Ich bin ein absoluter Nachtschwärmer. Ich gehe im Dunkeln spazieren, im Sommer sind meine Vorhänge zu und Licht kann nicht nun mal gar nicht ausstehen. Deswegen bin ich doch sofort mit Herz und Seele bei diesem Gedicht stehen geblieben.
Zitat
Bin seit Jahren unterwegs in dieser Nacht –
trügend still, bald stürmend harsch, dann ruhend sacht.
Super Einleitung. Entweder man identifiziert sich sofort damit oder man weiß zumindest welche Situation man sich vor Augen zu führen hat.
Zitat
Hab viel geseh'n, hab keine Angst vor nichts und nimmermehr
und dennoch fühl ich, liegt es mir im Herzen allzu schwer,
wie ich immer wieder ein lockend Lichtlein seh,
entflammt von neuer Hoffnung in seine Richtung geh
und erkenn, ich schlummerte bloß in gar süßem Traume –
was denn auch sonst, was erhielt mich noch so bei Laune?
Alles anzeigen
Oh, ich persönlich sehe im letzten Vers eine gewissen Sarkasmus. „Was denn auch sonst“ lässt vermuten, dass das lyrische Ich schon öfters diesem erträumten Licht zum Opfer gefallen ist. Diese Tatsache erweckt im lyrischen Ich weniger Verzweiflung, als einen gewissen schwarzen Humor, der ihn dann doch wieder bei Laune hält. Ich kann mir richtig vorstellen, wie es vor Bitterkeit kurz auflacht, bevor es seinen Weg im Dunkeln weitergeht. Schöne Wortwahl auch. Licht, Hoffnung, Traum... die Worte haben alle einen gewissen gemeinsamen Touch. Sie können für Erwartungen stehen (das Lichtlein sehe ich hier als „Licht der Hoffnung“ ), die sich auf die Zukunft beziehen. Interessant, dass hier dann der Traum „schuld“ ist, dass das Licht und die Hoffnung wieder erlischt. Der erste Vers, lässt mich glauben, dass das lyrische Ich schon viel gesehen und erlebt hat. Vielleicht auch der Grund warum es am Ende sich nicht von der erlischten Hoffnung zerstören lässt, sondern nur „mit den Schultern zuckt“?
Zitat
Und selbst wenn ich freudig im Lichte mich bade,
ist dies kurze Glück nur des Lebens Fassade:
Denn auch der Sonne Frohmut spendend Schein,
da sag ich's selbst, ist aber auch nur Schein.
Ich weiß, die Finsternis wird wiederkehren,
ach! ewiglich, ich fürchte, wird sie währen.
Alles anzeigen
Der Paarreim in der Mitte der Strophe hat einen schönen Bezug zur zweiten Strophe. Der Schein als Licht, wird als Trugschein (Traum?) enttarnt. Hier frage ich mich ob das lyrische Ich nun ein Realist oder doch Pessimist ist...? Da komm ich aber in Bedrängnis mit meinen eigenen Gedanken, da ich mich doch als Realist sehe, aber glückliche Momente genau so betrachte, wie das lyrische Ich. Interessant, dass man Glück als vergänglich betrachtet, während die Finsternis als „ewiglich“ angesehen wird (kann sie das denn sein, wenn es doch kurze Momente des Lichts gibt?). Dann frag ich mich, ob das lyrische Ich Glück überhaupt erkennt. Hier wird es als „Fassade“ und „Schein“ bezeichnet. Aber nur weil die Finsternis wiederkehrt, ist das Glück doch nicht „Schein“? Okay, ich komme zu den Schluss, dass das lyrische Ich vielleicht nicht Pessimist ist, aber etwas deprimiert.
Zitat
Doch ruft mich denn erneut ein Stern,
ein Hoffensschimmer, ob nah, ob fern,
ob weiß, ob heiß, ob kalt im Kern –
ganz gleich ist's mir, denn ich such ihn gern.
„Ich lern wohl nie was dazu“<- das wäre jetzt mein Gedanke in dieser Situation. Egal ob ich nun oft auf die Schnauze gefallen bin. Ich renn zum Stern wie die Motte fliegt zum Lichte... Hauptsache ich habe etwas wohin ich rennen kann. Lässt das die Finsternis leichter ertragen? Hier wieder wirkt das lyrische Ich eher wie ein Optimist. „ist doch egal, ob das Glas halb leer ist. Jetzt grad ist es für mich halb voll...“
Zitat
Er verleihet mir Trost, er schenkt mir Erfüllung
und so begreif ich, der Weg ist das Ziel –
ihm zu folgen, das ist meine Bestimmung,
auch wenn es Dir noch so oft missgefiel.
Hmm... das ist interessant. Anscheinend lässt es die Finsternis wirklich leichter ertragen. Bestimmung und Erfüllung gehören für mich zusammen. Aber ist Trost nicht eine Art Hoffnung? Widerspricht sich hier das lyrische Ich oder gesteht es nur ein, dass ihm allein der Schein schon genug Licht ist? Ich denke es ist ein Zwiespalt in dem man sich oft befindet.
Zitat
Egal wie sehr die Sonne mich auch angelacht,
dort stumm verweilen, für mich kein Leben.
Mein Geist wird immer nach Neuem streben,
doch mein Zuhaus, das ist und bleibt allein die Nacht!
Da gebe ich dem lyrischen Ich recht. In einem glücklichem status quo zu verweilen gleicht mir dem Tode. Ist das noch Leben, wenn man nur glücklich ist? Für mich macht es erst einen Sinn, wenn man immer wieder das Glück erreichen muss (denn schließlich ist der Weg das Ziel J ) Ich wage mich mal in die Weite der Interpretation hinein und sage, dass die Nacht/Finsternis für genau dieses Streben/Suchen steht. Am Ende für das Leben selbst? Schließlich zwingt uns nur die Dunkelheit uns fortzubewegen, während das Licht dazu einlädt zu verweilen (und somit anzuhalten).
===================
Mir kommt es immer vor als ob ich kaum was schreibe, aber am Ende ist es massig viel Text (ohne viel Aussagekraft XD). Ich hab mir "Zerfall" auch mehrmals durchgelesen und werd es wieder tun, bevor ich es kommentiere. Da ich aber ein Freund von "alleinstehenden" Worten bin, kann ich dir sagen, dass es mich sehr anspricht. Ich finde einfach Sätze schwächen oftmals eine Bedeutung, während ein Wort alleine, so viel ausdrücken kann. Aber zu dem Gedicht, wie gesagt, später mehr.