Nach ewiger Inaktivität geht es endlich weiter!
Inspiration: Ich habe mir als Thema die sieben Todsünden vorgenommen und mir diesmal Rachsucht rausgepickt.
Datum: April 2017
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Si vis pacem cole iustitiam
Wenn du Frieden willst, pflege die Gerechtigkeit
Sein Name war nicht von Bedeutung und alles, was er suchte, war Gerechtigkeit.
„Jetzt habe ich dich endlich dort, wo ich dich haben will!“, rief er und lächelte überheblich. Sein abschätziger Blick streifte den älteren Mann, der vor ihm auf dem Boden lag, gekrümmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht. War es wirklich das, wonach er sich so gesehnt hatte? Adrenalin schoss wie Feuer durch seinen Körper, pumpte unaufhörlich giftige Energie in seinen Kopf, so dass ihm schwindlig davon wurde. Der Geruch des Sieges lag in der Luft, alles, was er wollte schien zum Greifen nahe. Er musste nur noch handeln! Die Rache würde seine sein, er würde sich dem Adrenalinrausch hingeben und sich holen, was ihm gehörte: Gerechtigkeit.
Die Wände waren dunkel und kalt. Alles grau in grau, hier und da eine verdorrte Topfpflanze, die dem Raum aber auch nicht mehr Freude schenkte. Auf der Tür war in roter Schrift die Zahl 3 zu lesen. Sie brannte sich in seinen Kopf, seine Augen klammerten sich an die Umrisse der Zahl, als hinge sein Leben davon ab. Doch nichts, was die Polizisten sagten, drang wirklich zu ihm durch. Nein, auch ihre scheinbar tröstenden Worte konnten den jungen Mann nicht erreichen. Was hatten die Polizisten schon zu sagen, was ihm nicht bereits klar war? Dass bestimmt nichts davon seine Schuld war wusste er schon lange. Wichtiger war die Stimme in seinem Kopf, die ihn zum Handeln aufforderte. Was hatte er denn davon, wenn sie seinen Vater verhaften würden? Natürlich käme dieser vor Gericht aber dort würde ihm nicht die Strafe erteilt werden, die er verdient hatte. Er glaubte nicht daran, dass die Justiz wirklich gerecht war. Sie war lediglich strikt. Der junge Mann richtete seinen Blick nach oben und betrachtete die vom Rauchen verfärbten Noppen der schlecht isolierten Decke. „Sie möchten also keine Aussage gegen Ihren Vater machen?“, durchbrach die Frage des Polizisten seine Gedanken. Dieser drückte nervös eine Kippe aus, zupfte seinen Bart zurecht und musterte den jungen Mann eindringlich. „Also?“ Der etwas schärfere Tonfall des Polizisten gab den Takt seiner Antwort vor. „Natürlich. Ich möchte aussagen, dass er nicht nur mich, sondern auch meine Mutter misshandelt hat. Reicht Ihnen das? Fotografiert haben sie mich ja schon überall, oder brauchen Sie noch mehr?“, antwortete er barsch. Dunkle Augen, von Wut durchtränkt, liessen die Polizisten verstummen. Er war froh, als man ihn endlich gehen liess, schliesslich führten die stupiden Fragen der Beamten zu nichts. Warum stellten Polizisten aber auch immer Fragen, deren Antwort sie schon kannten?
Er wusste, wo er seinen alten Herren finden würde. Längst war es an der Zeit sich zu rächen und nach Hause zurückzukehren. Schon lange hatte er aufgehört seinen Vater als solchen zu bezeichnen, wenn er mit ihm sprach. Wozu auch? Der Name, der ihm einmal gegeben wurde, passte perfekt zu seinem verdorbenen Charakter. „Hallo Ira“, rief er. Ira, der Zorn. Wie ironisch diese Namensgebung doch war! Auch der Blick seines Gegenübers sprach Bände, denn er wusste, der Tag, an dem ihm sein rachsüchtiger Sohn gegenüberstehen würde konnte nur ein verheissungsvoller sein. Ira war bewusst, dass er verdient hatte, was auf ihn zukommen würde und dennoch war er zu feige, dem Ende in die Augen zu blicken. Die tiefblauen Augen streiften seinen Sohn, ein junger Erwachsener, der nun vor ihm stand, wutgetränkt, verblendet von seinen Rachegelüsten, ein vernarbtes Gesicht und in der linken Hand einen Stock. Das hatte er ihm zu verdanken. Er, Ira, hatte seinen Sohn zerstört. Das schwere Atmen der Aufregung war von beiden Seiten zu vernehmen. „Da...das kannst du nicht machen, denk darüber nach was du tust!“, brachte Ira mit brüchiger Stimme hervor. Er wusste, hier bei sich zuhause würde kaum einer nach ihm suchen. Höchstens die Polizei würde ihn finden, wenn sie ihn zu einer erneuten Befragung holen kommen würden. Längst hatten ihn seine Frau und sein Sohn verlassen, die Nachbarn hatten ihn aufgegeben und seinen Job übte er längst nicht mehr aus. Und er konnte es niemandem verübeln. Wutausbrüche, Stimmungsschwankungen und sein Hang zur Selbstdarstellung hatten der Familie und seinem Glück das Genick gebrochen. Der alte Mann torkelte vor Angst. Das Gesicht gezeichnet von Wetter und Leben, die Augen alt und traurig, kein strahlendes Blau mehr wie früher.
Er schloss die Augen und liess den ersten Schlag der Faust seines Sohnes wehrlos über sich ergehen, hoffend, es würde danach enden. Weiche Knie sackten zu Boden, während der alte Mann sich schützend die Arme vor sein Gesicht hielt. Würde sein Sohn so weit gehen ihn zu töten? Hatte er das verdient? „Du ahnst gar nicht, wie sehr ich diesen Tag erwartet habe. Der Tag an dem ich weiss, dass du gebrochen bist. Dein Schweigen endlich zu einem Geständnis wurde. Aber was habe ich davon zu warten ob man dich dafür endlich verurteilt?“, hörte er seinen Sohn sagen. Monoton, kalt. Erloschen. Ira hielt die Augen geschlossen, das Gesicht schmerzverzerrt. Erschrocken über die Art, in der sein Sohn mit ihm sprach. Ohne zu zögern, ohne Reue. War das sein Verdienst? „Willst du Frieden oder Gerechtigkeit?“, fragte Ira. Er horchte, was sein Sohn zu sagen hatte. „Das eine kann es ohne das andere nicht geben und du hast keine Gerechtigkeit verdient!“, entgegnete dieser. Ira atmete aus, die Augen noch immer fest verschlossen. Als kein weiterer Schlag mehr folgte öffnete er sie langsam und blickte nach oben. Das eigen Fleisch und Blut, das zitternd über ihm stand, bereit ihn zu töten, liess das Blut in seinen Adern gefrieren. „Nein, ich bestimmt nicht, mein Sohn. Aber du. Du erfährst keine Gerechtigkeit wenn du mich tötest. Die Justiz unterscheidet nicht immer nur zwischen gut und böse. Nur zwischen richtig und falsch.“ Ira horchte, sein Körper in Alarmbereitschaft, die Muskeln zum Zerreissen gespannt. Würde ihn sein eigenes Schicksal einholen oder hatte er es geschafft, seinen Sohn davon zu überzeugen, dass Gerechtigkeit nicht immer recht war?
Sein Name war nicht von Bedeutung und alles, was er suchte, war Gerechtigkeit.