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    Hallo^^


    Also, ich rede meistens mit allen Leuten, nicht nur in den Städten, überall. Manchmal
    erfährt man dann nämlich schon etwas, das man ansonsten nicht erfahren hätte, oder
    man bekommt Items. I <3 Items xD Es ist immer praktisch, es lohnt sich immer, mit
    Leuten zu sprechen...


    gvlg, LuciagirlYxD

    Kapitel 10 – Besuch
    (KPV)


    Es ist Samstagabend und ich sitze momentan bei Rhythmia auf dem Bett, gegen einen der Pfosten gelehnt, die mein Bett oben halten. Mein Herz hat sich noch immer nicht beruhigt, es rast in meinem Brustkorb als wäre ich gerade eben einen Marathon gerannt. Dass ich gerade vom Erdgeschoss bis in den zweiten Stock gerannt bin, ist trotzdem nicht der einzige Grund hierfür. Inge hat mir gerade eben Lucys neuen Brief überreicht.
    Beim Schuleingang, mit Bodo an meiner Seite. Wie immer wollte er sofort wissen, was mir meine kleine Schwester mitteilen will. Allerdings würde ich es nie wagen, einen frisch angekommenen Brief direkt neben ihm zu öffnen, weil ich Angst davor hätte, dass ich anstelle des Zettels, den er auch lesen darf, den anderen mit dem Geheimnis als erstes herausziehe. Überhaupt, selbst, wenn es der richtige wäre, das zweite Blatt Papier würde immer noch auffallen. Deshalb stand ich vorhin besonders unter Strom.
    Zuerst konnte ich nicht mehr als die Briefmarke anzustarren, auf der man die Karte von Almia in Kleinformat sehen konnte. Die Form brannte sich in mein Gehirn, bis Bodos Stimme mich erreichte. Er sah mich verwundert an. Und ich wusste wegen dem Augenkontakt nur noch weniger, was ich sagen sollte. Glücklicherweise fiel mir eine vielfältige Ausrede ein, die ich früher bereits öfter benutzt habe.
    „Sorry, aber mir ist grad etwas eingefallen. Wir treffen uns in zehn Minuten im Gemeinschaftsraum!“, habe ich gestammelt und bin vom Haupteingang weg und die Treppen hochgerannt als würde mich ein Schwarm Bibor verfolgen. Erst, als ich im Mädchenschlafsaal angekommen bin, habe ich mir erlaubt, zu gehen. Bei Rhythmia und meinem Hochbett habe ich inne gehalten. Blondi hat mich genauso verwirrt angestarrt wie Bodo kurz zuvor, aber ihr Blick wurde wissend, als er auf den Blick fiel.
    Und jetzt steht sie neben mir, darauf wartend, dass ich den Zettel herausziehe. Es wäre tatsächlich der erste gewesen. Gut, dass ich mich dafür entschieden habe, die Flucht zu ergreifen, ansonsten wäre das in die Hose gegangen. Die abgedruckten roten Herzchen, die an einer hübschen Schnörkellinie am rechten Rand hingen, verkündeten ohne Umschweife das Thema.


    Hallo Schwesterherz,


    wahrscheinlich hast du fast alle Abschlussprüfungen hinter dir, wenn dieser Brief ankommt, aber ich wünsche dir trotzdem immer noch viel Glück für die letzte Abschlussprüfung. Ich schreibe dir das doppelt, hier und in dem anderen Brief, aber dann hast du eben doppelt so viel Glück.
    Als erstes würde ich noch gerne den Kuss durchkauen. Nachdem ich genauer über Bodos Worte ‚Er fühlt sich wie Strolchi‘ nachgedacht habe, denke ich nun, dass es ihn tatsächlich nervös gemacht hat. Es muss ihn genauso verlegen gemacht haben wie dich. Und das ist doch ganz normal, weil der Kuss doch für euch beide total überraschend kam. Oder hat Bodo auf dich den Eindruck gemacht, als hätte er das geplant? Vielleicht geht es ihm inzwischen genauso wie dir, vielleicht ging es ihm schon länger so…
    … Vielleicht war es, bei ihm wie bei dir, der erste Kuss? Haha, ich wette, du bist gerade total rot im Gesicht geworden! Gib’s zu, du bist rot! Ach, wie gerne wäre ich jetzt bei dir. Ich würde so gerne ein paar Verkupplungspläne mit Rhythmia aushecken, dich dazu bringen, dass dein Kopf aussieht, als wäre er eine überreife Tomate und Andeutungen in der Nähe von Bodo machen.
    Ach, übrigens, Tante Ruth und Onkel Herbert wissen noch gar nichts davon. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob sie
    überhaupt noch etwas wissen, was ich ihnen genaueres über die Ranger Schule erzählt habe. Wer weiß, wie sie darauf reagieren würden, wenn sie wüssten, dass du dich verliebt hättest.
    Irgendwann werden sie es erfahren, so viel ist sicher. Und kennenlernen. Ihr müsst kommen, wenn eure Abschlussprüfungen vorbei sind, versprich mir das!


    Noch viel Glück in einfach allem wünscht dir deine kleine Schwester Lucy.“


    Sie hatte Recht. Sie wusste es schon, als sie den Brief geschrieben hat. Mein Gesicht ist knallrot angelaufen, als sie mich daran erinnert hat. „Moment, das war dein erster Ku-“, gerade noch rechtzeitig schaffe ich es, mir ein Kissen zu schnappen und damit gegen Rhythmias Kopf zu schlagen, damit sie es nicht laut ausspricht. „Wir sind nicht alleine hier“; erinnere ich sie zischend. Ein paar Mädchen in der Nähe, darunter Celia und Theresa, drehen bereits neugierig ihre Köpfe in unsere Richtung. Man erregt zu schnell Aufmerksamkeit.
    „Ja, das war er“, füge ich seufzend hinzu. Blondi fängt an, zu kichern, versucht aber, es zu unterdrücken. Während ich den Zettel zusammenfalte und in meine Hosentasche stecke, ignoriere ich sie. Ich schnappe mir den Umschlag, um zu Bodo zu rennen, der inzwischen im Gemeinschaftsraum auf mich warten müsste. Die zehn Minuten, die bei meiner Ausrede vorhin herausgerutscht sind, müssten beinahe vorbei sein. Rhythmia folgt mir sofort.
    Mein bester Freund sitzt auf unserem Klassentisch, neben ihm Primo. Sie bemerken uns auch nur so schnell, weil die Blondine sich nicht zusammenreißen kann. Wie ein aufgeregtes Huhn gackernd hüpft sie hinter mir her. Augenrollend bitte ich sie, damit aufzuhören, bevor ich mich neben meinen besten Freund setze und den zweiten Zettel aus dem Umschlag hole.
    „Na, erledigt, was du erledigen musstest?“, fragt Bodo. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und schmiege mich näher an ihn. „Ja, hab‘ ich“, murmele ich. Obwohl ich den Brief von Lucy mehrere Male durchlese, verstehe ich kaum ein Wort, was sie sagen will. Da ich allerdings nicht komplett verblödet wirken will, stecke ich ihn weg, wobei ich mir vornehme, ihn später erneut zu lesen, wenn ich im Bett liege. Es dauert nicht lange und unser Gesprächsthema hängt bei den Abschlussprüfungen fest. Heute stand Französisch auf dem Programm.
    „Wahrscheinlich habe ich bei der Grammatikaufgabe die Teilungsartikel immer falsch eingesetzt…“, brummt mein bester Freund, den seine Fehler genauso aufregen wie mich. „Frag mich bloß nicht, ich habe die Aufgabe bestimmt verhauen. Für mich war schon immer klar, dass ich Französisch ein hoffnungsloser Fall bin. Mich wundert es auch noch, warum Fräulein Mai mich nicht schon längst aufgegeben hatte“, murre ich und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, bis er an zwei
    Personen hängen bleib.
    Normalerweise bin ich nicht der Typ von Mädchen, der über Beziehungen von Klassenkameraden und anderen Schülern Bescheid weiß. Immer auf dem neuesten Stand zu sein war noch nie meine Stärke, dafür war Rhythmia da, aber momentan brauche ich einfach einen Grund, Blondi von ihrem, inzwischen zu einem Lachflash ausgeartetes Kichern abzubringen. Wenn ich Glück habe, vergisst sie dann den Grund für den Lachflash ebenfalls wieder und erzählt ihn mir später nicht. Garantiert hat er was mit mir zu tun.
    Unauffällig schaue ich erst zu ihr, bis wir Augenkontakt haben. Dann rolle ich langsam zu dem Celia und dem Jungen in der Nähe der Jungenschlafsäle. „Wusstest du davon?“, fragt sie dann, nachdem sie sich neben mir niedergelassen hat. Bodo, der schon nicht amüsiert ausgesehen hat, als sie näher gekommen ist, guckt nun mich an. „Nein“, antworte ich einsilbig. Den fragenden Blick meines besten Freundes kann ich regelrecht spüren.
    „Was ‚nein‘, was wusstest du nicht?“, löchert er nach. Mit Absicht vermeide ich nun, zu Celia und dem Jungen, der
    offensichtlich ihr Freund ist, hinüberzusehen. Hauptsache Bodo bemerkt nicht das Thema und schneidet es dann an. Mit ihm über „Verliebt-sein“ zu sprechen wäre wohl nicht die beste Idee. Rhythmia reagiert, bevor ich auch nur die Chance habe,
    meinen Mund aufzumachen.
    „Mädchenklatsch!“ Kurz bedenkt er mich mit einem undurchschaubaren Blick, dann wendet er sich Primo zu und fängt an, mit ihm eine Konversation zu führen. Das macht es mir möglich, mich weiter mit Rhythmia zu reden. „Und? Warst du darüber
    informiert?“, hake ich leise nach. „Was glaubst du denn? Du kennst mich doch, ich weiß immer über alles und jeden Bescheid! Außerdem gehört doch so etwas zu meinen Spezialgebieten“, erklärt sie. Daran, wie sie den letzten Satz ausgesprochen hat, weiß ich sofort, worauf sie anspielt.
    Zum Glück schafft sie es nicht, noch mehr Andeutungen zu machen. Bodo hat einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr
    geworfen und festgestellt, dass es bereits halb neun ist. Zeit, ins Bett zu gehen. Oder, auf jeden Fall dürfen wir uns nicht mehr weiterhin im Gemeinschaftsraum aufhalten, ohne Gefahr zu laufen, dass ein Lehrer hochkommt und wir dann Ärger bekommen. Genervt setze ich mich wieder gerade hin, da ich mich wieder an Bodo gelehnt hatte. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in unsere Schlafsäle zu gehen.
    Mit einem unzufriedenen „Gute Nacht“, verschwinde ich in den Raum, der insgesamt vier weiterführende Türen hat. Jede von ihnen führt in einen Mädchenschlafsaal, die nach Klassen verteilt sind. Nach einem kurzen Besuch im zum Glück leeren
    Badezimmer setze ich mich zu Rhythmia auf ihr Bett, erneut an den Bettpfosten gelehnt. Die Blondine nimmt bereits den
    größten Teil der Matratze für sich ein.
    Er hat gar nicht genauer wissen wollen, warum du einfach weggerannt bist“, überlegt sie mit einem schelmischen Unterton. „Eigentlich hatte ich bereits eine gute Ausrede, aber die war eindeutig nicht genau genug. Vielleicht hat er sich selbst bereits darüber Gedanken gemacht und ist auf einen eigenen Schluss gekommen“, erwidere ich. „Vielleicht… Auf jeden Fall habe ich beschlossen, euch, wie Lucy, nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. In meinem Kopf haben schon einige, theoretisch gut ausführbare Verkupplungspläne Gestalt angenommen.“
    „Ich hoffe, sie bleiben Theorie und können in der Praxis nicht ausgeführt werden“, brummele ich. Warum müssen Freunde immer auf die Idee kommen, einen mit dem Schwarm verkuppeln zu wollen? Überall, wo ich bis jetzt etwas davon gehört habe, verlief das sehr peinlich. Und ich weiß nicht, wie ich mich aus so einer peinlichen Situation herauswinden soll. „Du solltest
    aufhören, so etwas zu hoffen. Denk doch mal genauer nach“, erinnert mich Blondi, „Mit euch beiden hat es schon einmal
    geklappt. Ohne mich wärt ihr nie beste Freunde geworden.“
    „Wären wir nie beste Freunde geworden, dann wäre es jetzt vielleicht auch einfacher, damit umgehen zu können, dass ich mich in ihn verliebt habe“, grummele ich. Danach steige ich wortlos die Leiter hoch und lege mich in mein Bett. „Das packst du auch so, Cathy“, ruft sie so laut zu mir hoch, dass der ganze Mädchensaal das gehört habenmuss, wenn nicht sogar die
    umliegenden Säle ebenfalls. Ein kleines Flüsterfeuer erwacht im Raum, dank dessen ich eine Weile brauche, um endlich
    einzuschlafen.
    Am nächsten Tag in der Früh stehen mein bester Freund und ich wie gewohnt in der Küche. Auf dem heutigen Plan steht unter anderen ein Obstsalat, für den wir das Obst klein schneiden sollen. Schulter an Schulter, Schneidebrett an Schneidebrett. Wir haben unsere eigene Technik, mit der wir zu zweit viel schneller sind, als wenn wir es alleine machen würden.
    „Mittwoch hängen die Listen aus… Was glaubst du, wohin werden wir versetzt?“, fragt Bodo, die soeben fertig geschälten Apfelviertel zu mir schiebend. Zwei Tage nach unserer letzten Abschlussprüfung im Fach „Pokémon fangen“, die am Montag, also morgen, sein wird, werden die Listen aushängen. Auf diesen wird stehen, wo man als Ranger arbeiten darf. Bei Bodo und mir ist es so gut wie sicher, dass wir zur gleichen Basis kommen, weil wir auf dem gleichen Niveau stehen. Da eine Basis
    ohnehin meistens zwei Ranger auf einmal aufnimmt, stehen unsere Chancen bei 99,9 Prozent.
    Trotzdem ist es wichtig, dass wir, bevor wir das erfahren, die hierfür wichtigste Prüfung ablegen werden. Für jeden Schüler, ob er nun Techniker, Mechaniker oder, wie wir, Ranger werden will, ist diese Prüfung entscheidend, wo er seinen Platz erhält. Rhythmia kämpft noch immer um ihren Platz an der Technikerfortbildung in Fiore, Primo will unbedingt ebenfalls nach Fiore, damit er bei ihr bleiben kann, Bodo und ich versuchen regelrecht, die besten zu sein und die beliebteste Basis zu erwischen. Am liebsten wäre uns hierbei Almia, weil wir beide hier wohnen.
    Da die einige Ranger von jeder Basis die Schüler bei ihren Prüfung beobachten dürfen, um danach ein Wahlliste zusammen zustellen, wen sie am liebsten hätten, kann man sich davor nicht sicher sein, wo man danach als Ranger arbeiten darf.
    „Brisenau wäre immer noch mein Favorit. Damit kann ich Lucy jeden Tag besuchen, wenn ich will“, antworte ich fröhlich. Bei Lucy bin ich mir sicher, dass sie es Urs, den Chef der Brisenauer Station, nicht gutheißen würde, wenn er mich nicht auswählen würde. Er wäre sich einen Besuch von ihr sicher, bei dem er ihr Rede und Antwort stehen müsste. Tante Ruth und Onkel
    Herbert haben garantiert ihre eigenen Ansichten von der Sache.
    Einerseits hätten sie mich gerne nahe bei sich, um mir ihre eigenen Theorien darüber, welcher Beruf am besten für mich wäre, aufzudrücken. Dass ich mich dafür entschieden habe, den Weg eines Rangers einzuschlagen, ist in ihren Augen die falsche Entscheidung. Daher wäre mein andererseits, dass sie mich garantiert nicht dabei beobachten wollen, wie ich als Ranger
    arbeite. Wie gut, dass Mama und Papa vorgesorgt und mich früh genug bei der Ranger Schule angemeldet haben. Wären sie nicht gewesen…
    Dann wäre ich nicht nur nicht am Leben, sondern auch nicht hier neben meinem besten Freund. Auch ihn hätte ich in dem undenkbaren Fall nie kennengelernt. Mich graut vor dem Gedanken, was ansonsten gewesen wäre. Schnell schüttele ich ihn wieder ab. Daran darf ich nicht denken, erst recht nicht so knapp vor den Abschlussprüfungen. Oder in den
    Abschlussprüfungen.
    Nur noch ein Tag voller Stress. Die Techniker müssen sich in der Früh im IT-Saal versammeln, da sie dort den ganzen
    Vormittag geprüft werden. Am Nachmittag finden die Einzelprüfungen statt, bei denen sie in einer kleinen Kammer geprüft werden. Dort wird ihnen eine simulierte Situation mit einem Ranger vorgegeben, die normal anfängt, dann aber langsam zu einer richtigen Lebensgefahr wird. Als Techniker muss der Geprüfte in der Lage sein, den Ranger sicher aus der Gefahrenzone zu leiten und genug hilfreiche Tipps auf Lager haben.
    Von Celia habe ich erfahren, dass die Mechaniker auch eine lange Prüfung haben, die sich über den ganzen Tag ziehen wird. In Sachen Traumberuf erfüllen hat sie den gleichen Standpunkt wie Rhythmia. Zu mindestens kämpfen sie beide gleich hart für ihren Traum. Zusammen mit den übrigen Möchtegernmechanikern aus den anderen Klassen wird sie im Schulgebäude sowie im Wald in Richtung Brisenau geprüft.
    Die Schüler, die sich im Fach „Pokémon-fangen“ prüfen lassen, werden zunächst in Zweiergruppen aufgeteilt. Im Normalfall gehen Ranger immer zu zweit auf Mission, nur die Patrouille wird meistens alleine erledigt. Die Ausnahme, sich eine Mission alleine zu erteilen, haben nur Top Ranger, von denen es weltweit nur zehn Stück gibt. Da wir allerdings nach Schulabschluss nicht mehr als normale Ranger sein werden, ist es sinnvoll, uns zu zweit zu prüfen. Wir können uns ohnehin nichts zuflüstern, weil morgen pures Talent gefragt ist.
    Vier Stationen mit verschiedenen Aufgaben, danach ist alles vorbei. Ich für meinen Teil hoffe, dass ich einen annehmbaren Partner bekomme, am besten wäre natürlich Bodo. Wenn ich Glück habe sorgt Fräulein Mai dafür, dass ich mit ihm in ein Team komme. Immerhin war es sie, die uns gesagt hat, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir zu einer Basis kommen, so hoch ist wie bei sonst keinem anderen. Dadurch, dass er mein bester Freund und eigentlich sogar größter Rivale ist, wäre das die wohl angenehmste und trotzdem die am meisten anspornende Prüfung von allen. Das Thema „Verliebt sein“ lasse ich mit Absicht aus. Früher oder später muss ich damit klar kommen können.
    „Jetzt steht nur noch eine Frage offen“, höre ich Bodo in meine Gedankengänge hineinfragen. Unwillkürlich zucke ich
    zusammen und mir schießt „Kann er Gedanken lesen?!“ durch den Kopf. Mit einem Seitenblick bemerke ich, dass er mich ebenfalls von der Seite her ansieht. „Was machen wir heute noch?“, fügt er hinzu.
    Uff“, sage ich und puste mir meinen Pony aus dem Gesicht, „Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich meine Lieblingsantwort gebe: Keine Ahnung. Lernen wird nichts mehr bringen. Erstens wäre das kurz vor knapp, zweitens ist ohnehin nur Talent
    gefragt. ... Oder doch, mir fällt etwas ein! Hat Lucy nicht in ihrem Brief erwähnt, dass wir sie möglichst bald besuchen sollen?“ Bodo runzelt die Stirn. Hoffentlich hat sie das nicht nur in dem zweiten Brief geschrieben. Gestern habe ich, nachdem ich Rhythmia von ihren Verkupplungsplänen gesprochen hat, vergessen, den anderen zu lesen.
    „Kann mich nicht daran erinnern…“, murmelt er, offensichtlich in Erinnerung an gestern Abend. „Egal“, sage ich, viel zu schnell, „Auf jeden Fall weiß ich, dass sie sich über einen Besuch unheimlich freuen würde. Der Weg wäre nicht weit, und ich glaube kaum, dass Fräulein Mai uns das verbieten würde. Es wäre also perfekt.“ Beinahe hätte ich vergessen, dass man fragen muss, bevor man das Schulgelände verlassen darf.
    „Also, nach dem Frühstück besuchen wir schnell Fräulein Mai im Lehrerzimmer und machen uns dann auf den Weg nach Schikolingen?“, fasst Bodo meinen Vorschlag zusammen. Zustimmend nicke ich einmal. „Gut, dann esst ihr jetzt und ich hole euch von Direktor Lambert die Erlaubnis.“ Inge. Sie taucht so plötzlich hinter uns aus, dass ich vor Schreck einen kleinen Hüpfer mache. Natürlich hat sie unser Gespräch mitbekommen.
    Wir nicken zustimmend. Nach kurzer Zeit ist das Frühstück für die anderen Schüler fertig und wir verspeisen unseren eigenen Obstsalat, auf den Arbeitsplatten sitzend. Wir haben noch nicht einmal mehr die Hälfte gegessen, als die Hausmeisterin in die Küche zurückkehrt. Sie hält eine schriftliche Genehmigung in der Hand, die mir und Bodo erlaubt, heute das Schulgelände verlassen zu dürfen. Grinsend nehme ich sie entgegen. Schon jetzt freue ich mich auf meine kleine Schwester und ihren
    Gesichtsausdruck, wenn sie erfährt, dass ich sie besuchen komme.
    Noch bevor die ersten Schüler in die Kantine kommen, verlassen Bodo und ich die Küche. Rhythmia wird von Inge erfahren, wohin wir verschwunden sind. Ich weiß, dass sie sich ansonsten ihre eigene Geschichte zusammenreimen würde, und, um ehrlich zu sein, ist es mir so lieber.
    Als wir hinaus auf den Schulhof treten, spüre ich, wie kühl es doch ist. Es ist sehr frisch dafür, dass wir noch immer Sommer haben, doch im Osten, wo die Sonne bereits über dem Meer, kann ich sehen, wie die Sonne einen freundlichen, warmen Tag ankündigt. Wenn wir Glück haben können wir sogar noch zum Strand schwebt, auch, wenn das Meer wohl dank den verregneten letzten Tagen kaum warm genug sein wird, um darin schwimmen gehen zu können.
    Wir sind den ganzen Weg über, bis Brisenau, komplett alleine, selbst den Pokémon scheint es noch zu früh zu sein. Nichts regt sich, keine Menschenseele läuft uns über den Weg. Daher können wir ungestört unsere Konversationen führen und Witze reißen. Gerade Bodo fragt sich ständig, ob er jemals wieder lebendig zurückkehren wird. Er muss mich und Lucy wegen Lucys Streichen wirklich beim Wort genommen haben. Dass sie mir bereits in einem ihrer Briefe geschrieben hat, dass sie ihm mir zu liebe nichts antuen wird, verrate ich ihm vorerst nicht. Vielleicht hat es seine Vorteile, wenn er denkt, sie könne ihm etwas antuen.
    In Brisenau treffen wir nur auf Klein Hein, der eine Kanne in Richtung der Basis trägt. Offensichtlich versorgt er die Ranger mit frischer Milch. Jeder in Almia weiß von der Kuhmuhfarm von Klein Heins Familie und der Milchpudding seiner Frau, der
    Resoluten Ute, soll außergewöhnlich gut sein. Er ist voller Vitamine, da er Milch von glücklichen Kuhmuhs enthält, und perfekt für jedes Kind, das sich noch im Wachstum befindet. Aber auch Erwachsene greifen immer wieder gerne zu. Irgendwann werde auch ich die Chance beim Schopf ergreifen und mir einen Pudding besorgen. Vielleicht kann ich Lucy einmal anschaffen, mir einen zu bringen, falls ich nicht in die Brisenauer Basis versetzt werde.
    Der Weg von Brisenau nach Schikolingen erweckt viele Erinnerungen in mir. Zuerst kommt ein kleiner, aber dichter Wald, bei dem man auf dem dünnen Pfad bleiben muss, weil ansonsten die Zweige der vielen Nadelbäume nerven könnten. Auch
    verlaufen konnte man sich hier leicht. Trotz der Größe spielte die Dichte hierbei eine große Rolle. Man konnte kaum etwas erkennen, wenn man einmal vom Weg abgekommen ist. Das steht komplett im Gegenteil zu dem freien Feldweg, der danach folgt. Umgeben von Äckern mit Mais, Weizen und Rapsfeldern muss man höchstens Acht geben, dass einem nicht ausversehen ein Pokémon vor die Füße springt.
    Der Weg enthält nicht sonderlich viele Kurven und gerade gegen Ende wird er immer gerader, weshalb man schnell die ersten Häuser von Schikolingen erkennen kann. Es ist eines dieser gemütlichen Dörfer, bei denen die Gärten übergroß waren, gefüllt mit vielen Obstbäumen, Apfel, Pflaumen, Birnen und Kirschen, Sträuchern, die Pokémon einen Zufluchtsort im Sommer boten, und Hecken anstelle von Zäunen. Außerdem haben einige Häuser höhere Hausnummern als es tatsächlich Häuser in Schikolingen gibt.
    Man konnte nicht anzweifeln, dass es sich perfekt dafür eignete, um Kinder großzuziehen. Einen friedlicheren Ort konnte man wohl auf der ganzen Welt nicht finden. Kein Wunder also, dass sich meine Eltern damals entschieden haben, hierher zu ziehen. Ich hatte keine schlechten Erinnerungen, es war immer traumhaft. Die Nachbarn waren nett, die Umgebung zu allen
    Jahreszeiten schön.
    Das Haus hat sich, seit wir es verlassen haben, nicht sehr verändert. Offensichtlich hat sich die nette Dame von nebenan sehr gut um unseren Garten gekümmert, so dass Tante Ruth nicht viel neu anpflanzen musste. Ihre Rosen hat sie trotzdem an die Hauswand, rechts und links neben der Haustüre gesetzt und der Torbogen, der in den hinteren Teil des Gartens führt und der früher immer von Efeu umwuchert war, war nun beinahe komplett frei von dem dunkelgrünen Gewächs.
    Ich öffne vorsichtig das Gartentor und betrete den steinigen Weg, der direkt zur Haustüre führt. Bedächtig setze ich einen Fuß vor dem anderen. Endlich bin ich wieder hier, nach Jahren kehre ich nach Hause zurück. Dort, wo ich die ersten fünf Jahre meines Lebens verbracht habe. Die Kindheit, die ich gemeinsam mit meinen richtigen Eltern durchlebt habe, als glückliche Familie. Es schmerzt, nun genau zu wissen, dass diese Zeit nie mehr wieder kommen kann.
    Mein Blick gleitet über das Haus, strahlend weiß und von der Sonne beschienen. An einem der Fenster bleibe ich hängen. Soweit ich noch weiß ist was Lucys Zimmer. Sie hat es lieber, in der Früh direkt von der Sonne aufgeweckt zu werden, die Sonnenstrahlen im Gesicht. Deswegen steht ihr Bett dem Fenster gegenüber und nichts befindet sich dazwischen, so dass das Licht in der Früh ungehindert auf sie fallen kann. Die Vorhänge sind auch nun beiseitegeschoben. Ein Gesicht starrt ungläubig zwischen den hellgelbem Stoff zu beiden Seiten auf mich herab.
    Freudig winke ich meiner kleinen Schwester zu, die ihren Augen kaum Glauben schenken möchte. Einen Augenblick lang bleibt sie in ihrer Pose, bewegt sich kein Stück. Dann verschwindet ihr Kopf in dem Raum hinter dem Fenster und ich bin mir sicher, sie läuft gerade so schnell sie kann durch den Flur, dann die Treppen hinab, stürzt sich dort um die Kurve in einen
    weiteren Flur, von dort in den Windfang und reißt die Türe auf, noch bevor ich klingeln kann.
    „Kathrin!“, quietscht sie, sich auf mich stürzend und mich in eine Umarmung reißend. „Hey, Lu, damit hast du nicht gerechnet, was?“, lache ich und umarme sie fester. Sie hüpft ständig leicht auf und ab. Aus dem letzten Spalt schlüpft nun ein kleines, hellrotes Pokémon, dessen Schweif dunkelrot glänzte und dessen Fell schimmerte und leuchtete, als wäre es in
    Wahrheit ein loderndes Feuer. Hinter ihr fliegt die Türe schließlich ins Schloss. „Hallo, Lala“, begrüße ich das Vulpix. Ihre dunkelbraunen Augen gleiten ruhig über mich und Lucy, bevor sie zu Bodo wandern.
    „Vuuuu…“, grüßt sie melodisch zurück. Nun lockert Lu ihren Griff und ich trete einen Schritt zurück. „Gut, Zeit für das
    Förmliche. Schwesterherz, das ist Bodo. Bodo, das ist Lucy“, erkläre ich mit den typischen Armbewegungen zwischen den beiden. „Für einen kleinen Scherzteufel siehst du ähnlich unschuldig wie Kathrin aus. Wenn ich nicht wüsste, was du so
    anstellen kannst, dann würde ich es nicht für möglich halten“, lacht Bodo.
    Er hat Recht. Ihre taillenlangen, hellbraunen Haare umrahmen ihr engelsgleiches, leicht gebräuntes Gesicht mit der kleinen Stupsnase und den hellblauen, sehr großen Augen. Selbst ihr Lächeln wirkte freundlich, hatte nichts von dem spitzbübischen, das sie ausstrahlte, wenn sie wieder einmal jemanden hereingelegt hatte.
    „Danke, ich sehe das als Kompliment“, erwiderte sie, bevor sie sich wieder an mich wendet, „Du hättest mir ruhig sagen
    können, dass du kommst. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass ihr kommt, noch bevor eure Abschlussprüfungen vorbei sind!“ „Aber wir haben erst heute Früh beschlossen, dass wir Zeit haben, zu kommen, deswegen hätte ich dich nicht vorwarnen
    können“, erkläre ich. Ruhig streicht Lala plötzlich um meine Beine, aber ich erschrecke trotzdem so sehr, dass ich einen Satz rückwärts auf einen kleinen, runden Stein mache.
    Mit den Armen wedelnd versuche ich, das Gleichgewicht zu halten, bis Bodo ein paar Schritte näher tritt und mich mit beiden Armen an der Taille fasst, um zu verhindern, dass ich falle. „Du bist schreckhaft wie eh und je, Schwesterherz“, seufzt Lucy, aber ich bemerke ihren Gesichtsausdruck. Etwas in ihren Augen und das Listige in ihrem Lächeln verraten mir, dass das nicht so zufällig passiert ist, wie man annehmen würde. So fängt es leicht mit den Verkupplungsplänen an, selbst mit kleinen Aktionen wie diese. Bodo merkt von alledem nichts, stattdessen stimmt er zu: „Wie immer halt.“
    Im nächsten Moment öffnet jemand die Haustüre erneut. Allerdings freue ich mich dieses Mal weniger über die Person, die zum Vorschein kommt. Seine Augen weiten sich zuerst, dann ziehen sich seine Augenbrauen zusammen. Er scheint sich nicht ganz sicher zu sein, ob er sich freuen soll oder eher ausrasten. Oder beides. Onkel Herbert ist dermaßen mich sich selbst im Konflikt, dass Lucy ungehindert an ihm vorbeischlüpfen kann.
    Morgen, Onkel Herbert“, sage ich, als er weiterhin nicht reagiert. Ein Klackern ertönt in dem Haus. Sicherlich ist das nicht Lucy. Natürlich kommt als nächstes meine Tante Ruth, die bei dem Anblick von mir und Bodo sofort erstarrt. Was ist nur los mit ihnen? So wie ich sie kenne müssten sie schon längt am Meckern sein. Warum sagen sie jetzt gar nichts? Langsam wird mir die Stille unangenehm.
    „Ihr entschuldigt uns…“, murmele ich, greife nach der Hand meines besten Freundes und schiebe mich an meinen Verwandten vorbei. Lucy wartet im Flur vor der Treppe auf uns. „Die zwei sind wohl völlig aus dem Häuschen, dass du da bist,
    Schwesterherz, dass sie vollkommen sprachlos sind.“ „Schön wär’s“, grummele ich, „Sie sind garantiert erneut einfach nur enttäuscht von mir, wie immer. Ich mache doch ohnehin alles falsch.“
    Ich pfeffere die Schuhe neben die Türe zum Windfang, bevor ich mich umschaue. Die Räume sind noch genau wie früher, auch, wenn sie anders dekoriert und gestaltet wurde. Die Küche befand sich links von mir, direkt im Anschluss durch eine Schiebetüre konnte man in das Esszimmer, oder, wie meine richtigen Eltern immer gesagt haben, Stube. Gerade aus kann man in das Wohnzimmer, rechts in das Büro meines Onkels und die Treppe hoch in den ersten Stock, oder runter in den Keller. Direkt neben dem Windfang liegt ein kleines Badezimmer mit einer Dusche und einer Toilette.
    Oben gab es nur vier Räume, mein Zimmer, das von Lucy, das von Tante Ruth und Onkel Herbert und ein weiteres Bad, diese Mal auch mit einer Badewanne. Lucy hat ihre Zimmertüre bereits mit einem großen Poster eines Vulpix zugeklebt, woran man erkennt, dass es ihres ist. An meinem hat sie ein Schild mit einem Evoli aufgehängt, genau wie früher. Vorsichtig drücke ich die Klinke nach unten. Kalte Luft schlägt mir entgegen, weil das Fenster weit offen steht.
    „Warum ist dieses Zimmer überhaupt eingerichtet, wenn ich sowieso kaum hier schlafen werde? Ich könnte genauso gut das Sofa im Wohnzimmer einnehmen“, denke ich laut. Es wirkt leer und kühl. Die Regale an der Wand sind leer, das Bett ist
    gemacht und bezogen mit einer eintönigen Farbe, der Schrank in der Ecke ist steht offen, aber es befinden sich keine
    Klamotten in ihm.
    Kathrin, Lucy! Kommt ihr bitte?!“, durchdringt die schellende Stimme meiner Tante das ganze Haus. „Anscheinend haben sie endlich die Sprache wiedergefunden“, stellt Lucy mit einem frechen kleinen Grinsen fest. Irgendetwas sagt mir, dass sie
    genauer darüber Bescheid weiß, warum sie vorhin nichts sagen konnten. „Soll ich mitkommen?“, fragt Bodo, „Mich hat man nicht gerufen.“ „Weil sie deinen Namen nicht wissen, können sie dich auch nicht rufen. Sicherlich wollen sie genauer wissen, wer du bist“, erklärt Lucy. Verwundert schaut ihr Bodo hinterher, als sie mein Raum hinterlässt.
    Unten in der Küche werden wir bereits erwartet. Auf dem Tisch stehen noch Teller, daneben Besteck, ein Körbchen mit
    Brötchen, dazu Marmelade, Nutella und Butter. Meine kleine Schwester steht bei der Kaffeemaschine und füllt gerade zwei Tassen mit warmer Milch. „Bodo, willst du auch was zum Trinken? Kakao? Wasser? Kaffee? Apfelschorle?“, bietet sie ihm an. „Ich nehme genau das, was du gerade machst“, antwortet er schnell. „Also Kakao.“
    „Kommt, setzt euch“, sagt Ruth schrill. Wild hasten ihre Augen zwischen mir und meinem besten Freund hin und her. Was ist nur mit ihr los? Normalerweise ist sie gar nicht so. Dadurch werde ich unsicher, und diese Unsicherheit überträgt sich
    automatisch auf meinen besten Freund. Sobald wir sitzen, stellt Lucy die dampfenden Tassen mit der heißen Schokolade vor unsere Nasen stellt.
    „Bedient euch“, bietet meine Tante sofort an. Sofort schüttele ich den Kopf. „Nein, wir haben schon in der Schule gefrühstückt, bevor wir gegangen sind“, erwidere ich, bevor ich einen Schluck nehme. Ruth mit gegenüber verschränkt die Arme vor der Brust und schlägt unter dem Tisch die Beine übereinander. Misstrauisch beäugt sie uns weiterhin, mit einer hochgezogenen
    Augenbraue. Das gibt mir das Gefühl, als wäre ich soeben verhaftet worden, sie wäre eine Polizistin und ich müsste ein
    Geständnis ablegen. Als hätte ich jemanden ermordet.
    „Was ist los?“, frage ich, „Da denkt man sich, man kommt euch besuchen, weil man einen freien Tag hat und ihr reagiert so?“ „Nun, wir denken nur, dass es… anständig gewesen wäre, anzukündigen, dass du bereits einen festen Freund hast, bevor du ihn uns vorstellst“, schaltet sich nun Onkel Herbert ein, der nur Bodo ausdrücklich mustert. Dass meine Wangen sich rot färben kann ich nicht verhindern. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass sie so darüber denken?
    Wie? Nein! Das habt ihr falsch verstanden!“, wie eine Verrückte wedele ich mit den Armen, „Bodo ist nicht mein fester,
    sondern mein bester Freund. Da gibt es einen Unterschied. Und überhaupt bin ich davon ausgegangen, dass ihr von ihm wisst, weil Lucy von ihm weiß und ich dachte, dass sie euch schon längst von ihm erzählt hat.“ „So so…“, kommt von Ruth. Sie wirkt nicht wirklich überzeugt.
    Ich beobachte, wie Lala an meinem Stuhl vorbeigeht und sich neben Lucy hinlegt, bevor ich merke, dass sie gar nicht alleine ist. In ihrer Begleitung befindet sich ein kleines Evoli. Es sieht mich unsicher mit ihren dunklen Knopfaugen an. Als es auch Bodo neben mir bemerkt, scheint ihm ein Licht aufzugehen. Wie ein überspringender Funke löst es auch bei mir aus, dass ich mir sicher bin, zu wissen, was das für ein Evoli ist. Der kleine Fellball ist das Pokémon, das ich am Zephyrstrand während des 1-Tages-Praktikums eingefangen habe.
    Mit einem atemberaubenden Satz springt es auf die Rückenlehne von Onkel Herberts Stuhl, auf dem normalerweise ich sitze, und dann direkt in meine Arme. Es ist genauso weich wie ich es in Erinnerung habe, ein süßes, flaumiges Etwas, leicht und trotzdem elegant. Schlichtweg, es ist mein Lieblingspokémon, ich kann es nicht mit einem anderen vergleichen.
    „Ist das deines?“, höre ich die überraschte Stimme meiner Tante. Sie, Herbert und Bodo schauen mich alle drei leicht verwirrt an. „Naja, eigentlich bin ich mir da nicht so sicher“, lache ich, „Da ich noch kein Partner Pokémon als Ranger Schülerin haben darf… Genau, wie Urs gesagt hat, außerhalb der Schule kann sie bei mir sein, aber nicht, wenn ich in der Schule selbst bin, weißt du noch, Bodo?“ In seinen Augen sehe ich die Erkenntnis, als er sich erinnert. „Du meinst, das ist die kleine vom
    Praktikum?“, hakt er nach, woraufhin ich freudig nicke.
    „Und ihr seid euch ganz sicher, dass zwischen euch nicht mehr ist?!“ Onkel Herbert hat nun das Wort ergriffen. Er übernimmt in seiner Rolle als Erziehungsberechtigter eindeutig die Vaterrolle. Da er selbst keine eigenen Kinder hat, glaube ich, überträgt er diese Vaterreaktionen darauf, dass ich meinen ersten Freund haben könnte auf mich. Deshalb war er auch so schockiert, als er an der Haustüre gesehen hat, dass Bodo mir beide Arme um die Taille gelegt hatte und mir überhaupt extrem nahe war. Wie hätte er wissen sollen, dass das nicht Absicht gewesen ist? Dass ich nur beinahe ausgerutscht wäre und er mich aufgefangen hat?
    Anstelle von mir oder meinem besten Freund antwortet Lu: „Ihr könnt ihr ruhig glauben. Glaubt ihr, Bodo würde so ruhig sein, wenn er wüsste, er müsse sich als ihr fester Freund vorstellen? Denkt ihr nicht, die beiden würden sich dann ein wenig anderes verhalten, Händchen halten und so? Nur, weil sich die zwei nahe sind, hat das nicht gleich ‚mehr‘ zu bedeuten. Der andere ist ihnen nun einmal sehr wichtig.“
    In diesem Moment könnte ich sie knuddeln. Sie bleibt in Konversationen mit unseren Erziehungsberechtigten immer ruhig, im Gegensatz zu mir. Gerade bei diesem Thema, direkt neben Bodo, fällt es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren, nichts Falsches zu sagen. Tatsächlich ist mir direkt nach der Frage zuerst der Spagettikuss eingefallen. Wenn sie davon wüssten… Oder von dem Wochenende, nahe beieinander im Lager eingekuschelt, Schulter an Schulter, in Büchern vertieft.
    „Gut… Dann… Wie laufen die Abschlussprüfungen? Lucienne meinte, du wärest bald fertig“, ändert Ruth das Thema. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie mein bester Freund einen verwirrten Gesichtsausdruck bei dem vollständigen Namen meiner
    kleinen Schwester macht. In Wahrheit heißt sie gar nicht „Lucy“, selbst das ist bereits ein Spitzname, den sie bereits von
    unseren Eltern erhalten hat. Lucienne Rose steht offiziell in ihrer Geburtsurkunde, abgesehen von meiner Tante nennt sie
    niemand so.
    „Ja, das ist richtig. Morgen muss ich durch die letzte Prüfung in Pokémon fangen, aber davor habe ich keine Angst. Am schlimmsten waren ohnehin Mathe und Französisch, aber eigentlich glaube ich nicht, dass ich dort durchgefallen bin“, sage ich, während das kleine Evoli auf meinen Schoss klettert, um sich von dort aus von mir kraulen zu lassen. „Du hattest auf das
    Ranger Schule Französisch?“, hakt Ruth mit hochgezogenen Augenbrauen nach. „Vier Stunden die Woche, bei einer Lehrerin, die die Sprache liebt, als wäre es ihre Muttersprache, ja.“ Dass es eine Qual war, lasse ich besser weg.
    „Da fällt mir etwas ein“, ruft Lucy, „Schwesterherz, ich muss dir unbedingt etwas zeigen!“ Nach einem empörten Blick von meinen Erziehungsberechtigten in ihre Richtung, fügt sie schnell hinzu: „Wir sind zum Mittagessen wieder hier, versprochen! Also, Bodo, Kathrin, folgt mir!“ Vor der Haustüre angekommen, drücke ich sie sofort. „Danke“, flüstere ich ihr zu. Mehr brauche ich nicht zu sagen, sie weiß, was ich damit meine. Sie hat nicht nur schnell die Konversation zwischen unseren
    Erziehungsberechtigten abgebrochen, sondern mir währenddessen auch das eine Mal geholfen.
    Kein Problem, Kathrin, als Schwestern müssen wir doch zusammenhalten. In allen Situationen des Lebens“, winkt sie
    leichtfertig ab. Ich erwidere ihr kleines Lächeln. Ohne uns absprechen zu müssen, schaffen wir es, in Bodos Gegenwart so zu sprechen, dass er keinen Verdacht schöpft. Tatsächlich denkt er immer noch, dass wir über das Ablenkungsmanöver reden, wegen dem wir aus der Küche fliehen konnten.
    „Willst du uns nun wirklich etwas zeigen, oder war das nur eine Ausrede?“ „Keine Ausrede“, Lu schüttelt den Kopf, „Aber wir müssen ein Weilchen spazieren gehen. Folgt mir einfach.“ Und genau das machen wir dann auch. Zuerst hüpft sie munter durch den Garten, da wir das Haus durch die Terrassentüre auf der anderen Seite verlassen haben, aber eigentlich zurück auf die Hauptstraße von Schikolingen müssen. Überhaupt ist das Gartentor der einzige richtige Ausgang aus unseren Grundstück, mal abgesehen von einem kleinen Loch in der Hecke, das früher Lala einmal geschaffen hat. Nicht absichtlich, aber seither wissen wir wenigstens, dass man sie besser nicht erschrecken sollte, weil man ansonsten von einem Flammenwurf verkohlt werden könnte.
    Zurück auf der Straße wenden wir uns nicht in die Richtung, aus der wir gekommen sind, sondern genau in die andere. Da unser Haus am Rande von Schikolingen steht, brauchen wir nicht lange, um im Nachbarwald anzukommen. Dort führt ein mehr oder weniger ordentlicher Feldweg hindurch, bis zu dem hübschen kleinen Sandstrand, dem südlichsten Punkt in ganz Almia.
    Das scheint jedoch nicht das Ziel von Lucy zu sein, da wir nach nicht allzu langer Zeit im Wald den Weg bereits verlassen und auf einen fast unkenntlichen Trampelpfad wechseln.
    Die Bäume unterwegs stehen ziemlich nahe beieinander, weshalb wir nicht einmal mehr zu zweit nebeneinander gehen
    können, sondern nur als eine Reihe, mit Bodo als Schlusslicht. Oftmals kann man den Boden dank der vielen Blätter und
    Zweige gar nicht richtig erkennen. Während Lala neben meinem Schwesterherz rennt, trage ich mein kleines Evoli. Wohlig schnurrt es.
    Dann kann ich etwas erkennen. Nicht weit vor uns durchdringt unverkennbar mehr Sonnenlicht durch die Äste als sonst um uns herum. Ich gehe davon aus, dass dort vorne eine Lichtung ist, und dass genau das Ziel von unserem Spaziergang sein wird. Fast kreisrund ist die freie Fläche, mit hohem Gras, die wir betreten. Die Sonnenstrahlen erleuchten teilweise den Boden und brechen sich in den Tautropfen, am und auf dem hohen Gras, funkelnd wie viele kleine Diamanten, die durch bloße Berührung sich von den Halmen lösen würden. Das Blätterdach über der Lichtung lässt in der Mitte ein großes Loch.
    Kommt raus, ich muss euch jemanden vorstellen“, erschallt im nächsten Moment Lucys Stimme. An ihrem Tonfall und die Art, wie sie lauter gesprochen hat, merkt man, dass sie weder mit mir noch mit Bodo spricht. Ein Rascheln durchschneidet die Stille nach ihren Worten, das Grün vor uns teilt sich und gibt zwei Pokémon frei. Sie mussten sich dazwischen so geschickt versteckt haben, dass man nicht bemerkt hat, dass sie überhaupt da waren.
    Das eine hat wunderbar glänzendes, gelbes Fell, schimmernde neuen Schweife, die sanft hin und her wiegen, und glühende rote Augen. Wie jedes Vulnona wird es von einer mysteriösen, unnahbaren Aura umgeben. „Ihr Name ist Stephie“, erklärt Lucy, die meinem Blick gefolgt ist, „Und die Kleine neben ihr ist Saphira. Meine zwei neuen Pokémon.“ Saphira ist ein sehr kleines Absol, aber ihre Größe ändert nichts daran, dass ihre Klinge mindestens genauso scharf ist wie die ihrer Artgenossen. Auch der Edelstein auf ihrem Kopf funkelt mit ihren dunkelroten Augen um die Wette.
    „Sie sind beide wirklich schön…“, kommentiere ich. Langsam strecke ich einen Arm aus, um Saphira über den Kopf zu streicheln. Sie lässt es zufrieden über sich ergehen. Stephie stolziert mit hoch erhobenem Kopf um uns herum. Bei Bodo bleibt sie schließlich stehen, ihn mit ihrem Blick durchbohrend. Er reagiert nicht darauf, sondern schaut schlicht zurück. Es sieht so aus, als würden sie sich ein Blickduell liefern.
    „Steph, das ist Bodo, der beste Freund meiner Schwester Kathrin“, mischt sich Lucy nach kurzer Zeit des wortlosen Starrens ein, „Glaub mir, er ist ein guter Mensch.“ Das Vulnona knurrt etwas Unverständliches, doch sie entspannt ihre Muskeln wieder. Bodo beugt sich vor, um sie hinter den Ohren zu kraulen, während er sagt: „Außerdem will ich doch ein Ranger werden. Ich bin ein Freund der Pokémon, nicht ihr Feind.“
    „Warum sind die zwei überhaupt hier und nicht daheim, wie Lala?“, wende ich mich an Lu. „Weil sie zu groß wären für mein Zimmer“, seufzt sie, „Sie würden zu viel Platz einnehmen, ob nun im Haus oder im Garten, aber in ihre Pokébälle möchte ich sie auch nicht sperren. Du kennst mich, ich lasse meinen Pokémon die Freiheit. Es gefällt beiden hier, sie sind in der Natur, können trotzdem jederzeit zu mir, wenn sie wollen. Selbst, wenn ich trainieren will, kann sie unterwegs einfach mitnehmen. Apropos, soll ich euch den Ort zeigen, an dem ich trainiere?“
    Natürlich wollen wir das. Deshalb schlagen wir uns zurück auf den Feldweg im Wald und folgen diesem dann. Allerdings
    gehen wir nicht zurück nach Schikolingen, sondern in Richtung Meer. Das Rauschen verkündet schnell, dass es nicht mehr weit entfernt ist, und sobald wir auf den Strand treten, wird der Waldgeruch nach Laub und Erde gegen eine salzige Luft
    ausgetauscht. Die Sonne hat den Sand aufgewärmt, was ich feststelle, nachdem ich aus meinen Stiefeln geschlüpft bin und die Socken ausgezogen habe. Das Meer hingegen ist im Kontrast dazu wunderbar kühl. Ich stelle mich bis zu den Knien hinein. Die kurzen Hosen der Schuluniform machen mir das möglich, anderes als bei Bodo, der sich seine erst hochkrempeln muss.
    Das haben wir das letzte Mal in Sinnoh gemacht, weißt du noch?“, quieke ich meinem Schwesterherz zu und winke Bodo zu uns, der noch immer mit seinen Hosenbeinen beschäftigt ist. Saphira und Evoli tollen mit uns im Wasser, aber Lala und Stephie liegen lieber am Strand. Als Feuerpokémon ist der Kontakt mit allem, was sie nass machen kann, unerwünscht.
    „Was habt ihr in Sinnoh gemacht?“, ruft Bodo uns zu und beobachtet, wie mein kleines Evoli auf das Absol springt. Lucy lacht und antwortet: „Na, gewohnt, zwei Jahre lang! Wir waren nahe am Meer, deswegen sind wir oft schwimmen gegangen,
    gemeinsam mit Lucia. Sie hat im Nachbardorf gewohnt, kam aber oft zu uns. Bevor wir sie kennengelernt haben, haben wir zweieinhalb Jahre in Hoenn gewohnt und dort ihre beste Freundin Maike kennengelernt. Davor waren wir allerdings bei Tante Ruth in Kanto, in Azuria City um genau zu sein, genau neben der Arena von Misty und ihren Schwestern. Dadurch weißt du nun auch, wie wir die drei kennengelernt haben.“
    Mein bester Freund macht daraufhin große Augen. „Hört sich so an, als wärt ihr schon überall gewesen… Sinnoh, Kanto, Hoenn, Almia und Fiore. Was ist mit Johto?“, fragt er schließlich. Grinsend erkläre ich: „Dort wurde Lucy geboren. Als sie ein halbes Jahr alt war, sind wir zurück nach Almia, jedoch sind wir nicht lange geblieben. Dann mussten wir auch schon zu Tante Ruth und Onkel Herbert ziehen. Wir, das sind natürlich Kathrin, Lala und ich.“
    „Weil du ein Pokémon hattest und ich nicht“, murre ich. Nach meinem fünften Lebensjahr war Lucy tatsächlich die einzige im Haus, die ein Pokémon besaß. Sie hatte Lala bereits als Ei von Mama erhalten, daher war, und ist, es unmöglich, die beiden voneinander zu trennen. Wie gerne hätte ich zu der Zeit ein eigenes Evoli gehabt. Aber sie sind extrem selten, gerade in Almia gehören sie zu den kaum auftretenden Arten. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagt das kleine Evoli: „Aber nun hast du mich! Und glaube mir, ich bleibe bei dir! Mich wirst du so schnell nicht mehr los.“
    Sie springt auf meine Schulter, um ihre Wange an die meine zu reiben. „Dann habe ich wohl in dir mein zukünftiges Partner Pokémon gefunden?“ Ihr beruhigendes Schnurren beantwortet meine Frage..


    Vorinformaionen zum Kapitel: Ich habe selber Französisch und hab einfach
    ein paar Verben rausgesucht... Dazu sollte man wissen, dass je nach Person (ich, du, er, sie etc) die
    Verben eine andere Form haben. Ein Beispiel: "Ich bin' heißt 'je suis', aber 'du bist' heißt 'tu es' und
    'er ist' 'il est'.



    Kapitel 9 – Abschlussprüfung und andere Probleme
    KPV


    Hallo, Schwesterherz!


    Ach, Gott, es ist so weit. Die Abschlussprüfungen stehen vor der Türe. Ich soll dir von allen Glückwünsche ausrichten. Von mir, von Maike, Misty, Lucia, auch Tante und Onkel wollen, dass du bestehst. Und Lala drückt dir ebenfalls ganz fest die Pfoten. Weißt du was? Wir sind ab sofort ganz nahe bei dir! Rate mal warum…! Rate, rate, rate, rate… Na, wahrscheinlich bist du ohnehin schon drauf gekommen. Also, Auflösung: Richtig! Wir wohnen ab sofort wieder in Schikolingen! Mir hat das Haus von Anfang an gefallen. Die Lage direkt am Dorfrand neben einem dichten Wald, ein großer Garten, den Tante Ruth wie eine
    Verrückte hegt und pflegt und ganz in der Nähe ein wundervoller, meist leerer Strand. Der eignet sich besonders für das
    Training. Du kannst, wenn du willst, uns so bald wie möglich besuchen kommen, dein Zimmer ist bereits fertig eingerichtet. Ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird. Man hat mich bei dem Aussuchen der Möbel helfen lassen. Naja, um ehrlich zu sein, habe ich solange auf Tante und Onkel herumgehackt, dass sie gar nicht anders konnten, als es mir zu erlauben.
    Am besten kommst du, sobald du weißt, zu welcher Ranger Basis du versetzt wirst. Oder wenn du genug Zeit hast.
    Ich freue mich schon jetzt auf einen Besuch!


    Viele liebe Grüße & ganz viel Glück, dein Schwesterchen Lucy“



    Jedes Mal, wenn ein Brief von Lucy ankomme, freue ich mich darauf. Es ist, als würde in Stück von daheim in der Schule
    ankommen. Und das wird wohl die letzte Botschaft von ihr sein, bevor meine Prüfungen beginnen. Heute ist Sonntag, morgen in der Früh um halb neun beginnt die erste Prüfung, in Deutsch. Wir müssen bereits eine halbe Stunde vorher im
    Gemeinschaftsraum sein, bekommen unsere Platznummern zugeteilt und bereiten uns auf geschlagene vier Stunden vor, in denen wir einen Aufsatz zu einem bestimmten Thema schreiben müssen.
    Die ganze Schule in einem Raum, jeder Schüler an einem Einzeltisch mit genug Platz zu den Nachbarn. Allein bei der
    Vorstellung daran dreht sich mein Magen und ich bekomme das Gefühl, dass ich mich unbedingt hinsetzen und lernen sollte.
    Wenn ich dann jedoch vor einem Heft oder einem Buch sitze, vergeht die Lust wieder. Da hilft selbst der Gedanke an die
    Abschlussprüfungen nicht.
    „Erde an Kathrin, bist du fertig mit Lesen?“, durchschneidet eine bekannte Stimme meine Gedanken. Spontan richte ich mich gerade auf. Bodo sitzt neben mir und hat darauf gewartet, dass ich mit dem Brief von Lucy fertig werde. Nachdem wir
    festgestellt haben, dass uns beiden alleine lernen zu langweilig ist, haben wir beschlossen, uns gegenseitig auszufragen.
    Deshalb haben wir uns auf den Stein des Monumentes am PdA gesetzt, um dort zu lernen.
    Ich überreiche ihm den Brief meiner kleinen Schwester und nehme mir stattdessen mein Matheheft, in dem ich mir fein
    säuberlich die Aufgaben aufgeschrieben habe, mit denen ich die meisten Probleme haben. Auch, wenn wir morgen Deutsch schreiben werden, ich weiß, dass ich für Deutsch weniger tun muss, weil ich das kann. Jedenfalls so gut, dass ich dafür weniger machen muss als für Mathe. Oder Französisch. Das werden immer die schwierigsten Fächer für mich sein.
    Mein bester Freund liest nun ebenfalls die Nachricht von Lucy. „Wow“, staunt er, „Du wohnst jetzt sogar bald wirklich in Almia. Da wäre es sogar noch besser, wenn du nach Brisenau versetzt wirst.“ Lachend übergibt er mir den Zettel wieder, damit ich diesen einstecken kann, zurück in den Umschlag, in dem er gekommen ist. Was ich ihm allerdings nicht gezeigt habe, ist, dass darin mehr als nur ein Blatt enthalten war. Das zweite kreist einzig und allein um ein Thema, dass ich vor meinen besten Freund bis jetzt geheim gehalten habe. Und ich habe nicht vor, es ihm allzu schnell einzuweihen.
    Dafür unterstützen mich Rhythmia und Lucy wo es nur geht. Wobei Blondi meiner Meinung nach viel zu oft verschwörerisch grinst, und ihr unterdrücktes Kichern hilft einem auch nicht dabei, sich selbst zu beherrschen. Wenigstens hat sie sich
    zurückgehalten und Primo nichts davon erzählt. Dass sie dicht hält, das beweist schon einiges. Ich bin schon froh darüber, dass sie niemanden etwas gesagt hat. Die größte Klatschtante der Welt… Ausgerechnet sie hat es als allererstes herausgefunden.
    Seufzend blättere ich eine weitere Seite um. Die Aufgaben kapiere ich momentan ohnehin nicht. Selten verstehe ich den Lösungsweg in der Mathematik, wenn ich noch ein weiteres Mal einen Blick darauf werfe. Ich kann logisch darüber nachdenken, wenn ich noch lösen muss und genau weiß, wie ich mir die Schritte aufbauen muss, um ans Ziel zu gelangen, aber bei einem zweiten Blick am nächsten Tag habe ich meistens bereits alles wieder vergessen. Schlimmer wird das nur durch die fehlende Konzentration. Mein bester Freund sitzt direkt neben mir, ich spüre das, ich höre das, ich denke daran, nur daran. Und alles Übrige verschwimmt.
    Lange Zeit habe ich es nicht zugeben wollen. Mir selbst wollte ich es nicht eingestehen, weil ich mir dämlich deswegen vorgekommen bin. Viel zu dämlich. Vielleicht hätte ich es mir früher überlegen sollen, bevor ich ihn offiziell zu meinem besten Freund gemacht habe. Hätte ich das damals nicht gemacht, würde ich mich jetzt deswegen nicht schlecht fühlen. Seit ich es weiß, denke ich ständig daran, wie es wäre, wenn er nur ein Freund wäre. Nur ein Klassenkamerad.
    Ja, ich habe mich in meinen besten Freund verliebt. Und, ja, ich traue mich nicht, es ihm zu sagen. Stattdessen versuche ich, mich ganz normal zu benehmen und mir nichts anmerken zu lassen. Hin und wieder habe ich das Gefühl, dass mir das nicht ständig gelingt, aber Bodo scheint nichts aufzufallen. Natürlich versuchen wir auch, dass er weiterhin keinen Verdacht schöpft. Nur, dass ich mir sicher bin, dass das nicht ständig klappen wird, wenn es so weitergeht wie bisher.
    Die Blondine schafft es immer wieder, viel zu passende Kommentare in Situationen zu finden, dass ich mich frage, ob sie vielleicht genau mit dem Schicksal ausgemacht hat, wann was passiert, damit sie sich davor genau darüber Gedanken machen kann, wie sie mich am besten als nächstes umhaut. Aber Worte waren schon immer die Werkzeuge von Blondi gewesen.
    Genau wie Informationen.
    Trotzdem, sie hält dicht. Und das will etwas heißen. Aber sie hat mir auch bereits erklärt, was ein Grund ist, weshalb sie besser nichts sagt. Das ist die Befürchtung, die sie bereits hatte, bevor ich zur Ranger Schule kam und Bodos beste Freundin wurde, um genau zu sein eigentlich damals von verkuppelt wurde. Auf eine andere Art und Weise zwar… Dennoch, Rhythmia will Primo noch immer mit niemandem teilen. Und was würde passieren, wenn Bodo mich abblitzen lassen und danach gar nichts mehr von mir wissen wollen würde?
    Richtig. Er würde mehr Zeit mit Primo verbringen, die üblichen Streitereien zwischen meinem besten Freund und der Klatschtante würden wieder anfangen und ich… Ich will gar nicht darüber nachdenken, was dann mit mir wäre. Solange keinem etwas herausrutscht, wird dieses Szenario ohnehin nie eintreten. Außerdem hätte ich notfalls immer noch Lucy. Meine kleine Schwester würde mich nie im Leben hängen lassen. Nur, vielleicht, in der Zeit, in der sie Bodo und dem, der nicht dicht halten konnte, das Leben zur Hölle macht.
    Auf ihren zweiten Brief freue ich mich ebenfalls. Klar, sie ist meine kleine Schwester, aber sie ist eine coole kleine Schwester, mit einer Intelligenz, die gewisse Lehrer an ihrer Schule aufgrund eigener fehlender grauen Zellen nicht wahrnehmen können, mir aber bisher oft weitergeholfen haben. Deshalb frage ich mich jetzt schon, welche Tipps sie mir geben wird…
    „An was denkst du gerade?“, reißt mich Bodo aus meinen Gedanken. Er mustert mich mit schiefgelegtem Kopf. Zuerst blicke ich ihn nur mit einem Gesichtsausdruck, der perfekt wiederspiegelte, wie ausgesprochen klug ich doch bin. Dann erst schaffe ich es, meine Gedanken zu fassen und eine ausweichende Gegenfrage zu formulieren: „Sehe ich so aus, als würde ich überhaupt an etwas denken?“ „Wenn in deinem Hirn genauso viel gesteckt hat, wie in deinem Blick, dann müsste man in deinem Schädel erst mal die ganzen toten Fliegen und Spinnenweben wegsaugen“, erwidert er sofort.
    „Gut, dass du so genau weißt, wie es in mir aussieht. Ich dachte schon, es versteht überhaupt keiner!“, lache ich. Sofort stimmt er in mein Lachen mit ein. Selbst danach geht er nicht mehr weiter auf seine erste gestellte Frage ein, auf die er keine richtige Antwort bekommen hat. Mission Gegenfrage geglückt. Solange ich ihm auch nicht weiterhin ins Gesicht, und somit direkt in seine Augen schaue klappt das meistens auch ganz gut.
    Nur, wenn ich das nicht mache, brauche ich jemanden in der Nähe, der mir aus der Patsche hilft. Bisher war glücklicherweise immer die Blondine in der Nähe. Wenn nicht, wäre ich wahrscheinlich jämmerlich stotternd, mit knallroten Bäckchen und einem tatsächlich leergefegtem Gehirn in dem Schokoladensee, auch bekannt als die Augen von Bodo, versunken. So sehr ich
    Schokolade und überhaupt Süßigkeiten liebe… Das wollte ich dann doch nicht.
    Seufzend klappe ich das Mathebuch zu. Was nützt es schon, die Aufgaben im Kopf noch einmal durchzugehen, wenn ich doch nicht einmal mehr weiß, was für Zahlen dort stehen, weil ich mich nicht darauf konzentrieren kann. Weil ich einfach momentan kein Wort davon verstehe, was dort steht. Oder verstehen will. Die Unlust auf das Lernen, oder auf Hausaufgaben machen, der beste Freund eines durchschnittlichen, im Unterricht meist halb schlafenden Schülers. Na, in den kann man sich wenigstens nicht verlieben.
    Es sei denn, man hat den Intelligenzquotienten einer Kathrin Rose. Dann kommt es sogar vor, dass man, obwohl man weiß, dass man auf einen Nachmittag, an dem man mit seinem besten Freund lernen will, am Abend nicht als hart durchgelernten Nachmittag zurücksehen wird, sondern auf einen verträumten, verschwendeten. Typisch.
    Vielleicht hat jemand meinen stummen Hilfeschrei nach oben vernommen, denn ich sehe eine zierliche Gestalt mit blonden Locken zum PdA herabsteigen. Rhythmia, die ihr, mir inzwischen wohlbekanntes Grinsen aufgesetzt hat, ruft mir zu: „Hey, Kathrin! Komm‘ mal her, ich muss dich was fragen!“ Kurz werfe ich meinem besten Freund einen Blick zu. „Wartest du hier?“ „Natürlich“, grummelt er, „In letzter Zeit ist das Blondchen meiner Meinung nach zu aufgedreht, da will ich lieber nicht in ihre Nähe und mich anstecken.“
    Mit einer inneren Erleichterung gleite ich von dem Stein herab und laufe zu Rhythmia hinüber. Sie empfängt mich grinsend. „Ich hoffe, du hast Lucys Brief dabei?“ Demonstrativ halte ich den Briefumschlag in die Höhe. „Okay, dann können wir ja jetzt gleich den lesen“, sie schaut mich bedeutungsvoll an. Nein, natürlich wurde mein Hilfeschrei nicht erhört. Warum sollte man es mir auch leichter im Leben machen?
    Ursprünglichen hatten wir geplant, den zweiten Brief erst heute Abend im Schlafsaal zu lesen, da Bodo dort auf gar keinen Fall zu uns stoßen und ausversehen etwas mitbekommen kann. „Aber warum jetzt, und nicht später?“, hake ich nach. „Weil das nicht klappt. Leider muss ich später noch zu einer zusätzlichen Infoveranstaltung im IT-Raum, wegen dem Fortbildungszentrum für Techniker in Fiore und alle übrigen Alternativen. Deshalb dachte ich mir, wir lesen jetzt. Die Situation passt doch gerade sehr gut…“
    Augenrollend macht sie mir deutlich, was sie damit meint. Und sie hat Recht. Das hat sie ohnehin viel zu oft. Hier, am anderen Ende des PdA haben wir Bodo gut im Blick. Nie und nimmer schafft er es so, uns unvorbereitet zu unterbrechen. Dicht stelle ich mich neben Blondi, während ich das zweite Stück Papier aus dem Umschlag zerre und auseinanderfalte.


    Hallo Schwesterherz,


    ich kann nicht anders, ich muss mich einfach wiederholen, weil ich das vorhin nicht schreiben konnte, oder eigentlich einfach nicht durfte, wegen… Naja, du weißt schon: Du Arme… Als wären die Abschlussprüfungen noch nicht Stress genug, so muss sich dein Herz noch dazu entscheiden, endlich eine Schleife aufgesetzt zu bekommen und verschenkt zu werden. Warum kann man Gefühle nicht genauso gut aufs Ohr hauen wie die Lehrer, Schüler und Praktikanten an meiner Schule? Dann wäre das ganze gar kein Problem mehr!
    Aber man kann nichts daran drehen, dass du dich in Bodo verliebt hast. Kathrin, gerade Bodo. Irgendwie hatte ich schon so eine Vorahnung, als ich deinen Brief in der Küche auseinandergenommen und gelesen habe. Glücklicherweise waren weder Tante Ruth noch Onkel Herbert zu Hause. Stell dir mal vor, wie das gewesen wäre, wenn ich plötzlich ‚Meine große Schwester ist verliebt, meine große Schwester ist verliebt“ singend zwischen Herd und Tisch hin und her gehüpft wäre. Wie die mich
    angeschaut hätten!
    Und ich weiß, ich hätte es mir nicht verkneifen können. Es wäre in der Situation passiert, und es IST passiert. Ich hoffe einfach mal, dass weiterhin alles so gut läuft wie bisher. Sobald sich aber irgendetwas verändert, positiv (Du hast einen Freund), wie negativ (Die Hölle bekommt Besuch von mindestens einer neuen Person, und ich, Lucienne Rose, werde die Person dort höchst persönlich abgeben)… Sofort schreiben!
    Vielleicht sollte ich dich daran erinnern, dass in solchen Notfällen auch mal das Handy zum Einsatz kommen kann! Schließlich sind wir nun wieder in ein und derselben Region, und du schreibst und telefonierst so selten, da darfst du dir das schon mal erlauben!


    Ganz viele liebe Grüße von deiner, immer noch singender kleinen Schwester, Lucy“



    Bodo in der Hölle? Gar nicht mal eine so schlechte Idee… Am besten frage ich Lucy, wenn sie das je vorhaben sollte, ob sie mich dann mitkommen lässt. Das will ich auf gar keinen Fall verpassen“, kann es sich Rhythmia nicht verkneifen. Kurz darauf grinst sie mich halb frech, halb entschuldigend an. Sie und Bodo verstehen sich noch immer nicht wirklich. Ständig
    wiederkehrende Streits stehen auf unserer Tagesordnung.
    „Ich werde es ihr schreiben“, meine ich. „Wollen wir trotzdem mal hoffen, dass das nicht passieren wird, oder lässt die Wirkung von Amors Pfeilen bereits nach?“ Brummelnd stecke ich den Brief wieder ein. „War ja klar“, seufzt Rhyth, „Dann, geh mal zurück zu deinem Schätzchen und ‚lernt‘ brav weiter!“ Sie kichert und läuft die Treppen hoch zum großen Schulhof, mich alleine zurücklassend.
    Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Rückweg zu meinem besten Freund anzutreten. Kaum, dass ich wieder neben ihm sitze und mein Matheheft vor mir halte, wahrscheinlich nur, um wie vorhin, gleich wieder in Träumereien zu versinken, höre ich Bodos Stimme neben mir: „Was wollte die Blondine? Hast du ein paar Hyperaktivenbakterien abbekommen?“ Mein Herz macht einen gehörigen Hüpfer bis in meinen Hals.
    Automatisch antworte ich mit der Wahrheit: „Lucys Brief lesen! … Normalerweise hätte sie das heute Abend gemacht, weil sie dann am meisten Zeit gehabt hätte, aber sie hat festgestellt, dass sie es doch nicht schafft.“ Gerade noch so habe ich es geschafft, nicht den zweiten Brief zu erwähnen. Trotzdem muss ich feststellen, dass ich nicht gelogen habe. Nur etwas verschwiegen, aber das ist nicht weiter wichtig.
    „Achso“, sagt er, gähnt einmal ausgiebig und legt dann seinen Kopf auf den meinen, um in mein Heft mitreinschauen zu können. Zum Glück bemerkt er dadurch nicht, wie er es schafft, durch diese kleine Bewegung mein Herz dermaßen zum Rasen zu bringen, dass das Blut in mein Gesicht schießt. Beinahe automatisch lehne ich mich gegen ihn, platziere meinen Kopf auf seiner Schulter und schiebe das Heft mehr in seine Richtung, damit er mitlesen kann.
    Eine Weile sitzen wir nur so da, wobei ich mehr an seine Anwesenheit denken muss. Mein Gehirn hält das wohl für wichtiger als Mathe. Okay, es hält so gut wie alles wichtiger als Mathe. Wer braucht schon Zahlen im Leben, wenn man sich stattdessen darüber aufführen kann, in wen man sich verliebt hat?
    „Was hältst du davon, wenn wir uns abfragen? Ich habe das Gefühl, ansonsten kapiere ich nie wirklich, wie das funktioniert. Ständig die Lösung vor sich zu haben hilft mir nicht wirklich beim Lernen“, schlägt Bodo vor. In diesem Moment frage ich mich, ob mich das Schicksal tatsächlich herausfordern will. Diese Ausfrage wird so peinlich werden wie keine davor, obwohl ich keine Note darauf bekommen werde. Dafür bekomme ich wahrscheinlich den Blödheitstempel meines besten Freundes auf die Stirn gedrückt.



    (BPV)
    Lange lernen wir die Matheformeln nicht, da uns schnell die Lust vergeht. Stattdessen wechseln wir das Fach und
    machen uns über Französisch her. Oder, lustig, je nachdem, wie man das nimmt. So falsch wie wir die Wörter aussprechen oder die Grammatik versauen… Schlimmer geht es einfach nicht. Wir sollten einen Preis dafür erhalten.
    Nachdem wir uns von einem neuen Lachanfall erholt haben, greift Kathrin nach ihrem Buch. „Versuchen wir mal etwas Leichteres, vielleicht kommt dann endlich mal etwas Richtiges heraus“, kichert sie. Ich höre, wie sie ein paar Seiten umblättert. Kurz ist es noch still, dann befiehlt sie im Fräulein Mai ähnlichen Tonfall: „Mal schauen, ob du es schaffst, ‚prendre‘ durch zu konjugieren!“
    „Okay“, fange ich an, „je prends, tu prends, il prend, nous prennons, vous prennez, ils prennent, dann Vergangenheit il a pris? Und dann gibt’s noch ähnliche Verben, wie… Apprendre und comprendre.“ Mit einem Grinsen nickt sie: „Schau, jetzt hat es geklappt. Wir sind doch nicht ganz verblödet.“ „Wenn Fräulein Mai das merken würde, dann wären wir einen großen Schritt weiter.“
    Ein Schiggy hüpft ganz in der Nähe von uns von dem Ministeg in das Meer, gefolgt von einigen Freunden. Planschend rasen sie mit einem Affenzahn durch das türkisblaue Wasser, das von den Sonnenstrahlen zum Funkel gebracht wird. Es erinnert mich an Kathrins Augen, nur, dass mich diese überall hin verfolgen, selbst bis in meine Träume.
    Um nur ein Beispiel zu nennen, am Abend und in der Nacht nach dem 1-Tages-Praktikum fiel mir das zum ersten Mal richtig auf. Primo hat mich während der abendlichen Hausaufgaben ständig gefragt, warum ich denn so abwesend sei. Ich kann mich noch daran erinnern, dass meine Gedanken stetig um Kathrin kreisten. Um ihr Lachen, wenn ich einen Witz riss oder sie etwas lustiges gelesen hat, um ihre Lippen, ihr Lächeln, klein, aber süß, ihre leuchtenden Augen, wenn sie sich auf etwas freute, ihre schüchterne, aber trotzdem lebensfrohe Art. Und eine bestimmte Szene kann ich noch immer nicht vergessen, und das ist der Spagettikuss. Nie im Leben werde ich diesen aus dem Gehirn verbannen können.
    Oft frage ich mich, ob Kathrin sich ebenfalls manchmal daran erinnert. Sicher rückt er nicht so oft aus ihren Hinterstübchen hervor wie bei mir, aber trotzdem interessiert es mich. Nachzufragen traue ich mich allerdings nicht. Ich weiß nicht nur überhaupt nicht, wie ich so eine Art von Konversation anfangen könnte, noch bin ich mir nicht sicher, ob ich wissen will, die das Gespräch weiterhin verlaufen würde.
    „Konjugieren ‚croire‘“, dringt Kathrins Stimme in meine Gedanken hinein. Kurz muss ich mich von Träumereien auf Französisch umstellen, dann beginne ich, an den Fingern einzeln abzählend, die verschiedenen Verbformen herunter zu rattern. Mein Blick bleibt fest auf das Meer gerichtet. Als ich fertig bin, schaue ich zu meiner besten Freundin, die sich ein Grinsen nicht verkneifen kann.
    Dieses Mal lief das Ganze nicht so geschmiert wie vorhin“, sagt sie, „Nur, weil du vorhin einmal komplett richtig lagst, heißt das nicht, dass das jetzt für alle Verben gilt. Schön wäre es, dann müssten wir jetzt nicht lernen, sondern könnten lesen. Oder einfach nichts tun. Momentan würde ich nichts lieber als das machen!“ „Was habe ich denn nun falsch?“, hake ich nach, als ich merke, dass sie nicht bemerkt, wie sehr sie vom eigentlichen Thema abschweift.
    „Du hast die Nous- und die Vous-Form verwechselt. Also, anstelle von ‚nous croyons‘ ein ‚nous croyez‘, und genau das gleiche mit Vous, nur umgekehrt“, erklärt sie, amüsiert grinsend. Sie reicht mir ihr Französischbuch, damit ich sie jetzt abfragen kann. Über meine Blödheit beim Konjugieren macht sie keinen Kommentar mehr. Vielleicht rechnet sie das meiner weitreichenden Dämlichkeit in diesem Fach an. Nicht, dass das momentan schlecht ist, wenn sie so denkt…
    „Wir haben noch fünf Minuten, dann fängt Inge an, das Abendessen herzurichten“, verkünde ich, nachdem ich einen gründlichen Blick auf meine Armbanduhr geworfen habe. Gründlich heißt, dass ich nicht kurze Zeit später wieder vergessen habe, wie viel Uhr es ist. Das passiert mir oft, besonders im Unterricht. Kann aber sein, dass mein Gehirn das mit Absicht macht, damit ich wieder ein paar Sekunden dafür verplempern kann, auf die Uhr zu gucken und nicht aufpassen zu müssen.
    Meine beste Freundin seufzt tief und murmelt dann: „Besser, wir gehen jetzt schon. Dann können wir uns Zeit lassen und sind in der Küche dann nicht außer Atem.“ Wir springen gleichzeitig von dem Monument, um uns auf den Weg zum Schulgebäude zu machen. Bei dem PdA tummeln sich normalerweise immer mehrere Schülergruppen, aber heute ist keiner hier. Es würde beinahe einsam wirken, wenn es die Pokémon nicht gäbe. Die sind immer hier, bei Wind und Wetter. Und fühlen sich
    gleichzeitig auch noch wohl.
    Abgesehen von dem kurzen Besuch der Blondine waren Kathrin und ich beim Lernen alleine. Nun sitzt Blondi mit Primo in der Nähe des Schulhauses, ihr Französischbuch aufgeschlagen. Als sie bemerkt, dass wir an ihr vorbeigehen, fängt sie an zu kichern. Kathrin schüttelt den Kopf und rollt ein wenig entnervt mit den Augen. Und ich und Primo, wir gucken nur nichtwissend.
    Okay, nicht ganz. Primo hat ein kleines Lächeln auf den Lippen, das mich wissen lässt, dass er weiß, dass ich gerade eben einen Nachmittag nur mit Kathrin hatte.
    Wahrscheinlich weiß er es von Rhythmia, die sich nichts verkneifen kann. Sie kann wirklich kein Geheimnis für sich behalten. Aber wie hätte ich ihr erklären können, dass sie ihm nicht sagen soll, dass ich ganz alleine mit meiner besten Freundin war? Einen ganzen Nachmittag lang?! Die hätte gleich ihre eigene Meinung dazu gebildet, Gerüchte an der Schule verbreitet und mich lächerlich gemacht.
    Wobei die Gerüchte dann wahr wären, wenn es die wären, von denen ich denke, dass es sie werden würden. Aber wie könnte ich das abstreiten, wenn mir jemand an den Kopf wirft: „Gib’s doch zu, du bist in Kathrin verliebt!“. Lügen konnte ich noch nie, also würde ich es kaum schaffen, ein glaubwürdiges „Nein“ zu formulieren. Da behalte ich lieber mein Geheimnis vor der Blondine und vor meiner besten Freundin und ertrage gleichzeitig Primo. In der Küche angekommen fragen wir als Erstes Inge, was wir zum Abendessen machen müssen.
    „Heute sind Spagetti Bolognese geplant, weil ich letztens erst die langen Nudeln wieder besorgen konnte“, antwortet sie und schmeißt die ersten Packungen mit den bekannten Almianudeln in unsere Richtung. Ich fange sie, weil meine Reflexe von Natur aus besser sind als die von meiner besten Freundin, lege sie neben mir auf die Arbeitsplatte und schnappe mir zwei der
    größeren Töpfe, um sie mit Wasser zu füllen. Meine Bewegungen wirken automatisch und abgehackt. Das liegt daran, dass ich versuche, mein Gedanken im Zaum zu halten.
    Inge hat die zwei Worte ausgesprochen, die ich nicht mehr sagen und hören wollte. Spagetti Bolognese… Dabei habe ich dieses Essen mal geliebt! Die einzige Erinnerung, die nun durch meinen Kopf schießt, wenn ich das Wort nur höre oder das Essen rieche, ist die von dem Kuss. Das in letzter Zeit alles etwas damit zu tun haben muss, dass ich mich in Kathrin verliebt habe? Oder kommt mir das nur so vor? Bilde ich mir das nur ein?!
    Ich stelle die Töpfe auf die Herdplatte, um das Wasser darin zum Kochen zu bringen. Mein Gesicht könnte das ebenfalls, eigentlich bräuchte ich dafür keinen Herd. Da ich mich nicht traue, nach dem Wettstreit zu fragen, den Kathrin und ich das letzte Mal ausgetragen haben, als es Spagetti gab, ist es eine Weile still, aber man sollte nicht Inge vergessen. Diese befindet sich noch immer in der Küche und bereitet die Soße vor. Und dann kam er wieder, einer der Momente, bei denen man am liebsten im Erdboden versinken will.
    Spielt ihr später wieder das Spielchen, genau wie beim letzten Mal?“ So langsam fange ich an, zu glauben, dass sie den Kuss gesehen haben muss. Warum sonst spielt sie ständig darauf an und grinst währenddessen? Nichtsdestotrotz erreicht sie damit ständig, dass mein Gesicht sich erhitzt, mein Puls sich erhöht und mein Herz mehrere Überschläge hintereinander macht. Kurze Zeit spüre ich, wie mein Körper einen ganz leichten Schwindelanfall verkraften muss. Mein Atem schwindet für eine Weile, bis sich meine Lunge zu Wort meldet.
    Zischend lasse ich Luft hineingleiten. „Wer weiß…“, höre ich Kathrin murmeln, während sie zwei weitere Töpfe halb mit Wasser füllt. Das Plätschern ist im ganzen Raum zu hören, gemeinsam mit den leisen Geräuschen des Herds und den Schritten von Inge, die in die Speisekammer geht, um von dort das Hackfleisch zu holen. In meinen Erinnerungen stoße ich auf das Gefühl von Kathrins weichen Lippen, die sich sanft auf die meinen legen. Garantiert habe ich noch nie etwas ähnlich Samtenes gespürt.
    Bei den Gedanken an den Geschmack, der geblieben ist, selbst nachdem sie von mir weggezuckt ist, bringt mich dazu, über meine eigenen Lippen zu lecken, nur um sicherzugehen, dass er nicht immer noch an ihnen haftet. Aber natürlich ist es vergebens. Die seltsame Süße gemischt mit den Spagetti und der Hackfleischsoße hinterließ in mir das Verlangen nach mehr. Zum Glück konnte ich es unterdrücken.
    „Hey, Bodo, kannst du mir den Deckel dort drüben geben?“, durchdringt Kathrins Stimme das unangenehme Schweigen. Zuerst greife ich nach dem Gegenstand, dann drehe ich mich in ihre Richtung, um ihn zu überreichen. Ihre Unsicherheit in ihrem Blick verwirrt mich. Den Kopf nach unten gesenkt, starrt sich mich an, die türkisblauen Augen unschuldig auf mich gerichtet. Schnell wende ich mich wieder dem langsam köchelnden Wasser zu.
    Beinahe hätte ich nicht widerstehen können. Beinahe wäre ich von dem Gefühl übermannt worden. Hat sie das absichtlich gemacht? Wusste sie, dass, wenn Mädchen einen von unten anschauen, bei Jungs automatisch der Beschützerinstinkt aktiv wird? Oder hat sie das selbst rein instinktiv gemacht? Oder ausversehen? Sie konnte auf jeden Fall nicht wissen, dass es einen noch stärkeren Einfluss auf mich haben würde.
    Mein leises Knurren während des Augenkontaktes, als würde ich der angeblichen Gefahr von Kathrin und mir bereits gegenüberstehen, hat sie anscheinend nicht gehört. Das hatte ich mir nicht verkneifen. Es ist mir angeboren, doch meistens vernimmt es ohnehin niemand.
    Als wir das Essen fertig gekocht und in der Ablage platziert haben, trudeln langsam die ersten Schülergruppen in der Kantine ein. Die Gesichter, größtenteils von dem Stress aufgrund der Abschlussprüfungen erhellen sich und die angespannten Muskeln wegen dem vielen Sitzens und Lernens entspannen sich, als sie den Geruch des Abendessens wahrnehmen. Bald sitzen einige bereits an ihren Tischen und drehen die Nudeln auf ihre Gabeln auf.
    Davon abgelenkt merke ich kaum, wie sich mir meine beste Freundin nähert. Erst, als sie mir einen Arm von der Seite um den Hals schlingt und mich näher zu sich herabzieht, damit sie mir etwas ins Ohr hauchen kann, reagiere ich. Um nicht umzufallen, schlinge ich automatisch einen Arm um ihre Taille. „Weißt du, was wir schon seit einer Weile nicht mehr hatten?“, fragt sie mich leise. Die Vorfreude ist deutlich aus dem Satz herauszuhören. Sie verrät mir außerdem die Antwort.
    „Spiegeleier mit Bratkartoffeln“, antworte ich. „Ja“, quietscht sie, aufgeregt auf und ab hüpfend. „Ich weiß gar nicht, was du an denen so findest! Es ist nicht einmal mehr ein schweres Gericht, einfach ein paar Eier in einer Pfanne, gemeinsam mit ein paar leicht angebräunten, geschnittenen Kartoffeln, beides leicht gewürzt und das war’s auch schon“, erkläre ich nochmal, aber Kathrin hört mir gar nicht mehr zu. Sie hat es aufgegeben, mir dabei zuzuhören, wenn ich über Rezepte sprach, die ich bereits gekocht habe und die sie nun ausprobieren sollte. Sobald sie etwas von mir gegessen hatte, schmeckte ihr ihr eigener „Fraß“, wie sie ihn gerne nannte, nicht halb so gut wie das, das ich ihr machte.
    Wir suchten in der Speisekammer die Zutaten zusammen und keine zwanzig Minuten später saßen wir Schulter an Schulter auf den Arbeitsplatten. Alles war wie immer. Während die Kantine vollgestopft ist mit Schülern und Lehrern, laut und einengend, können wir hier in der kühlen Küche sitzen, zu zweit unsere Gespräche führen, ohne, dass diese durch Zwischenrufe oder versehentliche Rippenstöße aufgrund zu wenig Freiraum unterbrochen werden.
    „Mir ist letztens aufgefallen, dass es ganz schön doof ist, so spät in eine Klasse zu kommen“, schneidet Kathrin ein neues Thema an, „Wegen den Abschlussprüfungen, meine ich. Die zwei Anfangsmonate, in denen ich noch nicht hier war, beinhalteten offensichtlich genug Stoff, den ich nachpauken musste. Natürlich war das nur die Schuld von Tante Ruth und Onkel Herbert. Die wollten immerhin eigentlich gar nicht, dass ich auf die Ranger Schule gehe und danach Ranger werde. Das war in ihren Augen kein richtiger Beruf. Oder, ist, um genau zu sein. Ihr Standpunkt hat sich nicht wirklich geändert.“
    „Bei mir war nur mein Vater dagegen, wie bei so vielem auch. Ich hatte das Glück, dass Mama ihn überreden konnte, ansonsten wäre ich ebenfalls später gekommen, eventuell sogar nicht“, erinnere ich mich, „Eine der Argumente war tatsächlich, dass ich hier auch Französisch lerne. Wer hätte gedacht, dass diese Sprache so wichtig sein würde, damit ich meinen Traumberuf ausüben darf.“ Meine beste Freundin kichert. „Aber sobald der Abschluss vorbei ist, sind wir die Sprache endlich los! Da fällt mir direkt ein Streich ein, den Lu Tante Ruth einmal gespielt hat, und das nur wegen Französisch!“
    Sie erzählt mir den Rest der Zeit, in der wir essen, wie ihre kleine freche Schwester einen gut ausgeklügelten Plan in die Tat umgesetzt hat, der ihre Tante zur Weißglut gebracht hat. Nachdem wir unsere Teller aufgeräumt haben, rennen wir hoch in den Gemeinschaftsraum. Leider können wir nicht lange bleiben. Jeder Schüler will morgen ausgeruht sein, wenn er vor seinem Text sitzt, oder vor dem Problem, mehrere Argumente für ein Thema zu schreiben, das einen nicht interessiert.
    Am nächsten Morgen wache ich trotz dem, für meine Natur, viel zu früh ins Bett gehen, genauso auf, als wäre ich länger wachgeblieben. Ich hätte also durchaus länger im Gemeinschaftsraum meine Zeit mit Kathrin, Primo und, leider, wo auch immer Primo auch ist, dort ist auch sie, Rhythmia verbringen können. Nur, dass die zuletzt genannten garantiert müder wären als ich, wenn dem so gewesen wäre.
    Im Gegensatz zu Kathrin. Sie wartet bereits extrem gut gelaunt in dem Gemeinschaftsraum auf mich. Ein kleines Liedchen trällernd tänzelt sie zwischen den Stühlen umher, dreht kleine Pirouetten und lacht hin und wieder leise vor sich hin. Wie kann man so unschuldig wirken? Ein kleiner Engel, der sich auf die Erde verirrt hat, oder hinabgeschickt wurde, um über jemanden zu wachen. Ich bleibe einen Moment im Türrahmen stehen und denke genauer über den Gedanken nach. Vorstellbar wäre es, aber die Realität war hart und hatte kein Verständnis für Fantasien dieser Art.
    Kathrin bemerkte mich, ehe ich mich dazu entschlossen hatte, den Raum endgültig zu betreten. Ihr unwiderstehliches Lächeln erhellte ihre ohnehin bereits fröhliche Ausstrahlung. Gerade an dem Morgen der ersten Abschlussprüfungen lässt sie sich den tagelangen Stress nicht mehr anmerken. Entspannt steigt sie mit mir die Treppen hinab, also beschließe ich zu fragen, warum sie so glänzender Laune ist.
    „Rhythmia war gestern ganz besonders amüsant. Aber sprich‘ sie besser nicht darauf an“, antwortet sie, leise vor sich hin summend, „Dir kann ich es leider nicht erzählen. Ich habe ihr versprochen, das Geheimnis zu behalten, genau wie sie. Kaum zu glauben, dass sie auch dicht halten kann, oder? Kann man sich bei ihr einfach nicht vorstellen.“ Ihre Wangen färben sich bei den Worten leicht rosa.
    „Sie behält ernsthaft ein Geheimnis für sich? Wie ist das möglich?“, spreche ich meine Gedanken laut aus. Noch nie hat die Klatschtante etwas für sich behalten. Irgendwann ist es immer ans Licht gekommen. Warum also schafft sie es dieses Mal, nichts zu sagen? „Indem sie selbst mittendrin hängt und sie weiß, wenn es schief geht, hat sie danach wieder ein Problem. Und ich spreche gerade nicht von mir, wenn ich herausfinde, dass sie den Rand nicht halten konnte, sondern von etwas anderem, das mit ihrem Geheimnis zusammenhängt“, lacht sie.
    Aus irgendeinem Grund belustigt sie Rhythmias Verhalten vom Vorabend noch immer. Wenn ich doch nur wüsste, wie es gewesen ist. Das wäre garantiert ein guter Grund, die Blondine wieder aufzuziehen. „Und was ist mit deinem Geheimnis?
    Erzählst du mir davon?“, frage ich. „Um ehrlich zu sein“, fängt Kathrin leise an, und ihre Augen gleiten unruhig über die Decke, „Würde ich das gerne noch eine Weile für mich behalten. Keine Sorge, du erfährst es, sobald ich glaube, dass du es wissen solltest.“
    „Aber Rhythmia darf davon wissen?“ „Bei ihr ist das etwas anderes! Sie hat es ausversehen herausgefunden. Die einzige Person, der ich es mit Absicht anvertraut habe, war Lucy. Aber du kennst doch die Blondine, sie findet alles heraus, wenn sie nur will. Und wenn man nicht mit den Informationen herausrückt, die sie hören will, dann nimmt sie einen in die Mangel und presst jedes einzelne Wort aus einen heraus.“
    Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Trotzdem stört es mich, dass meine beste Freundin mir etwas nicht erzählen will, dass sie der größten Klatschtante der Welt bereits berichtet hat. Als hätte sie Vertrauen in Blondi, aber nicht in mich. Als könnte sie meine Gedanken lesen, fügt Kathrin noch hinzu: „Es ist nicht so, als wüsste ich nicht, dass ich dir alles sagen kann, aber… Nun ja, es ist schwer zu erklären, warum ich es nicht mache. Mach‘ dir einfach keine Sorgen, du wirst es früh genug erfahren!“
    Ungläubig ziehe ich beide Augenbrauen hoch, während ich die Klinke der Türe zur Küche runterdrücke. Inge kommt gerade aus der Speisekammer heraus, die Arme voller verschiedener Packungen Müsli. „Wenn du sagst, keine Sorgen machen…“, murmele ich meiner besten Freundin hinter mir zu. Weiter komme ich nicht. Kathrin schlingt von hinten die Arme um mich.
    „Dann heißt dass, dass du dir keine Gedanken mehr darum machen sollst“, meint sie. Ich spüre ihren Kopf auf meinem Rücken liegen.
    „Schon gut, ich denke nicht darüber nach. Immerhin sollten wir uns heute auf die Abschlussprüfungen konzentrieren, richtig?“ „Genau“, stimmt Kathrin mit singender Stimme zu, „Und ich schlage vor, wir schlagen uns vor der Deutschprüfung den Bauch voll. Was sagst du dazu?“
    Genau das machen wir. Zuerst helfen wir Inge, das Müsli und die Cornflakes in große Schüsseln zu leeren und diese in die Ausgabe zu stellen, dazu jede Menge Kannen voller Milch, heißes Wasser, Saft und Teebeutel. Danach frühstücken wir, noch bevor die Schüler in die Kantine kommen. Während diese essen, gehen die Lehrer nach oben, schieben Tische und Stühle zurecht, legen die verschiedenen Platznummern darauf und verteilen die Aufgabenblätter.
    Jeder kann sich selbst aussuchen, ob er lieber eine Erörterung schreiben will, oder einen Textgebundenen Aufsatz. Zur
    Erörterung gibt es zwei verschiedene Themen, von denen man eines auswählen kann, bei dem Aufsatz muss man sich
    zwischen zwei Texten entscheiden. Bevor ich nicht alles vier gesehen habe, bin ich mir nicht sicher, was ich eher bearbeiten will. Was mir am meisten liegen wird. Wenn ich Glück habe, kommt bei der Erörterung ein ähnliches Thema dran, wie bereits bei unseren Schulaufgaben, wenn nicht, dann halt nicht.
    Nach dem Frühstück stellen wir uns alphabetisch vor der Treppe zum zweiten Stockwerk auf. Nacheinander dürfen wir zu dem Tisch, neben dem Fräulein Mai steht, und eines der umgedrehten Zettel umdrehen. Darauf steht eine Nummer, um genau zu sein die Nummer des Platzes, auf dem man während der Prüfung sitzt. Zu jeder Prüfung verläuft dieses Ritual von neuem, damit man nie weiß, wer vor, hinter oder neben einem sitzt.
    Heute habe ich das Pech, dass die Person, die die fünf Stunden hinter mir verbringen darf, Rhythmia ist. Hin und wieder spüre ich, obwohl ich in meinen Aufsatz vertieft bin, ihren Blick im Nacken. Dann wünsche ich mir wieder, ich hätte die nicht die Fähigkeit, das zu bemerken. Das verursacht eine prickelnde Gänsehaut auf meinen Armen, aber ich kann mich natürlich nicht umdrehen und ihr sagen, sie soll das lassen. Gerade mitten in der Prüfung. Und wie soll ich erklären, dass ich wusste, dass sie mich wütend anblickt?
    Zum Glück reicht mir die Zeit aus, mir bleiben sogar gegen Ende noch dreißig Minuten, die ich damit verbringe, die Texte durchzulesen, die für Leute ausgewählt worden sind, die einen Textgebundenen Aufsatz schreiben wollen. Pünktlich gegen Ende dürfen wir alle den Gemeinschaftsraum verlassen und nach unten in die Kantine gehen. Kathrin treffe erst dort, neben Rhythmia sitzend. Wir haben beschlossen, heute hier zu essen, weil Inge das Essen ohnehin bereits alleine während der Prüfung vorbereitet hat.
    „Immer noch so gut gelaunt?“, begrüße ich meine beste Freundin. Sie lacht und schiebt einen Teller zu mir rüber. „Ja, stell dir vor! Ich hab‘ das Thema einmal bereits mit Lucy vorbereitet und wusste daher genau, wie ich die Argumente formulieren muss, was für eine Einleitung und was für einen Schluss ich schreiben kann. Hier, ich habe von Inge auch gleich deinen Teller
    Apfelstrudel bekommen!“, erwidert sie.
    Ich lasse mich neben ihr nieder, setze mich aber nicht zu nahe. In der Kantine ist es ganz anders als in der Küche. Hier ist es laut, jeder Schüler mehr bringt ein neues Gespräch mehr, das mit der Zeit zu einem einzigen Hintergrundgeräusch wird. Mit der Zeit wollen immer mehr an unseren Tisch. Sie nutzen jeden Zentimeter der Bank. Mir bleibt nichts anderes übrig, als auszurutschen, so dass mein Arm den Arm von Kathrin berührt.
    „Morgen gehen wir wieder in die Küche“, beschließt meine beste Freundin, die nun ziemlich zwischen mir und Rhythmia
    eingequetscht ist. Das scheint ihr nicht zu gefallen, aber die Blondine kann gar nicht aufhören zu kichern. Immer wieder kitzelt sie Kathrin, piekt sie in die Seite. Beinahe fällt sie rückwärts vor der Bank, weil sie das Gleichgewicht nicht mehr halten kann. Vorsorglich lege ich einen Arm um ihre Taille, damit es kein weiteres Mal passiert.
    „Lütmia, lass das bleiben“, knurre ich die Blondine mit einem gefährlichen Unterton an. Zu meiner Überraschung erwidert sie meinen gereizten Blick mit einem zufriedenen und amüsierten Gesichtsausdruck. Der wirft mich aus der Bahn. Seit wann gefällt es ihr, wenn ich gemein zu ihr bin? Im Normalfall wäre daraus ein handfester Streit geworden. „Gut, morgen in der Küche“, stimme ich Kathrin schließlich zu. Ihr Lachen wird zu einem leichten Kichern, als Rhythmia aufhört, sie zu kitzeln.

    Kapitel 8 – Das 1-Tages-Praktikum
    (BPV)



    Ich hoffe, ihr wisst alle, was heute ist?“, schreit Fräulein Mai in unser Klassenzimmer, als sie es betritt. Die ganze Klasse saß unnormal hibbelig auf ihren Plätzen. Daran dürfte unsere Klassenleitung eigentlich schon bemerken, dass keiner vergessen hat, was für ein spezieller Ausflug uns heute erwartet. Das 1-Tages-Praktikum steht an, wie immer gegen Ende des Schuljahres, ganz nahe bei den Abschlussprüfungen.
    Die ganze Klasse wurde bereits vor einer Woche in mehrere Gruppen eingeteilt und zu verschiedenen Ranger Basen zugeteilt. Ich darf zusammen mit Kathrin und Primo nach Brisenau, dort, wo unser Freiluftunterrichtslehrer Frohderich arbeitet. Auch ein paar, die den Wunsch hegen, Mechaniker oder Techniker zu werden, dürfen zur Brisenau Basis, und haben ab dann entweder bei den Technikern Einführungen und hören persönliche Eindrücke, oder sie sind bei ein paar Außeneinsätzen der Mechaniker dabei.
    Da jedoch gestern bereits zwei Gruppen genau das in Brisenau erlebt haben, sind heute wir als Ranger dran. Im Gegensatz dazu waren gestern die Ranger bereits in der Ranger Vereinigung, dafür wird heute gewechselt. Auch Rhythmia darf heute das Ranger HQ besuchen, zusammen mit Celia und Anna. Es gefällt ihr ganz und gar nicht, dass ich mit ihrem besten Freund den ganzen Tag verbringen muss, und nicht sie. Seit sie es weiß, hat sie mir das Leben noch schwerer gemacht als bisher.
    „Nun denn, ihr wisst, wohin ihr müsst. Macht bitte keine Abstecher, trödelt nicht, bleibt höflich und seid allen voran vorsichtig! Wenn ihr euch verletzt, werdet ihr so schnell nicht mehr erleben, wie es jemanden geht, der bereits euren Traumberuf ausübt“, schärft sie uns ein, „Das 1-Tages-Praktikum ist während eures Schuljahres eine einmalige Erfahrung.“ Die Schüler brummeln zustimmend, während sie das Klassenzimmer verlassen.
    Primo, Kathrin und ich, wir trotten hinterher. Ich spüre den bohrenden, giftigen Blick von Blondi in meinem Nacken, bis wir vor dem Schultor spielen. Meine Nackenhärchen haben sich auf dem Schulhof bereits aufgestellt und dem Drang, sie mit einem Knurren abzuschrecken, muss ich ebenfalls unterdrücken. Das einzige, was ich machen kann, ist, meine Hände zu Fäusten zu ballen und darauf warten, dass wir uns endlich trennen können.
    Am Schultor ist es schließlich so weit. Rhythmia muss sich, glücklicherweise, mehr beeilen als wir, um rechtzeitig zur Vereinigung zu kommen. „Bis heute Abend!“, verabschiedet sie sich zwitschernd von ihrem besten Freund und meiner besten Freundin, ignoriert mich weiterhin und zischt anschließend über die Holzbrücke. Ungerührt starre ich ihr hinterher. Ein ganzer Tag ohne sie, dafür darf ich zusehen, wie echte Ranger arbeiten. Das müsste mein absoluter Traumtag werden. Jedenfalls während meiner Schulzeit.
    Kathrin scheint diese Ansicht voll und ganz zu teilen. „Lasst uns schon gehen“, drängelt sie, packt sich meinen Arm und zieht mich hinter der Blondine, die schon längst im Wald auf der anderen Seite verschwunden ist, her. Primo hingegen ist genauso ruhig wie immer. Der macht keine Hektik. Nur kurz blicke ich mich zu ihm um. Sein entspannter Gesichtsausdruck wird von einem verträumt wirkenden Lächeln geziert.
    Wir wollen gerade durch das Tor gehen, als jemand an uns vorbeizischt und kurz danach auch ein kleines Bidiza hinterher. Als ich mich schnell umdrehe, schneller, als ich gewollt hatte, schaffe ich es sogar noch zu sehen, wie Klein Hein, der Milchmann in der Gegend, auf einen der Bäume klettern will. Leider schafft er es kaum. Schließlich klammert er sich nur noch an dem Stamm, gerade so weit oben, dass das Bidiza ihn selbst springend nicht erreichen kann.
    Es quietscht weiterhin bei den Wurzeln, umrundet den Baum und scheint total ausgelassen zu sein. „Spielt er Fangen mit dem Bidiza?“, fragt sich Kathrin. Ihr verwunderter Blick bestätigt, dass sie noch nie jemanden getroffen hat, der Angst vor Pokémon hat. Für mich ist das auch ein Schock gewesen, gerade, weil Hein vor einem viel zu kleinem Babyknospi weggelaufen ist. „Nein, ganz und gar nicht“, jammert er, ein Stück den Stamm hinabrutschend.
    Grinsend greife ich nach meinem FangKom und ehe ich es mich versehe, habe ich das verspielte Bidiza bereits zu meinem Pokémon Freund gemacht. Freudig mit dem Schwänzchen wedelnd, läuft es zu mir herüber und springt um meine Beine herum. Kathrin beugt sie zu ihm hinab, um es hinter den Ohren zu kraulen. „Was bist du denn für ein süßes Ding“, kichert sie.
    „Weißt du“, sage ich ihr so leise, dass Hein mich nicht verstehen kann, „Klein Hein hier ist nicht nur unser Milchmann, sondern auch die einzige Person in ganz Almia, die Angst vor Pokémon hat. Leider macht es ihm sein Beruf nicht leichter, denn der Milchgeruch scheint die Pokémon anzulocken.“ Inzwischen ist Hein zu uns herüber gekommen, aber seine Augen hat er unruhig auf das Bidiza gerichtet, das Kathrin immer noch streichelt.
    „Es wird Ihnen nicht hinterherlaufen“, erkläre ich ihm, „Erstens ist es viel zu abgelenkt durch Kathrins Streicheleinheiten und zweitens wird es sich Ihnen nicht mehr nähern, solange ich nicht sage, dass es das tun soll.“ „D-danke“, stammelt er, „Ich glaube, wenn ich daheim bin, brauche ich erst mal Aspirin…“ Sich die Stirn reibend, zieht er von Dannen. „Wie kann man nur Angst vor dir haben“, murmelt Kathrin und krault ein letztes Mal das Bidiza, „Aber jetzt erst mal weiter. Auf nach Brisenau!“
    Wortlos lasse ich mich von meiner besten Freundin mitziehen. Auf der Holzbrücke wird sie langsamer und blickt erst einmal runter auf den reißenden Fluss. Normalerweise dürfen wir den Schulbereich nicht verlassen, das heißt, alles hinter halb des Schultores ist für uns mehr oder weniger unbekanntes Terrain. Uns wurde mitgeteilt, dass das so sein muss, weil wir auch unsere Abschlussprüfung teilweise hier austragen werden.
    „Ich wusste gar nicht mehr, wie stark die Strömung hier ist!“, quiekt Kathrin. Tatsächlich sieht das Wasser unterhalb der Brücke nicht gerade so aus, als wäre es zum Baden gut geeignet. Das Ufer zu beiden Seiten ist teils steinig, teils felsig und teils auch dicht mit Gras bewachsen. „Wie solltest du auch, wenn du sie erst einmal gesehen hast, und das war damals, als du zum ersten Mal in Richtung Schule gegangen bist“, lache ich.
    „Naja, Baden möchte ich da drin auf jeden Fall nicht“, meint sie noch und dreht sich zu mir um. Primo hat uns inzwischen eingeholt, obwohl er immer noch träumerisch dreinschaut. Was ist denn mit ihm heute los? Tagträumen passt doch sonst auch nicht zu ihm. Ich wedele mit einer Hand sicherheitshalber vor seinem Gesicht. „Dir geht’s gut?“, frage ich. Er benimmt sich ein wenig so wie Kathrin, bevor sie mir erzählt hat, was an ihrem fünften Geburtstag passiert ist.
    Verwirrt blinzelt er mich an, als hinge ein Schleier vor seinen Augen, dann sagt er: „Klar, ich muss heute nur die ganze Zeit an etwas denken…“, erklärt er. „Und an was, wenn ich frage darf?“ Abwehrend schüttelt er den Kopf. „Morgen ist es vorbei“, verspricht er. Zweifelnd hebe ich eine Augenbraue, aber Kathrin hat schon wieder meinen Arm. So langsam wird sie Rhythmia immer ähnlicher, was es das hinter sich herziehen angeht.
    Aber lange macht sie es ohnehin nicht. Denn mitten auf der Holzbrücke treffen wir abermals auf eine Person. Ein kleines Mädchen, um genau zu sein, mit taillenlangen, blonden Haaren, in denen eine rote Schleife steckt, und in einem lila Kleidchen. Ihr verzweifeltes „Mein… Mein großer Bruder“ und ihr Schniefen habe ich schon von weitem gehört. Ein Blick genügt um zu merken, wie hilflos die Kleine ist.
    Als wir bei ihr ankommen, werden ihre Augen ganz groß. Ihr Wimmern wird zu leise, um noch etwas zu hören, aber ich frage trotzdem nach. „Was ist denn mit deinem großen Bruder?“ Die Nase hochziehend murmelt sie: „Er ist nicht hier…“ Meine Gegenfrage bleibt mir erspart, als ich bereits Schritte hinter mir wahrnehme. Ich wirbele herum. Zwei Jungen haben soeben die Holzbrücke betreten und ich erkenne sofort an den Haarfarben, wer das ist.
    „Hey, Tag, allen zusammen“, ruft Michel uns entgegen, „…. Was ist hier denn-“ Weit kommt er nicht, denn er wird von Albert neben ihm abgeschnitten: „Melodia! Was machst du denn hier?“ Sofort hellt sich das Gesicht des Mädchens auf. Freudig kichernd läuft sie an mir vorbei: „Hey, Albert! Ich wollte dich besuchen!“ Ich bemerke, wie Kathrin die Geschwister interessiert beobachtet und sich währenddessen ein Lächeln nicht verkneifen kann. Sicherlich kann sie nicht anders, als an ihre kleine Schwester Lucy zu denken.
    Albert findet es allerdings nicht gut, dass er Besuch hat. „Aber Melodia! Ich hab dir doch gesagt, du darfst nicht hierherkommen. Noch dazu alleine. Du weißt doch, wie lange und gefährlich der Weg von hier bis nach Havebrück sein kann.“ Das Mädchen fängt an, zu schmollen. „Aber… Großer Bruder! Ich musste dich einfach sehen…“, wimmert sie. „Melodia…“, der blonde Junge streicht ihr über den Kopf, „Ich vermisse dich ja auch, und sorge mich um dich, aber genau deswegen darfst du mich nicht besuchen. Komm, wir gehen gemeinsam zurück nach Havebrück.“
    Lächelnd nimmt er sie an der Hand, winkt uns kurz und verschwindet schließlich mit seiner kleinen Schwester und Michel am Ende der Holzbrücke. Wir starren ihnen eine Weile hinterher, Melodias blonde Haare leuchten sogar noch, als sie den Schatten des Waldes betreten. „Gib es zu“, sage ich aus den Mundwinkeln zu Kathrin, „Die zwei haben dich an dich und Lucy erinnert.“ „Natürlich“, erwidert sie, „Das würde sogar zu meinem Schwesterherz passen, dass sie mich ohne Erlaubnis in der Schule besuchen kommt.“
    Um ehrlich zu sein hatte ich mir das schon gedacht. Aus den Briefen kann man deutlich herauslesen, wozu Lucy fähig ist, und Regeln zu brechen scheint eine ihrer Stärken zu sein. Mein Bruder ist genauso, nur, dass er mir damit nicht hilft. Im Gegenteil, das hat ihm jahrelang geholfen, mir das Leben schwer zu machen. Um mir diese Erinnerungen aus dem Kopf zu schlagen, ziehe ich dieses Mal Kathrin in Richtung Wald.
    Wir müssen in die Gänge kommen!“, verkünde ich, „Ansonsten kommen wir noch dazu spät!“ Während meine beste Freundin und ich in unserem normalen Tempo recht schnell vorankommen, hängt Primo mit seinem träumerischen Gang hinterher. Er scheint kaum wahrzunehmen, was um ihn herum passiert. Selbst, als ein paar Knospi direkt vor ihm über den Weg hüpfen, nimmt er keine Notiz davon. Wenn das den ganzen Tag so anhält, dann stelle ich ihn heute Abend zur Rede. Dieses Verhalten passt absolut nicht zu ihm.
    Der Weg durch den Wald ist erfrischend und fast ein wenig zu kühl. Die Sonnenstrahlen durchdringen kaum die Äste der vielen Bäume um uns herum, der Boden ist gesprenkelt mit Licht und Schatten. Mit meinen Ohren kann ich viele Pokémon in unserer Umgebung wahrnehmen, doch nur wenige von ihnen zeigen sich, wie die Knospi. Schließlich erkenne ich den lichten Ausgang und die ersten Häuser von Brisenau.
    Das Dorf ist nicht übermäßig groß, aber es ist auch nicht zu klein. Ein großes Schild am Anfang verkündet in geschwungenen Lettern „Brisenau“, darunter befindet sich eine Karte. Wir nähern uns dieser und schauen sie uns genauer an. Auf ihr sind die wichtigsten Häuser vermerkt, die man als Tourist und als neu Hinzugezogener wissen sollte. Die Ranger Basis, die Farm von Klein Hein, der Supermarkt, das Postamt und ein kleines Restaurant.
    „Jetzt wissen wir wenigstens gleich, wohin wir müssen“, sage ich und wende mich der Straße zu, der man folgen muss, um zur Ranger Basis zu gelangen. Kathrin bleibt noch einen Moment stehen. „Guck mal, Bodo“, murmelt sie, „Wenn man weiter nach Süden geht, dann kommt man nach Schikolingen.“ „Mh, ich weiß. Der Weg ist allerdings zu lang als dass wir uns vor oder nach dem Praktikum hinschleichen könnten“, erkläre ich, „Wir haben höchstens die Chance, dass wir mit den Rangern dorthin gehen werde, aber irgendwie glaube ich nicht, dass wir das tun werden.“
    Sie nickt kurz. Wahrscheinlich muss sie daran denken, wie nah sie ihrer Schwester gerade ist, und dass sie sie dennoch nicht besuchen darf. Am besten versuche ich, sie auf andere Gedanken zu bringen. „He, Kathrin“, sage ich, leise genug, damit uns Primo nicht verstehen kann, „Was glaubst du, ist mit ihm los.“ Ich mache eine leichte Bewegung in seine Richtung. Meine beste Freundin wirft einen Blick nach hinten und antwortet dann: „Vielleicht liegt es daran, dass Blondi nicht bei ihm ist. Ich hab ihn ohne sie gesehen…“
    Ungläubig schüttele ich den Kopf. „Quatsch, im Schlafsaal führt er sich auch nicht so auf.“ „Aber da macht er wahrscheinlich kaum mehr als schlafen und träumt deswegen ohnehin, oder?“, kontert sie. „Das kann schon sein, aber irgendwie glaube ich das einfach nicht. Die zwei kennen sich zwar bereits seit dem Kindergarten, aber dass er ohne die Blondine so drauf ist, das ist nicht ganz logisch.“
    „Jetzt bin ich unlogisch?“, beschwert sie sich und knufft mich. „Nicht du“, gebe ich lachend zurück, sie an mich ziehend und an der Seite kitzelnd, „Aber deine Gedankengänge!“ Kichernd wehrt sie sich gegen meinen Griff. Sie hätte keine Chance, aber ich gebe nach und lasse sie wieder frei. Sie war mir ohnehin so nahe, dass ich Angst gehabt habe, dass sie mein Herz hört, wie es viel zu schnell hämmert und meinen Brustkorb sprengen will.
    Die Basis ist nicht schwer zu finden. Zum einem sticht sie aus der Menge der umliegenden Häuser, weil es so glänzend ist, zum anderen wächst ein riesiger Baum aus dem Dach heraus. Wer das übersieht, hat wirklich keine Augen im Kopf. Leider trifft das ziemlich auf Primo zu, der direkt am Eingang vorbeiläuft. Ich muss ihm hinterher und ihn aus seiner tagträumerischen Trance holen. Kopfschüttelnd kehre ich mit ihm zu meiner besten Freundin zurück.
    Zu dritt betreten wir die Basis. Der Raum hinter der automatischen Türe ist groß und halbrund. Es ist wahrscheinlich, dass er noch größer wirkt als er in Wahrheit ist, weil er so menschenleer ist. Keine Menschenseele lässt sich blicken. Nur die Pflanzen neben der Türe, ein langer Tresen in der rechten, hinteren Ecke, dahinter ein großer, schwarzer Monitor und ein Bild an der Wand auf der anderen Seite. Der Boden ist blank poliert und jeder Schritt halt unheimlich. Eine Tür, die sich direkt gegenüber der Eingangstüre befindet, muss in die Schlafsäle und zur Küche führen.
    Mein Herz überschlägt sich, als Kathrin sich meinen Arm nimmt und sich daran festklammert. Eine komplett leere Ranger Basis? Soll das ein Scherz sein? Oder bitterer Ernst? Was hat das alles zu bedeuten? „Hier ist wirklich sehr viel los, meinst du nicht?“, sagt Kathrin ironisch. Ihre Stimme erklingt im ganzen Zimmer, übertönt beinahe das Rascheln, das kurz darauf hinter den Tresen hervorkommt.
    Eine Frau mit lilafarbenen Haaren erhebt sich. „Tut mir leid, tut mir leid“, piepst sie, sich den Kopf haltend, der offensichtlich schmerzt, „Ich habe meine Brille fallen lassen, deswegen habe ich nicht mitbekommen, wie ihr hereingekommen seid.“ In der freien Hand hält sie die genannte Brille. „Ihr seid doch sicherlich die Schüler für das 1-Tages-Praktikum? Kommt doch bitte her. Ich habe hier etwas für euch“, winkt sie uns zu sich herüber.
    Bereits bevor wir ankommen, streckt sie uns einen Brief entgegen, den ich sogleich entgegennehme. „Den hat euch unser Chef dagelassen. Unsere Ranger mussten nämlich allesamt auf eine Mission, auf eine große Mission!“, erklärt sie uns weiter. Ich öffne den Briefumschlag und ziehe einen leichten, kleinen Zettel heraus, auf dem nicht viel steht. Für Primo und Kathrin lese ich laut vor.



    Willkommen, ihr drei
    Kaum, dass ihr in unserer Basis ankommt, müsst ihr auch schon wieder weg. Ich habe eine sehr wichtige Mission für euch. Bei meiner Technikerin Lea habe ich ein Paket dagelassen. Lasst es euch geben und bringt es so schnell wie möglich zum Windspiel Hügel, der sich westlich vom Dorf befindet. Lasst euch den genaueren Weg von Lea beschreiben und behandelt das Paket mit absoluter Vorsicht.
    Ich freue mich auf unser Treffen, Urs.“



    Gut, das war der Brief“, bemerkt Lea, bevor sie sich kurz bückt, um etwas hochzuheben, „Hier, das Paket, dass ihr abliefern sollt. Denkt wirklich daran, dass darin empfindliche Ware ist. Niemals auf die Seite drehen, oder auf den Kopf, nicht schütteln. Es fällt auf, wenn ihr das macht, also lasst es lieber bleiben und geht vorsichtig damit um.“ Kathrin nimmt es an sich, darauf bedacht, es so gut wie möglich gerade zu halten.
    Dann zeigt uns die Technikerin noch auf einer Karte, wie wir am besten zum Windspiel Hügel gelangen und schickt uns los. Wir verabschieden uns von ihr, bevor sich die automatische Türe der Basis hinter uns schließt. Zum Glück müssen wir als erstes nur der Straße folgen, bis wir Brisenau verlassen, und danach gelangen wir automatisch auf einen Pfad, der durch den Wald zwischen Brisenau und dem Zephyrstrand führt. Natürlich sind auch Schilder aufgestellt, aber dank Lea brauchen wir diese nun nicht mehr.
    Der Zephyrstrand ist mit Sicherheit einer der schönsten Orten auf ganz Almia. Der Strand besteht aus sehr feinem, weißem Sand, in Sommertagen immer von der Sonne aufgewärmt und angenehm weich an den Füßen und zwischen den Zehen. Muscheln verschiedenster Arten finden sich in der Nähe des Wassers, kleine und große, zerschlagene und ganze. Das Wasser schwappt mit leichten Wellen auf das Land, bevor es sich wieder zurückzieht, um erneut mit einem leichten Klatschen erneut auf den Strand zu treffen.
    Die Sonne bringt das Meer zum Glitzern, als wären abertausende von Diamanten auf der Oberfläche, die nur darauf warten, dass man zu ihnen schwimmt und sie einsammelt. In sanften Kreisen ziehen Wingull und Pelipper in der Luft darüber ihre Bahnen. Ihre Nester haben sie ganz in der Nähe an einem Klippenrand. Früher war ich im Sommer gerne hier, der Anblick hat mich immer beruhigt. Leider hatte ich nur selten die Gelegenheit.
    „Wow, das ist aber schön hier“, flüstert meine beste Freundin fasziniert. „Ja, das ist wahr“, stimme ich zu. Da wir eine ganze Weile am Strand entlang gehen müssen, bevor zu dem Aufstieg kommen, den wir einschlagen müssen, um an unser eigentliches Ziel zu gelangen, können wir den Ausblick noch weiterhin genießen. Das Rauschen begleitet uns den ganzen Weg über.
    Ein Feldweg führt von dem Strand weg, beschildert mit „Windspiel Hügel“. Das ist der Aufstieg, von dem Lea gesprochen hat. Sie meinte, es gäbe nur einen einzigen Weg, der an den Strand anschließt und wieder nach Norden führt. Außerdem ist das Schild zu eindeutig. Allerdings gehen wir nicht sofort weiter, da sich mitten auf dem Weg ein älterer Mann und drei verschiedene Pokémon befinden.
    Das Gefühl, nun festen anstelle von sandigem Grund unter den Füßen zu haben ist erleichternd. Kathrin und ich bleiben zuerst eine Weile stehen, um auf Primo zu warten, der mit seiner traumwandlerischen Art immer noch langsamer ist als normalerweise. Dafür können wir zuhören, wie der Herr mit den Pokémon spricht und sie füttert. „Ach, Pachirisu, Pachirisu“, das kleine Elektrohörnchen streicht ihm um die Füße, „So niedlich, so niedlich…“
    Während er es streichelt, versucht ein dicklicheres Pokémon aus seinen Jackentaschen Pokémonfutter zu mopsen. „Was ist los?“, natürlich bleibt der misslungene Diebstahl nicht unbemerkt, „Stimmt etwas nicht, Mampfaxo? Du hast doch nicht etwa schon wieder Hunger?“ Mampfaxo steckt sich eine Pfote in den Mund und schlabbert darauf herum. Es hat ganz offensichtlich einen leeren Magen. Das letzte Pokémon, das kleinste von allen, sieht ihm dabei zu. Augenblicklich hört es auf, an seinem Knursp zu knabbern, um es dem Hunger leidenden Mampfaxo zu überlassen.
    Mit einem Bissen ist die Pokémonsüßigkeit auch schon verschwunden. Garantiert ist das türkisblaue Pokémon davon noch nicht satt, aber es bedankt sich überschwänglich bei dem niedlichen Katzenpokémon. „Evoli, ach Evoli“, sagt nun der Mann, der bemerkt hat, was es getan hat, „Opferst du tatsächlich deinen letzten Knursp für jemand Fremdes. Du bist wirklich ein liebes Ding.“
    „Nicht nur lieb…“, höre ich Kathrin neben mir hauchen. Als ich aus den Augenwinkeln zu ihr schaue, sehe ich, wie ihre Augen, die weit aufgerissen sind, regelrecht glitzern. Sie hat ihre Hände zu Fäuste geballt und sie dicht vor ihrem Oberkörper, als würde sie jeden Moment wie eine Bombe losgehen. Ich weiß schon länger, dass Evoli ihr Liebling ist, aber dass sie so reagiert, wenn sie eines zu Gesicht bekommt, damit hatte ich nicht gerechnet.
    „Hey, warum steht ihr denn hier so tatenlos herum? Sollten wir uns nicht beeilen?“ Kathrins Quietscher ist tatsächlich kein Freudenquietscher wegen dem Evoli, sondern einer, den sie erschrocken ausstößt. Primo ist nun bei uns angekommen, aber wir haben ihn nicht bemerkt, weshalb meine schreckhafte beste Freundin wegen seinem plötzlichen Auftauchen beinahe einen Herzinfarkt bekommen hat. Überrascht klammert sie sich an meinen Arm, wobei ich reflexartig, ebenfalls durch einen kleinen Schock, einen Arm um ihre Taille lege und sie an mich ziehe.
    Primos verwunderter Blick wandert zwischen uns her. „Mensch, Primo“, schimpfe ich, „Du kannst dich doch nicht einfach so anschleichen, das macht man nicht. Außerdem bist du doch derjenige, der mal einen Zahn zulegen sollte.“ Mein Herz rast schnell und treibt meinen Puls in die Höhe. Leider hat der alte Mann uns durch Kathrins Aufschrei bemerkt.
    „Eurer Kleidung nach zu urteilen seid ihr von der Ranger Schule und garantiert gerade mitten im 1-Tages-Praktikum, habe ich Recht?“, sagt er zu uns und geht ein paar Schritte auf uns zu, „In den letzten 1-Tages-Praktiken waren ständig Schüler hier, immer mit einem Paket. Deshalb habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Praktikanten, also euch Schülern, ein kleines Quiz zu stellen, das mit ihrem späteren Beruf zu tun hat. Seid ihr bereit? Gut. Ich hoffe doch, dass ihr mir sagen könnt, was ein Partner Pokémon ist?“
    Primo hätte normalerweise schneller geantwortet als ich hätte denken können, aber momentan ist er wieder so geistesabwesend, dass ich vor ihm zum Zuge komme: „Einfach! Ein Partner Pokémon ist ein Pokémon, das einem Ranger sehr nahe ist und ihn ständig begleitet. Man kann sich selbst eines aussuchen, sobald man ein Ranger wird. Als Schüler darf man nämlich noch keines haben.“
    Ding Dong, das ist richtig“, stimmt der Herr zu, „Und als Zusatzinformation meinerseits möchte ich euch sagen, dass, alle Ranger, die ich kenne, ihr Partner Pokémon auf dem wundervollen Zephyrstrand getroffen haben. Er scheint ohnehin eine sehr bindende Wirkung zu haben, auf Pokémon und auf Menschen.“ Durch seine Brille hindurch betrachtet er mich, woraufhin mir einfällt, dass ich ja Kathrin noch im Arm habe. Schnell lasse ich sie los und brummele in mich hinein. Warum habe ich nicht bemerkt, dass sie noch direkt neben mir steht?
    Vielleicht hatte ich mich zu schnell an ihre Wärme gewöhnt. An ihre Nähe. „Auf jeden Fall habe ich noch eine weitere Frage für euch. Wenn ihr einmal Ranger seid und es zwei Pokémon gibt, die gerne eurer Partner Pokémon sein würden, was macht ihr? Dürft ihr beiden ihren Wunsch erfüllen?“ Dieses Mal ist Kathrin schneller bei der Antwort: „Ja, man darf. Als Ranger darf man mehrere Partner Pokémon haben, aber es darf einen immer nur ein einziges begleiten. Die anderen müssen an einem sicheren Ort darauf warten, dass sie an der Reihe sind.“
    „Sehr gut, das ist wieder richtig“, der Mann lächelt uns an, „Die Ranger Schule scheint euch Schüler, wie eh und je, bestens vorzubereiten.“ Mit diesen Worten spaziert er an uns vorbei auf den Strand und ließ uns alleine zurück. Einen Moment lang blicken Kathrin und ich uns verwundert an, aber Primo schien das ganze überhaupt nicht bemerkt zu haben. Er träumt leise vor sich hin, den abwesenden Blick gen Himmel gerichtet, die Augen inzwischen beinahe geschlossen. Was ist nur los mit ihm?
    Ich stupse ihm unsanft in die Seite, um ihn aufzuwecken. „Hey, Primo, nicht schlafen“, schimpfe ich ihn, „Wir sind auf einer Mission, hast du das schon vergessen? Also, Schluss mit der Träumerei!“ Sein Gesichtsausdruck wirkt im ersten Moment tatsächlich so, als wäre er gerade im Bett gelegen und ich hätte ihm einen Eimer mit eiskaltem Wasser übergeschüttet. Grinsend deute ich auf dem Weg, den wir folgen müssen, um weiter zu kommen.
    Der Pfad wendet sich noch eine Weile zwischen mehreren Bäumen hindurch, dann stoßen wir auf eine Treppe. Dieses Mal hängt auch Kathrin ein wenig hinterher, da sie das Paket trägt. Sie versucht, extra vorsichtig damit zu sein, damit sie es auf gar keinen Fall fallen lässt. Auch drehen darf sie es nicht. Verkrampft hat sie beide Arme darum fest geschlungen. „Willst du das wirklich noch weiterhin tragen?“, frage ich vorsichtig nach. Ich will jetzt nicht behaupten, sie sei ein Schwächling, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich stärker als sie bin. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich ein Junge bin und sie ein Mädchen ist…
    „Klar, ist ja nicht mehr weit“, beschwichtigt sie mich. Ihr Blick ruht einen Moment auf dem Schild, das neben der Treppe in die Erde eingeschlagen wurde. Darauf steht in dicken schwarzen Buchstaben gut leserlich geschrieben: „Windspielhügel – Warnung an verliebte Pärchen vor Steinschlag.“ „Selbst, wenn Pärchen dieses Schild sehen“, murmelt Kathrin, „Glaube ich kaum, dass sie sich beim Turteln daran erinnern, dass sie davor vor Steinschlag gewarnt wurden.“
    Obwohl sie mich nicht berührt, spüre ich dennoch durch die Luft ihre Wärme auf meinem Arm prickeln. Das bewirkt außerdem auch, dass mein Herz mehr als einen Zahn zulegt, als würde es für einen Marathon trainieren wollen. In dem Schatten der Bäume um mich herum fühlt sich ihre Nähe und mein erhöhter Puls angenehm an. „Nur noch diese Treppe hoch, dann sind wir da“, sage ich zu ihr.
    „Du scheinst sehr nervös deswegen zu sein.“ Primo hatte sich von hinten an mich herangeschlichen. Mein Herz macht einen zusätzlichen Hüpfer. Ich nicke nur kurz. Er muss nicht wissen, dass es nicht wegen dem 1-Tages-Praktikum und unserer Mission ist. Obwohl mir lieber wäre, wenn das der richtige Grund wäre. Aber ich kann mir so was nicht aussuchen. „Dann beeilen wir uns besser“, höre ich Kathrin neben mir, „Wer weiß, was uns dort oben erwartet.“
    Also, was wirklich dort oben, ganz hinten auf dem Windspielhügel, ist, daran hätten wir nicht gedacht. Nach einem kurzen Weg durch ein kleines Waldstück können wir auf eine große Fläche hinaustreten. Das Gras dort wird von einem starken Wind flach auf dem Boden gedrückt. Auf der rechten Seite ist eine steile Felsenwand, offensichtlich die, die den Steinschlag verursacht. Eine kleine Menschenansammlung befindet sich in der Mitte des Hügels, lachend und scherzend.
    Sie stehen weit genug weg von der Wand. „Da ist ja Frohderich“, flüstert Kathrin leise, „Und auch die anderen… Das sind doch Ranger. Die haben fast alle eine Ranger Uniform an. Aber… Was machen die hier?“ „Wir könnten hingehen und… Fragen?“, schlage ich vor. Primo, verträumt wie ohnehin den ganzen Tag, schlendert an uns vorbei. Er scheint nicht zu bemerken, dass dort vorne die Ranger stehen. Er ist dermaßen abwesend, dass er sogar viel zu nahe an der Felswand entlangspaziert.
    „Halt, Primo!“, schreie ich und laufe ihm hinterher. Erschrocken stellt er sich gerade hin, bevor er sich umdreht. Verwundert blinzelt er mir entgegen. Ich deute nach oben und sage zu ihm: „Hast du das Schild vorhin nicht gelesen? ‚Warnung von Steinschlägen‘. Dabei ist doch dein Lieblingssatz ‚Wer lesen kann ist klar im Vorteil.‘“ „Hab ich wohl vergessen“, erwidert er. Kopfschüttelnd drehe ich mich um.
    Und natürlich bleiben wir mit der Aktion nicht unbemerkt. Die Ranger, die wir vorhin noch beobachtet haben, haben uns jetzt bereits gesehen. Nur Kathrin, die in dem Schutz der Bäume geblieben ist, sehen sie nicht. „Hey, ihr zwei! Ihr kommt doch garantiert von der Ranger Schule und seid für das 1-Tages-Praktikum von Lea hierhergeschickt worden! Wo habt ihr denn unser Paket gelassen?!“, ruft uns Frohderich entgegen.
    Erst jetzt meldet sich Kathrin: „Das ist hier, bei mir!“ Sie tritt hinter den Bäumen hervor und blickt unser zwischen mir und der Rangergruppe hin und her. „Ach, gut“, sagt der Ranger weiter, „Dann kommt alle drei mal zu uns her. Wir beißen nicht, wirklich nicht!“ Das mag ja stimmen, aber davor haben wir auch keine Angst. Wobei, Angst kann man das nicht nennen, wir haben eher Ehrfurcht vor ihnen, weil sie bereits unseren Traumjob bereits ausüben dürfen.
    Die Truppe besteht aus zwei Frauen und zwei Männer, einer davon Frohderich. Die anderen sind mir unbekannt. Der älteste von ihnen ist ein Mann mit dunkellila Haaren. Er macht einen stämmigen Eindruck, stark und unbeugsam. Sein Gesichtsausdruck ist grimmig, man merkt, dass er Erfahrung in seinem Beruf hat. Trotz der harten Nuss, die er zu sein scheint, hat er etwas Freundliches an sich. Dass man ihm vertrauen kann.
    Frohderich daneben grinst wie üblich. Seine Arme hat er vor der Brust verschränkt, während das Knospi zu seinen Füßen leicht vor sich hin kichert. Die junge Frau neben ihm hat dunkelgrüne Haare, die beinahe schwarz in der Sonne schimmern. Sie ist ähnlich zierlich wie Kathrin, aber noch einen Kopf größer. Sie hat den Kopf selbstbewusst in die Höhe gereckt, die hellgrünen Augen funkeln schalkhaft. In ihren Armen hält sie ein Haspiror.
    Die letzte Person hat eine kurze, hellrote Jungenfrisur, eine lange Schlabberhose, fingerfreie Handschuhe, ein verdrecktes T-Shirt und darüber Hosenträger. An ihrem Gürtel hängen mehrere Werkzeuge. Die Hände gegen die Hüfte gestemmt lächelt sie uns freundlich entgegen. Sie hat kein Partner Pokémon dabei, aber sie macht ohnehin nicht den Eindruck, als wäre sie ein Pokémon Ranger.
    „Also, ich hoffe doch, ihr habt das Paket mit Vorsicht behandelt!“, begrüßt uns der Mann, der neben Frohderich steht, „Das ist nämlich echt wichtig! Nicht rütteln, nicht schütteln und erst recht nicht auf dem Kopf stellen!“ Kathrin tritt ein paar Schritte nach vorn, um es ihm zu überreichen. Frohderich stellt sich neben den Mann, öffnet das Paket so, dass wir den Inhalt nicht sehen können und ruft schließlich in die Runde: „Hey, Leute, unser Mittagessen ist endlich eingetroffen!“
    Moment… Was?! Ist es das, was Kathrin getragen hat? Essen?! Frohderich wirft einen kurzen Blick in unsere Richtung und bekommt direkt einen Lachanfall. „Oh, Gott… Euch Schüler kann man immer wieder reinlegen, mit dem gleichen Trick, aber eure Gesichtsausdrücke sehen jedes Mal anders aus. Unbezahlbar.“ Er muss sich den Bauch halten und in die Knie gehen, so sehr schüttelt es ihn.
    Während Kathrin und ich verdutzt, und Primo verträumt aussehen, Frohderich sich vor Lachen krümmt und die Pokémon fröhlich auf der Wiese tollen, breiten die übrigen eine bereits mitgebrachte Picknickdecke aus und lassen sich darauf nieder. Das Essen aus dem Packet legen sie in die Mitte, damit es für jeden zugänglich ist. „Los, ihr seid eingeladen“, erklärt der Mann mit den lila Haaren, „Ich bin übrigens Urs, der Chef der Brisenau Basis. Und bevor ihr auf falsche Gedanken kommt… Dieser Scherz war nicht meine Idee.“
    Sofort beschwert sich Frohderich: „Aber, Chef! Du hast doch gesagt, dass das eine gute Idee ist! Und jedes Jahr stimmst du wieder zu, dass wir das machen sollen!“ Kopfschüttelnd wendet er sich uns zu. „Und ein freudiges Hallo an euch drei! Hättet wohl nicht geglaubt, dass wir uns so schnell wiedersehen? Tut mir übrigens immer noch echt leid, dass der Freiluftunterricht damals so schnell enden musste…“
    Das nächste Mal habe ich Freiluftunterricht!“, ruft die Dunkelgrünhaarige, „Mein Name ist Luana und ich bin noch nicht sonderlich lange Ranger. Ich war die erste, mit der sie diesen Streich gespielt haben, müsst ihr wissen.“ Die Frau mit den roten Haaren kichert. „Ja, aber bei dir war das Essen ungenießbar. Du bist nicht so sorgfältig mit dem Packet umgegangen, wie es dir beauftragt wurde… Ich bin Eleonora“, stellt sie sich vor, „Wie ihr garantiert schon bemerkt habt, habe ich weder die Ranger Uniform an, noch bin ich im Besitz eines Partner Pokémons. Das hat auch seinen Grund! Ich habe den Posten der Mechanikern an der Brisenau Basis inne.“
    „Ähhm…“, beginne ich langsam. „Ich bin Bodo. Und das sind Kathrin“, ich deute auf meine beste Freundin, die ganz nahe neben mir steht, „Und Primo.“ Mein braunhaariger Klassenkamerad hat sich bereits gesetzt als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass man zum Essen eingeladen wird. „Kommt, setzt euch auch“, fordert uns Urs auf. Er hat bereits ein dickes Sandwich in den Händen. „Willkommen zu unserem Praktikantenbegrüßungsfestmahl!“
    Wir setzen uns genau dorthin, wo wir gerade stehen, Kathrin direkt neben mich und mit einem auffällig großen Abstand zu Primo. Bevor ich mich bedienen kann, merke ich, wie bei der Rangerin mir gegenüber ein kleines, wissendes Lächeln auf die Lippen huschte. Auch in ihren Augen funkelte ein gewisser Glanz, den ich bereits bei Rhythmia bemerkt hatte. „Ach, so ist das“, murmelt Luana, gerade laut genug, dass wir sie verstehen können, „Ihr zwei seid zusammen?“
    Es klang weniger wie eine Frage. Sie verlangte geradezu, dass wir „Ja“ sagen, dass sie ein „Nein“ nicht zulassen wird. Mein Herz macht einen aufgeregten Hüpfer, als Kathrin neben mir versteift. „Was?! Nein!“, entfährt es mir nach einer Sekunde Stille. „W-Wir sind nur beste Freunde“, setzt Kathrin dazu. Mein Puls schnellt, falls überhaupt möglich, noch mehr in die Höhe. Luanas Grinsen verdeutlicht, dass sie uns nicht glaubt.
    „Okay…“, sie zieht das Wort unnötig in die Länge, „Und was ist mir dir, Primo? Hast du auch eine… Beste Freundin?“ Der Angesprochene merkt den triefenden Sarkasmus in diesen zwei Worten nicht und plappert frei heraus: „Ja, aber sie hat sich dazu entschieden, Technikerin zu werden. Momentan ist sie in der Ranger Vereinigung, wegen ihrem Praktikum. Sie redet immer sehr viel und ich glaube, sie hat das Talent dazu, dass zu werden, was sie sein will.“
    „Was es das ‚viel reden‘ angeht hast du Recht“, stimmt Urs zu, „Unsere Technikerin, Lea, die kann manchmal gar nicht aufhören, zu reden. Ich wette, sie spricht sogar im Schlaf, weil sie die Anzahl der Wörter, die sie an einem Tag sprechen will, tagsüber nicht erreicht.“ Lachend stimmt Eleonora zu. „Dann ist es aber lustiger, ihr zuzuhören!“
    Wir sitzen eine Weile in dieser gemütlichen Runde. Kathrin und ich erzählen, wie wir die Schule finden, die Lehrer und unsere Mitschüler, und erhalten dafür viele Informationen aus dem Leben eines Rangers von allen Seiten. Jeder der drei Ranger hat andere Vorlieben, der eine steht mehr auf Action, der andere erledigt seine Arbeit mit Witz. Interessant, zu erfahren, dass sie alle das gleiche Ziel haben, dieses aber immer anderes erreichen wollen. Die Unterhaltung hätte ewig so weitergehen können, aber das tat sie nicht. In gewisser Weise spüre ich bereits davor anhand des Kribbelns in meinem Nacken, dass etwas passiert ist.
    Wir bereden gerade die Missgeschicke, die Luana während einer besonders heiklen Mission passiert sind, als jemand keuchend die Stufen zum Windspielhügel hochhastet. Er sieht reichlich mitgenommen aus, in seinen Haaren hängen Äste und Blätter und sein T-Shirt ist zerfetzt. Wahrscheinlich hat er sich von dem Strand aus durch den Wald zu uns geschlagen, um schneller da zu sein.
    „Hilfe, Ranger!“, ruft er uns, völlig aus der Puste, entgegen, „Bitte, ihr müsst zum Strand.“ So schnell, wie Urs auf den Beinen ist, so schnell kann ich gar nicht reagieren. „Was ist los, Junge?“, fragt er forsch nach. Der Neuankömmling nimmt sich kurz Zeit, damit sich seine Stimme nicht überschlägt, wenn er anfängt zu reden. „Wir waren… Am Strand“, erklärt er, „Meine Freundin und ich. Zuerst war alles ganz friedlich, aber dann hat sich mit einem Schlag alles geändert. Die Pokémon wurden gemein und haben mit einem Mal meine Freundin eingekreist. Jetzt wollen sie sie nicht mehr gehen lassen, attackieren jeden, der nur in ihre Nähe kommt.“
    Urs nickt verständnisvoll. „Leute? Ab hier übernehmen wir!“, ruft er uns übrigen zu, „Das ist eine Notfallmission! Kathrin, Bodo, Primo! Ihr kommt auch mit! Wir brauchen so viel Unterstützung, wie wir habenkönnen, damit wir die Pokémon wieder unter Kontrolle bringen können. Los, auf zum Strand.“ „Verstanden“, erwidern wir einstimmig und folgen dem Chef den Weg hinab zum Strand. Dort angekommen sehen wir unser Problem sofort.
    In der Nähe des Meeres sitzt ein Mädchen am Boden, weinend. Um es herum befinden sich mehrere Schalellos und Schwalbini, aber auch ein Mampfaxo, ein Pachirisu und ein Evoli. Ohne Zweifel sind das dieselben, mit der der nette alte Herr von vorhin geredet hat. Aber was für Beweggründe hat die zuvor zutraulichen Pokémon dazu veranlasst, ein wehrloses Mädchen gefangen zu nehmen?
    „Wir müssen das Durcheinander beenden“, befiehlt Urs, „Luana, Frohderich, ihr kümmert euch um die Schalellos und die Schwalbini, unsere Praktikanten, ihr fangt am besten die übrigen drei. Wer welches fängt, das könnt ihr doch sicherlich untereinander ausmachen. Aber beeilt euch, wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Meinen FangKom halte ich bereits in meinen Händen, ich brenne geradezu darauf, zu beweisen, was ich kann.
    Primo läuft so schnell er kann auf das Pachirisu zu, dessen Backentaschen bereits vor Angriffslust knistern. Leuchtende Blitze schießen über den kleinen Körper bis hinauf zu dem aufstellten, langen Schweif. Das Evoli daneben rollt sich aufgeregt am Boden und wirkt dabei mehr wie ein flauschiger, hyperaktiver Ball als ein gefährliches Pokémon. Kichernd schickt Kathrin ihre Fangscheibe darauf zu. Ich hätte wissen müssen, dass sie es fangen will. Es ist ihr Lieblingspokémon.
    Also bleibt für mich nur noch das Mampfaxo übrig. Es hat eine Pfote in seinem Maul, um darauf herum zu kauen, während ihm Sabber aus den Mundwinkeln läuft. Grinsend mache ich ein paar Schritte darauf zu. Es wirkt ähnlich gefährlich wie das gummiballähnliche Evoli. Wahrscheinlich sind die beiden nur mit den anderen Pokémon mitgelaufen, weil es auch unter ihnen eine Art Gruppenzwang gibt.
    Kathrin und ich, wir beenden unsere Fangversuche gleich schnell. Das Mampfaxo lasse ich sofort frei, aber meine beste Freundin behält ihr Katzenpokémon noch. Dieses sprintet in einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf das zierliche Mädchen zu und der Sprung in ihre Arme reißt sie beinahe von den Füßen. Schwankend torkelt sie über den Strand, bei dem Versuch, ihr Gleichgewicht wieder zu finden. Gerade, als es sie beinahe endgültig von den Füßen zu reißen droht, kann ich sie auffangen. „Eeeevoliii“, quiekt das kleine Pokémon.
    Es schmiegt sich an Kathrins Hals, wirft mir einen kurzen Blick zu und steigt dann schnurrend auf ihrem Kopf. Lachend dreht sich meine beste Freundin zu mir um. Eigentlich will sie nach dem Evoli greifen, legt allerdings stattdessen die Arme um mich. „Wie ist es gelaufen, Leute?“, dringt Urs Stimme an mein Ohr, „Waren eure Fangversuche erfolgreich?“ Ich wende meinen Blick über Kathrins Kopf hinweg zu den anderen.
    Primo und Frohderich bejahen sofort, nur Luana lässt sich noch ein wenig Zeit. Zuerst kann ich sie gar nicht finden, bis mir auffällt, dass sie bei dem Mädchen ist, das zuvor auf dem Strand zusammengebrochen ist. Ihre Augen glimmen in meine Richtung. Sie sagt: „So wie es aussieht waren wir alle erfolgreich, nur Kathrin scheint mehr als nur ein Pokémon gefangen zu haben.“
    Damit haben wir sofort die Aufmerksamkeit von allen auf uns. Meine einzige Hoffnung liegt auf den Schultern des kleinen Evolis, das hoffentlich als hyperaktives Pokémon interessanter ist als Kathrin, die sich an mich klammert. „Alles freilassen“, kommt es von Urs. Ich spüre sofort, wie meine beste Freundin ihren Griff lockert und schließlich nach dem Evoli greift, das immer noch auf ihrem Kopf herumtollt. Vorsichtig setzt sie es auf dem Boden ab.
    „Also, tschüss, kleines Evoli“, sagt sie und streichelt ihm ein weiteres Mal über das weiche Fell. Als sie sich wieder erhebt, läuft das kleine Katzenpokémon allerdings nicht weg. Stattdessen streicht es schnurrend um Kathrins Beine herum. Es macht keine Anstalten, verschwinden zu wollen. Selbst, als wir zurück zu den Rangern gehen, kommt es mit und lässt sich nicht abschütteln. Urs beäugt es unsicher. „Ich dachte, ihr lernt bereits in der Schule, Pokémon freizulassen?“
    Haben wir ja auch, aber… Die Kleine will nicht weg…“, erwidert Kathrin. Schließlich gibt sie dem nun kläglich maunzenden Evoli nach und hebt es hoch. Zufrieden schnurrend reibt es sein Köpfchen an Kathrins Wange. Ist es normal, dass man ein Pokémon darum beneidet? Besonders dafür, dass es mit der besten Freundin kuscheln darf, und man selbst darf das nicht?
    „Darf ich sie nicht noch eine Weile behalten?“, murmelt Kathrin in das Fell des Evolis. Sie? Ein weibliches Evoli? „Na gut“, gibt Urs schließlich nach, „Ihr zwei scheint ein gewisses Band aufgebaut zu haben. Ihr wisst schon, so ein Band, das ein Ranger zu sein Partner Pokémon zueinander haben. Aber du darfst sie nicht in die Schule mitnehmen. Du weißt doch, dass es dort untersagt ist, bereits Partner Pokémon zu haben.“
    Er wendet sich den übrigen Rangern und der Mechanikerin zu. „Luana, Frohderich, ihr zwei überprüft am besten noch den Rest des Strandes nach weiteren aufgedrehten Pokémon. Wir können nicht davon ausgehen, dass das die einzigen sind, die aufgescheucht wurden, da wir die Ursache nicht herausgefunden haben. Eleonora, du kommst mit mir mit, wir müssen unser zurückgelassenes Picknick noch holen. Primo, Kathrin und Bodo? Ihr drei geht sofort zurück zur Ranger Basis und wartet dort darauf, dass wir zu euch stoßen. Ansonsten für alle… Mission geschafft!“
    Das gilt für uns übrige, dass wir nun unsere Rangerposen einnehmen dürfen. Bei mir heißt das, meine Pose nach einem gekonnten Salto einzunehmen. Kathrin ihre Pose sehe ich zum ersten Mal. Sie aktiviert ihren FangKom, dreht sich einmal um ihre eigene Achse, auf einem Bein und stemmt danach eine Hand gegen die Hüften. Primo wirft seinen SchulfangKom senkrecht in die Luft, dreht sich und kaum, dass er die Drehung beendet hat, fängt er das Gerät wieder.
    „Ach, wie schön, ihr habt ja bereits Ranger Posen! Ihr scheint euch wirklich bestens auf das Leben als Ranger vorbereitet zu haben“, lobt uns Urs, „Aber jetzt auf mit euch. Wir sehen uns dann später.“ Und mit diesen Worten verschwindet er. Luana und Frohderich haben sich bereits verzogen. Alleine sind wir nun auf dem Strand, nur Kathrin, Primo, das Evoli und ich. „Können wir nicht noch eine Weile hier bleiben? Ich find’s so schön hier, und je näher wir der Schule wieder kommen, desto ferner fühle ich mich dem kleinen Pokémon“, bittet mich Kathrin.
    Primo hat sich bereits entfernt, in Richtung Feldweg, der zurück nach Brisenau führt. Als er bemerkt, dass wir nicht kommen, dreht er sich um. Mit einem fragenden Blick sieht er mich an. „Geh‘ schon mal vor“, rufe ich ihm zu, „Wir kommen später hinterher.“ Bei meinen Worten spüre ich neben mir, wie die prickelnde Wärme, die Kathrin, wenn sie zu nahe steht, an meinen Armen auslöst, verschwindet. Sofort fahre ich herum, um zu sehen, was passiert ist.
    Als ich bemerke, dass sie sich nur in den Sand gesetzt hat, erhole ich mich schnell wieder von dem kleinen Schreckensmoment. Vorsichtig setze ich mich neben sie. Das kleine Evoli beäugt mich aus zufrieden geschlossenen Augen, schnurrend und von Kathrin hinter den Ohren gekrault werdend. Meiner Meinung nach ist es sich noch nicht sicher, was es mit mir anfangen soll. In welcher Verbindung ich zu Kathrin stehe.
    Eine Weile sitzen wir einfach nur am Strand, die Vogelpokémon und das Meer beobachtend. Der Wind hier ist nur halb so stark wie auf dem Windspiel Hügel, dafür wird einem nicht so schnell kalt. Die Sonnenstrahlen fallen ungehindert auf uns herab, nur hin und wieder von schneeweißen, flauschig aussehenden Wolken unterbrochen. Ich nutze die Ruhe, um den Sand aus meinen Stiefeln zu leeren.
    Irgendwann erhebt sich Kathrin wieder, das schnurrende Pokémon in den Armen. „Wir sollten besser zurückgehen, bevor es heißt, wir haben die Befehle missachtet“, murmelt sie und begibt sich in Richtung des Feldweges. In den Wald dahinter ist Primo bereits verschwunden. Wer weiß, ob er schon in Brisenau angekommen ist, oder ob er immer noch tagträumend umherschlendert.
    „Komm, machen wir ein Wettrennen“, schlage ich vor, „Wer als erstes bei Primo ankommt, hat gewonnen! … Bereit? 1… 2… 3!“ Sofort spurten wir los, am Anfang noch ständig über kleine Sandhügel stolpernd und im Sand selbst stecken bleibend. Erst, als wir den Feldweg erreicht haben und endlich festen Grund unter den Füßen, können wir besser rennen. Aber anstelle eines richtigen Wettrennens laufen wir einfach nebeneinander her, durch den kühlen Wald. Der kommt uns, nach dem von Sonnenstrahlen erhellten und erwärmten Platz am Strand eisig vor.
    Die Luft ist feucht und vereinzelt fallen Tropfen, die vom gestrigen Regen noch in den Wolken hängen, auf mich herab. Primo holen wir schneller ein, als ich erwartet hätte. Es sieht mehr so aus, als würde er nicht wissen, wo er hin muss, so sehr taumelt er. Als wir bei ihm ankommen, seufzt er einmal tief. „Heey, Primo, aufwachen“, rufe ich ihm zu, „Jetzt ist nicht die Zeit, um zu schlafen. Wie kannst du das überhaupt? Gehen und pennen gleichzeitig? Das musst du mir mal beibringen!“ Er dreht sich zu uns um.
    „Ach, da seid ihr ja bereits. Dachte eigentlich, ihr wollt noch ein bisschen länger am Strand bleiben“, meint er ruhig, aber völlig ahnungslos, dass man seine Worte auch falsch verstehen könnte. So ist es jedenfalls bei mir so. In meinen Ohren klingt es, als wären nur Kathrin und ich am Strand gewesen, ohne das Evoli, am besten noch mit Sonnenuntergang auf einer Picknickdecke und ganz nahe beieinander. So hat sich das für mich angehört.
    Sogleich erscheint ein passendes Bild in meinem Kopf, nur, dass Kathrin bei diesen nicht mit dem Evoli kuschelt. Sofort schüttele ich den Kopf. „Nein“, sage ich dann, „Uns wurde befohlen, zur Basis zurückzukehren, also sollten wir das auch machen.“ Meine Gesichtsfarbe hat sich trotzdem verändert. Ich spüre ganz eindeutig, wie es durch mein Blut erhitzt wird. Nur Kathrin scheint sich nicht weiter Gedanken darüber zu machen.
    Evo, Evoli, Evo, Evo!“, meldet sich das kleine Evoli zu Wort. Es sitzt immer noch in ihren Armen, wechselt aber nun auf ihre Schulter. Meine beste Freundin krault es am Nacken, bevor sie murmelt: „Ich weiß, meine Kleine. Aber ich muss zur Schule zurück, auch, wenn du nicht mitdarfst…“ Das klang ganz danach, als hätte sie das Katzenpokémon tatsächlich verstanden. „Moment… Kathrin? Weißt du wirklich, was das Evoli gesagt hat?“
    Verwundert blinzelt mich meine beste Freundin an. Auch Primo guckt verwirrt, als wüsste er nicht, wovon ich rede. Innerlich sackt mein Herz ein paar Stufen hinab, während es bei dem Anblick von Kathrin auch noch ein paar Saltos schlägt. Na, das habe ich wieder klasse hinbekommen. Meine Ohren haben mal wieder etwas aufgenommen, was sie normalerweise nie registriert hätten, und jetzt wundern sich alle, warum ich doch davon weiß. Hoffentlich komme ich aus der Sache wieder heraus.
    „Öhm, ja“, erwidert Kathrin, „Um ehrlich zu sein kann ich das bereits, seit ich klein bin. Mein Vater hat es mir beigebracht, und so etwas verlernt man nicht, ähnlich wie Fahrrad fahren. Er hat mir allerdings auch geraten, nicht allzu vielen davon zu erzählen, wie es eine seltene Gabe ist und nicht jeder es erlernen kann. Daher steht die Chance wohl niedrig, dass ich es jemals jemanden beibringen kann.“
    „Wow“, ist alles, was ich herausbekomme. Kathrins Wangen haben einen leichten Rosaschimmer angenommen. Heute mache ich einfach alles falsch. Ich wollte sie doch gar nicht in Verlegenheit bringen… Primo hingegen guckt nur entspannt zwischen uns umher, bevor er sich umdreht und wortlos weitergeht. Wir folgen ihm, am Anfang noch eher still, aber wir finden bald ein neues Gesprächsthema. Das kleine Evoli bindet sich immer wieder mit ein, obwohl niemand außer Kathrin es verstehen kann. Und wenn sie darauf antwortet, können Primo und ich kaum erraten, was das Pokémon gesagt hat.
    In der Ranger Basis müssen wir nicht lange auf Luana, Frohderich, Urs und Eleonora warten. Sie kommen alle gleichzeitig an, schnaufend, aber offensichtlich unbeschadet und in guter Laune. „Das war ein toller Tag. Ihr drei habt uns wirklich ein fantastisches Mittagsmahl geliefert!“, meint Urs, „Aber leider ist euer 1-Tages-Praktikum hiermit bereits vorbei. Sogar eine Mission mitsamt Fangversuch hattet ihr dabei… Das war bei uns noch nie so, nicht wahr, Leute?“
    Die übrigen drei nicken heftig. „Ich fand’s auch echt klasse. Wäre doch toll, wenn ihr hier arbeiten könntet, sobald ihr die Schule beendet habt“, sagt Frohderich mit einem schalkhaften Grinsen, „Jeden Tag Essen von euch geliefert zu kriegen… Au ja, das wäre toll.“ Sein Chef schlägt ihn daraufhin mit der Handfläche gegen den Hinterkopf. „Na na, wir wollen es nicht zu weit treiben“, schimpft er.
    Luana kichert. „Frohderich, manche Scherze solltest du dir echt manchmal verkneifen“, meint Eleonora, aber ich winke ab. „Ach, wir wissen doch, dass das nicht ernst gemeint war. Wir würden uns trotzdem darauf freuen, hier arbeiten zu dürfen“, erwidere ich. Urs nickt. „Nun gut, ich denke, ihr solltet nun zurück zur Schule gehen. Allerdings bin ich mir sicher, dass wir uns alle später einmal wieder sehen werden.“ Wir grinsen uns an. Es wäre wirklich toll, wenn wir zur Ranger Basis in Brisenau versetzt werden würden. Auch, wenn hierher wirklich nur die Besten der Besten kommen.
    Alles, was wir noch tun können, ist, uns zu verabschieden, bevor wir auf die Türe zuschreiten. Weit kommen wir jedoch nicht. Kaum, dass wir vor ihr stehen, öffnet sie sich unerwartet. Kathrin macht einen Satz nach hinten, tritt dabei auf ein Kabel am Boden, stolpert und fliegt beinahe nach hinten, wäre ich nicht da gewesen. So fange ich sie gerade noch rechtzeitig aus. Halb hängend, halb stehend liegt sie nun in meinen Armen. Obwohl ich zuerst nicht viel sehen kann, weil ihre Haare mir die Sicht versperren, spüre ich die Blicke der anderen auf uns ruhen.
    „Oho, wen haben wir denn da?“, erklingt eine neue Stimme, die mir unbekannt ist. Unwillkürlich verstärke ich meinen Griff um meine beste Freundin herum, ziehe sie auf ihre Beine, jedoch gleichzeitig auch näher an mich heran. Auch kann ich mich nun selbst wieder gerade hinstellen, was mir ermöglicht, über Kathrins Zöpfe hinwegzublicken. Ein älterer Herr mit einem weißen Bart, buschigen weißen Augenbrauen und durchdringenden hellgrünen Augen befindet sich im Türrahmen. Er zwirbelt seinen Bart, während auf in meine Richtung guckt.
    „Ich nehme an, 1-Tages-Praktikum? Hatten wir heute an der Ranger Vereinigung auch. Als ich diese verlassen habe, ist gerade ein Mädchen angekommen, ein verrücktes, aufgedrehtes kleines Ding. Sie konnte nicht aufhören, zu reden, besonders, als die auf die Techniker traf. Soweit ich mich erinnern kann, war ihr Name… Lütmia? Irgendetwas in der Art…“ der Mann überlege kurz und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Es war nur zu offensichtlich, von welcher Blondine er sprach. „Nun, denn. Urs, ich muss ein kurzes Wort mit dir wechseln!“
    Mit schnellen Schritten geht er an uns vorbei, ohne uns noch einmal eines Blickes zu würdigen. Nachdem wir den ganzen Truppe noch einmal ein „Tschau!“ zugerufen haben, stürmen wir aus der Basis und machen uns auf den Weg in Richtung Schule. Unterwegs machen sich Kathrin und ich über Rhythmias neuen Spitznamen lustig. Besonders meine beste Freundin findet ihn gut, da Blondi sie immer wieder gerne „Cathy“ nennt. Immer noch.
    Aber nach diesem Tag hat Kathrin nun einen Spitznamen, den sie gegen sie verwenden kann.



    Kapitel 7 - Traumbesuch



    (KPV, Teil 4)


    Der Abendessen kam und ging schnell, und als Inge die Küche verließ, warf sie uns nur einen kurzen Blick zu. Die Türe schloss sei leise hinter sich, als würde sie uns nicht beim Lesen stören wollen. Ich bekam es allerdings mit, da meine Konzentration noch immer nicht so gut ist wie zuvor. Wie die Sonne unterging und die Küche außerhalb des Scheins unserer Leselampe immer dunkler wurde, nahm ich allerdings nur am Rande meines Bewusstseins wahr.
    Damit war es wohl sicher, dass wir diese Nacht wieder in unserem Lager verbringen können. Dieses Mal schaffe ich es jedoch, mein Buch wegzulegen, als ich merke, dass ich zu müde zum Lesen werde. Gähnend ziehe ich mir die Decke über die Schulter, schmiege mich näher an Bodos Arm und richte meinen Kopf so auf seiner Schulter, dass ich im Schatten des Leselampenlichts liege. Das Lager mit meinem besten Freund an meiner Seite könnte nicht bequemer sein als mein Bett oben im Schlafsaal. Die Beine näher an meinen Körper ziehend, schließe ich meine Augen und wegdämmere.
    Es kommt mir so vor, als würde ich direkt von der Küche in den Traum fallen. Der Traum, in dem ich meine Mutter einfach wiedersehen muss… Mit den Armen fuchtelnd lande ich auf etwas, das groß und flaumig ist. Auf dem Rücken liegend fahre ich mit den Händen hindurch. Was ist das? Zuckerwatte? Nein, das wäre wahrscheinlich klebrig, und nicht so flauschig. Langsam öffne ich die Augen und schaue mich um. Obwohl mein Untergrund nicht aus Zuckerwatte besteht, sieht er dennoch genauso aus. Tatsächlich befinde ich mich auf einer riesigen, schneeweißen Wolke.
    Um mich herum erkenne ich nur zwei Farben, blau und weiß. Offensichtlich hat dieser Traum als Hintergrund den Himmel angenommen. Während ich mich aufrichte, blicke ich mich genauer um. Ich habe keine Ahnung, wo das Licht herkommt, da ich die Sonne nicht entdecken kann. Anders als das letzte Mal trage ich heute ein kurzes, schwarzes Trägerkleid, das sich bis zu meinen Hüften eng an meinen Körperschmiegt und sich danach aufbauscht. Außerdem habe ich eine purpurne Leggings an, die aussieht, als hätte man es in ein Bad aus Sternen getaucht. Außerdem stecken meine Füße in hellweißen Ballerinas und um meinen Hals baumelt ein Goldkettchen mit einem ebenfalls goldenen Kreuz.
    Aber abgesehen von mir scheint ansonsten niemand hier zu sein. Also beschließe ich mich, einen kleinen Spaziergang zu machen und auf dem Weg nach Bodo oder meiner Mutter zu suchen. Nach dem ersten Schritt bemerke ich bereits, dass ich mich total leicht. Jedes Mal, wenn ich meine Füße hebe, federt mich die Wolke ein Stückchen in die Luft. Mit einem vorsichtigen Sprung komme ich ohne Probleme auf eine höhergelegene Wolke. Auch meine Landung erfolgt ohne Probleme.
    Ich sinke ein bisschen in den weichen Flaum ein und stolpere ein bisschen, bevor sich sicheren Halt finde. Und dann erkenne ich, am anderen Ende der Wolke, eine Person mit dunkelroten, verstrubbelten Haaren. Mir ist sofort klar, wer das ist. „Bodo!“, rufe ich ihm zu, da er mit dem Rücken zu mir steht. Sofort wirbelt er herum. Leichtfüßig hüpfe ich auf ihn zu. In der Mitte der Wolke treffen wir uns.
    „Hast du Mama schon gesehen?“, frage ich mit meiner klingelnden Stimme, die ich bereits aus dem letzten Traum kenne. Er schüttelt nur müde mit dem Kopf. „Falls sie, nachdem sie dieses Loch gestern verschluckt hat, überhaupt noch hier auftauchen kann“, meint er. „Ich habe im Gefühl, dass sie kommen wird“, antworte ich und das genannte Gefühl bringt meinen Magen zum Kribbeln.
    Im nächsten Moment dringt etwas an meine Ohren. Überrascht blinzle ich und Bodo wendet direkt seinen Blick in die Richtung, aus der das Geräusch oder die Stimme kam. „Kaum, dass wir hier sind, werden wir auch schon wieder gerufen“, brummelt er. „Wa-“, ich stocke, dann spreche ich weiter, „Du hast es verstanden? Ich hab die Stimme gerade einmal als Geräusch wahrgenommen?“
    Er zuckt ungerührt mit den Schultern und grinst frech. „Da sollte wohl jemand nicht mehr so laut Musik hören, was?“, zieht er mich auf. „Ts“, mache ich. „Ach, komm schon“, gluckst Keith, „Du weißt doch, dass das nicht ernst gemeint war. Also, gehen wir der Stimme nach. Garantiert wartet deine Mama schon und steht sich die Beine in den Bauch.“ Seine schokoladenfarbenen Augen blitzen belustigt, als ich ihn mit einem Seitenblick anschaue und meine Augenbraue gespielt überlegen hochziehe. Kichernd gebe ich ihm einen Stoß zur nächsten Wolke und er fliegt mehr als dass er stolpert.
    Drei Wolken weiter verstehe ich die Rufe endlich klar und deutlich, aber meine Mutter haben wir immer noch nicht gefunden. Stattdessen machen wir uns einen Spaß daraus, dass wir hier oben offensichtlich beinahe schwerelos sind, während wir von Wolke zu Wolke springen. Bis wir auf der vierten, bis jetzt am höchsten gelegenen ankommen und das „Beeil dich!“ verklingt. Eine Frau mit braunen, taillenlangen Haaren, die in unsere Richtung geweht werden, erwartet uns hier bereits.
    „Da seid ihr zwei ja wieder“, spricht sie mit ihrer singenden Stimme. Ein ehrliches, kleines Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, das ich sogleich erwidere. Bodo fragt: „Ähm… Bevor wir letzte Nacht unterbrochen wurden, wollten Sie uns doch noch etwas erzählen?“ „Ach, bitte, sag doch ‚du‘ zu mir“, meint meine Mutter und lächelt ihn ein bisschen breiter an, „Ich fühle mich ansonsten immer so alt, dabei altere ich gar nicht mehr. Immerhin bin ich bereits tot.
    Außerdem bist du der beste Freund meiner ältesten Tochter, die ich, gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester, meiner jüngsten, alleine auf der Welt zurückgelassen habe. Versprich‘ mir, dass du gut auf meine Kathrin aufpasst, auch wenn euch eine schwere Zeit bevorsteht. Nur zu zweit werdet ihr das durchstehen.“ In ihren Augen sehe ich Anspannung und höchste Konzentration. Erst durchbohrt sie meinen besten Freund mit ihnen, dann treffen sich unsere.
    Kathrin, mein großes Mädchen“, murmelt sie, „Das wird mein letzter Besuch sein, aber ich weiß mit Sicherheit, dass du alles schaffen wirst, solange du es nur wirklich willst. Deine Freunde“, abermals huschen ihre Augen kurz zu meinem besten Freund, dann zurück zu mir, „Werden dich unterstützen und dir dabei helfen, das Ziel zu erreichen, das nötig ist, um das unscheinbare Böse auszumerzen.“
    Bodo und ich werfen uns verwunderte Blicke zu, dann sagt er: „Aber… Sind sie, entschuldige, bist du dir da ganz sicher?“, fragt er mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck. Mama nickte. „Ich weiß es einfach. Was es das angeht, könnt‘ ihr mir vertrauen“, antwortete sie, „Ihr müsst mir einfach vertrauen. Also, auf Wiedersehen, mein großes Mädchen. Du wirst mir sehr fehlen… Und sag auch Lucy, dass ich sie lieb habe, ja?“
    Ihre Augen sind erfüllt von Trauer, aber die Tränen kann sie zurückhalten. Es passierte das Gleiche wie damals an meinem fünften Geburtstag. Genau wie damals löst sie sich langsam, aber sicher in Luft auf, genau wie damals zerreißt mir der Anblick das Herz. Genau wie damals bleibt mir im ersten Moment die Luft weg und ich muss erst mal nach ihr schnappen, um meine Lungen mit ihr zu füllen.
    Allerdings steht dieses Mal anstelle meiner ebenfalls den Tränen nahen Schwester mein bester Freund. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich gleich viel besser und stärker als beim letzten Mal. Trotzdem reicht die Szene vor meinen Augen aus, um das Gefühl der Einsamkeit, das Gefühl, verlassen worden zu sein in mir auszulösen. Die Welle, die mich in die Tiefe zieht, bleibt aus.
    Ich hole tief Luft und seufze: „Das war wohl endgültig das letzte Mal, dass sie sich von mir verabschiedet hat. Wirklich das letzte Mal, dass ich sie leibhaftig gesehen habe, auch, wenn das nur in einem Traum passiert ist…“ Obwohl ich versuche, sie mir zu verkneifen, laufen mir Tränen über die Wangen, aber sie schaffen nicht die Hälfte ihres Weges bis runter zu meinem Kinn, da Bodo sie davor wegwischt.
    Das nächste, was ich spüre, ist, dass er mich an sich zieht und mich fest umarmt. Vorsichtig lege ich ihm meine Arme um die Mitte und vergrabe meine Kopf in der Kehle seines Halses. Leider tröstet mich die Umarmung anfangs überhaupt nicht. Stattdessen muss ich daran denken, wie mich Mama früher immer aufgemuntert und in den Arm genommen hat, was dazu führt, dass aus den wenigen Tränen eine ganze Flut wird. Von Schluchzern geschüttelt versuche ich, die Erinnerung beiseite zu schieben und mich stattdessen auf die Gegenwart zu konzentrieren.
    Die Gegenwart… Die für mich momentan aus einem Traum bestand, in dem ich mich gemeinsam mit Bodo befand. Aber nicht nur das. Mein Gehirn brauche eine Weile, um die Botschaft richtig an mein Gehirn zu verschicken, dass ich mich gerade in seinen Armen befand und mich bei ihm ausheulte. Ausnahmsweise kann ich es mir sogar leisten, rot zu werden, ohne befürchten zu müssen, dass mich irgendjemand sieht.
    Es braucht einige Zeit, bis ich mich wieder beruhigt habe und auch die Hitze aus meinem Gesicht verschwunden ist. Rot ist es trotzdem, jedoch mehr von den Tränen als von der Nähe zu meinem besten Freund. Selbst, wenn ich deshalb noch Farbe im Gesicht haben würde, würde es nicht auffallen. „Tut mir leid“, murmele ich Bodo zu, während ich mir beide Augen reibe und schniefe.
    „Kein Problem… Wie deine Mama bereits gesagt hat, deine Freunde werden immer für dich da sein. Und ich als bester Freund gehöre jawohl auch in die Kategorie ‚Freunde‘, oder?“, lacht er, wobei er sein Gesicht in meinen Zöpfen vergräbt. „Hast schon Recht“, sage ich ein bisschen munterer als zuvor. So sehr wie das letzte Mal wird Mamas endgültiges Verschwinden mich dieses Mal nicht zerreißen.
    „Also, nun, da wir alleine in diesem seltsamen Traum sind… Was machen wir jetzt?“, fragt Bodo. „Uns austoben“, entgegne ich sofort, ihn an den Schultern packend und umdrehend, „Was sonst?“ Ich wollte so schnell wie möglich über die Szene von gerade eben hinwegkommen, weshalb ich mich kichernd meinen Plan zuwende. „Und wie stellst du dir das vor?“ „Ganz einfach“, erkläre ich, „Wir träumen, wir sind fast schwerelos und wir befinden uns ganz weit oben irgendwo im Himmel. Also, was hältst du von Bungee Jumping ohne Seil?“
    Meine Umgebung gefällt mir so sehr, dass meine Stimme sich in ein hübsches, kleines Trällern verwandelt, das, zugegeben, ein bisschen nach Musik klingt. Da Bodo sich nicht wehrt, fällt es mir nicht allzu schwer, ihn bis zum Wolkenrand zu schieben, wo wir erst einmal einen Blick nach unten werfen. Tatsächlich befinden wir uns soweit über der Erdoberfläche, dass wir uns nicht einmal mehr sicher sind, ob in diesem Traum überhaupt eine existiert. Alles, was wir erkennen können, sind weitere, flaumig aussehende Wolken.
    Also im echten Leben würde ich garantiert ablehnen, aber momentan weiß ich nicht, wovor ich mich fürchten sollte. Das ist immerhin eigentlich nur ein Traum“, lacht er und beugt sich noch ein wenig weiter vor. „Also springen wir?“ „Klar“, erwidert er, „Bungee Jumping irgendwo mitten im Himmel, ohne Seil, ohne Ende.“ Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, hat er bereits meine Hand ergriffen, springt und zieht mich mit sich in die Tiefe.
    Der Fall löst das Gefühl der Leichtigkeit in meinem Magen aus, ähnlich dem, das die Schmetterlinge in meinem Bauch verursachen, wenn ich meinem besten Freund mal wieder zu nahe bin oder an den unmöglichen Spagetti Kuss denke. Ohne es verhindern zu können, reißt mich die seltsamerweise doch vorhandene Schwerkraft in die Tiefe, langsamer zwar, als es normal gewesen wäre, aber es war mir schnell genug.
    Leider dauerte es nicht allzu lange, bis uns eine Zuckerwattenwolke dazwischen kommt. Und in dem Moment, in dem ich rücklings darauf lande, federnd und weich, schließe ich kurz meine Augen und befinde mich im nächsten Moment bereits wieder in der Küche. Gähnend und streckend betrachte ich das Spiegelbild mir gegenüber, das ich bereits gestern, nachdem ich aufgewacht war, angeschaut habe. Dieses Mal sehe ich allerdings nicht mehr als unsere Köpfe, da wir bis zum Kinn hin zugedeckt sind.
    Natürlich zeigt das nicht nur das Spiegelbild im Ofen, auch mein Körper fühlt sich wohlig warm an, in der kuschligen Ecke mit Bodo. Das hilft mir nicht wirklich dabei, wacher zu werden, im Gegenteil! Die Wärme lullt mich derartig ein, dass mir beinahe sofort wieder die Augen zufallen. Um die Müdigkeit abzuschütteln, fange ich an, meine Gliedmaßen leicht zu strecken und ein bisschen zu verbiegen.
    Meine Zehen bewegen sich unruhig unter der Decke. Diese rutscht schließlich herunter und gibt meine Füße preis. Weiter gehe ich zu meinen Beinen, die ich komplett anspanne und, so gut es geht, ausstrecke, gehe dann über zu meinen Oberkörper und den Schultern, indem ich mich anspanne und leicht drehe, und komme schließlich bei meinen Armen an. Vielleicht hätte ich besser mit ihnen anfangen sollen. Dann wäre mir nämlich früher aufgefallen, dass ich mich mit ihnen fest an Bodos Arm geschmiegt habe.
    He, du Klammeräffchen“, begrüßt er mich, etwas heiser lachend. Wohl hat ihm der Schlaf etwas von seiner Stimme geklaut, und das muss er sich jetzt erst mit der Zeit wieder holen. Aber anscheinend hat er meinen Klammergriff bereits gemerkt. Ich blinzele meinen Kopf und blinzele ihm unschuldig entgegen. Dazu setze ich ein müdes, schwaches Lächeln auf. Er grinst zurück und verdreht mit seiner freien Hand die Zöpfe.
    „Ach, wer ist denn da endlich mal aufgewacht?“, dringt die Stimme einer weiteren Stimme an unsere Ohren und wir drehen die Köpfe in Richtung Türe. Natürlich gibt es nur eine Person, die wir um diese Uhrzeit in der Küche antreffen. Inge steht neben der Spüle, irgendetwas abspülend. „Oh, Inge“, gähne ich und schließe die Augen halb. Wenn ich daran denke, dass ich morgen um diese Uhrzeit mich wahrscheinlich schon wieder auf den Unterricht freuen kann… Dann wird mir direkt warm ums Herz. Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich die Ironie liebe?
    „Wie viel Uhr haben wir bereits?“, fragt Bodo Inge, und sich selbst. Die Augen zusammenkneifend, blickt er sich in der Küche um, als wolle er anhand des Lichtes, das durch das Fenster nach drinnen fiel, herausfinde, wie spät es bereits ist. Die Antwort ist leicht erschreckend, da es so sich so unnatürlich anhört. Wie kann es sein, dass wir bis beinahe zehn Uhr im Bett liegen? Im Normalfall ist es spätestens sieben Uhr, wenn wir aufwachen.
    „Uähh“, entfährt es mir unwillkürlich. Mein Körper will mir nur halb gehorchen. Einerseits will ich aufstehen, mich bewegen und wacher werden. Den ganzen Tag, auch, wenn es ein Sonntag ist, lahm herumsitzen und nichts tun, das ist einfach nichts für mich. Noch dazu sitze ich einfach nur verschlafen, mit halb offenen Augen in der Küche herum. Da bin ich direkt froh darüber, dass man von der Kantine aus nicht in unser Lager blicken kann.
    Deshalb finde ich es auch nicht allzu schlimm, wenn ich es jetzt doch nicht schaffe, aufzustehen. Weil es einfach viel zu warm und gemütlich ist. Kuschlig, und bequem. Diese Gründe reichen, um meinen vom Schlaf immer noch nebligen Kopf auf diese Seite zu ziehen. Also lasse ich meinen Kopf sinken, die Lider fallen und mich von der Wärme einlullen. Laut Inge ist das Frühstück ohnehin schon vorbei, weshalb es sich nicht lohnt, aufzustehen, nur, um sich dann zurückzusetzen und darauf zu warten, dass wir Mittagessen machen dürfen.
    „Hast du keinen Hunger?“, fragt mich mein bester Freund dennoch. Gähnend öffne ich die Augen und schaue ihn an. Leider stimmt es wirklich. Mein Magen gibt laut knurrend die richtige Antwort. Schade. Dabei war es gerade wirklich schön. „Eigentlich schon“, setze ich meinem Bauch hinterher, mir die Augen reibend. „Ach, irgendwann müssen wir ohnehin aufstehen. Also, komm‘, ich mach‘ uns etwas“, haucht er mir zu.
    Dass dabei sein viel zu warmer Atem an meinem Oh r und meiner Wange zu spüren ist, ist für mich nicht sehr hilfreich. Mein Gesicht wird abermals puterrot. „Okay…“, ist das einzige, das ich kleinlaut murmeln kann. Zuerst erhebt sich Bodo, ich lasse mir noch etwas Zeit, damit die Röte wenigstens einigermaßen verschwinden kann. Stattdessen müsste es jetzt nur noch so aussehen, als hätte ich aufgrund der Wärme schöne Apfelbäckchen bekommen.
    Kaum dass ich auf meinen wackeligen Beinen stehe, spüre ich bereits, dass sich ein weiterer Schwindelanfall anbahnt. Ohne es wirklich zu wollen, greife ich nach Bodos Arm, der sich zum Glück nicht weiter weg vom Schlafplatz bewegt hat. Leicht keuchend kneife ich die Augen zusammen. Bis ich merke, dass das Schwindelgefühl nachlässt. Mein Magen beschwert sich grummelnd.
    „Ach, sei doch still“, schimpfe ich zurück. Schön. Jetzt rede ich sogar schon mit meinem Bauch. Mein bester Freund neben mir lacht nur und fragt mich dabei: „Also, meine tägliche Frage: Was willst du heute zum Essen haben?“ Ich knuffe ihn leicht in die Seite. „Machen wir doch gleich eine Mischung aus Mittagessen und Frühstück, da wir schon recht spät aufgestanden sind. Wenn ich jetzt frühstücke, dann passt nämlich später nichts mehr in mich rein. Was hältst du von einem großen Omelett mit Schinken und als Nachspeise eine Schüssel Obstsalat für jeden?
    Natürlich nur, solange du das Omelett und den Schinken macht. Ich verstehe irgendwie nicht, wie du es schaffst, dass es so fantastisch schmeckt und gleichzeitig so aussieht, als hätte es ein Chefkoch gemacht. Ganz ehrlich, warum willst du das nicht auch mal beruflich machen? Als Koch in einer Küche stehen… Also, ich würde jeden Tag in das Restaurant kommen, nur um das zu essen, was du machst.“
    Ich tänzele ihm voran in die Speisekammer, wo wir alle Zutaten holen. Während ich die Eier aus der Schachtel abzähle, beantwortet Bodo endlich meine Frage: „Warum ich kein Koch werden will, fragst du? Nun, erstens glaube ich kaum, dass jeder so verrückt ist nach dem, was ich koche, wie du. Das verstehe ich übrigens nicht, wie du das nur so lecker finden kannst. Außerdem glaube ich, dass ich mit Pokémon Ranger sein einfach besser leben kann. Da fühle ich mich wirklich nach einem Tag so, als hätte ich etwas erreicht. Mägen zu füllen kommt da einfach nicht ran…“



    (BPV)


    Als das Essen fertig ist, setzen wir uns wieder auf eine der Arbeitsplatten. Meine vielen Seitenblicke bemerkt Kathrin nicht. Ganz ehrlich, ich weiß wirklich nicht, was sie an dem Essen, das ich mache, findet. „Und?“, frage ich sie, als sie den ersten Bissen genommen hat. Sie grinst und antwortet: „Lecker, wie immer“, bevor sie sich die nächste kleine Portion in den Mund steckt und zufrieden kaut.
    Nach dem Frühstück taumeln wir zurück zu unserem Lager, um uns, bis abends, unseren restlichen Büchern zu widmen. Kathrin fängt mit dem gleichen an, an dem sie gestern bereits einige Zeit saß. Es ist ungewohnt, sie so direkt neben mir zu haben, während ich lese. Bis jetzt habe ich immer im Gemeinschaftsraum oder, ganz ohne sie, im Schlafsaal gelesen. Noch dazu kommt, dass sie sich aufführen kann wie eine Schmusekatze. Und dieser Zwischenfall gestern beim Mittagessen. Den Gedanken daran kann ich nicht abschütteln.
    Egal, wie sehr ich es versuche. Das Gefühl und die Gedanken an den Kuss selbst kann ich einfach nicht verdrängen. Dieses Kribbeln in meiner Magengegend, dieses unvergessliche Höhengefühl, das mich durchflutet hat… Unerwartete Reaktionen, bei denen ich nie gedacht hätte, dass sie mich so überrumpeln können. Ich verwerfe den Gedanken an den Moment, in dem sich unsere Lippen berührten.
    Es fällt mir sehr schwer, bis zu dem Moment, als wir nach dem Abendessen hochgehen in den Gemeinschaftsraum. Dort werden wir bereits von Rhythmia und Primo erwartet. Naja, eigentlich wurde ich eher von Primo, und Rhythmia ignorierte mich vollkommen. Stattdessen wandte sie sich sofort Kathrin zu. Sie schleifte sie in den Mädchenschlafsaal und ließ mich alleine mit ihrem besten Freund zurück.
    „Ach, Gott, was ist denn mit Blondi los?“, sage ich überrascht. Ob sie vielleicht meine Gedanken lesen kann und Kathrin jetzt wegen des Kusses ausquetschen will? Wohl kaum. Wenn das wirklich so wäre, hätte sie mich davor mit giftigen Blicken umgebracht. „Keine Ahnung, die ist schon den ganzen Tag so drauf“, erwidert Primo, „Und was ist mit dir? Dein Wochenende mit Kathrin in der Küche genossen?“ Ich werfe ihm einen kurzen, nichts preisgebenden Seitenblick zu, antworte aber nicht auf die Frage.

    Sou, und jetzt kommt der dritte Teil^^
    @ Poke-girl:
    So, jetzt hab ich ihn endlich on gestellt, freust dich doch schon länger drauf^^

    Kapitel 7 - Traumbesuch



    (KPV, Teil 3, oder auch „Spagetti Bolognese“)


    Der Vormittag bis zum Mittagessen verläuft sehr ruhig. Als Inge in die Küche kommt, um das Frühstück vorzubereiten und sieht, wie wir immer noch an der gleichen Stelle sitzen, wo sie uns gestern zurückgelassen hat, erschreckt sie sich. Wahrscheinlich hatte sie angenommen, dass wir irgendwann doch in unsere Schlafsäle gegangen sind. Dass wir hier bleiben, hatte sie wohl ausgeschlossen.
    „Wart ihr etwa die ganze Nacht hier und habt gelesen?!“, fragt sie und stellt zwei Papiertaschen mit Einkäufen auf den Boden neben sich. Wir schütteln den Kopf und erklären ihr, dass wir zwischendurch eingeschlafen sind. Von dem Traum erwähnen wir kein Wort. Ich meine, ein bisschen seltsam ist das Ganze schon. Mich wundert es, dass es Bodo so gelassen hinnimmt, als wäre es nicht weiter unnormal.
    Einen Seitenblick auf ihn werfend, stelle ich fest, dass er doch so aussieht, als würde ihm etwas Gedanken machen. Das kann nur der Traum sein, denn viel anderes ist in der letzten Nacht nicht passiert, und heute in der Früh ebenfalls nicht. Trotzdem ist seine Stirn gerunzelt und eine Augenbraue unschlüssig gehoben. Da Inge da war, wage ich es nicht, weiter wegen des Traumes nachzufragen und werfe der Köchin stattdessen einen fragenden Blick zu.
    Ihre Augen sind ebenfalls auf uns geheftet und auf ihrem Gesicht breitet sich ein unverkennbar breites Lächeln aus. Während sie die Tüten hochhebt und den Inhalt auf den Arbeitsplatten verteilt, bleibt das Lächeln unverändert auf ihrem Gesicht hängen. Als wir schließlich aufstehen wollen, um ihr zu helfen, ruft sie uns zu: „Ach, nein, bleibt doch liegen. Weil heute Samstag ist, werden sich die Schüler Zeit lassen, bevor sie aufstehen. Also brauche ich mich nicht beeilen. Außerdem will ich euch gerade nicht auseinander reißen.“
    „Ach, quatsch“, murmelt Bodo laut genug, dass sie ihn ebenfalls noch hören kann, „Natürlich helfen wir dir! Immerhin ist das der Grund, warum wir überhaupt hier sein dürfen, nicht wahr, Kathrin?“ Schnell erhebt er sich. Als ich genauso schnell aufstehe, wird mir plötzlich schwarz vor Augen und ich fange an, zu schwanken. Bevor ich allerdings den Boden unter mir spüren kann, merke ich, wie mich zwei warme Arme umschlingen.
    Es braucht eine Weile, bis ich wieder sehen kann. Kaum, dass ich etwas erkenne, merke ich, wer mich gerade eben davor bewahrt hat, den Boden zu küssen. Mein Gesicht läuft, wohl vor lauter Verwunderung, leicht rot an, als ich fühle, dass ich direkt an Bodos Brust gedrückt bin und sich seine Arme, weil er mich an sich gezogen hat, um meinen Oberkörper geschlungen sind. Im ersten Moment sind wir beide wir erstarrt.
    Dann höre ich Bodos Stimme leise an meinem rechten Ohr: „Geht’s dir gut? Warum bist du umgekippt?“ „Ja, mir geht’s gut“, widerspreche ich, „Das ist ganz normal, dass mir in der Früh schwarz vor Augen wird, weißt du? Das hat etwas mit dem Kreislauf zu tun, nichts Ungewöhnliches, wirklich!“ Er lockert seinen Griff um mich und drückt mich ein wenig von sich weg, damit er mir prüfend in die Augen blicken kann. Offensichtlich glaubt er mir nicht.
    „Ich meine das ernst, Bodo“, sage ich, allerdings fange ich dabei an, zu kichern, „Trotzdem, danke, dass du mich aufgefangen hast. Eigentlich hatte ich nämlich wirklich keine Lust darauf, dem Boden eine Umarmung zu schenken, da bist du mir um einiges lieber.“ Noch einmal ziehe ich ihn zu mir und drücke ihn fest, dann lasse ich ihn los und hüpfe fröhlich zu Inge. Mein Magen und mein Herz fühlen sich seltsam leicht und flatterhaft an. Aber wahrscheinlich kommt das noch vom Sturz und dem Adrenalinstoß.
    Wir lassen uns zu dritt viel Zeit, um das Frühstück vorzubereiten und stellen schließlich fest, dass wir trotzdem um einiges zu früh fertig geworden sind. Die Schüler stehen erst viel später auf, als Bodo und ich schon wieder nebeneinander in unserem Lager sitzen und lesen. Danach verlassen die meisten die Kantine und kurze Zeit später vernehmen wir die Stimmen vieler bleiben dennoch weiterhin in der kühlen Küche.
    Nach einer Weile müssen wir jedoch feststellen, dass unser Lesevorrat zur Neige gegangen ist und wir besser Nachschlag holen gehen sollten. Gerade, als wir uns nach einem kurzen Aufenthalt in der Bibliothek beendet hatten, erfüllt ein spitzer Schrei den Flur und ein blondes Mädchen stürmt die Treppen hinab, gefolgt von ihrem braunhaarigen besten Freund. Rhythmia, wohlgemerkt eine aufgekratzte, wissbegierige Rhythmia. Sie hatte ihren typischen Gesichtsausdruck aufgelegt, als würde sie gleich alles aus uns herauspressen wollen.
    „Du bist gestern nicht mehr in den Schlafsaal gekommen und laut Primo ist auch Bodo nicht mehr im Jungenschlafsaal aufgetaucht! Wo wart ihr die ganze Zeit?!“, quietscht sie uns entgegen. Mit einem Affentempo rast sie auf mich zu. Im letzten Moment mache ich einen Schritt zur Seite, sie zischt an mir vorbei und fängt sich gerade noch so ein paar Meter vor der Wand gegenüber der Treppe.
    Ähm… Nun ja, es war so gemütlich, dass ich beim Lesen eingepennt bin und nicht wenig später ist Bodo ebenfalls eingeschlafen“, antworte ich und stelle mich sicherheitshalber näher an meinen besten Freund. Rhythmia macht mir in ihrem „Ich-muss-alles-wissen-denn-ich-bin-die-Klatschtante“-Zustand irgendwie Angst. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht auf zwei auf einmal losgeht.
    „Du hast mir immer noch nicht gesagt, wo!“, erwidert sie und stemmt ihre Hände in die Hüften. Ich schaue mich um. Heute scheint es wohl nicht zu klappen, ein Überraschungsmanöver zu starten, um unbemerkt in der Küche zu verschwinden. „In der Küche“, brummele ich. Ein Grinsen schleicht sich auf ihr Gesicht. „Wie können denn Arbeitsplatten bitteschön gemütlich sein?“ fragt sie sofort. Hartnäckig wie eh und je.
    „Wir pennen doch nicht auf den Arbeitsplatten“, widerspricht Bodo in einem Tonfall, als wolle er die Blondine als Dummchen darstellen, „Schon mal was von einer Leseecke gehört? So mit Kissen und Decken?“ Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen, als sie zu einem scharfzüngigen Konterschlag ansetzt, aber sie wird von ihrem besten Freund sanft unterbrochen. „Hör auf, Rhythmia. Wir wollten doch eigentlich rausgehen, oder? Also, komm, die zwei freuen sich sicherlich schon auf ihre Leseecke und ihre Bücher“, meint er ruhig.
    Die Wut aus ihrem Gesicht wich ihrem freundlichen Lächeln. Fröhlich drehte sie sich um und verschwand im nächsten Flur, zusammen mit Primo. Während ich ihr hinterherstarre, atme ich einmal tief ein und aus. Ich wusste ja schon immer, dass Primo der einzige ist, der Rhythmia von ihren Sticheleien abbringen kann, es jedoch meistens einfach nicht macht. Die Eifersuchtsattacken seiner besten Freundin scheinen ihm Spaß zu machen.
    Das macht er selten“, murmelt mein bester Freund. „Ja, das kannst du aber laut sagen“, füge ich seufzend hinzu und als wir die Treppen hochsteigen, frage ich, „Und? Hast du noch ein paar nützliche Bücher gefunden?“ „Jepp, vier Stück, auch wenn sie nicht sonderlich vielsagend aussehen und der Klappentext klingt ebenfalls eher unpassend. Aber meistens findet man eben in genau solchen Büchern das, was man sucht“, antwortet er, seine prall gefüllte Tasche herumschlenkernd.
    Als wir die Küche erreicht haben, merken wir, dass Inge wieder da ist. Sie hält mir einen Briefumschlag entgegen. „Von deiner Schwester“, erklärt sie. Natürlich, alle Briefe, die ich erhalte, sind von Lucy. Freudestrahlend nehme ich ihn ihr ab und tänzle leichtfüßig zu unserem Lager. Dort reiße ich den Umschlag auf, um das Blatt herauszuziehen, das dieses Mal mit vielen kleinen, supersüßen Babyevoli, mein Lieblingspokémon, verziert ist. Bodo setzt sich neben mich und liest mit.


    Hallöchen große Schwester“, beginnt Lucy,
    Danke für deinen letzten Brief, er war sehr amüsant. Ich wusste doch, dass es eine gute Idee sein wird, dir das Furzkissen zu schicken. Der Scherz ist old, but gold. Heute habe ich nichts mitgeschickt, aber da bei mir demnächst eine neue Bestellung meines Lieblingsscherzartikelladens ankommt, kannst du dich das nächste Mal auf ein Paket freuen.
    Was sagst du zu den Evoli auf dem Blatt? Sind sie nicht absolut hinreißend? Ich weiß doch, dass du kurz davor stehst, zu quietschen, weil du sie so unwiderstehlich findest. Es ist eben dein absolutes Lieblingspokémon… Wir haben es und seine verschiedenen Weiterentwicklungen übrigens vorgestern in der Schule durchgenommen. Insgesamt sieben Entwicklungen, noch dazu alle so süß… Kein Wunder, dass es allgemein so beliebt ist.
    Übrigens hat mir Tante Ruth heute verraten, wie das Dorf heißt, in das wir ziehen werden. Sonderlich verwundert hat es mich nicht, als sie verkündet hat, dass es Schikolingen sein wird. Um ehrlich zu sein muss ich jedes Mal an Schokolade denken, wenn ich ‚Schikolingen‘ höre. Dann läuft mir sofort das Wasser im Munde zusammen…
    Wir haben übrigens auch Maike, Lucia und Misty die Adresse von unserem neuen Haus gegeben, damit sie uns in Zukunft immer noch besuchen können. Sie waren erst vor kurzem alle drei bei uns, sogar Misty, die sich selten von ihrer Arbeit als Arenaleiterin loseisen kann. Hast du etwa vergessen, ihnen zu erzählen, dass du auf die Ranger Schule gehst? Sie waren nämlich alle drei fest davon überzeugt, dass du daheim sein müsstest! Dein Mitteilungsdran hat wohl wieder versagt, Schwesterherz.
    Morgen dürfen wir unsere Pokémon mit in die Schule nehmen und ein paar Kämpfe austragen. Darauf freue ich mich schon, denn Lala hat eine neue Attacke gelernt: Sondersensor! Und wer kommt schon darauf, dass ein süßes, kleines Feuerpokémon wie meine Lala eine Psychoattacke beherrscht? Eben, keiner! Erst recht niemand aus meiner Klasse!
    Und dass ich Lala mitnehme, ich doch klar, oder?


    Ganz viele liebe Grüße, dein Schwesterchen Lucy.“



    Wow, bald lebst du wirklich in Almia“, meint Bodo bewundernd. Er ist ungefähr gleichzeitig mit dem Lesen fertig geworden wie ich. Jedes Mal, wenn ein Brief von Lucy ankommt, liest er mit. Ich bin mir sicher, dass er sie mag, aber ich bin mir sicher, wenn er je das Biest hinter den freundlichen Briefen an mich kennenlernt, wird sich seine Meinung über sie ändern. Bis jetzt ist sie die nette kleine Schwester seiner besten Freundin, nicht das Streiche spielende Monster, das bereits alle Nachbarn, Verwandte und Bekannte auf den Arm genommen hat.
    Auch ihn wird sie nicht verschonen. „Schon, und dann wirst du Lucy zum ersten Mal persönlich treffen. Bereite dich besser jetzt schon darauf vor, dass sie bereits jetzt einen Streich geplant hat, mit dem sie dich drankriegen wird. Das macht sie mit jedem, außer mit mir. Ich wette, Maike, Lucia und Misty waren ebenfalls bei dem Besuch nicht sicher vor ihr“, antworte ich und ziehe mir ein Buch aus meiner Tasche.
    Er sagt nichts mehr dazu und vertieft sich stattdessen, genau wie ich, in einem der Bücher aus der Bibliothek. Das Lesen dauert so lange an, bis mein Magen sich bemerkbar macht. Mit einem lauten, unüberhörbaren Knurren. Bodo gluckst leise in sich hinein. „Na?“, sagt er lachend, „Hat da wohl jemand Hunger?“ Ein weiteres Knurren meines Magens beantwortet seine Frage.
    „Na, was wünscht Herr Magen zum Essen?“, scherzt Bodo weiter. Ich lege eine Hand auf meinen Bauch, verziehe mein Gesicht und meine: „Er beschwert sich, dass es gestern bereits Spiegeleier gab und befiehlt deshalb, dass wir in der Speisekammer nach etwas anderen schauen sollen.“ „Wie der Herr wünscht“, lacht Bodo und zieht mich in den kleinen Nebenraum.
    Unschlüssig lasse ich meinen Blick durch die Regale schweifen und öffne gedankenverloren den Kühlschrank, in der Hoffnung, mir würde etwas Gutes einfallen. „Was hältst du von…. Ähm…“, fange ich an, den Inhalt des Kühlschranks untersuchend. Mein bester Freund findet jedoch schneller etwas als ich. „Spagetti Bolognese?“, schlägt er vor und greift nach einer Packung mit den langen Nudeln aus Almia. „Mit extra viel Käse“, setze ich hinterher, während ich mir den quadratischen Scheiblettenkäse schnappe.
    Eine halbe Stunde später liegen ein Topf und eine Pfanne bei dem übrigen, dreckigen Geschirr vom Mittagessen und Bodo und ich sitzen mit den Spagetti mit der Fleischsoße in einer Schüssel auf den Arbeitsplatten und essen. „Kaum zu glauben, wie lang diese Nudeln sind! Die müssen wir unbedingt mal messen!“, staunt Bodo. Er verseucht gerade, eine Nudel aufzusaugen, und ich beobachte ihn dabei interessiert. Es braucht seine Zeit, sieht aber auch sehr lustig aus, so dass ich anfange, zu kichern.
    He, das ist nicht so einfach“, knurrt er gespielt beleidigt. Also hole ich mir mit meiner Gabel eine neue Nudel, um es selbst auszuprobieren. Ich brauche mindestens genauso lange wie er, der sich bereits die nächste geschnappt hat. „Man, das ist wirklich schwer“, lache ich, „Hey, was hältst du davon, wenn wir einen Wettbewerb draus machen. Wir fangen gleichzeitig an, und der, der als erstes fertig ist, hat gewonnen!“
    Durch den Wettkampf dauert das Essen noch länger als normalerweise, aber dafür haben wir viel Spaß. Oftmals muss ich mir einen Lachanfall verkneifen, um weitermachen zu können. Wir sind noch nicht sonderlich weit, da öffnet sich die Türe und Inge betritt die Küche. „Aha, ihr zwei, was macht ihr denn da?“, fragt sie grinsend, als sie uns sieht. „Hmmmm“, mache ich und deute auf die Nudel, die mir aus dem Mund hängt.
    „Ja ja, ich will euch auch gar nicht stören!“, ruft sie uns zu, bevor sie an ein paar der Besteckschubladen geht und dort irgendetwas sucht. „He, ich bin fertig!“ Bodo stupst mich an, damit ich endlich merke, dass er diesen Wettbewerb gewonnen hat. „Okay“, sage ich, als ich fertig bin, „Dann steht es jetzt 24 zu 19 für dich… Machen wir weiter!“ Bodo nickt und hat schon die nächste Nudel am Start.
    Inge läuft an uns vorbei in Richtung Ausgabe und ich folge ihr mit den Augen. Was sie wohl sucht? Ich bin so in Gedanken darum, was sie denn in haben will, dass ich gar nicht bemerke, dass die Nudel nicht nach unten hängt, sondern sich langsam hebt und meinen Kopf in Bodos Richtung zurückdreht. Geistesabwesend und völlig automatisch macht er das, ich bemerke es gar nicht.
    Die Nudel wird immer kürzer, der Abstand immer kleiner… Erst, als es bereits zu spät ist, nehme ich Notiz davon. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Bodos weiche Lippen bereits auf den meinen. In den ersten Momenten reagiert keiner von uns beiden. Ich fühle nur, wie mein Herz schmerzhaft wild gegen meinen Brustkorb hämmert und das Gefühl der Leichtigkeit, das ich heute in der Früh bereits im Bauch hatte, in meinen Magen zurückkehrt.
    Irgendetwas flattert dort drinnen heftig gegen meine Innenseite, aber ich nehme es nicht als Schmerz war. Das Blut steigt mir ins Gesicht und bringt es dazu, rot zu werden. Schließlich spüre ich noch, wie Bodo die Nudel, die unsere Lippen zusammengeführt hat, komplett zu sich zieht und dann zucken wir auseinander, in entgegengesetzte Richtungen starrend. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um zu verhindern, keuchend nach Luft zu holen. Jetzt fällt mir auf, dass ich vergessen habe, zu atmen, während des… Kusses…
    Ausgelassen springt mein Herz mir bis in die Kehle, selbst, als ich endlich wieder normal atmen kann. Seltsamerweise werde ich immer und immer wieder rot, wenn ich daran denke, was gerade eben passiert ist. Dass ich meinen besten Freund geküsst habe. Ausversehen, aber immerhin ist es wirklich geschehen. Mit meiner Zunge fahre ich mir über die Lippen, nur um auf Nummer Sicher zu gehen, dass das gerade eben keine Halluzination war.
    Natürlich war es keine. Neben dem Geschmack nach der Fleischsoße schmecke ich ebenfalls den seinen, seltsam süßen, der bereits bei dem Kuss an seinen Lippen hing. Der beste Beweis, dass es keine Einbildung war. Ein leises Hüsteln, fast wie ein unterdrücktes Kichern, kommt aus der Richtung, in der ich Inge das letzte Mal stehen gesehen habe. In den fünf Sekunden, in denen wir nichts sagen und die mir vorkommen wie zehn Minuten, nimmt mein Puls nicht ab.
    Nach dem Hüsteln ist es erst einmal still, bis ein leises Glucksen an meine Ohren dringt. Bodo flüstert mir leise zu: „Jetzt bin ich mir doch irgendwie vorgekommen wie bei ‚Susi & Strolch‘…“ Ich stimme zögernd in sein Lachen ein, das schon immer anstecken gewesen ist. „Was… Was ist denn so lustig?“, höre ich Inge fragen. Als ich mich zu ihr umdrehe, merke ich, dass sie mit dem Rücken zu uns steht und in einem Regal ein paar Töpfe beiseiteschiebt „Nichts“, werfen Bodo und ich etwas zu schnell ein. Es scheint, als hätten wir uns stumm und ohne Diskussion darauf geeinigt, ihr nichts von dem Kuss zu erzählen.
    Ach so, ihr fangt neuerdings aus heiterem Himmel an, einen Lachanfall zu bekommen, ohne, dass ihr zuvor auch nur ein Wort miteinander gesprochen habt oder irgendetwas passiert ist?“, leichter Sarkasmus vermischt sich in die Frage unserer Hausmeistern und sie betont das ‚irgendetwas passiert‘ ein wenig stärker als den Rest. Bilde ich mir das nur ein, oder will sie, dass wir mit ihr über den Vorfall sprechen? Hätte sie den Kuss etwa doch gesehen?!
    Wenn ja, dann sollte sie ihn sich besser aus dem Kopf schlagen. Immerhin sind Bodo und ich nicht mehr als beste Freunde und ich empfinde auch nicht mehr für ihn… Oder? Mein Herz schlägt einen unerwarteten Salto, als ich erneut an den Kuss denke und ich muss schlucken. „Ja, Inge“; antworte ich deshalb, „Genauso ist es. Ist in, weißt du das denn nicht?“ Mit meiner Gabel angele ich mir eine neue Nudel und drehe sie zwischen den Zinken des Besteckes auf.
    „Wie viel steht es jetzt?“, fragt Bodo. Er stochert unentschlossen in dem Essen herum. Ich versuche, mein immer noch Karussell fahrendes Gehirn anzutreiben. „Ähm, ich glaube, das gerade eben war ein Unentschieden, also bleibt es bei 24 zu 19 für dich. Du liegst weiterhin in Führung.“ Ich verziehe meine Lippen zu einem Schmollmund und tue so, als wäre ich beleidigt. „Du gewinnst zu oft.“
    Er spielt mein kleines Spielchen mit, legt mir einen Arm um die Schulter und sagt: „Dann streng‘ dich mal mehr an! Wir haben noch genug Spagetti übrig…“ Mein Herz macht einen erneuten Hüpfer. „Stimmt“, sage ich, eine Oktave höher als normalerweise, räuspere mich und spreche normal weiter: „Dann machen wir mal weiter!“ Ich suche den Anfang der Nudel auf meiner Gabel und rolle sie wieder aus. Und so fahren wir mit den Wettkämpfen fort.
    Den Rest des Nachmittags verbringen wir wieder eingemummelt in unserem Lager, abgesehen von den Vorbereitungen für das Abendessen, die für uns und den Rest der Schule aus Pizzen der verschiedensten Sorgen bestand. Aber am Abend, als ich schon langsam müde wurde, schaffte ich es nicht mehr wirklich, mich auf das leicht komplizierte Buch zu konzentrieren, dass ich eigentlich lesen wollte.
    Stattdessen schweifen meine Gedanken ständig ab, tagtraummäßig. Die Szene, zu der sie jedes Mal wieder ankommen, ist stets die gleiche. Meine Reaktionen auf den unerwarteten Kuss waren doch eigentlich falsch gewesen, wenn man bedenkt, dass ich seine beste Freundin bin… Ich meine, nur, und nicht mehr. Da sollte nicht mehr sein! Trotzdem muss ich ständig daran denken. Und dass mein Kopf auf seiner Schulter ruht, macht die Situation nicht unbedingt besser.
    Weil Inge momentan den Geschirrspüler ausräumt und in gleichmäßigen Abständen zu uns herüberlinst, halte ich mir das Buch vor das Gesicht, so dass sie nicht sieht, wie rot ich im Gesicht bin. Trotzdem halte ich es nicht lange so aus. Es lässt sich einfach nicht verleugnen, dass ich momentan so fühle. „Ich muss mal schnell für kleine Mädchen“, meine ich und richtige mich leicht zittrig auf, bevor ich auf die Türe zu flitze.
    Vorsichtig schließe ich diese hinter mir, als ich im Flur bin, dann ertönt mein Name und schallt durch den Flur. „Kathrin!“, schreit Rhythmia, die gerade die Treppe hochstürmt. Sie muss mich sofort gesehen haben. Primo scheint nicht bei ihr zu sein. „Wo ist Bodo?“, fragt sie grinsend. Das wäre eine normale Frage für mich, doch meine Gedanken schießen sofort zurück in Richtung Kuss und mein Gesicht erhitzt sich augenblicklich.
    Oh oh…“, murmelt sie, weiterhin grinsend. „Erst auf der Toilette!“, zische ich ihr zu. „Gut“, sagt sie, „Aber du musst mir alles erzählen.“ Ich nicke bereitwillig, aber mit einem gequälten Gesichtsausdruck. „Aber du darfst nichts weitererzählen“, werfe ich ein, als ich schließlich fertig bin. „Nein, mein Mund ist versiegelt. Ganz ehrlich! Dieses Geheimnis werde ich niemanden verraten!! Mhhh“, ihr wissendes Grinsen von vorhin kehrt zurück, „Glaubst du, du hast dich… In ihn…“, fängt sie extra langsam an, aber ich unterbreche sie: „Nein, das habe ich nicht.“
    „Nicht in meinen besten Freund… Nein, in ihn habe ich mich nicht verknallt…“, wiederhole ich verzweifelt in Gedanken. Als würde das etwas helfen… Sie verschränkt die Arme vor der Brust und zieht eine Augenbraue nach oben. „Cathy, bist du dir da ganz sicher?“ Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich bin mir sicher, dass sich meine Wangen schon wieder rot färben, aber ich sage nichts.
    Dafür bin ich mir einfach nicht sicher genug. Bis jetzt war er wirklich nicht mehr als mein bester Freund, und ich habe auch die ganze Zeit über geglaubt, dass ich nicht mehr von ihm will. Da waren keine anderen Gefühle. Der Kuss scheint da etwas gedreht zu haben. Wäre er vielleicht nicht passiert, dann würde ich jetzt nicht so unentschlossen sein. „Kein Wort“, hauche ich nur verzweifelt, „Zu niemanden. Auch nicht zu Primo, erst recht nicht zu Primo. Die zwei sind viel zu eng befreundet.“ Fest starre ich ihr in die karamellfarbenen Augen.
    „Ich schwöre es, hoch und heilig, auf meine Freundschaft zu Primo“, erwidert Rhythmia ernst und hebt ihre rechte Hand. Das hat mich überzeugt. Wenn sie auf Primo schwört, dann muss sie es einfach ernst meinen. „Danke, Rhythmi“, flüstere ich, „Ich geh‘ dann mal zurück zu Bodo…“ Auf Zehenspitzen verlasse ich die Mädchentoilette und stehle mich zurück in die Küche. Dort ist es genauso still wie vorhin, als ich gegangen bin.
    Vorsichtig tapse ich zu unserem Lager, schmeiße mich in meine Kissen und pflücke die Decke zurecht. Danach lehne ich mich, mein Buch in der Hand haltend, an meinen besten Freund, um meinen Kopf abermals auf seine Schulter zu legen. „Ist was passiert?“, fragt er, nachdem ich mich noch ein wenig an ihn geschmiegt habe, verwirrt durch meine, jetzt ein bisschen stärkere Anhänglichkeit.
    „Rhythmia war da…“, antworte ich flüsternd. „Ach so…“, murmelt er und legt seinen Kopf auf meinen. Sofort kehrt das Gefühl der Leichtigkeit in meinen Magen zurück. Jetzt glaube ich, zu wissen, was das ist. Abertausende an Schmetterlingen flattern in meinem Bauch, hoch und runter. „Glaubst du, wir können heute nochmal hier übernachten?“, hake ich so leise nach, dass Inge uns unmöglich hören kann.
    Du meinst, wegen deiner Mutter?“, haucht er zurück. Sein heißer Atem streicht mein Ohr auf seiner Seite, mein Gesicht erhitzt sich. „Ja, auch“, denke ich mir, gebe aber zurück: „Ja…“

    hallo^^


    Es stand leider nur eines meiner absoluten Hassshippings da, nämlich:
    Advanceshipping. Mit dem konnte ich mich noch nie anfreunden, weil
    ich vom ersten Moment an, als ich noch nicht einmal mehr wusste, was
    Shippings sind und das es so was wirklich gibt, das die Namen haben,
    da mochte ich Contestshipping schon und das hat sich bis heute nicht
    verändert. Und Advanceshipping ist deshalb überhaupt nicht meines..
    Als zweites wäre Cookishipping gewesen, was ich gar nicht verstehen
    kann, genauso wenig wie Comashipping. Das ist jawohl ein absoluter
    Schmarn... Den Rest mag ich (z.B. Ikarishipping, Contestshipping &
    Pokeshipping) oder ich hab einfach nichts dagegen, suporte es aber
    nicht (z.B. Rocketshipping & Twinleafshipping).


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Ich finde Reshiram besser^^ Es ist echt schön, so weiß und die blauen
    Augen, normalerweise hasse ich blaue Augen, weil meine Französischlehrerin
    mich mit den ihren immer durchbohrt, find ich echt schön und das will was
    heißen. Die roten Augen von Zekrom sind dagegen schon fast wieder grußelig..
    Außerdem ist das weiß schöner und Reshiram wirkt im allgemeinen viel, nun
    ja, ich möchte nicht sagen, dass es 'anmutig' ist, aber es ist auf jedenfall
    nicht plump wie Zekrom. Da ich noch lieber Feuer als Elektropokémon trainiere,
    finde ich es toll, das Reshiram neben Drachen, diesen Typ liebe ich einfach,
    noch ein weiteres Feuerpokémon trainieren kann.


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Der Brief ist ein absoluter Schmarn, allein wenn ich mir den Anfang nur
    durchlese vergeht mir die Lust, weiterzulesen. Also echt, dass ist teilweise
    richtig übertrieben. Jeder halbwegs normale Mensch kann normalerweise
    die Realität und die Fantasie voneinander unterscheiden, auch wenn man
    noch ein Kind ist, oder sehe ich da was falsch? Total idiotisch...
    Nur, weil man Pokémon jetzt eben nicht mag, und da verstehe ich echt nicht,
    wie man als Erwachsener so reagieren kann, muss es ja nicht gleich so ausarten.



    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Also, ganz ehrlich, ich würde mit den Personen wahrscheinlich
    nicht klar kommen, weil die Realität und Anime einfach zu un-
    terschiedlich sind. Dann sind die Charaktere für mich einfach zu
    ungewohnt, ich würde mich nicht an sie gewöhnen können, weil sie
    einfach nicht so aussehen wie im Anime... War auch bei der Le-
    gende von Aang so, da kann ich die Personen nicht leide...
    Fazit: Wäre zwar eine interessante Idee, aber ich fände es doch nicht
    ganz so prickelnd, sorry ^^'


    gvlg, LuciagirlYxD

    Allein der Name.. Shooti, wer will den schon so heißen?
    Eben, keiner. Außerdem hört sich Paul da um einiges spannender
    an, ich meine, dieser "Shooti" klingt absolut langweilig,
    abgesehen davon, dass er stark ist... So etwas ist dann
    schon wieder wichtig, aber ansonsten hört es sich so an,
    als hätte er an nichts gefallen gefunden... Also, ich glaube,
    da mir allein der Name nicht gefallen hat, werd ich ihn eher nicht
    mögen, aber so was kann sich bei mir ändern...


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Also, ich bin weder ein Vegetarier noch sonst irgendwas. Ich esse gerne Fleisch,
    auch wenn ich auf Steaks, Schnitzel oder Grillfleisch gerne verzichten kann. Was
    ich dafür aber viel zu gerne mag, sind Salamis, Gelbwurst und Wiener, die mag
    ich viel zu gern, als das ich jetzt zu einem Vegetarier werde. Veganer werde ich
    erst recht nicht, weil ich z.B. Käse gerne esse und gerne Milch trinke. Aber ich
    denke, das ist jedem überlassen, ob er jetzt kein Fleisch oder gar keine Produkte
    von Tieren ist. Eine Freundin von mir ist zum Beispiel Veganerin, aber wenn sie
    merkt, okay, ihr Körper braucht jetzt doch mal tierische Produkte (zwar kein Fleisch,
    aber dann mal Milch oder so), dann isst sie das auch. Man muss es ja nicht ganz
    so eng sehen...


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Meine eigentliche Hauptedition ist Platin, weil es das letzte richtig "neue"
    Pokémonspiel war, in dem man auch Trainer ist. SS/HG sind ja eigentlich
    nur erneuerte Editionen, also nicht wirklich neu, weshalb ich Platin als
    die letzte "Neue" ansehe. Sobald jedoch S/W heraussen sind, wird meine
    neue Hauptedition Schwarz sein, weil es dann den Platz einnimmt, den
    momentan immer noch Platin belegt. Auf meiner Hauptedition sammel ich
    meine Lv. 100 Pokémon und ich werde sie nie runterlöschen xD


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Natürlich, es wäre toll, als Champ zu arbeiten, weil man da auf alle Arten von Trainern
    trifft und zeigen muss, das man auch wirklich das Zeug zum Champ hat, soll heißen, man
    muss zeigen, dass man stark ist, regelmäßig trainiert und so ein Kram. Aber mich würde
    am Trainersein insgesamt (weil ein Champ ist ja doch auch ein Trainer, nur eben einer der
    Spitzenklasse) reizen, durch die Gegend zu ziehen, neue Pokémon zu treffen, zu fangen und
    so..
    Außerdem wäre ich lieber ein Ranger als ein Trainer, aber deswegen würde ich trotzdem nie
    gerne ein Champ sein, ganz ehrlich.


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Als erstes sollte ich vielleicht sagen, dass mein kleiner Bruder Martin
    überhaupt der Grund ist, warum ich wieder nach geschlagenen 6 Jahren ein
    Pokémonfan wurde. Dadurch, das er nach der Schule immer Pokémon angeschaut
    hat, und ich kurz vor dem Mittagessen heimgekommen bin, sodass es sich
    für mich nicht mehr rendiert hat, hochzugehen in mein Zimmer, hab ich mich
    zu ihm gesetzt und mitgeschaut. Dann mochte ich es immer mehr, genauso wie
    früher mit 5 Jahren, als ich auch noch einer war, mich dann aber davon abgewandt
    habe, aus was für einem Grund auch immer, ich weiß ihn nicht mehr. Als dann
    D/P rausgekommen ist, haben wir uns die Gegenedition von dem seines besten
    Freundes, der Diamant hat, gekauft, also zusammen geteilt, also hatten wir
    Perl. Später hab ich mir dann Diamant gekauft, ein halbes Jahr später und bin
    eben auch ein richtiger Pokémon (SHIPPINGS)-Fan geworden, der es liebt, in der
    Serie nach Hints zu schauen und seine Pokémon eifrig trainiert^^


    gvlg, LuciagirlYxD

    Hallo^^


    Ich persönlich finde die Lösungsbücher echt praktisch und manchmal sind
    sie echt von Nöten, wenn man einfach nicht weiterkommt. Aber sie helfen
    einem nicht aus jeder Notlage heraus, dennoch kann man darauf wichtige
    Tipps und, ach ne, Lösungen finden. Trotzdem sollte man sich nicht
    total auf diese Bücher verlassen und auch mal selber versuchen, das Spiel
    ohne Hilfe zu bestehen. Selber hab ich kein einziges, aber mein Bruder hat
    eines zu D/P und eine Freundin die zwei zu SS/HG, aber benutzen tue ich
    eigentlich nur das erste, und das habe ich schon seit geschlagenen fünf
    Monaten nicht angerührt.
    Fazit: Sie sind praktisch und hilfreich, aber nicht nötig. Gut, um Tipps zu
    bekommen, aber nicht mehr.


    gvlg, LuciagirlYxD

    Ich möchte auf jeden Fall mein Starterpokémon in mein Team aufnehmen, was
    ich bei Diamant/Platin nicht geschafft habe. Ich versuche außerdem, dieses mal
    eine richtige Mischung aus den Typen zu schaffen, damit ich gegen die
    Arenaleiter gewappnet bin, nicht so wie bei SS, wo ich lauter Schwächen habe und
    die mich leicht wegputzen können.. (ganz schön peinlich..)
    Ansonsten schaue ich halt, welche Pokémon am Anfang gibt, eben die, wo als erstes
    im Graß auftauchen und mische dann durch, suche mir meine Lieblinge von Attacken,
    Aussehen und Typ heraus und trainiere sie dann allesamt..


    Pokémon, die auf jeden Fall dabei sein sollten:
    Tsutja, bzw. seine Weiterentwicklungen
    Reshiram (der Grund, warum ich mir Schwarz kaufen werde)
    Chillarmy


    Ansonsten lasse ich mich einfach überraschen..


    gvlg, LuciagirlYxD

    @ Sonnenherz <333:
    So eine Leseecke hatten wir in der Grundschule mal,
    aber halt im Klassenzimmer^^

    Nun, gut, dann geht es jetzt mit dem zweiten von vier Teilen insgesamt weiter:


    Kapitel 7: Traumbesuch


    (BPV, Teil 2)


    Langsam geht vor dem Fenster über unseren Köpfen die Sonne unter. Das Licht, das nun hereinfällt, gibt auch dank der Vorhänge der Küche einen leichten Rotstich und die weißen Schränke an der Wand gegenüber sehen aus, als ständen sie in Flammen. Eine Weile lang bleibt das Bild so, dann wird es immer dunkler, die Flammen schwächer, bis irgendwann unsere Leselampe die einzige Lichtquelle ist.
    Eigentlich müsste das bedeuten, dass Kathrin und ich müde werden müssten und uns letztendlich dafür entscheiden, die Küche zu verlassen und in unsere Schlafsäle zu gehen. Stattdessen bleiben wir schlichtweg in einer Decke eingekuschelt nebeneinander liegen und lesen stillschweigend unsere Bücher. Es scheint ein stummes Einverständnis zwischen uns beiden zu sein, dass wir einfach hier bleiben.
    Keiner von uns hat Lust dazu, das warme, kuschelige Lager zu verlassen, um den frischen Flur mit dem eiskalten Steinboden entlang zum zugigen Treppenhaus zu gehen. Außerdem scheint niemand sich um uns zu kümmern, Inge kommt nicht mehr zurück in die Küche, um nachzuschauen, ob wir noch hier sind, Rhythmia erscheint nicht in der Kantine, um uns von dort aus zu sagen, dass wir endlich in unsere Schlafsäle müssen.
    Die Lehrer haben offensichtlich ebenfalls nicht bemerkt, dass wir nicht in unseren Betten liegen, ansonsten hätten sie längst nach uns suchen lassen. Die Türe zur Küche bleibt weiterhin geschlossen, nicht einmal Fußtritte davor waren zu hören. Es muss wirklich spät sein, wenn sich keiner mehr auf den Fluren auffällt.
    Kathrins Kopf ist wieder auf meiner rechten Schulter, ihr Buch hält sie gegen ihre aufgestellten Knie gedrückt, damit sie besser lesen kann. Ihr linker Oberarm ist dabei direkt auf den meinen rechten gepresst und mich wundert es schon, dass sie sich nicht beschwert, dass er einschläft, als es passiert. Das Buch rutscht ihr aus der Hand, auf ihre Beine und schließlich auf das Kissen neben ihr.
    Einen Moment lang bin ich zu überrascht, um mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Ich verstehe deshalb nicht, was genau mit ihr passiert sein könnte. Eine ganze Weile brauche ich, um zu verstehen, dass sie wohl einfach eingeschlafen ist. Natürlich.
    Ihr mussten die Augen schlichtweg vor Müdigkeit zugefallen sein. Eine ganz normale Reaktion bei Menschen, nichts Spannendes…
    Als ich mich wieder gefangen habe, greife ich nach Kathrins Buch. Es ist aufgeschlagen geblieben und ich hoffe einfach mal, dass dort wirklich die Stelle war, wo sie aufgehört hat. Gemeinsam mit dem meinen platziere ich es auf das Regal neben mir, offen auf den Seiten liegend. Kathrin reagiert nicht, als ich das Kissen hinter mir zurechtrücke und sie deshalb ein wenig von mir wegschieben muss. Stattdessen atmet sie ruhig und gleichmäßig ein und aus.
    Vorsichtig ziehe ich die Decke über ihre freigelegten Füße drüber und decke sie bis über ihre Schultern zu. Sie zuckt leicht. Als ich mich wieder an die Wand anlehne, spüre ich, wie sie einen Arm um meinen auf ihrer Seite schlingt. „Lucy…“, murmelt sie leise und seufzt leicht angenervt, „Was hast du mit Alexa angestellt?“ Kurz halte ich still. Konnte es wirklich sein, dass Kathrin im Schlaf redete? Wenn ja, dann träumte sie garantiert soeben von ihrer kleinen Schwester mit ihren berühmtberüchtigten Streichen.
    Nur… Von Alexa hatte er noch nie etwas gehört. Vielleicht war sie eine ehemalige Freundin von Kathrin? Mein Blick wandert auf den Ofen uns gegenüber. Auf der Scheibe, durch die man auf das Essen darin blicken kann, sehe ich unser leicht verzerrtes Spiegelbild. Ich, mit ebenfalls vor Müdigkeit gläsernen Augen, die ich trotzdem mühelos offen halten kann, und mein rotbrauner Strubbelkopf. Meine Haare scheinen noch mehr abzustehen als üblich, falls das überhaupt möglich war.
    Kathrins Frisur hingegen wirkte kein bisschen durcheinander, was schon eher an unseren eher ruhigeren Nachmittag erinnerte. Die zwei leicht gelockten Zöpfe zwirbelten sich um ihre Schulter, die meinen und ihren Kopf. Wie auch an unserem ersten Schultag musste ich feststellen, dass sie sehr unschuldig wirkte, selbst, wenn man nicht in ihre großen, türkisblauen Augen blicken mussten, die stets zu ihren süßen Gesichtsausdruck passten.
    Bei den Gedanken daran stocke ich unwillkürlich. Das habe ich nun wirklich nicht in echt gedacht. Für einen Moment schließe ich die Augen und schüttele das Bild aus meinem Kopf. Als ihr bester Freund sollte ich so etwas besser nicht denken! Langsam hebe ich meine Lider wieder an, um zu merken, dass sie nun noch schwerer sind als zuvor. Mit meiner freien Hand taste ich nach dem Lichtschalter unserer Leselampe und mache sie aus.
    Jetzt ist es dunkel in der Küche, nur ein leichtes Licht scheint von dem Fenster über uns herein. Noch immer kann ich jedes einzelne Detail des Raumes erkennen, aber ich glaube, Kathrin könne das momentan nicht, selbst, wenn sie wach wäre. Ich strecke kurz meine Beine, bevor ich sie in einer bequemeren Haltung wieder an mich heranziehe und lege meinen Kopf auf Kathrins. Schnell spüre ich, wie nun auch mich die Müdigkeit in ihren Bann zieht, das stressige Wachsein ablöst und mich entspannen lässt.
    Im nächsten Moment befinde ich mich ganz alleine in einem vollkommen dunklen Raum. Die Finsternis ist so eindringlich, dass selbst ich mit meinen Augen nichts erkennen kann. Langsam drehe ich mich im Kreis und suche nach einer kleinen Lichtquelle in der Ferne. Doch nichts. Als ich feststelle, dass ich nichts sehen kann, versuche ich mich mehr auf meine anderen Sinne zu verlassen.
    Die Luft um mich herum ist kühl, aber es scheint keinen direkten Luftzug zu geben, denn sie streift mich nicht, sondern bleibt immerzu an Ort und Stelle. Das einzige, was ich ansonsten noch spüren kann, ist, dass ich auf den Beinen stehe und der Boden unter meinen Füßen ist hart. Offensichtlich ist der Raum ziemlich groß, eine Halle oder ähnliches. Als ich mich mit geschlossenen Augen bewege, komme ich selbst nach einer Weile an keiner Wand an.
    Stattdessen fängt meine Haut an, zu kribbeln, da die Temperatur um mich herum leicht stieg. Ein leicht süßlicher Duft waberte leicht in meine Nase. Er kommt mir leicht vertraut vor… Ein Parfum vielleicht? Ist also doch jemand bei mir in der Nähe, obwohl ich niemanden atmen höre? „Hallo? Ist hier irgendjemand?“, frage ich laut in die Stille hinein. Meine Stimme hallt ein paar Mal zu mir zurück, doch eine Antwort erklingt nicht.
    Ein kurzer Schlag ertönt, wie der eines Herzens und ich bewege mich ein bisschen in die Richtung. Danach herrscht wieder die Stille. „Ist dort wirklich keiner?“, schreie ich noch einmal. Mein Echo antwortet mir wie beim ersten Mal, doch das Geräusch bleibt weg. Ein paar Schritte schreite ich weiter und mit jedem Meter kommt es mir so vor, als würde ich doch etwas hören. Eine mir unbekannte Stimme…
    Hastig laufe ich weiter darauf zu, bis ich merke, dass ich es mir nicht einbilde. Dort hinten rief tatsächlich jemand etwas. Noch verstand ich die Person nicht, aber wenn ich näher bei ihr wäre… Ich legte einen Zahn zu, bis ich spüre, dass die Luft an mir vorbeizischt. Sie erwärmt sich immer und immer mehr, der süße Duft steigt mir öfter in die Nase und meine Augen nehmen einen Schimmer wahr. Licht. Weißes, gleißendes Licht.
    Plötzlich habe ich die durchdringende Dunkelheit hinter mir gelassen und ich spüre, wie etwas warm auf mich herabscheint. Allerdings, als ich meinen Blick nach oben wende, ist es zu hell, sodass mir sofort die Augen davon schmerzen. Gerade, als ich die Augen zusammenpresse, höre ich es wieder. Die Stimme. Und dieses Mal verstehe ich klar und deutlich, was man mir mitteilen will.
    „Beeil dich!“ Der Befehlston ist deutlich herauszuhören, und doch kann sie das Bittende nicht verdrängen. Mit einem Schlag weicht die Wärme einer bitteren Kälte, die noch eisiger ist, als die in der Finsternis. Das Gefühl, dass mich jemand beobachtet, sticht in meinen Rücken und ich fahre herum. Am Übergang von der Dunkelheit zum Licht steht ein Mensch, ein Mädchen, dessen Gesicht von ihrem langen, schwarzen Haar verdeckt wird. Ein leises Wimmern, offensichtlich verursacht von schlimmen Schmerzen, dringt an meine feinen Ohren.
    Es muss von dem Mädchen stammen, denn ansonsten befindet sich keiner in meiner Nähe. „Was ist-“, fange ich zögerlich an und strecke eine Hand aus. Zugleich schießt eine Bö von irgendwo hinter dem Mädchen auf mich zu. Ihre schwarzen Haare flattern im starken Wind, der schnell abklingt. Ich hatte in der Zwischenzeit eine Hand vor mein Gesicht gehalten, um es zu schützen. Als ich sie absenke, sehe ich ihr Gesicht.
    Sie hat zwei verschiedenfarbige Augen, eines mit einer blutroten Pupille, das andere mit einer eisblauen. Mit beiden blickt sie mich an, durchbohrt mich regelrecht. Obwohl sie fragend und leicht interessiert aussieht und es mir vorkommt, als hätte ich sie noch nie gesehen, spüre ich, dass ich sie irgendwoher kenne. Eine Art Déjà-vu Erlebnis vielleicht, dass es mir nur so vorkommt…
    Als sie ihren Mund öffnet, legt sie gleichzeitig ihren Kopf schief. Ihre Augen verwandeln sich zu Schlitzen. „Beeil‘ dich“, zischt sie, „Und bleib‘ nahe. Ansonsten war alles umsonst.“ Ihre Worte wabern eine Weile durch die Luft wie eklig süßer Nebel, dann springt sie in die Luft und verschwindet in dem Licht über mir… Ein neues Geräusch, schnelle Schritte, dringt sofort an meine Ohren. Erneut drehe ich mich um und sehe ein anderes Mädchen, das auf mich zuläuft. Sie sieht jedoch ganz anders aus als das von gerade eben.
    Ihre dunkelbraunen, taillenlangen Haare fliegen um ihr langes Gesicht herum, die türkisblauen Augen sind direkt auf mich gerichtet. „Kathrin“, schießt es mir im ersten Moment durch den Kopf, aber der Gedanke bleibt nicht lange. Ich erkenne die Unterschiede, die sie hier von meiner besten Freundin abhebt. Zum einem ist das gar kein Mädchen, sondern eindeutig eine erwachsene Frau.
    Ihre Nase ist außerdem nicht so stupsnasig, ihren Wangen fehlt der Hauch von Rosa, ihre Augen sind mandelförmig und kleiner. Einen Spalt breit öffne ich meinen Mund und atme ihren Duft ein. Er sagt mir eindeutig, dass dies nicht Kathrin ist, auch nicht eine ältere Version von ihr. Dennoch, sie sind sich so ähnlich, dass sie nur miteinander verwandt sein können. Als erstes fällt mir Lucy ein, ihre kleine Schwester. Aus Kathrins Erzählungen weiß ich, dass ihre Haare ungefähr die gleiche Länge haben müssten wie die Frau.
    Aber die Augenfarbe passt nicht. Laut meiner besten Freundin hat ihre Schwester die hellblauen Augen von ihrem Vater geerbt, sie selbst die türkisblauen ihrer Mutter. Damit ist völlig ausgeschlossen, dass dies Lucy ist. Stattdessen ist sie wohl… „Sie sind… Kathrins Mutter?“, frage ich unsicher. Ein neuer Geruch steigt mir langsam in die Nase, aber ich sehe die Frau noch nicken, bevor ich zum dritten Mal um meine eigene Achse drehe.
    Dieses Mal steht am Übergang von dunkel zu hell tatsächlich meine beste Freundin mit weitaufgerissenen, türkisblauen Augen. Statt ihrer Schuluniform wie sonst immer, trägt sie ein knielanges, schneeweißes Kleid und um ihre Taille herum ist ein Band, das auf ihrem Rücken zu einer großen Schleife gebunden ist. Anstelle der hellbraunen Stiefel hat sie ein Paar Ballerina an. Ihre Lippen sind zu einem perfekten kleinen, überraschten O geformt, bevor sie endlich ihre Stimme wiederfindet. „Ma… Mama?!“
    „Schön, wenn auch verwunderlich, dass ihr beide hier seid“, höre ich das Klingeln aus Sally Rose‘ Mund. Was soll das denn heißen? Sprechen alle in diesem Traum in Rätseln? Und warum schimmert und klingelt die Stimme von Kathrins Mutter? „Aber Mama“, spricht meine beste Freundin und auch sie hört sich jetzt an wie ein himmlisches Glockenspiel, „Soll das heißen, du hast mich gar nicht gerufen? … Bodo, warst du das?“
    „Du meinst, das ‚Beeil dich‘?“, frage ich verwirrt, „Nein, das war nicht ich, ich wurde ja selbst hierhergerufen. Das war so ein anderes Mädchen, aber sie ist verschwunden…. Warum singt ihr, wenn ihr sprecht?“ Ich dämpfe meine Lautstärke, denn auch meine Tonlage hat sich verändert. Es war nicht beabsichtigt, aber vielleicht liegt das auch einfach an dem Traum, in dem wir uns befinden. Das alles kann einfach nicht echt sein.
    Die Augen meiner besten Freundin werden wieder groß. Mit der Frage, warum wir hier sind, wendet sie sich an ihre Mutter, während sie sich neben mich stellt. Sally antwortet sehr leise, flüstert eher, als glaube sie, dass das Mädchen, das ich erwähnt hatte, lauschen könnte. Zwar frage ich mich, ob Kathrin sie so überhaupt verstehen kann, so leise spricht sie, aber offensichtlich kann sie das.
    „Ach, Kathrin… Ich kann dich einfach nicht in deinen normalen Träumen erreichen, das konnte ich noch nie. Jedes Mal war um dich herum ein dunkler Schutzschild, der mich davon abgehalten hat. Seit einiger Zeit jedoch, vielleicht seit ein paar Monaten, ist er verschwunden. Dafür ist an seiner Stelle ein anderer erschienen, der noch dicker, größer und um einiges heller ist als der erste. Durch diesen konnte ich erst recht nicht hindurch.“
    Aber wie kannst du mich… Uns jetzt erreichen? Ich meine, immerhin bist du hier…“, Kathrins Worte werden abermals von einer schönen Melodie begleitet, die mir einen warmen Schauer über den Rücken jagt. Leider wird ihre Musik von der ihrer Mutter abgeschnitten, die heller ist: „Weil das nicht nur dein Traum ist, wenn überhaupt. Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich wegen deinem besten Freund mit dir unterhalten kann. Das funktioniert allerdings nicht immer. Der Abstand zueinander muss während der Traumphase weniger als einen Meter betragen.
    Andernfalls kann ich den Schutzschild nicht überwinden und dich nicht in seinen Traum schicken. Warum gerade er… Nun ja, das erkläre ich jetzt besser nicht, ihr werdet es früh genug herausfinden. Eines kann ich euch verraten, eure Schicksale scheinen miteinander verbunden zu sein. Die Art und Weise, wie sie zusammengehören, ist mir nicht bekannt, aber ich erkenne es wieder, die die Bänder sich ineinander verschlungen haben. Nur ihr zwei könnt-“ doch mehr kann sie nicht sagen.
    Ein heftiger Wind bläst dichten, tiefschwarzen Nebel um uns herum und verschlingt Sally Rose. Die nächste Windbö verjagt den Dunst, aber Kathrins Mutter bleibt verschwunden. Statt ihrer öffnet sich dort, wo sie stand, ein tiefer, offensichtlich endloser Graben. Stetig wächst sein Durchmesser. Ich stolpere ein paar Schritte zurück, aber Kathrin bleibt an Ort und Stelle, unsicher und geschockt.
    „Mama?!“, ruft sie schrill. Erschrocken beobachte ich, wie sie anscheinend der Drang packt, in der Loch zu springen, das uns immer näher kommt. In Sekundenschnelle reagiere ich. Ich schnappe mir die Hand, die sie nicht in Richtung Graben streckt und ziehe sie mit mir, als ich mich in die Dunkelheit aufmache. Mit zittrigen Beinen folgt sie mir bis ganz weit in die uns verschlingende Finsternis hinein. Die Luft um uns herum wird immer wärmer, bis wir stehen bleiben.
    Ungefähr genauso weit musste ich in der Dunkelheit gesteckt haben, als ich hier erschienen bin, aber dieses Mal kann ich jemanden erkennen. Kathrin steht direkt neben mir, ihr Gesichtsausdruck konfus, ihre Augen vor Schreck abermals weit aufgerissen. „Was war das denn gerade?“, keucht sie. Die kurze Strecke bis hierher war ihr anscheinend, obwohl dies nur ein Traum ist, zu viel.
    Ich zucke mit den Schultern, antworte aber dennoch, weil ich mir sicher bin, dass sie mich nicht sehen kann. „Keine Ahnung…“, murmele ich. Das Gefühl, beobachtet zu werden, bringt meinen Magen zum Grummeln. Als ich mich umschaue, lasse ich Kathrins Hand los. „Was ist los?“, höre ich ihre normale Stimme. Abermals wird die Umgebung immer kälter und als ich mich wieder meiner besten Freundin zuwende, kann ich ihre zierliche Gestalt nicht mehr ausmachen.
    Jetzt ist sie, wie ihre Mutter, verschwunden. Das Gefühl, allein zu sein, schnürt mir die Kehle zu. Wo könnte sie hin sein? Wieder in die Realität zurück? War sie aufgewacht? Sollte ich eventuell versuchen, ihrem Beispiel zu folgen? Aber wie wacht man aus einem Traum absichtlich auf? Wie soll das funktionieren?
    Ob die Strategie, sich selbst zu kneifen, klappt? … Wohl eher nicht, das ist wahrscheinlich zu sanft für mich. Eine Ohrfeige dürfte ausreichen, und ein Versuch kostet nichts. Die Handfläche klatscht gegen meine Wange, aber das Geräusch erreicht meine Ohren nicht mehr. Das nächste, was ich hören kann, ist Gezwitscher von Staralili und anderen Vogelpokémon, die noch auf dem Schulhof und dem Wald daneben wohnen.
    Vorsichtig öffne ich meine Augen, aber die Dunkelheit ist gewichen und stattdessen sehe ich zwei Gestalten vor mir. Ich brauche ein paar Augenblicke, um zu verstehen, dass ich nur wieder das Spiegelbild von Kathrin mir vor mir habe. Es hat geklappt, ich bin zurück in der Realität. Die Sonnenstrahlen durchbrechen die Fensterscheiben über uns und erhellen die Küche und bringen die Eisenschränke vor uns zum metallischen Leuchten.
    Das Bild vor meinen Augen ist fast genau das gleiche wie das in der Nacht am Vorabend, nur, dass es nun hell ist und Kathrins Augen offen sind, keine Spur von Müdigkeit in ihnen. „Was können nur wir zwei?“, flüstert sie, den Blick starr auf den Ofen uns gegenüber gerichtet. Die Decke ist von ihrer Schulter gerutscht und ihre Füße sind ebenfalls nicht mehr zugedeckt. „Ich habe keine Ahnung“, brummele ich und vergrabe mein Gesicht in einem ihrer Zöpfe.
    Ein kurzer Seufzer entfährt mir, als meine Gedanken erneut zu dem ungewöhnlichen Traum abschweifen. Bereits tote Menschen können einem während des Schlafes im Traum besuchen… Dass so etwas passieren kann, davon habe ich noch nie etwas gehört. Und dass sich zwei ganz normale Personen, einen Traum teilen, das ist mir auch neu. Wobei wir nicht beide ganz normale Menschen sind…
    „Das war echt seltsam“, haucht Kathrin. Das kann sie laut sagen. Ob sie… Etwa auch so ist, wie ich? Auch, wenn ich es größtenteils ignoriere und mich benehme wie die Menschen? Gähnend überlege ich weiter. Aber selbst wenn, es ist besser, kein Risiko einzugehen und es ihr zu erzählen. Die Folgen will und kann ich nicht ertragen. Trotzdem finde ich diesen Traum weiterhin verwunderlich. Und was hat es mit den Schutzschilden auf sich, die Kathrins Mutter erwähnt hat?
    „Wie viel Uhr, glaubst du, haben wir bereits?“, höre ich Kathrin irgendwo auf der Höhe meines Halses und merke deswegen sogar ihren warmen Atem in meinem Nacken. Ich öffne meine Augen wieder und sehe im Ofen, dass sie ihr Gesicht mehr in Richtung Wand gedreht hat. „Ich habe mal wieder keine Ahnung“, antworte ich verschlafen, „Gestern habe ich meine Uhr in der Früh im Schlafsaal liegen gelassen… Apropos Schlafsaal, denkst du, dass dort irgendjemanden unser Fehlen aufgefallen ist?“
    „Vielleicht… Rhythmia sicherlich, und Primo wahrscheinlich auch. Aber sie haben offensichtlich keinem der Lehrer etwas gesagt, ansonsten wären wir jetzt nicht beide noch hier“, gibt sie zurück. Mit ihren Füßen, die sie zuvor anscheinend nur kurz ausstrecken wollte, greift sie nach der Tasche mit den Büchern, die neben ihren Stiefeln liegt, und zieht diese näher an sich heran, um ein Buch herauszufischen.
    Ich habe dir das Buch, das du gestern gelesen hast, auf das Regal gelegt“, werfe ich noch ein, bevor sie es aufschlägt, „Du bist eingeschlafen, ehe du fertig geworden bist.“ „Ach so… Naja, ich glaube, das Buch ist mir gerade lieber. Nachdem, was gerade mit uns passiert ist“, erklärt sie und mir fällt der Titel ins Auge. Das ist eines der vielen Traumdeutungsbücher, die es in der Bibliothek gibt. Dort steht nicht nur etwas über ganz normale Träume, sondern auch etwas über die, die von Pokémon verursacht werden. Oder vermeintlich von Pokémon…
    Tatsächlich stammen diese dann von weit aus übernatürlicheren Wesen, als viele annehmen. Aber natürlich wissen das nur die, die in das Geheimnis hineingeboren wurden und deshalb Bescheid wissen… Wie ich, und mein Zwillingsbruder Simon, meine Mutter und mein Vater. Fast die ganze Familie weiß davon, aber Kathrin offensichtlich nicht, ansonsten hätte sie das Buch jetzt nicht in der Hand, um darin zu schmökern.
    „Glaubst du wirklich, du findest in dem Buch etwas?“ Mein Unterton ist zweifelnd, aber ansonsten klingt meine Frage so natürlich wie immer. „Man weiß nie“, erwidert Kathrin unbekümmert, „Lieber lese ich zu viel, als zu wenig.“ Brummelnd muss ich ihr Recht geben. Während sie liest, werfe ich ebenfalls hin und wieder einen Blick in das Buch, um vereinzelte Hinweise zum Schutz gegen Albträume oder über verschiedene Details, dank derer man die Zukunft vorhersagen kann.
    Das ist Schwachsinn. Entweder, man besitzt die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, oder nicht. Und wenn man es nicht kann, dann sollte man es besser bleiben lassen, jedenfalls meint meine Mama das. Kathrin ist schnell der Meinung, dass das Buch ihr wirklich nicht weiterhelfen kann und legt es beiseite. „Vielleicht doch eher sinnlos“, kommentiert sie. „Ach komm, wie hoch stand schon die Chance, dass du im ersten Buch, in dem du nach Antworten suchst, etwas findest? Alles braucht seine Zeit“, muntere ich sie auf.