbar konnte niemand diesen Kampf gewinnen. Zumindest, bis bei einem der beiden Kämpfenden die Luft ausging. Ray sah das offensichtlich genauso.
„Keine Angst Stollrak. Schwalboss ist zwar schnell, aber er kann dir trotzdem nicht das Wasser reichen.“
„Oh, glaubst du?“, ertönte Zhanas raue Stimme von der gegenüberliegenden Seite. „Halt besser deine schicke Mütze fest, Kleiner.“
Etwas lag an Zhanas Stimme, dass mir überhaupt nicht gefiel. Sie schien für ihre Verhältnisse merkwürdig optimistisch zu sein. Ja, fast schon siegessicher. Sie grinste Ray höhnisch entgegen und zeigte ihm dabei ihre makellosen, weißen Zähne.
Ray blickte auf. Man merkte ihm deutlich an, dass er sich seiner Sache plötzlich nicht mehr sicher war.
„Schwalboss, beende den Kampf. Runter und Wirbelwind!“
Auf Zhanas Geheiß, setzte Schwalboss schlagartig ein weiteres Mal zum Sturzflug an.
„Stollrak, wieder Eisenabwehr!“, rief Ray. Ihm stand der Angstschweiß auf der Stirn.
„Das rettet dich auch nicht! Los Schwalboss! Feg ihn vom Kampfplatz!“
Schwallboss bremste schlagartig in der Luft, einige Meter von dem harten Boden, ab und begann so heftig mit seinen kräftigen Schwingen zu schlagen, dass sich um Stollrak ein kleiner, rotierender Wirbelsturm bildete, der die hilflose Panzerechse sofort völlig gefangen nahm. Stollraks Beine begannen sich plötzlich langsam vom Boden zu lösen, während Schwalboss, mit wilden Flügelschlägen, den Orkan weiterhin mit Stärke speiste. Ray hatte sich inzwischen bäuchlings auf den Boden geworfen und musste sich tatsächlich, wie es Zhana ihm prophezeit hatte, sein Cappi festhalten. Verzweifelt blicke er zu seinem Partner in den Kampfring hinüber, der inzwischen hilflos zappelnd im Wirbelsturm kreiste.
„Raus mit ihm!“, befahl Zhana.
Mit einem letzten, kräftigen Flügelschlag verflüchtigte sich der Tornado in alle Winde. Stollrak, der zu diesem Moment noch immer in den Fängen des Sturms gefangen war, wurde durch die letzte Böe aus dem Ring, über Rays Körper hinweg, gegen die hinter ihm gelegene Wand geschleudert.
Der ganze Raum erzitterte, als Stollraks kräftiger Torso gegen die steinerne Blockkade prallte und auf den Boden klatschte. Der Putz bröselte von der Wand auf die regungslose Gestalt Stollraks hinab und bedeckte ihn seinen schuppigen Panzer mit einer feinen, weißen Schicht.
„Stollrak hat den Ring verlassen und kann nicht mehr weiterkämpfen. Damit geht die erste Runde an Zhana Mic aus Moosbach City und ihrem Schwalboss“, ertönte die Stimme des, über den ganzen Kampf hinweg, schweigsamen Ringrichters.
Das Publikum tobte vor Begeisterung.
Mir stockte der Atem. Mein Herz raste förmlich vor Aufregung. Ray saß in der Klemme. Zwar hatte ich damit gerechnet, dass ihm Zhana einen äußerst schweren Kampf liefern würde, aber das sie ihn so in die Schranken weißen würde, damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet.
Mit fassungsloser Miene rief Ray die bewusstlose Gestalt Stollraks zurück in seinen Pokéball. Er warf seiner hämisch grinsenden Gegnerin einen panischen Blick zu. Sie zuckte nur lässig mit den Schultern, als wollte sie „Schau nicht so. Ich hab es dir doch gesagt, Jungchen,“, sagen.
Ray hatte sich derweil wieder auf seinem Platz aufgebaut. In seiner Handfläche lag inzwischen ein weiterer, kreisrunder Pokéball, auf dessen blanke Oberfläche sein Blick ruhte. Schwalboss stand inzwischen mit seinen kräftig schlagenden Schwingen, zirka einen guten Meter vom Boden entfernt nahezu schwebend in der Luft.
„Mit Spannung erwarten wir nun, welches seiner verbliebenen Pokémon unser junger Trainer aus Malvenfroh City gegen Zhanas mächtiges Schwalboss einsetzen wird“, schallte die Stimme des Ringrichters durch den Raum. „Ich glaube... Ja, Ray scheint seine Wahl bereits getroffen zu haben.“
Ich war mir absolut sicher: Es gab nur ein Pokémon, welches es mit Schwalboss aufnehmen konnte. Ja, zweifelsohne. Nun musste Ray seine Trumpfkarte ausspielen.
„Voltenso, befrei den Himmel von dieser Schmeißfliege! Los!“, brüllte er und schleuderte den Pokéball, den er die ganze Zeit über in seiner rechten Hand gehalten hatte, in den Kampfring.
Natürlich war es für mich absolut keine Überraschung, als sich tatsächlich Voltensos Gestalt auf Rays Seite des Rings materialisierte. Sein struppiges, blaugelbes Fell knisterte vor energiegeladener Elektrizität. Seine scharlachroten Augen trafen die Gestalt Schwalboss’. Er fletschte angriffslustig die Zähne.
„Voltenso hat den Ring betreten. Ring frei!“
„Du hast keine Chance, du mickriger Wurm“, feixte Schwalboss seinem neuen Gegner entgegen. In dem Klang seiner Stimme lag der gleiche siegessichere Unterton, wie in der seiner Trainerin.
Voltenso grinste gehässig.
„Schwalboss, wieder ab in die Lüfte und Sturzflug“, befahl Zhana ihrem Pokémon.
„Feg dieses Vögelchen vom Himmel, Voltenso!“, rief Ray und deutete auf die langsam steigende Gestalt des blauen Vogelpokémons.
Wie um alles in der Welt, wusste ich nicht. Voltenso hatte es irgendwie geschafft, in dem Bruchteil einer Sekunde, Schwallboss mit einem blitzartigen Sprung buchwörtlich auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Seine Zähne schlugen sich im freien Flug in den muskulösen, federbespickten Hals seines Gegners und riss die Gestalt Schwalboss’ ruckartig auf den harten Boden hinunter.
Zhana stieß einen spitzen Schrei aus, doch es war zu spät. Voltenso hielt seine wehrlos zappelnde Beute fest zwischen seinem kräftigen Kiefer gefangen.
„Funkensprung, los!“, brüllte Ray.
Zhanas Pokémon wurde sofort in einen knisternden, energiegeladenen Schein gefangen genommen. Schwalboss versuchte flügelschlagend dem Elektroangriff seines Gegners irgendwie zu entkommen, doch nach wenigen Sekunden war der Spuk vorbei. Seiner Flügel fielen kraftlos auf den Boden hinab.
„Schwalboss kann nicht mehr weiterkämpfen. Ray Valentine und Voltenso gewinnen diese Runde!“, rief der ungläubig klingende Schiedsrichter in sein Mikrophon. Auch das Publikum schien völlig fassungslos über diesen Sieg zu sein. Man konnte förmlich jede Feder im Raum hören hören, die langsam in Richtung der Erde segelte.
Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Voltenso hatte den Kampf in weniger als zwanzig Sekunden für sich entschieden und Schwalboss war alles andere als ein leichter Gegner gewesen. Voltenso war noch gefährlicher, als ich es mir vorgestellt hatte.
Voltensos Blick wanderte langsam durch den Raum, bis er schließlich mir direkt in die Augen sah. Er kräuselte seine Lippen zu einem gehässigen Lachen.