"Warte, jetzt mach doch mal halblang! Hey! Hey, ich sagte, warte! Leeeoon!" Wie von der Tarantel gestochen, raste der Blondschopf durch die unzähligen Gassen und Straßen. Den Blick starr nach vorn gerichtet, näherte er sich in rascher Geschwindigkeit der beinahe winzigen Innenstadt Clovers. An seine unfreiwillige Begleiterin, die er hinter sich herschleifte, schien er nicht mehr zu denken. Auch hörte er deren Protestrufe nicht. Yukira konnte schreien und zerren, so viel sie wollte, weder sein stählerner Griff löste sich, noch schenkte er ihrem genervten Gezeter Aufmerksamkeit. Der Junge hatte nur den Vorfall im Sinn – oder besser gesagt, seinen Verdacht, dass etwas geschehen war.
"Leon! Verdammt nochmal, jetzt renn nicht wie ein Irrer! Es ist doch garantiert sowieso wieder nichts passiert!" Der Ärger in ihrer Stimme schwoll allmählich an. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, erhöhte Leon das Tempo um ein kleines Stück, sodass mittlerweile sogar Kira Probleme hatte, Schritt zu halten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die Ereignisse des heutigen Tages hatten aus ihr eine wandelnde Zeitbombe gemacht – es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Funke fiel, der zur unweigerlichen Explosion führte.
"Oh doch, es ist etwas passiert! Ich weiß es!" Zum ersten Mal, seit sie das Gildenhaus verlassen hatten, drangen Worte aus seinem Mund. Sie klangen eindringlich, unerschütterliche Entschlossenheit schwang in ihnen mit. Er würde sich von seiner Meinung nicht abbringen lassen, bis ihm das Gegenteil bewiesen worden war. Dass er Unrecht hatte und alles letztendlich doch in bester Ordnung war – wie so oft. "Ich weiß es einfach! Aus dem Haus kamen Kampfgeräusche – heftige Kampfgeräusche! Es muss etwas geschehen sein. Anders kann ich mir das Ganze nicht erklären!"
"Uneinsichtig und stur wie immer. Und dann wundert er sich, wenn seine Anwesenheit in der Gilde keinerlei Beliebtheit genießt." Auf Yukiras Wangen trat erneut ein purpurner Schimmer, der ihrer angeknackten Laune zusätzlich Ausdruck verlieh. Sie wollte gerade zum verbalen Gegenschlag ansetzen, als ein unangenehmer Hauch ihr überempfindliches Geruchsorgan streifte. Instinktiv atmete der weibliche Dragon Slayer tief durch die Nase ein. Es roch nach... "Blut?!" Ihre zweifarbigen Augen weiteten sich überrascht. "Warum riecht es hier nach Blut? Womöglich ist nicht doch etwas passiert...oder?" Die Worte murmelte sie kaum hörbar vor sich hin, dennoch schien der Blondhaarige sie vernommen zu haben, denn er preschte nun regelrecht voran.
Mit jedem Schritt schmolz die Distanz dahin und aus dem schwachen Ansatz wurde rasch der intensive Gestank von frischem Blut. Selbst Leon nahm ihn nun wahr. Ein angewidertes und zugleich alamiertes Zucken durchlief seinen Körper. Yukira schloss daraus, dass es nun nicht mehr weit bis zum Unfallort war.
Die Bestätigung folgte sofort. Der Jugendliche blieb so abrupt stehen, dass sie geradewegs in ihn hineinkrachte und fast das Gleichgewicht verlor. Schon eine schroffe Predigt auf der Zunge, schaute sie an ihm vorbei, um freien Blick auf die Ursache des Stoppes zu haben. Der Kommentar blieb ihr jedoch im Hals stecken, denn was sie sah, erfüllte sie mit wirrem Entsetzen.
Eine schmächtige Gestalt lag auf dem gepflasterten Weg. Die Kleidung war in ein helles Rot getränkt und klebte am zitternden Körper des Jungen, der anderweitig keinerlei Bewegungen erkennen ließ.
"Er ... er ...", stotterte Leon in einem unverständlichen Ton. Blanker Schrecken zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Sein Zeigefinger wanderte in Richtung des Rotschopfes, der dort kläglich auf dem Boden lag. Seine schweren Atemzüge hingen in der angespannten Stille.
Yukira hatte im Gegensatz zu ihrem Begleiter ihren Schreckensmoment schnell überwunden. Sie riss sich aus dem Griff und lief mit hastigen Schritten zu dem Fremden.
Von Nahem sah das Ganze noch schrecklicher aus. Blut und Erbrochenes bedeckten den dürren Leib, der bebend auf den kalten Pflastersteinen ruhte. Die feuerroten Haare verwehrten einen Blick auf das Gesicht des Jungen, dennoch erkannte die Magierin ihn sofort wieder. "War er nicht vorhin auch auf der Lichtung und hat geholfen? Wenn ja, dann sollte ich ihn schnellstmöglich wieder auf die Beine kriegen."
Sie griff kurzerhand nach seinen Schultern und rüttelte ihn kräftig."Hey! Wach auf! Was ist passiert? Weshalb ist hier überall Blut? Hey!" Ihre Stimme war laut und eindringlich, jedoch schien er sie nicht zu hören, denn es erfolgte keine Regung seinerseits. "Hey! Komm zu dir!" Ihr Schütteln wurde intensiver, eine Reaktion blieb allerdings aus. "Verflucht! Was mach' ich jetzt nur?"
Es verstrichen einige Sekunden, ehe sie einen jähen Entschluss fasste. "Leon, komm her und mach dich wenigstens einmal nützlich, du Taugenichts!" Trotz des barschen Tonfalls folgte der hagere Junge ihrer Anweisung und watschelte ungeschickt zu ihr. Dass ihm diese Aktion widerstrebte, versuchte er gar nicht erst zu verbergen. "Pass auf den Kleinen hier auf. Ich seh mich mal im Haus um."
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ging ein Zucken durch seine Gestalt. Panisch starrte er sie an. "D-Du willst da r-rein? I-In das Haus?! Bist du denn lebensmüde?! Da könnte weiß wer oder was lauern! Du rennst vielleicht in deinen sicheren Tod!" Er schrie fast. Seine Stimme klang schrill und aufgeregt. Die braunen Augen wurden glasig. "Du weißt nicht, was da passiert ist! Vielleicht wandelt da drin noch ein bewaffneter Einbrecher oder ein Mörder, vielleicht sogar Serienkiller, 'rum und wartet nur auf neue Opfer!" Seine Worte überschlugen sich. Hysterie drohte ihn einzunehmen. Sein schmaler Körper begann heftig zu zittern.
"Jetzt hör mir mal gut zu, du Jammerlappen! Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ein Verbrecher dumm genug ist, um am Tatort zu bleiben. Und selbst wenn da so eine dumpfe Trauergestalt 'rum geistert, es ist mir scheißegal! Und weißt du warum? Ich hatte heute den beschissensten Tag seit langem! Ich bin müde, fertig und hab keinen Bock mehr! Also tu mir den Gefallen und lass mich diesen verfluchten Mist erledigen, damit ich endlich nach Hause kann!" Sie erhob ihre Stimme nicht, jedoch ließ der knurrende Unterton Leon zurückschrecken. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwand sie in der weit aufgerissenen Tür.
Schon an der Schwelle empfing sie gähnende Schwärze. Kein noch so kleiner Schein erhellte den Raum und auch nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie nur schwache Silhouetten in unmittelbarer Nähe erkennen. Der Rest verlor sich in der immer finsterer werdenden Länge des Flures. Die Augen halb zusammengekniffen, im vergeblichen Versuch mehr wahrzunehmen, tastete sich Yukira durch das Zimmer. Der intensive Geruch von frischem Blut brannte mit jedem Augenblick, in dem sie sich hier aufhielt, heftiger in ihrer empfindlichen Nase. "Verdammter Shit ist das! Als ob ich nichts besseres zu tun hätte, als nach imaginären Leichen zu suchen!" In den geflüsterten Worten schwang ihre ganze Wut mit. Die gesamte Situation löste in ihr zwar eine leichte Unruhe aus, wirklich besorgt war sie deswegen jedoch nicht. Viel mehr fühlte sie sich wie in einer billigen Schmierenkomödie, wobei Leons übertriebene Paranoia nicht ganz schuldlos bei dem Ganzen war.
"Ich fühl mich auf groteske Weise verarscht. Oh ja, verarscht trifft es nahezu perfekt...Hat diese verfluchte Bude eigentlich sowas wie 'nen Lichtschalter?!" Etwas orientierungslos irrte Kira an der Wand entlang, auf der Suche nach besagtem Schalter. Es dauerte ein wenig, doch schließlich wurde sie fündig. Ihre Finger ertasteten einen länglichen Knopf. Augenblicklich flackerte ein breiter Lichtlacrima an der Decke auf und spendete einen milden Schein. "Na also, geht doch", bemerkte sie trocken. "Dann wollen wir uns doch mal der sinnlosesten Zeitverschwendung überhaupt hingeben. Als ob–" Der restliche Satz blieb ihr im Hals stecken, denn ihr Blick haftete auf der Treppe – oder besser gesagt, auf dem, was unmittelbar vor der Treppe lag. Ein gehauchtes "Oh mein Gott" entfloh ihrer Kehle. Das Entsetzen, das soeben ihre Wut ablöste, zeichnete eine fassungslose und zugleich überraschte Miene auf ihr Gesicht.
Der Körper eines Kindes. Umgeben von einer großflächigen Blutlache, lag er bäuchlings auf dem Boden. Eine Wunde klaffte deutlich sichtbar im Rücken. Dass dem Kleinen nicht mehr zu helfen war, wusste die Magierin sofort.
Schockiert und angewidert von dem Anblick wie dem mittlerweile absolut unerträglichen Blutgeruch, wandte sie sich ab. Mit raschen Schritten verließ sie das Haus und knallte, kaum dass ihr Fuß wieder das Pflaster berührte, die Tür zu. Sie verharrte eine Weile in dieser Position. Der Gestank von Tod klebte noch immer an ihrer Nase.
Was sie jedoch nicht bemerkt hatte, war, dass sich auf der Straße etwas getan hatte. Leon stand noch wie erstarrt an demselben Fleck wie zuvor und sein Körper bebte noch immer vor Schrecken. Doch der Rothaarige lag nicht mehr vor dem Jungen, wie es zuvor der Fall gewesen war. Stattdessen standen drei stämmige Männer vor ihm und versuchten auf ihn einzureden. Yukira betrachtete die Gestalten etwas genauer und kniff dabei die Augen skeptisch zusammen. Die Kerle hatten Helme auf dem Kopf, die ähnlich einer Schüssel spitz zugingen und aus mattgrauem Metall waren. Gleich war es mit der Rüstung, die ihre Brustkörbe bedeckten. Unter dieser trugen sie zudem noch ein braunes Wams, was aber nur an den Schultern ein wenig herausschaute, denn die Arme waren weitgehend auch mit reichlich Panzerung versehen. An den Hüften hatten sie breite Ledergürtel angelegt, woran jeweils eine schwere Schwertschneide hing. Ebenso fielen über die Hose, die sie am Leib trugen, weitere Lederbände, die ebenso wie der Rest dieses Krimskrams für Schutz sorgen sollten. Die Beine waren wie die Arme von Schutzpanzerungen versehen und die Füße waren mit plumpen Schuhen bestückt. Alle drei Soldaten hatten eine recht stämmige Figur und eckige Kinns, als würden für diesen Beruf gerade die grässlichsten Gestalten ausgesucht, um Angst und Schrecken zu verbreiten – zumindest bei „normalen“ Menschen. So einer war Leon, der in Gegenwart dieser drei Wachen kein Wort rausbekam. In diesem Moment schaltete sich Yukira ein, die mit zielstrebigen Schritten auf besagte Personen zumaschierte. Ihr Blick war düster und ohne jegliche Förmlichkeiten fragte sie harsch:
„Wo ist der Rotschopf?!“ Die Wachen betrachteten sie mit Skepsis, so als wären sie von dem bissigen Ton vollkommen überrumpelt. Sie schauten einander an und schienen die Münder nicht aufzubekommen. Leon hingegen pikste Yukira unsicher in die Seite, die ihn daraufhin gefährlich anblitzte. Als er jedoch vorsichtig mit seinem Zeigefinger die Straße entlang zeigte, konnte sie mit Anstrengung zwei schemenhafte Gestalten im Dunkel erkennen. Der eine schien ein riesiges Rückgrat zu haben, wodurch sie vermutete, dass er hinter der Entführung des Jungen steckte. Vermutlich hätte sie den Geruch der Menschen auch noch wahrnehmen können, würde das Blut ihre Sinne nicht regelrecht benebeln. Sie musste sich beeilen, um die Schatten nicht aus den Augen zu verlieren.
„Hören Sie mal, Madam“, begann einer der Männer mit einem spöttischen Klang in der Stimme, „wenn Sie nicht auch noch unter Verdacht geraten wollen, sollten Sie schleunigst das Weite suchen. So eine hübsche Dame sollte sich doch nicht bei schaurigen Taten herumtreiben, schon gar nicht des Nachts, nicht wahr? Zwar wissen wir noch nicht, was passiert ist, aber der kleine Pimpf hier sagte uns alles, was er gesehen hat.“ Mit einem dreckigen Grinsen entblößte er seine gelben Zähne und stieß ein raues Lachen aus. Seine Kameraden taten es ihm gleich. Dann legte er seine breite Hand auf ihre Schulter und setzte fort:
„Daher, meine Liebe, können Sie sich gerne in ihr nächtliches Kämmerchen verziehen, ihren üblichen Spaß mit Männerbälgern haben und den Rotschopf sowie das, was hier geschehen ist, ganz schnell vergessen.“ Wieder schallte seine Lache durch die nächtlichen Straßen. Dann schaute er Yukira wieder eindringlich an, deren Gesicht rot vor Zorn war. Dieser Kerl hatte das Fass doch tatsächlich nun endgültig zum Überlaufen gebracht …
"Nimm deine widerliche Pranke da weg", zischte sie. Es kostete sie ein nahezu unmenschliches Maß an Selbstherrschung, dem Kerl nicht sofort an die Kehle zu springen. Dieser hatte ihre Worte entweder nicht vernommen oder er hatte Spaß daran, ihre bodenlose Wut weiter zu schüren, denn er legte seine freie Hand gegen das Ohr und tat, als hätte er Probleme, sie richtig zu verstehen. "Haben Sie was gesagt?" Sein Lachen wurde lauter. "Ich kann Sie nicht hören."
Da war er. Der Funken, der die Bombe nun schlussendlich zum Explodieren brachte. Ehe der Hüne sich versah, donnerte Yukiras Fuß geradewegs in sein unförmiges Gesicht hinein und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die nächstbeste, nahegelegene Steinmauer, wo er mit einem unangenehm knackenden Geräusch zusammensackte. Perplex starrten seine gepanzerten Kollegen sie einige Sekunden lang an, bevor wilder Jähzorn in ihren Augen aufflammte. Raue, fast schon animalische Schreie erfüllten mit einem Mal die Nacht. Die Magierin hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig.
Schon preschte der Erste voran, kurz darauf gefolgt von seinem Kameraden. Das Scheppern und Rasseln der Rüstungen klang bedrohlich. Leon stieß dicht hinter ihr immer wieder tränenerstickte, panische Laute aus, die an das wehleidige Jammern eines kleinen Kindes erinnerten.
"Reiß dich gefälligst mal zusammen!", fuhr sie ihn scharf an, während ihre mit Wasser umhüllte Faust sich in die Visage des einen Soldaten grub. In dem Schlag entlud sich ihre gesamte Wut. Der Kerl prallte von der Wucht mit dem Rücken kraftvoll gegen die Außenwand des Hauses, in dem sich die blutgetränkte Leiche des Jungen befand. Mit einem lauten Stöhnen rutschte er am Gestein hinab und blieb dort in halb sitzender Position liegen.
Kaum war der Nächste aus dem Feld, da stürmte schon der letzte Berg mit hoch erhobenem Schwert heran. Die Klinge blitzte gefährlich im schwachen Mondlicht auf.
Unbeeindruckt von der Waffe, wich Kira den leicht ungelenken Hieben aus. Diese gepanzerten Hünen waren alles andere als schwierige Gegner. Sie verstanden sich blendend auf das Einschüchtern von Zivilisten – Leon war ein gutes Beispiel dafür –, an Kampferfahrungen mangelte es ihnen jedoch offenbar gänzlich. Sie machten zu viele überflüssige Bewegungen und so unbesiegbar sie durch ihren Berg an Muskeln auch schienen, vermutlich hatten sie nie richtig gelernt, diese Kraft effektiv zu nutzen.
Ihre Hand schoss vor und fing den kommenden Schlag ab. Ein dicker Eiskristall in der Handfläche sorgte dafür, dass die Schneide sie nicht verletzte. Das Schwert war zweifelsohne scharf genug, um tiefe Wunden zu hinterlassen. Das Eis wuchs und umschloss schließlich den Griff samt festhaltender Pranke. Aus geweiteten Augen starrte der Soldat sie überrascht und wütend zugleich an. Scheinbar hatte er nicht mit Magie gerechnet.
"Hör mir mal gut zu, du Schießbudenfigur...Ich hab beim besten Willen keine Ahnung, was ihr hier wollt oder wer euch geschickt hat. Aber ich weiß, dass ich solche billigen Ritterimitationen wie euch bisher noch nie in Clover gesehen hab – und ich komme recht häufig in Kontakt mit unseren kleinen Ordnungshütern. Es ist mir im Endeffekt auch scheißegal, weshalb ihr dämlichen Trauergestalten hier 'rumspukt." Sie funkelte ihn angriffslustig an. Ihr Tonfall war knurrend und trotz der deutlichen Erschöpfung in ihrer Stimme, wich der Mann einen merklichen Schritt zurück.
"Ich will im Moment nur wissen, was ihr von dem Rotschopf wollt beziehungsweise wo ihr ihn hinbringt. Ich bezweifle stark, dass ihr Widerlinge seit heute hier die Helden der Justiz spielt...Also, wo zerrt dein Freund den Kleinen hin?! Sag's mir oder du liegst gleich bei deinen verunstalteten Kameraden und weißt nicht mehr, wo oben und unten ist", zischte sie wutentbrannt. Geduld war im Augenblick so ziemlich das Letzte, was Kira hatte, dennoch ließ sich der Soldat einige Sekunden Zeit, ehe er eine Antwort lieferte. Eine recht karge wie dreiste noch dazu. Der gereizte Ausdruck kehrte in seinen Blick zurück. "Was geht dich das an, heh?! Steckst du mit dem elenden Pimpf unter einer Decke, oder was? Verzieh dich heim und geh deinen Spielchen nach, Kleine!" Der Druck erhöhte sich trotz der eingefrorenen Hand rapide und der Eiskristall begann zu splittern.
"Sieh an, Arschgesicht kann ja doch was." Yukiras Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie hob ihre andere, Wasser umhüllte Faust und setzte zum Schlag an, hielt jedoch abrupt inne. Ein scharfer Schmerz jagte plötzlich durch ihre Gliedmaßen und konzentrierte sich einseitig am Schulterbereich sowie knapp über dem rechten Fußknöchel. Die angespannte Muskulatur ihres Armes erschlaffte kurzzeitig, bevor sie sich wieder mit einer solchen Intensität verkrampfte, dass die Magierin einen Aufschrei unterdrücken musste. Die geballte Hand sackte übergangslos herunter. Ein gequältes Stöhnen glitt zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hindurch.
"Warum muss das ausgerechnet jetzt passieren, eh? Verdammte Scheiße nochmal! Als ob ich sowas gerade brauchen könnte!!"
In einer raschen Bewegung löste sie den Griff um die Schwertschneide und wich einige Schritte zurück, wobei sie ihr Gewicht auf das linke Bein verlagerte. Die nun freigewordene Hand presste sie auf den brennenden Oberarm. Das intensive Pulsieren des Lacrimas unter den Stoffschichten war deutlich zu spüren. "Gottverfluchter Shit! Irgendwann reiß ich all diese verdammten Scheißdinger aus meinem Körper! Und wenn es mich das Leben kostet!"
Dass ausgerechnet in diesem Moment ihr Körper anfing, ihr übel mitzuspielen, schien dem Hünen große Freude zu bereiten, denn seine wulstigen Lippen verzerrten sich zu einem höhnischen Grinsen. "Na, was ist los, Kleine? Aufgehört große Töne zu spucken, heh? Hast den Mund wohl zu voll genommen!" Der spöttische Tonfall in seiner rauen Stimme sorgte nicht unbedingt dafür, dass Yukiras Wut sich milderte, eher im Gegenteil. Sie konnte im Augenblick jedoch nicht viel ausrichten. Anhand der Schmerzen wusste sie nicht nur, dass sie die Kristalle zur Krafterhöhung überanstrengt hatte. Nein, auch dass die Geschwindigkeit des Zersetzungsprozesses soeben begonnen hatte, sich zu erhöhen. Was wiederum bedeutete, das kleine Maß an Magie, was sie noch übrig hatte, war relativ bald aufgebraucht. Und die Reaktionen in ihrem Körper, die dem folgen würden, kannte sie nur zu gut.
"Gottverdammt! Ich muss auf der Stelle hier weg und dem Rotschopf hinterher! Diese dummdreiste Schießbudenfigur knöpf ich mir ein anderes Mal vor, ungeschoren kommst du mir nicht davon!"
Sie verzog das Gesicht, als sie ihr Gewicht zurück auf das geschwächte Bein verlagerte. Mit Mühe sammelte sie den letzten Rest Magie, den sie noch verwenden konnte, ohne sofort Blut spuckend zusammenzusacken, im linken Fuß und trat in einer schnellen Bewegung dem Soldaten die Beine weg, sodass dieser haltlos der Länge nach hinkrachte. Seine Rüstung schepperte dabei ohrenbetäubend laut in der Stille.
"Ich hab grad keine Zeit, weiter mit dir zu spielen. Man sieht sich noch", knurrte sie und machte sich augenblicklich daran, den vierten Kerl zu verfolgen. Den gänzlich aufgelösten Leon ließ sie einfach zurück.
So schnell es ihre erschöpfte Muskulatur zuließ, stürmte Yukira durch die Straßen. Den scharfen Schmerz, der an ihren Gliedmaßen fraß, versuchte sie dabei so gut es ging auszublenden. Der Hüne, der, wie sie vermutete, hinter der Entführung des schmächtigen Kerlchens steckte, hatte in den wenigen Minuten, die sie benötigt hatte, um den Weg freizuräumen, offenbar ein ordentlichen Tempo an den Tag gelegt, denn nirgendwo war auch nur eine Spur von den Beiden zu erkennen, egal wie viele Gassen sie auch durchsuchte. Da der Geruch von Blut noch immer ihre Sinne benebelte, konnte sie sich in dieser Situation auch nicht auf ihre empfindliche Nase verlassen. Die Magierin tappte also vollkommen im Dunkeln.
"Mist, verdammter! Was mach' ich jetzt? Die können wohl kaum vom Erdboden verschluckt worden sein!" Kira biss sich unbewusst auf die Unterlippe. Der Wut mengte sich nun wachsende Sorge und steigendes Unbehagen bei. Eine Mischung, die nicht gerade zur Beruhigung der eigenen Nerven beitrug, wenn man ehrlich war. Sie hatte nicht wirklich einen Anhaltspunkt, wohin der Kleine verschleppt werden konnte, da sie diese gepanzerten Muskelberge, die scheinbar vorgaben, fortan die Rolle der Justizhelden zu spielen, bis vor wenigen Augenblicken noch nie in Clover gesichtet hatte. Umso mehr beunruhigte sie es nun, dass der Soldat den Rotschopf einfach mitgenommen hatte. Jeder Blinde hätte erkannt, dass der Junge als Verdächtiger für einen Mord wohl kaum in Frage kam. Dafür war er zu aufgelöst gewesen, und ein solch hohes Schauspieltalent, einen Schock so realitätsgetreu vorzuspielen, traute sie ihm beim besten Willen nicht zu. Entweder erlaubten sich diese Ritterimitationen also einen äußerst miesen Scherz oder ihnen mangelte es an wesentlich mehr Erfahrung, als sie angenommen hatte. Irgendetwas stimmte hier ohnehin nicht. Wo kamen die Hünen überhaupt her? Die Kleinstadt hatte mehr als genug Ordnungshüter, die ihrer Arbeit pflichtbewusst und effizient nachgingen – davon konnte die Neunzehnjährige ein ganzes Album singen. Einen Grund zur Verstärkung, geschweige denn Auswechslung gab es demnach nicht. Weshalb kreuzten also so plötzlich irgendwelche vor Testosteron strotzenden Kerle auf, die sich aufführten, als wären sie der (neue) Arm des Gesetzes? "Das Ganze stinkt doch bis zum Himmel! Wegen den heutigen Vorkommnissen kann das unmöglich passiert sein...Ich hoffe es nicht, aber vielleicht hatte Cassy mit ihren Befürchtungen doch recht...Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann stehen wir vor einem wirklich riesigen Problem..."
Während sie ihren Gedanken nachging, hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet und ein starker Platzregen benetzte die Erde. Die kalten Tropfen, die an ihr hinabrannen, waren nicht nur Balsam für ihre leicht fiebrige Haut, sondern sie sorgten auch dafür, dass Yukiras Jähzorn sich allmählich linderte und ihr Magievorrat langsam aber stetig wieder anstieg. Sicherlich, so mancher hätte ihr irritiert oder Kopf schüttelnd, vielleicht sogar vollkommen entgeistert hinterhergesehen, wenn man sie so, mit weit ausgestreckter Zunge und etwas erhobenem Kopf, grimmig und gedankenversunken vor sich hin starrend, an sich vorbei hetzen sah, aber eine bessere Möglichkeit, das Wasser schnellstmöglich in ihren geöffneten Mund zu befördern, fiel ihr spontan nicht ein. Es war ohnehin ein kleines Wunder, dass sie dabei nicht über ihre eigenen Füße stolperte, war ihre Geschwindigkeit doch nicht unbedingt gering. Man konnte wohl eher von Glück sprechen, dass keine Menschensseele hier draußen umherlief. Wer weiß, ob die Magierin sie in ihrer Hast nicht eventuell umgerannt hätte?
Der Regen füllte sie nicht nur mit neuer Energie, er wusch auch den benebelnden Blutgeruch fort, sodass Kira ihre empfindliche Nase nun für die Suche verwenden konnte. Es war nicht unbedingt ein leichtes, bei dem Guss, der nicht nur diesen Gestank vertrieb, etwas wahrnehmen zu können, und es kostete einiges an Konzentration, doch schließlich hatte sie eine, wenn auch schwache Spur.
Die gesamte Aufmerksamkeit darauf fixiert, dem schon schwindenden Hauch zu folgen, erhöhte die Schwarzhaarige noch einmal ihr Tempo und preschte nun regelrecht voran. Das Stechen in ihren Gliedern, besonders in ihrem Bein, wurde augenblicklich schärfer und sie verzog unwillkürlich das Gesicht vor Schmerzen. Sobald diese Verfolgungsjagd vorbei war – und das war sicher – würde sich ihr Körper für die Strapazen bedanken. In Form eines herrlich langen Muskelkaters, der von der Grausamkeit sogar Cassandras Zorn in den Schatten stellte. Daran hatte der weibliche Dragon Slayer keinerlei Zweifel.
Die Straßen mündeten allmählich in schmalere Gassen, was bedeutete, das man die winzige Innenstadt hinter sich gelassen hatte. Der leichte Geruch war mittlerweile trotz des Platzregens wesentlich stärker geworden. Die Beiden konnten also nicht mehr allzu weit entfernt sein, es war nur noch eine Frage der Zeit. Wie zur Bestätigung tauchten auch schon nach wenigen Minuten verschwommene Silhouetten im Dunkeln auf, die mit etwas Anstrengung sogar recht gut erkennbar waren. Es hätten durchaus auch normale Zivilisten sein können, die sich trotz des schlechten Wetters draußen aufhielten. Da dies aber zum Einen mehr als unwahrscheinlich war und zum Anderen einer der Schatten ein verräterisch breites Rückrat besaß, bestand kein Zweifel. Bereit zum Endspurt, steigerte Yukira ein letztes Mal ihr Tempo und die Distanz zwischen ihnen schmolz in Windeseile dahin. Sie hatte inzwischen wieder genug Magie gesammelt, um sich auf einen Kampf einlassen zu können – wenn auch nur auf einen äußerst kurzen. Das Ganze musste ein schnelles Ende finden, sonst sah es mehr als schlecht für sie aus. Der Regen hatte zwar einiges wiederhergestellt, durch die große Belastung der angegriffenen Muskulatur hatte sich jedoch auch der Schwund erhöht. Somit würde ihre Magie auch nicht mehr allzu lange ausreichen.
"Dann wollen wir mal auf ins Gefecht!" Die Hände leicht erhoben, entglitt ein leises "Kairyuu Senbi" ihrer Kehle. Augenblicklich schossen mehrere peitschenartige Gebilde aus Wasser auf den Soldaten zu und schlangen sich um die stämmige Gestalt. Die letzten Meter waren rasch überbrückt und die flüssigen Stränge hinderten den Hünen gleichzeitig daran, sich weiter fortzubewegen, sodass dieser wie sein gepanzerter Freund zuvor der Länge nach fiel. Der Rotschopf, der auf seiner Schulter ruhte, rutschte ab und wurde in letzter Sekunde von zwei vor Schmerzen zitternden Armen knapp über dem Boden aufgefangen, ehe er auf die nassen Pflastersteine knallen konnte.
"Verdammtes Gör! Was soll das, eh?!" Die raue Stimme des Mannes dröhnte laut in der schweren Nachtstille, was sie umso bedrohlicher klingen ließ. Kiras überraschter Blick wechselte übergangslos zu einer perplexen Mimik, den Sturz hatte er einfach einhändig abgefangen. Das an sich war nicht wirklich eine Meisterleistung, aber was dem folgte, löste in der Schwarzhaarigen leichtes Unbehagen aus. Als gäbe es keine Stränge, die sich mit immer weiter wachsendem Druck um seinen Körper wanden, stand er kurzerhand auf. Zeitgleich zersprangen die Fesseln und der Soldat hatte wieder volle Bewegungsfreiheit. Ihre Angriffskraft schien offenbar doch mehr gelitten zu haben, als sie geahnt hatte. Die grauen Augen jähzornig auf Yuki gerichtet, stieß er ein animalisches Knurren aus, ehe seine geballte Pranke vorschoss – Yukiras Gesicht als Ziel.
Diese wich dem Schlag ungelenk aus, indem sie sich ein wenig nach hinten warf und so außer Reichweite schlitterte, wobei sie mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte. Das Gewicht des Jungen war erstaunlich leicht, dennoch reichte es aus, um das Brennen in ihren Armen zu vervielfachen. Normalerweise wäre dieser wandelnde Muskelberg kein Gegner für sie, doch sah die Situation derzeit vollkommen anders aus. Die Lacrima hatten begonnen, ihren Körper innerlich anzugreifen und ihre Magie war unter die Grenze gesunken, in der sie die Wirkung der Kristalle noch neutralisieren konnte. Mit jedem Augenblick stieg die Intensität der Schäden ein kleines Stück mehr und ihre Muskulatur wurde schwächer, während die Schmerzen wuchsen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Folgen dessen einsetzten.
Zeit, den Rotschopf aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu bringen, blieb ihr nicht, denn der Hüne stürmte bereits voran. Zu schnell, als das ihr von Erschöpfung getrübter Verstand rechtzeitig reagieren konnte. Die Faust traf sie knapp neben dem Sonnengeflecht, stark genug, um sie gegen die nächste Mauer zu schleudern. Die Wucht des Aufpralls sorgte dafür, dass ihre verkrampften Finger sich lösten und der Junge aus ihrem Griff fiel. Reflexartig fing die Magierin zumindest den Oberkörper notdürftig ab, ehe sie ihn vorsichtig auf den Boden legte.
"In meinem jetzigen Zustand komm ich unmöglich gegen ihn an...Ich muss versuchen, ihn wenigstens irgendwie zurückzutreiben, sonst kommen wir hier nicht weg. Er dürfte momentan wohl sowieso schneller sein als ich..." Ein Hustenanfall unterbrach ihre Gedanken. Augenblicklich jagte eine sengende Welle durch ihre Brust. Einzelne Tropfen fielen auf das nasse Pflaster, wo ihre dunkle Farbe das Regenwasser leicht rötlich färbte. "Verfluchter Shit! Sinkt meine Magie etwa schneller, als vermutet? Wenn das wirklich der Fall ist, muss ich mich schleunigst beeilen!" Wie auf's Stichwort verschwand plötzlich links die Umgebung hinter einem schwarzen, blickdichten Schleier. Die Magie reichte nicht mehr aus, um den Zauber aufrechtzuerhalten, sodass anstelle ihres grünen Auges nun ein helltürkisfarbener Kristall sichtbar wurde. Ihr Blick glitt zu dem Soldaten, auf dessen Lippen ein breites, sadistisches Grinsen lag. Er hatte die Veränderung offenbar nicht bemerkt. "Was denn, sowas kleines macht dich schon fertig? Wie langweilig." Der triefende Spott in seiner Stimme ließ Kiras Wut erneut aufflammen. Am liebsten hätte sie ihn nach allen Regeln der Kunst eines besseren belehrt, jedoch war das in der momentanen Lage alles andere als möglich. Würde sie nun auf ihn losgehen, wäre der Kleine verloren und sie am kommenden Morgen des Todes. So sehr es ihr auch missfiel, es blieb nur eine einzige zwangsläufige Option: Flucht. Sie musste sich den Rotschopf packen und das Weite suchen.
Ein weiterer Hustenanfall entfuhr ihrer Kehle. Diesmal fand eine wesentlich größere Menge Blut seinen Weg aus ihrem Körper. Was ihren Gegenüber scheinbar prächtig amüsierte, denn mit einem Mal erfüllte sein widerliches, von Grunzlauten dominiertes Lachen die Nacht. "Jetzt schon am Arsch, wie erbärmlich! Hast dir wohl zu viel zugemutet, heh? Verdammtes Drecksgör!"
Yukira ignorierte die Worte weitgehend und sammelte so viel Magie wie noch entbehrlich war, um eine letzte Gegenwehr zu starten."Das ist doch glatter Selbstmord...Irgendwann brech ich unter dem Scheiß noch zusammen..." Sie biss sich unbewusst auf die Unterlippe bei dem Gedanken. Es stimmte, irgendwann würden diese inneren Angriffe sie das Leben kosten. Und da bisher keiner der unzähligen Ärzte, an die sie sich schon gewandt hatte, egal ob normal oder Magier, ihr hatte helfen können, war eine Aussicht auf Heilung nahezu aussichtslos. Was es nicht eine seltsame Ironie, dass die Magie ihres künstlichen Herzens, die ihr Überleben sicherte, gleichzeitig auch den Beschleuniger für ihren eigenen Tod darstellte?
Kira schüttelte energisch den Kopf, um die finsteren Gedanken loszuwerden. "Konzentrier dich! Es gibt jetzt wesentlich wichtigeres, als dein mögliches Ableben in ferner Zeit!" Sie hob die Hand und im selben Moment wurde die Menge gebündelter Magie in H2O verwandelt, das sich blitzartig um den Soldaten schloss und ihn so in einer verhältnismäßig kleinen Kugel aus Wasser einsperrte. Um ein schnelles Entkommen zu verhindern, überzog sie das provisorische Gefängnis sofort mit einer dicken Eisschicht.
Kaum war der runde Käfig vollendet, machte sich unmittelbar der hohe Magieverlust bemerkbar. Eine weitere Schmerzenswelle zwang die Neunzehnjährige zu Boden, wo sie einen regelrechten Schwall an Blut erbrach. Schwindel überkam sie und winzige schwarze Punkte tanzten schwach vor ihren Augen. Das kraftvolle Hämmern des Hünen drang dumpf an ihre Ohren. "Reiß dich zusammen! Schnapp dir den Kleinen und hau ab! Selbst mit seinen Muskeln wird der Kerl 'ne Weile brauchen, um da rauszukommen! Nutz die Chance und mach, dass du hier wegkommst!", schrie eine Stimme in ihr. Der aufgebrachte, energische Klang sorgte dafür, dass Yukira sich wieder fing. Sie richtete sich, wenn auch mit großer Mühe wieder auf und hastete schwankenden Schrittes zu dem Jungen. Dieser hatte sich in der kurzen Zeit kein Stück weit von seinem Platz entfernt. Offenbar stand ihm der Schock doch wesentlich tiefer in den Gliedern, als sie vermutet hatte.
Ein paar ungelenke Handgriffe und er lag schließlich auf Kiras Rücken, wobei der Halt mehr improvisiert als sicher schien. Mit einem letzten raschen Blick zu dem Gepanzerten, der noch immer wild gegen das Eis schlug, welches bereits Riss bekam, wie die Magierin zu sehen glaubte, lief sie so schnell es ihr mit den Belastungen möglich war los. Der Hüne starrte zornig brüllend hinterher, wie die Beiden zwischen den Häusern verschwanden.
Yukira hätte hinterher nicht sagen können, wie viel Zeit verstrichen war, während sie sich mit ihrem ohnmächtigen Begleiter durch die dunklen Gassen von Clover bewegte. Angst, dass der Soldat sie verfolgen könnte, verspürte sie nicht, denn ihr Weg führte durch die verlasseneren Viertel der Kleinstadt. Auf diese Weise kostete es zwar wesentlich mehr Zeit, aber wenigstens konnte sie so sicher sein, dass weder der Kerl sie aufspüren noch irgendwelche Passanten sie entdecken konnten. Wie eine Reaktion von Seiten eines Zivilisten ausfiel, wenn letzteres eintrat, kann man sich wohl vorstellen. Hier spukte eine Gestalt durch die Gegend, die optisch mehr einem Poltergeist als einem erschöpften Menschen glich. Blasse Haut, auf der das verlaufene Blut in ihrem Gesicht besonders gut zu Geltung kam; leicht unterlaufene Augen, von denen eines im schwachen Mondlicht in einem unheimlichen, fast schon gespenstischen Grün leuchtete und auf dem Rücken ein regloser Körper, vollständig in Rot und Erbrochenes getränkt – aus Yukiras Sicht hatte das bei sensiblen Personen durchaus Traumapotential. So konnte man nur hoffen, dass sich unter den neuen Mitgliedern kein empfindliches Gemüt befand, denn allzu lang dauern würde es nicht mehr, bis sie das Gildenhaus erreichten. Der Kleine war dort am besten aufgehoben. Damien würde sich seiner annehmen. Der Anblick der Kinderleiche war sicherlich nicht spurlos an der Psyche des Rotschopfes vorbeigegangen. Um ehrlich zu sein, traute sie ihm auch nicht wirklich zu, einen solchen Mord gefasst aufzunehmen – so wie sie. Aus irgendeinem unbekannten Grund schien ihr der Tod des Jungen nicht wirklich nahezugehen. Es war einfach eine unschön anzusehende und entsetzliche Tat, mehr nicht. Sie fühlte keinen schweren Schock wie der Kleine auf ihrem Rücken, keine Trauer, dass einem Kind die Opferrolle zuteil war – nur Bedauern. Bedauern darüber, dass jemand sich das Recht herausgenommen hatte, ein Leben leichtfertig zu beenden.
"Was zur Hölle ist eigentlich los mit mir? Ich hab da drinnen einen ermordeten Jungen gesehen! Jeder normale Mensch würde in einem Chaos von Empfindungen regelrecht untergehen, würde panisch abhauen oder versuchen, den Kleinen zu reanimieren, die Polizei verständigen und sonst noch was – und ich? Was mach ich? Ich verzieh mich nur, weil mich der Anblick hauptsächlich anwidert und ich den Blutgeruch nicht ertragen kann! Das Kind an sich war mir doch scheißegal, machen wir uns nichts vor!" Ein düsterer Schatten huschte über ihr Gesicht. "...Was zur Hölle stimmt mit mit nicht...?"
Je intensiver sie über den Vorfall nachdachte, desto heftiger wurden ihre Kopfschmerzen, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt. Sie verbannte das Thema aus ihrem Gedächtnis, der Rotschopf hatte momentan Vorrang! Zeit, weiter darüber zu grübeln, hatte sie ohnehin nicht, denn sie hatten inzwischen die östliche Stadtgrenze und somit auch fast das Gildenhaus erreicht.
Den Rest des kurzen Weges überlegte Yukira, ob und wie viel sie dem Heilmagier eigentlich erzählen sollte. Er würde sicherlich nachfragen und daraus konnte sich rasch ein Verhör entwickeln. Da sie allerdings schnellstmöglich nach Hause wollte, war es wohl besser, wenn sie das Ganze nur oberflächlich anschnitt – zumindest die Ursache für ihr geisterhaftes Erscheinungsbild.
Mit einem Tritt schwang die breite Doppeltür auf und Yuki betrat schleppenden Schrittes die Halle. Damien, der wie so oft hinter der Theke stand und seiner Arbeit nachging, begrüßte sie ohne aufzublicken mit einer trockenen Bemerkung: "Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du die Tür nicht auch noch beschädigen würdest, Kira." Diese hatte dafür nicht mal ein müdes Lächeln übrig. Sie war erschöpft, alles in ihr schrie vor Schmerzen und es kostete sie ein nahezu unmenschliches Maß an Beherrschung, nicht einfach zusammenzusacken und das immer wieder hochkommende Blut auszuspucken. "Spar dir deine Kommentare und mach dich nützlich, ich hab hier ein kleines Problem." Ihre Stimme klang leicht brüchig, was den Schwarzhaarigen dazu veranlasste, den Kopf zu heben. Der fragende Ausdruck wich jedoch sofort verwirrtem Entsetzen, als er Yukira flüchtig musterte. Seine Augen weiteten sich, Skepsis und Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Bei allen guten Geistern, was ist denn wieder mit dir passiert?! Du siehst aus, als wärst du dem Grab entstiegen!"
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Schatten ihres üblichen, frechen Grinsens. "Mach dir mal um mich keine Sorgen. Nur eine kleine Auseinandersetzung auf dem Rückweg, nicht der Rede wert. Das Hauptproblem liegt auf meinem Rücken." Sie drehte sich ein wenig, sodass Damien den ohnmächtigen Rotschopf sehen konnte. Augenblicklich eilte der Heilmagier zu ihr, um den Jungen genauer in Augenschein zu nehmen. Von Nahem schien ihn das Ganze noch mehr zu beunruhigen. "Yuki, bring ihn bitte ins Krankenzimmer, ich komme gleich nach", war allerdings das Einzige, was er dazu sagte. Sein Tonfall war dabei nicht unbedingt herzlich. Dem Drang widerstehend, ihn zurechtzuweisen, weil er sie "Yuki" genannt hatte, nickte sie nur knapp und folgte leise vor sich hin murrend seiner Anweisung.
Schließlich war der Weg bezwungen, die Schmerzen in ihren Beine geschürt und der Kleine in eines der Betten gelegt, als Damien auch schon hereinschneite. Seine Miene war düster. Scheinbar missfiel es ihm, dass nach heute Nachmittag noch ein weiterer Patient aufgetaucht war, den es zu versorgen galt. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, marschierte Yukira geradewegs Richtung Tür. Sie wollte schnellstens hier weg, bevor ein gewisser Jemand ihr Löcher in den Bauch fragen konnte. Ihr Plan wurde allerdings sofort zunichte gemacht, denn seine Hand schloss sich plötzlich um ihr Handgelenk. "Sag mir, was passiert ist, Kira. Du weißt genau, dass ich mich mit so einer schlechten Notlüge nicht zufrieden gebe. Also, was ist passiert? Du kannst dich doch kaum noch auf den Beinen halten. Erzähl mir nicht, dass so etwas wegen einer kleinen Auseinandersetzung zustande kam." Während er sprach, klang seine Stimme noch kühler als sonst und Yukira konnte den intensiven Blick, mit dem er sie bedachte, deutlich spüren. Das war Damiens ganz eigene Art, seine Sorge auszudrücken. Nicht unbedingt leicht verständlich, aber er war noch nie ein Mann großer Gefühlsregungen gewesen.
Ein lauter Seufzer entglitt ihrer Kehle. Über die rechte Schulter hinweg blickte Kira ihn an, sodass er ihr anderes, geschlossenes Auge nicht sah. Auf ihrem Gesicht lag ein düsterer Schatten. "Hör zu, Damien...Das Haus, in dem Leon Kampfgeräusche gehört hat – in dem Haus ist ein Mord geschehen. Jemand hat dort einen kleinen Jungen kaltblütig umgebracht...Der Rotschopf lag draußen vor der Tür, blutverschmiert und bis ins Mark unter Schock stehend. Ich kenne keine Details, aber ich weiß, der Kleine hat damit nichts zu tun. Ich vermute eher, die Familie, die da lebt – oder gelebt hat – hat ihm angeboten, bei ihnen die Nacht zu verbringen. Dank des Festes sind ja nahezu alle Übernachtungsmöglichkeiten hier belegt.
Jedenfalls würde ich dich bitten, dass du dich um ihn kümmerst. Der Anblick der Kinderleiche ist sicher nicht einfach so an ihm vorübergegangen...Wer weiß, ob ihn das nicht traumatisiert hat. Mich würde es nicht wundern...
Was mich betrifft...Ich hatte eine kleine Prügelei mit ein paar dummdreisten Idioten, nichts weiter. Es ist nichts ernstes, mach dir deswegen keinen Kopf. Ich halt schon was aus." Sie löste sich mit sanfter Gewalt aus seinem Griff und schritt auf die geöffnete Tür zu. "Außerdem...Ich glaube nicht, dass du mir bei diesem Problem helfen kannst. Das hat bisher keiner geschafft...Aber ich weiß deine Mühe zu schätzen, wirklich..." Ihre letzten Worte klangen bitter und verletzlich. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ den Raum und das Gildenhaus. Zurück blieb ein fassungsloser Damien, der sich zwischen Entsetzen, Wut und Sorge hin und her gerissen fühlte.
Der Heimweg erschien Yukira wie eine Ewigkeit. Unermüdlich spukten die Geschehnisse des heutigen Tages in ihrem Kopf herum und schrien nach ihrer Aufmerksamkeit, welche ihnen auch voll und ganz gewidmet wurde. Mehr apathisch als bewusst bewegte sie sich durch die Straßen. Ihre mittlerweile tauben Füße trugen sie von allein nach Hause, weswegen die Schwarzhaarige sich vollkommen auf das Verbannen der wild umher tanzenden Gedanken konzentrieren konnte, die sehr zum Leidwesen Kiras die Kopfschmerzen weiter schürten. So fiel ihr die Ankunft an dem kleinen Haus, in dem Kaelie und sie zusammen wohnten, auch erst auf, als sie unmittelbar vor der Eingangstür stand und automatisch nach dem Schlüssel in ihren Hosentaschen suchte.
Mit leicht bebenden Fingern schloss sie auf und trat ein. Geistig noch immer ganz wo anders, entledigte sie sich der Schuhe sowie ihrer Jacke. Beides warf sie achtlos auf den Boden. Erst als sie den Blick hob, wurde sie in die harte Realität zurückgeschleudert. Wie eiskaltes Wasser wirkte der Anblick, der sich ihr bot. Vor ihr, vielleicht einen knappen Meter entfernt, stand ihre Mitbewohnerin breitbeinig, ein pechschwarzes Gewehr im Anschlag, dessen Lauf direkt auf sie zielte. Augenblicklich wich Yukira einige Schritte zurück, ihre Augen weiteten sich überrascht. Hatte sie etwa wieder irgendwas verbrochen, was Kaelies missgelaunte Art geweckt hatte?
"Ähm...Dürfte man erfahren, weshalb ich einen so herzlichen Empfang bekomme?", versuchte sie sich vorsichtig zu erkundigen. Der Tag war schon bis zum Exzess scheiße gelaufen, um es unverblümt auf den Punkt zu bringen. Da konnte sie auf eine Moralpredigt à la "Mach sowas nochmal und ich bring dir tanzen bei" auch gerne verzichten.
Ihr Grund zur Sorge war allerdings unnötig, wie sich schon im nächsten Moment herausstellte. Kaelie starrte sie nämlich nicht viel weniger perplex an. So verstrichen Sekunden, ehe die Hobbymechanikerin plötzlich das Wort ergriff. "Ach, du bist's, Yuki" kam als doch recht lahme Entgegnung. "Ich dachte, es kreuzt schon wieder einer dieser Ritterimitationen auf, die vorhin hier reingeschneit sind." Ihre Wangen schimmerten rötlich, was darauf schließen ließ, dass dieses Missgeschick ihr furchtbar peinlich war.
Kira hingegen glaubte, sich verhört zu haben. "Ritterimitationen? Wer war wann hier und weshalb?" Sie selbst klang verwirrt, doch alles in ihr schrie Alarm und sie machte sich die Antwort gefasst, die sie unter keinen Umständen hören wollte.
"Ach, so ein Haufen Deppen in Rüstungen. Ziemlich grobschlächtig, 'ne Menge Muskeln, aber offenbar kein Hirn. Haben sich nach jemandem erkundigt, der dir ziemlich ähnlich schien...Hast du etwa wieder was angestellt?" Ihr Blick wurde skeptisch, als sie bemerkte, wie die Magierin sichtlich zusammenzuckte.
Diese versuchte ihren Schock weitgehend zu verbergen, indem sie eine genervte, entrüstete Miene aufsetzte. "Ist ja wirklich nett von dir, dass du mir ständig Zerstörungswahn anredest, werte Frau "Ich verschanz mich und spiel Kellerassel mit meinen Autos"." Der patzige Ton sorgte schließlich dafür, dass Kaelies Mimik ins Beleidigte wechselte.
"Ich sorg dafür, dass du deine miesen Fahrkünste auf dem Motorrad ausleben kannst, du undankbares Weib! Aber viel wichtiger, was ist eigentlich mit dir passiert? Du siehst aus, als wärst 'n Zombie!" Sie senkte die Schusswaffe und stemmte fragend die Hände in die Hüften – den Finger noch immer am Abzug.
"Danke für die Blumen, das Gleiche hat Damien auch gesagt. Ich hatte heute nur den mit Abstand beschissensten Tag meines Lebens." Sie gab der Blondhaarigen eine kurze Zusammenfassung der letzten Stunden, wobei sie die Rettungsaktion des Rotschopfes nur als "kleine Prügelei" anschnitt. "Du darfst dich morgen also schön brav mit ins Gildenhaus bewegen und Cass Rede und Antwort stehen, weshalb du heute gekniffen hast", schloss sie mit einem schadenfrohen Lächeln.
Kaelie blickte sie nur finster wie irritiert an, sagte aber nichts. Das Verlangen endlich dem Schmerzorchester in ihrem Körper zu entfliehen, ließ sich mittlerweile kaum noch zügeln. Eine lockere Laune vorzuspielen, hielt sie auch nicht mehr lange aus. Es wurde also Zeit, Madam Immerfröhlich abzuhängen.
"Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich bin dem Tode momentan näher, als mir lieb ist. Ich brauch 'ne gehörige Portion Matratzenhorchdienst." Mit einem letzten "Bis morgen" verabschiedete sie sich und verkroch sich nach oben.
Der erste Halt galt ihrem Zimmer. Schwungvoll wurde die Tür geöffnet, ehe sie kurz darauf krachend wieder zufiel. Yukira torkelte zu ihrem Nachttisch, riss sämtliche Wasserflaschen, die sie dort für 'Notfälle' – sprich die Faulheit, sich wegen Durst aus dem Raum zu begeben – gelagert hatte, an sich und machte sich in Rekordzeit darüber her. Die leeren Plastikbehälter ließ sie einfach auf den Boden fallen, ehe sie, nun da es ihr wesentlich besser ging, ihre Tour fortsetzte in Richtung Badezimmer.
Während sie den gefliesten Raum in gemächlichem Tempo durchquerte, zog sie die mittlerweile verdreckten Kleidungstücke aus und warf sie achtlos auf den Rand der Badewanne, wo noch immer ihr 'Pyjama' von heute morgen lag. Wenige Augenblicke später lief das Wasser bereits in breiten Rinnsalen heiß ihren geschundenen Körper hinab und Yukira gab sich endlich den Gedanken hin, die ihr schon die ganze Zeit wirr im Kopf herumspukten und ihr Gemüt immer weiter aufwühlten.
Woher wussten diese Soldaten, wo sie wohnte und weshalb waren sie hierher gekommen? Wegen dem Rotschopf? Weil sie sich in ihre vermeintliche Arbeit eingemischt hatte? Waren sie etwa mit dem Rat im Bunde? Wurden sie in Clover stationiert, weil man herausgefunden hatte, dass sie sich hier seit geraumer Zeit versteckt hielt?
Bei dem Gedanken stieg Kiras Entsetzen. Erst gestern war sie den Lakaien des Rates geradewegs in die Arme gelaufen – und so intelligent wie sie natürlich war, hatte sie sofort die Flucht ergriffen, als der Leiter der kleinen Truppe Anstalten gemacht hatte, sie erkannt zu haben. Ihre Reaktion war alles andere als unverdächtig gewesen, da gab es durchaus Sinn, dass ein Teil augenblicklich die Verfolgung aufgenommen hatte. Zwar hatte sie es nach Stunden irgendwie geschafft, zu entkommen, aber was war, wenn man sie letzten Endes wirklich erkannte hatte? Der Rat würde die Suche selbstverständlich noch intensiver durchführen als zuvor.
Seit knapp fünf Jahren lebte sie nun als Gejagte. Die Angst, ihnen schließlich doch in die Hände zu fallen, war ihr stetiger Begleiter. Auf wundersame Weise war es ihnen bisher jedoch nie gelungen, ihren Aufenthaltsort rechtzeitig ausfindig zu machen. Kurz nach ihrem Ausbruch aus dem Forschungslabor war sie in Magnolia untergetaucht und erst nach drei Jahren hatte der Rat ihre Spur wieder aufnehmen können. Der Hauptgrund ihrer Reise durch Fiore war nie spontane Lust gewesen, nein, sie war geflohen, weil sie all die Unwissenden in der Gilde nicht mit hineinziehen wollte. Ihnen hätte sonst das gleiche Schicksal gedroht wie ihr, daran hatte Yukira keinerlei Zweifel.
So diente Clover ihr also seit fast einem halben Jahr als neuer Zufluchtsort und nun bestand die Gefahr, dass sie auch hier gefunden wurde. Wenn diese Soldaten wirklich damit in Zusammenhang standen, war es besser, Vorkehrungen für eine mögliche Flucht zu treffen. Sie würde morgen Cassandras Rat einholen, denn sie und Makarov wussten als Einzige um Kiras vollständige Vergangenheit. Die Gildenmeisterin war es auch, die stets dafür sorgte, dass der durch die Lacrima ausgelöste Zersetzungsprozess so weit wie möglich unterdrückt wurde. Sie würde demnach sicherlich wissen, was im Moment zu tun war...
Als sie nach geschätzten dreißig Minuten schließlich aus der Dusche trat, waren ihre Gedanken zwar wieder halbwegs klar, sie fühlte sich aber dennoch matt, ja, regelrecht zermartert. Ihre Glieder waren schwer, als hätte jemand ihre Muskeln durch Blei ersetzt; der Kopf pochte noch immer, wenn auch ein klein wenig schwächer als zuvor und die Schmerzen, die die Kristalle verursacht hatten, waren noch nicht vollständig verebbt. Der morgige Tag würde für sie mit einem wunderschönen Kater beginnen, da war sich die Neunzehnjährige sicher.
Als ihre steifen Finger nach einem Handtuch griffen, fiel ihr Blick in den großen Spiegel an der Wand gegenüber. Kaelie und Damien hatten Recht, sie sah aus, als wäre sie geradewegs dem Grabe entstiegen. Ihr Gesicht war beinahe totenblass und unter den Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Die zahllosen Narben auf ihrem Körper unterstrichen das geisterhafte Erscheinungsbild auf groteske Weise.
Yukira bedachte die unerwünschten Andenken mit einem letzten Blick, ehe sie sich kopfschüttelnd abwandte, bevor erneut irgendwelche erdrückenden Gedanken ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten.
Sie trocknete sich notdürftig ab, schlüpfte in ihren zweiteiligen Pyjama und kehrte mit schnellen Schritten in ihr Zimmer zurück.
Nun, da sie nicht mehr kurz vor dem Zusammenbruch stand, spürte sie die Müdigkeit umso deutlicher. Mit einem lauten Gähner knallte sie die Tür zu und schlenderte zum Bett, wo sie sich auf die Matratze fallen ließ, als plötzlich eine schläfrige, kindlich helle Stimme ertönte. "Yuki...? Wo warst du heute..? Ich hab dich überall gesucht..." Ihr Blick glitt zu der kleinen, cremefarbenen Exceedkatze, die zusammen gerollt neben ihrem Kopfkissen ruhte und sich schlaftrunken die Augen mit einer Pfote rieb.
"Lass dich nicht stören. Schlaf ruhig weiter." Sie strich mit der Hand sanft über Mikis zierlichen Rücken, während sie, die andere unter ihren Kopf gelegt, rücklings da lag und die weiße Decke anstarrte. "Ob ich wirklich wieder ein rastloses Leben als Gejagte führen muss...?" Weiter darüber nachdenken konnte sie nicht mehr, denn die Erschöpfung überkam sie erneut wie eine Welle und ehe man sich versah, war sie in einen unruhigen Schlaf geglitten. Dass ihre Befürchtungen nicht unbegründet waren, würde der kommende Tag beweisen...
OT: Nach einer Ewigkeit auch mal wieder fertig geworden. Die Quantität scheint bei mir irgendwie immer wegen Nichtigkeiten den Rahmen bis zum Exzess zu sprengen..Beim nächsten Handlungsschritt geht es endlich weiter.
Entstand in Absprache mit Noxa...Und Himmel, ich muss wirklich mal mein Tempo steigern .__: