Kapitel 11: Bound to a bastard
|| Stop and stare, I think I’m moving but I go nowhere
Yeah, I know that everyone gets scared but I’ve become what I can’t be ||
~ One Republic – Stop and stare
„Ach, sieh an, wen hast du denn da noch mitgebracht, Benji?“ Simon verhielt sich so offenkundig und motiviert wie Benjamin ihn vor einer knappen Stunde kennen gelernt hatte. Trotz des Streitgespräches, wobei jenes eher einem Sprücheduell geähnelt hatte, mit Shohei vor der Bank strahlte Simon wie ein Honigkuchenponita, momentan schien er der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Er verleitete sogar Benjamin zu einem verlegenen, schüchternen Lächeln, das augenblicklich erstarb, als er Shoheis finstere Reaktion darauf bemerkte. Benjamin bemühte sich deshalb, Blickkontakt mit Shoheis roten Augen zu vermeiden. Eigene Bedürfnisse schön und gut, aber Shohei sozusagen für solch niedere Motive zu verraten, obwohl Benjamin so tief in seiner Schuld stand, wie sollte er das arrangieren? „Ich habe zwar damit gerechnet, allerdings dachte ich, man ließe dir etwas mehr Spielraum.“
Gemütlich saß Simon am Rande des steinernen Springbrunnens, angrenzende Bäume warfen ihren Schatten auf das uneinige Trio, die Häuserblocks, die Prismania City im Grunde prägten, weit entfernt, von üppig grünen Baumkronen verdeckt. Vielerlei kleine Tröpfchen Wasser, die das graue Sarzenia in die Höhe spie, landeten in Simons blondem Haar und perlten an seinen Strähnen, um anschließend auf sein blaues Shirt oder seine Jeans zu tropfen. Durch die Blätter blitzende Sonnenflecken verliehen der grasigen Umgebung eine geheimnisvolle Aura.
„Wer hat dir eigentlich erlaubt, ihn ‘Benji‘ zu nennen?“, fauchte Shohei sofort, ohne Benjamin etwaiges Mitspracherecht einzuräumen, und da erdreistete sich dieser, zu glauben, es wäre ihm vorhin gelungen, seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Wortlos seufzend unterdrückte Benjamin sein Missfallen, versuchte, Schlimmeres zu verhindern, ehe das Debakel zwischen Simon und Shohei erneut eskalierte.
„Es ist nicht schlimm“, entgegnete Benjamin beschwichtigend, schob Shohei vorsichtig von Simon weg und vergrößerte die gegenseitige Distanz. „Also, Simon… was hast du dir überlegt?“
„Nun…“, der Angesprochene zögerte kurz. „Es ist nichts sonderlich Langfristiges, aber - “
„Hätte mich auch gewundert, dass du überhaupt weiter als bis zum nächsten Morgen denkst“, fiel Shohei ihm spöttisch ins Wort und schnaubte kurz. Simon zog lediglich eine Augenbraue hoch, musterte seinen Rivalen stumm und beschloss, sich mit seinen Erzählungen einzig Benjamin zu widmen. Eine angenehm kühle Brise streichelte Benjamins Gesicht, seine leicht verschwitzte Haut dankte herzlichst, und er genoss das Rascheln der Baumfragmente, ehe Simon fortfuhr.
„Aber ich denke, es wäre nützlich, der Saffronia Bibliothek einen Besuch abzustatten. Es müssen Aufzeichnungen von solchen Kräften existieren, vielleicht auch Tagebücher von Menschen wie uns, in denen beschrieben wird, was ihre Aufgabe ist.“ Er ließ seine Worte eine Weile wirken, fuhr sich mit der Hand durch sein mit Tropfen benetztes Haar, und zumindest bei Benjamin erzielte er den gewünschten Effekt, hing dieser gefesselt an Simons scheinbar so wissenden Lippen. Nach wie vor drückten Benjamins Hände gegen Shoheis angespannte Brust, schoben nicht, doch wahrten die Entfernung, eher unterbewusst nahm er seinen Widerstand wahr, spürte den energischen Herzschlag, den Shohei in sich schürte.
Zu gespannt lauschte er dessen Gegenpartei, den so ausgeklügelten Einfällen, die Simon ihm präsentierte. Brandende Wellen des Elans begannen, sich vor seiner zerrissenen Seele aufzubäumen, begannen zu peitschen bei der minimalen Möglichkeit… falls seine Vorfahrten oder was auch immer Tagebücher verfasst hatten, von ihren Reisen, ihren Schicksalen, bestünde da nicht die Chance, jemanden zu entdecken, der sich seiner Macht erfolgreich entledigt hatte? Der folglich nicht mehr jeden in seiner Nähe gefährdete? Der… glücklich geworden war, ohne diesen… Fluch?
Doch fast zeitgleich meldete sich eine wesentlich stärkere Partei zu Wort, jene, welche den puren Pessimismus symbolisierte, stellte sich bedrohlich vor Benjamins Euphorie auf und schärfte ihre Krallen. Was, wenn eine derartige Methode sich als falsch erwies, als nicht umsetzbar? Was dann? Mit Gefühlsausbrüchen seines Kalibers verkörperte er eine tickende Bombe für die Allgemeinheit, so konstruiert, nicht entschärft werden zu können. Selbst wenn er weiterhin bei Shohei wohnen dürfte, seine Sicherheit erhielt keine Garantie. Und bevor er sich Verletzungen, gar einen grausamen Tod Shoheis aufbürdete, besiegelte er eher seinen eigenen. „Ansonsten… In Azuria City wohnt ein Bekannter meiner Eltern, der sich sehr für die besonderen Eigenschaften von Pokemon interessiert. Unter Umständen weiß er etwas.“
„Wie lange würde das Ganze dauern?“, meldete sich Shohei, nun erheblich ruhiger. Benjamin vermutete, Shohei hatte das Funkeln in seinen normalerweise so trüben Iriden gesehen. Er dankte Shohei bis zu einem gewissen Maß für sein Zuvorkommen, trotzdem hegte er noch immer den Groll bezüglich Shoheis Schweigen über seine Beziehung zu Simon in sich. Nicht einmal jetzt rückte er mit der Sprache heraus. Bildete er sich Shoheis Vertrauen zu ihm, seine Fürsorge, bloß ein?
„Mindestens mehrere Tage, je nachdem, wie schnell wir Informationen auftreiben, wie weit wir reisen…“ Benjamin ahnte, was Shohei beschäftigte, und binnen weniger Sekunden stürzte das Konstrukt seiner Freude in sich zusammen. Shohei besaß Arbeit, zahlte Miete für ein Apartment, das konnte er nicht einfach schleifen lassen für einen spontanen Ausflug der wahrscheinlich naiven Sorte. Für ihn trug es sich förmlich in Zeitlupe zu, das Fallen von Shoheis schmalen Mundwinkeln; die Resignation, die ihn umhüllte; das bedächtige Ergreifen von Benjamins Händen, um sie von sich zu schieben und einen Schritt zurück zu treten. Gerade noch hatte er einer herzhaften Auseinandersetzung mit Simon gefrönt, schnippisch, verteidigend zugunsten Benjamins, nicht gewillt, zu kapitulieren, und letztlich scheiterte Shoheis Beschluss, ihn zu begleiten, an seinem vermaledeiten Alltag. Benjamin war dem mit gemischten Gefühlen begegnet, er hatte sich gefreut, Shohei nicht den Rücken kehren, ihn allein seinen Problemen opfern zu müssen, eine Person um sich zu haben, die er kannte, die er schätzte, ebenfalls samt all ihrer Fehler mochte… verfügte Benjamin nur leider über solch ein labiles Seelenbefinden, das Simon wohl dank seiner Macht besser abzuwehren wusste als Shohei. Letzterem würde er jedoch aufgrund der gemeinsamen Wochen eher von seinen Unsicherheiten erzählen… von der Sache in der Bar mal abgesehen… und da erinnerte sich Benjamin an ein vielleicht entscheidendes Detail. Sofort wirbelte er zu Simon herum.
„Du, Simon… wirst du ehrlich zu mir sein?“ Verwundert studierten ihn Simons grasgrüne Augen, wanderten von Benjamin zu Shohei und wieder zurück, aber unter dem wilden Geschrei einer Horde Kleinkinder zierte ein verschmitztes Lächeln seine Lippen.
„Mann, Shohei, dein Freund ist clever“, lachte er amüsiert. „Ja, werde ich, Benji. Ich verspreche es.“ Shohei hingegen beäugte die Situation mit schneidender Skepsis. Zu Benjamins Erstaunen wies er nicht den Begriff ‘dein Freund‘ von sich, weshalb ihm einen Augenblick die Worte fehlten. Innerlich irritiert wandte er sich Simon zu.
„Du bist reich, oder, Simon?“ Entschlossen hielt er Simons bohrendem Blick stand. Der brannte regelrecht darauf, Benjamins Argumentation zu hören, schlug das linke Bein über das rechte und umschloss sein Knie erwartungsvoll mit beiden Händen. „Du warst Gast in der Disco, wo Shohei arbeitet. Er hat mir erzählt, das wäre ein recht exklusiver Club, schon der Eintritt verlangt teure Kleidung, gepflegtes Aussehen und einen Hauch der üblichen, schnöseligen Arroganz.“
„Fein kombiniert, Sherlock, und was hat das mit unseren Plänen zu tun? Ich bin reich, ja, und weiter?“ Ungläubig fokussierte er Benjamins fast triumphierendes Lächeln.
„Du wirst Shoheis Miete mehrere Monate im Voraus begleichen, und du wirst es mit seinem Arbeitgeber zu regeln, dass er Shohei auf unbestimmte Zeit freistellt, ohne ihn zu feuern. Reiche haben doch Einfluss, oder? Das ist der Deal. Shohei und dementsprechend auch ich bestreiten mit dir diese spezielle Expedition, und als Gegenleistung sorgst du für Shoheis Existenzgrundlage.“
„Benjamin, das musst du nicht tun…“ Flüsternd rüttelte Shohei an Benjamins Schulter, man erfasste unvermeidlich die Schmeichlung, allerdings gleichsam das Sträuben gegen den Tausch in seiner Stimme. Insgeheim hatte Benjamin mit derartigen Widerworten gerechnet, immerhin kannte er Shohei bereits einige Zeit lang, trotzdem hatte er den Versuch wagen wollen. Die Vorstellung, Shohei einsam und verlassen hier zu wissen, tat ihm in den Tiefen seiner Seele weh. „Wirklich, wenn du unbedingt gehen willst, werde ich dich nicht –“
„Nein, also ehrlich“, unterbrach Simon die beiden, fast angeekelt. „Das Theater erträgt ja kein Mensch, der noch bei Sinnen ist, und ‘nen rührseligen Abschied… also da erleide ich lieber nen Absturz, kotz mich aus und hab’s hinter mir.“ Seufzend erhob er sich, nicht gerade wunschlos zufrieden, dafür überraschend einsichtig. Anscheinend begehrte er es wirklich, mit Benjamin zusammen mehr über ihre Kräfte in Erfahrung zu bringen, er akzeptierte, oder vielmehr tolerierte dafür sogar Shohei in seiner Gegenwart. „Ich mach’s. Okay, ich zahle seine Mieten und lass meine Beziehungen spielen, wenn ihr dann endlich dieses ‚Ich leide dir zuliebe‘-Gefasel einstellt. Ist ja nicht auszuhalten.“ Gereizt schob er sich an Shohei und Benjamin vorbei Richtung Innenstadt, blieb ein letztes Mal stehen, ohne sich zu den beiden umzudrehen. „In drei Stunden am östlichen Ausgang Prismanias. Wehe, ihr habt bis dahin nicht euren Kram gepackt.“
Der staubige Boden befleckte sein Antlitz mit den abstraktesten Schattenmustern, verstohlen linsten die Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach des Waldes, den Shohei, Simon und Benjamin der Ruhe halber bewanderten. Ständig variierten sie ihre Figuren, veränderten sich, je nachdem, wie es dem Wind beliebte, die einzelnen Komponenten in sich zu wiegen, die separaten Stücke zu neuen Konstrukten zu formen. Wild tanzten sie auf Laub und Erde, elegant schmiegten sie sich an Stämme und Äste, und Benjamin bemühte sich, seine innere Nervosität vor Shohei und Simon zu verbergen, die sich ausnahmsweise nicht in den Spannungen zwischen ihnen begründete.
Wieso sollte man nicht ebenso die Natur überwachen? Er wusste zu gut, die Augen und Ohren der Behörden versteckten sich beinahe an jedem Ort, in jeder Einkerbung, jedem Winkel, warum nicht auch hier? Observierte man sie tatsächlich und er erzählte den anderen von seinen Vermutungen, bekäme es die Regierung unverzüglich mit, man nähme sie gefangen, sperrte sie weg… oder eben Schlimmeres, zumindest was Simon und ihn selbst beträfe. Intravenöse Medikamente, Leistungstests, Qualen bis zum absoluten Limit… es schauderte ihn bei dem Gedanken. Und seine werten Begleiter… die erklärten ihn garantiert für paranoid, sollte er ihnen von den Machenschaften der Stadtvorstände berichten. Nun, vielleicht stellte sich Shohei auf seine Seite, dann aber lediglich aus Prinzip, um Simon herauszufordern, nicht aus dem Glauben an die Wahrheit von alledem. Shohei verachtete als einer von Wenigen die gar diktatorische Staatsform, noch dazu verheimlichte er es nicht – und Benjamin war es ein Rätsel, dass man ihn nie erwischt hatte - , ob er sich allerdings solch vermeintlich drastischen Mutmaßungen anschlösse, bezweifelte Benjamin trotz jeglichen Vertrauens. Missmutig seufzte er.
„Hey, Benji, reicht dir meine Freundlichkeit etwa nicht?“, beklagte sich Simon just vorwurfsvoll, er schien sich von Benjamins Geste angesprochen zu fühlen. Empört drehte Simon ihn an der Schulter zu sich herum, ohne dabei an Schritttempo einzubüßen. „Ich habe alles getan, was du verlangt hast, also -“
„Es war nicht deswegen“, presste Shohei prompt zwischen den Zähnen vor, so als beschäftigten ihn dieselben Schwierigkeiten. Benjamin merkte, welch enorme Beherrschung, Simon nicht an die Gurgel zu springen, er aufwandte, ballten Shoheis Finger sich in den Taschen seiner Jeans bereits zu Fäusten. Krampfhaft fixierten seine Augen den vor ihnen befindlichen Waldweg. In ihnen funkelte eine Flamme der Abscheu. Im Nachhinein tat es Benjamin unglaublich leid, Shohei sozusagen mit dieser Neugierspilgerung belästigt zu haben, weilte er immerhin in Kenntnis hinsichtlich seiner Abneigung zu Simon. Dennoch hatte Shohei ihm zuliebe eingewilligt und war jetzt gezwungen, die Konsequenzen zu erdulden, auf längere Dauer. Hätte Benjamin die Flucht ergriffen, während Shohei arbeitete, wäre die Angelegenheit kein Problem gewesen. Aber er Idiot hatte sich ja unbedingt rebellisch zeigen müssen, am liebsten würde er den gesamten Tag schlichtweg revidieren. Klar, diese Entscheidung, die Gründe seiner Falschheit zu erforschen, wäre ihm verwehrt geblieben, doch… er hasste es, Shohei zur Last zu fallen. Irgendwann hätte er Shoheis Apartment sowieso verlassen, früher oder später, und obwohl er wusste, ‘früher‘ stellte für alle Beteiligten die beste und schnellste Lösung dar, so bevorzugte seine Intuition doch die andere Alternative.
„Oh, Shohei kann mittlerweile Gedanken lesen“, höhnte Simon überschwänglich, verschränkte dazu die Arme hinter seinem Kopf. „Dann muss ich das, was ich dir am liebsten an den Kopf schmeißen würde, ja nicht einmal aussprechen.“
„Alleinunterhaltung braucht kein Publikum.“ Zu Benjamins Verwirrung zierte ein zufriedenes Lächeln Shoheis Lippen, als er sprach; eines, das er bislang nicht an dem Älteren identifiziert hatte; eines, das Benjamin in Verbindung mit Shoheis scheinbarer Genugtuung nicht zu deuten vermochte. Benjamin fand es lediglich etwas schade, dass es nicht ihm galt, sondern Shoheis Rivalen. „Ich glaube kaum… nein, ich bin mir sicher, Benjamin hat ebenso wenig Lust, dir zuzuhören.“
„Shohei, also ich –“, setzte Benjamin daraufhin leicht verstimmt an, wollte sich und seinen Standpunkt wenigstens einmal eigens verteidigen, anstatt andere seine Gemütslage bestimmen zu lassen, jedoch ignorierte man ihn kurzerhand.
„Wenn er schon nicht zuhören will, kann er ja ein bisschen von sich reden“, schlug Simon letztlich vor, und an der Art und Weise, wie er seine Idee präsentierte, schwante Benjamin nichts Gutes. Simon, der ihm wenig später gönnerhaft den Arm um die Schulter legte, entgegnete schließlich kein Wort ohne Hintergedanken. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wandte er sich Simon zu. Glücklicherweise registrierte er Shoheis stechenden Blick nur am Rande. Die Gegenpartei ging zum Angriff über. „Also, Benji…“ Als wären sie schon seit frühster Kindheit beste Freunde, beugte Simon sich zu ihm hinab, lehnte mit dem Kopf an Benjamins. „Wie habt ihr euch denn kennen gelernt, Shohei und du? Es interessiert mich ungemein, was meine Mitmenschen so treiben.“
Zu Benjamins Unbehagen innerhalb der Situation gesellte sich nun auch eine Spur der Verzweiflung. Shohei hatte es sich damals verboten, Geneviève den wahren Vorfall zu erläutern, da konnte Benjamin nicht ohne Weiteres einem ihm prinzipiell Fremden die Sache brühwarm schildern, zumal er sich nicht gern daran erinnerte. Einsam hatte er dort in der Gasse gesessen, vom blinden Schicksal gepeinigt, zum Leben zu schwach, langsam das Bewusstsein verloren… Sein Arm hatte fürchterlich gebrannt, war gleichsam zunehmend tauber geworden, das laue Blut überall, strömte gleich Sturzbächen aus ihm heraus, als duldete es ihn nicht länger… Die kompletten Geschehnisse entfachten einmal mehr ihre Dominanz, isolierten ihn von seinem aktuell realen Umfeld, bannten ihn in seinem Albtraum der Vergangenheit. Ausdruckslos fokussierte Benjamin die Unendlichkeit des trockenen Pfades vor sich. Das sanfte Applaudieren der Blätter, der entfernte Schrei eines Tauboss, das Knistern von Laub und Ästen unter ihren Füßen – alles bloß gedämpfte, unwichtige Laute in seinen Ohren.
„Du würdest es nicht verstehen“, mischte Shohei sich ein, und in einer schmalen Ecke seines geistesabwesenden Verstandes dankte Benjamin ihm sehnlichst dafür. Es war wohl doch besser gewesen, Shohei mitzunehmen. „Siehst du nicht, wie sehr ihn das quält?“
„Andere Fragen werden ja wohl erlaubt sein.“ Mürrisch senkte Simon seine Stimme, gab vor, ausschließlich mit dem ohnehin illusionierten Benjamin zu reden, nichtsdestotrotz spähte er wiederholt zu Shohei. Benjamin spürte Simons Atem an seinem Ohr, eigentlich wollte er nicht mehr, wollte Simons Arm abschütteln, allerdings spielten seine Muskeln da leider nicht mit. Sie waren gelähmt, sämtliche Sehnen und Nerven, bis auf Beine und Füße, die weiter gehorsam voran trotteten. „Erzähl mal, Benji, du wohnst ja bereits einige Wochen bei Shohei… wie viel hat er dir geboten, damit du dich nicht wehrst? Oder hat es ihm besonderes Vergnügen bereitet, dich mit Gewalt ins Bett zu zerren?“ Benjamin hörte an Simons Intonation, wie Simons Lippen sich zu einem an Breite gewinnenden Grinsen formten, und wandte seinen Kopf zu Seite, zu Shohei. Er versuchte, diese Fragen zu verdrängen, gar nicht wahr zu nehmen, realisierte, dass es lediglich noch dazu diente, Shohei zu provozieren. Simon zeigte kein Interesse an seiner Persönlichkeit, hatte es von Anfang an nicht. Warum hatte er Benjamin dann zu der Reise eingeladen? Um der Gesellschaft Willen? Es fiel Benjamin so schwer wie nie zuvor, das Verhalten eines Menschen konkret einzuschätzen, weshalb er sich auch nicht richtig zu wehren vermochte, aus Angst, es zu verschlimmern. Das Weltbild, das Simon von Shohei lieferte jedoch, dem schenkte Benjamin keineswegs Glauben, das passte nicht, nein, dergleichen wäre Shohei nie imstande auszuüben. „Wie oft hat er dich flach gelegt und leise Genevièves Namen gestöhnt? Hat –“
Unvermittelt schlug man Simons Arm von Benjamins Schulter, zog ihn am Handgelenk zur Seite und positionierte sich vor ihm. Benjamin stolperte beinahe in der Hast, es gelang ihm allerdings, sich rechtzeitig zu fangen. Seine braunen Iriden, weit aufgerissen vor Erschrockenheit, huschten aufgeregt in seinen Aughöhlen umher.
„Du hast was zu klären? Schön, dann sag’s mir, aber lass verdammt nochmal Benjamin in Ruhe. Er hat nichts mit uns beiden zu tun“, ertönte Shoheis schier hasserfüllte Stimme. Seine Finger zitterten vor Zorn, genau wie Benjamin selbst, und der erkannte automatisch Shoheis mehr als volles Maß an Geduld und Zurückhaltung, war froh, ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. Benjamin hoffte nur, Shohei täte nichts Unvernünftiges, denn gegen Simons Elektrizität besäße er nicht die geringste Chance. Und sofern er Shohei irgendwie verletzte, vergäße Benjamin sich womöglich.
„Ich dachte, du könntest Gedanken lesen?“, erwiderte Simon unschuldig, erhob seine blanken Handflächen als Zeichen des Unwissens. „Komm, Benji soll sich so ‘nen kleinen Scherz nicht –“
„Er erzählt es dir, sobald er dazu bereit ist, du ungeduldiger Lustmolch. Das heißt, falls er diesen Scheiß weiterhin billigt.“ Damit drehte er sich zu dem nach wie vor schweigenden Benjamin um. Plötzlich klang Shohei so bedingungslos, sanft, freundlich, besorgt – Benjamin hatte das an Shohei bereits vermisst. Behutsam fasste Shohei ihm an die Schultern, platzierte sich unmittelbar vor Benjamin und berührte mit seinem Blick sanft dessen mattbraunen Seelenspiegel. Benjamin schaffte es einfach nicht, das Chaos seiner Emotionen vor Shohei zu verbergen. „Du bist dir wirklich sicher, dass du das willst? Wir können auch ohne ihn -“
„Das war der Deal“, lachte Benjamin auf, bedauernd, am Ende seiner Weisheit. „Wir… nein, ich begleite ihn, dafür erlaubt er es dir wiederum, mitzukommen, indem er deine Ausgaben zahlt. Wenn ich jetzt meine Meinung ändere… Alles wird nichtig, Shohei, und du stehst vor dem Aus.“ Leerer Mimik schüttelte Benjamin langsam seinen Kopf. Er verziehe es sich nicht, Shohei zu enttäuschen, ihm Stich, allein zu lassen. Obwohl er Shoheis Existenz mit jeder verfügbaren Möglichkeit gefährdete, er könnte nicht zusätzlich zu dem Verlust Genevièves noch den von Shoheis Arbeit verantworten, dann verfügte er über keinerlei Daseinsberechtigung mehr. Ihm blieb keine Wahl, und er betete stumm, Shohei verstünde das. Er musste einfach. Denn in dem Schritt nach vorn, den er tätigte, um Shoheis trostspendenden Gewahrsam zu erreichen, offenbarte Benjamin ihm all den Kummer, den er sonst zu verhüllen ersuchte.
Regal über Regal, ordentlich neben- und hintereinander gereiht, zwar mit Buchstaben und Nummern versehen, doch Shohei wusste, dass außer den Bibliotheksangehörigen wahrscheinlich niemand das ach so raffiniert ausgeklügelte System verstand. Zumindest war er selbst nie wirklich mit den Zahlen und Identifikationscodes zurechtgekommen, weshalb er des Öfteren die Angestellten mit seinen Problemen belästigt und umher gescheucht hatte. Das eine oder andere Gesicht kannte er daher noch immer. Genau wie den süßlichen Duft alten, fast zerfledderten Papiers, dem man hier begegnete.
Vor ihm erstreckte sich ein weiter, neutral in weiß gehaltener Raum, er diente offensichtlich mehr dem Praktischen und dem Studium wertvoller Lektüre, als der Schönheit für das menschliche Auge. Dürre Stahlgerüste beherbergten die antiken und neueren Bücher in ihrem Gewahrsam, sorgten dafür, dass sie zumindest ein gewisses Maß an Halt fanden und nicht auseinander fielen. Shohei genoss die Ruhe des Zimmers, er hatte sie schon früher dem lauten Geschrei und Hast seiner Mitschüler bevorzugt, lauschte dem leisen Rascheln umgeblätterter Seiten, das aus den verschiedensten Ecken an sein Gehör drang, und augenblicklich kühlte sein erhitztes Gemüt ab.
„Mann, für eine Bibliothek laufen hier aber viele Leute rum“, wunderte sich Simon lautstark, sofort erntete er diverse Zischlaute als Erinnerung an den Flüsterton. Genervt verzog er seine Miene, schritt grummelnd weiter in das Innere des Gebäudes, hinein in das Labyrinth aus Gängen und Regalen. Jedoch behielt er Recht, stellte Shohei erstaunt fest. Ungewöhnlich viele Menschen, vor allem junge Studenten, besuchten die Bibliothek. Ein großer Teil stammte von der Prismania Hochschule, wie man an den weiß-bläulich gestalteten Uniformen sehen konnte. Und unverzüglich erfasste Nervosität Shoheis vorher flach schlagendes Herz, Nerven und Muskeln verkrampften sich automatisch. Was, wenn Geneviève ebenfalls hier wäre und ihn zusammen mit Simon und Benjamin sah? Wie sollte er ihr denn bitte schön entgegentreten? Hektisch spähte er in alle Richtungen, auf der Suche nach braun wallenden Kaskaden, und folgte Simon, sobald er die Sicherheit besaß, sie wenigstens nicht in dieser Etage zu treffen.
„Wonach suchen wir hier eigentlich, Simon? Also, nach welcher Sorte an Büchern?“, flüsterte Shohei, ohne sein Umfeld aus den Augen zu lassen. Simon und er standen in einem schmalen Gang zwischen zwei Regalen, sein Rivale stöberte in einem Buch mit rotem Einband, las allerdings nicht ernsthaft darin. Wahrscheinlich ohnehin in Willkür gewählt. Simon schenkte Shohei keinerlei körperliche Beachtung.
„Vielleicht solltest du zunächst deinen Liebessklaven wiederfinden“, flötete Simon amüsiert. „Oder was ist er für dich?“ Sein triumphierendes Lächeln trieb Shohei beinahe zur Weißglut, allerdings schämte er sich gleichzeitig für seine Unaufmerksamkeit, denn Simon lag ja richtig. Er hatte Benjamin verloren, und das auf den paar Metern von Haupteingang zu den Regalen. Wortlos rückte er den schweren Rucksack auf seinem Rücken zurecht und trat hinaus auf den Hauptflur.
Bücher in verschiedensten Breiten und Farben, platziert in einer Allee aus Stahlkonstrukten, kaltes, fahles Röhrenlicht, aber kein Benjamin. Glücklicherweise, oder leider, auch keine Geneviève. Sie ein letztes Mal in ihrer Schönheit betrachten zu dürfen, wäre… mehr als bloße Genugtuung. Vielleicht gelänge Shohei dann sogar ein passenderer Abschied.
Plötzlich regte sich ein Schatten auf dem braunen Teppichboden, etwa fünf Reihen von ihm entfernt, und wenig später zeigte sich ein verträumter, leicht irritierter Benjamin. Unterwürfig inspizierte er die oberen Buchreihen, seine Mundwinkel huschten kurz in die Form eines Lächelns, als er Shohei bemerkte. Trotzdem erzeugte er nach wie vor einen eingeschüchterten, gar verstörten Eindruck, und erneut verfluchte Shohei Simons Penetranz. Seit den Anschuldigungen hatte Benjamin eisern geschwiegen, jetzt kam er wenigstens auf Shohei zu, Verschlossenheit und Demut seine Gefährten.
„‘Mythen‘ könnte für uns nützlich sein“, entgegnete Benjamin knapp. Abwesend starrte er in die Ferne, monoton klangen seine Worte in Shoheis Ohren. Für ihn wirkte Benjamin zum Tag ihrer ersten Begegnung zurückversetzt, verwirrt, misstrauisch, gefangen in seinem Käfig aus Pein und Qual. Shohei wusste ob Benjamins Labilität, wusste ob seiner Unsicherheit, wusste, dass er ausschließlich manchmal über Entschlossenheit verfügte, die relativ zeitlich wieder schwand – dennoch hatte er ihn nicht vor Simons Angriffen geschützt, trotz seiner Kenntnisse. Er war ein schlechter Begleiter.
„Es gibt mehrere Mythen-Abteilungen hier. Am besten, wir fragen an der Rezeption. Und auf dem Weg sammeln wir Simon ein.“ Rasch eilte Shohei den Hauptgang entlang, linste rechts und links in jeden Flur, wo sich entweder niemand aufhielt oder eine Gruppe Studenten, fixierte sich besonders auf blonde Schädel – bis er Simon schließlich entdeckte, versteckt und umringt von mehreren Mädchen. Benjamin zeigte kaum eine Reaktion darauf, er war Shohei stumm hinterher gelaufen. Seufzend betrat dieser den ohnehin engen Zwischenraum der Regale, kämpfte sich weitestgehend an seinen Rivalen heran, beteiligte sich mit ausgestrecktem Arm am Geschehen und zerrte Simon am Kragen seines blauen Shirts aus dem Knäuel aufgeregt wispernder Mädchen. Natürlich wehrte Simon sich vehement gegen die abrupte Entführung, jedoch erfolglos. Erst einige Reihen weiter lockerte Shohei seinen Griff.
„Hast du eigentlich nichts außer Rumhuren im Kopf?“, fuhr er Simon an, nur nebenbei zum Flüstern bemüht. „Dass du noch keine Krankheit hast, grenzt an ein Wunder.“ Shoheis Puls raste vor Wut, er atmete schwer, damit er nicht komplett die Fassung verlor, und er fuchtelte mit seinen Händen vor Simons Nase herum, während er sprach. „Mann, sieh doch einmal ein, ein einziges Mal, dass es ausnahmsweise nicht um dich geht, Simon! Du hattest die Grundidee, ja, doch ich für meinen Teil bin ausschließlich wegen Benjamin hier. Weil ich Benjamin helfen will und sonst nichts. Also verhalte dich entsprechend.“
„Da haben wir es ja wieder“, spottete Simon überschwänglich, verdrehte abschätzig seine grasgrünen Augen. „Du fixierst dich total auf eine Person, ohne an anderen Anwesende zu denken.“ Wütend funkelte er Shohei an, der den lodernden Blickkontakt trotzig erwiderte, bereit zum Kampf. „Du hast dich kein Stück geändert, Shohei. Ich musste für Geneviève weichen, und sie, wie ich annehme, für Benjamin? Herrgott, du bist so ein verdammter Egoist!“ Aber an Shohei prallten Simons Vorwürfe spurlos ab. Er weigerte sich, seine Fehler zuzugeben, die seiner Meinung nach schlichtweg in der Natur der Sache lagen, und sich nicht in seinem Verhalten begründeten. Geneviève war seine erste Liebe gewesen, Shohei hatte immense Angst gehegt, sie bei zu geringer Aufmerksamkeit ihr gegenüber zu verlieren, sein Verstand wurde noch immer betäubt, wenn er an sie dachte. Was erwartete Simon da?
„Musst du gerade sagen“, feixte Shohei daraufhin. „Wer von uns schleppt denn jeden Abend ein anderes Mädchen ab, um sie nach dem Spaß sofort fallen zu lassen? Das bin ja wohl nicht ich, mein Lieber. Und eines will ich dir mal sagen –“
„Bist du sicher, dass du das willst? Es könnten deine letzten Worte in dieser Bibliothek sein.“ Eine erzürnte Mädchenstimme unterbrach Shohei mitten im Satz, völlig perplex wirbelte er zur neuen Partei der Konversation herum, unschlüssig, wie er reagieren sollte, und spürte bald einen warmen Schleier auf seinen Wangen. Längst hatte er nicht mehr geflüstert, sondern eher die halbe Bibliothek zusammen geschrien, ohne es wirklich zu merken. Beschämt wandte er seinen Kopf zur Seite. „Na also. Etwas mehr Benehmen hätte ich von Jungs eures Alters prinzipiell erwartet, ihr seid hier nicht allein.“
Aus den Augenwinkeln heraus riskierte Shohei einen Blick auf das weibliche Geschöpf, das sie just in die Schranken wies. Eine dunkelbeige Bluse mitsamt schwarzem Kragen und gleichfarbigen Ärmelenden hüllte den Oberkörper des Mädchens in ihren Stoff, bot dank mehrerer geöffneter Knöpfe einen nicht minderen Ausblick auf ihr Dekolleté, wobei zusätzlich ein schwarzes Top eine übermäßige Ansicht ihrer Unterwäsche verhinderte. Über Hüfte und den Ansatz ihrer Beine legte sich ein Schleier grau-blauen Nähwerks, nicht allzu lang, jedoch reichte es ebenso wenig bis zu ihren Knien. Als besäßen ihre Beine nicht bereits eine grazile Länge, so sorgten ihre tiefschwarzen Pumps dafür, dass sie noch um einiges an Eleganz und ihre Person als Ganzes einige Zentimeter an Größe gewann. Ihr Antlitz umschloss ein Rahmen strahlend blauer Locken, die etwa bis zur Hälfte ihres Rückens reichten, und intensiv marineblaue Iriden schimmerten in ihrem zarten, stupsnasigem Gesicht. Ein sehr hübsches Mädchen, so fand Shohei, zierliche Statur, trotzdem stark und sehr wohl durchsetzungsfähig. Das beeindruckte ihn.
„Jawohl, Ma’am“, bestätigte Simon künstlich gehorsam. „Alles, was Sie verlangen und scheuen Sie nicht, Gewalt einzusetzen.“ Sein Lächeln verflog, als Shohei ihm entrüstet gegen den Oberarm boxte, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Entschuldigen Sie vielmals unser Benehmen“, meldete sich nun Benjamin zu Wort, und das, obwohl er an der Zankerei nicht einmal beteiligt gewesen war, verbeugte sich Verzeihung erbittend vor der scheinbaren Bibliotheksaufsicht. Mit solch einem Höflichkeitsaufgebot hatte Shohei nicht gerechnet, geschweige denn solch einem Stimmungsumschwung, tat es Benjamin allerdings gleich. Sogar Simon bequemte sich zu jener Geste. „Arbeiten Sie hier?“ Erst jetzt bemerkte Shohei das Ausweisschildchen an ihrer Bluse.
„Ja, das tue ich“, bejahte die noch Unbekannte, zupfte am Saum ihres Rockes. „Mein Name ist Itoe Nakamura, aber nennt mich ruhig Itoe. Ich bin hier als Sekretärin und Aufsichtsperson tätig. Kann ich euch vielleicht helfen, bevor die Angelegenheit hier erneut eskaliert?“
„Wissen Sie denn, wie die Abteilungen für Mythen voneinander abgegrenzt sind?“ Skeptisch beäugte Shohei das Spektakel, die Show, welche Benjamin ihnen allen lieferte. Er war keineswegs die Frohnatur, die er vor Itoe mimte, oder der sorgenfreie Enthusiast, den er fälschlicherweise spielte. Shohei wusste, es ging ihm nicht gut, jedoch versuchte Benjamin, dies unter allen Umständen zu verbergen. Vielleicht erhaschte er später einen Moment der zweisamen Abgeschiedenheit, in dem er in Ruhe mit Benjamin sprechen könnte, seiner Ansicht nach dringend nötig – mit seinem Nebenjob als Babysitter für Simon aber leichter gesagt, als getan. „Wir suchen nämlich ganz bestimmte Mythen. Es geht um Geschichten von Menschen, die spezielle Fähigkeiten kontrollieren, zum Beispiel Elektrizität oder Feuer.“ Zu Shoheis Erleichterung senkte Benjamin seine Stimme zunehmend, sodass seine Anfrage neben Itoe keiner mitbekommen dürfte. Ihre glasklaren Augen allerdings weiteten sich vor Entsetzen, zitternd taumelte sie einige Schritte zurück, faltete die Hände vor ihren blassrosafarbenen Lippen. Shohei runzelte die Stirn.
„Ich…“, stammelte Itoe, zunächst sprachlos wanderte ihr Fokus zwischen Simon, Benjamin und Shohei umher. „Für was braucht ihr die Bücher?“ Es stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, dass die Konversation für sie allmählich ins Unangenehme ausartete, sie sich dem schnell entziehen wollte. Doch Shohei dachte nicht daran, sie entkommen zu lassen, dazu verhielt sie sich zu verdächtig.
„Wir sind interessiert am Unerklärlichen“, lächelte er überfreundlich, drehte den Spiel somit direkt um. Denn jetzt war sie diejenige, die errötete, und nicht Shohei. Ja, nicht bloß Simon erfreute sich in seinem Sadismus an Triumphen.
„Ich… werde nachschauen, ob wir diese Bücher noch haben. Ausleihen dürft ihr sie leider nicht, ab einem gewissen Alter der Lektüre verweigert die Bürgermeisterin die Herausgabe und ordnet bei kritischen Werken ihre Vernichtung an.“ Mit jenen Worten drehte Itoe sich um und verschwand auf kürzestem Wege um Irrgarten der Regale. Irgendwie erinnerte Shohei die Art und Weise, auf die ihre hellblauen Haare Itoe hinterher wehten, an seine geliebte Geneviève.