Jace stockte der Atem. Er hätte nie mit so einem Angebot gerechnet! Sein Herz raste. Was für Möglichkeiten würden sich bieten? Jace' Gedanken schweiften ab...
Die Sonne schien auf die Wiese. Dutzende Pokemon tollten um den Züchter herum. Eine leichte Brise wirbelte Blätter auf. Jace ging zum See und warf eine Angel hinein. Auf der Wasseroberfläche huschten Geweiher umher. Ihre Bewegungen verwischten die Reflektionen des Lichtes. Ein Ruck ging durch Jace´ Köper. Er zog die Angel ein. Ein dicker, blauer Fisch mit langen Barthaaren lag am Ufer. Jace streichelte dem Welsar über den Rücken und holte ein kleines Fläschchen aus der Tasche. Das Fischpokemon öffnete sein Maul und Jace schüttete den Inhalt des Fläschchens hinein. "Braves Welsar. Und jetzt ab zurück ins Wasser" Jace tätschelte dem Welsar erneut den Rücken. Dieses sah den jungen Mann finster an. "Ach, hab ich ganz vergessen." Jace stand auf, pflückte eine pralle Amrenabeere und warf sie dem Welsar zu. Dieses sprang hoch, schnappte die Beere in der Luft und verschwand im Wasser. Der Züchter grinste und ging zurück ins Haus.
Als er durch die Tür kam, ertönte eine feminine Stimme: "Und Schatz? Geht es dem Welsar besser?"
Jace lächelte und rief: "Ja, es ist fast wieder kerngesund. Was gibt es zum Essen?"
Eine junge Frau mit braunen Haaren und grünen Augen betrat den Raum und ging auf Jace zu. "Was willst du denn?" sagte diese und umarmte ihn.
"Wie wäre es mit Pizza?" grinste Jace.
"Schaaaatz? Nein! Ich hab schon Nudeln gekocht" antwortete Chloé, gab Jace einen Kuss und verschwand wieder im Nebenraum.
Jace schrak aus seinen Tagträumen auf, als Maries Stimme ertönte: "Was ist Jonathan? Tut uns leid, wenn wir dich jetzt so überrumpelt haben, aber wir brauchen eine Antwort."
Der junge Züchter sah erst zu dem Pensionspaar rüber, dann seine Begleiter. Einem nach dem anderen. Erst Gary, dessen Blick erst erschrocken wirkte, doch dann zierte ein Lächeln sein Gesicht. Danach Lucia, die ihn auch glücklich ansah. Zum Schluss Chloé. Sie lächelte zwar, doch die Koordinatorin wirkte abwesend. Sie sah Jace nicht an. Als sich ihre Blicke dann trafen, sprang Jace regelrecht vom Stuhl auf. "Ich bedanke mich sehr für dieses Angebot, aber... Ich brauche etwas Bedenkzeit. Entschuldigt mich bitte." Mit diesen Worten rannte Jace aus der Pension.
Chloé konnte es nicht glauben. Es waren schon Sekunden seit der Frage verstrichen. Und sie war sich sicher, sie würde es auch in Tagen nicht verkraftet haben, jedenfalls nicht solange, bis Jace eine Antwort gegeben hatte. Und auch das konnte Chloé nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie wusste, sie würde erst wieder aufatmen können, sobald er sagen würde: Ich will die Pension nicht übernehmen, ich begleite meine Freunde.
Traurig lächelte die Koordinatorin vor sich hin. Das durfte sie doch nicht von Jace verlangen, schließlich wusste sie, wie sehr er die Arbeit in der Pension liebte. Und während sich die Gedanken in ihrem Kopf drehten, schweifte sie immer weiter ab...
Doch sie schrak auf, als Jace hinausstürmte. Die Koordinatorin hatte gar nicht bemerkt, wie er aufgestanden war. Kurz bevor er aus der Pension stürmte, hatten sich noch ihre Blicke getroffen, und Chloé war sich sicher, niemals einen so zerrissenen Blick gesehen zu haben. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und seine Augen hatten den wundervollen Glanz verloren, den Chloé so sehr liebte. Sie macht sich mehr als nur Sorgen und sprang, nur kurz nach Jace, ebenfalls auf, mit der Stirn in Falten gelegt. Ein Rauschen machte sich in ihren Ohren breit und nur aus den Augenwinkeln konnte sie die Reaktionen von Gary und Lucia beobachten. Auf Garys Gesicht spiegelte sich ein Lächeln, was in Chloés Augen so hinterhältig wirkte wie das einer Schlange, die gerade sein Opfer ausgesucht hatte. Sie wusste nicht, wieso er so lächelte, schließlich waren die beiden extra für einen gemeinsamen Urlaub hierhergekommen, und das wollte er einfach belächeln und aufgeben? Lucia hingegen sprang ebenfalls auf, schien dann jedoch bemerkt zu haben, was sie da tat und setzte sich schleunigst wieder stillschweigend hin. Sie lächelte schwach und dennoch wirkte ihr Blick weit weg, und Chloé fragte sich, ob sie vorhin genauso ausgesehen hatte: So friedlich und dennoch verloren zugleich. Die Brünette schärfte ihren Blick und meinte sogar zu erkennen, wie sich Tränen in den Augen der Blauhaarigen sammelten. Hatte Chloé etwa doch Recht mit ihrer Vermutung? Ein Kloß sammelte sich in ihrem Hals, er schien so schwer zu sein wie Blei, und er raubte der Koordinatorin förmlich den Atem. Scharf und bewusst atmete sie ein, um ihre Lungen wieder mit kalter, erfrischender Luft zu füllen. Erst da merkte sie, wie viel Zeit eigentlich vergangen war. Chloé blinzelte ein paar Mal, und erstaunt stellte sie fest, dass sich ebenfalls in ihren Wimpern Tränen abgesetzt hatten, die aus dieser Perspektive merkwürdigerweise wunderschön schimmerten. Ein Blick zum alten Pensionpaar verriet ihr, dass nicht nur sie bestürzt über Jace' Flucht zu sein schien. Marie hatte eine Hand vor ihren Mund gelegt, und mit ein paar Schluchzern zitterten ihre feinen Fältchen im Takt ihres Atems. Jakob streichelte beruhigend mit seiner Hand über ihren Rücken, und sie hob und senkte sich mit den Schluchzern seiner Frau. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, sprach sie mit zittriger Stimme: "Es tut mir Leid, ich wollte ihn nicht so verschrecken." Sie verstummte und schluckte schwer. Sie tat Chloé aufrichtig Leid. Mit flatterndem Herzen sagte sie, mehr zu sich selbst: "Ich red mit ihm.", und war sogleich aus der Pension verschwunden.
Jace spürte den kühlen Vormittagswind über seine Haut streichen. Er wirkte sehr beruhigend. Die Sonne war schon komplett aufgegangen und ließ den Morgentau silbern glänzen. Der junge Züchter stand am Zaun der Pension. Langsam standen auch die Pokemon auf und fingen an herum zu tollen. Es schien, als wäre nichts in der letzten Nacht passiert. Ein paar Bidiza wälzten sich auf der Wiese. Sie schienen so unbeschwert, so friedlich. Jace fragte sich, ob sie überhaupt mitbekommen haben, was letzte Nacht passiert war. Zu den Bidiza gesellte sich ein Pichu. Der junge Züchter musste schmunzeln, als er daran dachte, wie der Rüpel geschockt wurde. Dann erinnerte sich Jace an das Pichu, das sich an Chloé gekuschelt hatte. Und erneut waren seine Gedanken bei diesem einem Mädchen. Dieses Mädchen mit den braunen Haaren. Dieses Mädchen mit den grünen Augen. Dieses Mädchen mit dem süßen Geruch. Dieses Mädchen mit dem bezaubernden Lächeln. Dieses Mädchen, das so quitschende Geräusche von sich gab, wenn sie etwas Süßes erblickte. Dieses Mädchen, das sein Herz zum rasen brachte. Dieses Mädchen, das ihn in seinen Träumen begleitete. Jace sah zum Himmel empor. Dort oben kreisten ein paar Pokemon. Manchmal wünschte sich Jace, er könnte auch fliegen. Einfach davon fliegen. Jace seufzte. Plötzlich stand Chloé neben ihm. Bubum. Jace schrak zurück. Bubum. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Bubum. "Was machst du hier?" fragte Jace.
Chloé lächelte. "Ich... ähm... fandest du das Frühstück auch so super?"
"Ach! Hör mich auf damit! Du willst mich fragen, warum ich abgehauen bin. Stimmts?" Jace konnte der Koordinatorin nicht in die Augen sehen. Sein Blick verlief über die Wiese ins Nichts. "Soll ich dir was sagen? Ich weiß nicht, ob ich dieses Angebot annehmen kann... So viel Verantwortung. Bin ich überhaupt dafür bereit?"
Chloé zitterte. Und wenn sie es nicht sichtbar tat, dann in ihrem Inneren, denn dort schien alles zu vibrieren. Sie war immer ein schüchternes Mädchen gewesen, solang sie denken konnte. In ihrer Kindheit hatte sie sich immer hinter ihrer Mutter versteckt, sobald sie auf Fremde gestoßen waren. So konnte sie sich nicht erklären, woher sie diesen Mut nahm, sich einfach so neben Jace zu stellen. Doch irgendwie überkam sie deshalb ein Gefühl des Stolzes. Sie amtete tief ein, um sich zu Beruhigen, doch ihr schien es, als könnte sie dieses Ziel in Jace' Anwesenheit einfach nicht erreichen. Sie musterte den Jungen, dessen braune Haare so sanft wie flüssige Schokolade im Wind wehten. Und erst jetzt bemerkte Chloé, dass sie so nah bei ihm stand, das eine seiner Strähnen ihre Wange kitzelte. Das Mädchen lief dunkelrot an und versuchte, die eine Haarsträhne mit den ihren zu verdecken. Sie lehnte sich über den Zaun, sodass sie einen guten Blick auf die Pokemon auf der Wiese erhaschen konnte, und als sie das Pichu erblickte, zuckten ihre Mundwinkel und daraus entstand sogleich ein Lächeln. Der Wind wurde stärker und blies ihr ins Gesicht, als sie den aufgebrachten Ton von Jace vernahm, der sie zusammenzucken ließ. Sie hatte seine Stimme selten so scharf vernommen, so schneidend, schärfer als die Krallen eines Magnayen. Unwillkührlich musste Chloé an die letzte Nacht denken und daran, wie müde sie eigentlich war, und dass sich diese Müdigkeit auch in Jace' Gesichtszügen abzeichnete. Ein paar seiner Strähnen fielen ihm trotz der Brise schlaff ins Gesicht, seine Augen wirkten zwar aufgebracht, blickten aber dennoch trübe in die Ferne. Chloé sog die Luft ein und es erleichterte ihre Lungen ungemein, sodass sie antworten konnte. Mit Bedacht wählte sie ihre Worte. "Jace...du bist der begabteste, unglaublichste Junge, den ich kenne. Deine Fähigkeiten als Züchter sind...beindruckend." Sie schluckte. Chloé wusste, jedes Wort, was sie herausbrachte, konnte ein Fehler sein. "Ich würde dir meine Pokemon blind anvertrauen. Jace, wenn es jemanden gibt, der dafür bereit wäre, dann du." Ein unglaublicher Druck schien ihr von der Seele gefallen zu sein, doch ebenso schien sich Chloé gerade ihr eigenes Grab zu schaufeln. Doch er sollte glücklich sein, das hatte er sich verdient. Vorsichtig blickte Chloé zu Jace hinüber, der sie mit einer Mischung aus Trübsinn und Stolz ansah. Ihre Blicke trafen sich, doch Chloé spürte, wie sich unter seinem musterndem Blick die Luft aus ihren Lungen zog. So wich sie seinem Blick aus und starrte auf ihre Hände, die sich eilig ineinander vergruben. Dann hörte sie wieder die engelsgleiche Stimme von Jace: "Danke Chloé. Das hilft mir." Kurz schien er zu überlegen, was er sagen wollte, dann lächelte er schief, aber irgendwie schien noch immer Skepsis seine Gesichtszüge zu zieren. "Wenn du sagst, du würdest mir deine Pokemon blind anvertrauen, nun...vertraust du mir? Würdest du dich mir blind anvertrauen?" Chloé war hellhörig geworden und auch wenn sie nicht hinsah, so konnte sie genau spüren, wie er sie ansah. Doch sie konnte einfach nicht mehr wiederstehen, und so trafen sich erneut ihre Blicke, doch diesesmal wich Chloé nicht zurück. Seine vollen Wimpern umspielten seine Augen, in die der ursprüngliche Glanz zurückgekehrt war. Sein Blick war glasklar und zärtlich zugleich. Ohne Worte, da ihre Kehle so trocken war, nickte Chloé und leckte sich über die spröden Lippen. Jace' Blick wanderte kurz zu ihren Lippen, und schien sich von ihnen gar nicht mehr lösen zu wollen. Doch als Chloé langsam antwortete, sah er sie wieder direkt an. "Jace...ich würde dir alles anvertrauen. Aber bitte, sag mir: Bleibst du bei mi...uns...oder kümmerst du dich um die Pension?"
Gary saß immernoch am Tisch mit Lucia, Marie und Jakob. "Es ist nicht ihre Schuld. Jace musste noch nie so eine schwere Entscheidung treffen", erklärte der Professor in spe. "Selbst die Entscheidung welches sein erstes Pokemon sein sollte, ist ihm buchstäblich zugelaufen."
"Wie meinst du das, Gary?" fragte Lucia, die plötzlich hellhörig geworden war.
"Als er sie entscheiden sollte, ließ er alle zur Verfügung stehenden aus ihren Bällen, um sie zu begutachten. Dann sprang ihn das Fukano an und leckte ihm das Gesicht ab. Tja jetzt ist es ein Arkani, das schneller ist als ein Blitz" erklärte Gary.
"Das ist ja knuffig" kicherte die blauhaarige Koordinatorin.
"Trotzdem. Für Jace ist es schwer Entscheidungen zu treffen" wiederholte Gary.
Sowohl Lucias Augen, als auch Maries Augen fingen an zu tränen. "Ich wusste davon nichts. Es tut mir so leid. Ich hätte ihn nicht so überfallen sollen" schluchzte Marie.
"Es ist ja nicht ihre Schuld. Sie müssen Jace nur etwas Bedenkzeit geben. Ich verspreche ihnen heute Abend haben sie seine Antwort" versuchte Gary die Pensionsleiterin zu beruhigen.
"Wenn du dir da sicher bist. Gary, Lucia, bitte redet mit Christopher. Es wäre eine Schande diese Pension jemandem zu geben, der nicht so ist wie Jace. So behutsam, so zielgerichtet, so begeistert, ach ich finde einfach keine passenden Worte. Kommt doch später wieder vorbei, wir würden euch gerne für eure Hilfe belohnen. Marie es wird Zeit, dass wir die Pokemon füttern," sagte Jakob, erhob sich und ging mit Marie aus dem Zimmer.
"Und was machen wir jetzt?" fragte Lucia.
"Wir gehen raus und reden mit Jace. Er wird diese Pension nehmen und wenn ich ihm dafür in den Hintern treten muss!" antwortete Gary. grinste schief und marschierte aus der Pension.
"Warte doch auf mich!" schrie Lucia und lief dem jungen Trainer hinterher.
Als sie draußen von der frischen Brise empfangen wurden, erblickten sie sofort Jace und Chloé, die am Zaun standen.
"Hey! Was macht ihr hier?" rief Gary. Jace und Chloé drehten sich erschrocken um.
"Ach, ihr seid es" sagte Jace und drehte sich wieder um.
Gary knurrte beleidigt. "Kleiner! Du weißt hoffentlich, was für eine Chance du dir hier erhälst, oder?"
"Ja! Und jetzt lass mich in Ruhe!" bellte Jace.
"Du bist ein Vollidiot, wenn du dir diese Gelegenheit durch die Lappen gehen lässt!" Gary ging auf den jungen Züchter zu und packte ihn an der Schulter. "Junge, es war doch immer dein Traum und jetzt willst du ihn einfach aufgeben?"
"Lass. Mich. In. Ruhe!" fauchte Jace.
"Weißt du was? Heul doch rum wie ein Baby. Heute abend musst du dich entschieden haben! Wir gehen jetzt" antwortete Gary, packte die Mädchen am Handgelenk und zerrte sie zum Pokemoncenter.
"Gary! Was soll das!" schrie Chloé, als die Tür sich hinter ihnen schloss.
"Ich kenn Jace länger als ihr. Unter Druck trifft er die besten Entscheidungen. Wir sollten uns jetzt ausruhen und warten bis er hier erscheint" sagte Gary in einem sehr ruhigen Tonfall.
Chloé war erschreckt zusammengefahren, als sie die Stimme von Gary vernommen hatte. Eine Zeit lang war es ihr doch tatsächlich so vorkommen, als würde es nur sie und Jace geben, und das eine Ewigkeit lang. Doch dann war Gary hereingeplatzt und hatte sie einfach weggezogen. Lass ihn in Ruhe, Gary. Ich will bei ihm bleiben, hätte die Brünette gerne gerufen, doch irgendwie schien ihre Kehle ausgetrocknet, sodass die Worte nur unausgesprochene Gedanken blieben. Im Pokemoncenter angekommen, war Chloé völlig aufgebracht. Wenn Jace sich so schwer entscheiden konnte, könnte er sonst was tun, um sich seiner Entscheidung bewusst zu werden; Chloé verspürte eine eigentlich völlig unbegründete Angst, wenn sie daran dachte, dass Jace manchmal ohne Nachzudenken handelte. Doch es schien Gary egal, und auch Lucia hatte sich anscheinend wieder gefangen. Die Blauhaarige schob sich eine einzelne Strähne hinter ihr Ohr, gab dann einen verzweifelten Laut von sich und sagte: "Ich geh dann mal duschen, ich hab das Gefühl, ich hätte das seit Tagen nicht gemacht." Sie schmunzelte und verzog sich ohne ein weiteres Wort in Richtung des Zimmers. Na toll. Jetzt war Chloé wieder mit Gary alleine. Sie schluckte und ging mechanisch ein paar Schritte auf einen Tisch zu, wo die drei zuvor genüsslich gegessen hatten. Zu Chloés Entsetzen folgte ihr Gary, der einen Ausdruck im Gesicht hatte, der sehr zufrieden wirkte, und ein spitzbübisches Grinsen zierte seine Lippen. Mit den Händen in den Hosentaschen setzte er sich neben Chloé, die sich unbemerkt auf einen Stuhl sinken gelassen hatte. Der Braunhaarige drehte seinen Stuhl um und benutzte die Lehne zum Abstützen. Dann schüttelte er übertrieben mit dem Kopf, sodass seine Haare ihm um sein kantiges Gesicht flogen. Chloé sah ihn direkt an und spürte, dass er etwas zu sagen hatte, worüber er sich jedoch noch das Hirn zu zerbrechen schien. Als dann die Worte nur noch so aus ihm heraussprudelten, wäre Chloé am liebsten zusammengebrochen.
Garys Herz machte einen Hüpfer, als er endlich mit Chloé allein war. Er setzte sich lässig auf einen Stuhl um möglichst nah bei ihr zu sein. Jetzt brauch ich nur noch die richtigen Worte, dachte Gary und grinste hämisch. "Du Chloé? Kann ich dir was anvertrauen?" sagte er dann laut, wobei er die brünette Koordinatorin aus dem Augenwinkel ansah. Das Mädchen zuckte zusammen, sah den Profesor in spe etwas ängstlich an und nickte zögernd.
"Ich weiß, warum es Jace so schwer fällt, sich zu entscheiden. Er ist in Lucia verliebt" Gary fing Chloés ungläubigen, geschockten und traurigen Blick auf. Was sie wohl gerade denkt? grübelte der braunhaarige Trainer.
"Aber, aber, aber, aber, aber..." begann Chloé zu stottern.
Doch Gary unterbrach sie: "Das ist Jace´... hm wie sag ich es am besten... Masche. Erst macht er einen auf abweisend und nicht interessiert. So ist Jace halt. Ich kenn ihn schon seid dem Kindergarten. Du kannst mir vertrauen. Obendrein macht diese ´Ich bin unerreichbar für dich´-Masche die Mädchen noch wilder auf unseren angehenden Züchter. Er steht voll auf unseren Blauschopf." Nun fixierte er die Brünette mit seinen braunen Augen. Ein schiefes Grinsen zierte sein Gesicht. Doch der Blick der Koordinatorin verschwand im Nichts. Och die Arme. Ich tröste sie mal, dachte Gary selbstzufrieden und strich Chloé über die Schulter. "Hey, was hast du denn? Es wird doch alles gut. Jace übernimmt die Pension und ich bring euch nach Hause. Sind wir halt nur noch zu dritt, na und?" Gary grinste leicht. Doch Chloé blickte immer noch apatisch vor sich hin. Gary streichelte immer noch ihren Rücken, nahm ihr Kinn in die andere Hand und drehte ihr Gesicht zu sich hin. Tränen sammelten sich in Chloés Augen. "Wir dürfen Jace nicht daran hindern, seinen Traum zu erfüllen. Es wäre unfair ihm gegenüber und sehr egoistisch von uns" setzte Gary fort und sah zu, wie die Tränen Chloés Wange hinunterrollten. Der Professor in spe wischte sie mit seinem Daumen weg.
Plötzlich ertönte eine Stimme. "Hier seid ihr also! Chloé, was ist los mit dir, Süße?" Lucia stand vor ihrem Tisch. Als Chloé erschrocken hochsah, sprang sie auf und rannte weg. "Was hast du angestellt, Gary?" fauchte Lucia und funkelte Gary finster an.
Noch immer prickelte die Berührung von Garys Daumen auf Chloés Wange, doch die Wärme wurde unaufhörlich von ihren Tränen weggespült. Ein paar ihrer brünetten Strähnen klebten von der Flüssigkeit in ihrem Gesicht, und Chloé konnte einfach nicht aufhören zu schluchzen. Eine Welt schien über ihr zusammengebrochen zu sein, und ihr Herz zersprang mit jedem Schritt in immer winzigere Splitter. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Gary hatte sie angelogen, ganz bestimmt! Doch sobald die Koordinatorin an den ernsten Tonfall in seiner Stimme dachte, blieb ihr das Herz stehen und weitere Tränen liefen die bereits vorhandenen Spuren hinunter. Erst als sie aus der Tür des Pokemoncenters getreten war, merkte sie, wem sie da in die Arme lief: Jace. Doch wenn sie es sich selbst eingestand, wollte sie sich jetzt einfach nur in seine warme Umarmung sinken lassen. Doch ob er das wollte? Sie kannte ihn inzwischen doch gut. Die Situation im Zimmer, die unzähligen anderen...sie mussten doch etwas bedeutet haben, oder war er wirklich so ein Aufreißer? Chloé spürte die salzige Flüssigkeit ihrer Tränen auf ihren Lippen und leckte sich diese ab. Plötzlich sah die verschwommen durch ihren Tränenschleier die Person, vor der sie im Moment am meisten Angst hatte. Jace stand noch immer am Zaun, den Rücken ihr zugewandt. Chloé blieb aprupt stehen und sog scharf die Luft ein. Ihre Tränen hielten einen Moment lang inne, doch dann wurde die Stille von einem verräterischen Schluchzen durchbrochen, und zu Chloés Entsetzen drehte sich der Junge vor ihr um. Soweit es die Brünette erkennen konnte, wandelte sich sein Blick von Gereiztheit zu Freude und anschließend zu großer überraschter Sorge. "Chloé?" wisperte er. Dieses Wort wurde von einem Windhauch zu Chloés Ohren getragen. Wie er es aussprach, so zärtlich. Weitere Tränen verließen ihre Augen, und sie konnte nichts weiter tun, als ihn anzusehen. Und bei seinem Anblick schienen die Tränen nur so aus ihr herauszusprudeln, und sie konnte es nicht verhindern. Sie dachte an Garys Worte, und ein erneuter Messerstich in ihr Herz setzte ihr zu. Schwach vernahm sie die Stimme von Jace, die von Besorgnis durchtränkt war. Oder von gespielter Besorgnis, Chloé wusste nicht mehr, was wahr und was gelogen war. "Chloé, was ist los? Wieso weinst du? Hat Gary irgendwas...?" Doch unerwarteterweise hörte sie ihre eigene Stimme, die die Worte von Jace unterbrach, doch ihre ohnehin leise Stimme war von Trauer und Schluchzern nur so durchzogen. "Ich...pack jetzt meine Sachen. Wir machen uns nach dem Mittagessen auf den Weg nach Elysis." Und plötzlich schienen sich ihre Beine wieder verfestigt zu haben, denn sie drehte sich um und rannte weinend zurück zum Pokemoncenter, ohne dass sie Jace' letzte Worte hören konnte.