Beiträge von Namine

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    Bonsoir, meine Lieben .3
    Auch ich habe dieses Mal ein paar Fragen an euch (hoffentlich kommt das nicht zu unterbelichtet, lal), und zwar:
    1. Da das Thema Liebe ja sehr "übergreifend" ist, darf man auch über gleichgeschlechtliche Liebe schreiben?
    2. Sind Todesfälle während der Szene ebenfalls erlaubt, solange es noch um Liebe geht?


    LG


    Namine ~






    //Edit: Ja, keine Sorge, an die Altersfreigaben halte ich mich natürlich. Vielen Dank ^-^

    Will man dann die ~ 80 Jahre, die man lebt, mit nichts tun verbringen?

    Wieso denn mit nichts tun? Heißt das für dich, wenn man keine Kinder hat, hockt man bloß Zuhause vor der Glotze und zieht sich Proll-Sender rein oder wie? x3 Man kann doch so viel in seinem Leben machen, es auch glücklich und zufrieden verbringen, ohne seine Gene weiter vererbt zu haben ;3
    Dementsprechend möchte ich auf keinen Fall Kinder haben. Viele sagen mir, meine Einstellung dazu würde sich früher oder später noch ändern, allerdings würde ich eher sagen, dass der Vorsatz "
    Keine Kinder" definitiv zu meinen absolut unumstößlichen Prinzipien gehört. Klar, kleine Kinder sind süß und zum Knuddeln, aber auf Dauer hielte ich das schlichtweg nicht aus. Ich merke selbst, dass ich kaum einen Draht zu den Jüngeren herstellen kann, ich bin da weitaus zu verkrampft und kann mich ebenso wenig dafür begeistern, mit ihnen zu spielen. Ständig muss man auf die Kleinen aufpassen, bei dem Blödsinn, die die verzapfen, und wenn die erstma richtig laufen können, ist es mit der Ruhe sowieso ganz vorbei. Später in der Schule muss man die auch irgendwie da durch kriegen, je nachdem, wie schlau das Kind ist und wie sehr man es vorher auf die Schule vorbereitet und gefördert hat, von der Pubertät ganz zu schweigen O_o Speziell, wenn ich nen Mädchen bekäme... ich erinnere mich noch gut an meine eigenen Schwierigkeiten in der Zeit (ist ja noch nicht so lange her, lal) und das möchte ich mir garantiert nicht noch einmal antun. Meine Psyche ist bereits jetzt extrem labil, früher habe ich schon nach einer Woche Zusammenleben mit meinen Freunden (!) fast jeden Tag heulend in der Ecke gehockt und die waren im selben Alter wie ich - wie soll ich das dann bitte mit einem Kind aushalten?
    Natürlich lachen Kinder auch und bereiten Freude -
    kann ich mir zwar nicht vorstellen, soll ja aber so sein -, jedoch überwiegt bei mir in der Hinsicht mein Bedürfnis nach Eigenwohl (ungewollte Schwangerschaft wäre für mich ne wahre Katastrophe), nachdem es mir jetzt so lange Zeit ziemlich dreckig ging, auf gut Deutsch gesagt. Ich habe so viele Dinge, die ich sehen, die ich erleben will, die Welt bereisen und besichtigen, so viel lernen, Karriere machen. Eine Partnerschaft kann ich mir mit der richtigen Person da auch gut vorstellen, bloß Kinder wären da ein absolutes Hindernis. Und Herrgott, so schlimm finde ich es nun auch nicht, dass mein Erbgut nicht weiter gegeben wird x)


    LG


    Namine ~

    Einen knappen Monat später... jaja, ich will dich jetzt nicht mit Ausreden nerven, daher sag ich es dir ganz direkt: Ich hatte in der Zeit so viel Stress, dass ich schlichtweg keine Lust zur Aktivität hier hatte, erst recht nicht für einen Kommentar. Diese Schuld liegt jedoch nicht bei dir, von daher folgt nun das, was schon seit einem Monat fällig gewesen wäre. Und ich finde es nach wie vor schade, dass außer mir noch niemand (!) kommentiert hat.
    "Aus dem Leben eines Toten", soso, ein schönes Paradoxon hast du hier. Ich liebe ja Stilmittel in Überschriften, das versuche ich selbst auch immer wieder x3 Erst hatte ich "Tagebuch" gelesen und mich irgendwie daran festgeklammert, keine Ahnung wieso, beides wäre für mich höchst interessant. Aber nun gut, bleiben wir beim Leben. Meine erste Vermutung wäre, dass man das sowohl auf den Vater, als auch auf das lyrische Ich (man erfährt nicht, ob weiblich oder männlich, aber okay, das soll kein Makel sein, immerhin soll man bei Kurzgeschichten ja selbst denken und sich auf die Handlung konzentrieren). In der Hinsicht des Vaters wäre es, dass sein "Leben" quasi daraus besteht, dass sein Kind ihn täglich am Grabe besucht, dies aber eben aufgrund von zeitlichen Gründen und Ausreden ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr schafft und so das "Leben" des bereits Toten langsam endgültig erlischt.
    Von Seiten des lyrischen Ichs her... es ist ja am Ende ebenfalls tot, also erzählt die Geschichte sein Verhalten und seine Geschichte als noch Lebender und der Titel kann nachwirkend verstanden werden, falls du mich wenigstens verstehen kannst...? Jedenfalls gefällt mir schon einmal die Überschrift sehr, sie weckt Neugierde und macht auf alle Fälle richtig Lust aufs Lesen. Zugegeben, gelesen hatte ich deine Story hier schon lange, nur eben zum Kommentieren konnte ich mich nicht aufraffen.



    Langsam neigte sich der Sarg nach unten, die Erde nahm ihn in sein Reich auf, die Glocken vom nah gelegenen Kirchturm begleiteten ihn dabei. Im Sarg, da lag ein guter Freund von mir. Mehr als das: Im Sarg da lag mein Vater. Während der Beerdigung – ich war fassungslos; Wie durfte so etwas Schreckliches nur passieren? – schwor ich mir, jeden Tag hierher zurückzukommen. Ich denke, hätte ich mich daran gehalten, würde ich mich jetzt nicht ebenfalls in einem Sarg befinden, die Erde würde mich nicht in ihr Reich aufnehmen und auch die Glocken, ja auch sie würden schweigen. Vieles hätte anders kommen können, doch ich möchte euch nur von dieser einen Geschichte erzählen.

    Die perfekte Formel zum Unglücklichsein, wie man sagt: Hätte, würde, könnte, die lieben Möglichkeitsverben. Schöner Einstieg, gefällt mir, das erzeugt gleich zu Anfang so eine... angehaucht negative Atmosphäre, sage ich mal. Man ist mit diesen ganzen rhetorischen Fragen konfrontiert, auf die man im Laufe der Geschichte noch eine Antwort erhalten wird - oder eben nicht, dessen ist man sich ja noch nicht bewusst. Gleichsam mag ich diese Erzählperspektive. Personal und gleichsam in dem Sinne eigentlich unmöglich, denn besagtes lyrisches Ich ist ja bereits tot, oder liegt es in letzten Zügen? Zumindest für mich stellt sich diese Frage, über die man sich unzählige Gedanken machen kann. Genau das liebe ich so an deinen Kurzgeschichten. Sie regen wirklich zum Nachdenken an und sind ab einem gewissen Zeitpunkt nicht einfach zu Ende. Er trifft den Leser immer genau da, wo er am empfindlichsten ist, nämlich bei sich selbst. Hach, wie könnte ich darüber schwärmen <3 Ich zum Beispiel frage mich ja auch in vielen Situationen: "Hätte es anders sein können? Besser?" und doch findet man keine eindeutige Antwort darauf. Gerade solche sensiblen Themen sind es, die deine Geschichten so ergreifend und authentisch machen und ich bewundere dich wirklich dafür.
    Was ich speziell an diesem Zitat noch erwähnen möchte, ist das Repetitio mit den und dem Erdenreich. Das stellt noch einmal eine Parallelität zwischen Vater und Kind her (ich gehe ma davon aus, es ist ein Sohn) und eine ebenso traurige, wie rührende Verbindung. Beide in jeweils einem Sarg begraben, beide wahrscheinlich viel zu früh aus dem Leben geschieden...
    So, nun werde ich das etwas allgemeiner fassen, sonst kann ich mit dem Kommentieren gar nicht mehr aufhören.
    Die Geschichte ist wahrlich rührselig erzählt und ich muss zugeben, ich wurde mit jeder Zeile trauriger und trauriger. Es reichen schon einfache Beschreibungen von Handlungen und Verhalten aus - und das ausschließlich bei deinen Geschichten - um mich emotional mitzunehmen. Vor allem diese Einschübe wie



    Jetzt könntet ihr denken, mein Vater sei mir egal geworden. Nun wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke: Vielleicht habt ihr Recht, mit Sicherheit kann ich es aber nicht sagen.

    Selbstvorwürfe in direkter Verknüpfung mit dem, was der Leser eventuell denken mag - damit nimmst du diesem das Wort aus dem Munde. Das Wahrscheinlichste wäre wirklich, zu denken, der Vater sei dem lyrischen Ich nunmehr einerlei. Man weiß es beim Lesen, doch bewusst an dieses Phänomen denken tut man nicht, zumindest habe ich das nicht getan. Es war eher... unbewusst. Du nimmst das Tiefgründige und bringst es verstohlen und ganz heimlich an die Oberfläche, ohne dass man es sofort merkt, sondern erst im Nachhinein. Ich finde es jedes Mal wieder faszinierend, wo du dieses Talent, diese Methodik hernimmst. Bitte, versprich mir, dass du auch in Zukunft deine Kurzgeschichten veröffentlichst, ja? Und ich meine nicht hier oder in irgendeinem Blog, sondern richtig veröffentlichst, als Sammlung von mir aus, nur bitte, behalt sie nicht für dich! Du bist gut, das weißt du genauso wie ich, und du verschenkst so viel, würdest du damit nicht öffentlich.
    So, nun weiter im Text. Lang, lang ist's her, dass man an den Vater überhaupt nur im Entferntesten gedacht hat, und plötzlich findet man diese Schachtel. Man merkt schon, es steuert allmählich auf den Höhepunkt zu, die Handlung gewinnt mehr an Dichte und Gefühl und es bahnt sich etwas Dramatisches an; etwas, das das Leben des lyrischen Ichs nach so langer Zeit wieder auf den Kopf stellt: die Schachtel bzw das Fotoalbum. Ich fand es richtig gelungen, wie du diesen Fund verpackt hast, und auch die Bilder in dem Album hatten durchaus viel Authentisches. Ein Kind mit einer Eistüte, eine Geburtstagsfeier... und da steht der Vater wieder im Leben, denjenigen, den man im Grunde schon längst vergessen hatte. Ich muss sagen, ich konnte in dem Augenblick, als das lyrische Ich diesen Blick entdeckt hat, so sehr mitfühlen... einerseits herzerwärmend, dass es nach all den Monaten endlich sozusagen zu seinen Wurzeln zurück gefunden hat; andererseits so tottraurig, all die vergeudete Zeit, die es sich mit Ausreden und billigen Zeitvertreiben versüßt hat - mir standen die Tränen förmlich in den Augen. Ja, ich weiß, vielleicht albern, aber ich fühle beim Lesen immer sehr mit und gerade deine Geschichten gehen mir stets sehr nahe.


    So wurden nach zwei Wochen, aus zwei Stunden, eine. Ich sagte mir selbst, dass er es so gewollt hätte. Wollten die Verstorbenen das nicht immer? Dass man wieder zurück ins Leben findet, dass man nicht ewig an ihnen klammert? Ich wünschte mir, dass sie es so wollten.

    Diese Frage stellt man sich Tag für Tag und doch ist es unmöglich, sie zu beantworten. Ja, wollen die Toten das? Wollen sie wirklich vergessen werden, um den noch Lebenden das Dasein zu erleichtern? Oder ist es nicht gerade das, was man vor seinem eigenen Dahinscheiden fürchtet, nämlich, dass sich niemand an einen erinnert? Wahrlich ein moralisches Dilemma, aus dem man so einfach sicher nicht heraus kommt, und doch, wie du schon sagst, wünscht man es sich. Man will sich nicht schuldig machen, den Geliebten zu vergessen, doch leider geht es im Alltag oft nicht anders. Du selbst führst hier das Beispiel des erst geduldigen, dann zunehmend missgestimmten Chefs auf, auch wieder schön aus der Realität gegriffen. Es gibt ja heutzutage wahrscheinlich kaum einen Arbeitgeber, der so gutmütig mit seinen Angestellten ist, die Welt ist zu hart und unerbittlich geworden. Trotzdem passt es zum Umfeld des lyrischen Ichs, wie ich finde. Dieses hat etwas... Sympathisches an sich. Der Vorsatz, das Grab jeden Tag zu besuchen, die Schuldgefühle, als es nicht mehr klappt, die vergeblichen Versuche, sich zu rechtfertigen... allein der Vorfall an sich, der Verlust des Vaters, ist ja bereits mitleiderregend, wodurch du die Sympathie des Lesers auf deine Figur lenkst. Wieder um die Ecke gedacht, ohne dass man es bewusst wahrnimmt, dafür kann ich dich lediglich loben :3



    Vor uns war ein Kuchen aufgebaut, vier Kerzen rundherum angeordnet und an der Wand hinter mir hing ein großer, roter Luftballon.


    Vier. Vier Jahre, war ich nicht mehr bei ihm gewesen, heute auf den Tag, vier Jahre.

    Gezielt eine Parallele gezogen oder nur Zufall? Ich wage zu sagen, dass das von dir gewollt war. Das Bild mit der Geburtstagstorte quasi ein Hinweis auf die Zeit, die vergangen war, ein verdeckter, im Nachhinein vielleicht unlogischer und es gibt sicherlich viel, was dagegen spricht, dennoch ist das für mich kein Zufall mehr. Das hat fast etwas Magisches an sich, meiner Meinung nach. Vier Jahre das Kind auf dem Bild, das das lyrische Ich wieder an seinen Vater erinnert - vier Jahre insgesamt vergangen... da muss Sinn hinter stecken ;D
    Das Vorhaben des lyrischen Ichs ist wirklich löblich. Ein weiteres Mal der Vorsatz, etwas zu tun, was an den Vater erinnert, diesmal in Form eines Fotos im Album. Wahrhaft ergreifend, muss ich sagen. So simpel, im Grunde banal, und es erzeugt doch so viel Gefühl in einem, im Leser, in mir, schlichtweg, weil man es so gut nachvollziehen kann. Und dann... wird er daran gehindert, ich war so fassungslos ;3; Das ist quasi noch eine Steigerung des ohnehin kaum Wiedergutzumachenden, nämlich, dass das lyrische Ich den Vater hat in Vergessenheit geraten lassen. Jetzt hat es sich vorgenommen, das zu ändern und stirbt selbst, welch traurige Ironie. Ich könnte dich schlagen, dass du es hast sterben lassen D: So dramatisch und... meh ._. Man hat sich gerade so richtig mit dem lyrischen Ich angefreundet und dann lässt du es sterben, wie fies kann man sein? Der Clou ist ja noch daran...



    Das Foto konnte ich auch immer noch hinterher machen.

    Das war für mich echt ein Knaller. Nach all der Zeit entschließt das lyrische Ich sich endlich ma, seinen Vater in Gedanken wieder aufleben zu lassen, und dann lässt es ihn für einen Freund sitzen? Den Menschen, der für es eben mehr als bloß ein guter Freund war, wie man am Anfang erfährt? Also ehrlich, ich mag beinahe sagen, dann ist es selbst Schuld. Der Unfall war die Strafe dafür, dass es sich schon wieder hat drücken wollen, zumindest kommt es einem so vor. Das wäre wieder so eine billige Ausrede, wie das lyrische Ich all die Monate über gesucht und auch gefunden hat, etwas anderes war in dem Moment wichtiger als der eigene Vater... ich bin sprachlos. Wie viel hält das schlechte Gewissen des lyrischen Ichs denn bitte aus? Nichtsdestotrotz ein gelungen eingefügtes Stück des Ganzen. Hier erfährt man noch einmal deutlich einen Charakterzug des Erzählers und nicht bloß über einen Wink mit dem Zaunpfahl, wirklich, sehr schön. Aus deinen Geschichten lässt sich immer so viel herausholen <3

    Was ich dieses Mal zu bemängeln hätte, wäre zum einen deine Zeichensetzung. Du hast dich hier teils derbe verhaspelt, was die Setzung von Kommata angeht, denn eigentlich bin ich auch in der Hinsicht Perfektion von dir gewöhnt. Außerdem haben mir einige Details gefehlt, beispielsweise woran der Vater gestorben ist. Wäre er ebenfalls bei einem Autounfall gestorben, hätte das natürlich entsprechend größere Dramatik mit sich gezogen, und ebenso eine engere Verbindung zwischen Vater und Kind. Oder aber der Tod des Vaters wäre ein langwieriger Prozess gewesen, unter dem das lyrische Ich bereits lange gelitten hätte, und somit umso schmerzhafter die Erkenntnis, den lang geliebten, über lange Zeit verlorenen Vater fast komplett vergessen zu haben, umso größer die Schuldgefühle diesbezüglich.
    Das sind so meine Gedanken und Anmerkungen gewesen. Bis auf das eben Geschilderte habe ich wie immer fast nichts auszusetzen. Eine schöne und ebenso dramatische Problemsituation hast du da gewählt. Nun gut, normalerweise hat man keine so großen Zeitsprünge, das dürftest du selbst wissen, jedoch fällt das hier nicht zu streng ins Gewicht, denn die Handlung ist dafür umso mitreißender. Ich kann dich lediglich dafür loben, was du hier postest. Du hast Talent, du hast Kreativität, du behandelst Themen, die jeder kennt und sie doch verdrängt, und das mit solch einer gezielten Präzision, dass es mir fast Angst macht. Ich fände es wahrlich schade, würdest du all das hier nicht beibehalten, du hast das Zeug zu einem echt guten Autor. Ob Gedichte, Kurzgeschichten, von mir aus auch ein gesamtes Buch - ich glaube, vom Literarischen her würde dir alles gelingen.
    In dem Sinne verabschiede ich mich nun, auf dass dein nächstes Werk ein ebenso tolles wird wie die bereits vorhandenen. Besser kann es nämlich kaum noch werden ;3


    LG


    Namine ~

    So, ein Post vor dem neuen Jahr muss noch sein, wie ich finde ^-^





    Nachträglich wünsche ich euch übrigens noch fröhliche Weihnachten und hoffentlich kommt ihr alle gut ins neue Jahr :3 Auf dass alle Vorsätze auch wirklich hinhauen .D



    Euer Hass-Lied? ~
    Hm, so viele gibt es da eigentlich gar nicht... aber ich würde sagen, ganz oben auf ist "Just be friends" in jeglicher Version, die existiert. Es ist so... techno-lastig, zumindest das, was ich so gehört habe, und egal, wie oft ich es mit dem Lied versucht habe, ich kann mich schlichtweg nicht damit anfreunden. Der Rhythmus ist zu schnell, ständig wird der Songtitel wiederholt und aufgrund dessen hat es leider eine zu enorme Ohrwurmqualität, und zwar von der Sorte, die man sich nicht wünscht >___<
    "Romeo & Cinderella" finde ich auch nicht so toll ehrlich gesagt und ansonsten kann ich im Grunde lediglich generell sagen, dass ich fast alle Songs, die von weiblichen Stimmen (mit Ausnahme Meiko, die ist genial <3) gesungen wurden, nicht leiden kann - ich kann Miku, Rin, SeeU etc sowieso nicht ausstehen und deren Lieder dann ja erst recht nicht ^^" Das klingt für mich zu hoch, zu schrill, zu piepsig, einfach nicht schön. Meiko's Stimme hingegen hat da für mich schon eher was, um sie mal zu verteidigen, weitaus natürlicher und erwachsener als die anderen weiblichen Stimmen ~




    Lieblings-Duett? ~
    Oh, da muss ich nicht lange überlegen ^-^ Dafür fällt mir die Entscheidung umso schwerer xD
    An erster Stelle kämen wohl Kaito x Gakupo. Bei vielen Liedern, "Koi no Fuga", "Koi no Vacance", "Magnet", aber auch bei ihrem gemeinsamen Part in "Duke Venomania" haben mir ihre beiden Stimmen im Zusammenspiel sehr gut gefallen. Beide klingen sowohl in höherer, als auch in tieferer Lage richtig, nicht künstlich(er als sonst) oder schief, sprich beide können sowohl den hohen, als auch den tiefen Part in einem Lied übernehmen. Diese variable Zweistimmigkeit gefällt mir sehr und ich finde immer wieder Songs, bei denen Kaito und Gakupo perfekt von der Tonlage her aufeinander abgestimmt wurden, zumal ich das Pairing mit den beiden ohnehin unter anderem favorisiere <3 Farblich würde das ja auch glatt gehen ;D
    Dann hätten wir da Len x Kaito. Mal ehrlich, habt ihr euch von den beiden ma "Lost destination " angehört? Beide sind da schlichtweg der Wahnsinn *___* Vor allem im Mittelteil klingen sie so verdammt menschlich, das hätte ich nie für möglich gehalten :o Len übernimmt hier und auch bei den meisten Songs mit denen als Duett die höhere Stimme, allerdings auch nicht wieder so, dass es imo zu schrill für einen Jungen klänge. Kaito kann da entspannt mit seiner tieferen Stimme den Ausgleich schaffen, das Ganze abrunden und sie so zusammen perfekt harmonieren lassen :>
    Selbiges gilt auch für
    Kaito x Hiyama. Letzterer hat sowieso die eher höhere Tonlage und ehrlich, wenn der tief singt, das klingt schon nicht mehr schön .___. Im Grunde ist es hier also dieselbe Begründung wie bei Len. Hiyama hält sich eher im Höheren auf, während Kaito die tiefen Lagen für sich beansprucht und dadurch mit seiner Stimme auch die volle für ihn mögliche Leistung erzielt <3



    Und an diejenigen, die Kaito für so einen Fail halten... kann DAS wirklich ein Fail sein? ...




    Euer liebstes Cover? ~
    Oh, da fallen mir auch wieder eine ganze Menge ein ^-^ An erster Stelle wäre da "Let's kiss hiding in a car" von Kaito, im Original gesungen von Mr Children - und das Original ist meiner Meinung nach nicht ma annähernd so gut wie die Version von Kaito. Bei ersterer Musikgruppe habe ich schlichtweg nicht diese Gänsehaut, wenn ich das Lied höre, geschweige denn diese wirkliche Trauer in mir, diese Verbundenheit, wenn ich den Text im Ohr habe (die Übersetzung kenne ich inzwischen schon auswendig) ... ~ Ich finde, gerade bei dem Lied hat man aus Kaitos Stimme wirklich viel gemacht. Es mag nicht unbedingt so menschlich klingen oder natürlich wie mit echten Stimmbändern, dafür drückt es meiner Meinung nach weitaus mehr Emotionen aus, als der echte Sänger es je geschafft hat.
    Dann hätten wir da "Amazing Grace" von SweetAnn (wow, eine weibliche Stimme, die ich mag xD). Als ich das Lied das erste Mal gehört habe, war ich sowas von baff, das glaubt ihr nicht O__o Damals wusste ich noch nicht, dass man so etwas mit einer Vocaloid Stimme zaubern kann, so etwas Wunderbares <3 Dieses Lied hat mich dazu animiert, aktiv mit dem Zeichnen anzufangen, weshalb ich ohnehin eine spezielle Bindung zu diesem Song pflege. Es ist nicht bloß so wunderschön, anmutig, ein Wohlklang für die Ohren, sondern auch SweetAnns Stimme wurde perfekt umgesetzt :3
    Zum Schluss hätten wir da noch einzelne Lieder... "Paparazzi" oder "Take on me" von Bruno&Clara finde ich noch recht gelungen, dann noch genügend Cover von Britney Spears von Hiyama Kiyoteru beispielsweise, einige auch von Luka... aber eigentlich nicht der Rede wert ~




    Okay, das war's mal wieder ^-^ Wie gesagt, fröhliche Weihnachten nachträglich und einen guten Rutsch ins neue Jahr :>




    Kapitel 9: Checkmate



    || I know that when I stare into your eyes I can see all the years of lies

    Ghosts and demons you never exorcised ||


    ~ Billy Talent - Tears into wine




    Dieses Mal erledigten sie den Abwasch gemeinsam.
    Ein Samstag, an dem Shohei ausnahmsweise nicht arbeitete, sondern Zuhause weilte. Das freute Benjamin ungemein, da ihn deshalb nicht pausenlos die fremden Stimmen des Fernsehers bespaßen mussten, während er sich um den Haushalt kümmerte. Nein, eine vertraute Stimme sprach zu ihm. Das hieß, falls sie erklang. Benjamin schien es, als benötigte sein Vermieter eine längere Zeitspanne zum Wachwerden, ein heimlicher Morgenmuffel. Nach der letzten Nacht kein Wunder. Gerade Shohei hatte der Wortwechsel mit dem amüsierten, blonden Jungen sichtlich Anstrengung, sowie eine ganze Menge Disziplin gekostet, und Benjamin war diesbezüglich noch immer nicht aufgeklärt worden. Ständig hatten Shohei und der Fremde ihn bei ihrem Gespräch gemustert, fast schon verdächtig, er hatte sich dabei regelrecht ausgehöhlt gefühlt.
    Bei Ersterem verständlich, wohnte Benjamin schließlich bereits seit einigen Wochen mit ihm zusammen. Trotzdem verschwieg Shohei ihm etwas, und das missfiel ihm deutlich, anscheinend betraf es ja sogar ihm unbekannte Personen. Eigentlich schade, Benjamin hatte geglaubt, er genösse Shoheis Vertrauen.
    „Nun, morgen ist Sonntag…“, begann Benjamin vorsichtig, versuchte, Shohei zuliebe seine Müdigkeit zu verbergen. Er widmete sich mit seinem Trockenhandtuch einem Porzellanteller mit vergoldeter Randverzierung. „Unternehmen wir da etwas? Ich meine… außerhalb deiner vier Wände?“ Geübt öffnete der Fragende eine der vier Türen des alten Holzhängeschrankes unmittelbar über sich, platzierte den Teller behutsam in der dafür vorgesehenen Ecke. Seichter Spülmittelgeruch, versetzt mit Lavendelaroma, dominierte die Luft in Shoheis schmaler Küche, den das leicht gekippte Fenster in der hinteren rechten Ecke nicht zu vertreiben vermochte. Wenigstens erfüllte es den verhältnismäßig engen Raum mit frischem Tageslicht.
    „Dir steht es frei“, antwortete der Angesprochene nach einer geschätzten Ewigkeit des Schweigens. Er tauchte seine Hände in das schaumige Wasser des silbernen Spülbeckens, so abrupt, dass mehrere Spritzer sich an die weißen Fliesen der Wand oder Shoheis schwarzes Shirt hefteten, Schneisen zogen. „Du bist nicht mein Gefangener, Benjamin, und zudem stolze siebzehn Jahre alt. Solange du keine Dummheiten anstellst, sind mir deine Freizeitaktivitäten einerlei.“
    Rechts und links des Waschbereichs verbargen Geschirr, Gläser und Töpfe die hell-dunkel gesprenkelte Travertinarbeitsfläche, entweder noch schmutzig oder gereinigt, aber nicht weggeräumt. Widerspenstigen Blickes fixierte Shohei die erstgenannte Gattung an Essutensilien, und seufzte bedrückt. Theoretisch hätte Benjamin Lust verspürt, synchron dazu in die schwere Atmung einzustimmen, jedoch schwieg er, griff sich wortlos das nächste Teil.
    Draußen beherrschten graue Wolken den Himmel, so, wie sie sich zunehmend verdunkelten, würde es bald regnen, und Benjamin dürfte der leisen Serenade lauschen, die die etlichen Tropfen auf dem Balkon und den Fensterscheiben sangen, unabhängig voneinander, dennoch harmonisch. Jedes der Wasserfragmente lebte in Einsamkeit, von der Geburt an bis zum Tode.
    Es stimmte Benjamin sehnsuchtsvoll, auch er begehrte das Alleinsein, doch entgegen seiner geschworenen Prinzipien harrte er bei Shohei, gefährdete ihn, wollte dennoch zu seinem eigenen Erstaunen mit diesem den Tag verbringen, erfreute sich an Gesellschaft. Innerlich rang Benjamin mit seinem schlechten Gewissen, das forderte, Shoheis Apartment augenblicklich zu verlassen; an einen Ort zu fliehen, den niemand finden würde. Nicht einmal Shohei.
    Unvermittelt entflammte erneut das Stechen in seiner Brust, Benjamin ignorierte es weitestgehend und lehnte sich geistesabwesend an die Arbeitsplatte hinter sich, in die auch das Ceranfeld eingearbeitet war. Unterhalt davon, hinter dunklen Türen versteckt fanden verschiedene Mülltüten ihre Daseinsberechtigung, ein Sammelkorb für Batterien, und je eine aufklappbare Plastikkiste schwarz-roter Farbe für Glas- und Kunststoffflaschen. Oberhalb der marmorähnlichen Ebene hing ein Gewürzregal an der zartgelben Wand. Die Hälfte der dort platzierten Gewürze war Benjamin vollkommen unbekannt, und intuitiv fragte er sich, ob Shohei früher gern mit Geneviève gekocht hatte.
    Leicht beugte Benjamin sich vor, umfasste eine Horde Besteck, zog in derselben Bewegung die dafür gedachte Schublade auf und begann, die von ihm getrockneten Teile passend einzusortieren. Wie in Trance folgten seine Hände den Befehlen seines Kopfes, bis ein besonders spitzes und wahrscheinlich ebenso scharfes Messer seine Aufmerksamkeit erregte. Gebannt blendete Benjamin alles andere in seinem Umfeld aus. Der zarte Lavendelduft, das Plätschern des Spülwassers, selbst die Existenz seines Vermieters – irrelevant. Seine braunen Iriden, inzwischen strahlten sie vor Faszination, inspizierten sorgfältig die glänzende Schneide. Dergleichen gehörte laut Benjamins Meinung zu den Raritäten, sein Puls beschleunigte sich in dem Wunsch, die Fertigkeiten der Klinge zu testen. Zu lange hatte er sich der Sühne bereits verweigern müssen, in Shoheis Beisein immerhin ein unmögliches Vorhaben, es juckte ihn förmlich in den Fingern. Zwar schützte ein Verband nach wie vor Benjamins linken Arm, aber an ihm gedieh ja auch ein zweiter, und sollte der nicht genügen, würden sich weitere rote Streifen auf seinen Oberkörper verirren.
    Langsam fuhr sein Zeigefinger an der Schneide entlang, begutachtete ihr Profil, ihre Figur, prüfte ihre tatsächliche Schärfe. Ein Schauer der Erleichterung befiel seinen Leib, als die Haut an seinen Fingerkuppen sich teilte und rote Flüssigkeit hervortrat, die wie er wusste metallisch schmeckte, leicht schimmernd unter Eindringen des Lichtes von draußen. Endlich wäre er wieder in der Lage, den Fehler seines Lebens zu strafen, sein Weilen an Shoheis Seite, obwohl die Labilität seiner Macht eine ernsthafte Bedrohung verkörperte. Aufregung, gar Euphorie bereitete sich einzig deshalb in Benjamin aus, zeitweilig lähmte sie den Schmerz in seinem Herzen, erzeugten freudiges Kribbeln in ihm, ließen ihn lächeln. Er bemerkte nicht, dass Shohei ihn ansprach.
    „Benjamin? Hey, Benjamin“, entgegnete er mehrmals, ohne eine Reaktion seines Gegenübers zu erfahren. Benjamin registrierte den Älteren erst, als dieser ihm rigoros das Messer aus der Hand riss, ihn an den Schultern packte und Richtung Wohnzimmer schob. Zunächst orientierungslos wehrte Benjamin sich nicht.
    „Shohei, was – “, stammelte er bloß. Im nächsten Moment schubste man ihn schon so kräftig, dass er durch das Wohnzimmer stolperte, sich am beigen Sofa abstützen musste, um nicht zu fallen, und letztlich halb liegend darauf landete. Sofort fixierte der Fernseher schräg links von Benjamin diesen mit seinem finsteren Augenmerk. Er wäre der einzige Zeuge.
    „Zieh dein Shirt aus“, befahl Shohei vom Flur aus. Wasserrauschen und Gekrame ertönten. „Und wehe, du fliehst.“ Entsetzt über Shoheis plötzlichen Sinneswandel, gleichzeitig eingeschüchtert von dem Drohen in seiner Stimme, gehorchte Benjamin auf der Stelle, entledigte sich seines schwarzen Oberteils, legte es beiseite und wartete bangend auf Anweisungen seines Vermieters. Unterdessen betrachtete er die angedunkelt erscheinende Dächerlandschaft jenseits des Balkons, die grau-blaue Wolkendecke stahl ihnen auch den spärlichen Rest ihrer ohnehin geringen Wärme. Benjamin spürte die aufkommende Schwüle, zwängte sie sich durch den Spalt der leicht geöffneten Balkontür. Dennoch fröstelte ihm. Was beabsichtigte Shohei damit? Diese konsequente Forderung ängstigte ihn beinahe, bisher hatte er gedacht, er könnte Shoheis Verhalten gut einschätzen. Nachdenklich starrte Benjamin auf seinen Verband. Zu spät dämmerte es ihm.
    „Ich wusste es“, bedauerte Shohei, als er seinen Mitbewohner oben herum unbekleidet sah, eilte zu ihm und setzte sich zu Benjamin auf die Couch. Auf dem niedrigen Tischchen davor platzierte er eine Schüssel voll Wasser samt Waschlappen und eine Tube mit Wundheilsalbe. „Bei dem Verband wollte ich es nicht bemerkt haben… Verdammt, warum habe ich es nicht früher…“
    Schonend wrang Shohei den Stofffetzen aus, begradigte Benjamins Haltung, indem er seine Schulter zurückdrückte, und begann, den Oberkörper seines Schützlings sanft damit abzutupfen. Der Anblick verursachte ihm merkliches Leid, trotzdem ging er konzentriert und einfühlsam vor. Benjamin wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen, symbolisierte er doch den Grund für Shoheis Kummer.
    „Shohei, ich wollte nicht, dass du es erfährst“, versuchte er sich zu rechtfertigen und Shohei die Schuld zu nehmen. „ Du solltest dir keine Sorgen –“
    „Ich sorge mich aber immer um dich“, fiel man Benjamin ins Wort. „Jetzt erst recht. Benjamin, bitte, hör damit auf, das ist es nicht wert. Rede mit mir darüber. Dafür darfst du mich auch mitten in der Nacht wecken, wenn es nötig ist.“ Eingehend musterte Shohei die zahlreichen Narben an Benjamins Brust und Bauch. Ein auffälliger Rot Ton hob sie von seiner normalen, angebräunten Haut ab, um sie herum kräuselten sich die Poren im Heilungsprozess. Einige länger, manche kürzer zierten sie seinen ansonsten schlanken Körper, darunter die ein oder andere, die gar nicht mehr zu verschwinden schien. Shohei stutzte. „Und verrat mir mal… so breit, das schafft kein Messer… das warst du, mit Hilfe deiner Feuerkraft, oder?“
    Die Pein in Benjamin kehrte zurück, schlagartig, und riss mit ihren riesigen Fangzähnen eine klaffende Wunde in sein Seelenbefinden. Alles, was er die ganze Zeit zu leugnen, zu verdrängen versucht hatte, durchstieß nun die Schwelle zu seinem vollen Bewusstsein, streute ihre Samen von Verzweiflung und Furcht darin und ließ ihn erschaudern, einige Zentimeter entfernte er sich von Shohei. Was sollte er tun? Er wusste es, wusste von seinem Fluch, wusste von Benjamins außergewöhnlichen Fähigkeiten, oder ahnte zumindest davon. Wahrscheinlich jedoch ahnte Shohei nichts von der inbegriffenen Gefahr.
    Rasch huschten seine braunen Tiefen umher, ohne einen wirklichen Fixpunkt in ihrem Umfeld zu suchen, Benjamin dachte lediglich verkrampft nach. Wahrheit oder dreiste Lüge? Könnte er Shohei etwas Falsches erzählen, ohne dass der es enttarnte? Wäre es für Benjamin emotional tragbar, je zu entschuldigen, gar zu rechtfertigen?
    „Es war immer da… ich wollte es nicht, aber es war da, ständig… Sogar meine Eltern hatten Angst vor mir, obwohl… nein, gerade weil ich es ihnen verschwiegen habe…“ Je mehr das, was er seit Jahren allein in seinem Herzen beherbergte, aus ihm heraus sprudelte, desto schneller beschleunigte sich seine Atmung auf ein erschreckendes Niveau, sein Pulsschlag ebenso. Sein neu errichtetes Weltbild zerbarst unter dem Druck alter Albträume, Vergangenes wirbelte seinen rationalen Verstand durcheinander, veranstaltete ein heilloses Chaos in seinem Kopf und vermachte Benjamin nichts außer Verwüstung und Zweifeln. Seine Finger krallten sich in das Beige der Couch. „Es war nicht meine Schuld, bitte, verzeiht mir… ich hatte mich nicht unter Kontrolle… es ist einfach passiert…“
    Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als die Krankheit das erste Mal mit offenen Karten gespielt, ihre Fassade fallen gelassen hatte, im zarten Alter seinerseits von fünf Jahren.




    Damals schien eine warme Mittagssonne auf den teils mit Sand beschütteten, teils grasbewachsenen Spielplatz Avenitias, seiner Heimatstadt, seinem Geburtsort in Isshu. Kleine, immergrüne Buchsbäume, etwa einen Meter hoch, begrenzten die kreisförmige Fläche, die als Aufenthaltsort für Kinder diente. Ihre Sauerstoff erzeugenden Ornamente raschelten leise im sachten Ostwind, zusammen schienen sie dem jungen Buben eine Serenade darbringen zu wollen, ein Ständchen, wie sehr es sie freute, gerade ihn begrüßen zu dürfen. An verschiedenen Stellen wogen sich bunte Blumen dazu im Takt, sie verströmten im Einklang dazu einen lieblich süßen, rosigen Duft, der natürlich einige Käfer-Pokemon, zum Beispiel das Bienentrio Wadribi, anlockte. Heftig schlugen die Flügelchen des gelb-orange gestreiften Wesens, um es oberhalb besagter Pflanzen in der Luft zu halten, während es an ihren Blüten schnupperte.
    Rechts vom Eingang, wo Benjamin sich befand, hatte man ein stählernes Gerüst samt einer Schaukel errichtet, von dem insgesamt drei Autoreifen, an Ketten befestigt, herabbaumelten. Ein Stück weiter ragte eine vierstufige Leiter in die Höhe, ein silberner Bogen beschrieb hier den Weg zurück zu sicherem Boden. Die Rutsche glänzte verführerisch im Schein des flammenden Sternes am Himmel, sie lud dazu ein, sie als Monument zu besteigen und im Anschluss sanft wieder hinab zu gleiten. Denn aus der Sicht eines noch relativ kleinen Kindes präsentierte sich eine solche im Nachhinein mickrige Vergnügungsmöglichkeit als Abenteuer der schönsten Sorte, bei dem man gern seine Zeit verbrachte.
    Auf der anderen, der linken Seite, erspähte er wie gewohnt die Betontischtennisplatte. Zwei steinerne Trapeze stabilisierten die rechteckige graue Fläche, auf deren Mitte ein Trennungsnetz angebracht war. Manchmal saßen dort etwas ältere Teenager mit Flaschen herum, sie lachten und grölten laut gen tiefblauem Firmament, und immer, wenn der kleine Junge dies hörte, umklammerte er in seiner Angst, die Jugendlichen kämen in sein Zimmer, um ihm weh zu tun, fast panisch sein Kopfkissen. Er versuchte sich einzureden, dass dies sowieso unmöglich und total unsinnig wäre, jedoch stellte das seine Paranoia lediglich vorübergehend zufrieden. Schließlich lief es aber stets auf dasselbe hinaus, er packte sich sein Kissen und krabbelte zu seinen Eltern ins Bett, die ihn dann solange trösteten, bis er einschlief. Die Tatsache, seine Erzeuger vielleicht bei etwas Speziellem zu stören, störte Benjamin herzlich wenig, weshalb er sich der Anfänge dessen bereits bewusst war. Immerhin gab es ansonsten ausreichend Nächte, in denen die beiden Zweisamkeit genossen. Bei Albträumen griff dieses Verfahren ebenfalls, mit dem feinen Unterschied, dass der Kleine seine Eltern inmitten tiefster Nacht aufsuchte, anstatt in späteren Abendstunden.
    Im letzten verbleibenden Abschnitt des Spielplatzes fand sich eine simple Wippe, ein langes Holzbrett, darauf an jeder Seite ein Griff zum Festhalten, das Ganze lag auf einem Mechanismus, der die Wippe auf und ab bewegte. Als Sprössling verstand man natürlich nicht, wie das System funktionierte, in seinem jetzigen Alter allerdings hatte sich das für ihn erübrigt.
    Sorgfältig spähte er auf der Spielstätte umher, er wollte unbedingt sicher stellen, dass die Rowdies, die ihn häufig belästigten, sich zur Zeit nicht dort aufhielten. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, er schien ausnahmsweise Glück zu haben, was das betraf, außer ihm beabsichtigte anscheinen keines der anderen Kinder des Dorfes, sich hier blicken zu lassen. Die Einsamkeit betrübte ihn keineswegs, eher im Gegenteil, er mochte sie beinahe.
    Ein Einzelkind lernte im Laufe seines Daseins, Tätigkeiten des Zeitvertreibes zu finden, wo es bloß eine einzige Person als Teilnehmer erforderte, bei der Außenstehende den Spaßfaktor minderten, indem sie eingriffen und ihre eigenen Ideen einbrachten. Ohne die anderen musste man sich nach keiner Regel richten, man konnte das spielen, was man wollte, und niemand schaute einen aufgrund dessen oder seines Verhaltens abschätzig an, als sei man von einem fernen Planeten, eben vom Tode auferstanden oder Sonstiges. Man durfte nicht behaupten, er habe es nicht versucht, denn das hatte er, oft genug, tatsächlich. Nur war irgendwann der Druck, nichts falsch zu machen, perfekt zu sein, ins Unermessliche gestiegen, hatte ihn bis zum Nervenkollaps zerfressen. Eine Zeit lang hatte er sich nicht mehr aus dem Haus getraut, aus Angst, allein seine Existenz wäre etwas Verbotenes, er persönlich wäre quasi ein Gegenstand, der auf ewig eingesperrt gehörte, aus reinem Prinzip. Man sagte zwar, die Nähe zu Gleichaltrigen fördere die Entwicklung, doch erkannten seine Eltern bald, dass dies nicht auf ihren Sohn zutraf. Er frönte dem Alleinsein, fühlte sich mit seiner eigenen Präsenz am wohlsten, und es blieb nichts anderes übrig als Akzeptanz. Egal, wie sehr man gedachte, es zu ändern, im Endeffekt fügte es ihm bloß mehr Schmerzen zu.
    Er wollte gerade zur stählernen Rutsche laufen, da packte ihn jemand brutal an seinen zierlichen Schultern und warf ihn in den Staub. Der nun Jugendliche erinnerte sich nicht mehr an die exakten Gesichtszüge seiner Peiniger, im Gegenteil, er hatte mit allen Mitteln versucht, sie zu vergessen; sie zu verdrängen, um seine Seele, sollte sie sich wie jetzt an damalige Geschehen erinnern, vor unnötigen Schmerzen zu bewahren. Denn er wusste nicht, ob er es noch sonderlich oft ertrüge, diese Zwischenfälle in Gedanken immer und immer wieder zu erleben – an das zu denken, was seine Einstellung zur Welt und zu seinem Leben an sich geprägt hatte.
    Widerliche, hässliche Fratzen waren die Antlitze seiner Furcht geworden, überlagert von der Verschleierung schwarzer Schatten, einzig unterbrochen von funkelnden, zu Rauten geformten Kristallen, gierige Augen. Ihre so scharfen Klauen wetzten sich an seinem wehrlosen Leib, ergötzten sich an seinem Leid, und es verlieh ihnen noch mehr Macht über ihn. Zusätzlich hielten sie ihn fest in ihren spitzen Krallen, während andere ihrer Art auf ihn eintraten, ihn bespuckten oder Benjamin auf etwaige Art und Weise demütigten.
    Und dann… dann war es passiert, ohne Vorwarnung, ohne dass er es gezielt erbeten hatte. Rauschende Flammen züngelten um ihn herum, schlangen sich zielstrebig um einen seiner Scheinhenker, hüllten diesen vollends in ihre Fänge und ließen ihn ihrem Zorn, ihrer Rache nicht entfliehen. Zu Benjamins Verwunderung verursachte der Zwischenfall keine Spur von Rauch oder Qualm, hatte er doch bereits oft genug im Fernsehen beobachtet, wie man hustende Menschen aus brennenden Gebäuden zerrte, ihnen Atemmasken verpasste, damit sie nicht an einer Vergiftung starben oder am Ruß erstickten. Weiterhin sandte die Sonne ihren an sich unsichtbaren Einfluss auf die Erde hinab, und ebenso dröhnte von etwas weiter entfernt der Verkehr der Hauptstraße.
    Benjamin selbst krümmten die feurigen Ranken kein einziges Haar, wieso auch? Schließlich waren sie zu seiner Rettung herbei geeilt, seine unberechenbaren Wächter der Wärme, der gleichsamen Zerstörung. Dem Rest seiner Tyrannen erwiesen sie Gnade, ihrem Anführer jedoch zeigten sie ihre gänzliche Unerbittlichkeit. Grölende Schmerzensschreie hallten im Gedächtnis Benjamins, sie wollten nicht verstummen, so sehr er dies ersehnte. Sie hörten nicht auf, sein Trommelfell zu beschmutzen, niemals seit diesem Ereignis hatte es das, das verzweifelte Krakeelen des jungen Teenagers, als die Flammen sich von seiner Kleidung nährten, seine Haut ähnlich einer dünnen Staubschicht beseitigten, sein darunter befindliches Fleisch brieten. Nie vergäße er den Geruch einer halbfertigen Fleischmahlzeit, der aus dem punktuellen Feuer strömte und sich mit angekohltem Gummi mischte; nie vergäße er die sich allmählich formende, düstere Silhouette, bei der es sich einst um einen Menschen gehandelt hatte; wie sie, eingeschlossen in orangen Massen, langsam zu Boden sank, auf die Knie, kontinuierlich um Hilfe flehend. Vergeblich.







    Leuchtend rote Rubine blickten ihn besorgt an, eindringlich, so unglaublich leidend. Farbintensiv, doch matt und trübe. Gespannt, doch unsicher, ob sie weitere Details ertrügen. Zudem wohnte ihnen eine Eigenschaft inne, die Benjamin nicht zu entschlüsseln vermochte. Stück für Stück rutschte er von Shohei weg, bis bloß Shoheis Fingerspitzen ihn noch berührten. „Ich will dich nicht verletzen, Shohei…“, und endlich erwiderte Benjamin den lange einseitigen Blickkontakt. „Nicht dich… das verziehe ich mir nicht… schon das mit deinen Händen…“ Es war zwar ein Unfall gewesen, dennoch schrieb Benjamin sich die Schuld an den jüngsten Ereignissen zu, das Verbrennen von Shoheis Handflächen. Ohne Vorwarnung hatte er seine Finger in Benjamins verschränkt, um ein offenes Feuer in seinem Apartment zu vereiteln, ohne seine eigene Gesundheit zu berücksichtigen. Benjamin hätte es merken müssen…
    „Ich glaube nicht, dass du das würdest“, entgegnete Shohei daraufhin, folgte Benjamin und rückte wieder etwas zu ihm. Langsam griff er nach der Creme Tube auf dem Couchtisch rechts neben sich, tröpfelte ein wenig auf zwei Fingerkuppen und widmete sich so anschließend einer der Narben auf Benjamins bloßer Brust. Dieser zuckte zusammen, als Shohei vorsichtig Balsam auf seiner Haut verstrich. „Und sich selbst zu malträtieren, nur in der Befürchtung, jemandem zu schaden… Weißt du denn nicht, dass das den Personen, die dich mögen, auch in der Seele weh tut? Sehen zu müssen, wie du dich komplett zugrunde richtest?“
    Fasziniert beobachtete Benjamin Shoheis Aktion, spürte die Wärme seiner Hände auf seinem eigenen zitternden Leib, bebend vor fast ausgebrochener Panik beim Gedanken an seine damalige, ungewollte Grausamkeit. Bestimmt verdankte Shohei Geneviève die Zartheit seiner Finger, sie hatte ihn garantiert dazu erzogen. Die Behutsamkeit seiner Gesten, zum Üben hatte sie ihn wohl gern zu sich eingeladen. Ein müdes Lächeln stahl sich dabei auf Benjamins Lippen. So starke Gefühle für jemanden zu hegen, musste sehr schön sein, sofern sie auf Gegenseitigkeit beruhten. Und er, Benjamin, war, in vollendete Dreistigkeit gehüllt, einfach erschienen und hatte sich zwischen sie gedrängt…
    „Niemand mochte mich bislang“, lachte Benjamin auf, ließ seinen gesamten Oberkörper etwas nach vorne sacken. Angenehm kühl war die Salbe. „Man erhält keine Zuneigung, wenn man depressiv ist, geschweige denn wird man bei solchen Narben angesprochen.“ Und je mehr er von sich preisgab, desto stärker ergriff dieses Gefühl der Verlorenheit wieder von ihm Besitz, sog ihn in einen Strudel der Isolation und inneren Leere, bescherte ihm das, was er all die Jahre so gefürchtet hatte. Nichts zu fühlen. Nichts zu empfinden, weil man ihm nie mit derlei begegnet war. Er hatte nicht richtig gelernt, sich anderen offen mitzuteilen, bedingungsloses Vertrauen zu jemandem zu fassen, gar Zuneigung für eine Person zu entwickeln, die nicht von gleichzeitigem Misstrauen dominiert wurde, dazu hatte er zu zahlreiche Enttäuschungen erlitten, zu viele Illusionen gelebt. „Nein, man ist zur Einsamkeit verurteilt, Tag ein, Tag aus, auf ewig. Und soll ich dir etwas verraten? Ich habe mich daran gewöhnt, Shohei. Es kümmert mich nicht mehr und -“
    „Du bist ein miserabler Lügner“, grinste Shohei, unterbrach somit Benjamins Ansprache, sowie seine Verarztung, lagerte seinen Ellbogen auf seinem rechten, über das andere Bein geschlagenen Knie und bettete seinen Kopf auf seinen Handrücken. Schiefen Hauptes musterte er schier amüsiert seinen Mitbewohner, einige seiner schwarzen Strähnen streiften sacht seine Wange. „Deine Eltern haben früher gearbeitet, oder?“
    Erstaunt schaute Benjamin Shohei an, antwortete eine Weile nicht. Es war ihm schleierhaft, worauf Shohei abzielte, doch immerhin schaffte die kurzzeitige Konzentration auf eine Frage es, das Chaos in seinem Kopf zu lindern. Schließlich nickte er zögerlich. „Und sie sind jedes Mal wieder Heim gekehrt, auch nachdem sie von deinen Narben wussten?“ Benjamin nickte erneut. Pure Skepsis, gepaart mit Ratlosigkeit spiegelte sich in seinen Augen. „Und das ist für dich Abneigung? Jeden Tag einem gebrochenen Jungen entgegen zu treten, Zeit mit ihm unter einem Dach zu verbringen, egal, wie er aussieht? Egal, was er macht?“
    „Es ist Notwendigkeit“, murmelte Benjamin beschämt und wandte sein Antlitz von Shohei ab, ein leichter Rotschleier zierte seine Wangen. „Ich war ihr Sohn, sie mussten sich mit mir abgeben. Das ist man seinem Kind schuldig.“
    „Du glaubst also, ich lasse dich hier wohnen, weil ich dich bemitleide?“ Ein prüfendes Lächeln legte sich nun auf Shoheis Lippen, wohl wissend, bereits einen Sieg davon tragen zu können. „Benjamin, man gewöhnt sich an jemanden, wenn man längere Zeit mit ihm zusammen lebt. Bist du der Auffassung, du könntest von nun an noch völlig alleine leben? Ohne jemanden zu vermissen?“
    Benjamin realisierte, Shoheis Springer hatte seinen König zu Fall gebracht. Eine solche Cleverness hätte er seinem Vermieter gar nicht zugetraut, er war gewieft und er wusste seine Ziele zu erreichen. Zug um Zug schritt er voran, verfolgte die Entscheidungen seines Gegners, studierte ihr Verhalten, kalkulierte ihre weiteren Beschlüsse… Und dieses Mal erfreute Benjamin die Niederlage.




    ***


    „Shohei, du vermaledeiter Dreckskerl.“ Simon schnaubte, ungehemmt, wohl wissend, dass dadurch eventuell seine heutige Gefährtin neben ihm aufwachen und sich im Traum an ihn klammern könnte. Eine Fatalität ohnegleichen, zumindest nach dem gemeinsamen Vergnügen. Davor oder währenddessen störte es ihn keineswegs, wenn ihre Finger seine Haare zerzausten, sich darin festkrallten, oder ihre Arme um seinen Hals die Distanz zwischen ihnen zunehmend verringerten. Aber unter keinen Umständen durfte sie noch in den Morgenstunden an ihm kleben, es sei denn, er selbst genehmigte und wollte es so. Alles andere gefährdete seine Ideale. „Und ich habe dir vertraut…“
    Des Öfteren, sofern die Zeit es ihm erlaubte, grübelte er über seine Vergangenheit, über das, was bereits längst geschehen und unabänderbar war; über das, was hätte sein sollen, sein können, sein müssen; was er verloren hatte. Die Chance, seine erste Liebe für sich zu gewinnen zum Beispiel. Einen sehr guten Freund ebenfalls, im selben Schritt. Und im nächsten den Glauben an die Sympathie im Menschen. Langfristig funktionierte keine Beziehung, weder auf freundschaftlicher, noch auf partnerschaftlicher Basis, das vermochte er sich nicht vorzustellen, und grob resümiert ließe sich Simons Meinung nach behaupten, dass allein Shohei all das verantworten musste. Seine vielen Liebschaften, Fehltritte, seinen arroganten Charakter und vielleicht die Entdeckung seines Verführungstalents, welches er in vollen Zügen genoss und nach allen Maßstäben auskostete. Solange man ihn nicht stalkte oder langfristig belästigte, scherte er sich nicht um die Empfindungen anderer. Selbst schuld, wenn sie sich seiner ergaben. Es zwang sie schließlich niemand dazu.
    Vorsichtig schlug er die luftige Bettdecke zur Seite und erhob sich aus dem weichen, zugleich widerstandfähigen Federbett, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und begutachtete die Dunkelheit, die ihn in ihr finsteres Kleid hüllte. Lediglich Silhouetten der im Zimmer platzierten Möbelstücke gestatteten ihm Ansätze einer ungefähren Orientierung, ein schmaler Lichtstreif beehrte sie vereinzelt mit seinem Schein. Die bereits früh eingeschalteten Neonleuchten eines so manchen Lokals, der ein oder anderen Spielothek warfen ihre künstlichen Strahlen durch die gläserne Scheibe, drangen mittels der beschränkten Öffnungen, denen, die keine Gardine bedeckte, in den vollgestellten Raum. Unglücklicherweise verschonten sie dabei seine Kleidung, wahrscheinlich quer über den kühlen Boden verteilt. Sie versteckte sich erfolgreich vor ihrem Besitzer, in dieser Ecke, in jenem Winkel, wobei Simon sich allmählich zu fragen begann, wie um alles in der Welt sie dorthin gelangt war.
    Möglichst leise bückte er sich, kniete sich auf allen Vieren neben die Holzkante und ließ seine linke Hand tastend auf dem kühlen Grund umher wandern. In seinem Bemühen, keinen einzigen Laut von sich geben und die Schlafende ja nicht zu wecken, spannte sich sein Leib mehr und mehr an, verkrampfte sich regelrecht und verursachte ihm an diversen Stellen stattlichere oder mindere Schmerzen. Etliche Knötchen stahlen sich in seine Muskeln, schränkten seine Bewegungsfreiheit ein, oder aber es fühlte sich an, als drohten wichtige und kräftige Sehnen, augenblicklich zu reißen. Schlimmer als Muskelkater, allerdings glimpflicher als eine tatsächliche Verletzung.
    Ein solches Gefühl hatte ihn schon lange nicht mehr heimgesucht, das so plötzliche Auftreten dessen wunderte Simon, obwohl er prinzipiell den Auslöser kannte, und das nicht nur flüchtig. In den letzten Tagen hatte man ihm kaum eine ruhige Minute gegönnt, sogar Zuhause war er Opfer einer Standpauke seiner Eltern geworden, hinsichtlich seiner nächtlichen Eskapaden, und das mitten im Schuljahr. Rein rechtlich betrachtet dürften seine werten Eltern ihm gar keine Vorschriften mehr machen, das achtzehnte Lebensjahr hatte er bereits vollendet und somit die Schwelle zum Erwachsenentum hinter sich gebracht. Doch welches Kind erfuhr nicht die ‘Solange-du-deine-Füße-unter-oder-auf-meinen-Tisch-legst-‘-Klausel? Sie verkörperte eine Art Gesetz, das in jedem Haushalt Gültigkeit fand. Ob bei Jugendlichen oder kleineren Kindern, das war einerlei, Hauptsache, man erzielte wiederkehrende Vernunft.
    Zudem erachtete Simon es als eine Vergeudung elterlicher Fürsorge, sich um eine Arbeit zu bewerben, eine eigene Wohnung zu mieten und diese aufräumen zu müssen, erhielte er nicht einmal einen fremdfinanzierten Butler. Wenn er eine unabhängige Existenz zu errichten gedachte, würde man ihm abrupt den Geldhahn abdrehen und er wäre gezwungen, seinen Lebensstil eigens zu verantworten. Ohne Bedienstete, die seine Versicherungsangelegenheiten beaufsichtigten, seine potenziellen Schulden, seine Missetaten, denen zu entfliehen ihm nicht allein gelang. Bequemlichkeit und Luxus forderten halt ihren Preis. Seufzend fügte er sich seinem erwählten Schicksal, erfühlte sein Shirt, zog es an und strich es glatt, sodass es sich seinem trainierten Oberkörper anpasste. Wenig später setzte er sein Krabbeln dort, nach wie vor auf der Suche nach seiner Kleidung – Hose und Jacke fehlten noch.
    Unvermittelt raschelte es links von ihm, fast im gleichen Moment wandte er seinen Kopf ruckartig in Richtung der Geräuschquelle. Ein dumpfer Aufprall erklang, ein geflüsterter Fluch folgte, und zusätzlich zu seinem angespannten Nacken, bei dem er bereits manches zertrennt glaubte, gesellte sich ein regelmäßiges Pochen an seiner linken Schläfe zu seinen bisherigen Schmerzen. Seine Fingernägel vergrub er in den Handflächen, um die Fassung zu wahren, ein Fehlverhalten samt wütendem Aufschrei zu unterdrücken. Er flehte stumm, sie möge sich bitte bloß um Träume hin und her wälzen, woraufhin sich sowohl seine Nerven strafften, als auch seine Muskeln sich weiter verhärteten und ihm Qualen bereiteten. Zweifelsohne, er musste dringend nach Hause, seine letzte Meditation lag zu lange zurück.
    Kriechend bog er aus der Enge zwischen seitlicher Bettkante und Wand – von dieser erkannte er lediglich die gedämpft einfallende Helligkeit des Fensters – in die knappe Gasse von Spiegelschrank und Fußende des Schlafdomizils ein. Sonderlich mehr Platz bot sich ihm dort nicht, handelte es sich ja bei der Wohnung ebenso wenig um eine flächenmäßig üppige, für seine Gestalt reichen tat es jedoch allemal. Unvermittelt erwischten seine, so hörte er häufig, talentierten Finger den Bund seiner Jeans. Simon überlegte kurz, ob die Brünette, welche er diesmal auserkoren hatte, in Hose oder Minirock vor ihm erschienen war, und schlussendlich entschied er sich für letzte Variante. Ein blauer Faltenrock war es gewesen, er hatte ihre grazilen Beine perfekt betont, jedes männliche Wesen würde sich nach ihr umdrehen und ihren schwebenden Gang verfolgen. Und gerade Simon gehörte denjenigen an, die die gleichsam himmlisch prickelnde Erfahrung machen durften, zu erkunden, was sich unterhalb ihrer Kleidung befand. Ein herrliches Privileg, fand er, und genoss, soweit die Möglichkeiten es ihm gestatteten, den wohligen Schauer, der seinen Rücken hinabjagte. Fast schade, dass er ihr eine falsche Telefonnummer notieren und eine falsche Ausrede auftischen würde, eine oder zwei zusätzliche Nächte wären für sie beide ausschließlich ein Gewinn.
    Seine Hose fest umschlossen in der einen Hand, suchte seine andere verzweifelt seine weiße Strickjacke. Ohne sie dürfte er nicht verschwinden. Nicht, weil dann eine neue zu kaufen wäre, sondern weil sie eine Spure seiner vorübergehenden Anwesenheit darstellte, aufgrund der sie Hoffnungen entwickeln könnte, gar versuchen, ihn zu finden. Nein, danke.
    Erneut ertönte ein Rauschen der Bettwäsche, sie schien ziemlich unruhig zu nächtigen, und wieder schnellte Simons Schädel instinktiv in eben jene Richtung, wo seine Gespielin für seine Nacht momentan ruhte. Das Holzgestellt gedachte wohl, ihn für die Strapazen, die es hatte erdulden müssen, zu bestrafen. Oder aber es mochte ihn schlichtweg nicht.
    „Scheiße, verdammte!“, formte er beinahe lautlos mit den Lippen, presste knirschend die Zähne aufeinander, damit ja kein leidendes Stöhnen aus seiner Kehle drang. „Matratzen werden echt überbewertet. Es gibt doch Wände, und niedrige Tische, oder Sofas…“
    Erstaunlich, dass sie noch immer ihren unterbewussten Fantasien hinterher eilte, bei den Erschütterungen an ihrem Bett. Simon allerdings störte dies keineswegs. Er schlich tapfer voran, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit die rettende Tür zum Flur erreichte und sich erhob. Hatte das Techtelmechtel nicht im Gang angefangen? Sprich wäre es nicht möglich, dass er bereits dort seine Jacke verloren hatte?
    Ein letztes Mal besah er sich in Gedanken seine Eroberung. Lange, braune Haare, welche schon ihren niederen Rücken berührten, gleichfarbige, intensiv funkelnde Augen; ein schmales, frommes Antlitz reinster Haut, das nicht im Geringsten an Lust und Leidenschaft erinnerte, verziert mit geschwungenen roten Lippen; eine stattliche Oberweite, die natürlich besondere Liebkosungen verdiente, gar verlangte, erzwang, und im Zuge dessen ihre leicht spitzen Fingernägel in seinem Rücken, wie sie ihn zunehmend anheizten…
    Trotz der Ähnlichkeit war es nicht sie. Gelinde bedauerte er diese Tatsache, jedoch nicht mehr und nicht weniger. Er konnte jedes Mädchen haben, das er begehrte, was kümmerte ihn also noch die Eine, die ihm damals vor langer Zeit den Kopf verdreht hatte? Nichts, redete er sich vehement ein, sie war abgeschlossen, von keiner fortwährenden Relevanz. Sein Leben war perfekt, auch ohne solche Störfaktoren wie Shohei oder wahre Liebe, alles Unfug. Er brauchte sie nicht.
    „Tse, sollen die es doch treiben. Eine allein wird doch langweilig.“ Bedacht öffnete er die Tür einen Spalt, trat hinaus, den Saum seiner Hose noch umklammert, und zog sie behutsam hinter sich zurück in den Rahmen, bis es klickte. Seine freie Hand glitt an der Wand entlang, gedachte, einen Lichtschalter innerhalb des unbekannten Territoriums zu erstasten, und kaum spürte er die raue Tapete, zuckte ein schwacher Blitz aus seinen Fingern, erhellte den Flur für wenige Sekundenbruchteile. Die etwas abgeklungenen Verspannungen in ihm flammten wieder auf, stachen wild und willkürlich in die unterschiedlichsten Abschnitte seiner Gliedmaßen, und ließen ihn schmerzhaft heftig um die Erforderlichkeit einer vollkommenen Eigenkonzentrationsphase Bescheid wissen.

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    [tab=Neues Kapitel]
    Wow, diesmal sind es sogar ein paar Kommentare mehr als beim letzten Mal x3 Freut mich, doch zu sehen, dass einige meine Geschichte verfolgen. Das Schreiben an sich macht zwar ohnehin sehr viel Spaß, aber auch noch Lob und positive Rückmeldungen zu bekommen, das ist quasi das Tüpfelchen auf dem i ^-^


    Ach so, und Fröhliche Weihnachten euch allen :D


    Simon hat nun also das erste Mal die Bühne betreten und nicht gerade für Ruhe gesorgt. Ein weiterer Faktor, über den Benjamin sich so seine Gedanken macht, hat Shohei ihm schließlich immer noch nicht erzählt, um wen es sich bei jenem Blondschopf genau handelt oder was er von Shohei wollte. Noch dazu kommt eine alltägliche, dennoch heikle Situation für Benjamin, dessen Leidenswunsch sich selbst unbewusst in seinen Handlungen äußert, und endlich erfährt auch Shohei vom gesamten Ausmaß der Dinge, die seinen jüngeren Mitbewohner im wahrsten Sinne des Wortes bereits sein Leben lang zeichnen ~



    Warnung: In diesem Kapitel werden sexuelle Andeutungen, sowie eine gewisse Sehnsucht nach Gewalt ihren Platz einnehmen. Natürlich wird es nicht allzu ausschweifend oder detailliert, dennoch will ich euch vorher warnen ~
    [tab=Bastet]

    So, meine liebe Autorin, für die ich betalese. ^^ Eigentlich kennst du ja meine Meinung ja bereits zu genüge, aber du tust mir leid, so kommilos. Naja, hast du gesehen, dass du letztens wenigstens für den Profibereich vorgeschlagen wurdest? Das zählt eigentlich mehr als jedes Lob, finde ich.

    Ja, ich kenne deine Meinung, aber ich freue mich dennoch über deine Stellungnahme :> Leid muss ich dir jedoch wirklich nicht tun, ich schreibe ja sowieso für mein Leben gern, sprich die Freude bei der "Arbeit" habe ich sowieso. Die Kommentare sind lediglich ein kleiner Zusatz :3
    Das mit dem Profi-Bereich klappt ja immer noch nicht so ganz ^^" Und weißt du was? Stört mich nicht. Ich werde meinen Inhalt nicht verändern, nur um dort zu landen, das ist es mir schlichtweg nicht wert. Denn meinen bisherigen Lesern mache ich es allemal recht, wieso also Skeptiker beeindrucken wollen? :>



    So, gehen wir's an! Also die Szene mit Benji und Shohei in der Umkleide ist total süß, auch nur die Tatsache, dass er ihn zum Einkaufen mitnimmt und dann die Bemerkung mit dem Floink. Göttlich. ^^ Naja und es ist schön, dass du dir noch einen dünnen Faden auch im Alltag zum Pokemonbezug wahrst.
    Das Kapitel ist sehr lang und ich möchte nur auf die sehr pregnanten Szenen eingehen und die Beeindruckendste wäre ja da wohl mit Simon gegeben. Erstens ist er so ein Typ, den man gleichzeitig lieben und hassen kann und auf solche Charas "steh ich"! XD und zudem greifst du hier wieder stark auf den Fantasyteil deiner Geschichte zurück. Das begrüße ich sehr, das ist auch nach längeren Alltagsszenen sehr erfrischend.

    Das mit dem Pokemonbezug wird noch zur Genüge vorkommen. Ich will es nicht zu sehr vorziehen, weil es sich mit dem eigentlichen Inhalt bloß beißen und das Kapitel an sich ruinieren würde =/ Aber ich muss den Beiden ja auch kleine Glücksmomente gönnen, ständig deprimiert sein zu müssen, das kann, will und sollte ich Benjamin nicht antun. Wie du schon sagst, es wirkt sonst fade ~
    Oh, ja, Simon ist wirklich ein sehr interessanter Charakter und vielleicht gar nicht so... wie sag ich das... oberflächlich, wie alle meinen ;3 Er ist größenteils wirklich eine Persönlichkeit, die ein echt unmögliches Verhalten an den Tag legt. Nichtsdestotrotz macht ihn das sympathisch... ich selbst habe einen Faible für derartige Figuren und wollte unbedingt selbst eine solche erstellen ^-^ Aber er hat natürlich auch seine Gründe, weshalb er sich so verhält ~




    Ansonsten zu sagen ist: Benji ist depressiv und ich muss loben, dass du mit der Krankheit nicht spielerisch umgehst, wie auch manche Leute im Real. "Ich hab eine Winterdepression" hört man ja immer wieder. Ob Einfühlungsvermögen, Recherche oder Eigenerfahrung... das ist ja egal, das Resultat zählt ja. ^^
    Aber, das hab ich dir ja beim Betalesen angeprangert, an manchen Stellen wirkt er noch etwas naja... "emo", aber zu der vorigen Version kann ich sagen, dass es hier eindeutig besser geworden ist.


    Ach und so vom Fangirl: Vor allem die letzte Szene ist sooo süüüß. x3

    Oh, nein, das habe ich nicht vor, da ich weiß, wie ernst Depressionen sein können *hustEigenerfahrunghust*. Leider kann ich ihm keine wirkliche Therapie dafür anbieten, also muss Shohei als Hobbypsychologe herhalten und sich mit Benjis Problemen auseinander setzen.
    Im folgenden Kapitel habe ich auch noch die eine oder andere Stelle gefunden, die zu sehr auf seine Suizidgedanken andeuten... hab ich gestrichen und hoffentlich angemessen verbessert :3


    Ich weiß x3 Ich selbst habe, glaube ich, fast durchgängig geschmunzelt vor Freude, als ich das geschrieben habe :D




    [tab=Plinfan]
    Wow, ein Schwarzleser, der sich mal meldet ^___^ Und dann noch männlich, was mich eigentlich am meisten verwundert, normalerweise ist Shounen-Ai bei dem Geschlecht nicht so beliebt... aber nun gut, ich will mich nicht beklagen :>


    Ich fand es anfangs etwas verwunderlich das Shohei sich nicht stärker über Benjamins Kräfte gewundert hat, aber da man auch im Kapitel erfuhr weiß er von den Kräften von Simon also ist es verständlich. Alles in allen finde ich das Simon einen gewissen Kontrast zu Benjamin ist. Benjamin verbirgt vor jedem seine Kräfte und er verabscheut sie gewissermasen, während Simon keine großen Probleme mit ihnen zu haben scheint. Wobei Simon seine Kräfte fast etwas zu sorglos einsetzt.

    Wollte schon sagen, er kennt es eben durch Simon, und da Shohei meist ein logisch denkender Mensch ist, konnte er es sich leicht zusammenreimen :3
    Das mit dem Kontrast höre ich zum ersten Mal, hey, etwas Neues :D Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber du hast Recht. Ob das nun unbewusst beabsichtigt war oder nicht... vielleicht, kann ich dir nicht sagen. Ich hatte lediglich die Grundzüge von den Charakteren im Kopf, über eventuelle Kontraste oder Gegensätze habe ich mir keine Gedanken gemacht ^^"
    Simon ist eben ein Jemand, der gern im Moment lebt. Er denkt kaum an Konsequenzen oder was morgen sein könnte, zumindest momentan noch nicht, geschweige denn ist er sich der Gefahr bewusst, die er durch seine Kräfte auf sich nimmt - doch davon liest man später mehr :3


    Am Ende des Kapitels war ich überascht und auch etwas erschrocken das Shohei seine Nahrungsaufnahme zurückschraubt, damit Benjamin genug zum essen hat. Ich muss sagen das ich Benjamins verunsicherung verstehen kann. Er hat selbst einige mentale Probleme und wird jetzt auch mit den Problemen eines anderen Konfrontiert. Wobei ich mir nicht sicher bin ob das nicht sogar zu einer Verbesserung von Benjamins Zustand führt. Das Kapitel ist sehr gut gelungen und ich werde auf alle Fälle das nächste Kapitel lesen.

    Danke vorab für das Lob, darüber freue ich mich immer wieder ^-^
    Eben deshalb wollte Shohei es ja vor ihm verheimlichen. Er wusste, wie sehr Benji unter seinen eigenen Schwierigkeiten leidet und wollte ihm zumindest ein Quäntchen Glück gönnen - vergebens jedoch, leider. Da tut es mir umso mehr Leid, dass ich Benji weiter quälen muss im folgenden Kapitel. Noch stellt sich nämlich nicht unbedingt eine Besserung seines Zustandes ein, aber ich weiß, was du meinst. Irgendwann ist man an einem Punkt, an dem man einsieht, dass es so nicht weitergehen kann. Wann der wohl bei Benji kommt? ~


    [/tabmenu]

    Ja, dann will ich auch noch ma x3
    Bei mir ist es im Grunde recht simpel. Ich habe mich von Schattenseele in Namine umbenannt, weil Namine Ritsu mit Abstand mein absoluter LieblingsUtauloid ist. Eigentlich ist Namine ja ein Junge, aber da er ständig als Mädchen verkleidet ist und der Name an sich auch recht weiblich klingt, dachte ich, ich könnte mich so nennen :D

    LG


    Namine ~

    Hm, wie soll man sowas bloß anfangen... ach ja, vielleicht so


    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Du schwarzes Latias ~


    *Quelle irgendwo hier (von mir eher schlecht als recht bearbeitet)



    Es sind die guten Zeiten, die uns am Ende noch erhalten bleiben und zusammen schweißen

    Für ein Leben lang

    Es sind die guten Tage, und nur die besten der Momente

    Bleiben dir und mir am Ende ~


    ~ Bakkuschan - Alles war aus Gold




    19 stolze Jahre bist Du garantiert nicht mehr Ferien habende, nicht ständig Eis essende und Eistee trinkende Userin nun geworden. Ich erinnere mich noch genau an letztes Jahr, als ich Dir ebenfalls ein Geburtstagstoppic hier eröffnet hab und sich nicht ma alle Leute die Mühe gemacht haben, den Megatext durchzulesen nein, eigentlich erinnere ich mich nich mehr :x Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, was ich sagen soll, es geht mir momentan so viel durch den Kopf... aber fangen wir einfach mal an.
    Innerhalb des letzten Jahres haben wir beide uns ja sogar mehrere Male gesehen. In den Osterferien, dann noch zu Anfang des Sommers, erneut in den Herbstferien... und ich muss sagen, es war Vieles eine Erfahrung für sich. Im Nachhinein denke ich, ich hätte so einiges besser machen können, aber leider folgt die Einsicht ja erst im Nachhinein und wenn man so in der Situation gefangen ist, merkt man oft nicht, was man mit gewissem Verhalten anrichtet. Als ich das erste Mal bei Dir war zum Beispiel, da war ich am vorletzten Tag sowas von schlecht drauf xD Hatte zwar seine Gründe, aber ich hätte am liebsten einfach nur noch geheult ~___~ Du trugst ja nicht einmal Schuld daran, das war ja das Lustige ^^"
    Jedenfalls... keine Ahnung, ich will hier nicht schon wieder so nen ellenlangen Text kredenzen, dazu fehlt mir einfach die Kraft im Moment. Wir haben zusammen schon einiges durchgestanden, es gab ja auch Zeiten, wo wir beide quasi überhaupt nicht miteinander klar kamen oder so unsere Differenzen hatten - wir beide hatten einen Teil daran verschuldet, und jedes Mal, wenn wir uns diesbezüglich ausgesprochen haben, hatte ich das Gefühl, wir seien einen großen Schritt nach vorn getreten, was unser gegenseitiges Verständnis betrifft. Man entdeckt in solchen Augenblicken meist einen völlig neuen Aspekt am jeweils anderen, ohne dass man es irgendwie gewollt oder vorausgesehen hat - es geschieht einfach. Und das ist für mich ein unendlich schönes Gefühl, das mir immer wieder bestätigt, wie tief unsere Freundschaft inzwischen geworden ist. Ich vertraue Dir mittlerweile bei der Mehrheit der Dinge fast blind, und obwohl ich nicht weiß, ob das eventuell ein Fehler ist, tue ich es dennoch. Genauso, wie ich Dir nie lange böse sein kann, denn irgendwann überwiegt schlichtweg das Bedürfnis, wieder mit Dir zu schreiben oder mich Dir generell anzuvertrauen. Du weißt, ich habe erst kürzlich eine Freundin verloren, die mit sehr viel bedeutete, und das hat meine Beziehung zu Menschen sehr geprägt. Ich vertraue nicht mehr jedem, aus Angst, wieder verletzt zu werden. Doch trotz allem, was zwischen uns vorgefallen ist, vertraue ich DIR.
    Weil ich weiß, dass Du mich für keine Entscheidung der Welt verurteilen, gar langfristig hassen würdest.
    Weil ich weiß, dass Du mir immer zuhören würdest.
    Weil ich weiß, dass Du mir ebenso vertraust.


    Weiter möchte ich hier auch gar nicht ausholen, sonst würde ich wieder endlos lange um den eigentlichen Punkt herum schreiben und dabei das Wesentliche aus den Augen verlieren. In dem Sinne wünsche ich Dir einen wunderschönen Geburtstag, auf dass man Dich reich beschenke und dieser Tag in jedem Fall eine Erinnerung wert ist.


    <3


    Namine ~

    Tüdelü ~





    Hach, da beginnt gerade die Klausurenphase und es trudelt eine Erinnerungs-Pn ein, aber man nimmt sich ja trotzdem die Zeit :3


    Euer Lieblingslied? ~
    Hm, da müsste ich wirklich überlegen... ich kenne inzwischen so viele Lieder und auch so viele Stimmen, da kann ich mich kaum entscheiden x3 Daher mache ich einfach ma ne Liste von den Songs von meiner Festplatte, die ich am meisten favorisiere ~


    Let's kiss hiding in a car von Kaito: Dieses Lied ist einfach unsagbar traurig und ich finde es auch um Längen besser als das Original von Mr Children. Als ich es zum ersten Mal hörte, verliebte ich mich sofort in diesen Song, könnte ihn mir stundenlang anhören, ohne dass es langweilig würde. Zudem höre ich es mir jedes Mal an, wenn ich gerade selbst traurig bin. Da ich den Text kenne, weiß ich, wie emotional es in sich aufgebaut ist und spätestens beim ersten "Kuruu" ist es mit meiner Fassung gänzlich vorbei ;___;


    La sastería de Enbizaka von Clara: Ein spanisches Cover von "Tailor Shop von Enbizaka" von Luka. Ich habe diesen spanischen Voca erst vor Kurzem entdeckt, zunächst mochte ich ihre Stimme gar nicht, aber inzwischen habe ich sie (auch, da ich Spanisch als Sprache liebe) vollends in mein Herz geschlossen <3 Im Nachhinein finde ich ihre Version von Luka's "Tailor Shop" sogar um Längen besser, sie bringt da einen ganz anderen, meiner Meinung nach menschlicheren Klang ein :3 Außerdem versteht man den Text auf Spanisch auch besser und muss sich nicht immer an den englischen Subs des Videos davon orientieren x3


    Circ de la mort von Bruno: Auch ein spanischer Voca, dessen Stimme etwas gewöhnungsbedürftig ist. Trotzdem hat dieses Lied allein von der Melodie und von den Tönen her genau das, was ein Song für mich haben sollte :> Es klingt dramatisch, angehaucht traurig und der Titel sagt ja auch einiges aus ~ Im Laufe von Strophen und Refrains merkt man ja ebenfalls, dass eine Steigerung stattfindet, ehe es in der letzten Wiederholung einen Halbtonschritt nach oben geht - ich liebe so eine Climax, das verursacht bei mir immer eine Gänsehaut *____*


    Le rouge est amour von Gakupo: So ein typisches Gakupo-Lied, wie ich finde x> Ähnlich wie bei "Duke Venomania" singt er hier unter anderem darüber, dass er jede Nacht mit einer anderen Frau schläft, trotzdem nicht glücklich ist, sowas in die Richtung, und das finde ich bei Songs immer besonders spannend *o* Auch hat Gakupo bei mir sowieso eher den Status eines Verführers, spätestens seit "Duke Venomania" hatte sich das bei mir eingebrannt, und das ist für mich zusätzlich ein Auswahlkriterium x) Und ich bin nicht der Ansicht, dass Gakupos Stimme ausschließlich in tiefen Lagen gut klingt. Hohe Töne kann er ebenso gut treffen und es verliert nicht an Qualität ^-^


    Warum von Kaito: Auch wieder ein Song, bei dem mich der Text sehr berührt hat ;___; Wie kann man Kaito nur als Monster bezeichnen? D: Der Arme, tut einem da voll leid .___. Da will man ihn doch sofort in den Arm nehmen <3 Nur frage ich mich, wie man da auf deutsche Titel kommt :o Ich meine, englische oder japanische würd ich ja verstehen, aber Deutsch...? Naja, jedenfalls mag ich das Lied sehr <3


    Broken Rain von Kaito: Auch dieses Lied mochte ich zuerst nicht, weil... es war zu ruhig und wenn man morgens die ganzen plärrenden und schreienden Unter- bzw Mittelstufler im Bus hat, versteht man da leider nicht ein Wort >___< Nach und nach hab ich es aber zu schätzen gelernt, als ich den Regen als Lieblingswetter für mich entdeckt hatte und vor bzw nach der Schule ganz allein und ohne eine Menschenseele durch das feuchte Nass geschlendert bin *____* "Broken Rain" passt vom Atmosphärischen genau zu leichtem, angenehmem Nieselregen, es klingt friedlich, ist ein eher langsames Lied, und schöpft genau das Maß an Tönen und Stimmlage aus, was ich an Kaito so liebe <3


    To be honest von Kaito: Im Gegensatz zum zuvor genannten Beispiel eigentlich das komplette Gegenteil, flott, mit Rhythmus, dynamisch, lebhaft *3* Und ich finde, diese "Rap-Einlage" von Kaito am Ende echt.... waaah *___* Das Lied eignet sich richtig gut, wenn man gerade Auto fährt, freie Bahn hat, noch dazu gute Laune :3 Die Übersetzung des Textes habe ich zwar noch nicht nachgeschaut, aber wenn Melodie und der Pepp dahinter ohnehin vorhanden sind, sind mir die Lyrics nicht mehr so wichtig. Kaito ist da in der perfekten Stimmlage, wie ich finde, besser hätte man es nicht treffen können :>



    Amazing Grace von SweetAnn: Vor etwa einem Jahr habe ich es aus Langeweile nebenbei gehört und aus welchen Gründen auch immer hat es mich sofort zum Zeichnen animiert :D Ich weiß nicht einmal, wieso, aber sein schöner, noch dazu hoher Klang erinnerte mich damals an mein Bild von Marilyn Monroe (das ich leider über die Ferien in der Schule gelassen hatte), und da ich daran folglich vorerst nicht weiter arbeiten konnte, habe ich mich in andere Projekte gestürzt und so das Zeichnen für mich entdeckt ^-^ Okay, bei den ganz hohen Tönen klingt SweetAnn etwas... unrein, doch insgesamt kann man wirklich mit dem Ergebnis zufrieden sein, gerade da ihre Stimme perfekt zu solchen Liedern passt :3


    Koi no Fuga und Koi no Vacance von Kaito & Gakupo: Ich war/bin ja eigentlich nicht so tanzbegeistert, aber diese Lieder haben es mir echt angetan x3 Die haben Pfeffer, die haben Power und immer, wenn meine Playlist zu diesen Stücken kommt, würde ich am liebsten aufstehen und mit den passenden Tänzen dazu beginnen :> Diese Songs sind einfach mitreißend, besitzen wundervolle, einschlagende Töne, man kann gut dazu mitsingen, sich bewegen... ähnlich wie "Circ de la mort" Lieder, die einem auf Anhieb gefallen und zumindest für mich eine gute Ohrwurmqualität haben, jedoch die von der angenehmen Sorte x3


    Ansonsten alle Lieder von Vana'N'Ice: Kaito, Gakupo und Len passen schlichtweg perfekt zusammen, sowohl von den Stimmklängen her, als auch allgemein so - unter anderem, weil ich sowieso einen Faible für Shounen-Ai habe und die drei... awwr x3 Da ist, wie ich finde, für jeden Geschmack etwas dabei, mal hoch, mal tiefer, flotter oder eben ruhiger gestaltet. In den Texten findet man ja auch die eine oder andere Andeutung für Pairings zwischen den Dreien, sowas macht es für mich gleich um Längen interessanter ^___^ Melodien und Rhythmen haben es meines Erachtens einfach in sich, die treffen fast jedes Mal genau meinen Geschmack und lassen prinzipiell nichts zu Wünschen übrig :>



    Rin und Len: Besser zusammen oder getrennt? ~
    Also, bislang habe ich ausschließlich Lieder gehört (und im Zuge dessen gemocht), wo lediglich einer von beiden mitgesungen hat, beispielsweise Clara mit Rin oder Luka/Kaito mit Len, von daher würde ich sagen: Besser getrennt.
    Zusammen, das klingt einfach nur klischeehaft und, entschuldigt, kitschig. Klar, wenn sie sich so einander ähneln, muss man sie ja unbedingt zusammen stecken, womöglich noch als einziges mögliches Pairing abstempeln und ihre Stimmen klingen gemeinsam ja sooo obertoll, bla. Jedoch bin ich der Meinung, dass ihre Stimmen sich schlichtweg zu sehr ähneln und gerade deshalb sollte man sie auch bei Songs eher getrennt halten (Lens Stimme gefällt mir speziell von den beiden auch besser, nicht ganz so schrill und nicht bei allen Songs so ungesund hoch...) . Und da ich ohnehin andere Pairings mit Len favorisiere, ist Rin für mich nur ne Nebenangelegenheit x3




    Kapitel 8: Arrogant curiosity



    || Why don’t we end this lie, I can’t pretend

    This time I need a friend to find my broken mind before it falls to pieces ||


    ~ Billy Talent - This suffering



    „Was? Du willst mit mir einkaufen gehen?“ Benjamins entsetzte und ebenso überraschte Stimme verlor sich in den Weiten der schier endlosen Häuserlandschaft Prismania City’s. Er bezweifelte, dass irgendeine Person in näherem Umfeld von seiner Frage Notiz genommen hatte, selbst auf den angrenzenden Balkonen vergäße man den kurzen Schreckensmoment im nächsten Augenblick bereits wieder.
    Die strahlende Sonne erfreute das wolkenlose Azur heute mit ihrer Präsenz. Unermüdlich sandte sie ihre Wärme spendenden Strahlen hinab zu den unzähligen Bewohnern der Erde, welche, ob sie es nun wollten oder nicht, von den unsichtbaren Armen des flammenden Sternes in Besitz genommen wurden. Permanente Hektik erfüllte die Erde in ihrem Bestehen, fortwährender Krach umhüllte ihre rundliche Form und hallte hinaus in alle Himmelsrichtungen. „Ich meine, erst gestern hat man dich halb ohnmächtig geprügelt...“ Benjamin selbst hatte dabei fast Shoheis Apartment in Brand gesteckt. „Und wer sagt, dass die nicht erneut auftauchen?“
    Die enormen Steinbauten, die sich vor Benjamin in all ihrer Pracht erstreckten, variierten in Breite und Höhe, manchmal besaßen sie sogar eine Schicht Glasplatten, in denen man das Spiegelbild des Flammensternes erkennen konnte. Doch fast alle verbargen sie die normalerweise ebene Horizontlinie, an der Leben und Tod in Form definierbarer Begebenheiten, nämlich Himmel und Erde, miteinander verschmolzen.
    „Heute Abend begleitest du mich zur Arbeit und Punkt. Keine Widerrede. Dort ist angemessene Kleidung Einlassregel, ein einfaches Wort meinerseits reicht da nicht. Du musst wie Einer von denen wirken, wie ein hochnäsiger Schnösel, der nicht weiß, was er mit seinem Geld anfangen soll.“ Schimmernd brachen die Sonnenstrahlen in Shoheis Iriden, kreierten dabei mitunter Farbelemente, die nie zuvor in seinen Augen ihren Platz gefunden hatten, zumindest waren sie Benjamin vorher nie begegnet. Hellere, freundlichere Rottöne ersetzten allmählich die Matte der vorletzten Nacht, jauchzten im Besitz des eigenen Bewusstseins, dem es Shohei gelungen war wieder zu erlangen. Benjamin war froh, die Sache einigermaßen gut bewältigt und die Phasen stundenlangen Schweigens reduziert zu haben. Dann strömte in ihm nämlich immer die Annahme, er hätte etwas Schlimmes verbrochen, obwohl dem gar nicht so war.
    Erleichtert beobachtete er eine Weile Shoheis Körperhaltung, die recht entspannte Pose, welche er angenommen hatte, seit er gegen das Stahlgeländer seines Balkons lehnte. Ein nachdenkliches Lächeln zierte die Lippen seines Vermieters, sacht, kaum erkennbar, dennoch vorhanden, was ebenfalls Benjamin einen zufriedeneren Ausdruck in sein Gesicht zauberte. Bislang war es ihm nie gewährt worden, Shohei lächeln zu sehen, und die Tatsache, dass das nach knapp einer Woche endlich geschah, erfreute ihn. „Und meine werten Freunde von letztens… Elaine ist zwar nachtragend, aber nicht dumm. Sie weiß, wann sie verloren hat, vorerst jedenfalls.“
    Fast automatisch senkte Benjamin sein kitzelndes, vom schmeichelnden Winde liebkostes Haupt, schaute geschätzte fünfzehn Meter in die Tiefe, auf die Oberfläche eines breiten, grauen Streifens. Darauf tanzend etliche Menschen, die vom sechsten Stock aus betrachtet – in diesem befand sich ja Shoheis Apartment – eher dünnen Strichen ähnelten und nicht wirklich ihrer wahren Statur. Verschiedenfarbig gekleidet schwebten sie entlang des Parcours, fokussiert auf eine rasche Ankunft am angesteuerten Ziel , ohne von sonstigen Passanten aus der Bahn geworfen oder belästigt zu werden, ohne die Intention, in einer Notlage zu helfen. Es schickte sich nicht, in fremden Angelegenheiten zu schnüffeln, erst recht nicht, steigerte man durch sein Verhalten das Eigenrisiko, zukünftig häufiger in unangenehme Involvierungen zu geraten.
    Das durfte unter keinen Umständen geschehen, nicht für Durchschnitssbürger, dessen war sich Benjamin sicher bewusst und ebenfalls war es fest in den Köpfen der Menschen verankert. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Benjamin berechtigte Gründe kannte, sich unauffällig zu verhalten. Denn wer Aufruhr und öffentliches Ärgernis verursachte, dem rückte die Regierung bald zu Leibe. Sie gestattete keine Aufstände fernab ihres Wissens, das innerhalb ihrer Kreise organisiert zu haben, damit es die Einwohner gelenkt beeinflusste. Völlige Gleichheit unter Individuen, der sich die Menschen bedenkenlos fügten, harrten sie ja in dem Glauben, es brächte nur Vorteile für sie, schweißte sie zu einer starken, vereinten Nation zusammen, Ungerechtigkeit existierte nicht länger und die Arenaleiter agierten zum Wohle der Allgemeinheit. Ungefähr so gestaltete sich die Medienpropaganda in TV und Radio. Und wer dem Widerstand leistete, sich weigerte, den Profit der Politiker zu vermehren, den entfernten sie kurzerhand. Komplett und unwiderruflich.
    Benjamin hatte oft beobachtet, dass in schwarz gehüllte Beamte Leuten einen Besuch abstatteten und ihnen Vermisstentum vorgaukelten, dass sie nach dem vermeintlich lediglich Verschwundenen fahndeten, aber noch nicht fündig geworden wären.
    Allerdings vernichteten sie, während sie den Verzweifelten vollkommene Lügen auftischten, wohl sämtliche Akten und Lebensbeweise des Opfers ihrer diktatorischen Versessenheit, so vermutete Benjamin. Niemand vermochte weiterhin die Geburt des vermeintlich Geflohenen zu belegen, jegliche Indizien, welche auf ein früheres Dasein seiner- oder ihrerseits verwiesen, wurden beiseite geräumt, bis sogar die Angehörigen ihr Erinnerungsvermögen verwarfen und den Anzugträgern blind vertrauten. Wenn er Shohei davon berichtete, ebenso von seiner eigenen außergewöhnlichen Kraft… würde er Benjamin verraten? Würde er ihm das überhaupt abkaufen und ihn nicht für verrückt erklären?
    „Wieso muss ich denn mit dir kommen?“, warf Benjamin leicht verstimmt ein. „Normalerweise lässt du mich immer allein, wenn du arbeiten musst…“ Nicht unbedingt die angenehmere Alternative, doch so sank das Risiko, dass Shohei von Benjamins Eigenverletzungen erfuhr und tiefer in dessen Angelegenheiten gezogen wurde, er Shohei zusätzliche Sorgen bereitete. Benjamin wandte sein Augenmerk nicht auf seinen Gesprächspartner, vielmehr bevorzugte es Benjamin, in die Häuserschlucht gezogen zu werden, die Arme flach auf dem Stahlgestell vor ihm platziert. Fünfzehn Meter… eine beachtliche Höhe, das musste er zugeben, und stürzte man sich von hier aus haltlos hinab…
    Instinktiv verlagerte Benjamin sein Gewicht auf seine Zehenspitzen, sein schwarzes Shirt verrutschte ein wenig, als er sich weiter vorbeugte, aber ehe seine Position ihm erlaubte, dem Tode direkt in seine Fratze zu schauen, legte sich eine besitzergreifende Hand auf seine Schulter und drückte ihn zurück auf die Fersen seiner Füße.
    „Zunächst einmal reicht mein Vorrat an Kleidung nicht ewig für uns beide, und das zur gleichen Zeit. Und außerdem“, dabei drehte Shohei sein inzwischen von Ernst geprägtes Antlitz Benjamin zu und widmete ihm intensiven Blickkontakt. „Kann ich nicht auf dich aufpassen, wenn ich mich außer Haus aufhalte. Wozu das führt…“ Kurz schenkte er dem Abgrund neben sich seine Aufmerksamkeit. „Siehst du ja.“ In seiner Geste erlaubte er Benjamin, eine ganze Weile die Tore seiner Seele bis in ihr Innerstes zu erforschen und vielleicht zusätzliche Charaktereigenschaften an Shohei zu entdecken, welche ihm bisher verwehrt worden waren. Neugierig huschten Benjamins Pupillen umher, bemüht, die wortkargen Kundgebungen in den Gräben des Rubinrots zu erhaschen und von all den Sorgen und Ängsten zu filtern, in die Shohei seine Persönlichkeit wob. Benjamin verlor sich beinahe in den unendlichen Tiefen Shoheis Seelenspiegel, so sehr fesselten sie ihn, sich daran stören, das tat er jedoch keineswegs. Es vermittelte ihm ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit, so von jemandem eingenommen zu werden, obgleich vermutlich eher unbewusst und unbeabsichtigt. „Am Ende heißt es noch, ich habe dich gestoßen oder sonst was hier mit dir angestellt. Immerhin weiß ja nicht mal mein Vermieter, dass ich dich hier habe, sonst würde er noch mehr Miete von mir verlangen.“
    Natürlich flammte in Shohei nach wie vor der Hass, seiner Beziehung ein voreiliges, schmerzhaftes Ende beschert zu haben, jedoch glaubte Benjamin, mittlerweile einen Hauch von Vergebung bei Shohei zu spüren. Er reagierte nicht mehr so harsch und abweisend, sofern Benjamin ihn aus Nichtwissen etwas fragte oder eine Bemerkung voller Willkür entgegnete, um die meist erbarmungslose Stille zu brechen
    Endlich schien er Benjamin verziehen zu haben, oder zumindest in Ansätzen. Seit der Nacht, in der er auf Shoheis Rückkehr gewartet hatte, trotz der strengen Anweisung, es nicht zu tun, fühlte sich der Umgang miteinander weitaus rücksichtsvoller an, bedachter darauf, den anderen mit seinen Worten nicht zu kränken, ungezwungener und vor allem… vertrauter als vorher. „Und nebenbei bemerkt…“ Shohei begab sich langsam auf den Weg zurück in die heimischen vier Wände, wobei die Spitzen seiner pechschwarzen Strähnen sein nunmehr leuchtendes, leicht gebräuntes Antlitz umgarnten. Sie erhoben sich sanft im Wiegen der milden Sommerbrise. „Besitze ich nicht ausreichend Geld für einen Grabstein.“
    Mit diesen Worten ließ der Benjamin einsam auf dem beinahe leeren Balkon zurück. Lediglich zwei Klappliegestühle samt einem kleinen Holztisch leisteten ihm in seinem Denken Gesellschaft, nicht einmal Blumen hingen in den dafür vorgesehenen Plastikbehältern. Wahrscheinlich symbolisierten sie für Shohei keinerlei Wichtigkeit, oder er versäumte es schlichtweg, sie regelmäßig mit Wasser zu versorgen, so schloss Benjamin.
    „Einen… Grabstein?“, murmelte er ungläubig vor sich hin und spähte seinem verschwundenen Gegenüber nach. Gleichzeitig allerdings breitete sich in seinem dagegen wehrlosen Leib eine Art Wärme aus, die unter keinen Umständen von der Sonne herrührte, dessen war er sich vollends lieber. Ein Grabstein… ein schwächeres Denkmal, das ehemaliges Existieren bezeugte; ein Ort der Trauer und der Besinnung auf einstige Zeiten. Shohei wollte ihn… vor Vergessenheit bewahren? Wollte sich an ihn erinnern?
    Von Fassungslosigkeit überwältigt war Benjamin nicht in der Lage, seine gelähmten Gliedmaßen zu ihrem Dienste zu verleiten. Ein stetig an Intensität gewinnendes Kribbeln kroch unter seiner Haut entlang, versetzte seine unzähligen Poren in wohlige Ekstase, sodass die feinen Härchen an seinen Armen sich aufrichteten und vervielfachte das Schlagen seines Herzens in ihm. Er kannte diese unbenennbare Emotion zu wenig, als dass er eindeutige Wertungen hätte treffen können; als dass er exakt hätte definieren können, was da von seinem Körper, ja sogar von seiner Seele Besitz ergriff.



    ***



    Oft hatte seine Mutter ihn mit zum Einkaufen geschleppt. Und ebenso oft hatte Shohei stur dagegen protestiert, mit seiner weiblichen Erzeugerin eben jenen Läden einen Besuch abzustatten, in denen höchstwahrscheinlich ein Großteil der anderen Jungen seines Jahrganges lauerten, mit dem Finger auf ihn zu zeigen und ihren eigenen Begleitern Spott zuzuflüstern, da es ihnen vergönnt war, zu Seiten ihres jeweiligen Vaters derartigen Tätigkeiten zu frönen. Shohei hatte nie herausgefunden, ob seine Mutter seinem Vater zu sehr misstraute, als dass sie die beiden Männer – oder zumindest einen Mann samt Jüngling im Schlepptau – allein und ohne ihre Wacht auf Kleidersuche schickte. Vielleicht besaß sein Vater keinen guten, ordentlichen Geschmack oder er dachte eher praktisch als trendorientiert, oder aber er legte zu wenig Wert auf den manchmal wirklich unanständig teuren Preis der Ware. Mit dem Verstand eines Mannes dachte es sich bekanntlich anders als mit dem des weiblichen Geschlechts und deshalb konnte der junge Erwachsene sich gut vorstellen, dass das seine Mutter nach wie vor abschreckte, sie diese Bürde deshalb lieber selbst trug, anstatt hart verdientes Geld doppelt an das Einkaufszentrum zu verlieren.
    Im Nachhinein betrachtete Shohei seinen früheren Widerwillen als Zeichen der Zuneigung, hatte das alles doch die Zeit umfasst, in der er sich sicher und geborgen bei seiner Mutter gefühlt hatte. Im Laufe der Jahre war das Vertrauen in, sowie der Rückhalt bei ihr stetig gesunken, bis man sich nur noch anschrie und sich möglichst aus dem Weg ging, um Eskalationen zu vermeiden. Längst kommunizierte er mit ihr nicht mehr auf derselben Wellenlänge, fühlte sich unterschätzt, vor den Kopf gestoßen, lediglich als ein Objekt. Sie verletzte ihn, also sann er darauf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, was eine erwachsene Frau sich natürlich nicht von einem Halbwüchsigen bieten ließ. Wie früher stieß der künstliche, farblastige Geruch neuer Anziehsachen in sein Denken, erinnerte ihn an niemals wiederkehrende Zeiten, welche seiner Meinung nach nicht so hätten enden dürfen. Nicht so abrupt.
    „Und? Gefällt dir mein Geschmack?“, erkundigte Shohei sich bemüht dezent, damit er Benjamin nicht in Verlegenheit brachte, also das, was Eltern normalerweise in der Regel beim Betreten eines Ladens taten. Lässig lehnte der Ältere gegen die akkurat weiß gestrichene Wand neben den Umkleiden, in der direkt neben ihm befand sich Benjamin, der seit geschätzt einer halben Stunde Hosen und Shirts auf Shoheis Anweisung hin anprobierte, welche einigermaßen seinem Stil entsprachen. Shohei störte die immense Zeitspanne keineswegs, in der Hinsicht hatte Geneviève mit ihren zahlreichen Shopping-Trips ausreichend vorgesorgt. Geduldig harrte er an der äußeren Seite des Vorhangs, wartete, dass sein Mitbewohner ihm eine weitere, persönliche Kollektion präsentierte.
    „Ja, bequem ist es auch… doch mit dem Shirt zusammen…“, drangen die Zweifel Benjamins aus der Kabine. Hinter der weinroten Gardine raschelte es leise. „Soll ich…“
    „Zier dich nicht so wie ein sechsjähriges Mädchen. Ich werde bei deinem Anblick kaum tot umfallen.“ Shohei hatte es sich angewöhnt, Benjamin bei fast jeder Gelegenheit zu necken. Es schuf nicht bloß eine lockere Atmosphäre, sondern förderte außerdem das gegenseitige Verständnis. Man lernte, die Reaktionen des Gesprächspartners besser zu deuten und daraus Rückschlüsse auf Verhalten, sowie das momentane Befinden zu ziehen, erfuhr Stück für Stück, wie und woraus der andere gestrickt war, was er an Kommentaren zu ertragen vermochte und wo man in etwa das absolute Limit erreichte. Unwillkürlich fragte sich Shohei, ob genau das zwischen ihm und Geneviève gefehlt hatte, ob solche Sticheleien ihrer Beziehung mehr Würze verliehen und sie weiterhin gehalten hätte. Doch ehe er erneut in Liebeskummer verfallen konnte, trat Benjamin nörgelnd aus dem Schutze des Stoffes, hinaus in das Sichtfeld seines mittlerweile dauerhaften Vermieters, und musste sich prompt einem unterdrückten Lachen zur Wehr setzen. Etwas, das bei Shohei eigentlich zu den Kelleraktivtäten gehörte.
    „Das war dann wohl keine so gute Wahl“, gluckste Shohei amüsiert. „Auf allen Vieren und mit Ohren auf dem Kopf würdest du als Floink durchgehen.“ Er wandte sich bereits von Benjamin ab, hin zu einer langen Reihe von an Bügeln hängenden Jacken, um seinen Schützling nicht ganz so schamlos auszulachen. Zudem presste er den Handrücken auf seine Lippen, die Geräusche, die sich aus seiner Kehle verabschiedeten, sollten keine allzu große Lautstärke in sich tragen. Vorwurfsvoll schaute Benjamin ihn an.
    „Haha, sehr lustig. Wer hat mir denn bitte das Shirt ausgesucht?“ Eine schwarze Cargo-Hose zierte die volle Länger seiner Beine, etwa beim Knieabsatz hatte man kleine Taschen für beispielsweise ein Handy oder kurzerhand benötigtes Kleingeld angenäht, falls die vorderen Tasche auf Höhe der Taolle nicht genügten. Sonderlich mehr verbarg die Hose allein nicht, so geschnitten, am Hüftknochen zu sitzen und bevorzugt ebenfalls während der Benutzung dort zu verweilen. An seinem Oberkörper leuchtete ein T-Shirt der Farbe Orange, frei von jeglicher Beschriftung und jeglichen Aufdrucken. Zusammen allerdings resultierten die Kleidungsstücke in einem Kontrast, der sich fernab des üblichen Beißens oder Stechens definierte, so viel Widerwille wohnte den Farbkomponenten bei zu harmonieren. Lieber gedachten sie, sich schnellstmöglich voneinander zu entfernen. „Könntest du mir jetzt bitte ein Neues holen?“
    Keine zehn Sekunden später umschlossen Shoheis Finger bereits den orangelichen Stoff. Benjamin hatte sich das Shirt ohne Umschweife ausgezogen, war erneut in seinem Umkleidereich verschwunden und wartete auf ein augenfreundlicheres Oberteil. Shohei fädelte sich derweil entlang der langen Kleiderständerreihen des im Gegensatz zum Rest der Mall verhältnismäßig winzigen Geschäfts.
    Rechts und links an den mit schwarzen Platten beschichteten Wänden des knappen Raumes prangte je ein mehrlagiges Holzregal mit diversen Einzelparteien. Darin befanden sich unterschiedliche Artikel, einige Kästen bargen Kappis oder auch edlere Hüte, in anderen warben Strickjacken und Sweatshirts um die Gunst der potenziellen Käufer, und in wieder anderen lagen gefaltete Jeans nebst bunten Stoffhosen jener Sorte, wie sie die Jugendlichen zur Zeit häufig ihren Mitmenschen vorführten. Naja, diejenigen, die keinen einzigen Modetrend verpassten und fast alles mitmachten, der Coolness innerhalb ihrer Clique zuliebe. Shohei hatte sich dem nie angeschlossen, ehrte und respektierte er immerhin als Einer von Wenigen der heutigen Generation die Individualität einer Kreatur. Beinahe ein Wunder, dass er eine schwarze Stoffhose in dem Gewusel aus Beliebtheit und frühreifem Prestige entdeckt hatte.
    Im hintersten Abschnitt, des mit Stoff vollgestopften Zimmers, reihten sich vier identische Umkleidekabinen aneinander, allesamt mittels künstlicher, grauer Wände voneinander abgegrenzt, ein weinroter Vorhang versiegelte sie endgültig vor den Augen fremder Leute, zwischen denen weite Spiegel das grelle, heiße Licht reflektierten. Ansonsten verfügte man hier nicht über viel Freiraum, so auch Shohei nicht, bewegte man sich ausschließlich in den Engen der Bügelhalterungen. An ihnen trotzten immense Mengen an Shirts und Jacken der Schwerkraft, baumelten an dürren Eisen- oder Plastikgerüsten, um besser verschoben und , sofern sie gefielen, einfacher zur Umkleide transportiert werden zu können. Neben dem Eingang war eine Art Theke platziert worden, sie diente als Verkaufstresen samt elektronischem Kassensystem und weiteren Angeboten darauf. Dazu gehörten eine Schale mit etlichen Armbändern, eine Stehvorrichtung mit Geldbörsen und Portemonnaies, sowie eine Auslage variierender Halsketten.
    Rechts davon bot ein Schaufenster einen offenen Ausblick auf die für Passanten erwerbbaren Marken des Ladens, Schaufensterpuppen posierten in den ausgefallensten Stellungen für die Öffentlichkeit, fungierten als neutrale Modelle, die weder Gage, noch Versicherungen verlangten. Shohei belächelte sie im permanenten Dröhnen des Basses, während er versuchte, inmitten des Kleiderchaos eine zu Benjamin passende Farbe zu finden. Forschend glitten seine Finger über die angehefteten Etiketten, ohne dass seine Augen Preise oder Größenangaben wirklich registrierten. Sie huschten lediglich auf den Aufklebern umher, wollten den Eindruck der Arbeit vermitteln, obwohl seine Gedanken in völlig anderen Gefilden spukten. Zwar hatte er es vor Benjamin zu verbergen versucht, doch der schien trotzdem zu ahnen, dass und wie sehr Shohei die Angelegenheit mit Geneviève und dementsprechend mit den Dealern belastete. Dabei hatte er so enormen Aufwand betrieben, seine Drogenprobleme vor ihm zu verstecken, ihn nicht in diese Gefahr zu involvieren, ein Vorbild zu verkörpern, einen Mentor, dem man Vertrauen schenkte und sich an ihm orientierte. Das exakte Gegenteil war eingetreten. Man hatte ihn in einem Zustand der vollendeten Verstörtheit erwischt, gefüllt mit Handlungen, an die er sich nicht im Entferntesten erinnerte; begleitet von Worten, deren Sinn sich nicht mehr für ihn erschloss, und der Junge, den Shohei als Erwachsener im Grunde zu schützen verpflichtet war, bewahrte ihn vor dem endgültigen Tode.
    Abwesend hielt er inne und richtete seine Aufmerksamkeit auf seine verarzteten Hände. Seit dem Gerangel vor ein paar Tagen zierten weiße Verbände seine Handflächen und –rücken, hatte er ja geradezu heldenhaft einen Brand in seinem Apartment vermieden, indem seine Finger mutig den Flammen Benjamins begegnet waren. Ein Reflex hatte seine Gliedmaßen gelenkt, nichtsdestotrotz war ihm jene Geste nicht geheuer. Nein, eher symbolisierte der Urheber der züngelnden Hitze das Mysterium. Pure Wärme hatte seine Hände versengt, obwohl er darunter, auf Benjamins Haut, einzig und allein Kälte gespürt hatte, eine Temperatur tiefster Gleichgültigkeit. Wieso solch ein starker Kontrast? Und das Phänomen, sich einer Naturgewalt zu bemächtigen… er kannte es, zweifellos.
    Ein eisiger Schauer kroch lähmend seinen Rücken hinab, sobald die Erkenntnis des Offensichtlichen folgte und eine furchtbare Ahnung in seiner Vernunft ihre Wurzeln schlug, sein rationales Denken anzapfte. Augenblicklich wandelte sich seine bisherige Freude zu Sorge und Unbehagen, einem Frohsinn verschlingendem Wesen, welches schmerzhaft dominant Shoheis Vorhaben vereitelte, diese Möglichkeit zu verdrängen. Gleich zwei im Laufe so weniger Jahre, das war zu verrückt und verdammt abwegig.
    Sein schlagendes Herz nahm eine ungewöhnlich starke Schwere an und schien Blei in seinen Adern zu verteilen, als er seine Eingebungen fortsetzte. In seiner Verfassung stellte das eine plausible Erklärung für Benjamins Misere dar, deutete Shoheis Verstand an. Sein Mitbewohner wusste nicht mit seiner Macht zu händeln, aber… hätte er es ihm nicht anvertraut….?
    „Shohei, wo bleibst du denn?“, riss eine allmählich genervte Stimme Shohei aus seinen leicht verzweifelnden Lösungsansätzen für all die Fragen, die sich plötzlich bezüglich seines Mitbewohners in seinen Kopf stahlen. Sein Magen verkrampfte sich leicht, als ihm bewusst wurde, dass er die Sache nicht weiterhin unangesprochen lassen durfte. Nicht, wenn er Benjamin ohne Ausnahme vor sonstigen Bedrohungen bewahren wollte – und das tat er. Immerhin begleiteten einen gewollten Suizid eine sehr arge Vergangenheit, der man zu entkommen gedachte, und eine noch beängstigenderer erscheinende Zukunft, welche man unter keinen Umständen tolerierte. Da verziehe Shohei es sich im Leben nicht, sollte seinem Schützling nach all den Strapazen auf dem Weg der vermeintlichen Besserung etwas zustoßen oder er ihn möglicherweise bei einem wiederholten Selbstmordansatz verlieren sollte. Shohei erachtete ein Gespräch hinsichtlich Benjamins Verhalten als dringend erforderlich, nur befürchtete er ihn unglücklicherweise als den am meisten dabei Leidenden und das erschwerte es für ihn erheblich. Bedauern und die Fürsorge in ihm wehrten sich, letztlich aber siegte die Notwendigkeit, ein Hauch von Neugier schwang mit.
    „Benjamin, kann ich dich mal etwas fragen?“, zwang Shohei sich nach einer Weile des beidseitigen Schweigens zu sagen, ein anderes Shirt hatte er noch immer nicht ausgesucht. Insgeheim flehte er, der Gemeinte verschloss sich vor einer Antwort, schlichtweg um dem Unangenehmen vorzubeugen. Das Pech begünstigte ihn.
    „Ob du das kannst, weiß ich nicht“, entgegnete Benjamin spöttisch. „Dürfen tust du.“ Je länger sie so redeten, desto mehr wünschte Shohei, er hätte sich einen anderen Moment ausgesucht. Um ehrlich zu sein genoss er es nach allen Maßstäben, so vorwurfsfreie Konversationen zu führen, ohne Spannungen, ohne Konflikte, und jetzt begann er wieder mit einem Vorfall, von dem ihm bekannt war, dass es Benjamin einige Überwindung kostete, sich daran zu erinnern. Allgemein beschlich Shohei mittlerweile Sicherheit bezüglich Benjamins Abneigung, ihm seine Vergangenheit mitzuteilen, und er fand dies recht schade. Gut, er selbst hatte den Teenager zunächst verleugnet, was ihm nach wie vor ein schlechtes Gewissen bereitete, doch nachdem sein Mitbewohner so stark in Shoheis prinzipiell private Welt geschlittert war, noch dazu unfreiwillig, dürfte man da theoretisch nicht auf Gegenseitigkeit plädieren?
    „Ich möchte bloß von dir wissen…“ Eine kurze Atempause, dann fasste Shohei sich ein Herz, schritt zu Benjamins Kabine zurück und lehnte sich erneut gegen die dort befindliche Wand. „Dein stechendes Herz…. Das Feuer in deinen Händen… Du hast solche Qualen erlitten und bist trotzdem am Rande der Ohnmacht auf meine Angreifer losgegangen. Warum? Warum hast du deinen Körper zu Bewegungen, gar zum Kampf gezwungen? Für jemanden, der an den Konsequenzen selbst Schuld ist?“ Shohei senkte nach und nach seine Stimme, sodass Benjamin ihn just verstand, andere Anwesende jedoch nur wirres Gemurmel im Echo der lauten Musik.
    Beinahe zwei Minuten verharrten die Beiden schweigend, getrennt durch einen simplen Vorhang, in denen jede Sekunde Shohei seine Kehle zuschnürte, ihm die Atemluft raubte und drohte, ihm im nächsten Schritt ebenso die Sprache zu stehlen. Zweifel scholten seine Naivität, Benjamins Glückseligkeit bliebe erhalten, oder es gelänge ihm, sofort auf eine so emotionale Frage zu reagieren, und pure Enttäuschung bereitete sich ähnlich einem Schwall an dunkelster Schwärze in ihm aus. Es stimmte Shohei traurig, vielleicht für unbestimmte Zeit ein Lächeln zerstört zu haben, dem Seltenheit und Einzigartigkeit innewohnten, wo er sich doch lächerlicherweise geschworen hatte, dieses erst zu Tage zu fördern.
    Der Dolch des Schuldbewusstseins langte nach dem Blut seines Herzens, je länger Worte fehlten, bis er beschloss, sein Vorhaben abzubrechen. Er hielt den Gedanken nicht aus, seinen Gegenüber aufs Schmerzlichste verunsichert, gar erschreckt zu haben. „Du musst nicht unbedingt –“
    „Weil du es bist“, antwortete Benjamin schließlich und Shohei meinte, ein höhnendes Lachen zu hören. Er stutzte. „Hast du nicht damals dasselbe getan? Du hättest mich dort verbluten lassen, deine Geliebte besuchen können. Stattdessen hast du dein persönliches Befinden in den Hintergrund geschoben und mich gerettet. Einen Fremden, dem nichts an seiner Existenz etwas bedeutete. Shohei, das war selbstverständlich.“
    Diesmal war es Shohei, der sich nicht auszudrücken wusste. Also bestand doch eine Art Wechselseitigkeit zwischen ihnen, eine ihm bisher ungeahnte, und die Bürde auf seiner Seele verschwand, teils zumindest. Nie hätte er eine solche Aussage erwartet, erst recht nicht von Benjamin, der personifizierten Schüchternheit, der Todessehnsucht in Gestalt. Doch noch inbrünstiger empfand er die Sorge, das Bedingungslose, das darin lag. Außer Geneviève hatte sich keiner darum geschert, was mit ihm geschah, gehörte er immerhin den Erwachsenen an und musste seine Probleme selbst regeln. Benjamin hingegen war trotz eigener Angeschlagenheit für ihn zum Angriff bereit gewesen; trotz des abweisenden Verhaltens von Shohei an den Tagen zuvor; trotz all der psychischen und physischen Pein. Und Shohei fing an zu begreifen, was er mit Benjamins Rettung bei diesem ausgelöst hatte. „Wir sind quitt. Jedenfalls in der Hinsicht.“
    „So musst du nicht denken“, erinnerte er den Teenager mahnend. „Ich wollte dich nicht durch Schuld an mich binden, keineswegs. Aber…“ Shohei stockte und überlegte, ob er zusätzlich die Flammen aufgreifen sollte, entschied sich allerdings dagegen. „Sagen wir, ich sehe es als Pflicht, Schwächeren zu helfen.“
    „Du… hältst mich für schwach?“, tönte es nun entmutigt aus der Umkleide. Shohei hätte sich am liebsten für seine gottverdammte Blödheit getreten. Rasch erwog er Alternativen, das Gespräch wieder in richtige Bahnen zu lenken und sein Puls beschleunigte sich auf der Suche nach passenden Worten. Und im Nachhinein wunderte er sich über seine eigene Einfühlsamkeit, hatte er sie in letzter Zeit weitaus zu selten gebraucht.
    „Schwach ist nicht gleich hilflos“, begründete er seine Rechtfertigung. „Es bedeutet auch Sensibilität, Vorsicht, Beobachtung, und vor allem neigen ‘Schwächere‘ dazu, in Extremsituationen über sich hinaus zu wachsen. Sie hüten ein verborgenes Lächeln unter ihrer alles abwehrenden Maske.“
    Eine Weile erklang keine einzige Silbe zwischen ihnen. Ausschließlich der hämmernde Beat steuerte seinen Teil zur Geräuschkulisse bei, und Shohei bemerkte kleinere Jungen im Laden, wie sie begeistert mit ihren Vätern an den Regalen standen und unterschiedliche Kleidung inspizierten. Und obwohl Shohei vermutete, dass sein Mitbewohner ebenfalls im Elternhause mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt haben musste, wusste er doch prinzipiell nichts über seine Zeit in Isshu, seiner Heimatregion. Hatte Benjamin je diese Erfahrung gemacht? War er ein einziges Mal mit seinem Vater einkaufen gewesen?
    „Lässt sich solch eine Maske brechen?“ Shohei ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, verinnerlichte und begutachtete die von allen Seiten. Ein angedeutetes Lächeln zierte seine Lippen, als Benjamin in seinen – oder vielmehr Shoheis – alten Anziehsachen den Vorhang beiseite zog und aus der Kabine trat. Fragend und gleichsam etwas deprimiert schaute er den Älteren an, ohne dass dieser den Blickkontakt erwiderte.
    „Das liegt allein in deiner Hand.“



    ***


    Nun begriff Benjamin, weshalb Shohei so vehement auf einem kleinen Einkaufstrip beharrt hatte.
    Sie betraten einen großen, dunklen Raum, in dem lediglich verschieden farbene Scheinwerfer, die hektisch hin und her schwenkten, ein begrenztes Maß an Helligkeit spendeten. Scheinbar unkontrolliert schleuderten sie die kleinen Lichtpartikel von sich, hinein in die Weite des verwinkelten, teils unüberschaubaren Areals. Dunkle Platten, aus welchem Material, das wusste Benjamin nicht, ummantelten die Wände der edlen Diskothek. Obere Flure, wie es in anderen Partyörtlichkeiten normalerweise der Fall war, existierten nicht, alles befand sich prinzipiell auf einer Ebene, was Benjamin ohnehin schon als weitaus zu übertrieben erachtete. Die Tanzfläche schien laut seiner Einschätzung nahezu überall zu sein, hatte man lediglich am Rande Sitzmöglichkeiten, sowie einige Tische platziert. Gräulich schimmerten die gepolsterten Bänke im wechselnden Licht, futuristisch und blockartig gestaltet, auf denen man sich zum Trinken oder Ausruhen niederlassen konnte, und er entdeckte, dass jene Areale nicht mit Fliesen, sondern mit hellem Parkett ausgelegt waren, die sich einige Zentimeter vom restlichen Boden erhoben. Etwas abseits von alledem die Bar, Shoheis Arbeitsplatz, eingearbeitet in einen Teil der Wand, an den er sich ebenso unvermittelt begab, während Benjamin weiterhin die Räumlichkeit mit sowohl Faszination, als auch anfänglichem Unbehagen bestaunte. Er fühlte sich fehl am Platze.
    Allmählich trudelten mehr und mehr feierlustige Gäste ein, natürlich allesamt entsprechend chic gekleidet, um in den nächsten Stunden ihr wirkliches, eintöniges Leben zu vergessen und in eine Welt des Alkohols und anderweitigen Amüsements einzutauchen. Für Benjamin war dergleichen nie das Wahre gewesen, er hasste Menschenmassen, allein aufgrund der Gewissheit, für sie alle eine ernsthafte Bedrohung darzustellen, zumal er ohnehin Abgeschiedenheit bevorzugte, Einsamkeit, denn dann gehörte er sich allein. Niemand schaute ihn argwöhnisch an, keiner verdeutlichte seine Erwartungen, gar Forderungen an ihn, niemand außer der Finsternis versorgte seine Wunden, bekam sie sonst zu Gesicht. In solch einer Horde von denkenden Wesen hingegen beobachtete man ihn fortlaufend, verhöhnte jede noch so schwache Geste, studierte genauestens sein Verhalten, als stünde er unter ärztlicher Quarantäne. Und er fürchtete Ärzte sogar noch mehr als seine eigene Persönlichkeit.
    „Wie hast du diesen Job bekommen?“, fragte Benjamin schließlich, aufgrund der im Hintergrund spielenden Musik etwas lauter, setzte sich auf einen der gepolsterten Barhocker. Im Grunde handelte es sich dabei lediglich um einen gefütterten, glatten Stoffüberzug am Stiel. Mit den Armen stützte er sich an der oben hölzernen Theke ab. Schon jetzt verursachten ihm die Bässe Kopfschmerzen, und er wünschte sich zu einem gemütlichen Abend zurück in Shoheis Apartment.
    „Der Vater meines besten Freundes kannte da einige Leute“, erklärte Shohei mit kräftiger Stimme, und Benjamin nickte. Interessiert betrachtete er all die bunten Spirituosen hinter Shohei im Regal, identifizierte verschiedenste Sorten allein an Wodka, etliche Cocktailzusätze in den beeindruckendsten Farben, welche er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, unterschiedlichste Alkoholika in den ausgefallensten Flaschen, natürlich extra mit normalen Glühbirnen in Szene gesetzt. Es reizte Benjamin in der Tat, einige davon zu probieren, doch da er das einundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, und Shohei gewissermaßen für ihn die Verantwortung trug… Er seufzte. So viel, dass er von all dem hier nichts mehr mitbekam, könnte er gar nicht trinken.
    „Wie lange musst du denn hier arbeiten, Shohei?“ Missmutig schaute Benjamin zu, wie Shohei sich eine schwarze Fliege zu seinem blütenweißen Hemd umband, seiner ‘Uniform‘ den letzten Schliff verlieh. Außer seinem Hemd komplett von schwarz begleitet, sogar seine Haare beinhalteten diese Komponente, weshalb speziell Shoheis rote Augen heraus stachen. Leider wirkten sie Benjamins Einschätzung nach heute ein wenig matt. Er bevorzugte Glanz darin.
    „Bis zwei Uhr geht meine Schicht“, erwiderte Shohei routiniert. Er begann, den Tresen neben Benjamin mit einem feuchten Lappen zu wischen. „Du wirst es überleben. Warum mischt du dich nicht unter die Gäste? Tanz, amüsier dich. Du bist zwar kein Schnösel, aber das weiß ja keiner.“ Shohei zwinkerte ihm aufmunternd zu, jetzt war es dem Jüngeren noch peinlicher, sich irgendwie von der Stelle zu rühren; jetzt, da er wusste, dass auch Shohei seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, sobald jemand ihn ansprach oder er etwas dem Tanzen Ähnliches vollführte. Benjamin kannte davon nichts, wie sollte er von einer Sekunde auf die nächste eine Konversation mit Fremden anfangen, geschweige denn Rhythmik beweisen? Warum ließ Shohei ihn so hilflos in der Schwebe kreisen? Der hatte ihn immerhin quasi dazu genötigt, ihn zu seiner Arbeit zu begleiten, obwohl Benjamin das prinzipiell zuwider gewesen war, also sollte er ihn gefälligst beschäftigen.
    Benjamin hörte das Kichern zweier Mädchen neben sich, denen Shohei gerade Cocktails servierte, und staunte nicht schlecht, als er Shohei lächeln sah. In seiner Gegenwart tat Shohei das kaum, fast nie. Sofort spürte Benjamin das Erwachen einer Kreatur in seinem Inneren, deren Einfluss er keinesfalls erliegen wollte, es jedoch nicht vermochte, sich zu wehren. Ihre kräftigen Pranken zerrissen die Flanken seiner Vernunft, weideten sie aus und begaben sich selbst an die Stelle von dieser, auf dass Benjamins Gedanken fortan von ihren dämonischen Ausgeburten geleitet würden. Verschärft ergriff die Bestie von ihm Besitz, drängte ihn in die Dunkelheit der Erkenntnis, es nicht zu schaffen, ihr zu entfliehen. Das gesamte Konstrukt seiner Erlebnisse mit Shohei zerbarst in seinem Kopf, er hatte tatsächlich geglaubt, Shohei wäre ihm mittlerweile wohl gesonnen – eine lächerliche Illusion. Wie war er darauf bloß gekommen? Er hatte Shoheis Geliebte einzig mit seinem Erscheinen, seiner Präsenz verjagt, und verlangte prompt Vergebung. Naiver konnte man wirklich nicht sein. Deshalb würde Shohei auch niemals für ihn so glücklich lächeln, nur, weil er mit ihm redete. Shohei würde ihm nur vorgaukeln, zufrieden zu sein, nicht mehr wütend auf ihn wegen Geneviève, es ihm verziehen zu haben, von Wahrheit oder Ehrlichkeit keine Spur. Jedoch verdiente er es nicht anders, so schloss Benjamin. Das Einzige, was er verdiente, waren Vergeltung und Zurückweisung. Alles andere wäre zu gütig. Unangebracht. Inakzeptabel für ihn.
    Ernüchtert wandte er seinem Vermieter den Rücken zu, bettete seinen schweren Kopf auf seine auf der Theke verschränkten Arme, fixierte die Unendlichkeit des schwarz lackierten Holzes. Immer tiefer sank seine Seele in das bittere Gift, das sich Selbstverachtung nannte; zunehmend schmerzhafter gestaltete sich die Bürde seines Daseins, raubte ihm den Atem und ebenso den Sprössling der Hoffnung, den Shohei ihm eingepflanzt hatte. Er verwelkte kümmerlich, einfach so, und hinterließ nichts als gähnende Leere in ihm, das Gefühl, welches er so unglaublich fürchtete. Oder eben das Fehlen jener Emotionen. Er war Shohei sowieso nur eine Last, lebte auf seine Kosten, darum musste Shohei neuerdings so häufig arbeiten und weilte selten in Ruhe Zuhause.
    Wieder einmal bemächtigte sich das Stechen seiner Brust, hätte Benjamin mit seiner Intensität unter normalen Umständen in die Knie gezwungen, allerdings begrüßte er dieses Phänomen nun recht herzlich. Man sühnte seine Existenz bereits automatisch, sehr schön. Er müsste sich keine dreiste Ausrede suchen, dermaßen lang an einen abgelegenen Ort verschwunden zu sein. Er könnte sich allein durch seine Gedanken strafen, ohne dass es jemand merkte. Und er vermied ein schlechtes Gewissen, Shohei angelogen zu haben.




    ***



    Besorgt linste Shohei ein weites Mal zu Benjamin.
    In den letzten Stunden hatte dieser sich nicht von seinem Sitzplatz bewegt, träumte vor sich hin und nippte ab und zu an dem Glas Cola, das Shohei ihm spendiert hatte, um ihn wach zu halten. Trotz der wechselnden, trickreichen Beleuchtung sah er das Funkeln in Benjamins braunen Seelenspiegeln, ahnte, welch immense Vorwürfe er sich wieder einredete, wahrscheinlich wegen Geneviève. Er kannte Benjamins verzweifeltes Lächeln inzwischen zu gut, als dass es ihm nicht gelänge, seine Gedanken zu deuten, und am liebsten würde er ihn jetzt davon ablenken, aber immer, wenn er sich seinem Mitbewohner nähern wollte, verlangten Partygäste ihre Drinks, oder er musste aus Mangel an Equipment gebrauchte Gläser spülen, so wie momentan.
    Die dunkle Halle füllte sich allmählich, überall saßen und standen Feiernde in den Ecken und an den Lehnstangen, hüpften und tanzten zu den Bässen und künstlichen Melodien. Shohei selbst schlösse sich dem niemals an. Welch Ironie, er hasste Parties und arbeitete in einer Diskothek. Aber eben nur um des Geldes Willen. Gefallen tat es ihm hier nicht unbedingt, mit all den sich aneinander reibenden Körpern und den seiner Meinung nach zu knapp bekleideten Mädchen – nicht mehr schön, sondern schlampig -, doch er brauchte den Lohn. Und er war dankbar, dass Allen ihm damals den Job besorgt hatte. Ab und zu vermisste er seinen besten Freund, bedauerte zutiefst, dass sich ihre Wege getrennt hatten und der Kontakt abgebrochen war. Schade. Nach dem Vorfall mit Geneviève hätte ein gewisser Halt ihm sicherlich geholfen, es besser zu verarbeiten und vielleicht hätte Allen gewusst, wie er mit Benjamin verweilen sollte.
    Geübt wanden seine Hände sich in dem warmen Spülwasser, wuschen unter Einsatz eines Schwammes die benutzten Gläser und stellten sie anschließend auf das daneben befindliche Abtropfgitter. Schwaches Neonlicht sorgte dafür, dass er seine Pflicht als Barkeeper nicht vollends blind verrichtete und so erhielt Shohei ein gewisses Maß an Spielraum. Rechts neben dem Spülbecken zog sich die Arbeitsfläche entlang, zusammen mit der im Gegensatz dazu erhöhten Theke. Shohei standen auf seiner Seite diverse Utensilien zur Verfügung, zum Beispiel eine Schüssel mit kleinen Schirmchen, mit silbrigen Fäden oder farbenfrohen Federn verzierte Strohhalme und natürlich verschiedene Gläser, in ihrer Anzahl begrenzt, ebenso wie die Zahl der Gäste, denen man Zutritt gewährte. Und laut Shoheis Einschätzung erreichte man bald die Höchstgrenze.
    Erneut riskierte Shohei einen Blick zu seinem Schützling, seine braunen Strähnen fielen seitlich in sein Antlitz und verdeckten seine Mimik. Es bedrückte Shohei, Benjamin so leiden zu sehen, so voller Kummer aufgrund einer Angelegenheit, an der er sich fälschlicherweise die Schuld zuschrieb. Er selbst hatte Geneviève vernachlässigt, eigentlich war es wohl schon nach ihrer letzten Verabredung vorbei gewesen, realisierte Shohei im Nachhinein, und er wusste nicht, was mehr schmerzte. Der Verlust Genevièves oder Benjamins eigenes Todesurteil.
    Instinktiv dachte Shohei an ihre strahlenden Augen, das Blau intensiver als der tiefste Ozean, er würde so gern noch einmal seinen Verstand für sie einbüßen; nach wie vor vernahm er die Weichheit ihrer Lippen auf seinen, das Streichen ihrer zarten Finger durch seine Haare… sie war so freiheitsliebend, verabscheute gesellschaftliche Erwartungen, außer den schönen ihres Freundes; Geneviève handelte nicht gleich einem schüchternen Püppchen, sie hegte starke Selbstsicherheit in sich, Mut, Treue ihren Freunden gegenüber, machte sich für ihre und deren Interessen stark. Sie war keine vor Liebe blinde Klette gewesen, hatte Shohei ab und zu auch so richtig die Meinung gegeigt, sich statt ihm mit ihren Freundinnen getroffen und ihn dafür mit ihrem herrlichen Lachen entschädigt. Shohei schätzte ihren eigenständigen Charakter, ihre freche Persönlichkeit, am meisten jedoch vermisste er ihre fröhlich optimistische Ausstrahlung. Sobald sie in sein Augenmerk trat, spürte er diese Sorglosigkeit in sich, die sie verbreitete, die Gewissheit, nichts fürchten zu müssen, solange sie bei ihm weilte. Umso qualvoller die Wunde in seinem Herzen, welche nicht zu verheilen gedachte, auch nicht durch anderweitige Tätigkeiten. Der Dolch saß fest, das Salz an ihm brannte, als hätte man ihm lange Zeit seine Droge verwehrt. Er wollte Geneviève, er brauchte sie, er hielt diese verfluchte Abwesenheit von ihr nicht aus, die Stille in seinem Kopf ohne ihre liebliche Stimme… das vermochte selbst Benjamin nicht zu ersetzen, so leid Shohei das tat. Erst hatte er gedacht, ein wenig Gesellschaft lenkte ihn zu positiveren Gedanken, allerdings…
    Shohei seufzte unter dem enormen Druck, den Geneviève auf seine Brust ausübte, es schmerzte sogar zu atmen. Er war ein schlechter Freund. Benjamin litt deswegen noch mehr als er, und Shohei hatte ihn wie Abschaum behandelt, wie Dreck, war ihm kein Stück auf seinem zerbröckelten Pfad entgegen gekommen. Er schämte sich fast. Schleppte ihn noch mit zur Arbeit und ließ ihn einfach im Labyrinth seiner Einsamkeit, seiner Schuld umher irren, ohne den geringsten Lichtblick… Wenn Benjamin ihm wenigstens von seinen Sorgen berichten würde, könnte Shohei ihm ja vielleicht beistehen. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie sich jemand vor ihn an den Tresen setzte.
    „Was darf’s –“, begann Shohei seine übliche Frage, doch als er den Gast genauer musterte, sackte sogar sein Gram in die untersten Gefilde seiner Seele und hinterließ ausschließlich Gleichgültigkeit an der angekratzten Oberfläche. Der Blondschopf hatte ihm gerade gefehlt. Er spürte grasgrüne Spiegel auf sich ruhen. „Was willst du hier, Simon?“ Shoheis Misstrauen war nicht zu überhören, trotz der mäßig lauten Musik im Hintergrund. Simon hatte ihn in einer verletzten Verfassung erwischt, Shohei musste höllisch aufpassen, seine Melancholie nicht zu verraten. Prüfend wanderte sein Augenmerk zu Benjamin, er saß nun aufrecht und beobachtete ihn interessiert. Super. Benjamin würde diesbezüglich garantiert nachhaken. All die Mühe, ihn von Simon fernzuhalten – vergebens.
    „Nicht so unfreundlich, mein Lieber“, ermahnte Simon ihn künstlich empört. „Schließlich bist du hier Barkeeper und darfst mich nicht vergraulen.“ Herausfordernd lehnte er sich mit den Armen gestützt weiter auf die Theke, beugte seinen in ein schwarzes Hemd gekleideten Oberkörper vor. Er lächelte amüsiert. Shohei missfiel sein Ton deutlich, er führte etwas im Schilde, zweifellos.
    „Natürlich nicht, entschuldige“, höhnte Shohei, widmete sich fortlaufend seinem Spüldienst. „Dieser Laden geht Bankrott, wenn wir einen Gast und sein heiliges Geld verlieren. Gott, was soll ich jetzt tun?“ Demonstrativ erschrocken blickte er Simon an, ohne Umschweife in seine flammend grünen Augen, sie blitzten verzückt. Shohei kannte den Grund dafür und er kannte Simon. Er liebte Spielchen.
    „Hör mal, Shohei, ich will nur reden. Lässt du mich?“ Erwartungsvoll bettete er seinen Kopf auf seinen Handrücken, den Ellbogen auf die schwarze Holzfläche. Seine Stimme troff vor heuchlerischer Unschuld, und Shohei schnaubte verächtlich.
    „Das tun wir bereits, Simon.“ Inzwischen hatte er den Abwasch beendet, fuhr sorgfältig mit dem Abtrocknen fort.
    „Was schon ein kleines Wunder ist. Aber, was mich interessiert…“ Simon richtete bedacht seinen Fokus auf Benjamin. „Wen hast du dir da angelacht? Ein Verwandter, von dem ich nichts weiß?“
    „Das geht dich rein gar nichts an.“ Allmählich verflüchtigte sich seine Beherrschung, und beinahe hätte Shohei ein Glas zu Boden geschmettert. Er vermaledeite solche Gespräche mit Simon, jedes Mal gelang es ihm früher oder später, Shohei zu provozieren, und das allein mittels seiner Anwesenheit. Und nun zog er Benjamin in ihre Fehde hinein, dieser Bastard, ohne ersichtliches Motiv. Oder vielleicht… Shohei schwante Schlimmes. Er dürfte nicht zulassen, dass die beiden sich anfreundeten oder er wäre bald wieder ganz allein. Bei dieser Erkenntnis begann das Herz in seiner Brust zu hämmern, schmerzhaft stark. „Na los, verschwinde.“ Doch Simon dachte nicht im Entferntesten daran. Grinsend erhob er den Zeigefinger seiner freien Hand, deutete auf eine der Glühbirnen, die das Alkoholikaregal hinter Shohei erhellten. Kurz zuckte ein greller Blitz vor Simons Fingerkuppe, und im nächsten Moment erlosch die Lampe.
    „Ups“, entschuldigte sich Simon fröhlich. Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, Shohei zu ärgern, und das auf einem glatt sadistischen Niveau. Der wiederum verspürte vielmehr das Bedürfnis, seinem Rivalen an die Gurgel zu springen.
    „Bist du verrückt?“, fauchte Shohei ihn an. Ein rascher Seitenblick zu Benjamins verwunderter Mimik offenbarte ihm, dass er es mitbekommen hatte. „Wenn dich die Leute –“
    „Er hat es gesehen, das reicht mir.“ Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine blassrosafarbenen Lippen. „Also, wer ist er und wie hast du ihn –“
    „Er ist niemand“, entgegnete Shohei stumpf, überrascht, so erbarmungslosen Zoen auf sich selbst bei diesen Worten zu empfinden. Er leugnete Benjamin. Sogar Shohei leugnete den Jungen, der jegliche Daseinsberechtigung seinerseits verweigerte. Er wollte Benjamin schützen, trotzdem tat es ihm unendlich leid. „Niemand, den es sich zu kennen lohnt.“ Feuer entbrannte in Shoheis Kehle, er zwang sich konsequent, dies zu ignorieren, denn es wäre besser für Benjamin.
    „Okay, Shohei, jetzt mal Klartext.“ Simon umfasste mit beiden Händen die Kanten des Tresens, begradigte seine Haltung zu einer gesünderen Variante. Eine der Gnade ferne Kälte erwachte in seinen Iriden. Shohei hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen, nämlich als er Simon seine Beziehung zu Geneviève gebeichtet hatte. Die wechselnden Farben der fliegenden Scheinwerfer änderten leider nichts daran. Shoheis Magen verkrampfte sich und ein fetter Kloß bildete sich in seiner Kehle. „Ich weiß, wie du tickst. Ich sehe es dir an, du spürst seine Aura, ich ebenso. Außerdem weißt du von meinen Kräften, Shohei, es ist dasselbe. Lass mich mit ihm sprechen, er scheint ziemlich… fertig zu sein.“
    „Damit du ihm weitere Zweifel eintrichterst?“ Entschlossen sah Shohei Simon an, missachtete die Furcht, die Simons Blick in ihm verursachte. Er musste aufpassen, dass er Simon nicht seine komplette Wut ins Gesicht schleuderte, vor all den Leuten, vor Benjamin. Dabei zerstörte Simon just seine Träumerei von der näheren Zukunft. Shohei erinnerte sich an den Vorfall mit den Dealern vor einigen Tagen, die Flammen in Benjamins Händen. Dennoch, er durfte nicht zulassen, dass Simon sich da einmischte. „Vergiss es. Du bist nicht gut für ihn. Was hast du im Leben denn erreicht?“
    „Mehr als du.“ Eine Miene der Langeweile zeichnete sich auf Simons Antlitz ab. Eine Weile herrschte erbittertes Schweigen zwischen ihnen, in dem Shohei überlegte, wie er das Gespräch Benjamin nahe bringen sollte. Dieser hatte die Konversation fast von Anfang an mit neugierigen Augen verfolgt, Shohei fühlte förmlich, wie seine braunen Iriden ihn vor Wissensdurst zerpflückten, in seinen Gedanken herum stocherten, und es erzeugte enormes Unbehagen in Shohei. Simon würde Benjamin mit seinen wilden Einfällen und seiner nicht vorhandenen Moral garantiert auf seine Seite ziehen, ihm Benjamin mit einem Schlag entreißen – das durfte nicht geschehen. Niemals. Er ertrüge das Alleinsein nicht.
    Schließlich fand Simon ein neues Thema, und zwar eines, das mindestens ebenso schlimm war wie das vorige. Lächelnd erhob er das Wort. „Sag mal, wie geht es eigentlich Geneviève?“ Shoheis zweiter Schwachpunkt, ausgerechnet. Beste Freunde verkörperten eben doch die ärgsten Feinde. Sie wussten ob der kritischen Themen des jeweils anderen zur Genüge Bescheid, und Simon scheute nicht, dies auszukosten.
    „Was soll mit ihr sein?“, entgegnete Shohei, hoffend, dass Simon nicht weiter nachhakte. Fehlanzeige. Wie hatte er an diesem Abend auch nur ein Fünkchen Glück erwarten können?
    „Ich hatte nur gefragt, wie es ihr geht“, wiederholte Simon. „Sie ist deine Freundin, da wirst du mir das ja wohl beantworten – “ Mehrere Sekunden, in denen Shohei in seiner Ratlosigkeit schlichtweg schwieg, musterte Simon ihn eindringlich, bis die Einsicht folgte. „Oder… sie hat mit dir Schluss gemacht!“ Freudig klatschte er in die Hände. Shohei wandte beschämt sein Gesicht von ihm ab, wohl wissend, dass es Simon einen Höhenflug bescherte. Nur was hätte er bitte sagen sollen? Unfassbar, sich diese Blöße geben zu müssen, gerade vor Simon. Das ließe er Shohei nicht mehr vergessen, den im Nachhinein geltenden Triumph seiner Wenigkeit. Er spürte Simons vor Arroganz überquellenden Iriden auf sich und wäre am liebsten unverzüglich im Boden versunken. „Ich habe es gewusst, irgendwann wird es jedem mit dir langweilig.“ Hochnäsig baute sich Simon, noch immer sitzend, vor Shohei auf. „Scheinbar hat sie endlich eingesehen, dass du ihr keinerlei Abwechslung bietest. Das hätte sie bei mir sofort haben können.“
    „Pah, bei deinem Maß an ‘Abwechslung‘ wäre Geneviève bald mit jedem Mädchen der Stadt befreundet.“ Wenigstens hatte Shohei ihm einen kleinen Konter verpasst, das genehmigte ihm wieder etwas mehr der stickigen Luft zum Atmen.
    „Dagegen hätte ich nichts einzuwenden“, erwiderte Simon beiläufig, zickte mit den Schultern, und erhob sich. „Solange ich mitmischen darf, ist mir das einerlei. Allein macht es keinen Spaß, dürftest du ja wissen.“ Schelmisch grinste er Shohei an, strich sich unterdessen eine seiner blonden Strähnen aus dem Gesicht. „Oder hältst du den Kleinen nur als dreckigen Sklaven bei dir?“
    „Lass die Finger von ihm“, warnte Shohei ihn ein letztes Mal ausdrücklich. „Wehe, du kommst ihm zu nahe. Dann vergesse ich mich.“
    „Wir werden sehen, mein Lieber.“ Anschließend tauchte Simon zu Shoheis Erleichterung wieder in die tanzende Menge ein, ohne erneut die Bar zu besuchen. Erschöpft stützte sich Shohei mit ausgestreckten Armen am Rand der Spüle ab, sein Kopf hing schlaff am oberen Ende seiner Wirbelsäule, einiger seiner schwarzen Haare klebten an seiner verschwitzten Stirn. Wieder zerbarst nach und nach all das, was er sich mit Mühe versuchte aufzubauen.



    ***


    Schweigend schlenderten Benjamin und Shohei nebeneinander durch die dunklen Gassen Prismanias, auf dem Heimweg zu Shoheis Apartment. Zwei Uhr nachts, niemand außer den beiden noch unterwegs, lediglich aus einigen Diskotheken – auch der, in der Shohei arbeitete – drang der abgeschwächte Klang von bassbeladener Musik. Nun, Benjamin zweifelte stark an dieser Definition, für ihn glichen die Partyrhythmen eher einem Mord an jeglichen Melodien, welche Sprechgesang und künstliche Töne ersetzen sollten. Er seufzte. Wenn er sich schon darüber den Kopf zerbrach, wie er Shohei seinen Musikgeschmack am besten erklärte, hegte er entweder unsagbare Müdigkeit in sich oder er versuchte, eine weitaus schlimmere Angelegenheit, die eigentlich besprochen werden musste und ihn beschäftigte, zu verdrängen. Schön, dass beide Fälle zutrafen.
    Sie bogen auf die breite Einkaufsstraße der Metropole ein, und vor ihnen erwies sich so viel Platz wie sonst nie auf dem unregelmäßigen Kopfsteinpflaster. Kein einziger, vor einem Laden befindlicher Kleiderständer engte die Gehbahn ein, kein Essenswagen bereitete sich auf einen Ansturm von Schülern vor, nirgends die Stühle und Tische eines Cafés und vor allem – die Menschheit schien ausgestorben. Lediglich hier und da brannte stumpfes Nachtlicht, die neue Modekollektion des Geschäftes für Spätwandler oder Einbrecher zu beleuchten, in den Wohnen oberhalb allerdings herrschte in sämtlichen Fenstern tiefste Dunkelheit. Shohei gefiel das bestimmt, schloss Benjamin intuitiv, schmunzelte, da sein Vermieter sich ständig über den unnötigen Stromverbrauch der Leute aufregte und das Wohl der Pokemon beklagte. Manchmal klang er etwas eingefahren, ähnelte einem zwangsweise pensionierten Ranger, aber er behielt Recht mit seinen Beschwerden, alles geschah auf Kosten der Pokemon. Trotzdem amüsierte ihn Shoheis Verhalten.
    Wieder ertappte Benjamin sich selbst dabei, das ausschlaggebende Problem, welches fieberhaft an ihm nagte, beiseite zu schieben und sich Shoheis positiven Eigenschaften zu widmen, obwohl der ihm momentan Kummer bereitete. Wieso offenbarte Shohei ihm nichts hinsichtlich des blonden Jungen, mit dem er in der Bar gestritten hatte, verriet ihm den Grund, weshalb er kontinuierlich beobachtet worden war? Shohei war anscheinend nicht einmal im Entferntesten verstimmt, dass Benjamin seinen Rat ignoriert und sich nicht unter die Gäste gemischt hatte, nein, er strafte den Jüngeren mit wesentlich härteren Methoden: Schweigen. Keine Gefühlsreaktion, keine Mimik, ebenso wenig erklang der Ton seiner Stimme. Gar nichts. Klar, sicherlich spielte die Müdigkeit da auch eine Rolle, doch Benjamin kannte ihn normalerweise immer konzentriert, sofern möglich, und mit den Gedanken bei der Sache. Die aktuelle Lage beunruhigte ihn.
    „Shohei…“, setzte Benjamin schüchtern an. „Gefällt dir deine Arbeit?“ Er wollte ein Gespräch beginnen, um ihn Erfahrung zu bringen, ob Shohei überhaupt noch mit ihm redete oder er eventuell etwas getan hatte, das Shohei missfiel, demütigte oder anderes in der Richtung. Seit einigen Wochen wohnte er nun mit ihm zusammen, und nach wie vor schlug Benjamin sein Herz bis zum Hals, wie am ersten Tag ihrer Begegnung. Voller Nervosität zupfte er am Saum seines blutroten Hemdes.
    „Es bringt Geld“, antwortete Shohei knapp. Benjamin bemerkte jetzt ebenfalls die kühle Brise, in der Shoheis Strähnen sich federleicht wogen und betrachtete das Schauspiel eine Weile, während er auf die Worte seines Gesprächspartners wartete. Starren Blickes marschierte dieser weiterhin stur geradeaus, verzog keine Miene. Er wusste nicht, wieso, jedoch erzeugte Shoheis Gleichgültigkeit ein hohes Maß an Unbehagen in Benjamin. Jene Facette hatte man ihm zum Glück lange Zeit verwehrt und von einer Sekunde auf die andere sollte sich das geändert haben? „Ich kann die ganzen Schnösel nicht ausstehen, arrogant, selbstgefällig… und die halbnackten Mädchen, die sich wie Huren an die Kerle ranschmeißen, um ihre Drinks nicht zahlen oder Zuhause übernachten zu müssen…“
    „Trotzdem lächelst du sie herzlichst an“, entgegnete Benjamin resigniert, realisierte erst im Nachhinein, was ihm just herausgerutscht war, und er hätte sich am liebsten hundertmal eigens geohrfeigt, oder wenigstens seine Brust gebrandmarkt. Doch gerade bei Nacht bliebe das unglücklicherweise nicht unbemerkt, zumal Shohei direkt neben ihm schritt. Benjamin seufzte. Er hasste solch peinliche Konversationen, die auf seinen Empfindungen und Eindrücken beruhten, und ihn nicht unbedingt zu ungezwungenem Reden ermutigten, da ein Teppich aus Enttäuschung, gepaart mit seichter Wut auf seinem Gemüt lagerte. Obwohl Shohei diese Mädchen offenbar nicht näher kannte, behandelte er sie, als wären sie seine besten Freundinnen, als freute er sich unsagbar, sie zu sehen. Und demjenigen, der seinen Haushalt erledigte und trotz enormem Todessehnen voll von Schuldgefühlen an seiner Seite weilte, gönnte er jenes Privileg kaum.
    Beschämt wandte Benjamin seinen Kopf zur Seite und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er wollte Shoheis spöttischen, vermutlich tadelnden Blick nicht erwidern. Das fahle, eintönig graue Pflaster sagte ihm da mehr zu.
    „Das gehört zum Job. Ein miesepetriger, beschossen gelaunter Barkeeper verkauft keine Getränke…“ Shohei sprach tonlos, erschöpft, und Benjamin wusste sofort, dass das nicht von der Müdigkeit herrührte. Auch spürte er Shoheis Iriden nicht auf sich ruhen. Intuitiv erinnerte er sich an die Matte daran, den fehlenden Glanz, der das eigentlich leuchtende Rot so gedämpft und kränklich wirken ließ, der Sorgenfleck auf seinem Herzen wuchs. Zur Vorsicht richtete Benjamin seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn, um Shohei aus den Augenwinkeln bewachen zu können. Je näher sie Shoheis Apartment kamen, desto schweigsamer und sonderbarer wurde dieser. „Man… setzt eine gute Miene auf und bringt es hinter sich…“ Mehrmals, schon zu häufig fuhr Shohei sich mit gespreizten Fingern durch sein pechschwarzes Haar, Benjamin entdeckte im Schaufenster, das sie just passierten, wie die Gesichtszüge des Älteren sich gar leidend verzerrten, er wiederholt heftig blinzelte, er hektisch die Fliege an seinem Hals lockerte. Und dann… geriet Shohei ins Wanken, strauchelte einige Schritte nach vorn und kippte letztlich komplett zur Seite. Benjamin hätte es fast nicht geschafft, ihn rechtzeitig abzufangen, war das alles doch so urplötzlich und ohne kenntnisreiche Vorwarnung geschehen.
    „Shohei, was…“, keuchte Benjamin unter dem zusätzlichen Gewicht, das er sich aufbürdete. Shoheis Beine zitterten kläglich, seine Augenlider flatterten, ein schweres Grummeln entrann seiner Kehle. Benjamin stützte ihn so gut es ging an der Schulter, schob sich mit seiner eigenen unter Shoheis Arm und vorsichtig sanken sie gemeinsam auf die Knie. Sofort suchten Shoheis Hände Kontakt zum grauen Asphalt, die fast gänzlich geschlossenen Iriden ebenfalls daran geheftet. „Was ist mit dir los, Shohei?“ Benjamins Herzschlag beschleunigte sich um ein Vielfaches, tief atmend rang er aufgrund der jähen Anstrengung nach Luft. Es versetzte ihn in blanke Panik, seinen Vermieter so zugerichtet zu erleben. Zwar sah er nicht Shoheis Gesicht, doch, so sagte ihm seine innere Stimme, war es leichenblass. Und diesmal befand sich kein Bett in unmittelbarer Nähe. Sie mussten noch einige Blocks hinter sich bringen, bis sie zu Shoheis Apartment gelangten, wie um Himmels Willen sollte das funktionieren? Ihn tragen, das könnte Benjamin keineswegs bewältigen, schleifen gestaltete sich für den Schwächelnden eindeutig zu schmerzhaft. Er verfluchte stumm derartige Schachmattsituationen, denen man Benjamin hilflos auslieferte, dennoch versuchte er trotz heftigster Angst und Unwissenheit, Ruhe zu bewahren. Er hatte etwas Ähnliches schließlich bereits gemeistert, und sofern es sich erneut als notwendig erweisen sollte, harrte er sämtliche Nachtstunden an Shoheis Seite, um ihn zu wärmen.
    „Nichts, alles… in Ordnung…“, wisperte Shohei ignorant, wollte sich zum Beweis aufrichten, sackte allerdings im nächsten Moment wieder zusammen. Seine schwarzen Strähnen verbargen seine Mimik, Benjamin vermutete die Absicht Shoheis, ihn nicht explizit anschauen zu müssen. Es kränkte Benjamin, dass Shohei ihn noch immer lieber anlog, anstatt ihm die Wahrheit zu erzählen und ihm vielleicht Sorgen zu bereiten. Sogar spürte Benjamin einen Anflug von Ärger in sich aufsteigen, aber Shohei zuliebe würgte er ihn ohne weitere Beachtung herunter. Vorwürfe hälfen jetzt nicht.
    „Das merke ich“, entgegnete Benjamin leicht verstimmt, und beugte sich zu Shohei herab, um endlich in der Lage zu sein, dessen wahrscheinlich angespannte Züge zu erkennen, strich ihm dabei einige Haarpartien aus dem Blickfeld. Glanzloses Rot musterte Benjamin, entkräftet, gebrochen, doch ebenso entschuldigend, sowie bedauernd. Mit einem Satz fegten sie den kompletten Inhalt aus seinem Kopf, Benjamin empfand in jener Sekunde so vieles und gleichsam nichts, was sich angemessen beschreiben ließe.
    Shohei starrte nicht wie in der Nacht seines letzten Kollapses durch ihn hindurch, ins Leere, nein, sondern geradewegs in die braunen Tore zu seiner Seele. Für Benjamin entsprach dies vollkommen der Wahrheit, denn zumindest momentan beherbergte er keinen einzigen Gedanken in seinem Verstand, der unter Umständen den Pfad zu seiner Emotionsquelle hätte versperren können. Und ehrlich gesagt sträubten seine Gefühle sich nicht dagegen, entschlüsselt oder inspiziert zu werden, sie waren sich bewusst, in wessen Hände sie sich begaben. Niemand anderem war das bislang gelungen, nämlich, Benjamin zu verstehen, geschweige denn hatte es jemand ernsthaft versucht. Umso verzweifelter reagierte er auf das schwache Lächeln, welches Shohei ihm daraufhin schenkte.
    „So schnippisch kenne ich dich ja gar nicht“, scherzte Shohei künstlich vergnügt, drehte sich langsam zur Seite, wand sich in eine halb liegende, halb sitzende Position, seinen Oberkörper federte er mit Hilfe seines rechten Armes. Nach wie vor fielen Strähnen in sein trübes Antlitz, er bemühte sich nicht, sie von dort zu entfernen. „Geneviève war auch –“
    „Fang bitte nicht damit an“, würgte Benjamin ihn abrupt ab, ein trauriger Hauch begleitete seine Stimme. Shohei wagte es tatsächlich, ihn mit Geneviève zu vergleichen, obwohl er bezüglich der Schuldzuweisungen Benjamins Bescheid wusste. Ernüchternd, fand Benjamin, diese Taktik Shoheis nicht berücksichtigt zu haben, er hatte gedacht, Shohei allmählich einzuschätzen imstande zu sein, zumal er die wirklichen Gründe seiner Kraftlosigkeit zu verschleiern gedachte. Benjamin schluckte hart, ehe er fortfuhr. „Ich… bin leider nicht Geneviève, außerdem geht es nicht um mich. Shohei, ich bin nicht blind. Du klappst mir hier schweigend weg, ohne vorher bloß anzudeuten, dass du dich nicht gut fühlst. Jetzt sag mir verdammt noch eins, was Sache ist!“ Er war im Laufe der Zeit zunehmend lauter und entschlossener geworden. Benjamin verabscheute Shoheis Geheimniskrämerei regelrecht, nur das, nicht die Person an sich, sodass er langsam, aber sicher die Fassung verlor. Wütend funkelte er seinen Gegenüber an.
    „Als… ob es so einfach wär“, lachte Shohei spöttisch auf. Benjamin wusste, er hatte ihn in die Enge getrieben, gleichsam sein Ego angestachelt. Shohei hasste Niederlagen. Sein Amüsement ob der Situation erstarb augenblicklich. „Wie hätte ich dir sagen sollen, dass… Benjamin, ich war in den letzten Wochen öfter als gewöhnlich arbeiten, nicht wahr?“ Benjamin nickte. „Anders hätte ich das nicht finanzieren können. Und mit ‘das‘ meine ich uns.“ Stirnrunzelnd verfolgte er Shoheis Ausführungen, unschlüssig, was genau sie bedeuteten. Erst, als Shohei weiterredete, bildete sich eine Erkenntnis in seinem trägen, inhaltslosen Hirn. „Pass auf: Ich habe zwei Arbeitsstellen, aber eben nur auf Teilzeit. Stünde ich bei dem einen unter Vertrag, würde ich etwas mehr verdienen, jedoch nicht genug zum Leben. Zudem wäre ich aus Zeitgründen gezwungen, die andere Stelle aufzugeben. Mit beiden Jobs reicht es in etwa aus… für eine Person.“
    Benjamins Augen weiteten sich vor Entsetzen, gleichgewichtslos sank sein auf den Knien weilender Leib nach hinten, ausgestreckte Arme und die gegrätschten Finger auf dem harten Grund stabilisierten ihn. Auf einmal schienen sämtliche Farben, sämtliche Lichter und Werbetafeln der Geschäfte vor seinen Augen zu verschwimmen, undefinierbare Formen anzunehmen. Er begann, den Kopf zu schütteln, unfähig, sich dazu zu äußern. Lediglich gekeuchter Stoßatem verabschiedete sich aus seinem trockenen Mund. Und wieder zerbarst ein Teil seiner eigentlich heilenden Welt, dem Universum, indem man ihm allmählich Vergebung und Gnade zugestand, und die er, wie er im Nachhinein feststellte, doch nicht erhielt. Er fror so sehr in der Gewissheit, wieder einen Menschen ins Unglück gestürzt zu haben, die Hoffnung auf eine Besserung seiner Existenz und deren Umfeld… dahin. Beschämt wandte Shohei seinen Kopf zur Seite. „Richtig… du solltest auf die Beine kommen, nach all dem, was du erlitten hast. Du schienst so befreit, einen Platz gefunden zu haben, an dem du bleiben kannst, ohne einsam zu sein, Kälte oder Hunger erdulden zu müssen, deshalb habe ich… dir auch das Meiste davon überlassen. Solange du gelächelt hast, obgleich nur ab und zu, ungeachtet deiner Vergangenheit, war mir meine eigene Gesundheit herzlich egal… Das Hungergefühl verschwindet irgendwann, es erfordert bloß Disziplin und Durchhaltevermögen, bis es soweit ist.“
    „Du hast verzichtet… für mich?“, stotterte Benjamin unbeholfen. „D-das… darfst du nicht, ich… Dann esse ich in Zukunft halt weniger!“ Sein linker Arm schlang sich automatisch um seinen Bauch. „Ich- ich hab mich einfach gehen lassen! Früher bin ich auch so ausgekommen…“ Er fasste es kaum, Shohei hatte wirklich extra für ihn, für seine erbärmliche Wenigkeit gehungert, vorgegaukelt, gegessen zu haben, obwohl dies nicht der Wahrheit entsprach. Wieso war es Benjamin nicht aufgefallen? Theoretisch hätte er es doch merken müssen als sein Mitbewohner, sein Freund. Die ständigen Ausflüchte, später zu speisen, es bereits beim Kochen getan zu haben, ohne Benjamins Wissen… Was er Shohei hier ungewollt und völlig unbeteiligt zufügte, war schlimmer als jegliche Konsequenzen seiner feurigen Verdammnis. Shohei quälte sich für Benjamin, opferte sich für ihn auf, selbstlos, billigte Schäden an seiner persönlichen Gesundheit für jemanden wie Benjamin… und der fühlte sich so miserabel, so unglaublich schuldig an allem, am liebsten hätte er sich unverzüglich bestraft. Sofort. Unmittelbar. Ungeachtet der Tatsache, Blut zu verlieren, eventuell aufgrund seiner Brutalität und Extreme mit Shohei zusammen entkräftet dort auf der Straße die Nacht zu verbringen.
    Erbitterte Kälte bemächtigte sich seines bebenden Leibes, keineswegs klimatisch bedingt, versetzte ihn in einen Zustand der Trance und gleichzeitigen Isolation von seiner Umwelt. Sogar Shoheis gnädige Stimme schien unendlich weit entfernt, alleinig dessen warme Hand, die Benjamin behutsam durchs Haar fuhr und seinen Kopf streichelte, bildete den dürren Ast zur grausamen Realität.
    „Benjamin… ich habe es gern getan“, flüsterte Shohei in den Nachtwind hinein. Benjamin verstand seine Worte, trotz stumpfer Gedämpftheit, akzeptieren wollte er sie jedoch nicht. Sein Denken wehrte sich vehement. „Und ich würde es wieder tun, jederzeit. Weil du es bist.“
    Und dagegen war Benjamin absolut machtlos, wie er verbissen feststellte. Nicht bloß, weil er bei Shoheis Starrköpfigkeit gegen eine Eisenmauer rebellierte, welche ihn so oder so im Nachhinein überrumpelte, Benjamins Beharren stürzte, nein. Shohei war es gelungen, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, gnadenlos, haushoch, triumphierend, bewusst. Aber das alles kümmerte Benjamin in diesem Moment nicht. Das Einzige, was augenblicklich seine Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein winziger, einzelner Sprössling, der sich hartnäckig durch das Dickicht seiner Depressionen kämpfte. Denn Shohei erinnerte sich noch immer an Benjamins Worte, die von ihm genannten Gründe, damals in der Umkleide. Das reichte ihm schon als Entschuldigung.

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    [tab=Neues Kapitel]
    Tja, schade, keiner hat hier kommentiert... nun gut, aber ich will das hier auch nicht völlig verkommen lassen, deshalb poste ich schlichtweg mal das nächste Kapitel (das übrigens zwei waren, bevor meine Beta mir zu einer Zusammenlegung geraten hat ~ :* ) Sprich es sind so an die 10.000 Worte. Ich hoffe, es stört nicht allzu sehr xD Für diejenigen, die in Englisch nicht so bewandt sind... der Titel bedeutet "Arrogante Neugier" ~


    Benjamin und Shohei haben den kleinen Überfall also mehr oder weniger unbeschadet hinter sich gebracht und gerade Letzterer versucht, sich in seinem Alltag davon nicht langfristig beeinträchtigen zu lassen. Deshalb enthält er sich auch vorerst, Benjamin mit Fragen bezüglich des Feuers in seinen Händen weiter in die Enge zu treiben, weiß Shohei immerhin genau, wie labil Benjamins Persönlichkeit reagiert. Doch kaum ist Shohei wieder in seine Arbeitswelt eingetaucht, erscheint ein anderer Schauspieler auf der Bühne, der alles andere als Ordnung in Shohei's ohnehin bröckelnde Welt bringt ~
    [tab=Bastet ~]
    Tja, meine Liebe, wieder einmal vielen Dank für's Betalesen, ehe ich das hier posten kann x3 Das mit Benji's Selbstmordgedanken... ich hab nen paar wenige Begriffe und Sätze rausgestrichen, weil ich ehrlich gesagt nicht wusste, wie ich das sonst anders gestalten sollte :x Irgendwie kam das ja auch nur an einigen Stellen zu sehr durch, finde ich, der Rest war eben nur von seinen Depressionen angehaucht... Im Nachhinein behältst du allerdings Recht. Ich selbst habe zu meinen schlimmeren Zeiten nicht ständig an sowas gedacht, oder meine ganzen Probleme, jedoch nahm es schon einen größeren Teil meines Alltags, sag ich ma, ein. Von daher... ich geb mein Bestes, nicht allzu dick aufzutragen ^____^


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    Hm, dann werd ich mich auch mal dazu äußern ~ Aber ich arbeite erstma ein paar Zitate ab x3

    Weitere beliebte Beispiele sind Amnesie, Vergewaltigung, Mobbing und Scheidung der Eltern. Oder auch diverse Krankheiten wie Herzleiden oder Krebs, die gerne einfach als Mittel zum Zweck, um Drama zu erzeugen, hergenommen werden. Selbiges gilt für Depressionen und SVV

    Nun ja, an sich kann ich dir auch hier zustimmen, aber muss gleich jeder, der seinen Prota depressiv macht, in diese unwissend-und-nur-am-Drama-interessiert-Sparte fallen?
    Ich selbst schreibe über einen Charakter, der eben depressiv und suizidgefährdet ist, schlichtweg, weil es zu seiner Persönlichkeit gehört, und nicht bloß, weil Drama sich gut verkauft (außerdem weiß ich selbst, wie es ist, an Depressionen zu leiden ~ ). Denn im Grunde baut der gesamte Anfang meiner Geschichte auf dieser Figur, seinem Verhalten und dazu gehörig seinen negativen Gedanken auf, und gleichsam ist es ein Teil, der im Laufe der Story als Charakterentwicklung noch bearbeitet wird. Klar, viele wissen nicht genau, wie solch eine Krankheit dann verläuft, was die Auslöser oder Folgen sind, geschweige denn können sie die Gründe für Suizidversuche nachvollziehen, aber ich finde, - ohne jemanden angreifen zu wollen ! - dass man das Thema Depressionen nicht verallgemeinert in jene Kategorie einteilen sollte ~



    Auch wenn Traumata, ausgelöst durch ein schreckliches Erlebnis, sehr realistisch sind, finde ich, dass sie eher hinderlich sind, auch wenn die Idee an sich sehr reizvoll ist. Den Umgang mit Traumata während des Schreibens stelle ich mir sehr mühsam vor.

    Nun ja, aber bei manchen Grundideen für Geschichten geht es einfach nicht ohne, oder nicht? ;3 Eben damit es beim Handlungsstrang doch realistisch wirkt, und im wahren Leben sind manche menschlichen Gemüter ja doch sehr labil - was ich übrigens doch noch bevorzuge. Ich habe sowohl beim Schreiben, als auch beim Lesen selbst eine Schwäche für labile, depressive, leicht zerbrechliche Charaktere. In vielerlei Hinsicht sind sie unberechenbar - und gerade das macht es doch interessant. Natürlich kann man einen eher pessimistischen Chara plötzlich total fröhlich und lebensfroh darstellen, jedoch erlaubt die Fragilität der Persönlichkeit imo erheblich mehr Spielraum bei Verhalten, Gefühlen und Gedanken desjenigen in speziellen Situationen. In Zeiten der Überforderung mit allem reagiert man ja auch anders als normalerweise.



    Ich selbst (ja, wir kommen meiner Meinung immer näher xD ) habe es mir (inzwischen) angewöhnt, vorher zu recherchieren, ehe ich mich an eine Szene setze. Teilweise benutze ich für Umgebungsbeschreibungen sogar Bilder aus dem Internet. Liegt nicht daran, dass ich keine Fantasie habe oder so, doch bei bestimmten Orten traue ich mich schlichtweg nicht ohne Informationen dran, weil ich es nicht kenne.
    Momentan schreibe ich an einer Shounen-Ai Geschichte, deshalb greife ich mir mal das Homosexuellenthema auf. Ich finde es schade, dass man bei so vielen Geschichten, die recht gut anfangen, im Nachhinein bloß noch Unsinn liest, wie es hier bereits angesprochen wurde. "Wie soll ich ihn ansprechen?", "Steht er überhaupt auch auf Männer?", "Oh mein Gott, nein, ich hab doch eigentlich eine Freundin!" Man hat in der Hinsicht mittlerweile fast alles schon ma gelesen, und genau das versuche ich eigentlich größenteils zu umgehen. Meiner Meinung nach sollte es vielmehr auf die Beziehung und die Bindung der Protagonisten zueinander ankommen, nicht, wann sie zum ersten Mal miteinander schlafen (Gott, das ruiniert das Genre >__< ) oder darauf, dass sie mit ihrer Sexualität nicht klar kommen. Natürlich muss man sich erstmal damit abfinden und das verdauen, wenn man es heraus gefunden hat, aber doch nicht ellenlang und jedes Mal, wenn man denjenigen sieht - ich glaube kaum, dass das im richtigen Leben auch so ist, oder dass man sofort ins Bett springt. Bei mir ist es so, dass meine (männlichen) Figuren sich dessen zwar bewusst werden, dass sie ineinander verliebt sind/gerade dabei sind, sich in den anderen zu verlieben, jetzt aber keinen sonderlichen Hehl daraus machen. Sie denken auf jeden Fall drüber nach und stellen die Geschehnisse in Frage, Hysterie bis hin zu Schuldgefühlen aufgrund des "Andersseins" oder ähnlich dramatische Reaktionen habe ich allerdings unter keinen Umständen vor zu schreiben. Das wäre zum Einen einfach OOC und zum anderen, ganz klar, völlig realitätsfern.


    Generell denke ich, man KANN über alles schreiben, solange es sich in einem angemessenen Rahmen aufhält, zum roten Faden der Geschichte passt und man sich eben, wie du schon anmerkst, genügend informiert, bevor man sich an Unbekanntes wagt. Stereotypische Themen bedeutet nicht, dass sie genauso stereotypisch umgesetzt werden, denn man kann durchaus aus bereits Vorhandenem etwas komplett Neues entstehen lassen, sofern man das richtige Maß an für den Leser Tolerantem findet. Traumata, schön und gut, solange sie nicht die Story vollständig übernehmen und der Chara nur noch Trübsal bläst. Depressionen - wieso nicht, wenn dennoch eine Wandlung der Persönlichkeit durch äußere Umstände stattfindet? Homosexualität ist auch in unserer Welt etwas Normales. Erkenntnis dessen mag schockierend und "falsch" sein, aber lernt man nicht, damit zu leben? Die Voraussetzung für derartige Szenen muss eben lediglich Recherche sein.


    Lg

    Namine ~






    //Edit: War ja auch keine Anschuldigung oder so, Alaiya, es kam für mich aus dem Text eben nur so rüber ~

    Also, da ich mich gerade vor einem Kunstprojekt drücken möchte, dachte ich, ich kann dir mal einen kleinen Kommentar hinterlassen :3 Nimm mir meine Kritik bitte nicht böse, ich möchte dir nur helfen :> Und da leider kein Startpost vorhanden ist, werde ich eben lediglich etwas zu deinen Kapiteln sagen.
    Nun ja... ehrlich gesagt kommt mir das hier fast schon mehr wie ein Theaterstück oder sowas vor anstatt einer richtigen Story ^^" Ich meine, da sind ja eigentlich gar keine Beschreibungen, gar keine Handlung und ausschließlich Dialoge - so, wie man es beispielsweise in einem klassischen Drama vorgesetzt bekommt, mit Dialogen und Szenenanweisungen. Jedoch sollte eine Fanfiction - zumindest meiner Meinung nach, vielleicht ist das ja von dir auch so beabsichtigt - mehr wie ein Buch sein, eine geschriebene Geschichte und nicht bloß die Dialoge. Es gibt die Umgebung, die du ausschweifend beschreiben könntest, die Gedanken und Gefühle der Protagonisten, die einzelnen Handlungen ausschmücken, sonst kann man sich ja wirklich gar nichts darunter vorstellen. Ich weiß, bei einer Story soll man ja auch seine Fantasie einsetzen, ich für meinen Teil allerdings bin ein Fan ausgefallener und detailliertester Beschreibungen, und zwar in jeder Hinsicht :3 Du erwähnst hier ja auch einen Pokemon Kampf und da wäre es recht interessant zu erfahren, wie die Attacken deiner Meinung nach aussehen, wie sie sich anfühlen (Hitze- oder Druckwellen par exemple) , was sie für einen Schaden beim anderen Pokemon und in ihrer Umgebung hinterlassen. Die Umgebung an sich, was sieht man, wo befindet sich was, welche Eindrücke erzeugt es bei den Protagonisten?
    Bei den Dialogen könntest du ebenfalls noch etwas feilen. Zunächst mal sollten andere Satzzeichen als Fragezeichen und Ausrufezeichen darin vorkommen, Punkte und Kommata sind nicht deine Feinde ;P Außerdem klingt das Gesagte recht oberflächlich und vorhersehbar, so, wie man es vom imo inzwischen total unsinnigen Anime erwarten könnte - und eben das sollte es nicht sein. Ich denke auch, dass das nicht dein Ziel ist, oder? Dahinter sollte mehr Sinn stehen, mehr Tiefsinnigkeit. Anfangen könntest du damit, zu beschreiben, wie die einzelnen Personen ihre Sätze von sich geben. Ob genervt, erregt, nervös, furchtsam, schüchtern, freudig, etc., dazu sind Adjektive bzw Adverbien ja schließlich da, um Handlungen und Gegenstände näher zu definieren. Zudem lässt sich daraus oft auch schon auf die Persönlichkeit der jeweiligen Figur schließen, das ist ja auch mit der Spaß beim Lesen, dass man Stück für Stück herausfindet, wie der und der Chara tickt, was ihn auszeichnet, welche Meinung er hat. Dazu ist es ebenso notwendig, seine Gedanken und Gefühle im Laufe der Handlung zu beschreiben und ihn exakter darzustellen. Wie denkt er, welches Bild hat er von anderen, was sind seine Angewohnheiten, was kann man über seine Vergangenheit sagen, was hat ihn geprägt? Letztes könntest du auch gut in einem Steckbrief einbringen, solltest du dich dazu entschließen, einen Startpost zu erstellen - wozu ich dir raten würde, da du ja scheinbar zwei Regionen gekreuzt hast und man überhaupt nicht weiß, wie man sich da zurecht finden soll, also in den separaten Städten. Am besten, du schaust mal in der Schreibschule vorbei oder orientierst dich grob an anderen Fanfictions, die es hier gibt :3


    LG

    Namine ~

    Also meine Mum und ich sind da total auf einer Wellenlänge x3
    Meist läuft bei mir meine Handymusik auf laut und sie sagt nie was, sondern macht auch des Öfteren Komplimente, was ich denn für tolle Lieder hören würde ^-^ Und dabei besteht meine Playlist größenteils aus J-Pop, Nico Nico Sängern, Vocaloid, Anime OST's, Billy Talent, Breaking Benjamin, Green Day und so weiter. Okay, mit Breaking Benjamin konnte sie sich bislang nicht ganz so anfreunden oder mit System of a Down, was bei mir auch manchma in ner Endlosschleife rauf und runter gespielt wird, aber größenteils stimmen unsere Geschmäcker schon überein :3 Sie kauft(e) sich ab und zu auch diese Maxi CD's, wie Bravo Hits oder The Dome, wo ja auch viele neuere Lieder (die mir persönlich inzwischen nicht mehr so gefallen =/ ) drauf sind. Offen für neue Bands, die ich entdecke, ist sie ebenso ^__^ Und dann fragt sie mich, von wem das ist oder ob ich noch mehr Songs von dem oder dem Interpreten habe x3
    Mein Stiefvater ist da schon etwas anderes. Er hört eher Eric Clapton, dann halt Musik seiner Zeit (also alles vor 2000 xD) oder eben Klassik. Er erträgt mein Gedudel zwar eine gewisse Zeit lang, ohne etwas zu sagen, doch irgendwann muss ich meine Musik dann doch ausschalten, weil es ihm auf die Nerven geht x>


    LG


    Namine ~

    Ich bin ebenfalls eine mutige Ass-Trainerin.
    Diese Kombination hatte ich bereits in Schwarz und habe es jetzt in W2 wieder gewählt, weil ich das einfach am zutreffendsten finde. Eine Ass-Trainerin ist nicht unbedingt auf eine Pokemon Klasse fixiert, wie zum Beispiel die Vorschüler auf süße und niedliche Pokemon, sondern trainiert Pokemon aller Elementklassen, so wie ich meist auch (zudem finde ich den männlichen Ass-Trainer der fünften Generation ziemlich nice und in derselben Trainerklasse zu sein, finde ich in der Hinsicht irgendwie beruhigend x3).
    Mutig... tja, ich finde, das passt schlichtweg am besten zur Ass-Trainern. Imo müssen die ja schon allein von ihrem "Ruf" sag ich ma her mutig sein, nen Ass-Trainer hat sicherlich schon viel erlebt und durchgestanden, sonst wäre er ja kein Ass xD *sarcasm* Außerdem trifft diese Eigenschaft ebenfalls, so finde ich, auf die Protagonisten zu, und zwar auf beide, wobei ich das weibliche Figürchen genommen habe ^____^ Sie macht auf mich einen lockeren, herausfordernden, ehrgeizigen Eindruck, doch vor allem scheint sie der Mut auszuzeichnen ~


    LG


    Namine ~

    Uh, da habe ich hier aber einiges nachzuholen... noch einmal Entschuldigung, dass ich bislang nich kommentiert habe, es gab einfach zu viele Klausuren, dann noch Facharbeit... Obwohl ich mir bis zum Abitur eigentlich vorgenommen hatte, keine Kommentare mehr zu schreiben, kann ich bei dir schlichtweg nicht anders. Es juckt mir schon richtig in den Fingern, von daher, on y va ~


    All I know is falling
    Diese Geschichte habe ich nicht umsonst für den FF Award vorgeschlagen, denn ich bin schlichtweg begeistert von ihr. Allgemein habe ich aus persönlichen Grunden so einen kleinen Faible für Stories, die Suizid behandeln und gerade bei dir kann ich mir ja sicher sein, dass dir die Umsetzung gelingt. Nun, aber der Reihe nach.



    Es heißt, (Komma) Menschen würden, wenn sie kurz vor dem Tod stehen, ihr gesamtes Leben noch einmal an sich vorbei laufen sehen. Nun ich kann euch sagen: Das stimmt nicht. Zum Glück nicht. Würde mich direkt dazu veranlassen, (Komma) ein weiteres Mal zu springen, wenn es denn möglich wäre. Doch ist es das nicht, ich befinde mich bereits im freien Fall. Wie viel (viele) Meter sind es wohl? Ich habe ein schlechtes Augenmaß, aber kennt ihr das Commerzbank Gebäude in Frankfurt? Dieser riesige Wolkenkratzer, den man sieht, (Komma) wenn man direkt aus dem Bahnhof kommt? Nun etwa so hoch sah es von oben aus, (Komma) als ich vor ein paar Sekunden noch am Rand des Daches stand. Vermutlich habe ich mich getäuscht… das habe ich mich oft. Ge- und Enttäuscht.

    Hach ja, diese alte Floskel, die im Grunde jeder kennt, aber niemand bestätigen kann. Die Revue des Lebens, die einen kurz vor dem Tod erwartet. Ein durchaus interessantes Thema, das du da aufgreifst, selbiges gilt für die Einleitung insgesamt. Und bevor ich den Gedankengang im Laufe meines Kommentares hier wieder vergesse.... so gesehen hast du mit der Kurzgeschichte ja eben genau das passieren lassen. Der Protagonist reflektiert noch einma sein Leben, die Aspekte, die ihn geprägt haben, was ihn verletzt, quasi zerrissen hat bereits in sehr jungen Jahren, sprich du widerlegst deine eigene Einleitung, indirekt zumindest. Ich weiß nicht, ob das so gewollt ist oder nicht, jedoch gefällt es mir sehr ^_____^
    Weitere Stilmittel, die du hier verwendest, sind natürlich die direkte Ansprache des Lesers und die, wenn man so will, rhetorische Frage, die zusätzliche Neugier erzeugen. Du beschreibst nicht einmal sonderlich ausschweifend Gefühle oder Gedanken des Erzählers, sondern schilderst in wenigen, dafür umso ausdrucksstärkeren Worten seine aktuelle Lage und wo man sich ungefähr zu befinden hat, nämlich seitens eines Wolkenkratzers. Normalerweise bin ich ja eher ein Fan von ellenlangen Beschreibungen, zumindest, was Fanstories betrifft. Bei deinen Kurzgeschichten allerdings muss das gar nicht sein, du schaffst auch so, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Und das, mein Lieber, ist wahrlich ein Talent :> Vor allem der letzte Satz dieses Abschnittes flößt einem, oder zumindest mir, einen Hauch von Verzweiflung und Leid ein, da bekommt man wirklich Gänsehaut. Natürlich möchte man wissen, in wiefern diese These des Protagonisten nun zutrifft oder nicht, lange warten lässt du uns zum Glück nicht.




    Es war damals im Kindergarten, etwa ein Jahr vor meiner Einschulung… glaube ich. Im Sandkasten hatte ich grüne Smarties gefunden. Schnell stopfte ich mir eines in den Mund, ich freute mich riesig, (Komma) dass ich etwas gefunden hatte, ganz für mich allein. Doch plötzlich kam Frau Elbe angerannt und sah, (Komma) was ich in der Hand hielt. Sie wurde ganz blass und befahl mir sofort, (Komma) alle Smarties fallen zulassen (fallen zu lassen). Ich wusste nicht warum, sie schmeckten doch gut. Ein bisschen sandig, aber gut. Dann wurde mir schwarz vor Augen, ich kippte um und alles ward dunkel. Erst im Krankenhaus wachte ich wieder auf, weinend saß meine Mutter neben mir am Bett, in meinem linken Arm steckte ein Schlauch, die Narbe habe ich heute noch. Eine Woche lang lag ich im Krankenhaus, man sagte mir, dass die Smarties Rattengift gewesen sind (waren). Ich hatte mich getäuscht.


    Es heißt, (Komma) Menschen würden, wenn sie kurz vor dem Tod stehen, alles in Zeitlupe sehen. Nun ich kann euch sagen: Das stimmt. Leider stimmt es. Im Schneckentempo fliege ich am zehnten Stockwerk vorbei, es wirkt so als hätte Mutter Erde sich überlegt, (Komma) genau an diesem Tag, an diesem Ort die Schwerkraft ein bisschen abzuschwächen.


    Was ich hier schon zu Anfang loben muss, ist deine Art, dich in frühere Zeiten hinein zu versetzen. Du benutzt wirklich so eine Sprache, wie es ein Kindergartenkind täte, nämlich die Sache mit den grünen Smarties. Man merkt wunderbar diese "Naivität" und die Unschuld des Kindes, es ist ja immerhin noch klein und weiß Smarties nicht von etwas Giftigem zu unterscheiden. Ich muss gestehen, bis du das Gift erwähnt hast, hatte ich keine Ahnung, was die grünen Teile da sein sollten xD Ich hatte eventuell an Vogelbeeren gedacht -die sind meines Wissens ja auch giftig- oder vielleicht irgendwelche Blumenknopsen, auf Rattengift wäre ich wohl nie im Leben gekommen ^^" Was aber nich heißen soll, dass ich das kritisiere, ist ja schließlich meine eigene Dummheit. Vielmehr hast du es passend aus der Sicht des Kindes dargestellt, gezeigt, wie es die Lage einschätzt. Jedes andere Kind hätte wohl genauso reagiert. Denn wann findet man schon ma leckeren Süßkram einfach auf dem Boden, ganz für sich allein? In dem Sinne, wieder eine überzeugende Wortwahl, denn man wusste ohne sonderlich viele Beschreibungen, wo man sich befindet,was passiert und wer erzählt.
    Dass er sich allerdings da schon Vorwürfe macht... finde ich sehr hart :o Ich meine, er war ein kleines Kind und wusste es eben nicht besser. Eher hätte ich da die Kindergärtner zur Verantwortung gezogen, wenn die nichts gesagt haben oder die Kinder eben vorgewarnt. Bei Kindern kann man doch nicht einfach so Rattengift auslegen, also ehrlich :x Auf der anderen Seite zeigt es, wie stark die Depression des Erzählers bereits ist, dass er sich in so jungen Jahren dafür die Schuld gibt, unwissend zu sein. Man könnte übrigens auch sagen, er hätte die Leute in seinem Umfeld ENTTÄUSCHT, weil er, wie Kinder nunma sind, ein großer Junge sein, dies auch beweisen wollte und dann solche Dummheiten macht :3
    So, es folgt eine kurze Zwischensequenz zur momentanen Sachlage. Das mit der Zeitlupe stimmt also... Man hat das Gefühl, immer weiter in diese Spirale aus... Hoffnungslosigkeit und Selbstverachtung hinein gezogen zu werden, und ich finde es bewundernswert, dass dir das mit so wenigen Worten gelingt. Sie sagen so viel aus, obwohl es sich dabei nur um wenige Sätze handelt. Wieder benutzt du so eine Art These, die von den Menschen aufgestellt wurde und sich nun also bewahrheitet, laut unserem Erzähler. Inzwischen habe ich bereits so viel Mitgefühl mit ihm, er tut mir unglaublich leid und ich weiß ja, dass es noch härter kommt :x





    Das damals mit dem Rattengift, meine weinende Mutter im Krankenhaus. Es war einer der wenigen Momente, in denen sie in dieser Welt war. Häufig war sie ganz woanders. Direkt gesehen habe ich das nie, aber meistens schloss sie sich im Arbeitszimmer ein und wenn sie nach vielen Stunden zurück kam, waren ihren Augen gerötet und sie war so kaputt, dass sie sich ausruhen musste. Ich wusste nicht, (Komma) was das war, was das für eine andere Welt war. Also wollte ich es einmal selbst ausprobieren. Ich hatte mich ins Arbeitszimmer geschlichen. In den Schubladen entdeckte ich kleine, (Komma) durchsichtige Tütchen, mit irgendwas drin. Gerade als ich dieses Irgendwas nehmen wollte, schlug mir meine Mutter von hinten auf die Finger. Sie warf mich aus dem Zimmer raus und schloss ab. Nach etwa einer halben Stunde kam sie mit geröteten Augen wieder heraus. Dieses Mal hatte sie nicht die andere Welt besucht, dieses Mal war sie in dieser geblieben und geweint.
    Als ich in die Schule kam, (Komma) lernte ich, (Komma) was Drogen waren. Es dauerte nicht lange, (Komma) bis ich auf den Bildern das Irgendwas von zu Hause aus den Tütchen wiedererkannte. Aber ich traute mich nicht, (Komma) meine Mutter darauf anzusprechen, ich hatte Angst, dass sie wieder weinen würde. Doch dann lernte ich die verheerenden Folgen von Drogen kennen, dass sie tödlich sein können. Ich schrie meine Mutter an, sie solle es lassen, begriff nicht, dass sie es nicht lassen konnte. Erst noch später verstand ich auch das und ich fing an, (Komma) mich über Therapien zu informieren. Ich schaute im Internet, was man gegen sowas machen konnte, besorgte mir Flyer und so weiter. Allerdings konnte ich nie irgendwo direkt nachfragen, ich hatte Angst, man würde mir meine Mutter weg nehmen, dann hätte ich niemanden mehr gehabt. Ich machte also alles alleine. Meine Schulnoten litten sehr darunter und wenn Lehrer auf mich zukamen, (Komma) reagierte ich abweisend und stur. So kam es, dass ich nur ganz knapp meinen Hauptschulabschluss bestand – eigentlich so knapp, dass man es nicht als Bestanden ansehen konnte – während meine Mutter weiter in den Drogen versank. Ich hatte es nicht geschafft, ich hatte sie enttäuscht.


    Es heißt, (Komma) Menschen würden, wenn sie kurz vor dem Tod stehen, an all ihre Lieben denken. Nun ich kann euch sagen: Ich weiß nicht, (Komma) ob es stimmt. In meinem Leben hatte ich nie irgendwelche Lieben, meine Mutter war ein Junkie, mein Vater abgehauen. Abhauen, dass tu (tue) ich auch gerade. Fort von dem Elend, welches mich zu Hause erwartet. Mittlerweile sollte dies hier der zweite Stock sein, es sollte nicht mehr lang dauern, dann ist alles vorbei.

    Hier lernt man einen weiteren Aspekt der Vergangenheit des Protagonisten kennen, nämlich die Drogensucht seiner Mutter. Auch hier stellst du Orts- oder Gefühlsbeschreibungen gezielt eher in den Hintergrund und konzentrierst dich auf die eigentliche Erzählung. Wie sich der kleine Junge gefühlt haben muss, das erfährt man allein schon durch seine Reaktionen und, großes Kompliment dabei an dich, durch deine Wortwahl. Was er sagt, was er macht, das alles spricht mehr, als 1000 weitere Worte es je ausdrücken könnten. Zuerst haben wir hier wieder dieses Kindliche, der Wille, auszuprobieren, was seine Mutter die ganze Zeit in ihrem Arbeitszimmer macht, das Stöbern und -sollte ich es hier Glück nennen?- das Entdecktwerden, bevor Schlimmeres geschehen kann. Mit Drogen ist ja immerhin nicht zu spaßen, und Kinder sind ja dafür bekannt, wenn schon, es dann richtig anzugehen, sprich in dem Fall wäre das leicht eine Überdosis geworden. Wieder liest man fast automatisch zwischen den Zeilen, dass der Protagonist da nicht allzu alt gewesen sein kann. Ich weiß nicht, wann man sowas in der Schule durchnimmt... wir haben es zum Beispiel nie behandelt, bloß Zigaretten. Oder er hat es bei älteren Mitschülern gesehen, was das für Folgen haben kann, unter Umständen auch Tv oder Internet, man weiß es nicht, und es lässt Raum, darüber nachzudenken. Ich persönlich würde wieder an meiner Schule Kritik üben, dass wir sowas nie gelernt haben, sondern da sozusagen Eigenrecherche betreiben mussten, aber nun gut. Immer verzweifelter wird die Situation des Jungen, er versucht vergeblich,seine Mutter aus dem Drogensumpf heraus zu holen, aus Angst, er könnte sie als einzigen Menschen in seinem Leben verlieren, wer täte das nicht? Daher auch durchaus nachvollziehbar, dass er unter dem Druck irgendwann zusammen gebrochen ist, er konnte sich ja niemandem anvertrauen. Mitschüler hätten es wahrscheinlich sofort weiter erzählt, Ärzte das Jugendamt benachrichtigt, Verwandte wohl ebenso... und das in so einem frühen Alter, wirklich bedauernswert :x
    Eine kleine Anmerkung noch, bei "Ich machte alles allein", hätte ich gern gewusst, was er denn alles allein macht. Sicherlich meinst du so Haushalt und den ganzen Kram, eine kleine Aufzählung wäre hier aber auch nicht fehl am Platze gewesen, einfach, um das konkret zu nennen :>
    Tiefer und tiefer gleitet man in seine Abgründe, schlechte Schulnoten, bereits hier merkt man, wie er sich zurückzieht. Zu Anfang ja lediglich vor den Lehrern, aber dabei allein bleibt es ja meist nicht. Ebenfalls in vorigen Zitaten bzw in deiner gesamten Kurzgeschichte streust du geschickte Andeutungen, das finde ich besser als diese detaillierten Beschreibungen von allem und es erfüllt voll die Kriterien einer guten Kurzgeschichte. Einiges wird eben weiträumiger behandelt, bietet Platz für Vorstellungsfreiheiten und im Endeffekt weiß man insgeheim doch, was damit gemeint ist, es erschließt sich einem aus dem Kontext, dasselbe gilt für die Empfindungen des Erzählers. Kennst du dieses Gefühl beim Lesen, wenn man genau so einen Text wie deinen vor sich hat? Es ist großartig <3
    Als Letztes nennst du, wie prinzipiell erwartet, die Enttäuschung als finale Zusammenfassung der Situation. Doch wie hätte er es allein schaffen sollen? Das Opfer muss bei solchen Aktionen zu einer Änderung bereit sein, sonst hilft alles nichts, und das war hier ja nicht der Fall - leider =/ Und ich frage mich, wieso ist der Protagonist selbst nicht in Drogen oder Alkohol versunken? Ich glaube daran, dass das Umfeld für ein Kind sehr prägend ist, und ich meine... ein Großteil der Jugendlichen kennt die Nebenwirkungen von Drogen und Alkohol und konsumiert trotzdem beides, schlichtweg, um sich besser zu fühlen und dieser Welt zu entkommen. Oder hat er es doch getan und erzählt uns hier bloß nichts davon? Man weiß es nicht (also ICH weiß es nicht xD), und ist frei, darüber gründlich nachzudenken.
    Das mit dem an die Lieben denken ist mir btw neu, das kannte ich noch nicht :D Hm... hier wird endlich gelüftet, was es mit dem Vater auf sich hat, obwohl ich sowas eigentlich schon vermutet hatte, denn vorher war von ihm nie die Rede. Und mir gefällt es, dass du nicht scheust, Worte wie "Junkie" oder so zu benutzen. Ich mein "Drogensüchtige" wäre die angenehmere Variante, in deiner Geschichte aber total unpassend und einfach... ja, unangebracht. Es sind nunma harte Tatsachen, und, seien wir ma ehrlich, eine mildere Bezeichnung wäre untertrieben. Er flieht also vor seinem Elend... dazu habe ich (nachdem ich in entsprechendem Topic einige Male meine Meinung kundgetan habe) noch eine Frage: Denkst du, Suizid sei feige? Wenn du schreibst, er flüchte sich gerade vor all den Problemen seines Lebens, hat das so einen leicht... nicht unbedingt zynischen, aber ich sag ma "abwertenden" Nachklang. Es mag zwar der Wahrheit entsprechen, jedoch finde ich persönlich, dass es mildernde Umstände sind. Denn ich glaube, in der Situation des Erzählers hätte ich nichts anderes getan, früher oder später. Er hatte ja wirklich weder eine gute Lebensgrundlage, noch ein schönes Leben an sich =/ Im Übrigen finde ich es gut, dass du nach jedem kleinen Flashback diese Zwischenabsätze einbaust, die beschreiben, wie der freie Fall verläuft, immer gebunden an so eine Annahme, was vor dem Tod passiert. Das schafft so eine gewisse Ordnung in deiner Kurzgeschichte und man weiß, dieser Abschnitt ist beendet und gleich beginnt ein neuer :3 Zudem nähern wir uns so allmählich der Klimax, also dem Höhepunkt der Geschichte ~




    Lieben. Nein ich hatte keine, ich tat es auch nie. Meine Mutter betrachtete ich mit der Zeit nur noch als Laster und die Mädchen in der Schule hielten mich alle für den letzten Assi aus dem Ghetto. Quasi war ich das ja auch. Einmal war da eine, die fand ich recht toll. Ich beobachtete sie recht lang, bevor ich mich endlich mal traute, (Komma) sie anzusprechen. Tatsächlich wirkte sie von mir auch gar nicht so angewidert und wir verabredeten uns zum Eis essen. Wir unterhielten uns und ich war der Meinung, dass ich mich mit ihr so gut verstand, dass ich ihr alles von meiner Mutter erzählte. Von den Drogen und ihrer Sucht. Hätte ich mal schön mein Maul gehalten. Denn plötzlich stand sie einfach auf und ist weg gerannt. Hatte gesagt, mit sowas wie mir könne sie sich nicht abgeben. Da saß ich dann da vor zwei Eisbechern und als der Kellner mit der Rechnung kam, (Komma) bin auch ich aufgesprungen und weg gerannt. Die Tränen standen mir für einen kurzen Moment in den Augen, wichen dann jedoch der eisernen Fassade, (Komma) die ich seither nicht nur gegenüber Lehrern hege, (Komma) sondern vor allen Menschen, die mir begegnen, rund um die Uhr. Sogar vor meiner Mutter.
    Weil das Mädchen mich enttäuscht hatte, täuschte ich nun alle mit komplettem Desinteresse an der Welt.


    Es heißt, (Komma) Menschen wie ich, (kein Komma) würden gegen alle Wände anrennen. Nun ich kann euch sagen: Das stimmt nicht. Alles, (Komma) was ich in meinem Leben immer wollte (gewollt hatte), (Komma) war totale Ignoranz, ich wollte allein gelassen werden. Mit meinen Problemen abschließen, mein Leben in den Griff bekommen. Die einzige Wand, (Komma) gegen die ich je kämpfen werde, kommt gerade direkt auf mich zu. Alles um mich herum wird schwarz, wie bei dem Rattengift damals.

    Immer, wenn man denkt, es könnte nich schlimmer kommen, setzt du noch einen drauf. Endlich findet unser Erzähler jemanden, den er nett und süß findet, beichtet ihr (vielleicht mit etwas zu viel Naivität) die Bürde, die er bereits sein ganzes Leben lang tragen muss, und sie stößt ihn auch von sich, wie alle anderen, die er je kennen gelernt hat. Also zu dem Mädchen muss ich ja ma sagen, die kann man wohl in den Wind schießen. Nur, weil die Mutter solche Probleme hat, muss das doch nicht auch auf das Kind zutreffen :<
    Und wieder muss ich dich für die Einfachheit, der du dich hier bedienst, loben. Eine normale Verabredung zum Eis, bei der sich das Finale aller Erinnerungen zuträgt. Im Grunde auch nicht verwerflich, was der liebe Erzähler hier tut, immerhin kann man sowas einfach nicht für immer für sich behalten, früher oder später will es raus. Scheinbar hat er dem Mädchen schon sehr vertraut, wenn er es ihr sofort bei der ersten Verabredung erzählt, und sie reagiert total abweisend :( Dir gelingt es ohne große Mühe, den Protagonisten dem Leser nahe zu bringen, ihn sympathisch und bemitleidenswert zu machen, allein durch den Lauf der Erzählungen, seine Handlungen, seine Vergangenheit... ich bin wirklich beeindruckt, das schaffen nicht viele Leute hier. Sag, hast du es schon ma bei einem Verlag versucht? Vielleicht dürfen irgendwann kleine Gymnasiasten deine Kurzgeschichten analysieren :> Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert ^___^
    Zurück zu deiner Geschichte... dass er vor dem Bezahlen nur weggelaufen ist, könnte man schon als Andeutung auf sein Vorhaben sehen, was ja nebenher in vollem Gange ist, nämlich die endgültige Flucht vor allem. Ein weiteres Mal wurde er enttäuscht (nicht er ist der Verursacher dafür imo, zumindest dieses Ma), und so vergilt er Gleiches mit Gleichem, er baut um sich herum eine hohe Mauer, die niemand mehr zu durchdringen vermag. Durchaus nachvollziehbar, bei dem, was er alles erleben musste =/ Und ich gehe davon aus, dass der Protagonist auch nicht älter als 20 ist, sprich hat er eigentlich sein Leben noch vor sich. Nur, und das muss man sich ja fragen, was für ein Leben denn? Knappen Hauptschulabschluss, zerrüttete Familie (falls man das so nennen darf), niemandem, dem er vertrauen kann... wie soll man da ne eigene Existenz auf die Reihe bekommen? Viele schreiben, man müsse seine Probleme in den Griff bekommen, egal, wie hart das Leben sei, egal, wie viele Schwierigkeiten man bewältigen muss. Dass man irgendwann einfach am Ende seiner Kräfte ist, berücksichtigt dabei leider niemand.
    Einen letzten Funken Hoffnung hat er also immer besessen, bis zum Schluss. Bemerkenswert, irgendwie hab ich zu meinen schlimmeren Zeiten an sowas nie geglaubt, also weniger endgültige Alternativen. Jedenfalls kommt hier gegen Ende noch ein weiterer Charakterzug unseres Erzählers zum Vorschein, er hat imo die ganze Zeit ein sehr ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein besessen. Er wollte zwar seine Probleme hinter sich lassen, hat aber dennoch für seine Mutter gekämpft, sich ihr sozusagen verpflichtet gefühlt, hat seine eigenen Bedürfnisse dafür völlig in den Hintergrund gestellt, hatte irgendwo doch Hoffnung, er könnte das alles allein bewältigen, er fände jemanden, dem er sich anvertrauen könnte nach all den Jahren, und er schürt enormen Hass auf sich selbst, weil er es eben nicht geschafft hat. Ich persönlich würde ihm keinerlei Vorwürfe machen, für nichts, was hier aufgezählt wird an vermeintlichen Delikten. Herrgott, er war ein Kind/Jugendlicher, dementsprechend total überfordert mit allem. Alles Aspekte, die zwischen den Zeilen erscheinen, ohne dass du sie konkret nennst und sich nach und nach aus dem Kontext erschließen. Und das ist es gerade, was deine Kurzgeschichte so gelungen macht in meinen Augen. Sie erzählt einen mehr oder weniger kurzen Augenblick mit einigen kurzen Rückblicken darin, es wird nicht lange um den Kern herum geschrieben, sondern sich völlig auf die Geschehnisse und deren Wirkung auf den Erzähler konzentriert. Unter all deinen Werken gehört das ohne Untertreibung wirklich zu den aller allerbesten, auch, da du alle Kriterien erfüllst. Keine großen Zeitsprünge (Flashbacks zählen da ja nicht :3 ), Problemsituation, keine überflüssigen Umgebungsbeschreibungen, die Handlung steht im Vordergrund... und zum Schluss, der Rückbezug auf das Rattengift, rundet das Ganze gelungen ab.
    Kurz gesagt bin ich rundum begeistert von dieser Kurzgeschichte :> Ich habe im Grunde nichts daran auszusetzen, die kleinen Kommafehler habe ich dir da ja angestrichen, du greifst hier echt ein spannendes Thema und eine ebenso interessante Begebenheit auf, nämlich den freien Fall. Erinnert mich an das Buch "Falling Man", was wir in Englisch lesen mussten... Wenn ich in Deutsch in ner Klausur so ne KG zum Analysieren bekäme, was wäre ich froh *3* Naja, jedenfalls, mach weiter so, ich freue mich schon, deine nächsten Werke zu kommentieren ^_____^ Das Gedicht folgt auch gleich im Anschluss x)




    360
    Ungeachtet Cynda's Kommentar werde ich mich einfach ma dazu äußern, okay? Ich hatte schon zu lange kein gescheites Gedicht mehr zum Analysieren und das kann ich als Deutsch-Crack natürlich nicht auf mir sitzen lassen x3
    Der Titel, schon ma sehr interessant. Erinnert mich sofort an Mathematik und die 360° eines Kreises... könnte das dahinter stecken oder doch etwas anderes? Wir werden sehen ~




    Der Todeskuss ganz widerlich


    Ach, (Komma) was hab ich sehnst erwartet,
    den Tag, (Komma) an dem du mich nicht plagest.
    Hab gezittert, hab gespürt
    Die Zeit ist da, ich kämpf mit dir
    Du mich nun zur Tat verführst.

    Nun gut, man erfährt, es dreht sich schon ma um den Tod. Klar, wenn hier von einem Todeskuss die Rede ist *sarcasm* Es scheint sich hier um einen längerwierigen Kampf zu handeln, wenn ich das richtig interpretiere, das lyrische Ich wartet ja sehnsüchtig auf den Tag, an dem es nicht mit dem Tod zu tun haben muss. Theoretisch könnte man von diesen Versen aus eventuell auf eine Krankheit schließen, die das lyrische Ich langsam dahin rafft, auch eine Depression oder Ähnliches könnte damit zu tun haben, schließlich ringt man bei dieser "Krankheit" auch ständig mit dem Tode oder zumindest den Gedanken daran.
    In Vers 4 sprichst du das Zittern des lyrischen Ichs an... Angst? Bangen vor dem, was folgt? Klar, vorher kann man immer sagen, man fürchte den Tod nicht (
    in der Kurzgeschichte wird er ja auch eher als Erlösung gesehen), aber im Endeffekt bleibt doch dieses Maß an Ungewissheit, was danach kommt, ob man dann wirklich ganz weg vom Fenster ist und ein kleiner Teil in einem selbst möchte auch noch nicht sterben.
    Interessant finde ich, dass das lyrische Ich gegen das... Unvermeidbare, sag ich ma ankämpft, es dennoch von eben diesem zur "
    Tat verführt" wird. Fast wie so eine Willenskontrolle -kennt man ja auch vielen Filmen-, bei der der... Hypnotisierte doch noch einen letzten Funken Hoffnung und Gegenwehr in sich trägt. Meist wird er dann ja auch von dem jeweiligen Bann befreit oder es gelingt ihm selbst, sich da heraus zu winden. Mal schauen, wie es sich hier verhält.




    Das Messer in des Herzens Gegend


    Ach, (Komma) was hab ich sehnst erwartet,
    den Tag, (Komma) an dem ich Waffen trage.
    Hab gezittert, nur vor Wut
    Von dir beschwört, steh ich nun hier
    Verlässt mich doch der Mut?

    Ein Messer ist also im Spiel, interessant. Vorhin kam bei mir auch der Gedanke auf, dass der "Todeskuss" eventuell so interpretiert werden könnte, dass es der Abschiedskuss von seiner/m Liebsten ist, halt der Kuss vor dem Tod... wohl eher unwahrscheinlich x3
    Schön, dass du die zweite (und ja auch die dritte) Strophe mit einem Repetitio beginnst, ich mag solche einfachen, aber doch wirkungsvollen Stilmittel :3 Das bringt da so eine gewisse Struktur in das Gedicht, was ja auch durchgängig eben aufrecht erhalten wird.
    Je mehr ich darüber nachdenke... das lyrische Ich trägt also das Messer, ist ja immerhin eine Waffe... erst dachte ich, das wäre sowas Abstraktes wie die KG mit dem Tod, die du mir letztens geschickt hast, inzwischen jedoch denke ich (ja, ein Geistesblitz xD) bzw könnte ich mir vorstellen, dass es sich beispielsweise um eine von ihrem Mann misshandelte Ehefrau handelt, auf jeden Fall eine Person, die unter dem Zusammenleben mit einer anderen sehr leidet. "Plagen" kann ja auch gleichgesetzt werden mit "Quälen", und manche Männer vergehen sich ja auch brutalst an ihren Frauen und sogar ihren Kindern... dass die misshandelte Person, also das lyrische Ich, das irgendwann nicht mehr aushält und somit zu härteren Bandagen greift, sprich sich eine Waffe anzueignen, ist da nur nachvollziehbar. Bleiben wir auf diesem Wege, so ergibt sich, dass das lyrische Ich momentan mit seinem Gegner kämpft und ebenso gewisse Zweifel in sich hegt. Schafft das lyrische Ich, sich am Ende durchzusetzen? Lässt es sich doch weiter demütigen?
    Metrisch betrachtet verwendest du in beiden Strophen bisher nur Jamben und Trochäen, wenn ich mich recht entsinne, beginnst also entweder betont oder unbetont und dann immer abwechselnd... also, ich weiß nich, ob das Zufall war oder gewollt, jedenfalls gefällt mir das gut so ;> Schafft auch noch ma so ne spezielle Regelmäßigkeit, ich für meinen Teil verabscheue nämlich Unordnung ^____^
    Hier wird eine weitere Eigenschaft des lyrischen Ichs deutlich, ich meine, neben seinen Zweifeln, nämlich die Wut. Auch hier schönes Repetitio mit dem Zittern, dass man dies im Zorn tut, sollte auch allgemein bekannt sein, und wenn es selbst dazu kommt, muss die Rage wirklich enorm sein :o Sprich das lyrische Ich hat über einen längeren Zeitraum sozusagen alles in sich hinein gefressen und letztlich diesen Plan entwickelt, dem Ganzen ein Ende zu setzen... es weiß sich anders nicht zu helfen und greift jetzt zur Waffe. Wir nähern uns der Klimax :D





    Der erste Vers dieses Zitats klingt fast wie ein Befehl, zumindest wirkt es auf mich so. Kein richtiger, mehr so etwas Abschließendes, was sich jedoch mit dem der vorigen Strophe ganz gut ergänzen lässt. Jetzt wirfst du meine gesamte Interpretation wieder um xD Ähm, ähm, lass mich überlegen... wenn man das so sieht, hieße das theoretisch, dass das lyrische Ich seinem Feind das Messer so irgendwo in der Nähe des Herzens reingerammt hat... Nun ja, ma schauen, ob mir dazu noch was einfällt.
    Wieder ein Repetitio, und gerade jetzt fällt mir auf, wie dieses "sehnst" auf mich wirkt, nämlich so, dass das lyrische Ich sich von seinem Gegenüber die ganze Zeit ein anderes Verhalten gewünscht hat. Es hat darauf gewartet, dass sein Partner sich ändert, hat bis zuletzt gehofft, man könne doch noch etwas retten und es müsse nicht zu so drastischen Maßnahmen greifen. Zum Fliehen hatte es scheinbar zu große Angst, hört man ja auch immer, dass solche Menschen sich nicht trauen, ihrem Leid den Rücken zu kehren. Das lyrische Ich ist dementsprechend recht... hoffnungsvoll, dennoch eingeschüchtert, ein Sensibelchen, das alles in sich hinein frisst, bis es nicht mehr geht und ganz zuletzt noch sehr rigoros, will es seine Probleme mit Gewalt lösen.
    Die letzten Verse... gut, dass mit dem "benetzt nun mein Gesicht" könnte zum Todeskuss passen, in dem Sinne, dass es jemanden umgebracht hat vielleicht (oder das viele Blut, also in symbolischer Bedeutung, das bei der Tat verspritzt wird... ja, ich denke zu splattermäßig x3) . Ansonsten... muss ich mich vor diesem Gedicht wirklich geschlagen geben, so leid es mir tut ._. Ich finde es gerade etwas deprimierend, dass meine gesamte Facharbeit quasi nur aus Gedichtanalysen bestand und ich es jetzt nicht auf die Reihe bekomme, dieses Werk von dir hier gescheit zu interpretieren ~3~ Und ehrlich gesagt bin ich immer noch nicht dahinter gekommen, was es nun mit dem Titel auf sich hat... argh, das wird ja immer schlimmer mit mir >____< Bestimmt ist es wieder sowas richtig Simples ...
    Auf der anderen Seite hat es natürlich auch etwas Gutes, dass man das nicht kann. Man hat die Möglichkeit, sich viele unterschiedliche Gedankengänge dazu zu überlegen, und nur, weil ich hier nicht weiterkomme, heißt das nicht, dein Werk sei schlecht. Im Gegenteil, ich finde, es erzeugt durch die Mischung von Ordnung (Metrum, Repetitio) und Abstraktheit genau die Wirkung, die ich mir bei Poesie und Lyrik wünsche, es besitzt Atmosphäre (eine sehr verzweifelte, wie ich hier ma anmerken muss), etwas Endgültiges, Dramatisches, ohne dass es zu viel verrät - and I love it. Ich meine, Heinrich Heine schreibt Gedichte mit 2000 Strophen und du schaffst es, mich mit dreien zu begeistern, das ist ein großes Lob ^____^

    Abschließend kann ich sagen, dass mir beide Werke von dir sehr gefallen haben. In ihnen finden sich, wenn ich es richtig gedeutet habe, spannende und mitreißende Themen wieder, die jeder kennt, allerdings kaum jemand anspricht. Schade, denn aus ihnen lässt sich eine ganze Menge herausholen, wie du hier eindrucksvoll bewiesen hast. Ich bin froh, damals auf dein Topic gestoßen zu sein, wirklich, sonst wäre mir eine Perle hier im Bereich entgangen :>


    LG


    Namine ~

    Bonsoir, mes amis :3
    Ja, die ehemalige Schattenseele meldet sich auch ma wieder, natürlich mit einem entsprechenden Vorschlag im Gepäck. Und zwar möchte ich als beste Kurzgeschichte "All I know is falling " von Dachs vorschlagen. Ich habe seine letzten Werke zwar nicht kommentiert, dennoch weiter mitverfolgt und finde, diese Kurzgeschichte hat es zumindest verdient, hier vorgeschlagen zu werden. Warum? Nun, Dachs' Werke sind meiner Meinung nach sowieso sehr gelungen, doch diese Kg besticht einfach durch ihre ganz spezielle Atmosphäre. Allein der erste Absatz fesselt den Leser förmlich an die Geschichte. Sie verrät nicht zu viel und gleichzeitig nicht zu wenig, man weiß in etwa, wo man sich zu befinden hat, ohne dass endlos lange auf äußerliche Begebenheiten etc eingegangen wird - was bei Kurzgeschichten ohnehin fehl am Platz ist - oder ellenlange Charakterbeschreibungen folgen, auf jeden Fall ein Pluspunkt. Die Story scheint mit einer simplen Floskel zu beginnen, nämlich der Revue des Lebens kurz vor dem Tode. Kennt ja wahrscheinlich jeder, trotzdem habe ich bislang niemanden hier gefunden, der so direkt darüber geschrieben hat. Es hat Einzigartigkeitswert!
    Zudem muss ich sagen, dass mich Geschichten, in denen es um Selbstmord geht, besonders faszinieren, aber das ist ja meine eigene Meinung.
    Schon zu Anfang wird man neugierig gemacht. Der Protagonist hat diejenigen in seinem Umfeld enttäuscht - aber weshalb, möchte man natürlich wissen, und Dachs begegnet diesem Aspekt gekonnt und vor allem geordnet. Nichts wird durcheinander geworden, Stück für Stück werden die Ereignisse in einem angenehmen Tempo abgearbeitet und erklärt. Man erfährt nach und nach, was der Erzähler alles erleben musste in seinem Dasein und im Zuge dessen ebenso die Gründe für seine drastische Entscheidung. Durchaus nachvollziehbar, wie man am Ende, finde ich, doch eingestehen muss, und genau das ist ja so wichtig bei einer (Kurz)Geschichte.
    Dachs verwendet jetzt nicht unbedingt einen sonderlich hochgestochenen Schreibstil mit 100 Fremdwörtern, oder versucht, möglichst lange Schachtelsätze mit etlichen Beschreibungen einzubauen. Vielmehr überzeugt er mittels seiner einfachen und verständlichen Wortwahl, die auch den gewünschten Effekt erzielen. Etwas anderes würde wohl auch kaum zu seinem Stil passen. Wichtig finde ich auch, dass er eigentlich die Kriterien erfüllt, die eine Kurzgeschichte haben sollte. Es dreht sich um einen einzelnen Moment, eine Problemsituation ist vorhanden, Umgebung nicht unbedingt so relevant... und man macht sich Gedanken. Ich persönlich habe sehr mit dem Protagonisten mitgefühlt bei dieser Kurzgeschichte, obwohl keine übermäßigen Gefühlsbeschreibungen vorhanden waren, aber dennoch konnte ich mich gut in ihn hinein versetzen. Und ich denke, deshalb ist dieses Werk von ihm es auf jeden Fall wert, hier vorgeschlagen zu werden und mit Glück einen guten Platz zu machen :3


    LG


    Namine ~