Hoo boy. Glaub meine Vergangenheit mit der Essstörung ist jetzt lang genug her, dass ich da mal öffentlich in einem Forum drüber reden kann. :P
Also, bei mir hatte das Ganze mit ungefähr 13 angefangen. Es gab keine Models, die ich vergöttert hatte oder sonstwas. Ich war einfach nur ein dummer kleiner Teenie das "Kontrolle über mein Leben" haben wollte, da ich aus einem sehr... problematischen Haushalt komme. Mit Beliebtheit in der Schule hatte es auch nicht so geklappt, "nicht sportlich genug" war einer der vielen Gründe warum man da ausgegrenzt wurde. Aber gut, die damals ebenfalls kleinen Teenies kannten ja auch meine häusliche Situation nicht. Zusätzlich war da auch noch meine eher garstige Omma, die gerne mal erwähnte was für ein Moppelchen ich war (rückblickend weiß ich, dass das "Moppelchen" absolut normalgewichtig war) und meine Mutter, die mich gerne zum Essen gezwungen hatte.
Kurz gesagt, das "ich mache mich über gesunde Ernährung und Sport schlau und kümmer mich SELBST drum was ich esse" war eher so ne Rebellion für mich. Später in Therapie hatte ich erfahren, dass Essstörung wie Anorexia Nervosa oft aus einem Verlangen nach Kontrolle über das eigene Leben kommen.
Jedenfalls, anfangs war das auch ganz nett. Ich konnte mich durchsetzen, hatte mehr Entscheidungsrecht darüber was ich essen konnte, habe mich ernsthaft mit gesunder Ernährung auseinandergesetzt. Anfangs geheim Sport im Zimmer gemacht, irgendwann dann durchsetzen können dass ich ins Fitnessstudio durfte. Aber irgendwann lief das Ganze halt total aus dem Ruder. Ich wollte immer weiter und weiter runter, immer weniger Essen. Immer mehr Bewegen, es hatte mich kirre gemacht kurz still zu sitzen, weil ich könnte ja noch mehr und mehr Kalorien verbrennen mit jeder Bewegung.
Ich denke, das Problem ist, wenn man in einer.. schwierigen Situation ist, die einem das Gefühl gibt, dass man keine Kontrolle über sich selbst bzw seinem Leben hat. Dann kann das schnell in eine Art Sucht übergehen, wenn man sich verzweifelt an eine Sache ranklammert, in der Hoffnung, wenigstens darüber die Kontrolle zu haben. Und ironischerweise verliert man dan komplett die Kontrolle über diese eine Sache. Ist ja bei ziemlich vielen Süchten der Fall, dass sie das Resultat eines ganz anderen Problems sind.
Auf jeden Fall hatte ich mich dann runter auf 39kg gehungert (15 BMI) mit einer unschönen Kombi aus Hungern und auskotzen. Wenn ich halt mal meine "Fressflashs" hatte, kam das alles gleich wieder raus. Meine Wahrnehmung von Essensmengen war da schon so verzerrt, dass für mich eine ganze Schüssel Müsli essen ein Fressflasch war lmao. Irgendwann (mit 15) bin ich dann im Krankenhaus gelandet, die mich kurze Zeit später in die Psychiatrie gesteckt hatten. Und da fing dann die Behandlung halt an. Muss sagen, von manchen Dingen die die da abgezogen hatten bin ich auch heute nicht begeistert, aber das "zum Essen zwingen" war schon sehr gut. Zumal man wegen dem Refeeding-Syndrom ja beachten muss, dass du nicht gleich mit "normalen" Mengen anfangen kannst. Trotzdem, der Zwang zum Essen war halt super wichtig, weil starkes Untergewicht nicht nur literally lebensgefährlich ist, sondern du halt auch gar nicht aufnahmefähig sein kannst. Das Gehirn arbeitet halt leider nicht so super mit kaum Nahrung. Und du brauchst dein Gehirn ganz schön viel um dein eigenes Verhalten zu reflektieren. Außerdem brachte das Untergewicht auch andere Schwierigkeiten: Ich musste extra langsam und vorsichtig aufstehen, weil mein Kreislauf sonst nicht mithalten konnte. Mir sind die Haare teilweise ausgefallen. Ich war total reizbar, dauernd randomly müde etc. Und das Verhalten... auf meinem Essensplan stand zB joghurt als Nachtisch, also hatte ich immer extra eine bestimmte Sorte genommen weil die 2 (!) Kalorien weniger hatte als der Rest xD
Und eine imo super faszinierende Sache, die mir heut noch im Kopf geblieben ist: Zu dieser Zeit hatte meine Therapeutin mich gefragt, mich erstmal im Spiegel zu betrachten und mich selbst zu beschreiben. Dann sollte ich auf ein großes Blatt Papier legen und sie hat den Umriss gemalt. Und damn, der Umriss sah halt einfach viel dünner aus als die Person, die ich im Spiegel gesehen hatte. Deswegen, für Leute, die verwirrt sind wenn Untergewichtige mit Anorexia Nervosa auf ihre "Fettpölsterchen" zeigen. Die sehen da halt wortwörtlich nicht nur ein kleines Röllchen, sondern ne ganze Wampe. Einfach faszinierend, weil wir ja immer gerne denken was wir sehen ist Tatsache, aber manche Leute lernen leider am eigenen Leib, dass das nicht stimmt. Wenn dein Hirn lost genug dafür ist, dann siehst du dich halt einfach als viel fetter als du bist.
Mittlerweile bin ich jedenfalls aus der Essstörung erfolgreich raus, bzw auch lange genug raus. Hab ein normales Gewicht, trau mich wieder vor anderen Menschen zu essen, mir auch mal ungesunde Kacke reinzupfeifen wenn ich Bock drauf hab, aber auch eine ansonsten gesunde Ernährung und Aktivität in den Alltag zu bringen ohne auszuarten. Ich ess zwar immer noch deutlich langsamer als 99% meiner Bekannten, aber sollten sich eh viel mehr Leute Zeit lassen beim Essen xD
Und die Anorexie wird zwar nie komplett weg sein von mir, genauso wie mit anderen psychischen Krankheiten kann man hier auch sehr schnell rückfällig werden. Aber jetzt halte ich mich schon seit gut ~7 Jahren davon ab.
Wie ich das geschafft habe... pff gute Frage. Die erstmalige Rehabilitation damit ich nicht gefährlich untergewichtig bin. Die Exposition, also meine Angst vor hochkalorischen Lebensmitteln nehmen indem ich mich langsam rangetasted hatte. Das Arbeiten an meinen Denk- und Wahrnehmungsverzerrungen. Es stimmt definitiv, dass man sich auf die Therapie einlassen muss. Bei mir war der Drang nach Änderung im Leben ganz groß, da ich damals schon wusste dass mich meine Familie psychisch total kaputt macht und das nicht so hätte weiter laufen können. In der Hinsicht war es ganz gut, dass die Essstörung dazu führte, dass ich in die Klinik kam und da direkt die Ärzte drum gebeten hatte das Jugendamt einzuschalten.
Aber, "sich auf die Therapie einlassen" ist halt auch viel schwieriger als man denkt. Man muss erst verstehen, dass man ein Problem hat und dann langsam und stetig dran arbeiten. Solange wie du an dem Problem gelitten hast, so lange und noch mehr wirst du wahrscheinlich auch dran arbeiten. Und blöderweise musst du dir die Motivation, an dem Problem zu arbeiten, auch noch erarbeiten.
War jetzt ein bisschen all over the place, aber ich wollte zu dem Thema einfach mal als Betroffener meinen Senf abgeben. Vielleicht liest es ja der ein oder andere noch Betroffene und findet Inspiration. Vielleicht finden andere es auch einfach nur interessant, mal die Perspektive von jemandem kennenzulernen, der da drinsteckte, aber mittlerweile die eigenen damaligen Denkverzerrungen reflektiert betrachten kann.