Beiträge von Shimoto

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“

    Moin, moin Rusalka,


    teilweise überrascht aber keineswegs unglücklich, mal wieder von jemand (neuem) ein Kommi zu kriegen, will ich direkt mal drafu eingehen.



    "Wenn du ein weinendes Mädchen siehst, dann sei ein Mann und tröste sie.
    - Wave (Akame ga kill)


    Die menschliche Neugier ist einfach unglaublich unvernünftig.
    - Kyuubey (Mahou Shoujo Madoka Magica)


    Wenn jemand sagt, dass es falsch ist Hoffnung zu haben, werde ich dieser Person jedes Mal sagen, dass sie falsch liegt.
    Kaname Madoka (Mahou Shoujo Madoka Magica)


    Wünsche sind nicht umsonst. Für jedes Bisschen Hoffnung, dass man sich wünscht, entsteht ein gleiches Maß an Verzweiflung. So bleibt diese Welt im Gleichgewicht.
    Kyouko Sakura (Mahou Shoujo Madoka Magica)


    Ich weiß da ist viel MSMM dabei, aber der Anime hat auch einfach ein paar der besten Zitate.

    Moin, moin und hallo,


    diesmal lasse ich mir nicht so viel Zeit mit dem Re-Kommi für dich :)
    Danke, dass du so fix warst.


    Und danke auch für das Lob. Ich denke es stimmt schon, dass man erkennt, sobald der Autor Spaß am Schreiben hat und hier hatte ich es definitiv in überdurchschnittlichem Maße. Ich hoffe, ich kann das halten.


    Wiederschauen, reingehauen!



    Kapitel 19: Konfrontation


    Der Mensch konnte wahrlich träge sein. In diesem Fall war er es allerdings ob der enormen Erschöpfung des Körpers kaum möglich, dem einen Vorwurf zu machen. Bestimmt schon eine halbe Stunde drang sanftes Zwitschern fröhlicher Vogelpokémon an sein Ohr. Er ignorierte es stur und drehte sich in den weißen Laken seiner Schlafstätte, um die erheiternden Sonnenstrahlen an seinem Rücken abprallen zu lassen. Sie wärmten ihn selbst durch seine Decke und luden zum müden Verweilen an Ort und Stelle ein. Eigentlich war er schon längst aus seinen Träumen erwacht, doch seine Augenlider wollten sich einfach nicht bewegen und so richtig war Andrew auch nicht danach, sie zu öffnen. Einfach noch etwas weiterschlafen. Das wär´s jetzt. Doch es war bereits zu spät. Wenn er einmal wach war, schlief er nicht so schnell nochmal ein. Angesäuert von dieser Tatsache schoss er plötzlich in seinem Bett nach oben und raufte sich die zerzausten Haare.

    „Verdammt, knips mal jemand die Sonne aus!“

    Das jemand sogleich auf diesen Ausruf antworten würde, hatte Andrew nicht erwartet, obwohl er im Grunde Dauerbesuch hatte.

    „Wenn ich das könnte, hätte ich´s schon auf dem Floß gemacht.“

    Ryan erwachte selbst gerade und murmelte seine Worte ebenfalls noch schlaftrunken von einem temporär in der Ecke des Raumes platzierten Drehstuhls aus in Richtung Krankenbett. Er verbrachte seit ihrer Ankunft im Krankenhaus von Faustauhafen – was nun zwei Tage zurück lag – einen Großteil seiner Zeit in diesem Zimmer. Natürlich schlief Ryan hier nicht. Doch er kam schon in aller Früh hierher, um nach seinem besten Kumpel zu sehen. Da dieser noch fest im Land der Träume gewandelt war, hatte er die Gelegenheit einfach genutzt, selbst noch etwas zu dösen. Andrew hatte seinen Hitzschlag gut überstanden, obwohl er bei Ankunft einige Stunden ohnmächtig gewesen war. Sein Körper war noch geschwächt, weswegen er auf Anweisung des behandelnden Arztes erst morgen entlassen werden konnte. Typische Vorsichtmaßnahme der Mediziner.

    „Wie geht’s dir so?“

    „Müde.“

    Ryan schmunzelte, schüttelte gleichzeitig jedoch fassungslos den Kopf.

    „Und abgesehen davon?“

    „Jetzt frag doch nicht dauernd, Ryan. Ich hatte weder einen Herzinfarkt noch einen Schlaganfall. Mach nicht so´n Wind.“

    „Dafür hatte ich fast beides“, beteuerte Ryan und hob die Stimme dabei ein wenig. Wollte er etwa darauf hinaus, dass seine Sorge unberechtigt war? Ob Hitzschlag oder Herzinfarkt – unbehandelt war man hinterher genauso tot.

    „Du weißt doch, dass ich Mitleid hasse.“

    „Deswegen kriegst du auch keins von mir. Aber du brauchst nicht den Starken zu markieren, wenn du beinahe draufgegangen wärst.“

    Andrew ließ sich in die Federn zurückfallen und drückte sich das Kopfkissen über die Augen. In erster Linie tat er dies, um sich vor der Diskussion mit Ryan zu flüchten. Dass die Rolle des Erwachsenen, der einem kleinen Jungen etwas Offensichtliches eintrichterte, zwischen ihnen ständig wechselte, war nichts Ungewöhnliches und sobald er wieder auf den Beinen war, würde so etwas auch keine Rolle mehr spielen. Das war allerdings kein Grund für Andrew, solche Belehrungen nicht scheiße zu finden. Auf der anderen Seite hatte es wohl keinem von beiden jemals geschadet.

    „Wie spät haben wir´s?“

    „Gleich halb elf“, antwortete Ryan nach einem kurzen Blick auf das Ersatzgerät für seinen defekten Pokégear. Ein vergleichbares Gerät konnte man eh nicht auf die Schnelle auftreiben. Die musste man meist bestellen und liefern lassen. Nach Hause verstand sich, sowie mit enormer Wartezeit, weshalb er nun ein Outdoor-Handy mit sich führte. Es war deutlich robuster gegen Stoßeinwirkung, absolut wasserdicht und neben Videoanruf- und Kartenoptionen auch mit GPS, Taschenlampe und weiteren Optionen für Notfälle ausgestattet. Ein erstklassiges Gerät für Reisende in der Wildnis.

    Mit einem undefinierbaren Murren nahm Andrew die Information zur Kenntnis. Dann herrschte einige Momente lang Stille, was die Überleitung zu einer ernsteren Atmosphäre bildete. Das betroffene Schweigen war in den letzten 48 Stunden immer ein Zeichen dafür gewesen, dass die Gedanken bei einem Freund waren, dem es sogar noch schlechter ergangen war als den beiden Trainern.

    „Gehst du dann nach Dragonir sehen?“

    „Mhm.“

    Dragonir war gleich nach Ankunft der beiden zusammen mit all ihren anderen Pokémon ins Pokémoncenter geschickt worden. Dort hatte es mehrere Stunden auf der Intensivstation verbracht und die folgende Nacht unter ständiger Beobachtung gestanden. Am nächsten Morgen hatte Schwester Joy Entwarnung gegeben. Die Blutung sei gestoppt und es bestünde keine Lebensgefahr, solange es so bleibt, hatte sie berichtet. Selbstverständlich musste es zur Erholung noch einige Zeit die Krankenstation hüten, doch die Erleichterung bei Ryan und Andrew, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls das Schlimmste hinter sich gehabt hatte, war gigantisch gewesen.

    Die jungen Trainer sprachen nicht weiter. Der guten Nachricht zum Trotz war die Stimmung noch immer gedrückt, wenn Dragonirs Zustand zur Sprache kam. Die Erinnerungen sowie die Vorstellung, was hätte passieren können – was beinahe passiert wäre! – machten es vor allem für Andrew schwer, darüber zu reden. Nachdenklich sah er nun aus dem geöffneten Fenster. Das Wetter war prachtvoll. Die Sonne strahlte, vereinzelte, kleine Wolken zogen am Himmel und die Pokémon, die ihn zuvor mit ihren morgendlichen Gesängen aus dem Schlaf gerissen hatten, zwitscherten munter weiter. In der ersten Nacht hier hatte es Sturm gegeben und somit wenig Schlaf für Andrew, da ihn prasselnder Regen auf den Fensterscheiben sowie grelle Blitze und krachender Donner nicht zur Ruhe hatten kommen lassen.

    Ryan registrierte Andrews abwesenden Blick und Gemütszustand, weshalb er beschloss, ihn nicht weiter zu stören. Er nahm sich seine neue Jacke vom Stuhl und warf sie über. Er hatte an seiner dominanten Kleidungsfarbe festgehalten und sich für ein moosgrünes Sweatshirt mit Reißverschluss und Stehkragen entschieden. Es hatte ihm auf Anhieb zugesagt, da sie auf Höhe von Brust und Taille mehrere Taschen mit Reißverschluss besaß, in denen er viele Habseligkeiten, die immer griffbereit sein mussten, verstauen konnte. Portemonnaie, Pokédex, Handy, Taschenmesser, solche Sachen eben. Und zu jenen Habseligkeiten gehörte auch der grüne Orb.

    Aufgrund des freundlichen Wetters trug Ryan das neue Kleidungsstück offen und offenbarte darunter sein dunkelgraues Shirt, das leicht surreale Schatten der berühmtesten Bauwerke seiner Heimatstadt zeigte. Da er sein Cappy verloren hatte, präsentierte Ryan seinen blonden Schopf nun unbedeckt. Seine Haare wurden für seine Verhältnisse allmählich etwas lang, reichten bald gänzlich über die Ohren, doch er entschied sich dazu, sie zur Abwechslung mal wachsen zu lassen. Unter der Kopfbedeckung hatte er einen eher kurzen Schnitt bevorzugt, doch nun war ihm einfach nach etwas Neuem. Wohl auch deshalb, da er bereits in mehreren Geschäften nach einer neuen Mütze gesucht hatte und ihm keine hatte gefallen wollen.

    Auf dem Weg ins Erdgeschoss des vierstöckigen Gebäudes drifteten seine Gedanken zu Dragonir, aber auch Hydropi und ihrer beider restlichen Pokémon. Er dachte an die ganze Bande, die bei ihm zu Hause eine glückliche und sorgenfreie Zeit genossen und in kameradschaftlichen Wettkämpfen ihre Kräfte maßen. Er dachte an seine Mutter, die liebevoll für sie alle sorgte und das neben ihrem Beruf als Hotelmanagerin. Bald würde die Touristensaison am Silberberg beginnen und ihr folglich viel Arbeit und Stress ins Haus schleppen. Hoffentlich überarbeitete sie sich nicht wieder.

    Der Gedanke daran, sie alle nie wieder sehen zu können, gehörte zu den größten Ängsten, die Ryan in seinem Herzen trug. Vor seinem inneren Auge erschien sie. Eine aufgeschlossene und taffe Frau in dunkelblauer Hoteluniform und das lockige, schwarze Haar zu einem Zopf gebunden, der ihren Nacken kitzelte. Und dann einmal in einfacher Jogginghose und lässigem Trägertop. So, wie sie sich nur ihren eigenen vier Wänden zeigte. Wie sie die bereits geduldig wartenden Pokémon im großen Areal hinterm Haus fütterte, mit einigen von ihnen – darunter ihr persönlicher Liebling, Vulnona – spielte und belustigt ihre Duelle beobachtete. Ryan wünschte sich, er wäre jetzt bei ihnen. Das geschah nur sehr selten, doch nun, wo er sich bewusst wurde, dass er all das beinahe verloren hätte, fühlte er sich allein. Schlimmer noch, er fühlte sich schwach, angreifbar. Was war er denn ohne sie alle? Was konnte er ohne ihre Hilfe tun? Er konnte weder andere beschützen noch sich seinen Feinden stellen. Und er hatte sie zurückgelassen. Wieso?

    Ryan wandelte wie in Trance durch die breite Glastür hinaus ins Freie, ließ die grellen Sonnenstrahlen an sich abprallen, ohne sich zu erlauben, ihre Wärme zu genießen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben starrte er mit jedem Schritt bloß die Pflastersteine des Gehweges an. Die Leute, die ihm entgegenkamen, mussten ihm ausweichen, da er ihre Anwesenheit nicht einmal bemerkte. Immer wieder stellte er sich bloß die Frage nach dem Grund. Dem Grund für sein Handeln. Dem Grund für seine Dummheit. Warum er plötzlich etwas anderes empfand, wenn er an seine Partner und Gefährten dachte, als bittere Enttäuschung. Zuletzt hatte er ausschließlich das gefühlt. Alles wegen einem einzigen verlorenen Kampf. Einer, der ihm alles bedeutet hatte. Doch wie schwer wog dessen Ausgang im Vergleich zu jenen Gefährten, die ihn mit ihm zusammen bestritten hatten? Jene, die Ryan in jeder Situation die Treue gehalten und ihre eigene Gesundheit auf´s Spiel gesetzt hatten, selbst wenn die Dinge schlecht standen. Um sie ging es hier. Nicht um ihn. Und er wollte sie wieder um sich haben. Wenigstens ein paar von ihnen.

    Ryan bog um eine Ecke. Es existierte eine einzige große Hauptstraße in Faustauhafen, der sowohl die Einkaufsmeile als auch einige Firmengebäude und nicht zuletzt das Pokémoncenter angehörten. Es fand sich inmitten einer Häuserreihe mit verschiedensten Läden und Geschäften, über denen weitestgehend eher billige Wohnungen lagen. Ein ganzes Stück die Straße runter veränderte sich das Bild der Stadt ein wenig. Das Zentrum Faustauhafens war von Gebäuden dominiert, die schon aus der Ferne nach Schreibtischakrobaten, Schlipsträgern und Bürostuhlrennfahrern roch. Aus den höheren Stockwerken vermochte man vermutlich das Meer betrachten zu können. Es war gerade so die größte, aber mit Abstand die prunkvollste Stadt, die Ryan und Andrew auf ihrer bisherigen Reise durch Hoenn durchwandert hatten. Zugegeben, die Messlatte lag mit Wurzelheim und Blütenburg als Vorreiter dieser Liste noch sehr niedrig, doch wenn man seit der Anreise nur Kleinstädte gesehen hatte, erschien Faustauhafen gleich viel größer und mächtiger.

    Das Pokémoncenter rückte immer näher. Mit jedem Schritt gewann ein unglaublicher Enthusiasmus die Oberhand über Ryan. Zwischen all seinen Gedankengängen, Selbstzweifeln und vor Emotionen schwangeren Fragen klärte sich die geblendete Sichtweise in Bezug auf seine Pokémon. Eine Binde schien von seinen Augen zu fallen, die ihm nur ein düsteres Urteilsvermögen erlaubt hatte. Er beschleunigte seine Schritte. Die behandschuhten Hände wanderten aus den Taschen und ballten sich entschlossen zu Fäusten. Ryan musste einfach laufen. Er beschleunigte, legte ein eiliges Tempo an den Tag, bis er schließlich rannte. Einige verwunderte Blicke ließ er über sich ergehen, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen. Dann lächelte er. Es war voller Vorfreude. Voller Energie. Ja. Ja, er hatte es begriffen. Er hatte entschieden. Er hatte verstanden. Er hatte sie gefunden. Die Antwort.


    Obwohl er es doch so eilig hatte, hielt Ryan einen Moment vor den breiten Schiebetüren des Pokémoncenters inne. In erster Linie tat er dies, um sich ein wenig von seiner Euphorie zu lösen. Außerdem hatte er nach seinem Sprint etwas Luft zu schnappen. Er besuchte schließlich eine öffentliche Einrichtung, in der er sich wie ein Irrer auf irgendeinem Trip erscheinen wollte.

    Sowohl Andrews als auch seinem eigenen Pokémon, war in den letzten Tagen wahrlich viel zugemutet worden. Hydropi war gerade erst in diese Welt außerhalb des Labors von Professor Birk eingetaucht und dabei auf geradezu übermächtige Gegner getroffen. Magnayen, Schwalboss und Psiana hatten ebenfalls harte Kämpfe hinter sich und eine Erholungsphase mehr als nötig. Und dann war da natürlich noch Dragonir.

    Aus irgendeinem Grund fühlte Ryan plötzlich Unbehagen. Das dunkle Krächzen eines Pokémon drang an sein Ohr. Vom Dach des Centers blickte ein schwarzer Rabe mit stolzen, weißen Brustfedern und einem blassgelben, spitzen Schnabel auf ihn herab. Die Augen des Kramshef wurden dabei fast vollständig von seinen markanten Kopffedern verdeckt, die an einen Hut erinnerten. Es starrte ihn präzise an. Der junge Trainer versuchte sich desinteressiert und unbeeindruckt zu geben und den Vogel so zum Verschwinden zu bewegen. Doch die funkelnden Augen durchschauten die Fassade sofort und der Blick verschärfte sich. Einige Sekunden lang schien die Zeit zwischen den beiden still zu stehen. In derselben Zeitspanne fragte Ryan sich, wie es denn auf einmal zu dieser skurrilen Situation hatte kommen können. Die dicke Luft zwischen ihnen schmeckte ihm gar nicht. Er konnte diesem Kramshef doch eigentlich ziemlich egal sein und umgekehrt würde dasselbe gelten, würde es ihn nicht so unentwegt anstarren. Gerade rechnete Ryan schon mit so manchem – einer Drohgebärde oder gar einem Angriff –, da breitete das Kramshef plötzlich erhaben seine Schwingen aus und flog überlegen krächzend davon. Leicht verwundert sah er ihm mit gehobener Braue hinterher, wandte sich aber rasch wieder ab, damit mit er heute noch ins Center kam. Ein Kramshef mitten in der Stadt und das auch noch am helllichten Tag war mehr als ungewöhnlich. Diese scheuen Flugpokémon waren eigentlich nachtaktiv und fern der Zivilisation in den Wäldern beheimatet. Es gehörte also mit großer Wahrscheinlichkeit einem Trainer.

    Bei diesem Gedanken hielt Ryan erneut inne und warf einen misstrauischen blick über die Schulter. Wenn dieses Pokémon wirklich jemandem gehörte, bedeutete das dann, dass er beobachtet wurde? Er stellte den Kragen seiner Jacke auf, sodass Kinn und Wange fast vollständig darunter verschwanden und sah sich unauffällig um. Kramshef war bereits außer Sicht und ansonsten erkannte er nirgends verdächtige oder auffällige Personen. Dennoch ließ er geduldig seinen Blick genaustens durch die Straßen wandern. Ryan war sicher nicht paranoid, doch seit Team Rocket nun offiziell in Hoenn aktiv war, erachtete er etwas Vorsicht als nicht verkehrt. Und wenn ihn wirklich jemand im Auge behielt, dann sollte dieser jemand ruhig wissen, dass er nicht unbemerkt geblieben war.

    Schließlich schüttelte Ryan sein ungutes Gefühl doch ab und betrat die Einrichtung. So wie sich die automatischen Türen surrend hinter ihm schlossen, fühlte er sich sofort wieder in einer trauten Umgebung. Auch wenn kein Pokémoncenter wirklich einem anderen detailgenau glich, fühlte man sich doch mit jedem irgendwie vertraut. Himmelblau gefliester Boden, eine Sitzecke mit weiß gepolsterter Couch vor einer Fensterwand auf der einen, eine Reihe Bildtelefone auf der anderen Seite und zu guter Letzt der große Empfangstresen direkt voraus. Die örtliche Schwester Joy erblickte den Neuankömmling gleich und winkte diesen freundlich lächelnd herüber. Durch seine Besuche in den beiden vergangen Tagen hatte sie sein Kommen bereits erwartet und schien aufgrund ihrer Körpersprache sogar gutaufgelegt. Eventuell hatte sie sogar erfreuliche Neuigkeiten. Da Ryan abgesehen von einem jungen Pärchen, das auf der Couch Platz genommen hatte, der einzige Besucher war, musste er auch nicht weiter warten und marschierte schnurstracks auf die Krankenschwester zu.

    „Morgen, Ryan. Wie geht’s heute so?“

    Auch wenn man nicht behaupten konnte, dass er heute schlecht drauf war, zog der junge Trainer, bedingt durch seine Überlegungen und Gedanken auf dem Weg hierher, es vor, den Small Talk zu überspringen und zur Sache zu kommen.

    „Das hängt in erster Linie davon ab, was sie für mich haben.“

    Etwas verdutzt durch die Direktheit, musste sich Joy ein wenig um ihre freundliche Erscheinung bemühen.

    „Sicher doch. Ich werde nachsehen, ob sie wach sind. Warte bitte kurz.“

    Rasch verschwand sie durch eine Tür hinter ihrem Tresen. Kurz überlegte Ryan, ob er vielleicht unhöflich geklungen hatte, befand aber, dass sein Auftreten okay gewesen war. Vielleicht war Joy auch nur von seiner direkten Art auf dem falschen Fuß erwischt worden. Viele sahen in ihr und ihren zahlreichen Schwestern die personifizierte gute Seele der Stadt, der sie sich und ihre Pokémon jederzeit und ruhigen Gewissens anvertrauen konnten. Folglich wurde sie in der Regel mit Höflichkeiten und großem Respekt für ihre Arbeit und Hilfe überschüttet. Ryan sah das ein wenig anders. Natürlich mochte auch er die Joys und war ihnen dankbar dafür, dass sie unter anderem seine Partner gesund pflegten und obendrein auch halbwegs für seine eigenen Bedürfnisse sorgten. Doch letztendlich machte eine jede von ihnen auch nur ihren Job. Sie eigneten sich im Studium der Pokémonmedizin Wissen an, um mit jenem dann ihre Dienste der Bevölkerung anzubieten. Somit taten sie dasselbe, wie etliche andere Menschen in etlichen anderen Branchen auch. So funktionierte diese Welt. Und sie verdienten letztlich auch nicht schlecht daran. Es kam vor, dass Trainer mit dem Irrglauben aufwuchsen, ein Pokémoncenter wäre in jeder Hinsicht eine für sie kostenlose Einrichtung. Das lag dann meist daran, dass ihre Eltern den finanziellen Part ohne deren Kenntnis erledigten. Um als Pokémontrainer zugelassen zu werden bedurfte es nämlich nicht nur einer Schulung, welche je nach Anspruch und Region in der Länge variierte, oder gar einer speziellen Schulbildung, sondern auch einem happigen, monatlichen Beitrag an die Pokémon Trainer-Gesellschaft – kurz PTG –, der teils in deren eigene Kasse und teils in die der Ärzte floss. Diese Summe gewährleistete die Nutzung für jedes Pokémoncenter in der Region, wahlweise auch weltweit, was dann etwas kostspieliger wurde. Es war nicht so, dass man sich so häufig und lang in einem Center einquartieren durfte, wie man wollte, doch dank der nie endenden Inflation an Trainern war die Obergrenze glücklicherweise recht großzügig gesteckt, weshalb es allgemein selten vorkam, dass die PTG Nachzahlungen verlangte. Mit solchen musste man nämlich rechnen, wenn man es übertrieb.

    Ryan hatte über diesen Umstand stets Bescheid gewusst und immer sein Möglichstes getan, um seine Mom bei der Finanzierung zu unterstützen. Bevor er auf die Reise gegangen war, hatte er gut ein halbes Jahr in ihrem Hotel Drecksarbeiten erledigt, für einen rückblickend mickrigen Lohn. Doch das ewige Abwaschen in der Küche und Fegen der Böden sowie die elende Arbeit als Laufbursche und Depp vom Dienst hatten sich dennoch gelohnt. Schließlich verdiente in seiner Heimatstadt so gut wie niemand im minderjährigen Alter schon sein eigenes Geld – auch wenn die Ersparnisse kürzer überlebt hatten als erwartet. Doch nachdem er einige Zeit später regelrecht zum erfolgreichsten Rookie einer ganzen Region geworden war und angefangen hatte, Preisgelder zu gewinnen, später bezahlte Jobs in der Trainerszene und zwischenzeitlich sogar einen eigenen Sponsor gehabt hatte, hatte Mom immer weniger und schließlich gar kein Geld mehr schicken müssen. Im Augenblick hatte er keine größeren Einkommen in Aussicht und seine Sponsorenfirma war vor wenigen Monaten nach Kalos umgesiedelt, weswegen sie sich von ihm getrennt hatten. Doch sein finanzielles Polster war noch weit vom kritischen Stand entfernt. Dennoch würde er, sobald in Hoenn bekannt würde, dass er die lokalen Orden jagte, immer Augen und Ohren für potenzielle Erträge öffnen. Von allein finanzierte sich das Leben eines Trainers eben nicht und allein auf Preisgelder wollte er auch nicht setzen. Zu ungewiss. Zu unverlässlich.


    Aus dem Flur, der rechts am Tresen vorbeiführte, erklangen dezente Schritte. Ryan lugte um die Ecke und sah die Krankenschwester nun wieder freundlich lächelnd auf ihn zukommen.

    „Dragonir schläft noch tief und fest im Behandlungsraum. Wie zu erwarten ist es wegen der Medikamente und Schmerzmittel noch etwas träge. Aber wenn du möchtest, kannst du die anderen jetzt sehen.“

    Er nickte lediglich und folgte Joy, als diese auf dem Absatz kehrt machte und den Flur wieder hinunterlief. Die Wände waren hier in typisch sterilem Weiß tapeziert. Alle paar Meter verschloss auf jeder Seite eine wieder weiße Tür die Sicht auf den Raum dahinter. Unterbrochen wurde deren Reihenfolge von bunten Landschaftsbildern an der Wand.

    „Wie geht’s deinem Freund im Krankenhaus so, Ryan?“

    Ein wenig abwesend lief er neben Joy und beantwortete die Frage, ohne sie anzusehen.

    „Er reißt wieder Witze, also ganz gut. Morgen soll er entlassen werden.“

    „Freut mich zu hören.“

    Fast schon am Ende des Ganges schwenkten sie nach links und eine solche Tür wurde geöffnet. Der Anblick dahinter erinnerte zwar eher an ein Heim für entlaufene oder ausgesetzte Pokémon, doch der Anblick war für Ryan nicht neu. Es wurde immer von der Trainer Gesellschaft gewährleistet, dass sich gut um die Patienten gekümmert wurde, doch ein Hotel für selbige war ein Pokémoncenter definitiv nicht. So war es außerhalb des Machbaren, ihnen mehr, als eine Art Zelle zur Verfügung zu stellen, um sich auszukurieren. Immerhin war Wasser und Futter gegeben, ebenso wie eine weiche Schlafstätte.

    „Genau genommen, habe ich sogar eine Überraschung für dich, Ryan“, eröffnete Joy dann und ließ den Besucher eintreten. Die Käfige waren zweistöckig. In einem der oberen geriet sofort ein azurblaues Geschöpf in Aufregung. Es sprang auf seine Hinterläufe und krallte seine Hände in das Gitter. Orangefarbene Wangen und Bauchmusterung leuchteten regelrecht im farblichen Kontrast zum restlichen Körper und die dunkelblaue Flosse auf dem Kopf sowie zwei weitere, die wie ein Doppelschweif fungierten, zuckten wild, scheinbar erfreut.

    Ryan war noch nicht ganz an der Schwester vorbei, da drehte er sich nochmals zu ihr um und wartete auf einen bestätigenden Blick.

    „Es ist deins.“

    Sofort nahm ein breites Lächeln bei ihm Einzug und er begrüßte das Moorabbel.

    „Hey, Partner.“

    Er streckte eine Hand durch das Gitter und kraulte damit fürsorglich das Kinn seines weiterentwickelten Pokémon. Es genoss die Geste sichtlich.

    „Es war gestern noch immer völlig aufgedreht und energiegeladen, sodass ich es kaum untersuchen konnte. Es war, als wollte es gegen alles und jeden kämpfen, was sich bewegt“, erzählte Joy. Ryan hatte schon am Tag nach ihrer Ankunft in Faustauhafen Hydropi wieder mitnehmen dürfen und die Zeit für sehr intensive Trainingseinheiten genutzt, in denen das Wasserpokémon endlich aufgeblüht war. Die Unsicherheiten und Enttäuschungen der letzten Übungen waren schnell vergessen gewesen, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Abends hatte er das kleine Kraftbündel, wie er es inzwischen bezeichnete, stets ins Pokémoncenter gebracht, um sicher zu gehen, dass er es mit dem Training nicht zu weit trieb und keine gesundheitlichen Gefahren entstanden. Doch anscheinend hatte er es sogar noch unterfordert.

    „Es ist wie wild vom Behandlungstisch gesprungen und in den Flur gerannt. Ich musste Chaneira sanfte Gewalt anwenden lassen, um es zu beruhigen. Dabei hat es sich weiterentwickelt.“

    Ryan biss sich leicht auf die Unterlippe. Mann, war das peinlich. So etwas war ihm seit seinen Anfängen nicht mehr passiert. Vielleicht musste er Hydropi… oder besser Moorabbel etwas mehr Disziplin nahelegen.

    „Das tut mir leid. Hat es große Schwierigkeiten gemacht?“

    Sie verschränkte die Arme und zuckte lässig mit den Schultern.

    „Nichts, womit ich nicht früher schon zu tun hatte. Aber ein ruhiger Abend war es nicht.“

    Mit einem vorsichtigen Schmunzeln wollte Ryan sowohl Belustigung als auch eine leicht verlegene Entschuldigung ausdrücken und hoffte, dass bei dem Tumult nichts zu Bruch gegangen oder beschädigt worden war. Moorabbels Ermahnung auf später zu verschieben, schloss er jedoch aus.

    „Hab ich dir nicht gesagt, dass du dich benehmen sollst?“

    Er sprach es aus, als wüsste er genau, dass er es gesagt hatte. Und schließlich war auch genau das der Fall. Allerdings schien die Botschaft bedingt durch das Lächeln, dass er einfach nicht abstellen konnte, nicht ganz angekommen zu sein, da Moorabbel noch immer freudig auf und ab sprang.

    „Darüber reden wir später noch.“

    Mit einem sanften Klaps auf den Kopf ließ er von dem Pokémon ab und ließ sich von Joy seinen Pokéball aushändigen. Da er und Andrew wohl frühestens morgen wieder unterwegs sein konnten, würde Moorabbel wohl noch mindestens ein Mal hier vorbeischauen. Als es schließlich verschwunden war, wandte er sich wieder der Krankenschwester zu und wartete darauf, dass sie ihn zu Andrews Pokémon führte. Diese waren weiter hinten in den unteren Käfigen untergebracht. Als erstes entdeckte er das schwarze Fell Magnayens, das sich gerade einmal die Mühe machte, sein Dösen für einen kurzen Moment, in dem es aufsah, ohne den ruhenden Kopf von den Pfoten zu heben, zu unterbrechen. Doch da keiner der beiden Menschen vor diesen elenden Gittern sein Trainer war, bekamen sie nur Desinteresse zu spüren. Psiana dagegen saß in ihrer so unrühmlichen Behausung noch so stolz hinter dessen verschlossener Tür, als wäre es ein Thron. Den Kopf hoch erhoben und jede Bewegung von außerhalb genau beobachtend. Im hintersten saß Schwalboss. Der Raubvogel pickte sich gerade ein paar Körner aus seiner Futterschale und krächzte Ryan schließlich an. Er war mit diesem Pokémon nicht ganz vertraut, doch er schätzte es als eine Art Begrüßung ein.

    „Alle drei sind körperlich in gesunder Verfassung“, begann die Schwester ihm zu eröffnen.

    „Psiana und Schwalboss können wieder bedenkenlos trainieren. Ich muss hoffentlich nicht extra erwähnen, dass es ihnen dennoch nicht gut täte, wenn sie es gleich zu übertreiben.“

    „Sicher“, nickte Ryan ab. Das musste man sich in beinahe jedem Pokémoncenter anhören. Ein oder zwei Tage der Erholung draufzulegen, wäre ja ach so weise, aber dennoch gestatteten sie ihnen das Kämpfen. Doch er hatte längst aufgehört, sich über diesen Widerspruch zu wundern. So oder so galt es in seinen Augen gleich wieder Gas zu geben, sobald Joy eben die Erlaubnis aussprach. Er trainierte keinen Pokémon-Kindergarten. Wer nicht spurte, durfte auch nicht kämpfen. Und wer noch nicht fit war, ebenso wenig. Da kannte Ryan nichts. Einsätze im Kampf gewährte er nur für Leistung und Engagement.

    „Magnayen ist noch nicht ganz bei Kräften. Es zeigt Trägheit und frisst nicht besonders viel. Ich kann hier nichts mehr für es tun, also darf es morgen die Klinik verlassen. Von Kämpfen rate ich dir aber noch für mindestens drei Tage ab. Wenn du es langsam angehen lässt, kann ich erlauben, dass es wieder vorsichtig trainiert.“

    Warum sprach sie eigentlich mit Ryan, als wären es seine Pokémon? Sie wusste, dass sie zu Andrew gehörten. Zumindest hatte er ihr das gesagt. Egal, die Botschaft war jedenfalls angekommen und sie erfreute ihn durchaus. Doch es fehlte noch jemand.

    „Fein. Und wie sieht´s mit Dragonir aus?“

    Schwester Joy schien einen willkürlichen Punkt im Raum anzustarren, während sie überlegte. Dabei schürzte die nachdenklich die Lippen.

    „Sein Kreislauf ist noch geschwächt. Das kommt einerseits durch den Blutverlust und andererseits durch die Nachwirkung der Narkose. Über Nacht möchte ich es auf jeden Fall noch hier behalten. Wenn es gut läuft, darf es morgen wieder zu seinem Trainer.“

    Na also, jetzt stimmte die Ansprache.

    „Dragonir haben phänomenale Fähigkeiten bei der Selbstheilung und Regeneration. Eine offene Wunde schließt sich nach nur einigen Tagen vollständig und ohne erkennbare Rückstände. Bislang ist alles gut verheilt. Wenn das bis morgen anhält, kann ich es guten Gewissens entlassen. Jegliche Anstrengung ist aber noch mindestens für eine Woche untersagt und wenn es soweit ist, darf es sich auf keinen Fall zu früh überanstrengen. Ich vertraue darauf, dass du und dein Freund verantwortungsbewusst und vernünftig seid, sonst landet es sofort wieder in der Notaufnahme.“

    Ryan hatte nicht wirklich um eine genauere Erörterung gebeten, doch wohl wollte die Schwester ihm einfach keine Informationen vorenthalten. Schlussendlich war er froh, dass es jedem von ihnen den Umständen entsprechend gut ging und erklärte sich mit einem knappen Nicken der Bedingung einverstanden. Dann kniete er sich vor die drei Pokémon seines bestens Freundes und lächelte sie munter an.

    „Andrew geht es schon wieder besser. Morgen kann er zu euch kommen und wir können weiter. Ruht euch noch ein bisschen aus und haltet die Ohren steif, ja?“

    Bei der Erwähnung ihres Trainers hatte Ryan sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Pokémon. Sogar Magnayen war aufgesprungen und bellte nun erheitert. Schwalboss flatterte mit seinen Schwingen und schien das Wiedersehen ebenfalls nicht erwarten zu können. Nur die „Prinzessin“, wie Andrew sie gern nannte, behielt ihre würdevolle Erscheinung bei. Man mochte Psiana gar nicht als so selbstkritisch einschätzen, wie sie es tatsächlich war, wenn man ihre fast schon arrogante und hochnäsige Haltung sah. Ein wirklich amüsantes Geschöpf.

    Mit einem kurzen Wink verabschiedete sich der junge Trainer und marschierte Joy voran aus dem Raum. Diese folgte, schloss die Tür hinter sich und stellte leicht verwundert fest, dass Ryan es plötzlich eilig hatte, den Flur hinab zu gelangen.

    „Ryan?“, rief sie ihm hinterher. Er drehte sich nicht um.

    „Ich muss mal telefonieren.“


    „Ich sage es dir nochmal, ich kann das nicht gutheißen.“

    Doktor Richards war mit diesem Jungen einfach überfordert. Er schien geradezu taub, wenn er ihm das Aufstehen zu verbieten versuchte. Denn bei allem, was über den Versuch hinaus ging, scheiterte er kläglich. Er rückte seine Brille zurecht und fuhr sich durch das dünne, schwarze Haar. Der verdammte, jugendliche Eifer war etwas, mit dem er einfach nicht zurecht kam. Dabei sollten seine Patienten doch auf ihn hören. Das war bislang immer so gewesen, doch dieser hier hatte bereits seine Jeansjacke übergeworfen und war seine Turnschuhe geschlüpft.

    „Und ich sage Ihnen nochmal, dass ich es verstanden habe, Ihren Rat respektiere und deshalb mache, was ich will“, lachte Andrew munter, worauf er anschließend dem Doc keck einen Klaps auf den Oberarm gab, als seien sie gute Kumpel, um sich dann an ihm vorbei in den Flur zu schieben.

    „Versprich wenigstens, dass du wirklich nur spazieren gehst und in einer Stunde wieder da bist“, hörte er noch hinter sich. Ohne stehen zu bleiben, drehte er sich um, breitete frei die Arme aus und hob unschuldig die Schultern.

    „Okay, aber ich bin nicht dafür bekannt, dass ich meine Versprechen halte.“

    Schon richtete er den blick wieder nach vorne und gab seinem Arzt noch einen lässigen Wink mit der rechten Hand.

    „Sie werden mich vermissen“, rief er laut durch den Gang. Andrew war die Behandlung und das untätige herumsitzen leid. Die ständigen Vorsichtsmaßnahmen im Sinne der Beobachtung waren seiner Ansicht nach eine übervorsichtige Maßnahme der Medizin, die nichts Geringeres bezweckte, als einer möglichen Klage durch gesundheitliche Rückfälle der Patienten vorzubeugen. Doch so ein Typ war er nicht. Er vertrat schlicht und einfach die Meinung, dass er selbst noch immer am besten wusste, wie es ihm ging. Und wenn es etwas gab, dass er gegenwärtig mit absoluter Sicherheit wusste, dann war es, dass er jemanden umbringen würde, wenn er sich nicht wenigstens mal die Beine vertreten und Frische Luft schnappen konnte. Ihm ging es soweit wieder gut. Das musste er sich von niemandem bestätigen lassen. Und er fühlte sich wieder im Vollbesitz seiner Kräfte – bis auf die Müdigkeit vom Morgen, die nun am Vormittag allerdings verflogen war. Er hatte es richtig genossen, Doktor Richards halbherzige Versuche, ihn aufzuhalten, zu zerschlagen und ihm mit seinem Enthusiasmus den letzten Nerv zu rauben. Es war beinahe zu leicht gewesen. Zweifellos hatte er keine Erfahrung mit Menschen seines Schlages. Doch er war nicht so gemein, nun tatsächlich einfach zu verschwinden. Zum Mittagessen würde er zurückkommen – wofür in erster Linie die niedliche Krankenschwester der Grund war, die er vergeblich angeflirtet hatte. Achtzehn Jahre jung und schon verlobt. Wo gab´s denn so etwas schon?

    Andrew verließ das Krankenhaus in Richtung Hafenpromenade. Obwohl er es nicht mehr wirklich nötig hatte, war ihm der Sinn nach einem Energiedrink und vielleicht einem kleinen, zweiten Frühstück. Das erste im Krankenhaus war recht mager gewesen. Es waren nur sechs Häuserblocks bis zum Hafen. Ein Katzensprung, wenn man so mochte, doch schon am dritten wurde der nichts ahnende Andrew von seinem simplen Vorhaben kurzweilig aufgehalten. Gerade noch sah er jemanden aus dem Augenwinkel jemanden heran rauschen, als er eine Hausecke passierte. Die Person hatte es furchtbar eilig und mit seinem plötzlichen Auftauchen nicht gerechnet. Hoffnungslos versuchte sie noch, dem Jungen auszuweichen, da war sie schon so grazil wie ein Öltanker und Andrews Empfinden nach auch mit der Kraft eines solchen in ihn gekracht. Er spürte einen Stoß im Oberkörper, der ihm die Luft aus der Lunge presste, als er auf den gepflasterten Gehweg landete. Er hatte keine Chance mehr gehabt, zu reagieren, weswegen seine Hände noch in den Taschen seiner Jeansjacke gesteckt hatten. Nun aber lag er da, als wolle er einen Engel in den nicht vorhandenen Schnee zaubern. Arme und Beine ausgestreckt und das Gesicht gerade hinaus zum Himmel. Auf seiner Brust ruhte der Kopf seines „Angreifers“, der sich langsam und leicht benommen regte. Ganz plötzlich fuhr dieser nach einem Moment in die Höhe und eine Hand wurde vor den Mund geschlagen, wobei die beiden losen Lederarmbändchen um ihr Handgelenk tanzten. Doch die Person sah ein breites Lächeln auf den Lippen des am Boden liegenden.

    „Hi, wie geht’s denn so?“

    Zumeist spottete Andrew über die Missgeschicke anderer Leute zu seinen Ungunsten mit einem Hauch Sarkasmus und halbherzigen Vorwürfen. Doch der unangenehme Vorfall sowie der Schmerz wurden gleich gelindert, als er in dieses wunderschöne Gesicht sah. Ihre himmelblauen Augen schimmerten vor Reue und die Peinlichkeit an sich trieb ihr einen zarten Rotschimmer auf die Wangen ihrer leicht blassen Haut. Einige Strähnen ihres braunroten Haares umrahmten ihr rundes Gesicht. Nur eine mit einer kleinen, schwarz-weißen Haarspange am Ansatz, legte sich verspielt über ihre Stirn. Der Rest ihrer Haare war zu einem Pferdezopf gebunden. Sie war zum Anbeten süß.

    „Das sollte ich eigentlich dich fragen“, antwortete sie nach einigen Sekunden, in denen sie die Stirn gerunzelt hatte und unsicher zu sein schien, wie sie auf diese unerwartete Geste reagieren sollte. Andrew seinerseits dachte gar nicht daran, sie zu bitten, von ihm runter zu gehen. Sporadisch blickte er sich um und schließlich wieder ins Gesicht der Fremden. Die wenigen Passanten, die ihren Unfall bemerkt hatten, schienen ihn gekonnt zu ignorieren. Ihm war es nur recht.

    „Könnte kaum besser sein.“

    Wenn er bedachte, dass die Alternative wäre, weiterhin eingepfercht ans Krankenbett gefesselt zu sein, war das hier gar nicht mal schlecht.

    „Und nochmal. Wie geht’s denn so?“

    „Hab mir nichts getan, wenn du das meinst.“

    Das hatte Andrew nicht gemeint, aber gut. Nicht so gut fand er dann eher die Tatsache, dass die Kleine rasch aufsprang und ihm ihre Hand reichte.

    „Passt schon“, meinte er stur und rappelte sich ebenfalls auf, ohne die Hilfe anzunehmen. Ein Mann ließ sich schließlich nicht von einer Frau aufhelfen. Das ging andersrum.

    „Ich bin Andrew.“

    Freundlich und offen reichte er ihr die Hand. Es war nun wirklich nicht so, dass sich er in vergleichbarer Situation jedem Mädchen vorgestellt hätte, aber sie war zu attraktiv, um es nicht zu tun. Sie trug ein weites, lässiges Shirt in Nachtblau mit weitem Kragen, der sogar Teile ihrer Schlüsselbeine freilegte. Darüber spannte sich ein enges, weißes Top mit schmalen Trägern, das ihre sportliche Figur betonte. Es war auf der Frontseite mehrmals horizontal eingeschnitten. Der himbeerrote Faltenrock hätte für seinen Geschmack ruhig noch etwas kürzer sein dürfen, was aber nicht viel mehr Sicht auf ihre Beine ermöglicht hätte, da schwarze Strümpfe sie bis zu den Oberschenkeln bedeckten und auf ihrem anschaulichen Weg nach unten in ebenso schwarze Stiefel übergingen. Keine Absätze, gut so. Sie ging also wie ein normaler Mensch durch die Straßen, ohne das Wagnis einzugehen, sich durch Stöckelschuhe die Füße zu brechen. Eine recht kleine Umhängetasche vom gleichen Rot wie der Rock zierte ihre Hüfte. Ihre gesamte Erscheinung war keck, aber mit einem Hauch von lässigem Modebewusstsein. Volltreffer! Andrew ballte in Gedanken eine Hand triumphierend zur Faust.

    „Tut mir echt leid, der Zusammenstoß“, meinte sie bloß und ergriff höflich die Hand, wobei sie ihren Kopf zwischen ihren Schultern verstecken zu wollen schien und verlegen lächelte. Wenn sie nicht schnell damit aufhörte, würde Andrew sich nicht davon abhalten können, laut durch die Stadt zu schreien, wie niedlich sie dabei aussah.

    „Nein, nein, ist doch nichts passiert“, beruhigte er sie gleich und zog den Händedruck so weit wie möglich

    in die Länge.

    „Normalerweise bin ich nicht so tollpatschig. Ich bin das Stadtleben einfach nicht gewohnt, schätze ich. Zu viele Leute.“

    Bedachte man, dass Faustauhafen zwar für eine Inselstadt nicht unbedingt klein, aber dennoch kein Maßstab für Größe oder Bevölkerungsdichte war und hier auch nicht gerade die Massen durch die Straßen flanierten, musste sich Andrew schon fragen, aus welchem Dorf sie denn kam. Doch zunächst galt es seinen charmanten Humor zu versprühen.

    „Gut zu wissen.“

    Die Fremde konnte sich auf diese Antwort keinen echten Reim machen und zog die schmalen Brauen zusammen.

    „Was zu wissen?“

    „Dass der Himmel noch ein ländliches Kaff ist.“

    Keine Viertelsekunde dauerte es, da versuchte das Mädchen noch ihr Kichern zu unterdrücken, was durch mangelnden Erfolg ein seltsames Grunzen zur Folge hatte, das wiederum in ein sympathisches, aber irgendwie auch verdächtigendes Lachen über ging. Kaum war es verklungen, strahlte sie plötzlich Souveränität und Überlegenheit aus.

    „Wie heißen die Dinger, in denen solche Sachen stehen? Die hundert besten Anmachsprüche, oder so? Wenn du das eben daraus hast...“

    Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte Andrew aus schmalen Augen an. Doch sie klang nicht abgeneigt, auf seine offene Art zu reagieren.

    „Machst du Witze? Ich hab´s geschrieben.“

    Wieder lachte sie, diesmal aber etwas dezenter.

    „Schon klar. Glaub nicht, dass ich dir alles abnehme, nur weil ich dich über den Haufen gerannt hab.“

    Andrew ließ sich nicht im Geringsten verunsichern. Er liebte diese Duelle beim Flirten. Lässig winkte er ab und versuchte sich an einem strammen und kräftigen Erscheinungsbild.

    „Was meinst du damit? Ich wollte mich nur kurz ausruhen.“

    Nun zog sie skeptisch eine Braue in die Höhe und lachte erneut kurz auf.

    „Auf dem Bürgersteig?“

    „Du solltest es mal probieren. Wie auf den Flügeln eines Altaria. Oder dem Bauch eines Relaxo.“

    Nun hatte sich die Kleine wohl ausgelacht, doch das breite Grinsen blieb. Dann räusperte sie sich und strich eine Strähne hinter ihr Ohr. Der junge Trainer war kurz davor, zu zerfließen.

    „Mal was anderes, Andrew. Du weißt nicht zufällig, wo ich Krankenhaus finde?“

    In einer Inselstadt wie dieser war es nicht ungewöhnlich, dass es nur eine größere Klinik gab.

    „Das Krankenhaus?“

    Andrew klang misstrauisch und hoffte sich verhört zu haben. Wenn ein Mädchen, das so munter durch die Straßen rennen konnte und folglich absolut fit war, ein Krankenhaus aufsuchte, dann nur, um dort nach jemandem zu sehen. Vielleicht nach einem Verwandten, einer Freundin, oder – was er nicht hoffte – ihrem festen Freund?

    „Ja, ich kenn´ mich hier leider nicht aus. Bin heute erst angekommen.“

    Nervös befeuchtete er die Lippen. Wenn er ihr jetzt einfach die Richtung wies, war sie wahrscheinlich weg und die Chance, ihre Gesellschaft weiter zu genießen, ebenso. Andererseits war es definitiv zu aufdringlich, sie begleiten zu wollen und er konnte ohnehin nicht wieder so rasch dort auftauchen, nachdem er sich vorhin so großkotzig von Doktor Richards verabschiedet hatte. Und sie anzulügen, indem er behauptete, er wüsste es auch nicht, kam genauso wenig in Frage.

    „Es ist gleich da vorn. Rechte Seite“, meinte er schulterzuckend und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. Während sie an Andrew vorbei blickte, konnte dieser deutlich sehen, wie ihre Augen größer wurden.

    „Besuchst... du da jemanden?“, fragte er zögerlich und plötzlich nicht mehr so zuversichtlich in diese Konversation. Auch das letzte Bisschen davon verflog, als sie plötzlich sehr abwesend wirkte und erst nach einigen Sekunden der Stille bejahte. Langsam nickte sie kaum merklich mit dem Kopf und schien einen Punkt in der Ferne anzustarren.

    „Jemand sehr wichtigen für mich“, meinte sie verdächtig leise. Alles klar. Hier kam Andrew zu spät. So eine Reaktion konnte nur bedeuten, dass jemand bereits das Herz der Kleinen besaß. Er beneidete diesen unbekannten Glückspilz zutiefst und wünschte ihm die Krätze. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass dort nicht etwa ihr Freund sondern ein Familienmitglied auf sie wartete, wäre es absolut unangebracht, sie unter diesen Umständen weiter anzubaggern.

    „Okay, dann halt ich dich mal nicht weiter auf“, bemerkte Andrew leicht peinlich berührt und kratzte sich, am Hinterkopf. Das Mädchen schien darauf aus ihrem benebelten Zustand zu erwachen und lächelte ihn dankbar an.

    „Danke dir. Und tschuldige nochmal, dass ich in dich rein gedonnert bin.“

    „Na, schon vergessen.“

    Verspielt tänzelte sie auf einmal ein paar Schritte vor den jungen Trainer her, bis sie dann die Arme auf dem Rücken verschränkte und ihm tief in die Augen sah.

    „Ich heiße übrigens Melody. Wäre schön, wenn wir uns nochmal wiedersehen.“

    Damit wandte sie sich, ohne auf eine Antwort zu warten, um und verschwand wenig später zwischen der überschaubaren Menschenmasse, die sich zu dieser Zeit auf den Straßen tummelte. Andrew hatte ihr bis zum letzten Augenblick hinterher gesehen. Erst eine knappe Minute später setzte er seinen eigenen Weg wieder fort und fügte sich seinem tragischen Schicksal.

    „Verdammt.“


    Ryan keuchte schwer. Seine Beine wurden müde. Schweiß tropfte von seiner Stirn und seine Lungen wurden heiß. Doch er wurde nicht langsamer. Im Gegenteil, er spornte seinen Körper zu noch mehr Leistung an. Es war nicht so, dass er vor etwas davon lief. Nein, nicht mehr. Es war die Vorfreude, die ihn so schnell wie möglich in die Wildnis trieb. Konkret war die Küste sein Ziel. Natürlich nicht die überfüllten Badestrände, an denen sich inzwischen hunderte Sonnenanbeter einen fantastischen Urlaubstag machten. Er wollte der Zivilisation entrinnen und in die Gebiete vorstoßen, in denen man ihm angeblich so gute Fanggründe für Pokémon versprochen hatte. Dafür musste er sich durch einige Waldpfade kämpfen, die nur von Wanderern oder eben Trainer genutzt wurden. Ansonsten gab es hier weder Straßen noch Gebäude oder Tourismus. Die Natur war hier die einzige Attraktion und die Pokémon die Einheimischen.

    Voller Enthusiasmus und neu gewonnener Energie rannte Ryan immer weiter. Er hatte noch am Vortag in dieser Gegend trainiert und war auf einige interessante Waldbewohner gestoßen, die zu fangen an sich eine Überlegung wert gewesen wären. Jedoch hatte Moorabbel, das zu diesem Zeitpunkt noch Hydropi gewesen war, schlicht und einfach nicht mehr die Energie gehabt, sich in einen Kampf zu stürzen. So war zumindest seine Einschätzung gewesen, doch die Geschichte von der Entwicklung im Pokémoncenter schien das Gegenteil beweisen zu wollen. Heute jedoch würde die Sache anders aussehen, wenn ein guter Fang in Aussicht käme.

    Er sog genüsslich den harzigen Geruch der Laubbäume ein. Ihre Wurzeln gruben sich teilweise in den groben, unebenen Pfad und brachen die Erde auf, sodass Ryan ständig aufpassen musste, nicht über eine zu stolpern. Die Bäume breiteten ihre Äste bis über seinen Kopf aus und spendeten ihm auf seinem Weg ein wenig Schutz vor der Sonne. So hätte er es beinahe gar nicht bemerkt, wie ein Schatten sowie eine dunkle Silhouette an ihm vorbei zog. Doch es war ihm nicht entgangen, weshalb er abrupt stehen blieb und hektisch herumfuhr. Sein Blick wanderte nach oben, versuchte das Objekt am Himmel zu erkennen, das ihm offen gesagt einen kleinen Schreck eingejagt hatte. Doch warum eigentlich? Es ist ja nicht so, dass hier draußen mit dem plötzlichen Auftauchen eines Pokémon nicht zu rechnen gewesen wäre. Vermutlich war er schon an etlichen vorbeigerannt, ohne es bemerkt zu haben. Schließlich lebte hier – das hatte er von Schwester Joy erfahren – der Großteil der auf der Insel beheimateten, wilden Pokémon und das auch noch mit einer verblüffenden Artenvielfalt. Was immer also gerade über seinen Kopf hinweg geschossen war, Ryan würde sich wohl kaum Sorgen darüber machen müssen. Verwundert über sein eigenes Verhalten, das er mit Humor zu nehmen versuchte, schüttelte er seine so plötzlich aufgekeimte Unruhe ab und folgte dem Weg weiter. Er legte nun ein normales Tempo an den Tag, kam aber nicht weiter als vier Schritte. Länger hatte es nämlich nicht gedauert, bis er seinen Beobachter entdeckte. Der hockte auf einem Ast genau über ihm und sah ihn aus funkelnden Augen an. Augen, die ihm Unwohlsein bescherten. Hinzu kam die beunruhigende Tatsache, dass es sich um ein Kramshef handelte.

    „Kenne ich dich nicht?“

    Die Frage war rein rhetorisch. Ryan war sich sogar ziemlich sicher, dass es dasselbe war, wie vorhin in der Stadt und schärfte daher seine Sinne. Seine Hand wanderte langsam in seine Gürteltasche, in der er seine Pokébälle aufbewahrte, holte aber noch keinen hervor. Er gab sein Bestes, um Kramshefs Blick standzuhalten und zu signalisieren, dass er hier der Stärkere war. Dass es jemandes Begleiter war, daran bestand kaum noch ein Zweifel. Irgendjemand hatte dieses Pokémon auf ihn angesetzt. Doch warum zeigte es sich nun so offen, wenn es Ryans Misstrauen doch schon bei ihrem ersten Treffen bemerkt haben musste?

    „Willst du unbedingt, dass ich dir deine Federn rupfe?“

    Er meinte die Drohung nicht so ernst, wie er sie aussprach. Kramshef waren stolz und besitzergreifend. Auf Herausforderungen reagierten sie meist aggressiv, doch Ryan war der Ansicht, dass der Zug längst abgefahren war. So wie dieses Pokémon ihn anstarrte, war es höchstens durch Drohung oder eine handfeste Auseinandersetzung zu verscheuchen. Aber die wichtigste Frage lautete letztlich, wer denn die Fäden zog? Wer wollte ihn beobachten? Wem gehorchte Kramshef? Team Rocket? Wahrscheinlich, aber sicher sein konnte er sich auch nicht. War er vielleicht doch zu paranoid und er hatte es hier mit nicht mehr als einem großen Zufall sowie einem leicht sonderbaren Exemplar dieser seltenen Gattung zu tun?

    Ryan sah dem Raben tief in die Augen, der sich seinerseits noch kein Stück gerührt hatte. Er überlegte angestrengt, schätzte die Lage ein und wog die Wahrscheinlichkeit ab. Dann schüttelte er langsam den Kopf.

    „Nein, du bist kein wildes Pokémon.“

    Hierbei war er sogar ziemlich sicher. Kramshef gab es nicht gerade zuhauf in den Wäldern – schon gar nicht bei Tageslicht. Voraussetzung für ihre Weiterentwicklung von Kramurx war außerdem der Kontakt mit einem Finsterstein, der recht selten und folglich nicht einfach so auf jedem Acker zu finden war. Ohne das Zutun eines Menschen war es fast unmöglich für diese Art, die zweite Entwicklungsstufe zu erreichen.

    Nun zeigte es wenigstens eine kleine Reaktion. Es senkte das stolze Haupt ein wenig zu Ryan herab und krächzte finster, während es seine Flügel weit ausbreitete, um größer zu erscheinen. Wie er die Geste zu interpretieren hatte, wusste der junge Trainer nicht genau. Er kannte sich mit der grundlegenden Charakteristik dieser Gattung zu wenig aus, doch mit Sicherheit war ein Kampf, sowie überhaupt diese ganze Konfrontation bereits unumgänglich gewesen, als sie beide den ersten Augenkontakt vollzogen hatten. Mit der freien Hand zupfte Ryan ein paar Strähnen vor seiner Stirn zurecht. Mit der anderen schloss er den Griff um seinen Pokéball enger.

    „Ich an deiner Stelle würde das lassen.“

    Glaubte Ryan zuvor, als er den Schatten bemerkt hatte, schon einen Schreck erfahren zu haben, traf ihn diese plötzliche Warnung doch so unerwartet, dass die rot-weiße Kapsel beinahe seiner Hand entglitten wäre, als er herumfuhr und dem trockenen Klang der düsteren Stimme folgte. Mitten auf dem Weg stand ein Mädchen. Die Arme lässig verschränkt und die Körperhaltung gleichermaßen überlegen wie selbstsicher. Rubinrote Augen zielten auf ihn, wie die eines nächtlichen Räubers. Er erkannte sie wieder. Schon ihre Worte hatten ihm den noch allzu bekannten Schauer wieder auf seinen Rücken getrieben. Ryan verlor sämtliches Vertrauen in seine eigenen Worte und begann nun noch stärker als zuvor zu schwitzen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sodass er beinahe meinen konnte, dessen Geschmack auf der Zunge zu spüren. Gleichzeitig redete er sich einen schlechten Witz oder einen miesen Traum ein, in dem er sich gerade befinden musste. Anders konnte er es sich zunächst nicht erklären, dass ausgerechnet sie vor ihm stand. Das seltsame Mädchen, das ihn auf der Fähre nach Wurzelheim zunächst vor einem Hinterhalt gerettet und schließlich so furchterregend angesehen hatte. Doch sie war völlig anders gekleidet. Ihre befremdliche Erscheinung war weitestgehend der einer völlig normalen, jungen Frau gewichen. Lediglich ihr dunkelblauer Schal war geblieben. Mehr nicht. Denn nun trug sie eine perlweiße Bluse, die sich ein wenig eng an ihren Oberkörper spannte und die beiden obersten Knöpfe offen ließ. Um ihre breiten Hüften, von welchen eine Schneise nackter Haut frei lag, da auch der unterste Knopf unverschlossen blieb, lagen recht lose zwei schmale Gürtel, die vermutlich die beiden Dolche, die er bei ihrem letzten Treffen erspäht hatte, hielten. Ein kurzer Rock in Ozeanblau erschien darunter und gab viel ihrer Oberschenkel Preis. Dunkelgraue Strümpfe streckten sich bis zu den Knien und verschwanden in beigefarbenen Stiefeln, die ganz ohne Absätze waren. Eigentlich kaum zu glauben, dass er sie sofort erkannt hatte, denn sie wirkte eigentlich wie ein völlig anderer Mensch. Doch die seltene, nachtblaue Haarfarbe kombiniert mit diesem einnehmenden Blick waren unverwechselbar.

    „Du?“

    Selbst nach sekundenlangem Starren, in dem er sich überzeugen konnte, sich dieses Mädchen nicht einzubilden, fiel es ihm noch immer schwer, seinen Augen zu trauen. Das war doch absurd! Was hatte sie hier verloren? War sie ihm und Andrew etwa den ganzen Weg hierher gefolgt? Gehörte sie vielleicht auch zum Team Rocket oder verfolgte sie ganz andere Pläne?

    „Du darfst dich glücklich schätzen“, meinte sie, klang dabei aber unglaublich herablassend.

    „Die meisten Menschen wären an deiner Stelle längst tot.“

    Ryan wollte eigentlich auf keinen Fall zurückweichen und seine Angst offenbaren. Doch er hatte nie eine Chance besessen, diesen Kampf mit sich selbst zu gewinnen. Kramshefs Blick war nichts im Vergleich zu ihrem. Er fühlte sich, als schaue sie gerade durch seine fleischliche Hülle hindurch in die tiefsten Geheimnisse seines Bewusstseins.

    „Gehört dieses Kramshef dir?“, verlangte er mit überraschend fester Stimme zu wissen. Das besagte Pokémon erhob sich urplötzlich von seiner Position und flatterte, scheinbar an der Situation nicht länger interessiert, davon. Nur für eine Sekunde erlaubte Ryan sich, dem Vogel hinterherzuschauen, wie er über den Baumkronen verschwand. Damit hatte der jetzt nun wirklich nicht gerechnet und obwohl er das Verschwinden Kramshefs weder positiv noch negativ zu beurteilen wusste, steigerte sich die Geschwindigkeit seines Herzschlages. Wenigstens ein kleiner Funke an Selbstvertrauen war ihm dennoch geblieben. Der allerdings war schon im nächsten Moment verflogen, wie eine Feder im Taifun.

    „Es gehört niemandem.“

    Nicht das Mädchen war es gewesen, die seine Frage beantwortet hatte. Erneut war Ryan gezwungen, sich umzudrehen, um zu erfahren, wer da mit ihm sprach. Durch die wiederholte Erfahrung des Schrecks konnte er es diesmal nicht vermeiden, einen hektischen Schritt weit von der Quelle zu entfernen, wobei er peinlich über seine eigenen Füße stolperte und ins Straucheln geriet. Wenigstens konnte er sich auf den Beinen halten, doch war unbestreitbar seine trotzige und unerschrockene Fassade längst eingestürzt. Zertrümmert von zwei Frauen, wie er feststellen musste. Denn auch die zweite Stimme war weiblich. Ihre Besitzerin trat gerate aus dem Unterholz des Waldes.

    „Doch wenn Ihr fragt, wen es begleitet...“

    Noch lag der Schatten der Baumkronen über ihr, weshalb nicht viel von ihr zu erkennen war. Doch ihr blondes Haar schien dem ohne Mühe zu trotzen. Sofort hob sich der helle Fluss auf ihrem Haupt vom Dickicht ab und verlieh ihrer Gestalt, die noch kaum mehr als eine Silhouette war, eine anmutende Schönheit.

    Ryan war es ein wenig, als würde er geblendet, als sie schließlich ins Tageslicht trat. Ihr Haar schien zu glänzen, wie reines Gold. Eine Böe zog wie heraufbeschworen durch die schmale Passage, die der Weg in den Wald schnitt und ließ es mit seinem dezenten Geheul im Wind peitschen. Es war glatt wie Seide, doch kräuselten sich die Spitzen leicht, gaben nur kurzweilig dem Winde nach, bevor sie wieder Ruhe fanden und sich fast bis zu den Kniekehlen rankten. Ähnlich erging es dem schwarzen Mantel, den sie trug. An einem hohen Kragen prangten zwei blaue, glänzende Ovale, wie Saphire. Vom Hals ab bis zur Taille war der Mantel zugeknöpft, flatterte ihr jedoch ab dort weit um die Hüfte und ihre athletischen Beine, die weinrote Innenseite offenbarend. Ihr Gang in der engen Lederhose unter mehreren, schmalen Gürteln war erhaben, edel, wie von einem Menschen höheren Lebensstandards. Sie folgte mit den Schritten ihrer ebenfalls absatzlosen, schwarzen Stiefel scheinbar einer imaginären, geraden Linie. Ihre rechte Hand steckte in einem braunen Handschuh, der bis zum Ellenbogen reichte. Einige Laubblätter wirbelten um ihre Ehrfurcht gebietende Gestalt und umspielten ihre Anmut. Ihnen gleich tat es ein kleines, schwarzes Pokémon, das Ryan unbekannt war. Spontan würde er es als Geist klassifizieren, da es im Prinzip nicht mehr war als ein schwarzer Gaskörper – ähnlich wie Nebulak – mit einer weißen Totenkopfmaske. Weder von dem wilden Flug ihres Schopfes noch ihrer Kleidung schien die Frau auch nur die geringste Notiz zu nehmen. Unberührt von sämtlichem Einfluss schritt sie zielgenau auf Ryan zu und blickte ihm mit einem hohen Lächeln, von dem dieser nicht wusste, wie er es einzuordnen hatte, direkt in die Augen.

    Leicht breitbeinig nahm sie eine steife, doch irgendwie einschüchternde Position vor ihm ein. Die Arme ausgestreckt und die Hände zu Fäusten geformt, sah sie auf ihn herunter – sie überragte Ryan um ein paar Zentimeter. Das schwebende Pokémon zeigte weder Scheu noch Hemmungen. Es flog sehr nahe vor Ryans Gesicht und blickte ihm mit einem leuchtend, roten Auge direkt in die seinen. Er zuckte zurück. Für ein ihm unbekanntes Pokémon, dessen Trainer ebenfalls unbekannte Intentionen hegte, war ihm es einfach zu nah. Doch es bedrängte ihn nur für einen Augenblick, begab sich rasch wieder in die Gesellschaft der blonden Frau, die fürsorglich mit dem Handrücken seinen Geisterzipfel streifte. Einige Sekunden lang unterzog sie ihn einer stummen Betrachtung. Sie ließ sich Zeit, wobei ihre Augen meiste auf den seinen ruhten. Nur ganz zum Schluss wanderte ihr Blick kurz an ihm herab und wieder rauf. Ihren angefangenen Satz ließ sie unvollendet, schien wohl eher eine Reaktion des Jungen zu erwarten.

    Doch Ryan war wie versteinert. In was für eine Situation war er hier nur geraten? Beschattet von einem Kramshef, dessen bedrohliche Aura von zwei jungen Frauen, die ihn ganz plötzlich mitten im Wald überraschten, noch stark in den Schatten gestellt wurde. Er befand sich in einer leicht gebeugten, ängstlichen Haltung, als würde er jeden Moment einen Angriff befürchten. So ganz schloss er dies auch nicht aus, woran die Aussage des Mädchens mit den blauen Haaren einen wesentlichen Anteil hatte. Deshalb hielt er sich jede Sekunde für eine Flucht bereit. Doch ganz so einfach konnte er sich bestimmt nicht aus dem Staub machen. Die zwei hatten sich, ohne dass er auch nur irgendetwas bemerkt hatte und scheinbar auch noch ohne Mühe, an seine Fersen geheftet und ihn mit ihrem Auftreten obendrein in eine absolut unerwartete und angreifbare Lage versetzt. Das konnte nicht jeder dahergelaufene Passant, wobei er bereits aus erster Hand erfahren hatte, dass mindestens eine von ihnen nicht normal war. Diese Frau, die er gerade zum ersten mal sah, schätzte er allerdings ähnlich ein.

    Die Nerven spielten verrückt und das in seinem ganzen Körper. Sie spannten sich bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit, was Ryan nun dazu brachte, doch einen Pokéball hervor zu holen, während er versuchte, eine warnende Mimik aufzusetzen. Seine schnelle Atmung und der gejagte Blick verhinderten allerdings jeglichen Erfolg. Später würde ihm vermutlich klar werden, dass er nie eine Chance auf selbigen gehabt hatte.

    „Legt euch nicht mit mir an.“

    Die Frau legte den Kopf leicht schief und prüfte den Wahrheitsgehalt seiner Drohung scheinbar mit ihren Augen. Nach wenigen Sekunden schien sie jedoch durchschaut zu haben, dass Ryan sich seiner unterlegenen Lage bewusst war und trat, das Lächeln nun ein bisschen weiter, langsam auf ihn zu.

    „Ich hatte gehofft, dass sich unser Treffen nicht ganz so angespannt gestalten würde.“

    Ryan gefiel ihre Annäherung überhaupt nicht. Er machte seinerseits einen Schritt nach hinten, versuchte das Spielchen aus Vor- und zurückweichen jedoch vorläufig zu unterbinden.

    „Dann hättet ihr einiges anders anstellen müssen. Also wer seid ihr? Was wollt ihr von mir?“

    Es wäre bloß natürlich für Menschen mit unguten Absichten, diesen Fragen auszuweichen, da sie für gewöhnlich nicht konkret beantwortet werden konnten, ohne ihre zu wahrende Identität preiszugeben. Und genauso antwortete auch sie. Die Arme dabei leicht ausgebreitet und beruhigend die leeren Handflächen offenbart.

    „Ihr könnt euch beruhigen. Bitte. Wir haben nicht vor, Gewalt anzuwenden.“

    Ryan kam sich vor, wie in einem schlechten Film. Diese Worte rochen doch gegen den Wind nach Lüge und wären für einen Krimistreifen geradezu typisch. Doch er ertappte sich selbst dabei, wie er ihnen aus irgendeinem Grund Glauben schenkte. War es die Art und Weise, wie sie es sagte? Sie klang so ehrlich und offen. Doch die Kunst des Lügens war einfach zu erlernen. Ryan beschloss, auf der Hut zu bleiben. Nebenbei bemerkte er, dass sie ihn seltsamerweise mit „Ihr“ anredete. So hatten die Menschen einst zu mittelalterlicher Zeit gesprochen, was heute jedoch mehr als unüblich war.

    „Was soll das hier? Gehört ihr zu Team Rocket?“

    Ein sanftes Lachen war zunächst alles, was von der ominösen Fremden ausging. Leicht wandte sie dabei den Blick ab, was dann in ein Kopfschütteln mündete. Sie bemerkte, wie die Augen des jungen Trainers nervös zu ihrer Gefährtin huschten und folgte diesen knapp.

    „Für die unpassende Äußerung meiner Partnerin muss ich mich entschuldigen. Zivilisiertes Verhalten ist nicht ihre Stärke. Doch sie wird Euch nichts tun und ich genauso wenig.“

    Nun wieder die Blondine ins Auge fassend, machte er jedoch keine Anstalten, sich zu beruhigen oder seine Vorsicht beiseite zu schieben.

    „Deine Stärke scheint es auch nicht gerade zu sein. Zivilisiert wäre es, sich einfach vorzustellen, anstatt jemanden so zu überfallen.“

    „Auch dafür bitte ich um Verzeihung. Aber es ging leider nicht anders. Wir hatten Mühe, die Agentin von Team Rocket abzuschütteln, um uns unbemerkt mit Euch zu treffen. Doch uns bleibt vermutlich nicht viel Zeit, bis sie uns findet. Daher hört mir einfach zu.“

    Ryan versuchte fieberhaft, die Lage einzuschätzen und dachte über ihre Bitte nach, während er seinen Blick nicht eine Sekunde von ihren Augen nahm. Sie waren blau, wie der Himmel und frei von jeglichem, verräterischen Funkeln oder Blitzen. Jedes einzelne Wort war bedacht, aber ruhig und überzeugend über ihren Lippen gekommen. Doch irgendwie war ihm die Situation zu obskur, die beiden zu verdächtig und ihre Vorgehensweise einfach zu beunruhigend. Alles in ihm riet, den beiden zu misstrauen. Doch warum lockerte sich dann der Griff um seinen Pokéball? Er behielt ihn zwar noch in der Hand und verkleinerte ihn auch nicht, doch deutlich reduzierte sich seine Körperspannung. Aber wieso? Was veranlasste ihn dazu, ihren Worten – wenn auch nur in geringen Maße – Vertrauen zu schenken? Während er noch über sein eigenes Verhalten nachdachte, nickte er ihr, sich einverstanden erklärend, zu. Ein schätzendes und offenkundiges Lächeln, dankte es ihm.

    „Ihr könnt mich Mila nennen. Ihr selbst braucht Euch nicht vorzustellen, Ryan Carparso.“

    „Woher kennt ihr mich?“

    Die Tatsache, dass sie seinen Namen kannte, schürte weiter das Misstrauen, das nach wie vor ihn Ryan vorhanden war und ihn zur Vorsicht mahnte. Doch er änderte seine Körperhaltung nicht und hob auch nicht die Stimme. Er nahm sich vor, nun ganz nüchtern zu bleiben und diese Mila ausreden zu lassen, jedoch alles, was nur ansatzweise verdächtig wirkte, zu hinterfragen.

    „Ich muss gestehen, dass wir Euch und Euren Begleiter eine Zeit lang beobachtet haben.“

    Sie klang wahrhaft schuldbewusst und zwischen den Zeilen war er sich sicher, eine Entschuldigung herauszuhören.

    „Ihr seid meiner Partnerin auf unserem Weg auf diesen Kontinent in beunruhigender Form aufgefallen. Zwar bin ich mir inzwischen sicher, dass unser anfängliches Misstrauen Euch gegenüber ungerechtfertigt gewesen war, doch...“

    „Wieso?“

    Mila schien es tatsächlich für einige Sekunden die Sprache zu verschlagen. Vielleicht genoss sie aber auch nur ihr überlegenes Lächeln und ließ den Wind eine angespannte Symphonie zu dem Stück, welches sie hier aufführte, spielen. Die Stille war erdrückend für Ryan, doch selbst als er seine Frage erneut stellte, behielt er Ruhe und Stimmlage bei.

    „Wieso habt ihr mich verdächtigt? Ich habe dieses Schiff gerettet“, rechtfertigte er sich. Milas Lächeln wurde für einen kurzen Moment wieder ein wenig weiter.

    „In der Tat.“

    Der junge Trainer wusste nicht, warum er so sehr an jedem einzelnen ihrer Worte hing. Er wollte ihr unbedingt zuhören. Doch konnte dieser Drang wirklich allein auf dem Verlangen nach Antworten gründen? Nein, dahinter steckte mehr. Ihm war, als könne er ihr wirklich vertrauen. Doch warum glaubte er das? Sie hatte ihm nicht einen Grund dazu gegeben.

    „Doch es war nicht Euer Kampf, der uns misstrauisch machte.“

    Wieder kam sie näher. Ryan verbot es sich jedoch, erneut zurückzuweichen. Sie war nur noch zwei Schritte von ihm entfernt.

    „Es waren Eure Augen.“

    Nun schrillten sämtliche Alarmglocken in ihm auf höchster Lautstärke. Alles in ihm beschrie diese beiden als Feinde. Der Griff um die Kapsel in seiner Hand verstärkte sich wieder und seine ach so verdächtigen Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Es gab abgesehen von ihm selbst nur einen Menschen, der um die Wahrheit hinter ihnen wusste.

    „Ihr habt sie durch den Bund mit einem Legendären, nicht wahr?“

    Ryan biss sich auf die Unterlippe. Es gab keine Erklärung dafür, dass sie diese Information hatte, ohne den beiden Frauen Kenntnisse zuzumuten, die den meisten Menschen gar nicht zugänglich waren. Legendäre Pokémon stellten die mit Abstand größten Rätsel für die Menschheit dar und sie las die Bindung, die er zu einem dieser Wesen hatte, wie in einem offenen Buch? Es gab viele Möglichkeiten, was dubiose Menschen wie sie mit solchem Wissen anfangen mochten. Und keine dieser Absichten war gut.

    „Woher wisst ihr davon?“, knurrte er verärgert. Er war überzeugt, dass es sinnlos war, ihr eine Lüge auftischen zu wollen und diesen Vorwurf abzustreiten. Es war nichts als die Wahrheit und Ryan könnte sich niemals für das, was er mit diesem Geschöpf teilte, schuldig fühlen oder gar schämen.

    „Kein Grund zur Beunruhigung. Wir werden Euch weder ausfragen, noch verurteilen oder darüber interpretieren. Diese Sache geht uns nicht das Geringste an. Der Grund, warum es für uns so simpel zu erkennen ist, liegt in unserer eigenen Bindung zu einem Legendären und dem Wissen über die alten Götter. Doch bitte lasst mich weiter erklären, warum ich Euch heute treffen wollte.“

    Ryan fühlte genau dasselbe, wie schon zuvor. Alles sagte ihm, dass diese Frau nichts Gutes bedeuten oder im Schilde führen konnte. Die Behauptung, sie habe ebenfalls tiefere Erfahrungen mit einem legendären Pokémon, stellte keine Ausnahme dar. Er wollte einmal mehr glauben, dass sie ihm ins Gesicht log. Doch er konnte sich selbst einfach nicht davon überzeugen. Etwas ließ ihn zuhören. Die Anspannung nahm erneut ein klein wenig ab und er nickte ihr wieder zu. Sein Blick war jedoch aufmerksamer und schärfer denn je. Und obwohl er von dieser Mila keinerlei Gefahr spürte, fühlte er sich unglaublich verletzbar, als er nervös zu ihrer Partnerin lugte.

    „Wir hielten es für das Beste, Euch eine Weile im Auge zu behalten. Doch wie Ihr Euch erinnern könnt, dauerte es nicht lange, bis wir uns von Eurer Gutherzigkeit sowie Eurem Mut überzeugen konnten. Wir sahen euren Kampf im Wald. Und wissen auch, was Ihr im Versteck von Team Rocket getan habt.“

    Plötzlich fühlte sich Ryan, als drückte ihm irgendetwas die Brust zusammen. Ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Ihm war sofort klar, dass es Schuldgefühle waren, die sich seiner bemächtigten. Doch sie konnten unmöglich...

    „Sie hatte Euch und Euren Gefährten die ganze Zeit über im Auge“, meinte sie mit einem Kopfnicken über die Schulter, ohne dabei den Blick von Ryan zu lassen. Das Mädchen, dem die Geste galt, sprach und rührte sich weiterhin nicht. Die Arme noch immer verschränkt, stand sie leicht abgewandt, als sei sie desinteressiert an ihrer Konversation, hinter Mila. Die Rubine in ihren Augenhöhlen lagen jedoch eisern auf ihm.

    „Wir wissen, was Ihr an Euch genommen habt.“

    Nun schreckte Ryan doch wieder einen Schritt zurück. Völlig unbewusst wanderte eine Hand an die Tasche, in welcher der grüne Orb verstaut war. Schon im nächsten Moment hätte er sich dafür ohrfeigen können. Damit hatte er die Anschuldigung, diesen Gegenstand gestohlen zu haben, eingestanden. War er sich gerade eben auch noch so sicher gewesen, dass es sinnlos wäre, Mila anzulügen, hätte er dies doch vehement abgestritten. Niemals hätte er zugegeben, ihn mitgenommen zu haben. Niemals hätte er sich zu dieser Tat bekannt. Doch mit dieser unüberlegten Reaktion hatte sich dies erübrigt.

    „Dieser Gegenstand“, begann Mila nun großspurig und lag tiefen Ernst in ihre beseelte Stimme.

    „Er ist für uns von unersetzlichem Wert. Er ist einzigartig auf der Welt und wird über Erfolg und Misserfolg unserer Mission entscheiden. Doch wir werden ihn Euch nicht abnehmen. Da wir Team Rockets Pläne nicht kennen, ist es besser, wenn Ihr ihn vorerst behaltet. Wir müssen zunächst Vorkehrungen treffen und mit einigen Leuten sprechen.“

    Sie schien eine Antwort abzuwarten, doch Ryan wusste nichts zu erwidern. Er dachte darüber nach, was es für ihn bedeuten mochte, dass die beiden sich ebenfalls gegen Team Rocket stellten. Einerseits musste dies doch bedeuten, dass sie Verbündete waren und irgendwo in seinem Inneren stimmte ihn das erleichtert. Gleichermaßen jagte ihm die Tatsache, dass Milas Partnerin ihn selbst im Versteck Team Rockets noch hatte beobachten können, sowie das nicht unbedingt vertrauenerweckende Handeln der beiden einen erneuten Schauer über den Rücken. Dann hob Mila plötzlich den Zeigefinger.

    „Eines sollt Ihr unbedingt verstehen. Wir sind nicht Eure Feinde. Doch für Euren Fehler werdet Ihr einen dornigen Weg auf Euch nehmen müssen.“

    „Was für einen Weg, zum Teufel? Woher weiß ich überhaupt, ob ich euch vertrauen kann?“

    „Ihr könnt es nicht wissen und ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, ob Ihr uns vertraut.“

    Nun beugte sich sich langsam die wenigen Zentimeter zu Ryan herab. Dieser musste all seinen Mut zusammennehmen, um nicht erneut zurückzuweichen und ließ es schließlich zu, dass Mila ihm zärtlich eine Hand auf die Wange legte. Ihm war danach, den Blick abzuwenden, ihr nicht in ihre himmelblauen Augen schauen zu müssen. Doch er konnte nicht. Er würde hinterher nicht mehr wissen wieso, doch er konnte es einfach nicht.

    „Aber ich weiß, dass Ihr Euch über diesen Fehler, den ihr so unbewusst und doch willentlich begangen habt, im Klaren seid. Und ich schätze Euch als aufrichtig und gutmütig genug ein, um den Tod unzähliger Menschen vermeiden zu wollen.“

    Dieser Satz ließ Ryan nun endgültig versteinern. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Der Tod unzähliger Menschen? Wegen ihm? Was hatte das zu bedeuten?

    Der Gedanke, er könnte für etwas so Schreckliches verantwortlich sein, löste ein Gefühl in ihm aus, das er nicht benennen konnte. Wenn er es versuchen müsste, würde er es als eine Mischung aus Schuld, Selbsthass, Reue und dem Wunsch, seine Tat rückgängig machen zu können, beschreiben. Doch plagten ihn seine Gedanken nicht schon die ganze zeit über genau damit? Dabei war ihm nicht einmal bewusst gewesen, welches Unheil er mit seiner Tat heraufbeschworen haben sollte. Allein die Vorstellung, dass diese so absurde und wahnsinnige Vorhersage Milas wahr werden könnte, entfachte ihn ihm den Drang, seine Taten eigenhändig zu vergelten. Doch das war unmöglich. Es war in jeder Hinsicht ausgeschlossen, dass dieser wundervolle Orb so etwas anrichten konnte, allein dadurch, dass er ihn bei sich trug. Es war Schwachsinn. Es war absoluter Schwachsinn.

    Dies redete sich Ryan immer und immer wieder ein. Er wusste nicht, wie lange er mit diesen Gedanken kämpfte. Es fühlte sich an, wie endlos lange Minuten, vielleicht waren es aber auch nur Sekunden. Doch egal wie sehr er dagegen ankämpfte, welchen Pfad er auf dem Weg seiner Gedanken folgte oder wie oft er einen neuen wählte, so geriet er doch immer wieder an den selben Punkt. Und das war jener, an dem sein Instinkt ihm sagte, dass er Milas Worten Glauben schenkten musste, um seinen geistigen Frieden wiederzufinden. Doch wieso? Wieso nur? Wenn ein beliebiger Mensch ihm Vergleichbares hätte erzählen wollen – er hätte niemals auch nur ein Wort geglaubt. Selbst seinem besten Freund Andrew hätte er so etwas wohl nie im Leben abgenommen. Doch sogar eine so lächerliche Geschichte klang in Ryans Ohren noch immer viel wahrscheinlicher, als der Gedanke, dass Mila lügen würde. Die Aufrichtigkeit in ihren Worten war unbeschreiblich. Er versuchte wirklich mit all seiner Kraft, in ihnen eine Lüge zu erkennen und scheiterte doch an der Offenheit und Ehrlichkeit, die diese Frau ausstrahlte. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie und besonders ihrer Partnerin keine Bedrohung sein konnten.

    Mila entfernte ihre Hand von seiner Wange, legte sie stattdessen auf ihre Hüfte und richtete sich wieder zu voller Größe auf.

    „Wenn ich Euch also richtig einschätze, dann werden wir uns in der Stadt Graphitport wiedersehen. Macht keine Umwege. Begebt Euch auf dem schnellsten Weg dorthin.“

    Ryan hielt den Blick leicht gesenkt. Einerseits kämpfte er noch mit den Informationen, die gerade seinen Verstand malträtierten. Andererseits wollte er vermeiden, noch einmal in ihre schimmernde Iris auf sich ruhen zu sehen.

    „Was ist in Graphitport?“

    Schon wieder dieser knappe Ansatz von einem Lächeln. Als fände sie Gefallen an jeder von Ryans Fragen. Zunächst wandte sie sich jedoch um und brachte gemächlich die kurze Distanz zu dem Mädchen mit den blauen Haaren hinter sich. Das Pokémon, welches nie von ihrer Seite wich, behielt sein leuchtendes Auge jedoch auf dem jungen Trainer.

    „Wir werden dort auf Euch warten. Macht Euch keine Gedanken, wann und wo genau Ihr uns trefft. Wir werden Euch zu gegebener Zeit kontaktieren. Die Hilfe einiger Leute wird vonnöten sein, um Euch zu schützen.“

    Schützen? Ihn? Ryan verstand zwar nur die wenigsten von Milas Worten, doch wozu brauchte er denn nun Schutz? Obendrein war die Aussage, sie würden ihn immer und überall in der riesigen Hauptstadt finden, alles andere als beruhigend. Er würde sich wohl fortan ohnehin schon ständig beobachtet fühlen. Unter diesen Umständen würde er wohl noch wirklich zum Paranoiden.

    „Mit Team Rocket werde ich fertig“, beteuerte er und schaffte es, nun da sie sich ein wenig entfernt hatte, einen entschlossenen Schritt nach vorne zu gehen. Zum ersten Mal hob Mila nun jedoch die Stimme ein wenig und versuchte ihre folgende Warnung so scharf wie möglich in den Verstand des Jungen einzuprägen.

    „Ich rede nicht von diesen idealistischen, machthungrigen Narren. Meine Sorgen beziehen sich auf den, hinter dem sie her sind.“

    Nun legte sie den Kopf leicht in den Nacken und blickte Ryan aus dem Augenwinkel an. Ihr Mund hatte sich zu einem amüsierten und doch irgendwie herabwürdigenden Lächeln verzogen. Etwas, das er zuvor nicht bei ihr hatte erkennen können. Als würde sie mit einem Kind reden, das übermütig beschlossen hatte, in einem Krieg zu ziehen.

    „Ihr hattet nicht vor, Selbstmord zu begehen?“

    Ryan schluckte nur. Er wusste nicht, mit welchen Mächten diese zwei wohl täglich zu tun hatten und in welche er mit dem Stehlen des Orbs hineingeraten war. Doch ihm wurde langsam bewusst, dass er sich in gewaltiger Gefahr befand.

    „Wenn ihr verstanden habt, was ich Euch gesagt habe, habe ich keinen Grund, Euch weiter aufzuhalten. Ihr könnt gehen. Doch behaltet meine Worte in Erinnerung. Dinge sind ins Rollen geraten, die nicht nur Euch oder uns beide, sondern alle Menschen sowie einen bedeutenden Teil aller Pokémon betreffen. Denkt immer daran, wenn Ihr in eine Situation geraten solltet, in der Ihr zögert.“

    Mila hatte den Kopf wieder gänzlich abgewandt und starrte den Weg, den Ryan von der Stadt aus hierher gekommen war, hinab. Gleichzeitig verloren sich ihre Augen irgendwo in der Ferne.

    „Eine Frage habe ich noch.“

    Ryan öffnete langsam den Reißverschluss einer Jackentasche. Mila reagierte nicht, horchte aber aufmerksam. Schließlich erfüllte ein grüner Lichtschein den Pfad, ausgehend von dem herrlichen Kristall in seiner Hand.

    „Was ist das? Und was bedeutet es?“

    Tatsächlich wusste Ryan so gut wie nichts über den Gegenstand, dem er selbst so viel Wert beimaß. Noch immer fragte er sich von Zeit zu Zeit, was für ein seltsames Gefühl ihn beschlichen hatte, als er im Versteck Team Rockets darauf gestoßen war. Doch seine Frage blieb unbeantwortet. Mila hielt ihm den Rücken gekehrt und ihrer wortkargen Partnerin traute er keine brauchbare Antwort zu. Geschweige denn, dass er den Mut aufgebracht hätte, die Frage an sie zu richten. Ungebrochen war der eiskalte Blick, der auf ihm lag.

    „Eure Nacht auf See war sicher hart. Seht sie als kleinen Vorgeschmack auf das, was Euch bevorsteht.“

    „Was hat dieser Vorfall damit zu tun?“

    Es nagte stark an der jugendlichen Selbstbeherrschung, dass diese Frau immerzu in Rätseln sprach und einer klaren Antwort stets auswich. Wenn tatsächlich so viel auf dem Spiel stehen sollte, wie sie behauptete, gab es doch keinen Grund für diese verschleierte Ausdrucksweise. Sie würde dem eigentlichen Sinn ihres Vorhabens nur im Weg stehen. Ganz abgesehen davon, dass er diese Erfahrung so schnell wie möglich vergessen wollte. Genau das schien Mila allerdings zu bemerken.

    „Ihr nahmt sicher an, die Gefahr sei überstanden. Ihr dachtet, es sei vorbei. Glaubt mir, nichts ist vorbei. Alles steht gerade erst am Anfang.“

    Ihre Stimme schien sich ihrem Blick anzuschließen und sich irgendwo in den Wäldern, die sie umgaben sowie den dunklen Ebenen ihres eigenen Verstandes zu verlieren. Fast wirkte sie abwesend, doch Ryan traute ihr nicht zu, sich von einem flüchtigen Gedanken entführen zu lassen.

    „Wir warten in Graphitport auf Euch“, antwortete Mila schließlich. Monoton und von sämtlichen Einflüssen unberührt fielen die Worte und erstickten jeglichen, erneuten Versuch mehr von ihr zu erfahren im Keim.

    „Geht nun.“


    Ryan hatte sich noch nicht ganz aus dem Sichtfeld der Frauen entfernt – keine von beiden hatte sich auch nur einen Zentimeter bewegt. Doch ganz plötzlich, ohne jeglichen Anlass, griff die Hand des schweigsamen Mädchens, das ihm noch immer hinterher blickte, in ihr Kreuz, den Griff einer der zwei Dolche, die dort befestigt waren. Neugierig huschte das kleine, schwarze Geistpokémon um sie herum.

    „Nein“, verbot Mila nur, ohne ihren Blick von dem fernen Punkt entlang des Weges, den sie seit Ende des Gesprächs mit Ryan angestarrt hatte, zu nehmen.

    „Warum nicht? Wir könnten uns viel Ärger ersparen, wenn wir ihn auf der Stelle töten.“

    Milas Stimmlage hatte sich auf einmal komplett verändert. Ihr Befehl klang äußerst streng und es war eine ernste Warnung darin zu erkennen. Ohne Zweifel duldete – ja, duldete – sie dieses Vorhaben nicht.

    „Du wirst weder ihn, noch den anderen anrühren. In dem Moment, in dem deine Klinge einen dieser jungen Männer berührt, sehe ich dich als Verräterin.“

    Die rubinfarbenen Augen wurden zu Schlitzen. Sie hatte schon halb zum Sprint angesetzt, um Ryan in den Rücken zu stechen, doch um diesen Preis würde sie sich Milas Befehl nicht widersetzen. Sie hatte sich immer an ihre Anweisungen gehalten, obwohl sie selbst prophezeite, dass der Moment kommen würde, in dem entweder ihr Gehorsam erlosch oder der Tod sie zu sich holte. Würde sie dieser Frau doch bis in jenen die Treue halten, so war sie von Zeit zu Zeit mit ihrer Art, Dinge zu regeln, nicht einverstanden. Doch sollte nicht der Einbruch der Hölle auf Erden selbst über sie alle kommen, würde Milas Wort Gesetzt für sie sein. Ruhig und beherrscht steckte sie die Waffe wieder weg und wandte sich stattdessen zum Gehen. Mila blickte dem Jungen noch einmal kurz nach und folgte schließlich, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

    Merry Nightmare


    Der dazugehörige Anime "Yumekui Merry" gehörte zu den ersten, die ich überhaupt gesehen habe und hat bis heute einen besonderen Status bei mir. Der Manga erzählt die Geschichte, wie es ja oft der Fall ist - noch weiter und ist Mitte Dezember bei uns erschienen.
    in Außergewöhnliches Werk mit einer einzigartigen Geschichte, hinreißenden Charakteren, viel Fantasie und Dramatik, Dramatik, Dramatik. Eines, das zum Träumen anregt (no pun intended XD).

    - "Nur wer festen Entschlusses ist, hat das Recht, eine Waffe zu tragen."
    - "Festen Entschlusses?"
    - "Der Entschluss eine Last zu tragen."


    ~Akame (Akame ga Kill)



    - "Du weißt wohl wirklich alle, was?"
    - "Ich weiß nicht alles. Ich weiß nur das, was ich weiß."


    ~Hanekawa Tsubasa (Bakemonogatarie)

    Tatsache ist, dass der FF-Bereich schon mal wesentlich aktiver war. Kann sein, dass der ganze Bereich oder Teile davon nicht optimal platziert oder gestaltet sind, aber grundsätzlich sollte ein User oder auch Besucher mit echtem Interesse alles finden, was sein Herz begehrt. Und genügend Potential ist ebenfalls vorhanden. Aber vielleicht könnte man allgemein ein wenig mehr Übersicht schaffen und die Bereiche etwas enutzerfreundlicher eindämmen. Ich zweifle dennoch derzeit einfach echt ein kleines bisschen am allgemeinen Interesse.

    Endlich Re-Kommi Zeit. Zuletzt viel zu wenig Zeit für´s Schreiben. Hoffe, dass ich demnächst mal wieder richtig loslegen kann. Mir fehlt´s echt.


    Shimo

    Kapitel 18: Lost


    Trotz der dröhnenden Sirenen der Polizei- und Krankenwägen waren die aufgebrachten und entsetzten Stimmen von Beamten, schaulustigen Zivilisten, Verletzten sowie deren Angehörigen und nicht zuletzt einer Vielzahl an Reportern die stärkste Lärmquelle an den Docks von Faustauhafen. Alarmierendes Blaulicht legte sich über die Massen und säte mit seiner bloßen Existenz die Saat der Unruhe. Uniformierte Männer konnten nur mit Mühe die vielen Menschen zurückhalten, die sich von dem schwarz-gelben Absperrband nicht hatten aufhalten lassen. Einige drängten sich mit Kameras und Mikrofonen in den Vordergrund. Andere versuchten durch verzweifelte Rufe nach ihren Verwandten oder Freunden, die mit der Fähre gefahren waren, in die vorderen Reihen zu gelangen. Es war das totale Chaos.

    Nur wenige Stunden war es her, dass die Nachricht eines Pokémonangriffs die Küstenwache erreicht hatte. Innerhalb kürzester Zeit waren alle möglichen Rettungs- und Hilfsmannschaften mobilisiert worden, um weitere Verletzungs- und eventuell Todesfälle zu vermeiden. Da die Fähre noch seetauglich gewesen war, hatte man darauf verzichtet, die Passagiere auf ein anderes Schiff zu verfrachten. Stattdessen waren Einsatzbote der Küstenwache sowie ein Rettungshubschrauber entgegengekommen, um die schwer verletzten Personen auf schnellstem Weg aufzulesen und ins Krankenhaus von Faustauhafen zu bringen. Jenes war inzwischen ebenfalls von Menschenmassen belagert, obwohl es gut zwei Kilometer vom Hafen entfernt lag.

    An selbigem war die Situation jedoch noch wesentlich chaotischer und die Rettungskräfte hatten alle Mühe, ihrer Arbeit nachzugehen.

    „Bleiben Sie zurück, lassen sie den Sanitätern Platz“, rief ein verzweifelter Polizist, der mit zwei Kollegen versuchte, eine Schneise in dem Meer aus Menschen zu bilden, damit die Trage, auf der ein Mann mit bereits bandagiertem Oberarm lag, in den Krankenwagen verfrachtet werden konnte. Dies gelang zwar, kostete aber enorm viel Zeit, die für das Opfer schwere Folgen haben könnte. Zunehmend frustriert und ungehalten wurden die Uniformierten gröber.

    „Verschwindet endlich! Hier sind Menschen, die Hilfe brauchen.“

    Zu allem Überfluss und die bissige Forderung völlig ignorierend drängte sich eine junge Frau mit kurzem, blonden Haar vor den Polizisten, der den Sanitätern die Krankenwagentüre offen hielt. Sie trug einen beigefarbenen Anzug und hielt ihm ein Mikrophon unter die Nase.

    „Melissa Winston von Hoenn aktuell“, stellte sie sich knapp vor. Über ihrer Schulter richtete sich das Objektiv einer Kamera.

    „Können Sie uns etwas zu den Angreifern sagen? Gibt es Todesfälle zu beklagen? Was wird wegen den vermissten Passagieren unternommen?“

    Grunzend biss sich der Mann auf die Lippe und drückte mit einer Hand das störende Reporterduo von sich.

    „Verschwinden Sie, Ma´am. Sie behindern uns bei der Arbeit!“

    Glücklicherweise genügte der Journalistin diese eine Ansage, um das Handtuch zu werfen. Resignierend blickte sie wieder in die Kamera und nahm eine souveräne Haltung ein, während hinter ihr die Türen des Rettungsfahrzeugs zugeschlagen wurden und selbiges nur Sekunden später im Eiltempo davon brauste.

    „Wie Sie sehen können, ist uns ein tieferer Einblick in diese heikle Lage leider nicht möglich. Bislang ist von einem Todesfall nichts zu uns vorgedrungen. Allerdings ist bekannt, dass sich die Zahl der Verletzten bislang auf zirka dreißig Personen beläuft, von denen einige noch in Lebensgefahr schweben sollen. Da die Lage noch so unübersichtlich ist, wird erwartet, dass die Zahlen noch steigen werden. Der Grund für den Pokémonangriff, deren Anzahl oder um welche Gattung es sich dabei gehandelt hat, bleibt ebenfalls unbekannt. Ein aggressiver Akt der Verbrecherbande Team Rocket, die kürzlich in der Region Fuß gefasst hat, kann wohl jedoch ausgeschlossen werden. Wir bleiben selbstverständlich für Sie vor Ort.“


    Das Bild auf dem alten Röhrenfernseher wechselte ins Nachrichtenstudio, wo ein ordentlich gekleideter Mann mittleren Alters hinter einem Pult saß und einen raschen Blick auf einige Notizzettel warf, die ihm gerade überreicht wurden.

    „Danke an unsere Außenkorrespondentin Melissa Winston. Soeben haben uns brandaktuelle Neuigkeiten aus dem chaotischen Geschehen in Faustauhafen erreicht. Die Hafenaufsicht teilte bereits mit, dass noch mehrere Passagiere als vermisst gelten. Es wird vermutet, dass diese beim Angriff, der laut neuen Informationen von mehreren Garados ausgegangen sein soll, über Bord gegangen sind. Zu diesen gehören allem Anschein nach auch die beiden bekannten Pokémontrainer Ryan Carparso und Andrew Warrener aus Johto.“

    Zur Rechten des Nachrichtensprechers wurden zwei willkürliche Bilder aus älteren Berichten von den Jugendlichen eingeblendet.

    „Augenzeugen wollen gesehen haben, wie sich die beiden Trainer den Angreifern entgegengestellt haben. Was genau geschehen ist, bleibt ungeklärt. Mehrere Rettungsmannschaften haben sich unverzüglich auf den Weg gemacht, um die Meerespassage zwischen Faustauhafen und dem Festland abzusuchen. Dabei ist der Zeitdruck allerdings enorm, da die Strömungen sie früher oder später alle auf das offene Meer hinaustreiben werden. Zudem gilt es eine Fläche von-“

    Ein kurzer Blitz zuckte über das Fernsehbild, bevor es gänzlich schwarz wurde. Noch einige Momente lang hielt Melody die Fernbedienung auf das Gerät gerichtet, als überlege sie, ob sie nicht doch wieder einschalten sollte. Doch sie konnte sich das nicht weiter ansehen. Das Wesentliche hatte sie gehört. Fortan würden sich alle Aussagen der Medien nur noch auf Spekulationen und werbewirksamen Käse beschränken, der für die eigentliche Situation völlig irrelevant war.

    Ihre Hand begann zu zittern. Ihr trauriger Abschied war erst einige Wochen her. Beinahe täglich dachte sie an diesen jungen Trainer. Er hatte sich binnen der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft in ihr Herz gebrannt und ihr Kuss war lediglich eine kurzweilige Entlastung für ihr Verlangen nach seiner Person gewesen. Sie hatte geglaubt, mit dem Wissen, dass er sich hunderte von Kilometern von ihr entfernt befand, umgehen zu können. Doch jede Sekunde, in der sie ihn nicht bei sich wusste, fühlte sie sich einsam.

    Das sonst so taffe Mädchen ließ sich in die Lehne der Wohnzimmercouch fallen und schlug frustriert mit der flachen Hand auf die Sitzfläche. Sie schluckte einen Fluch herunter, schlug dann jedoch in einem rasanten Wechsel hin zur Verbitterung die Hände vor den Mund.

    „Ryan“, hauchte sie kraftlos. Wie sehr hatte dieser Junge sie geprägt. Er allein war in ihren Gedanken. In letzter Zeit hatte sie versucht, neue Kontakte in der Stadt zu knüpfen, um sich seines immer wieder vor ihrem inneren Auge auftauchenden Bildes zu entziehen. Doch bedingt durch die schwache Besiedlung dieser idyllischen Insel war die Auswahl sehr mager. Mit zwei Jungen war sie auf ein Date gegangen und beide hatte sie nach kurzer Zeit abblitzen lassen. Ungefähr fünf weiteren hatte sie direkt einen Korb gegeben. Sie waren alle so normal. Sie waren so oberflächlich und nur auf sich selbst fixiert, versuchten sich interessant zu machen, anstatt ehrliches Interesse an ihr zu zeigen. Sie waren so ganz anders als Ryan. Deshalb wollte sie ihn zurück. Doch nun wurde er vermisst, war verschollen auf See. Vielleicht war er bereits sogar...

    Bei dem schrecklichen Gedanken, Ryan könnte bereits tot sein, musste sie vehement den Kopf schütteln und, um den bösen Gedanken zu vertreiben. Gar hätte sie fast geschrien. Sie fasste sich an die Schläfen, schlug den Kopf nieder, sodass ihr braunrotes Haar vor ihr Gesicht fiel und wollte einfach nur noch vor der Vorstellung flüchten. Sie war zu absurd. So grausam konnte diese Welt nicht sein. Wenn ihre schlimmste Befürchtung sich tatsächlich bewahrheiten sollte, würde sie sich nie verzeihen, dass sie ihn einfach so hatte gehen lassen. Das würde sie bis an ihr Lebensende wie ein dunkler Schatten über ihrem Herzen verfolgen.

    Plötzlich jedoch, mit einem einzelnen Lidschlag, war der Kummer fort. Als sei es so einfach, derartige Gedanken beiseite zu wischen, war sie von der Last befreit, die ihr eben noch beinahe den Verstand geraubt hatte. Eine seltsam wohltuende Präsenz füllte den Raum. Ach was, das gesamte Haus!

    Augenblicklich erstarben die verzweifelten Laute des Mädchens und ihre Muskeln lösten sich aus der Verkrampfung. Sie blickte sich gar nicht erst um. Sie wusste um die Quelle dieser Präsenz und auch, was sie nun zu tun hatte. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, sprang sie von der Couch auf, sprintete hinaus auf den Flur und schließlich durch die Haustür. In ihrer Eile schloss sie diese nicht einmal und machte sich auch nicht die Mühe, eine Jacke überzuziehen, obwohl sich am Himmel ein dunkler Regenschauer ankündigte. Doch der Sommer machte es möglich, dass sie selbst in Dreivierteljeans, Sandalen und einem knappen Shirt nicht fror. Zielsicher trugen ihre Beine sie hinunter zum Strand. Die See war leicht aufgewühlt vom zunehmenden Wind, doch in ihren Augen war sie gerade das Sinnbild der Herrlichkeit. Grund dafür war das Wesen, das sich in diesem Augenblick in unmittelbarer Ufernähe aufhielt, sich aber dennoch nicht aus dem Mantel des Meeres hervortraute. Niemand sollte es sehen. Nur hören sollte man es – sollte sie es.

    Keuchend stand sie im feuchten Sand. Die Brandung schwappte über ihre Füße und ließ sie ob ihrer Kälte nun doch leicht frösteln. Unentwegt blickte sie in das tiefe Blau, wartend auf die geheimnisvolle Botschaft. Dann sprach sie zu ihr, die mächtige Stimme der Ozeane.

    Sei unbesorgt. Er ist am Leben.“

    Einmal atmete das Mädchen ganz tief durch und spürte regelrecht, wie ihr dieser tonnenschwere Stein vom Herzen fiel. Wenn dieses Geschöpf seine Gesundheit bestätigte, gab es keinen Grund für Zweifel. Es stimmte also. Ryan war wohlauf.

    Jedoch er wird dich bald brauchen. Er hat unwissend einen Pfad beschritten, den er nicht mehr so einfach verlassen kann.“

    Erneut keimte Besorgnis in ihr auf. Ihre Stirn legte sich in Falten und eine Hand wanderte völlig unbewusst zu ihrem Herzen. Bitte, bei allem war ihr heilig war, bitte. Es sollte ihm nur gut gehen. Sie würde es ihm niemals verzeihen, wenn ihm etwas zustoßen sollte.

    „Was ist passiert?“, wisperte sie gegen den auffrischenden Wind. Ihr Haar begann in ihm zu tanzen und wild umher zu schlagen.

    Dies werde ich dir erzählen, sofern du dafür bereit bist. Wisse jedoch, dass dies mit Leid und Schmerz, unter Umständen sogar mit Tod verbunden sein wird.“

    Sie musste dem Reflex wiederstehen, einen Schritt zurückzuweichen. Ängstlich legte das Mädchen nun beide Fäuste an ihre Brust und zog die Schultern schützend nach oben. Diese Worte wirkten wahrlich abschreckend. Und wenn der Herr der Ozeane, der nie eine Silbe unbedacht sprach, sie wählte, würde es mit Sicherheit gefährlich werden. Und doch fühlte sie sich nicht im Geringsten verunsichert. Verängstigt, ja. Aber nicht weniger entschlossen als zuvor.

    „Wenn Ryan mich braucht, dann gibt es nichts, worüber wir diskutieren müssten.“

    Ihr Blick, den sie eben noch trübselig zu Boden geworfen hatte, hob sich nun wieder. In ihren Seelenspiegeln war ein fester Entschluss eingemeißelt, den nichts und niemand zu erschüttern vermochte.

    „Erzähl mir alles.“


    Ryan hatte die ganze verdammte Nacht über kein Auge zugetan. Wie könnte er auch? Einsam auf einem Floß im Meer treibend und von Tohaido umzingelt würde wohl selbst der härteste Hund von einem Pokemontrainer keinen Schlaf finden. Von Andrew brauchte man selbstverständlich gar nicht erst anfangen. Er hatte stundenlang Dragonirs verwundeten Körper in den Armen gehalten, sein Bestes getan, um dem Drachen die schmerzvolle Situation möglichst erträglich zu gestalten. Von den Tohaido war glücklicherweise seit Stunden nichts mehr zu sehen gewesen und nun, da die Sonne bereits weit über dem Horizont stand, sollte auch ihre Jagdzeit beendet sein.

    Zwar könnten beide Trainer einen erholsamen Schlaf gut gebrauchen, doch für den Fall, dass ein Schiff oder sogar Land in Sicht kam, musste ohnehin mindestens einer von ihnen wach bleiben. Nach den mentalen Strapazen, die Andrew vergangene Nacht hatte durchmachen müssen, hatte er es jedoch definitiv dringender nötig. Der hatte zunächst abgelehnt und niederschmetternd oft sein scheinbar defektes Handy zum Funktionieren zu kriegen versucht. Es war ein wasserdichtes Model, hatte aber scheinbar die Turbulenzen vom Sturz ins Meer nicht überstanden. Damit erreichte Andrew in diesem Leben niemanden mehr. Seinen lang anhaltenden Widersprüchen zum Trotz hatte es, nachdem er den Kopf doch endlich auf sein provisorisches Kopfkissen in Form seiner Umhängetasche gebettet hatte, nicht einmal eine Minute gedauert, bis er leise schnarchend ins Land der Träume übergegangen war. Eine Hand war noch immer um Dragonirs Hals geschlungen und wollte einfach nicht loslassen. Die Drachenschlange schlief ebenfalls noch, inzwischen allerdings sichtbar ruhiger und friedlicher. Die Blutung der Wunde hatte ebenfalls gestoppt, sodass große Hoffnung auf eine gänzliche Genesung bestand.

    Ryan starrte derweil ins offene Wasser. So recht wollte er dem Frieden noch immer nicht trauen.

    „Hydropi, bitte sieh dich mal ein bisschen um.“

    Das kleine, blaue Pokémon hatte seit dem Tohaido Angriff immerhin ein bisschen Schlaf gefunden. Die Rückkehr in seinen Pokéball hatte Ryan ihm gar nicht erst angeboten. Er war recht froh über die Gesellschaft seines derzeit einzigen Partners.

    „Wenn du irgendetwas Gefährliches siehst, kommst du sofort zurück, klar?“

    Er wollte Gewissheit, aber noch mehr wollte er, dass es keine weiteren Verletzten gab. Zustimmend nickte Hydropi, tapste sodann an den Rand des Floßes und sprang in die herrlich blaue See. Sie war trüb, die Sicht hier nicht gerade gut, weshalb der junge Trainer das Wasserpokémon fast sofort aus den Augen verlor. Durch seine Farbe war es bereits unmittelbar nach dem Abtauchen unsichtbar geworden.

    Die Sekunden vergingen. Ein sanfter Wind zog über die See und kitzelte Ryans Haut Einige dünne Wolkenfetzen bedeckten den Himmel und blockierten von Zeit zu Zeit die Strahlen der wandernden Sonne. Jene arbeitete heute scheinbar auf Hochtouren. Die sengende Hitze des anbrechenden Mittags ließ Ryan in seinem eigenen Saft vor sich hin kochen und zerrte an seinen Energiereserven. Wie es Andrew und Dragonir dabei wohl ging?

    Ein Seitenblick um den Schlafenden verriet kaum etwas, das nicht zu erwarten gewesen wäre. Andrew hatte selbst nach Stunden, die er nun schlief, seinen treuen Begleiter nicht losgelassen. Dieser wies eine leichte Körperspannung auf und stöhnte von Zeit zu Zeit sehr leise im Schlaf. Doch sie schienen beide recht ruhig. Mitleidig wanderte Ryans Blick hinab zu den Bisswunden an Dragonirs Körper. Getrocknetes Blut klebte noch auf den Schuppen und durchtränkte die Kleidungsstücke, mit denen das arme Geschöpf notgedrungen verbunden worden war. Sein Sweatshirt konnte er bei nächster Gelegenheit entsorgen. Nicht, dass das jetzt irgendeine Rolle spielte. Abgesehen von den Blutflecken bemerkte er lediglich, dass der Hyperstrahl von Garados ihn doch nicht gänzlich verfehlt zu haben schien, wie zunächst empfunden. Die rechte Hälfte war arg zerfetzt worden und teilweise sogar verschmort. Das Teil konnte er vergessen. Kaum zu glauben, wie viel Glück sie gehabt hatten. Die meisten Menschen wären nach so einem Angriff sofort tot gewesen. Dass sie ohne schwerwiegende Verletzungen davongekommen waren, grenzte an ein Wunder. Bei diesem Gedankengang ließ er seinen rechten Arm kreisen und bewegte vorsichtig die Schulter. Er stoppte abrupt, als ein stechender Schmerz ihn wie ein Stromschlag durchzuckte. Missmutig stöhnte er auf und zwang sich sofort wieder zur Entspannung seiner Muskeln. Er konnte nicht genau einschätzen, was er sich zugezogen hatte. Eventuell war das Schlüsselbein angeknackst. Vielleicht auch irgendetwas Anderes. Mit dem menschlichen Körper kannte er sich viel zu schlecht aus, um sich wirklich sicher sein zu können.

    Dennoch versuchte Ryan fieberhaft, darüber nachzudenken. Er wollte nicht länger gedankenlos auf die Wellen starren. Das hatte er nun Stunden getan und er konnte es einfach nicht mehr ertragen, ihre missliche Lage weiter stumm zu hinzunehmen, sich gezwungenermaßen jede Sekunde aufs Neue ihrer bewusst werden. Irgendwie wollte er sich ablenken, einfach nicht über all das hier nachdenken.

    „Verflucht“, nörgelte Ryan, während seine Lederhandschuhe über die vom Schweiß glänzende Stirn wischte. Es war so unglaublich heiß. Nicht auszuhalten. Aus einem spontanen Impuls heraus tauchte er seine Hände rasch in das wunderschöne, blaue Meerwasser, sodass sie anschließend vollkommen durchnässt durch seine Haare wanderten. Gott, tat das gut, den Kopf etwas zu kühlen. Die lästigen Wassertropfen, die ihren Weg entlang seiner Schläfe, seines Gesichts, seines Nackens und unter sein T-Shirt fanden, konnte er ob der willkommenen Erfrischung problemlos ignorieren. Er hoffte nur, dass die anderen beiden nicht zu sehr darunter litten. Er schätzte zwar, dass man eher aufwachte, als im Schlaf zu verrecken, nahm sich aber dennoch vor, sie spätestens in einer Stunde zu wecken.

    Überraschend spritzten ihm einige glänzende Tropfen ins Gesicht. Die muntere Gestalt von Hydropi lugte aus dem Wasser hervor.

    „Und?“

    Das kleine Geschöpf schüttelte entschieden den Kopf. Erleichtert seufzte Ryan laut auf und ließ sich auf den Rücken fallen. Endlich Entwarnung. Die Tohaido waren weitergezogen, hatten das Interesse verloren. Schon wieder konnte er ihr Glück kaum fassen. Beinahe hatten sie ihre Beute schon gehabt und nun hatten sie diese aufgegeben? Ryan war nicht bekannt, wie es im Allgemeinen um die Geduld dieser Haie bestellt war, doch er würde den Teufel tun, ihr Verschwinden zu hinterfragen.

    Das bedeutete immerhin eine Sorge weniger, doch ihr Hauptproblem blieb nach wie vor bestehend. Allein auf dem Meer treibend, ohne Orientierung, ohne Kommunikationsmittel, waren sie zum Warten verdammt. Bis entweder Land oder ein Schiff in Sicht kam. Wie schön es jetzt doch wäre, einfach mit der Telefonfunktion seines Pokégear einen Notruf auszusenden und das Signal des Geräts anpeilen zu lassen. Auf diese Weise war er einmal den Gebirgsketten nördlich von Mahagonia City entkommen. Hatte vom See des Zorns aus die angrenzenden Berge erklommen, um dort in der Höhe zu trainieren und war von einem Schneesturm dort festgehalten worden. Diese Geräte vermochten wirklich überall noch ein Funksignal zu senden, solange man sich nicht untertage befand. Leider waren sie dafür, im Gegensatz zum Pokédex, nicht wasserfest. Die meisten Handys waren es heutzutage, aber da der Pokégear als solches fungiert hatte, besaß Ryan ein solches nicht. Und das von Andrew war ebenfalls Schrott. Ryan schwor sich, bei der Anschaffung eines neuen Geräts der Widerstandsfähigkeit diesmal eine höhere Gewichtung beizumessen. Einen von Frust gefütterten Schlag auf das nasse Holz konnte Ryan nicht unterdrücken. So langsam sollte er eigentlich mal wissen, für welche Fälle er gewappnet sein musste. Schließlich hatte er ein unglaubliches Talent dafür, in Schwierigkeiten zu geraten und da er immer allein unterwegs gewesen war, hatte er nicht nur dieses eine Mal Hilfe anfordern müssen. Sowohl für sich selbst als auch für andere. Dennoch – der Vorfall der vergangenen Nacht war obskur, rätselhaft und irgendwie wurde Ryan das Gefühl nicht los, dass dieser Angriff etwas zu bedeuten hatte. Konnte es denn wirklich Zufall sein, dass erst Terrys Maxax und unmittelbar danach die Garados auf ihn, beziehungsweise Andrew losgegangen waren? War Andrew überhaupt ihr Ziel gewesen? Oder nicht doch das Schiff als Ganzes? Irgendwie hatte es aber danach ausgesehen.

    Im Augenblick war dies für ihre Situation völlig irrelevant. Erst einmal galt es, zu überleben. Gedanken über den Hintergrund des Angriffs konnten sie sich danach machen. Falls sie gefunden würden.

    Zusammenreißen. Gar nicht an so einen Scheiß denken. Er bläute es sich immer wieder ein, wobei er kurz den Kopf schüttelte, um seine Gedanken zu klären und sich danach die Augenlider zu reiben. Unbestreitbar war die Situation beschissen. Doch er hatte schon so oft aus aussichtslosen Lagen unbeschadet heraus geschafft. Zugegeben, manchmal nicht aus eigener Kraft, doch dies überzeugte ihn wiederum, einen sehr kompetenten Schutzengel über sich zu haben. Irgendwie hatte er es einfach immer geschafft und selbst wenn er mal hatte gerettet werden müssen, war es doch er selbst gewesen, der mehrere Tage in lebensfeindlichen Umgebungen überlebt und sich durchgebissen hatte. Er besaß einfach einen starken Durchsetzungs- sowie Überlebenswillen und wusste zu improvisieren, wenn es darauf ankam. Verzwickte Lagen förderten die Kreativität. Und die musste er jetzt einmal mehr unter Beweis stellen.

    Während Ryan so vor sich hin überlegte und sich an frühere Notsituationen zurückerinnerte, wurde er von einem schier unbegründeten Enthusiasmus erfüllt, der ihm befahl, auf der Stelle etwas zu unternehmen. Von alleine passierten keine guten Dinge. Glück kam nicht einfach so herbeigeflogen. Man musste es erzwingen.

    Ryan öffnete seinen Rucksack und inspizierte seine bescheidenen Möglichkeiten.

    „Was haben wir denn noch?“, fragte er mehr sich selbst als jemand anderen. Er hatte genug von der Stille. Er musste mit jemandem reden und wenn es nur er selbst war. Er redete sich ein, dass er lediglich Hydropi an seinen Gedankengängen teilhaben lassen wollte. Das kleine Amphibium war inzwischen wieder an seine Seite getapst und verfolgte nun aufmerksam jede Bewegung seines Trainers.

    Einige Sekunden wühlte er sich durch den Inhalt, stellte dabei fest, dass Nahrung ebenfalls kaum vorhanden war. Da sie die Fähre hatten erwischen müssen, waren sie vor der Überfahrt nicht dazu gekommen, ihre Vorräte aufzustocken. Zwei Wasserflaschen mit je einem Liter Flüssigkeit konnte er aufbieten, ebenso wie eine Dose Chips. Wenigstens ein bisschen hatten sie also zu trinken, doch das würde nicht lange reichen. An Essbarem mangelte es ihm vehement. Von Andrew wusste er, dass er gern mit Konservennahrung reiste, da sich das Zeug lange hielt. Für Ryan war das meiste davon jedoch nur schwer genießbar, was nicht hieß, dass er jetzt nicht heilfroh über jeden Bissen wäre. Allerdings war davon wahrscheinlich ebenfalls kaum etwas übrig. Der niedrigen Erwartung zum Trotz zog sich der blonde Trainer die graue Umhängetasche heran und fand darin schließlich zwei Plastikbecher mit Nudeln sowie eine Konserve mit fertigen...

    „Barschwafilets“, las er auf dem Etikett. Er kannte diese Art zwar nicht, aber darüber war er auch nicht unbedingt unglücklich. Auch wenn er nicht die Augen davor verschloss, dass er hin und wieder das Fleisch jener Lebewesen aß, die er liebte, musste er es nicht gleich persönlich kennenlernen. Der Verzehr von Pokémonfleisch war in manchen Teilen der Welt umstritten, ohne diese Vorratsreste würde Ryan es hier und jetzt mit einem Taurosbullen aufnehmen, um an etwas Essbares zu gelangen. Die fast leere Flasche Limonade, die er noch fand, war kaum der Erwähnung wert aber immerhin etwas. Alles war in solch einer Situation besser als nichts. Jeder Krümel und jeder Tropfen waren nun wertvoll. Für die Nudeln war allerdings Wasser von Nöten, um sie auf Andrews Campingkocher zubereiten zu können. Dafür würde er aber nur sehr ungern eine der beiden Flaschen öffnen. Letztlich würden sie das Wasser eher brauchen als Essen. Vor allem, wenn sie in der glühend heißen Sonne saßen und der Körper in kürzester Zeit so viel Flüssigkeit verlor. Glücklicherweise konnte Hydropi Wasser speien. Flüssigkeit aus dem Körper eines Pokémon nahm man zwar bekanntermaßen besser nicht selbst zu sich, da man davon schnell krank würde, aber zum Aufkochen könnten sie es problemlos nutzen.

    Ein kraftloses Keuchen zerrte Ryan aus seinen von Nahrung dominierten Gedankengängen. Fast automatisch wanderte sein Blick zu Andrew, den er noch in den tiefsten Träumen geglaubt hatte. Die Haut auf seinem Gesicht glänzte vom Schweiß und aus dem leicht geöffneten Mund stießen in unregelmäßigen Abständen schwere Atemzüge hervor.

    „Andrew?“

    Ryans Alarmglocken läuteten, als sein bester Freund nicht zu einer Antwort fähig schien. Zu schlafen schien er allerdings auch nicht mehr. Etwas stimmte nicht.

    „Hey!“

    Sofort wurde die Inventur abgebrochen. Andrew war ganz sicher wach, jedoch zu schwach, um es Ryan in irgendeiner Form mitzuteilen. So hatte es zumindest den Anschein, da er keinen vernünftigen Ton zustande brachte. Ryan rüttelte an ihm, doch blieb der absolut schlaff und entkräftet liegen und rührte sich nicht.

    „Hey, was ist los mit dir? Hörst du mich? Andrew!“

    Er konnte fragen, so viel er wollte und erhielt keine Antwort. Nur das schwere Stöhnen und Keuchen. Ryan legte eine Hand an seine Stirn. Er glühte. Fieber? Ein Sonnenstich?

    „Mach keinen Mist, Mann!“

    Eilig wurden die zuvor durchstöberten Rucksäcke wieder herangezogen. Was genau Andrew hatte, konnte ein in Medizin so wenig bewanderter, junger Mann, wie er es einer war, nicht bestimmen. Doch seine Körpertemperatur war definitiv viel zu hoch. Schritt eins lautete also, ihn zu kühlen. Dazu fischte er ein T-Shirt aus dem Gepäck seines Kumpanen, tauchte es einmal ordentlich ins Meerwasser, wrang es sporadisch aus und legte es Andrew um den gesamten Kopf, fast wie einen Turban. Als nächstes kam die Decke zum Einsatz, auf der er sonst die Nächte in der Wildnis verbrachte. Ein paar Mal wurde sie rasch gefaltet, um dann als provisorisches Kopfkissen herzuhalten. Das war natürlich kein Mittel gegen die Symptome an sich, doch was immer nun helfen konnte, wollte Ryan nichts unversucht lassen. Selbst wenn es nur bewirkte, dass Andrew bequemer lag. Nebenbei hatte er sich Dragonirs Pokéball herausgesucht und die Drachenschlange in selbigen zurück verfrachtet. Ryan wusste nicht genau, ob ihm die Hitze in seinem derzeitigen Zustand wirklich schaden konnte, doch er wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Hier draußen konnte er weder etwas für jemanden tun, noch konnte hier etwas für ihn getan werden und Ryan musste jetzt seine ganze Aufmerksamkeit auf Andrew konzentrieren. Dann stützte er diesen ein wenig, um ihn einen Schluck Wasser trinken zu lassen. Es war mehr so, dass er es in seinen Mund goss, denn er schien kaum zu realisieren, was um ihn herum geschah. Vermutlich war er zum Schlucken gar nicht in der Lage, weshalb Ryan vorsichtig vorging und immer nur kleine Mengen verabreichte.

    Er selbst atmete inzwischen ebenfalls sehr schnell und sein Herzschlag hatte an Tempo zugenommen. Die behandschuhten Hände fuhren sich nervös durch den Schopf, als könnten somit Denkblockaden eingerissen werden. Krallten sich verbissen in das blonde Haar am Hinterkopf, als könnte der grobe Griff das Gehirn in Schwung bringen. Was hatte Andrew? Was konnte er für ihn tun? Sein Blick wanderte hinauf zum Himmel, wodurch die grellen Strahlen der Sonne in ihm den Reflex heraufbeschworen, diese mit einer Hand vor dem Gesicht zu verdecken. Die Sonne. Schatten. Andrew musste aus der Hitze raus! Besonders der Kopf! Doch wie sollte er das machen?

    „Scheiß Sonne“, fluchte Ryan und wünschte sich dabei nichts sehnlicher als ein paar Wolken. Doch davon waren weit und breit keine in Sicht. Was konnte er tun? Sich selbst über ihn beugen und die Decke halten? Nein, das wäre lächerlich. Wie lange würde er das wohl können? Und es half auch nicht, wenn er sich an Andrews Stelle gezielt der Sonne aussetzte. Dann fiel er als nächster um.

    Plötzlich meldete sich eine kleine, helle Pokémonstimme aufgeregt und eindringlich in Ryans Ohr. Hydropi stupste ihn stürmisch gegen sein linkes Bein und buhlte um die Aufmerksamkeit seines Trainers. Diese bekam es auch rasch.

    „Was ist denn?“

    Er hatte ein wenig genervter geklungen, als beabsichtigt, doch Hydropi schien das gänzlich zu übersehen. Sowie er gefragt hatte, lies es von ihm ab, trat an den Rand des Floßes und deutete mit dem rechten Vorderlauf scheinbar in Richtung Horizont. War es etwa möglich...?

    Sofort sprang Ryan auf. Sein Herzschlag war von einer Sekunde auf die nächste auf ein rasantes Tempo gestiegen, die Augen wach und weit aufgerissen. Selbst der Mund stand ihm in seinem gemischten Gefühl aus Unglauben und Hoffnung leicht offen. Der Seegang war inzwischen nicht mehr so ruhig, wie noch in den Stunden zuvor. Ein typischer Meereswind peitschte die Oberfläche leicht auf, doch konnte er noch problemlos den Horizont erkennen. Dies bedeutete, dass ihm das kleine, rote Schiff sofort ins Auge sprang. Zunächst konnte er es gar nicht glauben. Da war tatsächlich jemand. Das leuchtende Rot stand zudem meist für Küstenwache oder sonstige Rettungskräfte. Das bedeutete, sie würden Andrew vernünftig behandeln können. Doch dafür mussten sie die Schiffbrüchigen erst einmal sehen.

    „Wir,... wir müssen uns bemerkbar machen!“, stellte Ryan überflüssiger Weise klar. Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren. Sein Körper geriet automatisch in unglaubliche Hektik, sodass sein Verstand sich überschlug. Natürlich war ihm bewusst, dass auf diese enorme Entfernung niemand sein peinliches Winken mit den Armen erkennen konnte. Schließlich war das Objekt kaum mehr als ein Farbpunkt am Horizont. Doch irgendetwas musste Ryan unternehmen. Mit seinem momentanen Kurs würde das Schiff geradewegs an ihnen vorbeifahren und die Chance wäre dahin. Das durfte auf keinen Fall passieren. Vielleicht würde es keine zweite geben und Andrew konnte ohnehin nicht lange auf Hilfe verzichten. Ryan zog ein weiteres Mal ihre beiden Rucksäcke zu sich und durchwühlte sie auf der Suche nach etwas Nützlichem.

    „Wenn wir das hier überstanden haben, leg ich mir ´ne verdammte Signalpistole zu“, schwor er sich verbissen. Was nur konnte er verwenden, um für die Crew sichtbar zu werden? Mit seiner ausgebreiteten Decke in der Luft herumfuchteln? Die würde sich mit ihrer Farbe zwar sicher gut vom Blau des Meeres und des Himmels abheben, aber die Distanz war einfach zu groß. Ryan konnte sich nicht darauf verlassen, dass jemand zufällig mit einem Fernglas genau in seine Richtung spähte. Er brauchte etwas, das ins bloße Auge sprang. Er hatte keine Möglichkeit, auf dem Floß ein Signalfeuer anzuzünden. Aber mit irgendeiner Form von Licht würde es vielleicht gelingen. Nur wie?

    Ryan lies von den Rucksäcken ab und begann, die Taschen seiner Jacke und seiner Jeans abzuklopfen. Und bei seiner linken Hosentasche stoppte er. Allerdings nur für eine Sekunde. Dann schon glitt die Hand hinein und förderte sein Taschenmesser zutage. Ein paar Mal sah er zwischen selbigem und dem Schiff hin und her. Eine Idee formte sich in seine grauen Zellen, deren Erfolgschancen auszurechnen er sich sparte. Sie lagen über Null. Darauf kam es an.

    „Das muss einfach funktionieren!“

    Es war bei weitem die beste Option, die ihm zur Verfügung stand und den Versuch allemal wert. Es war ja nicht so, dass er eine Wahl hätte. Ryan stellte sich aufrecht hin und formte mit zwei Fingern ein V, das er genau auf das Ziel richtete. Dann hob er das Messer und prüfte die Position Sonne. Wie ironisch. Sie war einerseits Quelle von Andrews Leiden und andererseits nun vielleicht ihrer beider Rettung. Er legte die Klinge horizontal zwischen das V, passte den Winkel zum Himmel an und begann, diesen ständig in kleinem Maße zu verändern. Der Gedanke hinter dem Vorhaben war, durch die Spiegelung der Sonne auf dem Metall einen blitzenden Lichtpunkt zu erzeugen. Aus seinem Gedächtnis konnte Ryan einen ähnlichen Fall hervorkramen, bei dem ein Schiffbrüchiger sich auf diese Weise über eine Distanz von fast zwei Kilometern Rettung verschafft hatte. Stehend sah man bis zum Horizont allerdings mehr als doppelt so weit. Dennoch konnte es mit nur ein bisschen Glück funktionieren. Es musste einfach. Ihr Leben hing vielleicht davon ab.


    „Verstehe. Ja. Habe verstanden, Ende.“

    Der erste Offizier Preston Wyatt stellte das Funkgerät ab und wandte sich dem Kapitän zu, der an der nun schon seit Stunden auf der Brücke ausharrte, ohne auch nur eine Sekunde die Augen vom Horizont zu nehmen. An diesem wanderten sie rauf und runter, in stetiger Hoffnung, einen Anhaltspunkt der vermissten Personen zu entdecken. Flankiert wurde er von zwei Besatzungsmitgliedern, die ebenso unermüdlich den Ozean mir Ferngläsern absuchten. Der Blick des Steuermanns hinter ihm lag dagegen bereits seit geraumer Zeit voller Sorge auf dem Kapitän. Er war geradezu besessen von diesem Rettungseinsatz, obwohl die Chancen, noch jemanden zu finden, verschwindend gering waren und mit jeder Minute weiter sanken. Die Hoffnung aufzugeben, war nie Teil ihrer Ausbildung gewesen, doch musste man irgendwann einsehen, wann es keinen Sinn mehr machte. Das sah Wyatt insgeheim ähnlich, doch er würde jeden Befehl seines Kapitäns bedingungslos ausführen. Er vertraute voll und ganz auf seine Erfahrung und seinen sechsten Sinn. Viele Jahre stand er nun schon unter seinem Kommando und war längst von seinen überragenden Fähigkeiten, Instinkten und Führungsqualitäten überzeugt. Den Händen und Entscheidungen dieses Mannes würde er sein eigenes Leben anvertrauen.

    „Sir.“

    Er wartete nicht darauf, dass Kapitän Hammerfogg reagierte. Er hörte Wyatt zu, das wusste dieser und mehr verlangte er dem Mann gar nicht ab. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie verbissen er in diesen, sowie generell jeden Einsatz war.

    „Der Rettungshubschrauber hat einen Überlebenden aus dem Wasser gezogen. Es ist allerdings unsicher, ob er es bis ins Krankenhaus schaffen wird. Es hat ihn übel erwischt“, berichtete er schwermütig. Er erhielt nur ein knappes Nicken, ohne dabei angesehen zu werden. Gleich darauf entfernte er sich wieder. Die anderen Rettungsteams hatten den ein oder anderen aus dem Wasser ziehen können, aber wohl nicht alle. Und auch nicht jeden lebend. Gerade wollte Wyatt die Brücke verlassen und an Deck weiter Ausschau halten, da wurde die Tür, die er hatte durchschreiten wollen, schon von außen aufgerissen. Vor ihm stand Deckmaat Craig Simmond – aufgebracht und schwer schnaufend.

    „Wir glauben, wir haben da was gesehen!“

    Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit drehte sich Kapitän Hammerfogg um und verlangte sofort, Klarheit zu bekommen.

    „Ein Lichtpunkt auf Steuerboard, Sir.“

    Sofort nahmen allesamt ihre Ferngläser zur Hand und suchten die Wasseroberfläche ab. Für eine halbe Minute herrschte erdrückendes Schweigen. Spannung und Nervosität lagen in der Luft. Keiner traute sich auch nur zu atmen und selbst der Steuermann achtete nun kaum mehr auf seinen Kurs. Wyatt war schließlich der Erste, der die Stimme wieder erhob. Laut und alarmiert.

    „Ich sehe Lichtreflexe. Und zwei Personen auf dem Wasser!“

    „Sofort beidrehen nach Steuerboard, volle Fahrt voraus!“, befahl Hammerfogg augenblicklich und zog sich anschließend Simmond heran.

    „Bergung vorbereiten. Die Sanitäter sollen sich für die Aufnahme von zwei Überlebenden bereitmachen.“

    „Aye, Sir.“

    Augenblicklich herrschte reges Treiben auf dem Rettungsschiff, das eilig den Kurs änderte. Hammerfogg ballte entschlossen, fast triumphierend die Fäuste, achtete aber darauf, dass es niemand bemerkte. Wehe, die beiden waren in ähnlichem Zustand, wie die arme Seele im Rettungshubschrauber. Er würde es ihnen niemals verzeihen, wenn sie auf seinem Schiff sterben sollten.


    „Und wenn sie nun schon tot sind?“

    Wilde Windböen versuchten stetig, das nachtblaue Haar fortzutragen, was zu unterbinden die Besitzerin gar nicht erst versuchte. Das Wetter war in der letzten Stunde völlig umgeschlagen und einfach widerlich, lud eher dazu ein, sich an einer wohligen Wärmequelle einzufinden und unter eine Decke zu schlüpfen. Doch derartige Bequemlichkeiten hatte sie sich selbst nie gegönnt. Daher war das Einzige, wonach sie sich gerade sehnte, das baldige Ende der Warterei. Ungeduld war zwar ebenfalls etwas, wovon sie sich nicht beherrschen ließ, doch sie tat nun einmal so manches lieber, als untätig aufs Meer zu starren. Die Zeit konnte sinnvoller genutzt werden. Zum Beispiel könnte man ein paar Feinde töten.

    „Sprich es nicht aus, als würdest du darauf hoffen. Wenn sie jetzt dort draußen ihr Leben lassen, haben wir versagt. Du weißt, was das bedeuten würde.“

    Neben dem Schleier aus blauem Haar tobte ein hellerer, längerer, welcher zu einer Frau in schwarzem Mantel gehörte. Ein mahnender Blick ruhte auf dem Mädchen zu ihrer Linken. Auch sie schien das heraufziehende Unwetter nicht zu kümmern. Die grauen Wolken, die sich in der letzten Stunde über ihre Köpfe geschoben hatten und nur in der Ferne noch ein Stück blauen Himmel sichtbar ließen, grollten bereits wütend und begossen die Menschen mit einem feinen Sprühregen. Lästig schlugen ihr die Tröpfchen durch die Winde, die an ihrer Kleidung zerrten, entgegen.

    „Es ist untypisch für uns, so passiv vorzugehen.“

    Die Frau schüttelte in der traurigen Erkenntnis, dass ihre Partnerin auch nach dieser langen Zeit noch immer so engstirnig dachte, den Kopf, konnte dabei aber noch schwach lächeln.

    „Entschlossenheit definiert sich nicht durch übereifriges Töten oder voreiliges Handeln. In dieser Sache ist es einfach klüger, nichts zu überstürzen. Noch haben wir den Luxus, unsere Schritte sorgfältig planen zu können.“

    Nun schnellte der Blick des Mädchens herüber. Man hätte vermuten können, sie reagiere auf eine dreiste Beleidigung, doch wollte sie bloß Standpunkte klären. Diese waren ihr allerdings schon immer so wichtig gewesen, wie ihr eigenes Leben. Daher die Reaktion.

    „Du bist es, die plant. Ich die, die tötet. Das hat über so lange Zeit wunderbar funktioniert.“

    Schon entspannte sie sich wieder etwas, verschränkte aber rebellisch die Arme vor der Brust und blickte wieder geradeaus. Ihr war danach, geringschätzig den Kopf zu schütteln doch diese aufsässige Geste unterdrückte sie.

    „Dass du gerade nun so zaghaft wirst. Ich fasse es nicht, dass ich schon wochenlang kein Blut sehen konnte.“

    „Du solltest es nicht zu sehr herbeisehnen. Du wirst in nächster Zeit vermutlich mehr Tote, um dich herum haben, als dir lieb ist“, mahnte die Frau nun etwas strenger. Unter normalen Umständen wäre niemand von ihnen auch nur auf die Idee gekommen, dass dies möglich wäre. Schließlich war das Töten ihr wichtigster Lebensinhalt und größtes Talent. Doch sie beide wussten genau, welches Ereignis bevorstand und was es für die Menschen und die Pokémon bedeutete.

    „Ich tue das, wofür ich lebe. Ich verschwende kein Mitleid an Dinge, die ich nicht ändern kann“, betonte sie und zupfte ihren Schal zurecht. Dieser war alles, was von ihrem Äußeren geblieben war. Mit Unmut stellte sie dies fest, als sie an sich herunter sah.

    „Ich werde mich nie daran gewöhnen.“

    Nun musste die Frau wirklich lachen. Es war leise und zurückhaltend, doch genügte es, um erneut einen scharfen Blick zweier Rubine auf sich zu ziehen. Die weiße Bluse war wohl ungünstig im Regen, das sah sie ein und der Rock war im Grunde viel zu kurz – der Preis für bessere Beweglichkeit. Froh war sie über die Ablenkung von diesem leidigen Thema, die sich gerade über den Horizont schob.

    „Ein Schiff kommt.“

    Wahrlich, der rote Punkt kämpfte sich tapfer durch die immer rauer werdende See. Nur Minuten später schallte das Echo einer Sirene durch die Straßen des Hafens. Es dauerte auch nicht lange, da rückte bereits ein Krankenwagen an und kam unweit von dem weiblichen Duo zum Stillstand.

    Wortlos beobachteten sie. Rührten sich nicht und sprachen auch nicht mehr. Jetzt galt es nur, aufmerksam zu bleiben und zu erfahren, wer gleich in das Fahrzeug verfrachtet werden würde. Und vor allem in welchem Zustand. Bis das Schiff tatsächlich angelegt und der Crew das Verlassen von selbigem ermöglicht hatte, ging noch einige Zeit ins Land. Doch kaum hatte es angedockt, kamen auch schon vier Männer in roter Signaluniform mit einer Trage daher, auf der ein junger Mann mit rostbraunem Haar lag. Er hatte den Kopf entgegen der beiden Frauen gelegt, sodass sie nicht sehen konnten, ob er bei Bewusstsein war. Hinter diesem Gespann folgen zwei weitere Besatzungsmitglieder und außerdem ein weiterer junger Mann. Er schien relativ unverletzt und folgte dem anderen auf der Trage eilig. Die Sanitäter hatten ihren Wagen längst für die Aufnahme der geborgenen Personen vorbereitet und luden beide rasch ein.

    „Der Junge hier hatte einen Hitzschlag. Dem anderen geht es soweit gut, aber sehen Sie sich mal seine Schulter genauer an“, lauteten die Anweisungen eines Mannes in Rot. Zweifellos hatten die Jugendlichen bereits erste Hilfe erfahren. Sie lebten also beide noch. Das Augenmerk der beiden Beobachterinnen lag jedoch auf dem Blondschopf, der eigens und ohne Hilfe im Krankenwagen Platz nahm und die sporadischen Untersuchungen des Sanitäters anstandslos über sich ergehen ließ, ohne dabei den Blick von seinem Kumpanen abzuwenden. Er nahm von ihnen keine Kenntnis.

    So rollte der Wagen mit Blaulicht und Sirene schon bald los, um die Patienten ins Krankenhaus zu bringen. Minutenlang herrschte Stille. Der Wind, heraufziehend von der immer blasser und trüber werdenden See, trug noch sanft und vorsichtig Haar und Kleidung der beiden mit sich, bis dann zwei rubinrote Augen einen raschen Seitenblick wagten.

    „Wie gehen wie nun weiter vor?“

    „Ganz einfach. Wir werden ihnen offen gegenübertreten und erzählen, was sie wissen müssen. Falls sich die Möglichkeit ergeben sollte, suchen wir das Gespräch mit diesem Ryan in Abwesenheit seines Kameraden.“

    Der Blick der jüngeren Frau wurde etwas schärfer, was auf Zweifel schließen ließ. War dies wirklich so schlau? Einfach so auf sie zugehen?

    „Du willst sie einweihen?“

    „Ich sagte dir bereits, dass ich sie leben lassen will. Und für diesen Fall müssen wir ihnen reinen Wein einschenken. Andernfalls haben wir keine Chance auf Erfolg.“

    Es war wohl nicht zu ändern. Sie würde ihren Blutdurst auch an diesen Jungs nicht stillen können. Welch eine Qual. Doch unabhängig, ob sie die beiden verschonen würden, gab es da noch ein weiteres Problem. Leicht neigte das Mädchen den Kopf zur Seite, als wollte sie unauffällig etwas aus dem Augenwinkel beobachten.

    „Dann müssen wir zunächst unser Anhängsel loswerden.“

    Die etwas größere, blonde Frau tat ihre Geste nach und nickte schließlich.


    Auf dem Dach eines mehrstöckigen Hauses präsentierte sich eine Gestalt in Schwarz ungehemmt den Blicken der Menschen. Ziel jener Gestalt waren lediglich zwei Personen, die unten am Hafen verweilten und ihr den Rücken kehrten. Längst mussten sie ihre Anwesenheit bemerkt haben. Alles andere wäre eine Enttäuschung. Sie erwartete doch viel von den Beiden und sie sollten schließlich wissen, dass sie beobachtet wurden. Das wussten ihre Zielpersonen immer, sofern die Art des Auftrages dies zuließ. Sie liebte es, ihnen dabei zuzusehen, wie sie planlos und ängstlich vor der Gefahr in Gestalt einer jungen Frau verzweifelten, nicht mehr zur Ruhe kamen. Doch diese zwei waren mit Abstand die größte Herausforderung in ihrem bisherigen Leben – schienen sie, ihren Schatten, gar zu ignorieren und gaben sich keine Blöße. Doch zweifellos war die Agentin bemerkt worden. Und die Beiden würden über kurz oder lang ihre Vorgehensweise ändern müssen. Seit sie vor ein paar Monaten die Hauptbasis in Johto im Alleingang ausgeräuchert hatten, war klar geworden, welche Bedrohung sie für Team Rocket darstellten und waren der höchsten Gefahrenstufe zugeordnet worden. Einer der beiden Jungen, die sie im Auge behielten, hatte dabei eine ebenfalls nicht unwichtige Rolle gespielt und war sich dessen wohl nicht einmal bewusst, da beide Parteien sich nie begegnet waren. Doch seit dem Massaker von jenem Tag hatte es keine Berichte über Angriffe von Seiten der Frau und des Mädchens gegeben und auch nachdem sie selbst auf dieses bizarre Duo angesetzt worden war, hatten sie stets nur beobachtet und belauscht, wobei sie sicher an die ein oder andere Information gekommen waren. Bald würden sie jedoch mehr tun müssen. Und sie würden unter Druck geraten, wenn sie einfach nur an ihnen dran blieb und die beiden wissen ließ, dass Team Rocket sie im Auge hatte. Sie war sehr gespannt, wie sie darauf reagieren würden, freute sich aber bereits auf den Tag, an dem diese lästigen Spielchen aufhören und der Krieg beginnen würde. Dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihnen gegenüberstehen würde. Ein verspieltes und verschlagenes Schmunzeln stahl sich auf ihre schmalen Lippen. Ihre Fingerspitzen kribbelten bereits in freudiger Erregung, ließen beinahe die Flasche Sake entgleiten. Sie schaffte es noch, sie an ihre Lippen zu führen und in einem Zug zu leeren, obwohl sie noch zu einem Drittel voll gewesen war. Doch es war ja erst die zweite am heutigen Nachmittag. Schließlich musste sie wachsam sein.

    „Ich warte auf euch.“

    Langsam ging sie in die Hocke und fixierte das Duo mit ihren wie Bernstein funkelnden Augen. Das warme Gefühl des Alkohols trieb den Drang, endlich zu handeln, nur in die Höhe. Bald würde es soweit sein.

    „Kommt zu Bella.“

    Kapitel 17: Räuber in der Nacht


    „Scheiße... scheiße verflucht.“

    Andrew hielt krampfhaft beide Arme über den Kopf geschlagen und blickte willkürlich starr in eine Richtung, dem nicht sichtbaren Horizont entgegen. Vermutete er dort etwa ihr verschwundenes Schiff? Es konnte eigentlich noch gar nicht außer Sicht sein, doch war es nur schwach beleuchtet gewesen. In dieser diesigen Nacht verlor man selbst so ein großes Transportmittel schnell aus den Augen. Eigentlich spielte es auch gar keine Rolle, wo es sich befand oder wie weit es entfernt war. Wenn niemand an Bord baobachtet hatte, wie sie in die Wellen geschleudert worden waren, hatten sie keinen Grund umzukehren. Aber war das denn möglich? Hatte ausnahmslos jeder Mensch auf der Fähre beim Anblick der Garados das Weite gesucht?

    „Ey, das gibt´s doch nicht. Die müssen uns doch bemerkt haben!“

    Ryan pflichtete dem voll und ganz bei. Doch die Tatsachen sprachen dagegen. Sie waren auf dem offenen Meer verschollen und es war keine Hilfe in Sicht.

    „Verfluchter Mist!“

    Selbst überrascht, woher er noch die Kraft dazu nahm, schlug Ryan auf das Holz ein, das ihnen als notdürftiges Floß diente. Schmerz durchzuckte seine Hand trotz des geringfügigen Schutzes durch seine Handschuhe. Er kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe, bevor er zu dem Schluss kam, dass dies ein unglaublich beschissener Traum sein musste. Er wollte aufwachen. Er wollte sich in einem gemütlichen Bett vorfinden und einen ganz normalen Tag beginnen. Wollte, dass das alles nicht wirklich passierte. Doch auch nach mehreren Momenten spürte er noch immer die Nässe, den Wind, hörte das Rauschen der See.

    „Okay, okay... ähm,... wir... wir müssen nur ´ne Weile durchhalten. Die kommen bestimmt wieder“, prognostizierte Andrew wenig überzeugend. Dennoch nickte der jüngere Trainer, da es nun nichts half, pessimistisch zu sein. Wohl war er selbst nicht überzeugt von dieser Hoffnung, aber etwas Wahres war dran. Wenn sie es schafften, am Leben zu bleiben, würden sie früher oder später gefunden werden. Der Schiffsverkehr zwischen Faustauhafen und der Anlegestelle hinter ihnen soll angeblich zu den größten an der gesamten Westküste Hoenns gehören. So unglaublich das klang, wenn man den winzigen Ort am Rande von Blütenburg einmal gesehen hatte. Also konnte es doch nicht so lange dauern, bis sie auf ein Schiff stießen. Oder? Natürlich, das musste so sein. Es musste einfach. Abwarten und Tee trinken war angesagt und wenn möglich nicht absaufen. Und natürlich hoffen, dass die Rettung kommen würde, bevor sie von der Strömung aus der Passage zwischen dem Festland und ihrer Zielinsel aufs offene Meer hinausgetragen werden würden.

    Ryan sah sich um. Dachte angestrengt nach, was sie nun tun konnten, um ihre Überlebenschancen zu steigern. Jedes kleine Bisschen war nun Gold wert. Und selbst wenn ihm nichts einfiel, musste er sich einfach von negativen Gedanken und Befürchtungen ablenken. Es trieb noch einiges an Holz an der Oberfläche, ebenso wie meterlange Schiffstaue. Damit ließ sich doch bestimmt was machen. Nachdenklich sah Ryan auf das Holz unter sich.

    „Ich fühle mich auf dem Ding hier nicht so sicher.“

    Erst mit einem sanften Rütteln an Andrews Schulter gewann er dessen Aufmerksamkeit und deutete dann ins Wasser.

    „Lass uns ein paar Bretter zusammenbinden.“


    Keiner der beiden Jungen hatte je zuvor ein Floß gebaut. Hinzu kam, dass man so etwas normalerweise an Land tat. Daher war das Ergebnis trotz der Hilfe durch Hydropi und Dragonir eher schlecht als recht und hatte seine Zeit in Anspruch genommen. Doch selbst mit einem solch unbeholfenem Haufen schwimmfähigen Holz unter sich, zusammengehalten von festem Seil, trieb es sich immerhin ein wenig beruhigender auf nächtlicher See.

    Magnayen war inzwischen zurück in seinen Pokéball eingekehrt, trotz seiner Proteste. Es wäre gern weiterhin bei seinem Trainer geblieben, aber in seinem Zustand war es leider keine Hilfe. Bei gar nichts. Außerdem sollten sie die Belastbarkeit ihres Floßes auf keine allzu große Probe stellen. Gerade richtete sich auch Dragonirs Pokéball auf seinen zugehörigen Insassen, doch die anmutige Drachenschlange schüttelte sogleich vehement den Kopf.

    „Was ist, Dragonir?“

    Natürlich wussten beide Trainer das Verhalten des Drachen mühelos zu deuten, doch Andrew war schleierhaft, was dieser damit bezwecken wollte. Selbst Magnayen, das einen weitaus größere Dickschädel besaß, war bereits wieder in seinem Pokéball. Das Drachenpokémon dachte für gewöhnlich bodenständig und zielorientiert. Aber was sollte es denn hier und jetzt ausrichten können? Spontan war Andrew vorhin auf die Idee gekommen, auf Dragonirs Rücken übers Meer zu fliegen. Da täte sich allerdings das Problem auf, dass sie nicht wussten, in welcher Richtung denn Faustauhafen lag. Sie kannten nicht einmal die genaue Richtung, in die ihre Fähre verschwunden war und selbst die machte auf ihrer Route einen Schlenker, um einem Riff vor der Küste auszuweichen. Genauso gut könnten sie aufs offene Meer hinausfliegen. Ganz abgesehen davon – wie lange würde Dragonir wohl zwei Jugendliche tragen können? Eine Stunde? Vielleicht zwei? Und was, wenn sie kein Land fanden? Das Risiko war definitiv zu hoch für eine Entscheidung mit so geringen Erfolgschancen. Weshalb also beharrte Dragonir darauf, nicht in seine Kapsel zurückzukehren?

    „Ist das nicht offensichtlich?“

    Andrew blickte Ryan an, der sich trotz der Situation ein leichtes Lächeln erlaubte.

    „Es will auf dich aufpassen, du Genie. Es will bei dir sein.“

    Selbstverständlich kapierte er das. Mit dem Unterschied, dass er einen konkreten und im Optimalfall guten Grund dahinter vermutet hatte. Doch auf der anderen Seite existierte auch ein triftiger Grund, warum Dragonir in seinem Pokéball ausharren sollte. Im Gegensatz zu dem grauen Wolf, der zuvor einiges abbekommen hatte, sah die Drachenschlange keinen Vorteil innerhalb ihrer Behausung.

    Haargenau so pragmatisch empfand Dragonir dabei gar nicht einmal. Es wollte so oder so an Andrews Seite bleiben. Wollte ihn behüten, Trost spenden oder Wärme oder was auch immer. Es wollte einfach bloß nicht irgendwohin verschwinden, wo es rein gar nichts bewirken konnte. Dies war ihr Band. Das Für- und Miteinander auf dem alles basierte, was sie teilten und was sie zusammenhielt. Und der blau-weiße Drache, er fühlte es bereits so stark und unzertrennlich, dass er auf jegliche Annehmlichkeiten verzichtete, um bei seinem Trainer sein zu können, obwohl er noch nicht lange dabei war. Dragonir hatte Andrew als seinen Trainer akzeptiert, von dem Moment an, als er nicht mehr aus dem Pokéball hatte entkommen können. Hatte seinen Meister gefunden und würde alles tun, um ihn zu unterstützen. Bedingungslos und in jeder Situation. Und Andrew – er hatte tatsächlich für eine Sekunde vergessen, wie ähnlich Menschen und Pokémon doch fühlten. Was für Emotionen sie zu teilen vermochten.

    Nun lächelte auch der junge Trainer und strich Dragonir sanft über die Schnauze. Ein Geräusch, das man als gefühlvolle Melodie betiteln konnte, ertönte daraufhin. Ein Klang des Wohlwollens, wie das Schnurren von Psiana oder das vergnügte Fiepen von Magnayen. Nur viel himmlischer.

    „Ich glaube du kennst Dragonir noch lange nicht so gut, wie es dich bereits kennt.“

    Die Drachenschlange ließ sich auf das Floß sinken und formte mit seinem Körper ein Oval, woraufhin es Andrew einladend ansah. Der verstand die Geste diesmal und nahm sie dankend an. So gemütlich, wie es im Angesicht der Notlage ging, legte er sich zu dem eingerollten Körper und stützte den Nacken darauf. Dabei strich er weiter über die blauen und weißen Schuppen. Dragonir hatte Recht. Die Nähe seines Partners zu spüren, war hier und jetzt unbezahlbar.

    „Und ich glaube, ich kenne Dragonir immer noch besser als du, Pfeife.“

    Es lag weder Unmut noch Argwohn in Andrews Stimme. Lediglich eine Zurückweisung des Vorwurfes. Es sprach sein Sturkopf, der seine üblichen Sticheleien ausspuckte, und normalerweise nur in jenen Momenten sprach, wenn sie beide gerade mehr Rivalen als Freunde waren. Dass Andrew selbst hier und jetzt imstande war, alles so runterzuspielen, entlockte dem Blonden dann doch ein schwaches Lächeln sowie ein fassungsloses Kopfschütteln. Vielleicht zwang er sich auch dazu, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Wenn man sich der Aussichtslosigkeit und Machtlosigkeit ergab, folterte man sich selbst schließlich nur noch mehr. Er trat an das beieinanderliegende Duo heran, richtete einen vorsichtigen, fragenden Blick an den Drachen. Wollte nicht dreist wirken und sich unerlaubt dazugesellen. Dragonir streckte seine untere Körperhälfte ein wenig, sodass es schien, als öffne sich ein blau-weißes Tor zu einem gleichfarbigen Innenhof. Dankend nickte Ryan und lehnte sich ebenfalls an den länglichen Körper. Dieser war überraschend weich und die Schuppen glatt, aber selbst durch die Nässe ließen sie einen nicht abgleiten. Dragonir war einfach ein wunderbares Geschöpf und dieses hier besaß zudem eine wundervolle Seele.

    Plötzlich kam Hydropi in Ryans Arme gesprungen. Es wirkte noch immer aufgewühlt und in seinen Knopfaugen zeichnete sich enorme Sorge.

    „Hey, hey,“, beschwichtige sein Trainer und strich behutsam seinen Rücken.

    „Alles wird gut. Wir schaffen´s schon irgendwie.“

    Das kleine Wasserpokémon schien bei weitem nicht so optimistisch, wie der Rest der Gruppe. Das war wohl die Jugend, die Unerfahrenheit. Es hatte doch noch nichts von der Welt gesehen und nach nur wenigen Tagen der Reise geriet es in so eine missliche Lage. Das war sicher beängstigend, doch seine eigentliche Sorge galt wahrscheinlich Ryan. Schließlich war Hydropi hier draußen nicht verloren, sondern genau in seinem Element. Doch es wollte seinen Trainer in Sicherheit wissen und gab dafür sogar einen Teil der eigenen auf. Es zeigte bereits ähnliche Züge wie Dragonir, mit dem Unterschied, dass es weitaus hilfloser war. Genau das sah man ihm auch an. Eigentlich müsste er die Tatsache verfluchen, dass bloß Hydropi hier war. Schon wieder, musste man sagen. Doch Ryans rechter Mundwinkel zuckte dann urplötzlich weit nach oben.

    „Hab ich eigentlich schon gesagt, wie toll du vorhin gekämpft hast?“

    Hatte das Amphibium sich da gerade verhört? War das gerade ein Kompliment gewesen? Ausgerechnet hier? Ausgerechnet jetzt?

    „Hy-?“

    Eindringlich sah Ryan seinen jüngsten Schützling in die Augen. Hielt ihn fest und schenkte ihm ein Lächeln voller Stolz und Zuversicht.

    „Du hast dich mit gleich zwei Garados angelegt. Die meisten würden dich deswegen für verrückt halten. Du hast dich fantastisch geschlagen, wirklich“, lachte er Hydropi aufmunternd an und umfasste fest seine Wangen, sodass es ihn ansehen musste. Es sollte ihm in die Augen sehen, sollte die Ehrlichkeit daraus lesen. Es sollte dieses Lob annehmen und das wachsende Vertrauen seines Trainers spüren.

    „Ich danke dir. Und ich bin stolz auf dich.“

    Nach diesen eindringlichen Worten lächelte nun auch das letzte Wesen im Club der Schiffbrüchigen. Im Grunde absurd, freilich. Aber in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, musste man die Hoffnung beibehalten und das gelang, indem man sich gegenseitig Mut machte. Außerdem verdiente Hydropi das Lob und Ryan hatte weder gelogen noch übertrieben.

    „Wir sollten versuchen ´ne Runde zu schlafen“, bemerkte Andrew dann. Auch das sollte wohl eine Maßnahme sein, um ihrer Situation zumindest für eine kurze Zeit gewissermaßen entfliehen zu können.

    „Und wenn ein Schiff kommt?“

    „Bemerkt Dragonir das, bevor wir es überhaupt sehen können.“

    Bestätigend öffnete der Drache eines seiner bereits geschlossenen Augen einen Spalt weit und blickte Ryan felsenfest an. Kein Zweifel, es pflichtete seinem Trainer bei. Natürlich tat es das. Die überlegenen Sinne eines derart edlen Wesens würden die zweier junger Männer in einen gewaltigen Schatten stellen. So richteten sich alle ein letztes Mal, um eine möglichst komfortable Ruheposition zu erreichen und schlossen die Augen. Wie skurril all dies doch war. Sie befanden sich in einer so hoffnungslosen und gefährlichen Situation und dennoch empfanden jeder in diesem Moment Ruhe und Sicherheit. Sie waren füreinander da. Seinen Pokémon sowohl körperlich als auch geistig so nahe zu sein, wie Ryan und Andrew es gerade waren… solche Momente behielt man für immer im Gedächtnis. Der junge Trainer, der seinem Dragonir noch ein letztes Mal sanft über die Schnauze strich, zog für einen kurzen Moment eine Braue hoch, schüttelte seine plötzliche Skepsis aber schnell wieder ab. Sicher war das schwache, silberne Licht in Ryans Augen nur Einbildung gewesen.


    Ryan schreckte nach oben. Konfusion beherrschte ihn. Leichtes Schwindelgefühl und die Frage nach dem Wo und Wann, verfolgten ihn. Durchatmen, Gedanken ordnen. Es war Nacht, ohne Sterne, ohne Wind. Salziger Geruch erfüllte seine Nase und ein kaltes Gefühl der Nässe kroch in Hände wie Beine. Rasch kam die so unwirklich scheinende Erinnerung hoch. Richtig, er war in einem Alptraum. Nur schlief er nicht länger. Es war ein realer Alptraum, den das Leben ihm schickte. Der Grund seines plötzlichen und vor allem so schreckhaften Erwachens entzog sich jedoch seinem Wissen. In dem Moment, in dem er vom Traumreich wieder in die Realität über gewandert war, hatte er noch gedacht, einen Schlag oder eine Erschütterung zu spüren. Doch mit Sicherheit hatte er sich das nur eingebildet und er wurde einfach nur seekrank. Das würde jedenfalls den Schwindel erklären.

    Seufzend warf er einen Blick auf die Schlafenden. Dragonir hatte sich kein Stück bewegt, hatte noch immer die beiden Trainer und auch Hydropi mit seinem schlangenartigen Körper umringt, um so viel Schutz und Geborgenheit zu liefern, wie es nur möglich war. Andrew war ein wenig von seinem geschuppten Kopfkissen hinab gesunken, sodass der Kopf von jener nun fast aufrecht gestützt wurde und das Kinn auf der Brust lag. Hydropi hatte sich in den vergangenen Stunden – Ryan wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch er schätzte es in dieser Richtung ein – aus den Armen seines Trainers herausgewunden und kauerte nun direkt an Dragonirs schützendem Körper.

    Nun, da er die Situation gänzlich erfasst hatte, schob Ryan einen Ärmel zurück und machte sich die Mühe, die Uhrzeit zu überprüfen. Die Armbanduhr war zum Glück wasserdicht. Kurz nach halb vier am Morgen. Der junge Trainer schnaubte fassungslos mit einer winzigen Spur von einem Lächeln. Er hatte es tatsächlich geschafft unter gegebenen Umständen mehrere Stunden zu schlafen. Dies war wohl der Erschöpfung und der verletzten Schulter geschuldet. Wirklich besser fühlte sich diese nicht an. Vielleicht war etwas geprellt oder verrenkt. Das müsste er bei Gelegenheit von einem Arzt prüfen lassen.

    Inmitten seiner Überlegungen stach ihm etwas ins Auge. Zwar war die Nacht gar so finster und von Wolken verhangen, dass keine Sterne sichtbar waren, doch der Mond fand noch mit einigen spärlichen Bruchstücken seines weißen Lichts einen Weg zu ihrem einsamen Floß herab. So erkannte Ryan das schlaff im Wasser schwimmende Tau, das eigentlich einen Teil eben jenes Floßes zusammenhalten sollte.

    „Shit“

    Ungeachtet der schlafenden Gemeinschaft sprang Ryan auf, überrascht, wie er dies überhaupt so ohne weiteres schaffen konnte. So schlagartig war er selten munter geworden.

    „Hey, Andrew.“

    Weder machte er sich diesmal die Mühe, den Schlafenden wachzurütteln, noch wandte er sich ihm gänzlich zu. Dennoch genügte diese knappe Ansprache, um ihn bereits in einen..., na ja zumindest halbwachen Zustand zu rufen.

    „Aufwachen!“

    Andrew schien die Situation nach dem Erwachen noch konfuser zu erscheinen, als es bei Ryan der Fall gewesen war. Die Brauen zusammengezogen und die Augen nur einen schmalen Spalt weit geöffnet, als würde er geblendet werden, könnte man meinen, er schlafwandelte gerade. Nach einigen Sekunden jedoch schaffte auch er es, seinen müden Körper in eine aufrechte Position zu bringen.

    „Was? Was´n los?“

    „Uns fällt gleich das Floß auseinander.“

    Ryan schien noch Herr seiner Fassung zu sein und die Nerven zu behalten. Er sprach ernst, aber in ruhiger Tonlage. Dabei war ihm durchaus klar, dass sie am Arsch waren, sobald das Teil sie nicht mehr trug.

    „Was? War doch alles gut verknotet.“

    „Keine Ahnung, lass das einfach schnell hinbiegen, bevor wir schwimmen müssen.“

    Ohne zu zögern, öffnete Ryan den Reißverschluss seines Sweatshirts, um sich dessen zu entledigen. Auch Schuhe und Socken legte er rasch ab und sprang schließlich in die Fluten. Er zog es vor, etwas Wasser zu treten und dafür besseren Zugriff auf die Knoten zu haben. Hydropi erwachte nun ebenfalls – als letzter im Bunde, da die scharfen Sinne Dragonirs schon längst Alarm geschlagen hatten. Eine geschlagene Minute verging und Ryan schien den Schaden problemlos beheben zu können. Man durfte sich das Ergebnis ihrer Arbeit nicht allzu sauber vorstellen. Die Konstruktion bestand zum größten Teil aus einem verschnürten Rahmen einzelner Holzbalken, auf denen nochmals zwei größere Platten aufgeschichtet worden waren, um möglichst viel Auftrieb zu erzeugen. Diese waren ein weiteres Mal verschnürt worden. Nun hatte eines jener Seile, welche die Grundkonstruktion zusammenhielten, sich scheinbar gelöst. Dies erneut zu befestigen, würde wohl jedoch kein großes Problem darstellen. Andrew kniete derweil am anderen Ende des Floßes und unterzog das Tau einer genaueren Betrachtung.

    „Das ist doch....“

    Das war vorhin definitiv länger gewesen. Er war sicher, beim Zusammenbinden das Tauende in der Hand gehalten zu haben. Dieses Ende war nun fort. Das Tau irgendwo auf seinem Weg durchtrennt, sodass jede Sehne einzeln ausstand und in alle Richtungen abknickte.

    „Das hat sich nicht gelöst. Es wurde zerfetzt.“

    Er verstummte. Der Andere im Wasser erstarrte. Ein sanfter Schlag hatte auf das Holz getroffen. Nicht von oben, sondern unter der Wasseroberfläche. Sofort setzten wieder die natürlichen Instinkte ein. Sie sahen einander an, die Augen geweitet und den Mund vor böser Vorahnung offenstehend.

    „Bitte sag mir, dass Hydropi auch ins Wasser gesprungen ist.“

    Andrew antwortete nicht. Er sah nur hinunter zu der noch immer eingerollten Drachenschlange. Zwischen dem schuppigen Körper lugte nun das Amphibium hervor. Ryan wurde kreidebleich. Was immer sich nun mit ihm im Wasser befand, es war gerade eben höchstens eine Armlänge von ihm entfernt gewesen.

    Korrekt wäre gewesen, dass es in diesem Augenblick nur eine Armlänge entfernt war. Was auch immer unter ihnen schwamm, versetzte dem Floß gerade einen zweiten Schlag. Diesmal so stark, dass es glatt ein Stück aus dem Wasser gehoben wurde. Ryan und Andrew erstarrten vor Schreck. Der Blonde krallte sich instinktiv an den Rand des Floßes und wurde dadurch mit in die Höhe gehievt, während sein Leidensgenosse sich auf alle Viere begab, um nicht herunterzufallen. Rasch sackten sie wieder ab. Ryan vermochte sich allerdings nicht am nassen Holz zu halten und sank durch den Aufschlag einen Meter unter Wasser.

    Jeder Instinkt beschwor die Menschen, ihre Augen zu schließen, wenn sie tauchten. Ihre Augen waren nicht dafür geschaffen, unter Wasser zu sehen. Oder bei Dunkelheit. Entgegen dieser Instinkte hielt Ryan die seinen alarmiert offen, um gegenüber des Angreifers nicht komplett blind zu bleiben. Natürlich erkannte er nicht, was sie da von unten gerammt hatte. Etwas erkannte er jedoch, das sein Herz nicht nur für einen Schlag aussetzen ließ. Eher fühlte es sich an, als sei es gänzlich und für immer in furchtbar unnatürliche Regionen gerutscht. Es war so nahe. Es sah ihn an, gierte nach ihm, so durchdringend. Ein leuchtend roter Punkt in der Dunkelheit. Darinnen eine winzige schwarze Pupille, dir präzise in seine blickte. Sofort schoss sein Kopf wieder aus dem Wasser.

    „Scheiße, verflucht!“

    Ryan begann panisch mit den Armen zu rudern und nach dem rettenden Floß zu greifen. Salzwasser spritzte auf und wurde aufgeschäumt. Von einem Moment auf den anderen herrschten allein durch das Handeln einer einzelnen Person unnatürliche Hektik. Andrew ahnte nicht was sein Kumpel gesehen hatte. Doch seine Reaktion machte mehr als deutlich, dass er sofort aus dem Wasser wollte. Das zerrissene Tau, welches das Floß befestigen sollte, war zudem kein gutes Zeichen. Geistesgegenwärtig sprang er über Dragonirs Körper hinweg und zog Ryan an seinem T-Shirt rauf. Der hustete und drückte seine Stirn auf das Holz, als sei es ein rettendes Ufer und er ihm unendlich dankbar. Dabei hatten sich gerade die Befürchtungen erhärtet, dass sie hierauf alles andere als sicher waren.

    „So ´ne scheiße“, fluchte Ryan weiter und biss sich auf die Unterlippe, sodass sie fast blutete. Wenn er bedachte, wie nahe er dem Angreifer eben gewesen war und dass er problemlos auch ihn anstelle des Floßes hätte attackieren können, wurde ihm übel. Andrew sah zwischen ihm und der Wasseroberfläche hin und her. Er konnte nicht das geringste Entdecken.

    „Was? Was hast du gesehen?“

    Der Durchnässte atmete zunächst einige Male geräuschvoll ein und aus, bevor er antwortete. Wieder ein wenig gefasster, aber definitiv verängstigt.

    „Ein Auge!“

    Andrews Stirn legte sich in Falten.

    „Ein Auge?“

    „Ja verdammt, ein rotes Auge!“, bestätigte er und wollte eigentlich fest in seine braunen Augen sehen, doch der Blick des Braunhaarigen suchte bereits wieder die finstere See ab. Keiner von ihnen wagte sich jedoch näher an den Rand ihrer plötzlich so klein wirkenden, schwimmenden Insel. Keiner der Trainer zumindest. Dragonir erhob sich langsam und lautlos in die Lüfte. Die Kristallkugel an seinem Hals begann ein sanftes, blaues Licht auszustrahlen, womit es das pechschwarze Meer erleuchtete. Der Lichtschein wurde nach einigen Metern bereits von Dunkelheit verschluckt, doch sollte der Angreifer damit zu entlarven sein, wenn er sich noch nahe der Oberfläche aufhielt.

    Eine gute halbe Minute lang drehte der Drache seine Bahnen um das Floß herum, scheinbar ohne fündig zu werden. Insbesondere Ryan verfolgte diese Suchaktion gebannt. Auch wenn Andrew nun wusste, was er dort unten gesehen hatte, würde er wohl kaum die Verletzbarkeit, die er bei dem Anblick gefühlt hatte, nachvollziehen können. Folglich war der Blonde deutlich aufgekratzter. Hin und wieder huschte ein Blick über die Schulter, da man den Schwall einer kleinen Welle für das Wesen aus der Tiefe hielt, das ihm den Schrecken seines Lebens verpasst hatte. Dieses rot leuchtende Auge. Wie eine blutgetränkte Kristallkugel mit einem leuchtenden Kern und einer sehr kleinen schwarzen Punkt in der Mitte. Weiter war nichts zu erkennen gewesen. Nicht einmal die Größe konnte er bestimmen, geschweige denn die Spezies. Doch er war sich sicher, dass es kein Goldini oder etwas ähnlich harmloses gewesen war.

    „Hol es zurück.“

    Ein fragender Blick legte sich auf Ryan. Mit gerunzelter Stirn und hochgezogener Braue stellte er den Ernst dieser Aufforderung infrage.

    „Hol es zurück“, wiederholte er, diesmal nachdrücklicher. Es war nicht mehr als ein Bauchgefühl, dass ihn dies sagen ließ. Allerdings war es so stark, dass er fast glaubte, sich erbrechen zu müssen. Er hatte gelernt, seiner Intuition zu vertrauen und wenn sie ihn so vehement warnte, konnte er das nicht ignorieren.

    „Keine Ahnung, was da unten ist, aber es kann Dragonir sehen. Und ich glaub kaum, dass...“

    Plötzlich wurde auf einen Schlag alles ganz surreal. Wasser rauschte, spritzte, hoch, weit. Ein dunkler Körper durchbrach die Oberfläche. Unmöglich genau zu erkennen, da im entscheidenden Moment keiner von ihnen hingesehen hatte. Doch zweifellos hatte der die Drachenschlange ins Visier genommen. Und erwischt. Am hinteren Teil des langen Körpers hatte es sein ahnungsloses Opfer erfasst und zog es nun in die Tiefe. Ein panischer Schrei ertönte noch, doch nur einen Herzschlag später war das schöne Wesen in schäumender See verschwunden.

    „Dragonir!“

    Andrew stürzte an den Rand des Floßes. Ryan hielt ihn bereits am Ärmel, da er befürchtete, sein Freund würde gleich hinterher springen. Dies tat er zwar nicht, aber seine Panik war deutlich sichtbar. Er lehnte sich so weit über den Rand des Floßes, wie es ihm die Schwerkraft erlaubte und krallte sich mit beiden Händen krampfhaft an das Holz. Seine Augen waren derart weit aufgerissen, dass sie jeden Augenblick aus ihren Höhlen fallen konnten und trotz finsterer Nacht verkleinerte der Schock seine Pupillen auf die Größe eines Streichholzkopfes.

    „Dragonir!“

    Der zweite Ruf erschallte noch um ein Vielfaches lauter. Gar mochte man glauben, er wäre unter Wasser wirklich zu hören gewesen. Doch eine Antwort, die folgte natürlich nicht. Es blieb totenstill. Das sanfte Rauschen und Plätschern des Seegangs allein spielte die Melodie dieser plötzlich so schrecklichen Nacht. Sie mussten etwas tun!

    Andrews Verstand spielte verrückt. Er stieß in Sekundenschnelle mehrere laute Atemstöße aus, zappelte und zitterte wie ein hilfloses, panisches Mauzi in einem Käfig. Seine Hände, seine Blicke suchten blind nach einer unsichtbaren Lösung, was darin resultierte, dass er wild mit den Armen um sich schlug, ohne wirklich etwas mit ihnen treffen oder erreichen zu wollen. Tatsächlich wusste er in diesem Moment nichts mit ihnen anzufangen. Er drehte durch. Dort unten, unter dem schwarzen Nachtmantel der See kämpfte sein Freund gerade um sein Überleben und er konnte nichts, aber auch gar nichts tun, um zu helfen.

    „Komm rauf. Komm wieder rauf!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mehrmals wiederholte er sich. Ryan hatte selbst kaum Augen für ihn, da er das Wasser unaufhörlich absuchte.

    Er wünschte sich im Augenblick nur das gleiche, wie Andrew auch. Der Drache sollte einfach wieder auftauchen. Sollte seinen Gegner überwältigen und enttarnen, ihn zurückschlagen und unversehrt wieder zu ihnen zurückkehren. Die Gutherzige Geste, die er ihnen hatte zukommen lassen, durfte einfach nicht zur letzten Erinnerung an Dragonir werden.

    Andrew war inzwischen verstummt. Er zitterte noch immer und klammerte sich an den Rand der hölzernen Insel. Sein Atem war sehr schwach, da sich die Lungen, sowie alle anderen Organe unnatürlich zusammenzogen und Andrew zu ersticken drohten. In seinen Augen sammelten sich Tränen.

    Das war doch verrückt. Das konnte nicht wirklich passieren. In nicht einmal zwei Minuten sollte man ihm einen wertvollen Freund stehlen, den er noch lange nicht so gut hatte kennenlernen können, wie er es gerne gekonnt und gewollt hätte? Was für ein schlechter Scherz war das?

    Sie mussten was tun. Ryan musste was tun! Er hatte noch ein Pokémon bei such und das konnte sogar schwimmen.

    „Schick Hydropi runter, Ryan!“

    Der schrecklichen Situation zum Trotz musste sich Ryan doch die Frage stellen, ob Andrew jetzt nicht durchdrehte. Was verlangte er da?

    „Na los, mach schon!“

    Das kleine Wasserpokémon sah unschlüssig zu seinem Trainer auf. Natürlich wollte es helfen, aber lag das überhaupt in seiner Macht? Dies musste ihm Ryan beantworten.

    „Bist du noch ganz dicht? Das hat jetzt keinen Sinn.“

    Völlig verständnislos blickte Andrew seinen Kameraden in die Augen. Als könnte er nicht glauben, was er gerade gehört hatte, trat er an ihn heran und zerrte an seinem Shirt.

    „Dragonir ist da unten, verdammt. Mach schon was, Hydropi muss ihm helfen!“

    „Hydropi kann nicht...“

    „Ryan, verdammte Scheiße!“

    Einen kurzen Moment herrschte wieder Stille. Die erdrückende Trauer und Hilflosigkeit ließ sie verstummen. Nur das sanfte Plätschern des Salzwassers unterbrach sie. Einige Tropfen mehr drohten ins Meer zu gelangen. Sie sammelten sich bereits in Andrews Augen.

    „Bitte Ryan. Wenn dir unsere Freundschaft jemals was bedeutet hat...“

    Nein. In diese Richtung durfte es nicht gehen. Sprach er diese letzten Worte nun aus, um ihm sein Vertrauen zu vermitteln oder, um ihre Freundschaft – abhängig von seiner Entscheidung – auf die Goldwaage zu legen? Das meinte er doch nicht wirklich.

    „Hör zu, du Idiot.“

    Ryan griff fest nach Andrews Schultern und sah ihm tief und mit vollem Ernst in die Augen. Die Dreistigkeit für seine Forderung wollte er übersehen und seiner verzweifelten Sorge um Dragonir zuschreiben. Doch den Unmut hörte man deutlich aus ihm heraus.

    „Hydropi ist völlig fertig, genau wie wir alle. Außerdem ist es viel kleiner und nicht einmal halb so schwer wie Dragonir. Was da unten auch ist, allein hat es in diesem Augenblick keine Chance dagegen. Das kannst du ihm nicht zumuten.“

    Wie gerne hätte Ryan etwas anderes gesagt. Er wollte wirklich helfen. Und wie er es wollte. Sein ganzer Körper sehnte sich nach der Kraft, dieses Pokémon zu retten. Doch dies war schlicht und ergreifend wahnsinnig. Was auch immer den Drachen angegriffen hatte, ein müdes Hydropi wäre für ihn keine Herausforderung. Keiner hatte etwas davon, wenn ein zweiter Freund zum Opfer dieses Räubers wurde.

    „Wir müssen aber was tun“, beharrte Andrew und schrie schon beinahe.

    „Irgendwas. Irgend...“

    Es war, als würde eine Unterwassermine unweit ihrer Position detonieren. Ein dumpfer Knall erschütterte die Wasseroberfläche, schlug Gicht in die Höhe und heftige Wellen in alle Richtungen. Ein goldener Lichtstrahl schoss gen Himmel und erhellte die Nacht. Instinktiv suchten die beiden Trainer und auch Hydropi Halt auf ihrem plötzlich so zerbrechlich wirkenden Floß, unter welchem die Wassermassen aufgeschreckt tobten. Es wankte bedenklich und fühlte sich furchtbar instabil an. Nachdem sich Ryan zuvor freiwillig in die Fluten gestürzt hatte, wurde nun auch Andrew erneut völlig durchnässt, da ein wahrer Schauer aus Salzwasser sich über sie ergoss.

    Kein Zweifel, das war Dragonirs Hyperstrahl gewesen. Doch was nun? Hatte es sich aus dem tödlichen Griff seines Angreifers befreien können? Nur wenige Sekunden später war sie schon wieder da, diese unheimliche Stille. Sie zwang die beiden Trainer, ihre eigenen, schweren Atemzüge zu hören, erdrückte sie mit ihrer Präsenz. Diese verfluchte Stille. Sie bedeutete Ungewissheit, Gefahr und Angst. Nur sehr schwach wurde sie unterbrochen, als der längliche Körper eines blau-weißen Wesens an die Oberfläche trieb.

    „Dragonir!“

    Diesmal tat Andrew es wirklich. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sprang er samt Schuhen ins Wasser – gerade so hatte er noch seine Jacke und seine Umhängetasche abgelegt – und eilte die wenigen Meter zu seinem regungslosen Pokémon. Vermutlich wäre es sowohl einfacher als auch sicherer gewesen, es einfach in den Pokéball zurück zu verfrachten. Doch zum logischen Denken war Andrew gerade bei weitem nicht fähig. Aber ihm stand danach ohnehin nicht der Sinn. Er wollte zu ihm, wollte zu seinem Freund und Partner. Er wollte bei ihm sein und sich seiner Gesundheit vergewissern. Letzteres musste er sogar, denn sollte Dragonir doch schwer verletzt sein, würde es unbehandelt in seiner Behausung nicht lange überleben.

    Und schon wieder ging alles so plötzlich und so schnell. Hydropi machte einen alarmierten Ausruf und deutete mitten in die tiefschwarze See. Ryan erkannte es sofort. Etwas war dort, nur knapp unter der Wasseroberfläche und es hielt auf Andrew und Dragonir zu. Das Pokémon selbst sah er nicht, doch trieb es eine schwache Welle vor sich her, die kaum zu übersehen war.

    „Verflucht. Hydropi, Aquaknarre!“

    Jetzt musste das kleine Wasserpokemon eingreifen, sonst gab es hier Todesopfer. Noch immer im Unklaren, wer denn überhaupt der Gegner war, musste er nun aufgehalten werden, oder er würde seine Opfer in Fetzen reißen. Denn so viel war inzwischen klar. Hier handelte es sich um einen Räuber, einen aggressiven Fleischfresser. Wenn Ryan nur an diese Augen dachte. Eiskalt lief es ihm dabei den Rücken runter.

    Hydropi hatte all seine Kraft in den Wasserstrahl gesteckt, den es auf den unsichtbaren Feind abfeuerte. Doch dieser zeigte sich kaum beeindruckt. Er wechselte zwar die Richtung, doch unbedingt besser war sie nicht. Die Welle trieb nun auf Ryan und Hydropi zu. Andrew hatte Dragonir mittlerweile erreicht und zog es in Richtung Floß. Auch wenn das Wasser sein Gewicht minderte, war dies jedoch eine unglaublich mühsame Arbeit. Immerhin war dieses Pokémon über fünf Meter lang und wog über hundert Kilo. Jenes Pokémon rührte sich kaum. Sein Zustand war definitiv nicht gut. Es wimmerte leise, verzog Schmerzen leidend das Gesicht und erschlaffte immer wieder gänzlich, sodass es seinen Trainer fast mit in die Tiefe zog, während dieser nur verzweifelt strampeln und rudern konnte. Nur ein Moment der Schwäche würde vielleicht bedeuten, Dragonir für immer zu verlieren. Er biss die Zähne zusammen, kämpfte sich Stück für Stück vorwärts, so schnell er konnte. Bald würden seine Muskeln ermüden und verkrampfen.

    Ryan hielt angespannt den Atem an. Er wollte ihnen eigentlich entgegenkommen und seine Hand reichen, doch zunächst musste der Angreifer Priorität genießen. Sonst gab es womöglich gleich kein Floß mehr, auf das sie zurückkehren konnten. Und natürlich musste er auch auf Hydropi aufpassen. Die kleine Welle, verursacht von einem unbekannten Pokémon, dass sie aus unbekannten Gründen angriff, hielt auf das Floß zu.Ragte a etwas aus dem Wasser? Eine Flosse? Verdammt, es war einfach zu dunkel.

    „Mach dich bereit“, mahnte er das kleine Amphibium an seiner Seite. Wild entschlossen, die vorangegangenen Worte des Lobes von seinem Trainer zu bestätigen, begab es sich in Kampfposition.

    „Sobald es auftaucht, greifen wir an.“

    Es war wie ein Duell im Angsthasenspiel. Nur, dass einer der beiden Spieler bewegungsunfähig war. Fliehen war ausgeschlossen und Optionen, um den Angreifer auszutricksen, stark begrenzt. Dies war schließlich sein Element, sein Revier und offensichtlich auch seine Jagdzeit. Sie konnten nur versuchen ihn zu vertreiben, ihm alles entgegenwerfen, was sie hatten, sich mit allen Mitteln verteidigen. Angespannt lag der Blick des jungen Trainers auf der sich nähernden Welle. Unaufhaltsam verringerte sie den Abstand zu ihm. Es waren nur noch wenige Meter. Doch dann, völlig unerwartet, nahm sie an Größe ab. Ryan glaubte erst, seine Sinne spielten ihm einen Streich. Vielleicht Einbildung oder Wunschdenken, doch tatsächlich flautet sie innerhalb weniger Herzschläge gänzlich ab, verschluckt von der Tiefe. Was immer dort unten war, es war abgetaucht. Ein wenig verwundert blieben Trainer und Pokémon zurück, doch so konfus all dies auch wirkte, ergab sich somit ihre Chance. Sofort gingen seine Gedanken wieder zu seinem besten Freund und dessen Pokémongefährten.

    „Beeil dich Andrew!“

    Er hatte das Floß beinahe erreicht. Nur noch wenige Züge mit dem freien Arm und es war geschafft. Ryan beugte sich so weit über die Kante, wie es ihm die Schwerkraft erlaubte und streckte die Hand aus. Doch Andrew griff nicht nach ihr. Begleitet von einem schwachen, jedoch energischen Schrei setzte sein Körper ungeahnte Energiereserven frei, die es ihm erlaubten, den schweren Schlangenleib in seinen Armen ein gutes Stück nach vorne zu hieven, sodass Ryan nach dem Hals langen konnte. Nicht sich selbst hatte Andrew zuerst retten wollen, sondern Dragonir. Für einen winzigen Augenblick erlaubte sich Ryan, zumindest innerlich ein Lächeln. Solche Gesten waren dieser Tage einfach zu selten geworden. Doch war ebenfalls etwas, was ihre Freundschaft mitunter ausmachte – das Teilen der absoluten Überzeugung, dass das Leben eines Pokémon ebenso wertvoll war, wie ein Menschenleben. Völlig uneigennützig schob er Stück für Stück von Dragonirs Körper auf den schwimmenden Untergrund und stieg erst dann selbst aus dem Wasser, als es den Fluten entkommen war.

    Benetzt wurde Dragonirs Körper nicht nur von Wasserperlen, sondern von Blut. Jede Menge Blut, das sich über das Floß und ins tiefschwarze Meer ergoss. Sofort machten sich beide Trainer daran, jeden Zentimeter geschuppter Haut zu inspizieren und auf Verletzungen zu untersuchen. Noch immer war nichts als ein wehmütiges Stöhnen und Klagen von dem angegriffenen Wesen zu vernehmen. Diese herrliche, sanfte Stimme des Drachen so wehleidig jammern zu hören, würde wohl jedes Herz weich werden lassen. Und die Ursache dieser Klagelaute, das Resultat dieses Angriffs sprang sofort ins Auge.

    „Oh, heilige...“, hauchte Andrew schockiert. Nahe des Schweifes verlief quer über dem Körper eine blutige Wunde, wie ein Schnitt mit einer Säge. Die Abdrücke spitzer, scharfer Zähne ragten tief ins Fleisch und machten den Weg frei für den roten Lebenssaft, der in besorgniserregenden Mengen den Körper verließ. Eine zweite Bisslinie verlief parallel zur ersten in schätzungsweise vierzig Zentimeter Abstand zu dieser. Was immer Dragonir auch gepackt hatte, besaß also ein Maul von fast einem halben Meter Breite.

    „Ach du Scheiße.“

    Ryan untersuchte die Wunden präziser, als er es gerne getan hätte. Dieser Anblick war absolut traumatisierend und würde ihn wohl länger verfolgen. Doch sie beide mussten sich nun zusammenraufen und solch unnötige Gedanken beiseite schieben. Jetzt zähle nur noch Dragonir.

    Er erkannte etwas. Etwas, das dort definitiv nicht hingehörte. Ein kleiner Gegenstand, selbst durch das diffuse Mondlicht als mattes Weiß zu identifizieren. Ryan griff danach, verzog dabei angewidert das Gesicht, als er in Fleisch und Blut des Drachen griff. Beherzt zog er das Objekt mit einem Ruck heraus. Sogar gelang es ihm, den darauffolgenden Schmerzensschrei zu überhören, da ihn nun endlich Gewissheit erlangte. Ein Zahn, dreieckige Form, spitz, zwei Seiten mit Einkerbungen versehen, wie ein Sägeblatt und messerscharf. Obwohl Ryan längst nicht alle Pokémon dieser Region kannte, war ihm sofort klar, wer hier die Rolle des Angreifers gespielt hatte. Solche Zähne gab es nur ein Mal im Ozean.

    „Tohaido“, verkündete er die grausame Botschaft und hielt Andrew seinen Fund hin. Er griff nicht danach, starrte nur für einige Sekunden wie paralysiert darauf und beobachtete, wie das Blut seines Partners daran herunter tropfte. Doch rasch kam Leben in ihn zurück. Er griff nach seiner Tasche und kramte einen Moment darin herum. Zutage förderte er zwei aufgerollte Verbände. Ausrüstung für den Notfall. Ernüchtert musste er jedoch feststellen, dass die Plastiktüten, in welchen sie untergebracht waren, die Turbulenzen des letzten Tages nicht überstanden hatten und aufgerissen waren. Folglich waren sie nun durchnässt und nahezu unbrauchbar. So würden die Bandagen nicht halten. Ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, riss sich Andrew seine geliebte Jeansjacke von den Schultern. Die feuchten Verbände holte er aus ihren Verpackungen. Man sah in jeder Bewegung, wie aufgebracht Andrew war und wie verzweifelt er um das Leben seines Pokémon kämpfte. Dennoch saß jeder Handgriff unglaublich präzise und ging schnell vonstatten. Das Adrenalin schien seine Konzentration gar nicht zu beeinflussen, vielleicht sogar zu steigern.

    „Halt es still, Ryan!“, wies er hektisch an. Augenblicklich tat der, worum er gebeten wurde, und legte sein ganzes Gewicht auf die vordere Körperhälfte des Drachen.

    „Hydropi!“

    Das Wasserpokémon verstand sofort und schmiss sich auf Dragonirs Schweifende, um es wenigstens ein bisschen still zu halten. Der Anblick der Wunden hatte es zunächst noch in eine tiefe Schockstarre versetzt, doch die rasche Erkenntnis, dass vom Nichts-tun bald jemand sterben könnte, den es hoffentlich eines Tages einen Freund nennen konnte, hatte seinen Verstand geschärft und es wollte alles tun, um zu helfen.

    „Tut mir leid,“ presste Andrew gequetscht hervor. In der nächsten Sekunde drückte er die zusammengerollten Verbände tief in die Bisswunde, die sich näher der Körpermitte befand. Wohl wissend, dass dies mit ungeheuren Schmerzen verbunden war, versuchten alle drei den Drachen möglichst ruhig zu halten und sein Zappeln und Winden einzudämmen. Seine Schreie waren unerträglich kläglich.

    So schnell er konnte, band Andrew die Jacke über die betroffene Stelle und knotete sie mit den Ärmeln möglichst fest zusammen. So entstand ein provisorischer Druckverband trotz mangelnder Mittel. Ryan hatte ebenfalls nicht gezögert und sein Kapuzensweatshirt für die zweite Wunde verwendet. Weiteres Verbandszeug hatten sie nicht im Gepäck. Das war für ihre Pokémon draufgegangen, nachdem sie gegen den Klotz von Team Rocket und sein Magcargo gekämpft hatten. Und die heilenden Sprühflaschen halfen nicht bei offenen Wunden. Lediglich Haut und Schuppen ließen sich damit oberflächlich behandeln. Leidtragender war Dragonir. Verbunden mit nassen Bandagen und ebenso nasser Kleidung. Das war die absolute Notdurft. Nicht einmal ein Schmerzmittel trugen sie im Gepäck.

    Andrew drückte für eine Sekunde benommen eine Hand über seinen Mund. Er war für einen winzigen Moment kreidebleich geworden. Das Gefühl seinem eigenen Pokémon solche Schmerzen zufügen zu müssen, war trotz der Umstände und trotz der Tatsache, dass es helfen sollte, die mit Abstand grauenhafteste Erfahrung, die er je hatte machen müssen. Nun wollte er umso mehr für Dragonir da sein. Er huschte zu dessen Kopf hinüber und nahm ihn schützend in die Arme.

    „Es ist gut, es ist gut“, hauchte er ihm sehr schwach und undeutlich ein und verhinderte, dass es sich großartig umsah. Es sollte die Wunden nicht sehen. Einzig in seine Augen sollte es blicken.

    „Das wird wieder. Du schaffst das, ist alles halb so wild.“

    Er klang so gar nicht überzeugend. Seine Stimme war so schwach und zitterte und er kämpfte mit den Tränen. Er tat Ryan so unendlich leid, ebenso das verwundete Pokémon. Wie er den blauen Kopf sanft hin und her wog und die bitteren Tränen zurückkämpfte. Das konnte man kaum mit ansehen. Doch viel mehr konnten sie beide nicht tun. Sie hatten bereits alles für Dragonir getan, was in ihrer bescheidenen Macht stand. Nun konnten sie es der Drachenschlange nur noch so annehmlich wie möglich machen. Der Rest lag bei ihm, sowie in den Händen von Arceus.

    Die nächste halbe Stunde versorgten sie die Drachenschlange mit Essen und Trinkwasser. Sie mussten seinen Hals reiben und gleichzeitig mit dem Wasser spülen, damit das Pokémonfutter seinen Weg die Speiseröhre hinab fand. Dragonir schaffte es aus eigener Kraft gerade so, die Kiefer zu öffnen, mehr aber auch nicht. Es war der Ohnmacht sehr nahe. Nach wenigen Bissen schlief es schließlich ein, den Kopf auf Andrews Schoß gebettet.


    Andrew wollte nicht weinen. Unter keinen Umständen wollte er Tränen vergießen. Dies wäre nämlich als Zeichen aufzufassen, dass er die Hoffnung aufgegeben hatte. Doch er wollte daran glauben, dass alles wieder gut werden würde. Er wollte zu der Überzeugung gelangen, Dragonir stünde das durch. Doch wie konnte man sich da schon sicher sein? Die Bisswunden waren völlig unzureichend behandelt, das salzige Wasser brannte zudem erbarmungslos darin und wer wusste schon, ob sich unter diesen Umständen keine tödliche Infektion ausbreiten würde? Doch es lag nicht in seiner Hand. Er war machtlos.

    Ein leises, kaum hörbares Plätschern brach die Stille unter den beiden Trainern. Ryan hatte lange geschwiegen. Was hätte er auch sagen sollen? Er konnte sich aufgrund vergangener Ereignisse auf den Orange Inseln zwar gut in die Lage seines Freundes hineinversetzen, doch hilfreiche Worte gab es in so einer Situation nicht. Sprach er ihm Mut zu, könnte er den Eindruck vermitteln, Andrew bereits in Hoffnungslosigkeit zu glauben. Im schlimmsten Fall versetzte er ihn somit erst in diesen Zustand. Es war einfach besser, zu schweigen. Doch die noch immer in Alarmbereitschaft stehenden Sinne sorgten ob der unheimlichen, nächtlichen Stille dafür, dass alle offenen Augenpaare zur Quelle des Geräusches wanderten. Der Mond schien inzwischen heller, als je zuvor in dieser Nacht, doch es war trotzdem kaum möglich, etwas zu erkennen. Ryan ging mit dem Kopf nahe an ihren Unterboden, um mögliche Silhouetten oder Abhebungen vom Mondlicht, dass ich auf der Oberfläche spiegelte, ausmachen zu können. Und tatsächlich erkannte er sofort eine Flosse mit zwei Einrissen an der Rückseite – die Rückenflosse eines Tohaido. Es umkreiste ihr Floß in großen Bahnen, hielt glücklicherweise noch einiges an Abstand. Ryan richtete sich auf, hoffte den Körper unter Wasser vielleicht genauer erkennen und die Größe des Pokémon einschätzen zu können. Doch es war unmöglich. Stattdessen ging plötzlich ein leichter Ruck durch das Floß, was ihn ins Wanken brachte. Für einen schmerzhaften Moment versagte jedes Organ in seiner Brust den Dienst. Nicht viel hatte gefehlt, damit er im Wasser gelandet wäre. Gerade so hatte er das Standbein noch wechseln und sich ausbalancieren können. Doch der Anblick, der sich nach einer simplen Drehung des Kopfes bot, war nicht weniger beängstigend. Ein zweites Tohaido war aufgetaucht und hatte das Floß mit der Schnauze gerammt. Zwar nur leicht, bei weitem nicht mit voller Kraft, doch allein die Tatsache, dass sie es hier mit mehreren Exemplaren zu tun hatten, die sie nun neugierig beschauten, war mehr als beunruhigend. Sofort keuchten die beiden Jugendlichen erschrocken auf. Ryan ging wieder in eine sichere Hocke und wechselte mit seinem Blick schnell immer wieder zwischen beiden Tohaido hin und her.

    Es passierte nur äußerst selten, dass einer der beiden Trainer ein Pokémon wirklich verfluchte oder ihm etwas Böses wünschte. Doch in dieser Nacht belegten Ryan und Andrew die Tohaido mit übelsten Flüchen und Beschimpfungen. Für das, was sie Dragonir angetan hatten, war ihnen zwar im Grunde kein Vorwurf zu machen, da es sich hier um ihr Revier handelte und wie etliche andere Pokémon nur jagten, um zu überleben. Allerdings interessierte dies vor allem Andrew im Moment kein bisschen. Für die Qualen seines Drachen machte er die Hai-Pokémon verantwortlich und er würde ihnen nie verzeihen. Naturgesetze hin oder her, sie hatten seinen Freund schwer verletzt und bedrohten in selbst nun ebenfalls. Am liebsten würde er sie filetieren.

    Während Andrew in seiner Wut schwelgte, ging Ryan all ihre strategischen Möglichkeiten durch. Sie befanden sich auf einem Floß irgendwo zwischen Festland und Faustauhafen. Sie waren erschöpft, müde und wurden von zwei Tohaido beobachtet – von denen sie wussten. Selbst wenn sich kein weiteres Exemplar in der schwarzen Tiefe unter ihnen verbarg, sahen ihre Chancen im Falle eines aggressiven Manövers seitens der Haie äußerst schlecht aus. Da Ryan sich daran zu erinnern glaubte, dass es sich bei ihnen nicht nur um Wasser- sondern auch um Unlichtpokémon handelte, wären selbst Psianas stärksten Angriffe unwirksam. Und es war nicht einmal sicher, dass sich die Psychokatze überhaupt auf den Beinen halten konnte, nachdem Maxax sie so zugerichtet hatte. Schwalboss war ebenfalls noch durch das Match gegen Terrys angeschlagen und Magnayen würde sich von dem Kampf gegen die Garados sicher auch nicht so schnell erholen. Von Dragonir braucht man verständlicherweise gar nicht erst anfangen. Was blieb, war Hydropi, doch ohne jegliche Unterstützung gegen mindestens zwei gefährlichen Raubpokémon musste man unter gegebenen Bedingungen bereits jetzt von einem verlorenen Kampf sprechen. Es war einfach zu unerfahren und aufgrund seiner Anstrengungen bei ihrem Schiffbruch sicher ebenfalls erschöpft.

    Für Ryan stand somit fest, dass sie einen Kampf nicht provozieren würden. Sollten die Tohaido allerdings zu aufdringlich werden, würden sie versuchen müssen, sie zu verjagen. Mit Glück verloren sie von alleine das Interesse oder wären sich um die Mühe zu schade. Es war unwahrscheinlich, aber nichtsdestotrotz setzte Ryan all seine Hoffnungen in diese Möglichkeit.

    Eines der Tohaido schwamm in seitlicher Lage direkt vor ihm vorbei und lugte fast mit dem gesamten Kopf aus dem Wasser. Es sah ihn aus einem unheimlichen, roten Auge an, das Maul leicht geöffnet und seine mörderischen Zähne entblößend, deren tödlicher Anblick einen Schauer über Ryan Rückens jagte. Dieser gab sein Bestes, um dem Blick standzuhalten, nicht eingeschüchtert oder verängstigt zu wirken, hoffte aber gleichzeitig, dass das Pokémon dies nicht als Herausforderung missverstand. Es sollte keine hilflose Beute vorfinden, aber auch keinen potenziellen Gegner.

    Der Kopf tauchte wieder unter. Ihm folgten die Kiemen, dann die Brustflossen und schließlich war es wieder verschwunden.

    Kapitel 16: Midnight horror


    Offiziell gehörte dieser schmale Küstenstreifen noch zu Blütenburg. Fühlte sich bloß irgendwie gar nicht so an. Jedenfalls nicht für Ryan und Andrew. Eher fühlten sie sich an Wurzelheim erinnert, obwohl selbst das noch eine Ecke größer war. Ähnlichkeiten fand man aber durchaus einige. Moderne Architektur traf naturnahe Kleinstadt am Meer. Gebäude, deren Größe über drei Stockwerke hinausging, suchte man gänzlich vergebens. Dennoch wirkten die nächtlichen Straßen, bunt und grell erleuchtet, als sei ein Straßenfest in der Stadt, durchaus belebt und keinesfalls ruhig. Vielleicht ließen es die Menschen hier tagsüber so langsam und entspannt angehen, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit einfach mal die Sau rauslassen mussten.

    Zuvor, als Ryan und Andrew selbst noch durch die Straßen marschiert waren, waren ihnen nicht nur ein oder zwei angeheiterte Passanten entgegengekommen, sondern gleich ein gutes Dutzend. Einer hatte ihnen sogar seine Schnapsflasche angeboten – völlig im Rausch versteht sich, da die beiden so ein Zeug noch gar nicht legal konsumieren durften. Und nebenbei auch nicht wollten. Selbst Alkohol der nicht hochprozentigen Sorte, die sie oberhalb des Ladentisches erwerben könnten, genehmigten sich die beiden Trainer nur selten, zu gegebenen Anlässen.

    Die Diskotheken hätten sie daher auch dann gemieden, wenn sie nicht unter Zeitdruck gestanden hätten, da sich vor deren Türen bereits die Schnapsleichen gestapelt hatten. Doch nach vergangenen Tagen, wie Ryan und Andrew sie erlebt hatten, waren sie ganz bestimmt nicht in Feierlaune. Letzterer hatte gestern seinen Kampf gegen Terry verloren, wobei beide seiner Pokémon verletzt worden waren und sein Gefährte mit dem Cappy wäre sogar beinahe abgefackelt worden. Und so dies auch einen vergleichsweise weniger dramatischer Punkt darstellte, war zudem Hydropis jüngste Trainingseinheit – die nach einem Besuch des örtlichen Pokémoncenters noch fällig gewesen war – kaum zufriedenstellender ausgefallen, als der desolate Auftritt am Vortag. Zwar hatte es eine neue Attacke dazugelernt, doch diese richtig einzusetzen würde wohl ebenfalls noch seine Zeit dauern.

    So gesehen wäre wenigstens ein kurzer Besuch an der Bar, welche Fähre nach Faustauhafen besaß, ein verlockender Gedanke, um den gebrauchten Tag ein wenig zu ertränken. Zwei Punkte gab es allerdings, die strickt dagegen sprachen. Zum einen hielt Ryan es für absolut dämlich, seine Sorgen mit Alkohol zu lösen und zum anderen hätte er die Musik wohl nicht ertragen, da die schrille Technomusik fast schon hier an Deck seine Ohren angriff.

    Da die räumliche Auswahl sowie die Unterhaltungsmöglichkeiten bei weitem nicht so üppig war, wie auf der Fähre nach Wurzelheim, vertrieben sich die beiden jungen Trainer die Zeit damit, die langsam immer weiter in die Ferne rückenden Lichter der Küste tot zu starren. Schon komisch, nach so kurzer Zeit bereits wieder auf einem Schiff zu sein. Nicht, dass einer von ihnen ein grundlegendes Problem mit Schiffsreisen hatte. Dennoch freute man sich durchaus, dass dies mit der Ankunft in Metarost ein Ende haben würde. Es bot einfach nicht dasselbe Feeling beim Reisen. Ryan und Andrew mochten lieber von ihren eigenen Füßen getragen werden.

    Es war eine sehr windige aber doch angenehm warme Nacht auf See. Das Firmament wurde zwar von absolut lückenlosen Wolkendecken eingehüllt, doch die schwüle Luft des hier bereits angebrochenen Sommers machte jede Form der warmen Bekleidung unnötig.

    Zumeist war Ryan damit beschäftigt, sein Cappy festzuhalten, um es nicht an die peitschenden Windböen und somit an das schäumende Meer unter ihnen zu verlieren. Direkt unter ihnen rauschte das Wasser durch die große Schiffsschraube und wirkte dem dumpfen, donnernden Lärm von innerhalb entgegen. Andrews Aufmerksamkeit dagegen war meist von seiner Haarpracht eingenommen, da seine langen Strähnen ihm immer wieder ins Gesicht flogen. Eben darüber war Ryan äußerst dankbar, denn bei Einbruch der Dunkelheit hätte ein Blick in seine Augen die Ausrede mit den Kontaktlinsen wohl unbrauchbar gemacht. Dennoch ging er auf Nummer sicher und hielt den Blick meist abgewandt.

    „Wann kommen wir nochmal an?“, fragte er, als er mal wieder seine scheinbar völlig eigenständig gewordene Frisur zu bändigen versuchte.

    „So gegen sieben Uhr“, seufzte Ryan leicht genervt, da er diese Frage zum dritten Mal an diesem Abend beantwortet hatte.

    „Morgens? Die ticken doch nicht richtig.“

    Betont langsam ließ Ryan seinen Blick von der Festlandküste zu Andrew gleiten, um ihn absolut gleichgültig aus dem Augenwinkel anzublicken. Die Zielstrebigkeit und den Enthusiasmus eines Pokémontrainers ließ eigentlich nur in den seltensten Fällen Faulheit zu. Die wenigsten in ihrer Branche waren Langschläfer. Passte eigentlich nicht zum Rastlosen, diese Eigenart.

    „Ich könnte sich mit dem Kopf ins Salzwasser stippen, wenn´s beim Wachwerden hilft.“

    „Tut´s nicht auch ´n schwarzer Kaffee?“

    Für diese Frage erntete er einen verständnislosen Blick, als könne Ryan den Sinn hinter selbiger nicht ergründen. Hatte er jetzt ernsthaft um eine Kaffedusche gebeten? So wie er sich des Rätsels annehmen wollte, erhielt er eine Antwort, als hätte Andrew seine Gedanken gelesen.

    „In einem Becher, du Umnachteter.“

    Ryan war im Augenblick einfach nicht in Stimmung für solche Gespräche. Dem dämlichen Gelächter, das fast schon nach Spott klang, konnte und wollte er sich demnach auch nicht wirklich anschließen. Mehr noch, es war regelrecht zum Kotzen. Manchmal war Andrews Heiterkeit echt kräftezehrend. Kaum zu glauben, dass er nach der Klatsche gegen Terry bereits wieder so unbehelligt lachen konnte. Dies wiederrum war ein passender Charakterzug für den Rastlosen.

    „Bin müde“, waren die trägen Worte, mit denen sich der jüngere Trainer verabschiedete. Seinen Kumpel an der Reling einsam zurücklassend, begab sich Ryan unter Deck in die engen Flure, welche zu den Kajüten führten. Die Wände waren weiß gestrichen und der Boden mit schwarz lackierten Holzdielen ausgelegt – recht typisch also. Pech hatten all jene, die unter Platzangst litten, da es hier ein regelrechtes Abenteuer darstellte, sich an einem entgegenkommenden Passagier vorbei zu quetschen, um seinen Schlafplatz zu erreichen. Diese waren mit minimalem Komfort ausgestattet, da sich kaum mehr darin befand, als ein einzelnes Etagenbett und ein kleiner Nachttisch samt Lampe und selbst das passte gerade so in den fast menschenunwürdig kleinen Raum. Man kam sich ein bisschen vor, wie beim Militär, wobei die Soldaten sicher noch bequemer nächtigten.

    Entkräftet ließ sich Ryan auf das untere Bett der Kajüte, die er sich mit Andrew teilte, fallen und seufzte laut. Innerlich wusste er natürlich, dass er mit dieser Beschreibung der Räumlichkeiten stark übertrieb. Schließlich hatte er zuvor erfahren, dass die Fahrten hier ursprünglich nicht nach Einbruch der Dunkelheit stattgefunden hatten. Jedoch hatte man dies geändert, da sonst fast der komplette Tag für die Überfahrt draufgegangen wäre und so hatte man auf Wunsch vieler Fahrgäste mit den bescheidenen Möglichkeiten, die eben zur Verfügung gestanden hatten, die Fähre übernachtungstauglich gemacht. Doch bei seiner momentanen Laune fasste Ryan all dies nun einmal genau so mies auf. Es war schon immer so gewesen, seit er Terry kannte. Sobald er ihm begegnete, wurde seine Stimmung scheiße. Alles um ihn herum – scheiße, der Tag – scheiße. Wenn Andrew ihm doch wenigstens die Leviten gelesen hätte. Aber nein, der hatte in seiner Überheblichkeit und durch das Ignorieren sämtlicher Warnungen eine volle Breitseite kassiert. Es wollte nicht in seinen Schädel, wieso Andrew in solch vermeintlich unwichtigen Kämpfen, die kein zählbares Gewicht besaßen, all seine Vorsicht stets fallen ließ. Wenigstens war er immer mit all seinen mentalen Fähigkeiten zur Stelle, wenn es Gegner, wie Team Rocket zu bekämpfen galt. Doch dieses eine Mal wenigstens hätte er doch mal auf ihn hören können. Terry war schließlich selbst überheblich gewesen. Die Tür war für Andrew geöffnet gewesen und er war geradewegs daran vorbei gelatscht.

    Allerdings wurde der Kampf an sich eigentlich von den darauffolgenden Ereignissen vollständig überschattet. Ryan fragte sich noch immer, was plötzlich in Maxax gefahren war. So weit er Terry kannte, hatte er seine Pokémon immer im Griff gehabt. Doch so rasend, wie jene im Kampf allgemein wurden, wäre es sicher nicht undenkbar, wenn mal eine Sicherung durchbrannte. Und dann noch diese lächerliche Entschuldigung – wenn man sie so nennen konnte – die er abgegeben hatte, wobei ein Akt wie dieser eigentlich unverzeihlich war. Seltsam nur, dass dieser grimmige Drache genau in dem Moment ausgeflippt war, als er den grünen Orb berührt hatte.

    Beim Gedanken an jenen Gegenstand konnte Ryan nicht anders, als ihn aus der Tasche seiner Kapuzenjacke zu fischen und bei der seltenen Gelegenheit der Einsamkeit einmal wieder nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Augen zu bewundern. Durch seine schwarzen Lederhandschuhe ertastete er die glatte Oberfläche in ihrer unsymmetrischen und doch absolut perfekten Form. Der wunderschöne, grüne Lichtschein aus seinem Inneren und die Nebelschleier unter seiner glänzenden Oberfläche. Mehr als eine Aufmunterung war der Anblick. Unter diesen Umständen schlief Ryan gerne ein.


    Zugegeben, der Start in die neue Region war deutlich schlechter als erhofft verlaufen. Zunächst machte Team Rocket Ärger auf der Fähre, dann machte Team Rocket Ärger in Wurzelheim und dann verlor er auch noch seinen ersten Kampf gegen einen anderen Trainer, der rein zufällig noch Ryans Erzrivale war. Zudem würden dank ihm Psiana und Schwalboss die nächsten Tage wohl nicht kämpfen können, wie die diensthabende Schwester Joy am Nachmittag im Pokémon Center noch erörtert hatte und Ryan war von dessen Pokémon sogar fast umgebracht worden. Und zum letzten Mal hatten sie diesen Terry bestimmt nicht gesehen. Es geschah in aller Regelmäßigkeit, dass sich Rivalen über den Weg liefen. Fast als wäre es ein Naturgesetzt. Wobei es ja logischerweise immer nur eine Frage der Zeit sein konnte, wenn sich so viele Trainer immer wieder an gewissen Knotenpunkten wie Arenen und Pokémoncentren versammelten.

    Ja, bisher war der Inhalt mit dem Abschnitt Hoenn in seinem nicht existenten Tagebuch eher bescheiden. Dennoch konnte er die miese Laune von Ryan nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht war es ja auch die Niederlage in der Johto Liga, die nach wie vor an ihm nagte und sich mit den bisherigen Erlebnissen in Hoenn summierte.

    Doch er kannte Ryan gut genug. Wahrscheinlich kotzte er sich gerade gedanklich über all dies ein wenig aus und würde sich anschließend in den Schlaf fluchen, bevor morgen alles sicher wieder anders aussehen würde. Schon immer hatte er Probleme nicht ignoriert, wie viele andere Menschen es taten, sondern stattdessen intensiv über sie nachgedacht, bis sie ihn langweilten. Ryan dachte sehr oft und sehr viel nach. Manchmal ein klein wenig zu viel für Andrews Geschmack. Nur wenn er provoziert wurde oder seine Pokémon zum Ziel verbaler oder körperlicher Angriffe wurden, schien er seinen Hirnapparat abzuschalten – ausgenommen waren natürlich faire Kämpfe, denen er zuvor zugestimmt hatte. Andrew wollte gar nicht erst daran denken, was passiert wäre, hätten sie bei ihrer Begegnung mit Terry Zaungäste gehabt. Abgehalten hätte es ihn sicher nicht, auf jenen einzuschlagen. Mit Sicherheit hätte inzwischen die gesamte Region davon erfahren. Kein sehr reizvoller Gedanke. Schließlich hielt so ziemlich jeder ihn für einen absolut selbstbeherrschten und tiefsinnigen Trainer. In der Regel traf dies auch zu, doch Tatsache war nun mal, dass er zumindest eine aggressive Ader besaß. Die musste Ryan in den Griff bekommen, wenn er nicht wollte, dass man sie beide für unsoziale Schläger hielt. Auf der anderen Seite war der Grund für seine Handgreiflichkeit ein ziemlich verständlicher gewesen. Dennoch war die Vorstellung alles andere als verlockend.

    Gedankenverloren ließ Andrew den Kopf auf seine Arme sinken, welche auf der Reling ruhten. Das war alles nicht neu für ihn. Zumindest nicht gänzlich. Aber irgendwie war das nicht der Ryan, den er seit seiner Kindheit kannte. Er war angespannter, negativer. Aber das verlorene Finale war vermutlich nur die Spitze des Eisberges und die wahre Ursache dafür lag tiefer begraben. Oder er hatte sich ganz einfach verändert. Zum Schlechteren.

    Andrew atmete tief durch. Er musste echt aufpassen, dass er sich nicht anstecken ließ. So einen Schwachsinn würde er doch sonst nicht erwägen. Ryans Charakter war nicht so schwach. Der hatte schon schlimmere Schicksalsschläge wegstecken müssen. Er würde schon wieder werden und bei Bedarf würde Andrew den Jungen selbst noch etwas zurechtbiegen. Das hatte er schon mit schwierigeren Typen geschafft. Blieb nur zu hoffen, dass es bis dahin keinen weiteren Stress gab.

    Inmitten seiner Überlegungen erregte ein leises, in der schäumenden See fast untergehendes Geräusch seine Aufmerksamkeit. Hätte er noch nicht zu Abend gegessen, so würde er nun glatt davon ausgehen, das ominöse Grollen, das er eben vernommen hatte, wäre von seinem Magen ausgegangen. Der Trainer horchte gespannt auf, ob dieses Geräusch erklang. Schließlich wäre es auch nicht undenkbar, dass er es sich nur eingebildet hatte oder vielleicht kam es auch aus dem inneren des Schiffes. Beim erneuten Nachdenken fiel letzterer Gedanke schon mal aus, denn sogleich dort unten gewaltige Maschinen am Werk waren, war es unmöglich, jene an Deck noch zu hören. Jedoch erwies sich auch die Idee mit der Einbildung als falsch, denn tatsächlich ertönte das Grollen erneut.

    Der Blick Andrews fiel mit einer wachsenden, bösen Vorahnung in das aufgewühlte Wasser, welches das Schiff hinter sich zurück ließ. Dabei betete er inständig, dass er mit dieser falsch liegen sollte. Jedoch konnte man in der nachtschwarzen Suppe so gut wie gar nichts erkennen. Er beobachtete aufmerksam jede Welle, jeden Quadratzentimeter dort unten.

    Für einen einzelnen Schlag setzte sein Herz beinahe aus. Er hatte etwas gesehen! Undeutlich durch die Finsternis und auch kaum länger als für eine Sekunde, doch definitiv hatte da etwas die Wasseroberfläche durchbrochen. Eine Flosse oder auch ein Teil eines Körpers, vielleicht geschuppt, aber in jedem Fall groß. Um nicht zu sagen riesig. Der Schleier der Nacht verhinderte allerdings eine genaue Beobachtung, sodass Andrew nicht in der Lage war, den tauchenden Verfolger zu identifizieren. Er nahm inzwischen gar keine Kenntnis mehr von seinen Strähnen, die wild im Wind umher flatterten. Die gesamte Aufmerksamkeit wurde nur noch Augen und Ohren gewidmet. Seine Hände schlossen sich fest um die Reling, während er weiter angespannt ins tiefschwarze Wasser starrte. Und es geschah nur wenige Augenblicke später, da sich etwas aus der Tiefe erhob. Andrews Augen weiteten sich. Seine Befürchtung bewahrheitete sich gerade. Schlimmer noch, es war nicht allein.

    „Oh, verdammt.“


    Ein gewaltiger Ruck ging durch das ganze Schiff, als sei es von einer Monsterwelle getroffen. Erschrockene und teilweise sogar panische Aufschreie ertönten in jedem Gang, an jeder Ecke und jedem Winkel der Fähre. Ryan, der bereits fast vollständig ins Reich der Träume gewandert war, fiel gar aus seiner Koje und fand sich nun nicht minder überrascht auf dem Fußboden wieder. Für einige Sekunden blinzelte er irritiert und überlegte angestrengt, wo er denn war und was der Grund für dieses unsanfte Erwachen gewesen sein mochte.

    „Was zum...?“

    Ein weiteres Mal wankte das Schiff ruckartig und wieder traf es ihn völlig unerwartet, sodass er, gerade als er sich auf die Beine kämpfte, das Gleichgewicht verlor und mit dem Rücken gegen die schwere Stahltür der Kajüte knallte. Schmerzhaft stöhnte er auf, schenkte aber dennoch dem grünen Orb mehr Beachtung als seinem eignen Körper. Er konnte doch nicht zulassen, dass er hier über den Boden rollte. Am Ende verlor er ihn noch. Was immer dort draußen wüten mochte, es konnte nicht fürchterlicher sein als dieser Gedanke. Sein Cappy, das er bei seinem Sturz aus dem Bett verloren hatte, setzte er noch rasch wieder auf. Dann sortierte er einen Moment lang seine Gedanken, wurde aber durch die panischen Schreie und angsterfülltes Kreischen, das durch die Stahlwände dumpf an sein Ohr klang, abgelenkt. Endlich galt sein größtes Interesse dem Geschehen oben an Deck. So schnell er konnte warf er sich seine Tasche über die Schulter, stieß die Tür auf und stürmte durch die Gänge zu den Treppen, die ihn aufs Deck führen würden. Sein Körper hatte nun auf Autopilot umgeschaltet. Seine Füße trugen ihn mit Höchstleistung voran, seine Gedanken waren vollständig von dem Willen angetrieben, die Ursache für die derzeitige Situation herauszufinden und gegebenenfalls zu helfen.

    Schon wieder ging ein Ruck durch das Schiff, doch diesmal konnte er sich vor einem Sturz bewahren und sich an den Wänden abstützen. Adrenalin wurde zu Massen in seinem Körper ausgeschüttet, sodass er trotz der enormen Anstrengung kaum Kenntnis von seinen bald schon heißen Lungen nahm. So bremste er auch nicht ab, als der Gang vor ihm in einem rechten Winkel nach links abknickte, sondern lief mit voller Wucht in die Wand hinein, hielt lediglich mit Händen und Schulter dagegen, um seinen Lauf gleich darauf fortzusetzen. Seine vom vergangenen Tag bereits müden Beine protestierten laut auf, als Ryan schließlich die Treppen erreichte und sie, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf sprintete. All dies nahm er kaum wahr. Jetzt zählte nur das Tempo, alles weitere musste hinten anstehen.


    Ein kalter Nachtwind begrüßte den jungen Trainer, kaum dass er sein Ziel erreicht hatte. Die Schreie von verängstigten Passagieren waren nun allgegenwärtig, da sich diese zuhauf hier oben tummelten und alle in dieselbe Richtung flohen. Einige hinkte, mussten gestützt werden oder bluteten am Kopf. Zahllose Stimmen sammelten sich zu einem panischen Misch aus Schreien und Wehklagen. Viele kamen Ryan entgegen und suchten unter Deck Schutz. Wer dies in dem panischen Tumult nicht schaffte, sah zu, so weit wie möglich von der Reling am Heck wegzukommen. Der Grund dafür war überaus offensichtlich und sorgte dafür, dass Ryans Augen sich weiteten. Ein erstickter Laut entkam seiner Kehle. Ganz plötzlich wünschte er sich wieder Team Rocket herbei. Die wären definitiv das kleinere Übel.

    Hoch über die Reling hinweg erhoben sich zwei riesenhafte Gestalten, welche an eine Seeschlange erinnerten. Durch die Nacht waren die weißen Bauchschuppen kaum also solche zu identifizieren. Ebenso wenig erkannte man die sonst so kräftigen, meerblauen Schuppen auf dem Rücken, denn die waren nun beinahe schwarz. Weiße Flossen in Form von stumpfen Zacken mit je drei Spitzen zierten alle paar Meter einen Teil des Rückens des länglichen Körpers, dessen Größe man nur mutmaßen konnte, da er sich noch zum Teil im Wasser befand. Auf dem Kopf bildete eine markante Knochenmusterung eine Art Krone. Hinter dem Kieferknochen eines brutalen, weit aufgerissenen Mauls stachen zwei lange, dünne Barthaare und außerdem zwei weitere Flossen hervor, die das Monstrum ein- und ausklappen konnte und meist als Drohgebärde nutzte. Der grausame Blick in den Augen war in der Pokémonwelt einzigartig und allgemein gefürchtet. Ein einzelnes Garados war bereits ein furchteinflößender Gegner, doch in diesem Fall sahen gleich zwei Exemplare in schier unbegründeter Wut auf die Menschen herab und grollten furchtbar zornig.

    Ryan konnte sich einige Sekunden lang nicht überwinden, auch nur einen Finger zu rühren. Selbst mit einem seiner vertrauten Pokémon an seiner Seite wäre dieser Anblick noch immer beängstigend gewesen. Tatsache war, dass er sich lediglich der Hilfe eines jungen, unerfahrenen Hydropis bedienen konnte, das gegen diese Gegner wohl nicht mehr als ein Häufchen Elend gewesen wäre. Und da war sie schon wieder – die frustrierende Erkenntnis, dass Ryan seine Partner brauchte. Sie waren nicht da, um ihn zu unterstützen. Er hatte sie einfach zurückgelassen. Einfach so. Und nun zum, was wusste er schon wievielten Mal, wünschte er sie sich an seine Seite. Um Andrew war es auch nicht bestens bestellt, da sowohl Psiana als auch Schwalboss durch die Folgen von ihrem Kampf mit Terrys Pokémon vorerst noch ausgeschaltet waren.

    Bei diesem Gedanken suchten Ryans Augen sofort die Umgebung nach ihm ab und wurde auch rasch fündig, da er der Einzige war, der sich den Angreifern mutig entgegenstellte. Zu seiner Rechten hatte sich Magnayen aufgebaut, das die Garados mit einem drohenden Knurren und hochgezogenen Lefzen begrüßte, wobei es seine fletschenden Zähne offenbarte. Natürlich ließen sich die beiden Wasserdrachen davon nicht im Geringsten beeindrucken, doch es lag in der Natur dieser Wölfe, sich jedem, aber auch jedem Gegner zu stellen. Ohne Kampf wichen sie niemals zurück. Hoffentlich würde Magnayen seinen Mut nicht bereuen. Schließlich war es ebenfalls noch angeschlagen von seinem Kampf mit Magcargo.

    „Andrew!“

    Auf Ryans Ruf hin wagte der Junge, dessen rostbraunes Haar und Jeansjacke wild in der Luft umherwirbelten, einen kurzen Blick über die Schulter. Ryan hatte sich bei dem Anblick gleich aus seiner Starre gelöst und eilte sich an seine Seite. Andrew knirschte allerdings mit den Zähnen, als er den Blonden sah. Auch wenn beruhigend war, ihn unverletzt zu wissen, konnte er ihn in diesem Kampf rein gar nicht unterstützen. Hydropi war meilenweit davon entfernt, sich solch einer Herausforderung zu stellen. Gerade als er dachte, diesen Kampf allein austragen zu müssen, ertönte plötzlich ein ihm nur allzu bekanntes Geräusch, dass er selbst bei dem pfeifenden Wind und dem Gebrüll der Garados einordnen konnte. Hinter ihm war definitiv ein Pokéball aufgeschnappt. Andrew wollte nicht glauben, was er sah, als sich sein Blick ein weiteres Mal über seine Schulter stahl. Vor Ryans Füßen hatte sich die kleine, blaue Gestalt von Hydropi materialisiert.

    „Hast du dir den Kopf gestoßen? Du kannst nicht ernsthaft...“

    „Halt die Klappe und pass auf!“, unterbrach Ryan mit einem Deut nach vorne. Schon im nächsten Moment sah Andrew einen Hochdruckwasserstrahl direkt auf sich zuschießen. Instinktiv sprang er zur Seite, ebenso wie Magnayen, welches allerdings schnell genug war, um auf seinen Füßen zu bleiben, während Andrew einen Sturz zu Boden in Kauf nehmen musste. Die Hydropumpe traf auf massives Holz und erzeugte ein drückendes Rauschen auf der blanken Oberfläche. Die Kraft der Wassermassen war durch den Untergrund sehr gut zu erahnen und beide Trainer ermahnten sich, auf keinen Fall Bekanntschaft mit seiner wahren Stärke zu schließen. Schon gar nicht, nachdem die Attacke geendet hatte und einige Balken zu brechen in Begriff waren. Da waren einige schon besorgniserregend angeknackst und könnten allein schon durch das Gewicht einer erwachsenen Person nachgeben. Das reichte Ryan und Andrew nicht gerade zur Hilfe.

    „Wir versuchen die beiden abzulenken, so gut es geht. Warte auf den richtigen Moment.“

    Andrew kannte seinen Kindheitsfreund gut genug, um zu wissen, dass er sich von dieser Entscheidung nicht abbringen ließ. Dennoch wägte er einen Moment lang ab, es zumindest zu versuchen, was aber von dem Anblick seines Partners in Sekundenbruchteilen zunichte gemacht wurde.

    „Das tun wir doch, Hydropi?“, fragte Ryan das Amphibium mit einer bislang nicht gekannten Zuversicht und einem beachtlichen Anteil an Vertrauen. Das kleine Wasserpokémon schien nicht einmal überlegen zu müssen. Für Hydropi gab es keinen zweiten Weg, keine andere Option, keine Alternative. Nur den einen, den sein Trainer ihm bestimmt hatte. Wenn er sagte, es solle kämpfen, dann kämpfte es, basta. Für einige Sekunden ruhten die Blicke der beiden jungen Trainer aufeinander und als würden sie sich telepathisch verständigen, einigten sie sich darauf, Ryans Plan zu befolgen, was sie mit einem knappen Nicken besiegelten.

    „Fang an mit Aquaknarre“, befahl er Hydropi, bemühte sich dabei um möglichst eiserne Zuversicht. Er musste jetzt das Gefühl vermitteln, vom Sieg seines Partners überzeugt zu sein. Mit den Zweifeln und der Skepsis der letzten Trainingseinheiten brauchte er hier gar nicht antreten. Da wäre er ja besser beraten, wenn er die Flucht ergriff. Bedingt durch den nervösen, donnernden Herzschlag in seiner Brust konnte er allerdings zumindest einen Hauf von Unbehagen nicht verbergen. Doch er musste sich konzentrieren. Jeden Zweifel, den er offen an Hydropi zeigte, würde sich negativ auf dessen Leistung auswirken. Selbstverständlich würden sie mit dieser Attacke wenig bis gar keinen Schaden anrichten. Lediglich die Aufmerksamkeit der Garados galt es hierbei zu gewinnen, um Magnayen somit das Tor zu einem vernichtenden Schlag zu öffnen. Dies war die einzig sinnvolle Taktik in diesem Kampf.

    Der Wasserstrahl Hydropis traf auf das erste Exemplar der schlangenartigen Wasserdrachen und prallte – wie zu erwarten gewesen war – ohne jede erkennbare Wirkung ab. Dennoch schien er seinen Zweck zu erfüllen. Mit ohrenbetäubendem Gebrüll versuchte das Garados den kümmerlichen Winzling einzuschüchtern, sodass es sich dem wahren Gegner, Magnayen, widmen konnte. Dass dieser aber völlig unbeeindruckt schien, wollte den Angreifern wohl überhaupt nicht gefallen. Die ohnehin grimmige Miene verfinsterte sich noch mehr, als die unverschämten Rufe Hydropis zu ihm herauf klangen.

    „Komm schon. Du lässt dir das doch von uns nicht gefallen. Greif uns an“, murmelte Ryan bangend vor sich hin. Selbst sein Pokémonpartner konnte ihn nicht verstehen, so leise sprach er.

    Sein Wunsch wurde erfüllt. Garados riss sein gewaltiges Maul bis zum Äußersten auf und preschte auf das kleine Wasseerpokémon zu. Beim Training hatte es kein gutes Reaktionsvermögen aufweisen können, doch die Tatsache, dass Hydropi in dieser Situation nicht erst den Befehl zum Ausweichen brauchte, ermöglichte noch einen rechtzeitigen Sprung zur Seite. Dass die Seeschlange nicht vor hatte, lange Spielchen zu spielen, wurde rasch deutlich, da es sich nicht etwa die Mühe machte, noch zurückzustecken. Nein, seine Kiefer durchbrachen festes Hartholz und rissen ein gewaltiges Loch in den Boden. Doch die Holzbretter brachen deutlich weitläufiger auseinander, als man es wohl vermutet hätte. Durch die rohe Gewalt sackte Ryans Herz in unnatürliche Regionen, als im wahrsten Sinne der Boden unter seinen Füßen wegbrach. Für einen Moment erfasste er alles in Zeitlupe. Das berstende Holz, das Gebrüll der Garados, der peitschende Wind der Nacht. Es war der eine Moment, den zu verpassen, einen Sturz bedeuten würde, über dessen Folgen er lieber nicht nachdenken wollte. Aus einem Reflex heraus befahl er seinem Körper, zu reagieren und machte, ebenso wie Hydropi, einen Sprung aus der Gefahrenzone heraus. Er rollte sich über den nassen Boden und mahnte sich, besser gar nicht zu spekulieren, wie knapp er Garados gerade entkommen war. Das Scheppern der Bretter im Schiffsinneren war laut und deutlich zu vernehmen, trotz des Lärms hier an Deck.

    Der Wasserdrache hob den massigen Schädel rasch wieder an, zerkaute dabei einige Bruchstücke als sei es altes Brot, bevor es sie fallen ließ und nun lauter und furchteinflößender denn je grollte. Das zweite Exemplar schien sich durch den übermütigen Herausforderer gestört zu fühlen und wandte sich ihm ebenfalls zu. Ein gelber Energieball formte sich in seinem Maul und veranlasste Ryan dazu, nervös und zugleich wütend die Zähne zusammen zu beißen. Sie ließen ihm keine Pause. Vielleicht kam es früh, aber es war Zeit, seine größte Trumpfkarte zu spielen.

    „Hydropi, Schutzschild!“

    Das Erlernen dieser neuen Attacke hatte den einzig nennenswerten Erfolg von Hydropis letztem Training dargestellt. Eindeutig war dies auf sein verhältnismäßig hohes Alter zurückzuführen, denn ein jüngeres Exemplar, wie Professor Birk sie sonst weitergab, hätte niemals das Potenzial, diese Attacke in so kurzer Zeit zu verinnerlichen.

    Das kleine, blaue Pokémon erschuf eine grün schillernde Energiewand in Form einer Halbkugel um sich herum. Selbstverständlich war die Verteidigungskraft des Schildes teilweise vom Anwender abhängig, doch nach Ryans Einschätzung hatte Hydropi eine realistische Chance, den Angriff so zu überstehen. Es musste sich nur endlich zusammenreißen.

    Das Garados schoss nun einen gelben Energiestrahl von gewaltiger Kraft ab – Hyperstrahl, wie Ryan sogleich erahnt hatte. Daher empfahl sich nun auch der Einsatz von Schutzschild, da der Anwender nach dieser Attacke für kurze Zeit außer Gefecht sein würde. Wenn sie die Attacke schadlos überstehen sollten, würde sich gleich darauf die Chance für einen Gegenschlag eröffnen. Dennoch, die geballte Macht war überwältigend. Eine der stärksten Attacken überhaupt unter den Pokémon und von solch einem Gegner angewandt, stellte sie für Hydropi wahrlich mehr als eine Feuertaufe dar.

    Dann kam schon die Kollision. Sowie die gelbliche und die grüne Energie aufeinanderprallten, zerfetzte ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Rauchschwaden hüllten das Geschehen vollständig in sich ein, benebelten die Sicht beider Trainer und erschwerten ihnen das Atmen. Das ganze Deck zitterte unter Ryans Füßen und er befürchtete schon, dass hier in Bälde alles in Schutt und Asche liegen würde. Ryan konnte nur hoffen und beten, dass sein Partner tapfer blieb. Natürlich keimten die Erinnerungen an die enttäuschenden Trainingsergebnisse nun auf und versuchten ihm einzureden, dass jede Hoffnung vergebens sei und Hydropi geschlagen war. Diese Gedanken jedoch drängte er verbissen zurück, hinter bis in die dunkelsten Ecken seines Verstandes. Ein derartiges Denken half jetzt nicht weiter. Er musste zuversichtlich bleiben, er musste Hydropi vertrauen. Und vor allem musste er Hydropi Mut machen. Das war seine Aufgabe als Trainer!

    Doch vorrangig musste, unabhängig von den Resultaten des Hyperstrahls, nun die Chance wahrgenommen werden. Das Garados war nun für mehrere Sekunden handlungsunfähig!

    „Was is' los, Andrew? Kein Bock oder was? Komm schon!“

    Genau auf so eine Gelegenheit hatten die Johtonesen hingearbeitet. Sie durften sie nicht verpassen.

    „Kannst du haben.“, entgegnete Andrew selbstsicher. Nicht zu fassen, dass die Strategie wirklich aufging. Er hatte es kaum zu hoffen gewagt.

    „Magnayen...“

    Magnayen war die ganze Zeit über in seiner angriffslustigen Position verharrt, die Vorderbeine weit gespreizt und den Schädel gesenkt, um so finster und furchteinflößend zu wirken, wie es die wilden, gelben Augen und das tödliche Gebiss möglich machen konnten.

    „Los, Finsteraura!“

    Das Maul senkrecht gen Boden gerichtet, begann der Wolf eine dunkelviolette Masse zwischen seinen Kiefern zu sammeln. Im Schleier der Nacht sah sie jedoch gänzlich schwarz aus und wirkte somit wahrlich unheimlich, als einzelne Schleier um jeden messerscharfen Zahn waberten und ähnlich wie Rauchschwaden beinahe aus dem Schlund herausquollen. Sowie Magnayen den Kopf anhob, schoss es die Energie in Form einer dunklen Flutwelle auf den Feind. Durch die Nachwirkungen des Hyperstrahls völlig gelähmt, sah das erste Garados seinem Schicksal hilflos entgegen. Die finstere Masse traf es auf Höhe der Kehle, stob leicht zu beiden Seiten vorbei, um sich dahinter in der Nacht zu verlieren. Einige Sekunden lang leistete es den erbitterten Widerstand, bis die schiere Kraft eine schwarze Explosion auf dem Körper des Wasserdrachen erzeugte. Wie ein gigantischer Baum fiel der Angreifer auf die Wasseroberfläche, schlug rauschend darauf auf. Der tonnenschwere Körper warf so viel Wasser auf, dass man meinen könnte, es würde regnen.

    „Nummer eins wäre erledigt“, stellte Andrew zufrieden klar. Das hatte wirklich wie am Schnürchen geklappt. Allerdings währte das Erfolgsgefühl nur äußerst kurz. Das verbleibende Garados hatte nun den grauen Wolf im Visier und feuerte eine weitere Hydropumpe ab. Der junge Trainer biss sich wütend auf die Lippe. Das ging einfach viel zu schnell. Magnayen noch nicht wieder voll genesen und generell noch nicht so erfahren wie beispielsweise Psiana – geschweige denn so schnell. Mit der verwundeten Pfote war ein solch plötzlicher Wechsel von Offensive auf Defensive einfach unmöglich.

    Trotzig bellte Magnayen dem Angriff entgegen, ungeachtet der Tatsache, dass es ihm nicht mehr entrinnen konnte. Die Wassermassen drückten ihr Opfer binnen eines Sekundenbruchteils zu Boden. Das geübte Auge erkannte sofort die Pein in der Iris des Unlichtpokemon. Jedoch verbot es sich, laut aufzuheulen und krallte sich in den Holzboden Fest, um nicht davongespült zu werden. Fragte sich nur, wie lange es durchhielt. Garados zeigte kein Erbarmen. Andrew suchte fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Situation. Doch ohne Hilfe sah er sich völlig in die Enge gedrängt. Magnayen konnte sich nicht aus eigener Kraft befreien, das sah er auf den ersten Blick.

    Plötzlich jedoch brach der Wasserstrahl ab. Der unglaubliche Druck, welcher auf dem Körper des wehrlosen Wolfes lastete, verschwand binnen eines Herzschlages.

    „Nochmal!“

    Die motivierende Stimme von Ryan zog die Aufmerksamkeit von Andrew sowie seines Partners auf sich. Er wurde von Hydropi flankiert. Das kleine Wasserpokémon keuchte laut und stand auf wackeligen Beinen, hatte den Hyperstrahl aber überstanden und befand sich bereits in Angriffsposition. So beobachtete er, wie Hydropi eine hohe Zahl kleiner Schlammklumpen ausspuckte und dabei auf Garados´ Gesicht zielte. Nein, genauer noch, es zielte in seine Augen. Sie waren bereits verdreckt und verklebt von der braunen Masse und raubten dem Wasserdrachen vollends die Sicht. Wild schlug der massige Schädel hin und her, panisch versuchend die matschige Substanz loszuwerden. Dieses Vorhaben blieb vergebens. Garados war vorübergehend erblindet.

    „Beeil dich!“, rief Ryan seinem Kumpanen sogleich wieder zu. Sie durften keine Chance verstreichen lassen. Er war nicht sicher, ob und wie viele Hydropi ihnen noch würde verschaffen können.

    „Gib ihm den Rest!“

    Andrew war äußerst beeindruckt. Die zwei taten wirklich alles, was in ihrer momentan so bescheidenen Macht lag. Er nickte einmal dankend, anerkennend und wandte sich dann an Magnayen.

    „Alles klar bei dir, kannst du aufstehen?“

    Die Beine zitterten bereits bedenklich und der Schmerz war dem Unlichtpokémon deutlich anzusehen. Wenn diese Hydropumpe gar das Holz, auf dem er lief, zum Nachgeben zwingen konnte, vermochte es sicher auch Knochen und Organe zu verletzen. Erst recht bei weniger robusten Pokémongattungen, wie Magnayen. Doch wenn sein Trainer seiner Dienste bedurfte, würde es ihn nicht enttäuschen. Sich geschlagen geben? Vor einem lächerlichen Wassermonster, das allseits gefürchtet war und nicht mal das Sechzehnfache seines eigenen Kampfgewichtes auf die Waage brachte, zurückschrecken? Sollte dieser Tag jemals kommen, würde der Wolf sich in den eigenen Schwanz beißen. Ein wildes Kampfgeheul stieg hinauf zum Nachthimmel und breitete ein erleichtertes sowie euphorisches Lächeln auf Andrews Gesicht aus.

    „In Ordnung. Spukball!“

    Die finstere Energiekugel im Maul Magnayens ließ nicht lange auf ihren Einsatz warten. Sie passte auf voller Größe kaum zwischen die Kiefer und einige schwarze Blitze zuckten bereits um die Schnauze. Magnayen gab echt alles, stemmte sich sogar auf die Hinterbeine und warf dann den Kopf nach vorn, um mit der größtmöglichen Kraft anzugreifen. In einer schwarz-violetten Wolke detonierte der Spukball auf dem schlangenartigen Körper und ließ Garados aufschreien. Vor Schmerz, zweifellos, aber auch vor Wut. Die Blindheit versetzte es zunehmend in Rage. Gleichzeitig wuchs mit jedem Treffer der Durst nach Vergeltung. Es wand und zappelte wie verrückt im Wasser umher, schlug auch den Schweif auf und setzte die beiden Trainer samt ihrer Pokémon einem Regen aus Salzwasser aus. Und nach einigen Momenten, in denen sie alle fieberhaft endlich den Fall des Monstrums herbeisehnten, schuf es plötzlich eine goldene Lichtkugel in seinem Maul. Die zwei menschlichen Augenpaare weiteten sich. Das würde ein Angriff ohne vorhersehbares Ergebnis werden. Ein Produkt ungezügelter Raserei von wahnsinniger Zerstörungskraft. Einem solchen Verzweiflungsschlag konnte man nichts entgegensetzen.

    „Hyperstrahl, aufpassen!“, brüllte Ryan alarmiert. Er ließ sich auf die Knie fallen, nahm Hydropi schützend in den Arm und hielt den Kopf unten, jedoch ohne den Gegner aus den Augen zu lassen. Er konnte nicht so rasch erneut das Risiko eingehen, mit Schutzschild zu antworten. Bei dem einen war es schon genug des Wagnisses gewesen. Und jetzt bestünde gar die Chance, dass der Schild seine Wirkung gänzlich verfehlte. Andrew tat dasselbe bei Magnayen, drückte es unter sich, obwohl der Wolf sich wehrte, eigentlich selbst schützend vor seinem Trainer stehen wollte.

    Der goldfarbene Strahl schoss zunächst steil gen Himmel, weit vorbei an jedem möglichen Ziel. Doch da Garados den Kopf weiter hin und her schwang, sauste nur Sekunden später die mächtige Energie knapp über ihre Köpfe hinweg. Einige Meter hinter ihnen zerstörte sie Holz und Metall gleichermaßen mühelos, kaum dass sie darauf getroffen war. Lautes Krachen und Scheppern sowie das Donnern des Hyperstrahls auf festem Material schlugen brutal auf das Trommelfell ein, sodass sie sich die Ohren zuhielten und kaum noch Kenntnis von dem nahmen, was um sie herum passierte. Die Erschütterungen waren so heftig, dass ans Aufstehen gar nicht zu denken war. Hätte das Schiff eine Klippe gerammt, wären die Auswirkungen wohl kaum schlimmer. Es war eine Situation, wie in einem Alptraum. Der Lärm, das Adrenalin und die Angst, all die vermengten Emotionen, die weder klares Denken noch geistesgegenwärtiges Handeln zuließen und die beiden jungen in einen Zustand verharrenden Zustand der Paralyse versetzten. Einfach unten bleiben und hoffen, dass der Sturm rasch endete, war die Devise. Ein Augenblick, in dem man sich nur noch vor ihm verstecken wollte und sein Verschwinden herbeisehnte. So erkannten sie auch viel zu spät, wo Garados in all seiner Willkür entlang zielte. Der Energiestrahl hielt direkt seitlich auf sie zu. Nur einen Moment sah Ryan auf, doch genügte der Ansatz von Garados´ Bewegung, um die Richtung des Energiestrahls zu erahnen. Mit einem letzten Blick über seine linke Schulter sah er das Unglück kommen. Blitzartig nahm er Hydropi auf und versuchte davonzulaufen – vergebens. Sein langgezogenes „Verdammte Scheiße!“ ging in dem Krach beinahe unter. Andrew schrie einfach nur.

    Bei dieser Kraft war ein Hyperstrahl allemal in der Lage, einen jungen Menschen schwer zu verletzen. Im schlimmsten Fall gar zu töten. Dieser Gedanke griff unbarmherzig wie die kalte Hand von Darkrai nach dem Verstand der Beiden, doch schien ihnen die einen Hauch von Glück in dieser Katastrophe zu widerfahren. Garados verfehlte sie haarscharf. So knapp, dass Ryan bereits die Hitze auf seinem Rücken spürte. Die Druckwelle schleuderte die Jugendlichen samt ihrer Pokémon meterweit durch die Luft. War es sehr absurd, dass Ryan in diesem Augenblick an sein Cappy dachte, das just in diesem Moment davon flog und in tiefer Schwärze der nächtliche See verloren ging? Sicher war er nicht der Einzige, der dies bejahen würde.

    Sämtliche Gedanken wurden aber sogleich umgelenkt, als der Schmerz einsetzte. Es war ein Gefühl von Hitze, wie gleichermaßen von einem erdrückenden Schlag auf den Rücken er ihm die Luft aus den Lungen quetschte. Würde er je danach gefragt werden, wie es sich anfühlte, so dicht an einem Hyperstrahl zu geraten, würde er es mit einer kochend heißen Hydropumpe vergleichen. Und dabei hatte er nicht einmal den Energiestrahl zu spüren bekommen.

    Ryan verlor in der Luft sämtliche Orientierung. Ob kopfüber oder waagerecht – er konnte beim besten Willen nicht sagen, in welcher Lage er sich befand. Andrew dagegen behielt die Übersicht wenigstens ein bisschen. Ob er das begrüßte, war eine andere Frage. Doch im Nachhinein dachte er sich, dass er wohl auf den Anblick der sich immer weiter nähernden Wasseroberfläche hätte verzichten können.


    Kälte, Nässe, Salz, brennend in den Augen und bissig auf seinem Weg die Kehle hinab. Schmerz, eine Landung wie auf Beton. Finsternis. Grob war dies alles, was die jungen Trainer nach ihrer Landung in der rauen See wahrnahmen. Lediglich der Instinkt, die Richtung anzusteuern, in der man die Oberfläche vermutete, setzte ein. Kaum hatte Andrew diese erreicht und einen ersten Atemzug erlösender Luft eingesogen, schlug nur wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbei ein Objekt auf. Aufgeschreckt rudert er mit den Armen zurück. Das Geschoss, welches ihm beinahe den Schädel gespalten hatte, war nicht mehr und nicht weniger als ein herausgebrochenes Stück Holz vom Deck des Schiffes, auf welchem er sich vor wenigen Augenblicken noch befunden hatte. Eine sporadische Erkundung seiner Umgebung verriet ihm, dass er von hölzernen Trümmerteilen nur so umringt war. Er sah auch Metall durch die Luft segeln, welches glücklicherweise weniger gefährliche nahe eintauchte und fortan in den Tiefen versank. Holz und Taue trieben zu allen Seiten an der Oberfläche. Wie aus der Ferne vernahm er das Bellen von Magnayen. Ihm fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen, als er es auf sich zu paddeln sah. Es schien sogar unverletzt. Doch von dem anderen Team aus Trainer und Pokémon fehlte jede Spur.

    „Ryan!“

    Sein Ruf schien sich in den Wellen zu verlieren. Doch vielleicht rauschte das Blut in seinen Ohren auch nur so stark, dass er sich dessen nicht bewusst sein konnte. Doch das Adrenalin ließ kaum rationales Denken zu.

    „Ryaaaaan!“

    Rasch tat Andrew der Kopf weh, so schnell änderte er immer wieder die Blickrichtung, während er flehte, endlich seinen besten Freund irgendwo zu erblicken. Ein helles Rauschen ertönte direkt in seinem Rücken. Ihm folgte ein tiefes Keuchen, dem Ringen nach Luft und schließlich ein gereizter Hustenanfall. Ryan spuckte eine bedenkliche Menge Salzwasser aus und seine Gesichtszüge verkrampften sich ob des großen Anteils des widerwärtigen Nass, das zu seinem Bedauern in die andere Richtung geflossen war. Hydropi erschien nur einen Moment später. Auch Ryans erster, suchender Blick galt seinem Reisegefährten. Er fand ihn schließlich auf den hölzernen Trümmern, von denen er beinahe erschlagen worden wäre. Hektisch versuchte er seine Muskeln dazu zu überwinden, sich festzuklammern und winkte den Treibenden gleichzeitig zu sich.

    Selbst durch Andrews helfende Hand stellte das Erklimmen des notdürftigen Floßes eine unglaubliche Anstrengung dar. Magnayen hatte sich ebenfalls gerade erst hinauf gekämpft, doch fand der Wolf nicht einmal mehr die Kraft, sein nasses Fell auszuschütteln. Sowie er wankenden, aber einigermaßen festen Boden unter den Pfoten hatte, ließ er sich entkräftet fallen und die Zunge hing schlaff aus dem hechelnden Maul. Ryan erging es körperlich kaum besser. Beide Arme von sich streckend rollte er sich auf den Rücken, keuchte, hustete, kniff erschöpft die Augen zusammen. Seine rechte Schulter schmerzte höllisch. War sie vielleicht ausgekugelt? Nein, sicher nicht. Wäre das der Fall, wäre er längst in den schwarzen Tiefen ersoffen. Doch der Schmerz, der war durchaus real. Bei jedem Atemzug durchzuckte er seine Muskeln. Hydropi war von dem Kampf ebenfalls deutlich gezeichnet. Zwar hatte es diesen ohne schwere Verletzungen überstanden, doch es war am absoluten Ende seiner Kräfte. Unglaublich, dass sie das überlebt hatten.

    Ein dumpfes Grollen ertönte. In der finsteren Nacht konnte man die riesige Silhouette im Wasser nicht erkennen, doch es war klar, wer oder was dort unten bereits wieder lauerte. Entsetzt rissen beide Pokémontrainer die Augen auf und starrten einander an, in der Hoffnung, den anderen nicht dasselbe tun zu sehen und sich somit der Illusion hingeben zu können, man habe sich das nur eingebildet. Doch sie reagierten wie ein Spiegelbild.

    Schon im nächsten Augenblick durchbrach erneut ein riesiger, schlangenartiger Körper die Wasseroberfläche. Das verbliebene Garados hatte wieder klare Sicht und war gewillt ein offenbar grausames Werk zu vollenden. Warum? Woher kam diese Aggression? Woher diese Gewaltbereitschaft? Dies fragte sich in erster Linie Ryan, der nun der mit Abstand Hilflosere von beiden war.

    „Warum greifst du uns an?“, verlangtet er lautstark zu wissen, als könne der Wasserdrache ihm antworten. Die Stimme so zu erheben, schmerzte derart, dass er Garados nicht einmal ansah, sondern mit zugekniffenen Augen zum Himmel hinauf schrie.

    „Was haben wir dir getan?“

    Die letzten Worte erklangen nur schwach und kraftlos. Jeder Ton verursachte einen satten Schlag in seiner Brust mit einer kratzenden, bissigen Nachwirkung. Als Antwort erhielt er bloß lautes, aggressives Gebrüll. Zittern konnten sie beide nicht mehr. Derart unnötige und kräfteraubende Reize hatte der Körper längst unterbunden. Sämtliche Kraft war jetzt aufs Überleben konzentriert. Doch Ryan war inzwischen machtlos, zu einem hilflosen Zuschauer in der ungeschützten, ersten Reihe bei einem tödlichen Spektakel degradiert. Hydropi war am Ende, ebenso wie er selbst. Das war wohl die Art von Notfall, die Andrew zu Beginn ihrer Reise angesprochen hatte und für den er all seine Pokémon brauchen würde. Dass er eben das nicht tat, könnte ihm in diesem Fall sogar das Leben kosten.


    Eine letzte Chance blieb ihnen noch. Eine letzte Rettung. Wenn die versagte, war ihnen heute ein namenloses Seemannsgrab sicher. Denn Garados würde nicht aufhören, würde nicht aufstecken und sie einfach ziehen lassen. Irgendetwas hatte das grausame Wasserpokémon zutiefst verärgert und aus einem unempfindlichen Grund schien es die zwei Trainer direkt oder indirekt verantwortlich dafür zu machen.

    Doch Andrew holte nun den Gegenstand hervor, der wie ein Hoffnungsschimmer am Horizont im Mondlicht aufblitzte. Seine ganze Kraft brauchte es, um Dragonirs Pokéball gen Himmel zu strecken, bevor dieser aufschnappte und in einem weißen Licht den edlen Drachen freigab. Dann geschah etwas sonderbares, womit wohl niemand gerechnet hatte.

    Garados erstarrte. Sein Blick war fassungslos, die Augen weit aufgerissen und scheinbar ein Trugbild vor sich vermutend. Als wollte es glauben, all seine Sinne spielten ihm gerade einen üblen Streich. Andrews Drache dagegen baute sich schützend und wild entschlossen vor seinem Trainer auf und rief in fast mütterlicher Obhut seinen Namen hinaus. An Größe doch weit unterlegen war Dragonir ein ernst zu nehmender Gegner und verkörperte eine wunderschöne, dafür aber auch gnadenlose Gefahr. Garados wollte dies gar nicht gefallen, doch nun löste sich der Wasserdrache aus seiner Starre und grollte seinem Widersacher erbost entgegen. Vorerst blieb es bei dieser Drohgebärde. Scheinbar wartete es sogar auf eine Antwort.

    Ryan und Andrew waren wie versteinert. Etwas schien zwischen den beiden Pokémon vorzugehen. Nicht einmal ein Angriffsbefehl kam über Andrews Lippen. Dies sollte kein Kampf werden... Dragonir und Garados diskutierten miteinander. Unverkennbar war der furchteinflößende Angreifer aus der Tiefe geradezu rasend, schien aber keine Anstalten zu machen, zur Attacke über zu gehen. Die blau-weiße Drachenschlange dagegen verweilte trotzig an Ort und Stelle und zeigte ein rebellisches, ungehorsames Verhalten. Forderte Garados etwa, dass es aus dem Weg ging?

    „Andrew, was läuft da?“

    Keiner konnte seinen Blick von diesem Schauspiel nehmen. Wie oft bekam man so etwas zu Gesicht? Zwei Pokémon, die den Kampf ablehnten und ein gegenseitiges Einlenken nur mit Worten zu erreichen versuchten. Das war ja beinahe menschlich – je nachdem, mit was für Menschen man es zu tun hatte.

    „Hab ich ´ne Ahnung?“

    Langsam wurde die Konversation hektischer, schien sich immer mehr in die Richtung zu bewegen, die Garados doch zum Angriff verleiten könnte. Es schien sich mehr gezwungenermaßen anstatt willentlich zurückzuhalten und tat sich damit offenkundig schwer. Dragonirs Standpunkt war auch ohne Kenntnis der Pokémonsprache klar und deutlich: Bis hierher und nicht weiter!

    Und schließlich zollte Garados diesem Standpunkt seinen Respekt. Ein letztes, verärgertes Mal brüllte es, wand sich dann mit warnendem Blick ab. Einer, der mitteilte, dass das eigene Leben gerade verschont worden war. Jener Blick zielte sonderbar präzise auf Ryan. Dann tauchte Garados brüllend ab und verschwand rauschend in der schwarzen Tiefe.

    Würde die Erschöpfung die beiden Trainer aus Silber City nicht gnadenlos an die Grenze der Bewusstlosigkeit zerren, so hätten sie wohl auch noch eine geschlagene Minute später die Luft angehalten. Doch ihr schockiertes Keuchen und Jauchzen blieb von ihnen selbst ohnehin ungehört. Verwirrung herrschte in ihren Köpfen. Warum hatte Garados aufgegeben? Was hatten die zwei Drachen einander zu sagen gehabt? Andrew war es, der sich als erstes weiträumig umsah, während Ryan wie hypnotisiert die Wasseroberfläche anstarrte, als könnte der abgezogene Drache doch gleich wieder auftauchen. Nur langsam wich die Todesangst aus seinem Körper und nur langsam entspannten sich seine erstarrten Muskeln. Sein Verstand war dafür noch genauso unklar, wie das finstere Meer in dieser Nacht. Hatte Garados gerade wirklich ihn allein angesehen? Hatte diese stille Warnung, die er darin zu lesen geglaubt hatte, konkret ihm gegolten?

    „Ey, Ryan.“

    Andrews Stimme klang wie aus der Ferne. Ein Piepen lag im Ohr des Blonden, sodass sie kaum zu ihm durchdrang.

    „Huh?“, reagierte er abwesend, ohne aufzusehen. Mehr brachte er nicht mehr heraus. Die vergangenen Minuten waren einfach zu viel gewesen. Er wünschte sich ganz schnell das Ende von Andrews Anliegen herbei, als würde danach alles wieder gut sein. Jetzt nur nicht reden, nicht denken, einfach irgendwie erholen.

    „Wo ist das Schiff?“

    Nicht einmal ein Schock durchfuhr seinen Körper. Der war bereits zu ermattet. Stattdessen setzte sein Verstand kurz aus. Hatte er sich da verhört? Träumte er bereits? Hatte Andrew das eben wirklich gefragt? Bitte lass die Antwort nein lauten.

    Gerade so brachte Ryan es fertig, sich auf die Ellenbogen zu stützen und aufzusehen. In allen Richtungen erblickte er nur finstere Nacht. Kein Licht, kein Schiff. Es war weg.

    „Das is jetzt nicht wahr!“

    Lest ihr gerne Comics, abgesehen von Manga?
    Nope. Der Grund ist eigentlich zurückzuführen auf meine Vorliebe für Animes. Die werden von außen gerne als Cartoons bezeichnet (was sie streng genommen auch sind) und gleichermaßen sind Mangas auch nicht mehr und nicht weniger als Comics. Doch bei den westlichen Ablegern - also Cartoons und Comics - denkt man dann halt an die Klischees, die Supermans, Spidermans, Bugs Bunnys und Donald Ducks. Tatsache ist nun mal, dass Comics, den zweifellos existierenden Ausnahmen zum Trotz, von den ermüdenden und abgebrannten Superhelden dominiert wird.
    Die ständig gleiche Masche von dem Guten, der in seiner Stadt die bösen Buben zusammen latscht. Alles ohne irgendwelche Innovationen sowie den lächerlichen Kostümen, in die man die Protagonisten oft steckt. Mal ehrlich, warum muss man diese Leute in bunte, Figurbetonte Outfits verpacken? Es ist einfach irgendwo lächerlich und wird von einem leicht kindischen Grundgedanken begleitet.
    Außerdem mag ich den immer gleichen Zeichenstil nicht. Bei Mangas variiert der von Zeichner zu Zeichner viel mehr, sodass man immer wieder was neues sieht. Ich mag diesen typisch-japanischen Stil einfach mit den großen Kulleraugen, den Wespentaillen und den kreativen Charakterdesigns.
    Story und Handlung sind im breiten Spektrum betrachtet oft gar verrückt, aber einfach viel unterhaltsamer, abwechslungsreicher und kreativer. Man beschränkt sich nicht so sehr auf gewisse Schwerpunkte, sondern versucht ständig neue Wege zu gehen und etwas zu entwerfen, was es vorher noch nicht gab.


    Die große Frage bei den bekanntesten Universen, Marvel oder DC?
    Das angesprochene Superhelden Problem. Um sie straight zu beantworten: Ist mir schnuppe. Marvel und DC sind an der problematischen Genresituation mehr oder weniger schuld. Mehr möchte ich gar nicht hinzufügen. Habe denke ich alles dazu gesagt.


    Habt ihr einen Lieblingsheld oder Schurken?
    Wenn ich einen wählen müsste, wäre das wohl Ironman. Tony Stark ist einfach ein sympatischer, abgebrühter, Sprücheklopfer. Diese Wahl stützt sich aber ausschließlich auf die Filme, da ich mir die Comics aus diversen anderen, bereits erwähnten Gründen nicht antun werde.


    Für manche von euch auch interessant: Was bevorzugt ihr? Manga oder Comics?
    Sollte die Frage nach dem aufmerksamen Durchlesen meines Kommentars noch im Raum stehen, empfehle ich einen Arzt zu konsultieren.

    Die älteste Frage der Welt . Vorab sollte erstmal festgehalten werden, dass es keine grundlegende Antwort darauf gibt, was von beiden denn besser ist. Mangas haben meiner Erfahrung nach meist das bessere Storytelling, während Animes mit bewegten Bildern und musikalischer Untermalung besser Emotionen und Atmosphäre vermitteln können. Doch jeder setzt wohl die Schwerpunkte, was denn wichtiger sei, sicher anders. Mangaleser betonen oft, dass sie beim Lesen den Charakteren im Kopf eigene Stimmen geben und sich selbst dazu passende Musik ausdenken. Dass ist natürlich auch nicht jedermanns Sache.


    Ich kann wohl behaupten, dass Mangaleser einfach die Freiheit schätzen, ihre eigene Vorstellung von Stimmen und Musik auszuleben. Ich persönlich mag bewegende Bilder einfach mehr und erfreue mich an schönen Animationsstilen. Doch das heißt nicht, dass ich keine Mangas lese. Ich möchte auf keines von beiden verzichten!


    Zwei essenzielle Vorteile muss man Mangas aber zugute sprechen. Erstens gibt es mehr davon als Animes, da nicht jeder Manga als solcher adaptiert wird. Zweitens brechen Animes manxhmal mitten in der Story ab und es bleibt keine andere Möglichkeit, als den Manga zu lesen, wenn man das Ende erfahren will (das lieben wir ja alle so, nicht wahr?)

    Moin, moin und hallo,
    es ist endlich Re-Kommi Zeit! :cool:



    Nichts motiviert mehr als positives Feedback und anregende Tipps. Danke euch und bis bald.


    Shimo

    Akame ga Kill!


    Ein Anime, dem sicher nicht jedem gefallen wird, da er sehr Geschmacksbezogen ist. Doch meinem ist er der Perfektion so nahe, wie kein anderer. Ein finsteres, brutales, gnadenloses Fantasy-Setting samt nicht unbedingt den originellsten aber dafür sympathischsten Charakteren, die ich je gesehen habe sowie einem einzigartigen Konzept. Wer auf der Suche nach Ehre, Gerechtigkeit, Heldentum und dergleichem ist, ist hier definitiv falsch beraten. Assassinen arbeiten im Schatten, verrichten kaltblütiges Werk und werden dafür gejagt und gehasst, obgleich ihre Gründe nichts Geringeres sind, als ein besseres Königreich zu schaffen. Das ist es, worum sich Akame ga Kill dreht und dabei innerhalb kürzester Zeit sowohl auf Seiten der Guten als auch der Bösen tiefgründige Bezüge zu allen Charakteren zu schaffen und um jeden Einzelnen zu bangen, wenn sie einander zu töten versuchen.


    Der Anime besticht durch wahnsinnige Dramatik, bewegende, emotionale Momente und fast schon absurde Grausamkeit. Hier wird endlich mal auf hinderliche und unnütze Moral verzichtet und getan, was getan werden muss, ohne die Konsequenzen zu fürchten - egal wie gnadenlos diese auch sind. Und glaubt mir, wenn der Anime euch einmal gefesselt hat, erlebt ihr eine unglaubliche Berg- und Talfahrt der Gefühle. Zudem imponiert ein unverbrauchtes Setting samt origineller Ideen sowie rasante und packende Actionszenen.


    Manch einer wird zu Akame ga Kill eher keinen Bezug finden, doch jeder hat nunmal den einen Anime, den er als seinen bezeichnet und das ist meiner.


    Kapitel 15: A problem for another


    Noch nie in seinem ganzen Leben war Andrew Zeuge eine derart einschüchternde Drohgebärde geworden. Dass er selbst auch noch ihr Ziel gewesen war, verschlechterte die Situation um ein Vielfaches. Er war sicher nicht der Typ, der einem kreischenden Gegner gegenüber unsicher wurde oder gar Angst bekam, doch er musste zu seinem Erschrecken feststellen, dass seine Gefühlslage letzterem gerade äußerst nahe kam. Schon von der ersten Sekunde an hatte Washakwil mit seinen unglaublichen Techniken ihm all sein Können abverlangt und nur mit Mühe hatte er einigermaßen in dieses Match gefunden. Doch konnte er diesem Pokémon in dem rasenden Zustand, in welchem es sich befand, noch etwas entgegensetzen?

    'Na klar können wir', bläute er sich sofort in Gedanken ein. Er hatte schon stärkeren Gegnern die Stirn geboten als Terry und Washakwil. Blöd war nur, dass ihm spontan keiner einfiel.

    Als wolle er den Gedanken wie ein lästiges Insekt verscheuchen, schüttelte er vehement den Kopf. Er musste wieder klar denken, sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Alles Weitere wäre nur Ablenkung und würde ihn nur der Niederlage näher bringen. „Nachdenken“ war nun das Zauberwort.

    Der Adler war also stinkwütend – na und? Warum sollte das ein Nachteil für ihn sein? Schließlich ging Zorn mit Bedacht und Geschick nicht gerade Hand in Hand. Genau das war nun der Trumpf, den er ausspielen musste. Washakwil würde leicht zu Fehlern zu zwingen sein und dann musste Andrew weiter auf freche Attacken mit Überraschungsmoment setzen. In einem völlig offenen, offensiv geführten Kampf wäre Schwalboss nun absolut chancenlos. Denn Terrys Kämpfer war ihm an Kraft und Geschwindigkeit überlegen, so viel war inzwischen fast unübersehbar.


    Nach einigen ereignislosen Sekunden, in denen alle Beteiligte – ob Mensch oder Pokémon – nur stumme Blicke ausgetauscht hatten, entschied Terry, dass es Zeit war, den Kampf fortzuführen.

    „Los, hoch mit dir!“

    Urplötzlich war Terrys Stimme nicht mehr so ruhig und gelassen, wie bislang noch. Seine lässige Haltung war nun einem energischen und deutlich lauterem Ton gewichen, womit er seinem braunhaarigen Kontrahenten in nichts nachstand. Der mächtige Adler schraubte sich mit einem einzigen Schlag seiner Schwingen hoch in die Lüfte. Kaum konnte man mit den Augen folgen, so schnell befand er sich einige Meter über Schwalboss, um – so vermutete Andrew – einen weiteren Angriff aus erhöhter Position einzuleiten. Doch damit hatte er bereits gerechnet und einen Plan entwickelt, der ebenso einfach wie genial in der Ausführung war.

    „Sofort Ruckzuckhieb!“, wies er an, worauf die Schwalbe wie ein zischender Pfeil nach vorne Schoss und Washakwil in den Bauch rammte, kaum dass es gestoppt hatte. Auf die Idee hätte Andrew auch früher kommen können. In einem Kampf unter Flug-Pokémon war es stets von Vorteil, sich vor dem Angriff in eine aussichtsreiche Lage zu versetzen, um maximalen Schaden anzurichten. Eben solche Situationen waren es, in denen Andrew einfach stets den richtigen Moment abwarten und weiter so gezielt zuschlagen würde, wie gerade eben. So konnte er Washakwil langsam ermüden. Alles was es dann noch bräuchte, war eine saubere Kombination sowie ein satter Finalschlag und der Drops wäre gelutscht. Doch dann hallte von der anderen Seite des improvisierten Kampffeldes ein Wort herüber, dass den Johtonesen in höchste Alarmbereitschaft versetzte.

    „Himmelsfeger!“

    Terry setzte zu der stärksten Attacke der Flug-Typen an und bei Washakwils Stärke kombiniert mit seinem derzeitigen Zustand, brauchte man kein Pokémonprofessor zu sein, um sich das Ergebnis auszumalen. Von dem vorangegangenen Angriff völlig unbeeindruckt begann der Adler sanft zu leuchten. Das weiße Licht, welches seinen Leib einhüllte, war noch schwach und relativ unspektakulär, was allerdings damit zusammenhing, dass diese mächtige Attacke einige Zeit beanspruchte, um sich vollends zu entfalten. Wenn Andrew es dazu kommen ließ, war Runde eins für ihn gelaufen. Es war zum Haare raufen. Da hatte er endlich eine erfolgversprechende Strategie aus dem Ärmel gezaubert und da machte ein einziger Befehl alles zunichte. Sei es drum, er musste rasch etwas unternehmen.

    „Wir müssen das stoppen, Schwalboss. Aero-Ass, volles Rohr!“

    Diesmal gab es keine spezielle Taktik oder besondere Methode der Anwendung. Schwalboss führte den Angriff in seiner simpelsten Form aus und hielt direkt auf den großen Raubvogel zu. Erneut traf es direkt die gefiederte Brust und beförderte Washakwil geradewegs gen Himmel.

    „Jetzt hau ihm deine Flügelschläge um die Ohren!“

    Das Schwalben-Pokémon hatte noch gar nicht von seinem Gegner abgelassen, da begann es mit seinen Schwingen wie wild auf diesen einzudreschen. Wieder und immer wieder prügelte es geradezu auf seinen Gegner ein und verfiel in einen rauschartigen Zustand der Raserei, doch Washakwil zeigte keine Regung, ließ kein Zeichen von Schwäche oder Rückzug aufkommen und kämpfte den Schmerz nieder. Es war voll und ganz in Konzentration vertieft. Währenddessen gewann es noch immer an Höhe, wobei Schwalboss unfreiwillig mithalf, da es immer wieder aus der tieferen Position zuschlug. In kriegswilliger Ekstase hieb es auf seinen Widersacher ein. Es sehnte sich nach dem Sieg. Nur noch ein bisschen und...

    Wie in Zeitlupe begann sich der wild umherwirbelnde Körper von Washakwil plötzlich wieder auszurichten. Die Schwingen ausgebreitet und in gleichmäßigem Rhythmus auf und ab schlagend starrte es auf die erneut heran rauschende Schwalbe und offenbarte erneut einen Blick in seine Seelenspiegel. Fast war es, als leuchteten sie ebenso, wie sein Körper nun leuchtete. Das weiße Licht, das sein Gefieder umspielte, nahm an Stärke und Intensität schlagartig zu. Innerhalb eines Herzschlages war es zu einem lebendigen, leuchtenden Stern am Himmel geworden, der all jene blendete, die es wagten, ihn direkt anzusehen. Und eben dies tat Schwalboss. Reflexartig kniff es die Augen zusammen und hielt in seiner Bewegung inne. Dieser Moment war es, auf des Terry gewartet hatte.

    „Mach es fertig“, sprach er nun wieder in aller Seelenruhe, wie er es zu Beginn getan hatte. Den Befehl hätte Washakwil wohl kaum gebraucht. Es lag eine schier unendliche Freude in seinen nun hell leuchtenden Augen, welchen auch etwas Diabolisches innewohnte. Oh, wie sehr hatte es diesen Augenblick herbeigesehnt, wie sehr würde es das genießen, was sich nun ankündigte. In einer flinken Bewegung ließ sich der Adler herabsinken und erfasste den erstarrten Körper von Schwalboss. Von dieser Sekunde an, war der es absolut handlungsunfähig. Ein brodelnder Schmerz folgte auf die Berührung mit dem erhellten Leib seines Gegners. Die Luft schien zu brennen und die Atemwege zum Glühen zu bringen. Der Kontakt mit dem in hellem Licht eingekleideten Körper brachte einen heißen Ansturm der Qual mit sich und ließ das Opfer in erbarmungsloser Pein erstarren. Denken, Handeln, all das war nun nicht mehr möglich. Nur auf seine Schmerzensschreie konnte sich Schwalboss nun konzentrieren. Wie sein Körper nach unten Richtung Boden gedrückt wurde, nahm es kaum noch wahr. Auch den rasenden und überaus zufriedene Kampfschrei Washakwils ertönte nur schwach und dumpf in seinen Ohren. Und auch der Aufprall auf dem Erdreich war nur für einen ganz kurzen Augenblick zu spüren.


    Der Aufschlag war wie eine Bombe, die vor Andrew einschlug. Mehr noch, wie ein heller Meteor am Himmel kam der Adler hinuntergestürzt, seinen hilflosen Gegner erbarmungslos in den Waldboden schmetternd. Eine Druckwelle, stark wie hundert Windstöße fegte das nahe Gestrüpp und dünne Äste an den Bäumen davon. Lediglich das dickere, stärkere Gehölz konnte dem standhalten. Die Kleidung der drei jungen Trainer wirbelte aufgepeitscht im Wind und ihre Besitzer stemmten sich mühsam dagegen. Diesmal musste selbst Terry gegen die Urgewalten ankämpfen, die sein Pokémon entfesselte. Doch hinter seinen erhobenen Armen, welche sein Gesicht vor allem schützten, was ihm entgegen geweht wurde, tat sich kaum erkennbar, ein zufriedenes Grinsen hervor. Andrew stieß einen stummen Fluch aus, da er nun bemerkte, dass er von Anfang an chancenlos gewesen war. Diese Kraft, diese Energie, dieser Wille... was hätte Schwalboss gegen eine solche Tollkühnheit ausrichten können?

    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Wind endlich nachließ und sich der Staub legte. Doch keinem entlockte es auch nur den geringsten Funken Verwunderung, als das besiegte Schwalboss am Boden auszumachen war. Verletzte Nerven ließen einen Flügel oder ein Bein zucken. Die Körperhaltung war sehr gekrümmt, fast unnatürlich. Es schien als wollte es einige wimmernde Laute ausstoßen, doch kosteten die bereiots zu viel Kraft und blieben im Rachen stecken. Washakwil stand direkt vor seinem geschlagenen Opfer. Sein Blick war noch immer derselbe. Glücklich über den Schmerz seines Gegners, unheilvoll raunend als wolle es weiter machen. Es war einfach grauenvoll furchteinflößend. Und für einen Moment wollte Andrew seinen Augen nicht trauen, da hob sich eine Klaue des Adlers und wollte sich gerade auf das Gesicht der Schwalbe legen, es in den Dreck reiben, es zerkratzen, zermalmen...

    „Stopp!“

    Terrys Ruf war absolut streng, in gewisser Weise auch vorwurfsvoll und ließ keine Diskussionen zu. Sein Pokémon brauchte nicht mehr als diesen Ton, nicht einmal einen Augenkontakt. Sofort zuckte die Klaue zurück und Washakwil entfernte sich einige Schritte.

    „Es hat genug“, fügte er hinzu. Nun begann sich der Adler sogar wieder etwas zu entspannen. Die Flügel wurden an den Körper gelegt und der Kopf war nicht länger dem Feind entgegengestreckt, sondern hob sich, um ruhig das Geschehen zu überblicken.

    Andrew war fassungslos. Ihm war bereits klar geworden, dass Washakwil ein Pokémon war, das man bremsen musste, denn sonst würde wohl noch ein großes Unglück passieren. Dass Terry es wahrlich schaffte, diese Bestie im Zaum zu halten, war bewundernswert, stand aber dennoch im Schatten seiner Stärke. Doch dies waren nur unwichtige Hintergedanken, die er ohne Mühe zu verdrängen vermochte. Sein Blick haftete zerknirscht und gelähmt auf Schwalboss. Er wollte es gar nicht wahrhaben, dass sein Freund und Partner gerade so vor ihm lag.

    Recht zügig wurde er aber wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt, als aus heiterem Himmel jemand heran geeilt kam und sich nahm dem schwer verletzten Vogel bückte. So schnell er sich hatte aufrichten können, war Ryan auf das Feld gestürmt, um nach Schwalboss zu sehen. Er hatte sofort erkannt, dass Andrew, dessen Aufgabe dies eigentlich gewesen wäre, dazu gerade irgendwie nicht imstande war und auch als er den regungslosen Körper behutsam aufnahm, konnte er sich nicht einmal vom Fleck rühren.

    Der Junge mit dem Cappy spürte jedoch ganz deutlich seinen Blick auf sich ruhen und wandte sich ihm sogleich zu. Jedoch schien der völlig ins Leere Nichts zu starren, als wüsste er gar nicht, wo er sich befand.

    „Hey, bleib bei der Sache.“

    Ryan hatte fest den Oberarm Andrew ergriffen und ihn somit ein wenig aus seinem Schockzustand geweckt. Noch nie hatte er erlebt, dass er so fassungslos vor sich hin stammelte und einen viel schlechteren Zeitpunkt gab es wohl kaum, um die Konzentration zu verlieren. Bei einem unerfahrenen Trainer wäre dieser Zustand nun weitaus weniger verwunderlich gewesen und auch wenn Andrew wohl noch nie eines seiner Pokémon in diesem Maße hatte leiden sehen, hatte Ryan durchaus von ihm erwartet, sich über solche Dinge hinwegsetzen zu können. Die Sorge um sine Schützlinge war berechtigt und verdiente Anerkennung, doch es gab eine richtige Zeit dafür und es gab eine falsche.

    „Du hast noch einen Kampf auszutragen. Ich kümmere mich schon um Schwalboss, behalte du deinen Kopf bei dem da hinten.“

    Ryans Kopf zuckte kurz über seine Schulter hinweg zu Terry herüber, der die Szene kommentarlos beobachtete. Kaum hatte Andrew die Worte seines Kindheitsfreundes vernommen, spürte er noch, wie jener ihm einen aufmunternden Klopfer auf die Brust verpasste und sich dann wieder entfernte. Für einen Moment sah Andrew ihm noch hinterher, wie er Schwalboss im weichen Gras bettete und einige Salben und Verbände aus seinem Rucksack kramte. Es würde bei ihm in guten Händen sein, da war er sich sicher, jedoch schmerzte ihn die Tatsache, dass sein Freund dies Leid nur wegen seiner Überheblichkeit erfahren musste. Doch das ließ sich nun nicht mehr rückgängig machen. Was er jetzt noch tun konnte, war sein übriges Pokémon vor ähnlichem Schicksal zu bewahren, indem er dem Kampf gewann.


    Einmal tief durchatmend warf Andrew alle überflüssigen Gedanken über Bord und fokussierte seine Konzentration nur auf seinen Gegner. Washakwil schien sich ein wenig besänftigt zu haben und war zudem angeschlagen. So sehr der stolze Adler es auch zu verbergen versuchte, man sah ihm Müdigkeit an. Das bedeutete im Klartext, dass Andrew die Möglichkeit hatte, einen schnellen Sieg zu erringen und somit das Match auszugleichen. Doch er durfte dabei nicht so forsch vorgehen, wie eben noch mit Schwalboss. Er musste sich auf die Stärken seines Pokémons besinnen. Ein leichtes Grinsen huschte über seine Lippen.

    „Jetzt liegt´s an dir, Schätzchen.“

    Er sah nur aus dem Augenwinkel zu seiner Prinzessin herab und grinste feist. Ihre Ohren zuckten und sie fing den Blick auf. Ihr eigener zeugte von Schalk Eifer.

    „Psi“, schnurrte sie knapp, fügte ein Nicken hinzu und begann sich anschließend auf das Kampffeld. Sehr gemächlich und ohne jede Eile tapste sie in die Mitte der Lichtung. Der Doppelschweif peitschte langsam und hoch aufgerichtet in der Luft hin und her. Das intelligente Wesen setzte sich dann jedoch und leckte sich die rechte Vorderpfote, bedachte Washakwil lediglich mit einem äußerst kurzen und gelangweilten Blick.

    „Lust ein paar Federn zu rupfen, Prinzessin?“

    Die Körperhaltung unverändert und somit nicht wirklich den Eindruck von Bestätigung erweckend, könnte man glatt meinen, Psiana würde Andrew gleich den Gehorsam verweigern, doch wer dies glaubte, kannte dieses Duo schlecht. Es war zwar selbst mit geübtem Auge kaum zu erkennen, hinter der verspielten Fassade der Psychokatze lauerte schlagfertige Kampfbereitschaft, ebenso wie eine heimtückische Überlegenheit, kaum dass ihr Trainer ausgesprochen hatte. Was Terry von diesem elanlosen Auftreten halten mochte, konnte man höchstens mutmaßen. Jeder noch so gute Menschenkenner der in den Leuten lesen konnte, wie ein Buch, würde sich an dem Trainer aus Einall die Zähne ausbeißen. Kalt und emotionslos ruhte sein Blick auf dem neuen Gegner, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sein Pokerface war mindestens genauso gut wie Andrews.

    „Bereit?“, fragte dieser nun, als hätte er bislang zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über das Match besessen. Wirklich in den Kram passen wollte dies Terry nicht, weshalb er sich zu einer Art der Antwort entschloss, die wirklich jeder auf der Welt verstand. Zunächst sah er jedoch hoch gen Himmel. Die Sonne war auf ihrem Höchststand und befand sich genau über ihnen. Konnte er das eventuell für sich nutzen? Prüfend schwenkte sein Blick zu Washakwil. Dieses sah ihn bereits aus dem Augenwinkel an und schien hungrig zu grinsen. Ganz klar, sie beide hatten denselben Gedanken.

    „Greif an mit Zermalmklaue!“

    Seine Stimme hatte er nun wieder erhoben, als wolle er Washakwil durch lautstarke Kommandos noch einmal zu Höchstleistungen bringen. Denn auch wenn keine schwerwiegenden Verletzungen bei dem Adler erkennbar waren, hatte Schwalboss ihm dennoch einiges abverlangt. So stieg das gefiederte Pokémon erneut in den Himmel auf und katapultierte sich mit wenigen Schlägen seiner Schwingen in luftige Höhen. Andrew musste zwangsläufig die Augen zusammenkneifen, als er ihm mit seinen Blicken folgte, da Washakwil direkt in das Licht der Sonne flog. Psiana ging es hierbei nicht besser. Das Katzenwesen verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, um nicht vollends geblendet zu werden. Doch die vogelartige Gestalt, nach der sie am Himmel suchte, war bereits nicht länger auszumachen.

    Kein Problem. Darauf waren sie nicht angewiesen.

    „Zeit die Lauscher aufzusperren. Konzentriere dich auf dein Gehör, Psiana und weich aus“, wies Andrew nun an, worauf seine Kämpferin die Augen nun gänzlich schloss und die Ohren aufstellte. Terry entlockte dies nur einen spöttischen Laut. Was sollte das denn jetzt? So einen schwachsinnigen Befehl hatte er nun wirklich nicht erwartet, hatte er doch in der vorangegangenen Runde ein gewisses Können unter Beweis gestellt. Das Kommando zum Ausweichen zu geben, bevor der Angriff überhaupt stattfand, war schlicht und ergreifend amateurhaft. Das Timing musste hier schon stimmen. Vielleicht hoffte er auch darauf, dass sein Psiana schnell genug war, um in letzter Sekunde den Sprung zur Seite zu schaffen. Ein mitleidiges Kopfschütteln des Rotschopfes folgte.

    Für einen Moment herrschte auf der Lichtung Stille. Keine Anweisungen der Trainer, keine Attacken der Pokémon. Doch die Ruhe führte unweigerlich dazu, dass sich der Angriff des Adlers recht früh ankündigte. Fast konnte selbst das menschliche Ohr hören, wie es gegen den pfeifenden Wind und Luftwiederstand senkrecht gen Erde stürzte, die scharfen Augen fest auf die Psychokatze gerichtet. Jene vermochte mit ihren Sinnen, welche noch um ein Vielfaches besser ausgeprägt waren, den Gegner sowie dessen Entfernung und Geschwindigkeit sehr präzise einzuschätzen. Doch von dem ruhigen hin und her schwenken ihres Schweifs abgesehen, rührte sie sich keinen Millimeter.

    Die tödlichen Krallen bereits ausgestreckt, bereit die Beute zu ergreifen, kam Washakwil nun herabgestürzt, schnell wie eh und je und wie bereits zuvor zeichnete sich etwas in seinen Augen ab, das man fast schon als Blutgier betiteln konnte. Dieses Pokémon war eine echte Kampfbestie.

    Doch jede Bestie konnte besiegt werden. Terry war es sogar gelungen, sie zu zähmen. Nur Sekunden später stand das erneut zum lebendigen Geschoss mutierte Flugpokémon bereits kurz vor dem Zusammenprall mit seinem inaktiven Gegner. Völlig unverhofft drehte es jedoch mit einer blitzschnellen Neuausrichtung seiner Flügel ab, zog einen Halbkreis um Psiana herum und stürzte sich schließlich aus flachem Winkel herab. Einen durch Mark und Bein gehenden, schrillen Kampfschrei ausstoßend, krachte Washakwil schließlich mit dem Krallen voran auf den Waldboden. Einmal mehr wurde Staub und Dreck aufgewirbelt, der eine meterlange Spur durch die Erde zog, aber nur sehr kurz sie Sicht behinderte, da der meiste davon während dieses Matches bereits in alle vier Winde verweht worden war. Andrew biss sich auf die Unterlippe. Dieser Mistkerl hatte seine Form von Aero-Ass kopiert! Genau wie zuvor Schwalboss hatte Washakwil ein offensichtliches und durchschaubares Manöver vorgetäuscht und einen Überraschungsangriff gestartet. Ein cleverer Zug, um die Beute des Raubvogels auszutricksen.

    Doch als die Gestalt von Terrys Pokémon bereits wieder in den Schwaden auszumachen war, fehlte von Psiana jede Spur. Deutliche Verwirrung war seitens des Adlers zu beobachten, der ungläubig auf seine eigenen Krallen starrte. Erst das fast schon belustigt klingende „Psi-a“ verriet dessen Standort. Washakwil wuchtete den massigen Kopf in die entsprechende Richtung und erspähte seine Gegnerin gemütlich auf einer großen Baumwurzel liegend. Nicht nur das, das Katzenwesen tätschelte mit einer Vorderpfote verspielt an einigen langen Grashalmen herum, als seien diese im Augenblick weitaus interessanter als der zerzauste Vogel. Jener wollte diese spöttische, arrogante Geste keinesfalls einfach so hinnehmen. Er war der König der Lüfte, der Herr des Himmels und jedes Wesen hatte ihm Respekt zu zollen. Dreistigkeiten wie diese wurden von ihm früher, als er noch ein wilder Einzelgänger gewesen war, nicht selten mit dem Tod bestraft.

    Seinen Trainer schien dies allerdings wenig zu interessieren, da dieser eine unveränderte Miene aufgesetzt hatte und relativ gelassen einen Windstoß befahl. So riss Washakwil nun den Körper herum und entfesselte eine wütende Böe in Richtung der Psychokatze. Diese brauchte jedoch nicht einmal einen erneuten Befehl und verschwand ein weiteres Mal direkt vor den Augen ihres Gegners. Der Windstoß ließ Staub aufwirbeln und einige Pflanzen unter seiner Kraft nachgeben, ehe er sich dann in den Bäumen verlor. Dann, schon in der nächsten Sekunde erschien Psiana wieder direkt auf seinem Rücken.

    „Biss“, ordnete Andrew völlig routiniert an. Sogleich vergrub seine Prinzessin die spitzen Eckzähne im Nacken des ach so stolzen Adlers und ließ diesen empört aufkreischen. Wild flatterte er umher, schlug mit seinen Schwingen um sich, in der Hoffnung, das Psychopokémon irgendwie abzuwerfen. Tatsächlich konnte Psiana sich diesem wild gewordenen Federvieh nicht lange erwehren, so fest es auch zubiss. So sprang es vom Rücken Washakwils ab, benutzte vorsichtshalber noch einmal Teleport und stand schließlich wieder direkt vor Andrew, welcher ihr zufrieden zuzwinkerte.

    Terry nahm von den wütenden Schreien seines eigenen Partners kaum Kenntnis. Er begann deutliches und aufrichtiges Interesse für Andrews Pokémon zu entwickeln. Innerhalb weniger Herzschläge hatte es sich von einem verspielten, braven Miezekätzchen in eine bissige Wildkatze verwandelt und dabei noch äußerst geschickt agiert.

    „Das eben war Teleport, nicht wahr?“, bemerkte Terry zudem. Eine winzige Spur von Hochachtung konnte er nicht verbergen.

    „Gut beobachtet, damit kannst du dir deine Geschwindigkeit an den Hut stecken.“

    Andrews Antwort war gar nicht nach Terrys Geschmack. Sie war ihm viel zu wahr. So schnaubte er einmal angestachelt auf und wischte sich unter der Nase.

    „Wir werden sehen.“

    Anschließend befahl er Washakwil, mit Aero-Ass anzugreifen – ein Wunsch, dem der wütende Adler nur allzu gerne nachkam. Mit einem einzigen Flügelschlag schoss es wie ein Pfeil geradeaus und fixierte Psiana mit seiner weit aufgerissenen Iris.

    „Alles klar, jetzt Psychokinese!“, befahl Andrew selbstsicher. Schier endlose Gerissenheit und eine verspielte Freude nahmen den Platz in den Seelenspiegeln der Psychokatze ein, welche schon in der nächsten Sekunde unheilvoll in einem schillernden Blauton aufleuchteten. Eine gleichfarbige Aura schloss sich im selben Herzschlag um den Körper Washakwils und entmachtete ihn seiner Kontrolle. Es blieb nicht einfach in der Luft stehen, sondern flog bei gleichbleibendem Tempo stur geradeaus, als befände es sich auf einer Schiene. Psycho-Typen wurden für so manche Attacke gefürchtet. Aber kaum eine reicht an diese hier heran, die dem Gegner sämtlicher Macht über den eignen Körper beraubte. Die Opfer hassten Psychokinese, während die Anwender sie liebten.

    „Ab ins Erdgeschoss“, rief Andrew nun und konnte sich sein zufriedenes Grinsen kaum verkneifen. Wie ein Flugzeug, dessen Nase nach unten gedrückt wurde, ließ Psiana ihren wehrlosen Gegner gnadenlos in den Waldboden abstürzen. Den Schmerzensschrei konnte die Psychokinese nicht verhindern, doch das war sowohl Pokémon als auch Trainer recht gleichgültig. Washakwil schrammte fast die gesamte Distanz bis hin zu der lavendelfarbenen Katze den Boden entlang, bevor Andrew ihr ganz simpel befahl, ihm den Rest zu geben. Ein dankendes „Psi“ erklang daraufhin, da Psiana – und das wusste ihr Trainer nur zu gut – es liebte, wenn sie einen Kampf wenigstens zum Teil nach eigenem Ermessen gestalten durfte. Genug Vertrauen bekam sie für solche Aktionen.

    Es dauerte auch nicht lange, da die Katzendame eine Entscheidung getroffen hatte. In grellen Lichtern begann ihr Stirnamulett aufzuleuchten. Eine gelbe Lichtkugel, vollgeladen mit elektrischer Energie, erschien davor. Knisternd, leuchtend, die Macht einer gefürchteten Naturgewalt haltend, spürte Psiana, wie die Energie unter ihrer Kontrolle um Freiheit zappelte, als sei sie lebendig. Mit größter Freude im Herzen schoss sie die Blitzkanone ab und traf Washakwil direkt auf den Schädel. Für einen Sekundenbruchteil wurden alle Augen geblendet. Ein heißer und zugleich stechender Schmerz ergriff von seinem Körper Besitz. Der Schock lähmte seine Glieder, während es wie von einer unsichtbaren Kraft der freigesetzten Elektrizität zurückgeschleudert wurde. Die entladene Spannung sprengte glatt die oberste Erdschicht frei, sodass es zu beiden Seiten Steine regnete. Der kurze Flug endete direkt vor den Füßen seines Trainers, welcher starr auf den Adler hinabblickte. Einige Blitze zuckten noch weiter um den Federleib und feiner Rauch stieg von seinem Körper empor, welcher von einem leicht verbrannten Geruch begleitet wurde. Andrew war absolut zufrieden. Genauso hatte er sich das vorgestellt.

    „Noch Fragen?“

    Terry antwortete nicht, erwiderte dieser hochmütigen Geste nur einen finsteren Blick. Doch schon im nächsten Moment, wandelte sich der Gesichtsausdruck des Johtonesen. Nicht etwa wegen seines Gegenübers. Von dem hatte er keine andere Reaktion erwartet. Nein, Washakwil war es. Es bewegte sich tatsächlich noch Seine Schwingen zuckten gequält unter dem Befehl ihres Meisters, ihm noch einmal zu gehorchen und schienen dagegen aufzubegehren. Doch das stolze Flugpokémon blieb stur, zwang seinem erschöpften Körper seinen Willen auf und versuchte wahrhaftig noch einmal aufzustehen!

    Das qualvolle Ächzen und Stöhnen des Adlers war kaum laut und kraftvoll genug, um an das Ohr seines Trainers zu gelangen, was bedeutete, dass Andrew und auch Ryan – welcher die Behandlung von Schwalboss mittlerweile beendet hatte – die Laute nur an den sich immer wieder öffnenden Schnabel Washakwils erahnen konnten. Und der Junge in der Jeansjacke wollte schon seinen Augen nicht trauen, als es sich wirklich schon mit einem Bein gegen die Schwerkraft stemmte, da leuchtete es plötzlich in rotem Licht auf und verschwand innerhalb eines Augenblicks in dem Pokéball, den Terry erhoben hatte. Dieser schnaubte nur ein weiteres Mal und verfrachtete ihn wortlos in seinem Gepäck.


    Andrew konnte endlich einmal aufatmen. Washakwil war geschlagen, was dessen Trainer wohl ebenfalls erkannt hatte. Mit ihm noch länger zu kämpfen hätte wohl nur dessen Gesundheit gefährdet. Es überraschte nicht grade übermäßig, dass dieses Pokémon von der unvernünftigen Sorte war, die sich niemals geschlagen geben wollte. Siegeswille in allen Ehren, irgendwann erreichte ein jedes Pokémon sein Limit. Diesen wahnsinnigen Adler endlich los zu sein, war eine echte Befreiung und konnte sogar den aufrichtigen, wenn auch ein Stück weit wiederwilligen Respekt, welchen er für Terry zu entwickeln begann, in den Schatten stellen, da er seinen Kämpfer zu dessen eigenem Wohl zurückgerufen hatte. Ein guter Trainer wusste eben auch, wann ein Fortsetzen des Matches keinen Sinn mehr machte.

    Terry hatte den Kopf leicht gesenkt, sodass sein Gesicht größtenteils von seinem blassroten Haar verdeckt wurde. Auch als er anschließend das Haupt erhob und direkt in den Himmel starrte, fielen ihm Strähnen ins Gesicht und verliehen ihm eine merkwürdige Erscheinung von Trance. Was ging denn in dem gerade vor?

    „Es ist ein tolles Gefühl, nicht?“

    Eine Frage aus heiterem Himmel. Andrew wusste sie nicht zu beantworten. Was faselte er?

    „Mit seinem Pokémon eine Einheit zu bilden. Sich blind zu verstehen und immer fest am selben Strang zu ziehen. Das ist das höchste aller Gefühle, findest du nicht?“

    Andrew war mehr als irritiert von dieser plötzlichen, sentimentalen Ansprache. Die ganze Zeit über schien Terry mit Leib und Seele in nichts anderes als das Match vertieft zu sein. Mit kühlem Kopf und ohne nennenswerte Gefühle oder Emotionen zu offenbaren und auf einmal predigte er hier vor sich hin?

    „Ich kann sehen, wie nahe du deinen Pokémon stehst. Vorhin waren du und Schwalboss voll auf einer Wellenlänge. Hättet ihr nicht so eine Bindung, wärt ihr gegen uns baden gegangen, ohne Washakwil auch nur eine Feder zu krümmen.“

    War das gerade ein Bob gewesen? Mit einem solchen hatte Andrew aus seiner Richtung nun wirklich nicht gerechnet.

    „Und besonders Psiana“, fügte er – man wollte es nur vorsichtig auf diese Weise formulieren – begeistert hinzu.

    „Ihr versteht euch absolut blind und kennt euch in und auswendig, das seh ich sofort. Es ist toll, euch beide so zu sehen. Bei Ryan ich so etwas bislang nie erkennen.“

    Gerade rollte dieser grunzend mit den Augen. Selbst während eines Kampfes ließ der Depp es nicht bleiben. Ohne Andrew zu nahe treten zu wollen, aber es gab nichts an ihm, das er nicht auch besaß, oder nicht konnte. Oder?

    „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht wirklich, warum du mit ihm unterwegs bist.“

    Hier hob Andrew eine Augenbraue. Eigentlich war ihm gerade gar nicht nach Quatschen. Das machte man nach dem Kämpfen. Wobei er auch dafür bislang wenig Lust verspürt hatte.

    „Du fragst dich, warum ausgerechnet er mein bester Kumpel ist und nicht etwa jemand wie du?“, versicherte Andrew sich der Frage. Schmunzelnd zuckte er mit den Achseln. Er hatte nicht wirklich vor, eine Antwort abzuwarten.

    „Ist nicht so, dass der Junge irgendwo kein Idiot wäre. Aber gleich und gleich gesellt sich ja gern“, erklärte er mit einer ordentlichen Portion an Eigenhumor.

    „Selbst wenn es nur darum geht, irgendeinen Mist zu verzapfen und danach wieder auszubaden, macht das zusammen mit Ryan schlicht den meisten Spaß.“

    Schlagartig trat ein abweisender Ausdruck auf sein Gesicht. Der Kopf senkte sich und in seine braunen Augen funkelten missmutig, geradezu angewidert, während er sich zu einem schiefen Grinsen zwang.

    „Außerdem nervst du mich einfach tausend Mal mehr, als Ryan es je könnte.“

    Es entstand eine kurze Pause zwischen den beiden Trainern. Andrew hatte diese willentlich eintreten lassen, um Terry Gelegenheit zu geben, über seine Sicht der Dinge nachzudenken. Dieser jedoch tat eben das nicht und knüpfte wieder nahtlos an seine Rede an.

    „Aber eine Verbindung zu deinem Pokémon zu haben, ist nicht einmal die halbe Miete. Das Allerwichtigste fehlt dir ganz eindeutig.“

    Eine kurze Pause folgte in der Terry eindringlich den Blick seines Gegenübers musterte und zufrieden feststellte, dass er nicht wusste, von welcher ach so wichtigen Gabe er sprach. Doch er hatte nicht vor, es ihm zu verraten. Das hatte Zeit bis später, aber eigentlich musste ein Trainer so etwas schon selbst erkennen.

    „Leider hab ich heute noch was vor, deshalb werde ich den Kampf jetzt beenden.“

    Dieser letzte Satz schaffte es, Andrew sämtliche vorangegangenen Worte vergessen zu lassen. In diesem Satz, in dem er die Herausforderung wiederfand, ebenso wie den Gegner, wie er ihn die ganze Zeit über gesehen hatte. Ryan beschlich derweil eine ungute Vorahnung, was durchaus seine Gründe hatte. Im Finale der Silberkonferernz hatte Terry etwas Ähnliches zu ihm gesagt, als er sein letztes Pokémon in den Kampf geschickt hatte. Und jene Vermutung bestätigte sich, als er mit einer flinken Handbewegung einen weiteren Pokéball von seinem Gürtel löste und ihn aufschnappen ließ, ohne das Objekt von seinem Griff zu lösen. Der weiße Lichtschein formte sich zu einer etwas über zwei Meter großen, aufrecht gehenden Gestalt. Die Silhouette ließ zwei schmale Arme sowie zwei Beine und einen Schweif ausmachen. Ein recht langer Hals endete in einer markanten Kopfform, welche die üble Vermutung bereits bestätigte. Als das Licht dann erlosch, stieß der Trainer am Rande des Kampffeldes ein entmutigtes „Oh, scheiße“ hervor.

    Andrew gab sich allergrößte Mühe, seine Kinnlade oben und seine Augen in den Höhlen zu behalten. Vor ihm stand ein gewaltiger Drache mit rabenschwarzen Schuppen, welche jedoch weitestgehend von Olivfarbenen Panzerplatten umhüllt waren. Der angemerkte Schädel war zwar klein, doch besaß er an den Seiten je eine blutrote, sichelförmige Klinge. Man nannte sie auch Beilkiefer. Die Arme waren im Vergleich zu den kräftigen Oberschenkeln eher dünn, doch die tödlichen, ebenfalls roten Klauen, mit denen sie bestückt waren, bedurften sicher nicht viel roher Gewalt. Es waren messerscharfe Präzisionswerkzeuge, die selbst Gestein wie Styropor spalten konnten. Leicht geöffnet raunte das Pokémon aus seiner Kehle, wie eine Windböe in einer Schlucht. Der heiße Atem, der daraus hervorstieß, war selbst in der Mittagshitze dieses Frühsommertages noch zu sehen. Der Schweif pendelte langsam und ruhig hin und her, während das Monster ansonsten keinen Muskel rührte. Es hatte nur sein Ziel, Psiana, im Blick.

    „Wir machen es kurz“, wies Terry seinem neu erschienenem Pokémon. Betont langsam und voller Hochgenuss sprach er den Namen aus, mit dem Ryan – dessen war er sich definitiv bewusst – keine guten Erinnerungen verband.

    „Dann mal los, Maxax.“

    Nicht drum herum kam der Rotschopf, seinem Rivalen am Rande des improvisierten Kampffeldes einen prüfenden Blick zuzuwerfen. Sein Gesicht war jedoch unter dem Schirm seines Cappys verschwunden, das Ryan bewusst tiefer gezogen hatte und mit seiner rechten Hand weiter festhielt. Die linke hatte sich krampfhaft in den trockenen Waldboden gegraben und schien die Erde regelrecht erdrücken zu wollen. Dies war allemal eine Genugtuung für Terry und stimmte ihn zufrieden.

    Im Finale der Johto Liga hatte er sich Maxax bis zum Schluss aufgehoben. Ryan hatte zu diesem Zeitpunkt noch sein halbes Pokémonteam zur Verfügung gehabt und obwohl sie bereits alle schon einmal gekämpft hatten, hätte wohl niemand mehr damit gerechnet, dass der Trainer aus Einall den Kampf doch noch für sich entscheiden würde. Stahlos, Iksbat, sogar Despotar... alle drei hatte es geschlagen und auch wenn der Ausgang sehr eng gewesen war, so erschien es ihm rückblickend nahezu unmöglich, dass er dieses Pokémon ohne die Hilfe seines Impergator irgendwie hätte schlagen können. Dementsprechend schien ihm ein Sieg von Andrew inzwischen so wahrscheinlich, wie die Chance, dass sein Hydropi morgen den Hyperstrahl beherrschen könnte.

    Doch der verzog kaum eine Miene bei dem Anblick des gewaltigen Drachen.

    „Is ja niedlich“, kommentierte er dessen Erscheinen unbeeindruckt. Während Terry geradezu mitleidig über diese Ignoranz vden Kopf schüttelte, biss sich Ryan wütend auf die Unterlippe. Jeder Mensch hätte wohl gedacht, dass Andrew sich selbstsicherer gab, als er es tatsächlich war, doch er wusste nur zu gut, dass sein bester Freund mal wieder drauf und dran war, blind in ein offenes Messer zu rennen. Wahrscheinlich würde ihm das Wort Vorsicht selbst dann nicht in den Sinn kommen, wenn man es auf ein Brett schreiben und ihn damit verprügeln würde.

    „Wenn du keine Zeit mehr hast, kann ich gerne den Schlussstrich für dich ziehen“, höhnte Andrew stattdessen, woraufhin Ryan dem Impuls widerstehen musste, sich gegen die Stirn zu schlagen.

    „Idiot“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Terry schien wenig überzeugt von diesem Optimismus und winkte seinen Gegner provokant heran.

    „Nur zu. Lass mich sehen, wie du´s versuchst.“

    Womit es dann aber auch genug der Worte war. Die Kontrahenten begaben sich in Kampfposition, was sich seitens der Psychokatze lediglich so gestaltete, dass sie sich die Mühe machte, auf allen vier Pfoten zu stehen. Maxax auf der anderen Seite hob kampfbereit die mächtigen Klauen, stampfte einmal auf, um die Erde unter sich erzittern zu lassen und lies ein unheilvolles Grollen aus seiner Kehle vernehmen. Andrew ergriff diesmal die Initiative.

    „Fang an mit Spukball!“

    Psiana war äußerst schnell darin, die Energie für einen Spukball zu sammeln. Die dinkelviolette Sphäre vor ihrem Stirnamulett ward schon eine Sekunde später zu voller Größe angewachsen und auf den gepanzerten Drachen geschleudert. Andrew beobachtete die Szene ganz genau und hatte dabei auch ein Auge auf Terry gerichtet. Wenn er so ein immenses Vertrauen in dieses Maxax steckte, musste das was heißen. Vielleicht kämpfte er hier gerade mit seinem stärksten Pokémon.

    Und wenn schon. Andrew tat das ja ebenso. Terry gab sich jedoch ungemein ruhig, geradezu überheblich. Eine Hand war lässig in der Jackentasche vergraben. Generell war die ganze Körperhaltung lässig und arrogant, doch zeitgleich auch selbstbewusst. Zugegeben der Johtonese wusste jetzt selbst nicht genau, was er erwartet hatte, aber irgendeine Reaktion hätte doch folgen müssen. Es geschah nichts dergleichen. Er und Maxax erwarteten den Angriff wie regungslos und unbehelligt.

    Als der Spukball schließlich direkt auf der Brust detonierte, wurde die ganze Lichtung davon erschüttert. Einige Bäume verloren Teile ihres Laubes. Hinter Maxax konnte man beobachten, wie die Druckwelle wütend an Terrys Kleidung zerrte, obwohl er nur einen Bruchteil davon spürte. Der Drache wurde unterdessen in violette Rauchschwaden eingehüllt. Nicht einen Millimeter hatte er sich von der Stelle gerührt, geschweige denn einen Laut von sich gegeben.

    Psiana hatte nicht halbherzig angegriffen, allerdings auch nicht alles was sie hatte in den Spukball gesteckt. Das war schließlich bei Washakwil auch nicht nötig gewesen. Eben dessen wilder und tobender Blick war wie der eines Kükens, verglichen mit den blutrot leuchtenden Augen von Maxax, welche den Rauch durchstachen. Für einige Momente beobachteten beide Parteien einander nur, ohne eine neue Attacke einzusetzen. Diese Zeit genügte, damit die Sicht auf Maxax wieder völlig frei wurde. Es hatte sich nicht einen Zentimeter bewegt. Andrew blieben im wahrsten Sinne alle Worte im Halse stecken, als diese blutrünstigen, absolut tödlichen Augen sich auf ihn legten. Wie konnte er das Gefühl beschreiben, das sie ihm vermittelten? Die Antwort war unglaublich einfach und mehr als angemessen. Angst war es, die von Andrew Besitz ergriff. Angst vor dem, was Maxax seinem Psiana oder vielleicht sogar ihm selbst antun könnte.

    Doch anders als der Adler zuvor, schien das Drachenpokémon seinen Zorn absolut bändigen zu können. Es war bei weitem nicht so in wilder Rage gefangen, wie Washakwil und wirkte – abgesehen von seinem tödlichen Blick und dem furchterregenden Grollen – absolut ruhig und beherrscht. Sein Atem ging kontrolliert und gleichmäßig und die Arme wirkten entspannt. Lediglich in der Iris brannte die Hölle. Fast wollte Andrew es mit einem Pulverfass vergleichen, dass beinahe überquoll. Es brauchte nur jemanden, der das fatale Streichholz entzündete, was der Trainer aus Einall in diesem Moment tat.

    „Maxax“, setzte Terry gelassen an. Die gepanzerte Echse regte sich unglaublich langsam, grub sein Standbein fest in die Erde, streckte kurz die gefährlichen Klauen und fixierte präzise seinen Gegner. Zu jeder Zeit bereit, in zu attackieren.

    „Los, Drachenklaue.“

    Mit einem einzigen Satz machte es einen Sprung nach vorne, überwand innerhalb einer Sekunde die gesamte Distanz zwischen ihm und Psiana. Andrew sog scharf Luft ein. Noch bevor sein Verstand überhaupt realisiert hatte, was gerade geschah, war es bereits zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen sah die Psychokatze ein blaues Aufleuchten der Krallen, welche um die doppelte Länge anwuchsen. Der zierliche Körper brach unter der geballten Kraft des Drachen zusammen, als sie auf Psiana nieder ging. All der Zorn und der Hass, der jenem zuvor noch in den Pupillen gestanden hatte, entlud sich in einem einzigen fatalen Schlag und es bebte tatsächlich die Erde unter ihm. Ein Schockbeben wurde durch den Waldboden gejagt und ließ einige Risse aufspringen.

    Andrews Beine zitterten wie Espenlaub. Stellte sich nur die Frage, ob dies auf die zitternde Erde oder seine Angst vor Maxax zurückzuführen war. Vielleicht konnte er sich selbst auch einfach nicht mehr kontrollieren, was angesichts von Psianas Zustand ebenfalls eine plausible Erklärung wäre. Bei dem Katzenwesen rührte sich nichts. Ihr Körper lag regungslos da, als der Drache einen Schritt zurück machte und zufrieden sein Werk betrachtete. Der junge Trainer brauchte einige Momente, um seine Stimme wiederzufinden und seine Muskeln wieder kontrollieren zu können. Da war er einfach mit einer einzigen Attacke überrumpelt worden. War von Kraft und Schnelligkeit seitens Maxax derart überwältigt, dass er nun wie ein Anfänger aussah, der nicht wusste, wie er auf einen simplen Angriff reagieren sollte und tatenlos zugesehen hatte, wie sein stärksten Pokémon in Grund und Boden gestampft worden war..

    „Bist du wahnsinnig!?“, brüllte er seinen Gegenüber nach einer sekundenlangen Stille an. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er, so schnell seine weichen Knie ihn trugen, zu seiner Partnerin und ließ sich vor ihr auf selbige fallen. Mit unendlicher Vorsicht hob er sie auf und strich ihr sanft durch das nun völlig verdreckte Fell. Das geschundene Pokémon blieb schlaff in seinen Armen.

    „Was zum Teufel ist los mit dir? Willst du Psiana umbringen, oder was?“

    Der Angeklagte schnaubte nur abfällig und bedachte Andrew zum ersten Mal an diesem Tag mit einem überaus geringschätzigen Blick.

    „Mach nicht so einen Aufstand. Wir wissen unsere Kraft gut zu kontrollieren.“

    In Maxax‘ Fall stimmte das definitiv. Andere seiner Pokémon, wie Washakwil, vermochten noch deutlich weiter zu gehen, wenn Terry die Zügel nicht stramm hielt.

    „Die Schwachen haben keine Recht, sich zu beschweren. Vergiss nicht, wer den Kampf gefordert hat.“

    Seinem Ton wohnte eine arrogante Überheblichkeit inne und klang dabei, als wolle er einem Amateur einen nicht allzu gut gemeinten Rat erteilen. So und nur so hatte Ryan ihn bislang gekannt und zu hassen gelernt. Erst mit dem Triumph im Rücken besaß er die Courage, offen und ehrlich über seine Gegner zu urteilen und seinem an Massen vorhandenen Spott freien Lauf zu lassen. Noch nie hatte Ryan es erlebt, dass er bereits vor einem Kampf auf seinen Gegner herabgesehen hatte, sofern dieser unbekannt war. Stets hatte er sich in geheuchelter Bescheidenheit geübt, um sich dann, sobald er in seinem Sieg badete, zu jedem noch so herablassenden Spruch ermächtigt zu fühlen. Ryan hatte es immer so aufgefasst, dass Terry in dem Glauben lebte, der Verlierer habe bei jedem noch so gehässigen Kommentar des Siegers den Mund zu halten. Für gewöhnlich gestaltete das Charisma die Kampfresultate mit. Bei Terry war es genau umgekehrt. Sein Charisma war das Resultat seiner Kämpfe.

    „Du besitzt ein gewisses Talent für Überraschungsattacken und hast hin und wieder gute Strategien in der Offensive, aber das ist nicht ansatzweise ausreichend. Du hast offenbar keine Ahnung, wie man ein Pokémon auf den Kampf einstellt und du verstehst es nicht, aus ihrem Adrenalin einen Vorteil zu ziehen. Auch sie denken und fühlen während eines Kampfes, mein Freund.“

    Andrew lies es sich möglichst nicht anmerken, doch in ihm keimte eine unglaubliche Lust auf, Terrys hässliche Visage umzugestalten. Langsam aber sicher verstand er Ryans Einstellung dem Jungen aus Einall gegenüber. Dieser hatte sich inzwischen aufgerichtet und kam gemächlichen Schrittes auf seinen Reisegefährten zu, das verletzte Schwalboss auf dem Arm tragend. Ohne ein einziges Wort verfrachtete der geschlagene Trainer seine Schützlinge in deren Bälle und seufzte laut, während er ebenfalls auf die Beine kam. So hatte er sich dieses Match sicher nicht vorgestellt.

    „Soll ich dir verraten, was ich gemeint habe, als ich sagte, dass dir etwas fehlt?“, fragte Terry nun weiter. Bitte, der konnte doch jetzt nicht wirklich auf die Idee kommen, dass Andrew an seinen Lektionen interessiert sei.

    „Es ist Können. Du bist nicht schlecht, aber ganz einfach nicht in meiner Liga. Bevor du also noch mal jemanden von meinem Kaliber herausforderst, solltest du besser noch ein wenig üben“, riet Terry nun, als er an Maxax Seite trat. Doch Andrew war nicht gewillt, sich das weiter schweigend anzuhören. Terry verstand es zu kämpfen, daran gab es nichts zu rütteln. Aber verdammt er war so ein mieses Arschloch! Wie hieß noch dieses alte Sprichwort? Nur im Kampf lernt man seinen Gegner wirklich kennen? Sicher war das vom Prinzip her anders gemeint, aber nichtsdestotrotz meinte Andrew nun zu wissen, was es wirklich damit auf sich hatte.

    Gerade richtete er sich auf, um ihm diese Worte ins Gesicht zu schleudern, ganz gleich, wie der Drache an seiner Seite reagierte. Das war ihm mittlerweile echt egal. Doch nur einen Moment, bevor er den Mund geöffnet hatte, war es plötzlich Ryan, der ihm womöglich vor einem riesigen Fehler bewahrte. Allerdings tat er dies völlig unfreiwillig und unwissentlich. Gleiches galt für die Tatsache, dass er selbst es war, der einen Fehler beging.

    In diesem wahrlich niederschmetternden Augenblick hatte er sich selbst nicht davon abhalten können, in die Tasche seines Sweatshirts zu greifen und den darin verweilenden grünen Orb fest mit seiner rechten Hand zu umklammern. Sowie dies geschah, schien plötzlich irgendetwas in Maxax vorzugehen. Aufgeschreckt zuckte es zusammen und stieß einen erstickten Laut aus. Die Augen wurden weit aufgerissen und anschließend auf den blonden Trainer gerichtet. Deutliches Unbehagen machte sich in Ryan breit, als das Drachenpokémon langsam einen Schritt auf ihn zumachte und dabei unheilvoll grollte. Terry maß dem scheinbar noch nicht sehr viel Gewichtung bei und legte seinem Partner eine Hand beruhigend auf die Flanke. Als er bereits weitersprechen wollte, kam Maxax dem eingeschüchterten Ryan jedoch noch einen Schritt entgegen.

    „Hey, was ist?“, fragte Terry nun arg verdutzt. Er begann zu begreifen, dass etwas mit ihm überhaupt nicht stimmte. Natürlich erkannte er das Gesicht des größten Rivalen seines Trainers, aber noch nie hatte es diesem gedroht.

    Dieser versuchte, seine Mimik zu wahren, keine Angst zu zeigen, doch wer hätte das in seiner Situation schon geschafft? Der Gedanke, was passieren würde, wenn es nun auf ihn losging, war absolut furchterregend. Doch warum sollte es das tun? Es hatte doch überhaupt keinen Grund dazu.

    „Maxax, beruhi…“, begann Terry besänftigend, aber noch bevor er ausgesprochen hatte, brüllte dieses einmal laut, während es den Kopf in den Nacken legte. Alle Anwesenden zuckten zusammen und stockte in diesem Augenblick der Atem. Andrew huschte verschreckt zur Seite, während Terry einen letzten Versuch unternahm, Maxax zu stoppen. Es war vergebens.

    Als es den Schädel wieder nach vorne warf, öffnete sich das Maul und entfesselte einen züngelnden, blauen Flammenstrahl. Versuchte Maxax nun Ryan umzubringen? War es denn vollkommen übergeschnappt? Warum? Warum war es plötzlich so aggressiv?

    Ihm blieb keine Zeit für derartige Überlegungen. Er reagierte instinktiv, ließ einzig und allein seine Reflexe arbeiten. Den Sprung zur Seite hätte er wohl nicht mehr geschafft. Als würde man ihm einen Teppich unter den Füßen wegziehen, ließ er sich daher einfach auf die trockene Erde fallen, in der Hoffnung, dass die Drachenwut über ihm vorbeiziehen würde. Dabei schloss Ryan die Augen und schützte sein Gesicht mit den Unterarmen. Wohlwissend, dass er das Drachenfeuer nicht abwehren könnte, wollte er den flammenden Tod nicht kommen sehen. Die Hitze war aus dieser Nähe unglaublich intensiv. Auf seiner Haut breitete sich bereits ein brennendes Gefühl aus. Doch theoretisch könnte all das auch Einbildung oder ein Resultat seines Schocks sein. Ein Stoß ging durch seinen Körper, als er durch die Macht der Schwerkraft im Staub landete und für eine Sekunde fiel es ihm schwer zu atmen. Alles was er jetzt in diesem Bruchteil einer Sekunde noch tun konnte, war zu beten.

    Es herrschte plötzlich totale Stille. Kein Wind spielte seine Musik in den Wipfeln der Bäume und kein Wild gab auch nur einen Mucks von sich. Fast war es, als hätte die Welt den Atem angehalten. Es dauerte einen Moment, bis Ryan in vergeblicher Erwartung des Todesschmerzes wieder einen Blick hinter den noch immer erhobenen Armen hervor riskierte. Maxax war weg. Er war am Leben. Und unverletzt. Er hatte Glück gehabt. Doch aufzuatmen traute er sich dennoch aus irgendeinem Grund nicht. Stattdessen sog er die Luft gierig und mit schweren, langen Zügen ein, nur um sie rasch wieder auszustoßen.

    Es blieb nur der Anblick von Andrew und dem nicht minder verstörten Terry, der gerade den Pokéball senkte. Alle drei atmeten sie unruhig und hatten die Augen weit geöffnet, warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu. Letztlich legten sich die der beiden Johtonesen aber auf Terry, bevor schließlich Ryan als erster seine Stimme wiederfand.

    „Ihr wisst eure Kraft zu kontrollieren, ja?“

    Wütend kam er wieder auf die Beine, lehnte die helfende Hand seines Freundes dabei schweigend ab und trat fest direkt vor seinen Rivalen. Die Dämme waren am Brechen.

    „Ich weiß zwar nicht, warum dein Maxax das gerade getan hat und ich will´s auch irgendwie nicht wissen. Aber bei mir ist jetzt ´ne Grenze überschritten.“

    „Bevor du etwas sagst...“, setzte Terry an, die Hände beschwichtigend erhoben, jedoch wurde er von Ryan unterbrochen.

    „Tue ich nicht.“

    In diesem Moment landete eine behandschuhte Faust auf dem Kinn des Trainers aus Einall. Dieser stolperte einige Schritte zurück und fiel sogar beinahe in den Dreck. Sein schmerzverzerrtes Gesicht sowie den gequälten Laut, den er von sich gab, als er sich mit einer Hand an den Unterkiefer griff, waren in vielerlei Hinsicht eine Genugtuung. Sogleich eilte allerdings Andrew herbei und hielt Ryan zurück, bevor dieser ein weiteres Mal zuschlagen konnte.

    „Komm runter Alter, es reicht.“

    Selbstverständlich war auch er von den Ereignissen geschockt und aufgebracht, doch wenn hier nun wirklich eine Keilerei ausbrach, war keinem geholfen. Außerdem wollte er, so unsympathisch ihm Terry im Laufe dieses Mittags auch geworden war, nicht für den aggressiven Fehltritt seines Pokémons verantwortlich machen. Die Gemüter waren allgemein angeheizt und die Ereignisse hatte Bahnen eingeschlagen, die niemand hatte erwarten können. Es würde wohl das Beste sein, schnellstens getrennte Wege zu gehen. Umso erleichterter war er, da Ryan sich nicht gegen ihn wehrte.

    „Ich glaube, du solltest dich ganz schnell vom Acker machen, bevor hier noch jemand drauf geht“, schlug Andrew anschließend vor. Dies war nun eine der seltenen Momente, in denen er Vernunft zeigte und sich einigermaßen erwachsen verhielt. Und wie eben ein solcher Erwachsener wartete er von jedem der streitenden Parteien eine Antwort ab. Die beiden Rivalen nickten nur zögerlich, ließen den Blick aber noch für einige weitere Sekunden aufeinander haften. In ihren Augen war pure Abscheu zu erkennen, doch da Ryan weiter weiterhin in Schach gehalten wurde und Terry sich durch Maxax‘ Angriff ausnahmsweise nicht zu einem Rückschlag berechtigt fühlte, kehrten sie sich bald den Rücken. Zuvor richtete sich Terry jedoch noch einmal an Ryan.

    „Für die Aktion eben von Maxax entschuldige ich mich.“

    Mit diesen doch ehrlich gemeinten Worten wandte er sich endgültig zum Gehen. Wer ihn einigermaßen kannte, der wusste, dass er ein Mensch war, den eine Entschuldigung einiges an Überwindung abverlangte. Dementsprechend flau und leer klangen sie oft. Diese hier hatte dagegen absolut ehrlich geklungen. Wenn auch bitter und widerwillig. Zurück blieb das Duo aus Ryan und Andrew, der endlich von ersterem abließ. Mit einem heftigen Schock in den Knochen und einem Haufen von Fragen in den Köpfen.

    Das wohl absolut knuffigste Pärchen das ich kenne, ist Yuta und Rikka aus Chuunibyou demo Koi ga Shitai. Rikka mit ihren Macken ist an sich schon lustig und niedlich, aber wenn es darum geht, diese erste, jugendliche Liebe zu gestehen, wird es so süßdass man davon Diabetis bekommt.


    Weiterhin sind Yumeji und Merry aus Yumekui Merry so unglaublich liebenswert, dass ich gar keine Worte dafür finde. Schade leider dass man eine echte Romanze nur reininterpretieren kann, da der Anime dafür kaum die Zeit findet. Dennoch sind sie hier für mich die Erwähnung wert, denn ihre Beziehung zueinander ist was Besonderes.

    Kapitel 14: Charaktertest


    „Du willst mich herausfordern?“

    Terry Fuller hob skeptisch eine Braue. So gerne er auch Ryan eine Lehrstunde erteilt hätte, schien sich der Eifer bei einem fremden Trainer in Grenzen zu halten.

    „Hab ich gerade getan.“

    Terry hatte Andrew noch halb den Rücken gekehrt, und betrachtete diesen nun prüfend aus dem Augenwinkel. Da seine Aufmerksamkeit zuvor ausnahmslos Ryan gegolten hatte, nahm er den anderen Trainer nun zum ersten Mal wirklich genau in Augenschein. Seine Haltung war stramm, zeugte von Leichtigkeit und Selbstvertrauen. In seinen Augen loderte das Feuer der Leidenschaft. Oh, der schien echt Bock zu haben. Es war ein Ausdruck, den alle Anfänger anstrebten, alle Routiniers suchten und ausnahmslos jeder zu schätzen wusste. Denn dieser kurze Blick reichte aus, um sein Charisma, seine Entschlossenheit und das Vertrauen in sich und seine Partner felsenfest zu untermauern und flößte dem Gegenüber unweigerlich zumindest einen ersten Funken Respekt ein.

    Terry musste feststellen, dass dieser Junge eine alles andere als lächerliche Erscheinung darstellte. Dass dieser offenbar ein Kumpel von Ryan Carparso war, spielte in dieser Sache keine Rolle. Rivalitäten hin oder her, er war Manns genug, seinen Gegnern Anerkennung für ihre Courage zu zollen – mit Ausnahme von Ryan selbst. Ein Hoffnungsschimmer keimte in Terry auf. Die Hoffnung, dass dieser Typ ihm einen passablen Kampf liefern konnte. Doch bevor er sich einige passende Worte zurechtgelegt hatte, um die Herausforderung anzunehmen, schoss Terry plötzlich eine verrückte Idee durch den Kopf. Konnte es sein, dass er diesen Kerl schon einmal gesehen hatte?

    „Was is jetzt? Musst du noch jemanden um Erlaubnis bitten, oder was?“

    Andrews Worte verunsicherten Terry nicht im Geringsten. Seine einzige Reaktion bestand darin, sich nun vollständig zu seinem Gegner umzudrehen und zwei langsame Schritte auf ihn zuzugehen. Selbst diese vorsichtige, bedachte Bewegung ließ die aneinanderschlagenden Armringe ertönen.

    „Wie heißt du?“, verlangte er mit einem interessierten Kopfnicken in seine Richtung zu wissen.

    „Ich wurde schon vieles genannt. Aber ich bin ein Bescheidener und du kannst dir vermutlich eh nicht alles merken. Also hast du die große Ehre mich einfach Andrew nennen zu dürfen.“

    Terrys Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen.

    „Etwa Andrew Warrener, der Rastlose?“, hakte er nach. Die durch den geschmacklosen Humor unnötig lang ausgefallene Antwort auf seine erste Frage umging er spielend.

    „Du hast also schon von mir gehört. Bin geschmeichelt.“

    Die Antwort platzte förmlich vor gespielter Bescheidenheit und vorgegaukeltem Ehrgefühl. Längst war es für Andrew nichts Besonderes mehr, wenn er für Fremde Leute kein Unbekannter war. Über diese Grenze hatten er und Ryan sich schon vor langer Zeit hinweggesetzt. In der Regel war es aber immer noch erfreulich, da es in gewisser Weise eine Bestätigung dafür war, dass er seinen Zuschauern gute Vorstellungen bot und über ihn unbedingt geredet, von ihm erzählt werden musste. Doch dies war eine Ausnahme. Terry Fuller war Andrew unsympathisch. Und das lag bestimmt nicht an dessen Feindschaft zu Ryan.

    „Nicht direkt“, entgegnete der Rotschopf mit der Andeutung eines kurzen Kopfschüttelns.

    „Es war mehr ein der Langeweile geschuldetes Interesse, das mich dazu gebracht hat, einen deiner Straßenkämpfe anzusehen. Noch heute ein zweifelhaftes Vergnügen für mich.“

    Es war schwer, das also Lüge zu enttarnen, aber Andrew war auch nicht sonderlich interessiert an seiner Meinung. Nach der hatte er schließlich nicht gefragt. Aber aus der Diskussion mit Ryan war ja hervorgegangen, dass er diese immer und überall kundtun musste.

    „Dreh es doch wie´s dir passt. Nimmst du jetzt an oder was?“

    Die Luft zwischen den beiden potenziellen Gegnern war zum Schneiden dick und die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Andrew mochte Terry nicht wirklich. Wer sich mit solch arroganten Worten, wie er sie zuvor gewählt hatte, seinen Ersteindruck verschaffte, konnte bei ihm nicht wirklich auf viel Sympathie stoßen. Die Rivalität zwischen ihm und Ryan spielte für ihn selbst keine Rolle. Er sah einfach einen Trainer vor sich, der eine etwas zu hohe Meinung von sich hatte und seine Gegner gerne in den Dreck zog. Unmöglich konnte er alles, was er Ryan eben noch unterstellt hatte, ernst meinen – es sei denn er hatte irgendeine Auffassungsschwäche. So oder so war das Grund genug, ihm ins Sitzfleisch zu treten, denn das hatte er seiner Meinung nach dringend nötig.

    Terry selbst hatte seine Entscheidung längst getroffen, doch es konnte nicht schaden, diesen Andrew noch etwas auf die Folter zu spannen. Er überbrückte die Zeit, indem er versuchte, sich ein Bild von jenem zu machen. Ein wenig hitzköpfig war er jedenfalls und auch schien er sich nicht von großen Namen beeindrucken zu lassen, was sowohl von enormen Selbstvertrauen als auch von etwas Ignoranz zeugte. Leute von seinem Schlag gab es zuhauf in aller Herren Länder und in gewisser Weise waren sie in Terrys Augen Segen und Fluch zugleich. Einerseits waren sie mit ihrer Eigenschaft, ihn immer und immer wieder zu Duellen herauszufordern, egal wie oft er sie schon geschlagen hatte, unheimlich lästig. Doch sie waren ehrgeizig wie zielstrebig, das war allgemein bekannt und so etwas respektierte er.

    „Wie du willst. Es kann nicht schaden, meinen Ruf noch ein bisschen weiter zu verbreiten", antwortete Terry schließlich, als er zu der Ansicht gekommen war, dass er ihn lange genug hatte zappeln lassen. Recht gleichgültig und leicht gelangweilt griff er an seinen Gürtel, um den ersten Pokéball davon zu lösen. Seine erste Wahl war bereits gefallen und da er die Rolle des Herausgeforderten übernahm, hielt er sich für berechtigt, die Regeln festzulegen.

    „Aber ich habe nicht allzu viel Zeit. Also kämpfen wir zwei gegen zwei, ohne Auswechslungen."

    „Soll mir recht sein.“

    So nahmen die beiden Kontrahenten ein wenig Abstand zueinander, um genügend Platz zwischen sich zu schaffen. Da die Lichtung, auf der sie sich befanden, eine eher bescheidene Größe aufwies, würde es nicht allzu viel Spielraum für großartige Ausweichmanöver geben, sofern kein Pflanzenpokémon in den Kampf einstieg. Ein solches hätte sich in dieser Umgebung sicher äußerst wohl gefühlt.

    Ryan eilte rasch an die Seite seines Kumpels, der rückwärtsgehend seinen Gegner immer im Auge behielt.

    „Du musst aufpassen, Mann. Terry ist verdammt gut. Der Kerl kommt aus Einall und kämpft immer mit den gleichen Pokémon. Das heißt, er ist mit jedem unglaublich vertraut und er hat sie stark aufgezogen. Geh es also vorsichtig an.“

    Die Worte klangen eindringlich, zur Vorsicht mahnend. Zurecht, denn das Wissen der beiden Johtonesen in Bezug auf Pokémon sowie deren Techniken und Fähigkeiten beschränkte sich größtenteils auf ihre Heimatregion sowie die Nachbarregion Kanto. Hoenn, Sinnoh und Kalos genossen noch etwas Teilwissen, doch was ausgerechnet Einall anbelangte, waren sie im Großen und Ganzen wenig bewandert. Ryan kannte auch nur die sechs von Terry gut und sonst fast überhaupt keine Gattung. Aber seine Worte schienen auf die berüchtigten tauben Ohren zu stoßen.

    „Ich mach das schon, danke.“

    Mit diesen Worten schob Andrew ihn zur Seite und förderte nun auch seinen ersten Pokéball ans Tageslicht. Dies tat er vor allem deshalb, weil er sich durch seinen Konkurrenten, der bereits dasselbe getan hatte, umso mehr herausgefordert fühlte. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, er würde die Wahl des Gegners abwarten, um einen Vorteil zu genießen. Er schien sich seines Sieges ziemlich sicher zu sein und diese Erscheinung musste er erwidern.

    Ryan konnte nur resignierend seufzen. Wie hatte er nur für einen Moment die Hoffnung, dass Andrew es wenigstens in Erwägung ziehen würde, seinen Rat anzunehmen, überhaupt andenken können? Dieser Dickschädel rannte immer ins offene Feuer, kannte keine Vorsicht und fürchtete keine Konsequenzen. Dies traf allerdings erst zu, wenn es um einen schlichten Pokémonkampf ging. Jedes Bisschen an Besonnenheit wurde dann einfach deaktiviert. Und wenn er dabei auf der Nase landete, stand er einfach wieder auf und ging beim nächsten Mal wieder genauso vor. So war er eben. Doch Ryan hatte nicht vor, sich in die Angelegenheiten Andrews einzumischen, denn dann täte er genau das, was er an Terry so verabscheute. So fügte dieser sich seiner machtlosen Lage, nahm im Schatten eines Baumes an der Seite des Kampffeldes Platz und machte sich noch vor Kampfbeginn daran, nervös mit den Zähnen zu malmen. Er hoffte wirklich inständig, dass das Match zu Andrews Gunsten ausgehen würde, doch wenn er ehrlich und realistisch die Daten und Fakten über die beiden Kontrahenten zusammenkratzte, wäre er schon ansatzweise zufrieden, wenn Terry ihn nicht völlig auseinandernahm.


    „Soll ich mein Pokémon zuerst zeigen?“, fragte Terry mit einem höhnischen Grinsen. Scheinbar glaubte er, einen Vorteil gewähren zu müssen.

    „Ist mir ziemlich egal. Ich hab meine Wahl schon getroffen“, antwortete Andrew selbstsicher. Ob einer der beiden nervös oder gar ängstlich war, konnte Ryan nur mutmaßen. Äußerlich wirkten sie jedenfalls absolut ruhig, konzentriert und entschlossen. Folglich wäre die einzig angespannte Person er selbst, was ziemlich bizarr war, wie er befand.

    „Ich werde dennoch eröffnen“, stellte Terry klar und ging in eine leicht breitbeinige Position, während er mit dem Arm ausholte und den darin liegenden Ball mit Schwung in die Luft beförderte.

    „Dein Auftritt, Washakwil!“

    „Viel Glück Andrew“, nuschelte Ryan so leise vor sich hin, dass es keiner der Kämpfenden zu hören vermochte. Er wusste wohl besser als jeder andere, dass er es brauchen würde. Kaum konnte er klar denken, so eingenommen war er vor dem sogleich beginnenden Match. Wie unter Hypnose starrte er auf den weißen Lichtblitz, welcher der rot- weißen Kapsel entsprang und rasch eine feste Form annahm. Ryan kannte dieses Pokémon bereits sehr gut, doch ließ er es sich nicht nehmen, das fliegende Wesen erneut von Kopf bis Fuß genau zu mustern. Es handelte sich um einen großen Adler, welcher bekanntermaßen über eine für Flugpokémon nahezu unnatürliche Menge an Kraft verfügte. Das Muskelspiel war selbst unter dem dichten Federkleid noch zu erkennen und da er stehend mehr als einen Meter Höhe maß, würde ihn das Tragen von selbst zwei jugendlichen Personen vor nicht allzu große Probleme stellen. Seine Federn waren auf der Unterseite des Körpers dunkelblau und auf dem Rücken Rostfarben. Der Kopf war dagegen komplett mit weißen Federn geschmückt und wirkte etwas zerzaust, was dem Vogel eine wilde Note verlieh. Zusammen mit seinen unglaublich scharfen Augen und den tödlichen Krallen, welche im Nahkampf durchaus effektive Waffen darstellten, war Washakwil eine überaus beeindruckende Erscheinung.

    Obwohl Andrew zweifellos denselben Gedankenhaben musste, ließ er sich nicht einmal eine Spur von Anerkennung anmerken. Sein Pokerface leistete mal wieder ganze Arbeit und erlaubte ihm einen selbstsicheren Ausdruck sowie eine ruhige Hand, als er seinen Pokéball hob.

    „Achtung, hier kommt Schwalboss!“, rief er euphorisch aus und schleuderte das Objekt in außergewöhnliche Höhen. Dass er den schwarz- weißen Vogel auswählen würde, war Ryan bereits klar gewesen. Dragonir war schließlich ziemlich gerädert vom Training und außerdem bestimmt noch nicht stark genug für solch einen Gegner. Magnayen hatte zwar zuvor noch mit jenem Drachen trainiert, doch für einen ernsthaften Kampf war seine verletzte Pfote noch nicht gut genug verheilt. Dann bliebe sonst nur noch Psiana, welches verspielt um Andrews Beine herumpirschte und alles aufmerksam beobachtete. Doch die Psychokatze war sein Trumpf und den spielte man erst zum Schluss aus.

    „Aha, ein Luftkampf also“, bemerkte Terry gelassen.

    „Für dich wird´s kein Kampf, sondern ein Absturz. Mehr nicht“, korrigierte Andrew trocken Eine Antwort von der anderen Seite blieb aus. Stattdessen weitete sich sein Lächeln noch ein wenig, während sich seine Augen zu Schlitzen verengten. Wohl schien Andrew zu der Annahme gekommen zu sein, dass es mit den Sticheleien und Kampfansagen nun genug war, da er eine ausholende Bewegung mit dem rechten Arm machte und den ersten Befehl an seinen Kämpfer erteilte.

    „Dann mal los Schwalboss, steig hoch in die Luft.“

    Gehorsam schwang sich der schwarz- weiße Vogel in unermessliche Höhen, war schon bald kaum mehr als ein schwarzer Punkt am Himmel. In einem Kampf unter Flugpokémon war eine erhöhte Position zum Gegner durchaus vorteilhaft, doch Terry schien das ziemlich gut in den Kram zu passen, wie sich an seinem unheilvollen Lächeln und dem Befehl an Washakwil erkennen lies.

    „Klauenwetzer.“

    Dem Namen der Technik entsprechend, wetzte der Adler die ohnehin schon tödlich wirkenden Krallen an seinen Füßen, sodass gar ein Geräusch erklang, das entfernt an einen Schleifstein erinnerte. Wie durch Magie schienen sie zu wachsen und an Glanz zu gewinnen. Die Sekunden verstrichen, doch auf eine weitere Aktion wartete man vergebens. Andrew beobachtete Washakwil aufmerksam, musste aber schließlich feststellen, dass wohl kein Angriff erfolgen würde.

    „Scheinbar keine offensive Attacke“, überlegte er. Wenn er doch von ihr wenigstens schon mal gehört hätte.

    „Du siehst nachdenklich aus. Kennst du etwa Klauenwetzer nicht?“, rief Terry höhnisch. Dem kurz darauf folgenden Lachen nach zu urteilen, verstand er den Gesichtsausdruck seines Gegenüber als Sprachlosigkeit. Doch da kannte er Andrew Warrener schlecht.

    „Nein, ich frage mich bloß, wie ich deine Visage einordnen soll. Ich dachte so in die Richtung Chemieunfall.“

    Das Lachen von Terry endete abrupt. Nicht jedoch vermochte die schlagfertige, wenn auch etwas kindische Antwort das selbstsichere Grinsen aus seinem Gesicht zu verbannen.

    „Soll ich dein Wissen erweitern?“ bot er so höhnisch, dass man nicht davon ausgehen würde, eine ehrliche Antwort zu erhalten. Diese Peinlichkeit wollte sich Andrew ohnehin nicht antun.

    „Lass stecken. Du bist hier derjenige, der was zu lernen hat.“

    Andrew überlegte noch einen Moment angestrengt. Wenn diese Technik auf Washakwil selbst wirkte, war musste es sich um eine handeln, die seine eigenen Fähigkeiten steigerte. Vermutlich die Kraft, vielleicht auch die Präzision. Umso ärgerlicher war es für ihn, dass er es Terry unfreiwilliger Weise erlaubt hatte, sein Pokémon ohne jegliche Komplikationen stärken zu können. Doch Andrew vertraute ganz auf die Stärke seines eigenen Partners. Er hatte nicht umsonst so viele Trainingsstunden in die Taktiken und Angriffsmuster von Schwalboss gesteckt.

    „Aero-Ass, Trichterflugbahn!“

    Bei Terry zogen sich augenblicklich die Brauen zusammen. Gleichzeitig verengten sich seine Augen ob einer unguten Vorahnung zu Schlitzen und er schaute sogleich gen Himmel. Der schwarz- weiße Vogel begann dort oben flotte Kreise zu ziehen, ohne wirklich den Eindruck zu machen, gleich einen Angriff starten zu wollen. Doch der Trainer aus Einall machte nicht den Anfängerfehler, sich in Sicherheit zu wiegen. Hinter diesem zugegebenermaßen leicht sonderbaren Befehl steckte bestimmt nicht nur heiße Luft.

    „Halte dich bereit Washakwil.“

    Der Adler blieb absolut stumm. Die scharfen Augen hafteten wie Magnete an seinem Gegner direkt über ihm. Jener war es, der nun seinen Flug zu senken begann und an Tempo zunahm. Weiter und immer weiter richtete sich der Schnabel der Schwalbe in die Senkrechte, ließ seine Geschwindigkeit weiter steigen und vollführte dabei weiterhin immer enger werdende Spiralen. Nun erahnte auch Terry, was sich hinter dieser Attacke verbarg. Nicht schlecht, ganz und gar nicht schlecht.

    In diesem Moment setzte Aero-Ass ein. Helle Luftschleier zogen sich von der Schnabelspitze aus zu allen Seiten des Körpers entlang und verschnürten sich hinter ihm. Der Temposchub, den Schwalboss dabei hinlegte, war absurd. Wie ein Geschoss, welches für das menschliche Auge inzwischen kaum mehr als Vogel zu identifizieren war, raste es in spiralförmiger Flugbahn auf seinen Gegner zu. Terry hatte so gut wie gar keine Zeit, um zu reagieren – doch sie reichte ihm aus, um einen Entschluss zu fassen.

    „Halte ebenfalls mit Aero-Ass dagegen.“

    Beide Flügel weit über seinen Kopf hebend, katapultierte sich Washakwil, einer lebenden Rakete ähnlich, in die Lüfte, Schwalboss direkt entgegen. Andrew grinste ob dieses Befehls nur selbstsicher. Die meisten seiner Gegner reagierten auf diese von ihm selbst erdachte Methode von Aero-Ass mit irgendeiner Gegenattacke. Es blieb gar nicht mehr Zeit, um über Terrys Gegenzug und die Frage nach dessen Effektivität zu spekulieren. Die Leiber der beiden Flugpokémon prallten aufeinander. All ihre Kraft konzentrierte sich in ihren Schnabelspitzen.

    Doch ein von Schmerzen geplagtes, schrilles Kreischen verkündete den eindeutigen Sieger dieses offenen Schlagabtausches. Der Schnabel von Terrys Adler hatte sich direkt in den Rumpf von Schwalboss gebohrt, malträtierte die empfindliche Haut unter dem weißen Federkleid am Unterbauch. Andrew sah den Flugpokémon hinterher, ohne wirklich zu realisieren, dass seines gerade das unterlegene war. Wie um alles in der Welt hatte das jetzt passieren können? Noch nie hatte es ein Gegner geschafft, diese Form von Aero-Ass zu kontern.

    Die getroffene Schwalbe war nicht in der Lage, sich aus dieser Position heraus zu manövrieren. Weit aufgerissene Augen und ein bis zum Äußersten geöffneter Schnabel zeugten von seinem Leid. Washakwil raste weiter dem Himmel entgegen und zog seinen Gegner unwillkürlich mit. Erst als Terry die Attacke Zermalmklaue anordnete, änderte es seine Richtung. Gerade noch rechtzeitig fand der völlig überrumpelte Andrew seine Stimme wieder.

    „Schnell, Doppelteam!“

    Gerade streckte der größere Vogel seine tödlich aufblitzenden Klauen nach Schwalboss, als sich sein Abbild innerhalb von Sekundenbruchteilen zu duplizieren begann. Aus einem wurden drei, aus drei wurden neun. Danach konnte man die ungefähre Zahl höchstens noch schätzen. Schließlich war Washakwil von einer ganzen Schar an Schwalboss-Kopien umringt. Jene, an deren Stelle zuvor noch das echte Schwalbenpokémon gewesen war, hatte sich nach dem Kontakt mit den Adlerklauen einfach in Luft aufgelöst.

    Terrys Blick war ähnlich dem von Ryan, als er mit Hydropi sein Training begonnen hatte. Er war konzentriert, prüfend, wirkte kritisch und leicht mürrisch. Doch wollte er hier nicht sein eigenes Pokémon beurteilen, sondern das seines Gegners und natürlich auch diesen selbst. Bislang wartete er noch auf ein beeindruckendes Manöver und da stellte der Einsatz von Doppelteam, keine Ausnahme dar. Obwohl er gestehen musste, dass es sich um ein starkes Doppelteam handelte. Schwalboss hatte es selbst nach diesem Treffer blitzschnell ausführen und obendrein eine beachtliche Zahl an Kopien erzeugen können. Aber selbst mit hundert davon würde es nicht entkommen.

    „Hoch. Dann Windstoß.“

    Nun stellte das Flugpokémon aus Einall nicht nur seine Stärke und Präzision, sondern auch sein Geschick und auch eine gewisse Eleganz unter Beweis. Mit weiteren Flügelschlägen schraubte es sich in die Höhe und stoppte etwa acht bis zehn Meter über den Trugbildern, indem es die Rotation einstellte und seine Schwingen auf ihre volle Breite spreizte. Für einen kurzen Moment schien die Gestalt Washakwils in Zeitlupe zu verlaufen, gar fast schon stehen zu bleiben, bevor es ein weiteres Mal – diesmal mit bedeutend mehr Kraft als zuvor – einen Luftschlag ausführte. Sogleich entfesselte sich die geballte Macht des Windes. Stürmische Böen wehten vom Himmel herab auf die Abbilder von Schwalboss. Auch die Trainer wurden von Washakwils Angriff nicht verschont. Der aufkommende Wind zerrte wütend an Andrews Jeansjacke und zwang ihn, seine Arme zu erheben, um sein Gesicht vor Staub und Steinchen zu schützen, welche in alle Winde verstreut wurden. Ryan musste sein Cappy festhalten und ebenfalls einen schützenden Arm erheben. Einzig und allein Terry zeigte kaum eine Reaktion. Er schien den Wind, welcher zweifellos auch gegen seinen Körper drückte, einfach zu ignorieren, stand weiter fest und regungslos an Ort und Stelle und wandte das Gesicht ob der aufgewirbelten Staubwolke nur leicht und äußerst gelangweilt ab.

    Andrew konnte sich dies nur schwer erklären. Entweder musste er solche Aktionen bereits gewohnt sein oder Washakwil hatte darauf geachtet, seinen Trainer möglichst nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Sollte letzteres der Fall sein, so müsste man dem Adler aber wiederum Respekt zollen, da es sicher nicht einfach war, eine großflächige Attacke wie Windstoß so gezielt einzusetzen.

    Der Wind an sich vermochte zwar nicht, die Abbilder von Schwalboss zu vernichten, doch das Original musste nun enorm viel Kraft aufbringen, um von dem plötzlichen Wind nicht zu Boden geschleudert zu werden. Beinahe panisch schlug es mit den Schwingen auf und ab und verlor dabei die Konzentration. Nur für einen kurzen Moment flackerten die Abbilder wie ein flimmerndes Fernsehbild und verrieten damit die Position des echten Schwalboss. Terry lächelte zufrieden.

    „Erwischt, Washakwil nimm nochmal Zermalmklaue!“

    Mit einem lauten Kreischen raste der Adler im Sturzflug auf Andrews Pokémon zu. Und wieder zeigte sich der Vorteil einer erhöhten Position. In dieser Lage war es für Schwalboss ein absolutes Ding der Unmöglichkeit, dem Angriff entgegenzuwirken. Da musste man sich schon fragen, wie es umgekehrt eben noch gelungen war, als er mit Aero-Ass angegriffen hatte. So blieb für den Augenblick nur die Flucht.

    „Weich mit einer Rolle aus!“, schrie Andrew, gehetzt durch das Tempo dieses Matches. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt war ihm klar geworden, dass er es hier nicht mit irgendeinem eingebildeten Typen mit großer Klappe auf hohem Ross zu tun hatte. Terry war sehr gut. Ebenso Washakwil. Einen Volltreffer direkt von oben sollte er tunlichst vermeiden, wenn er seine Chancen auf einen Sieg wahren wollte. Dies war natürlich auch Schwalboss klar. Mehr als zwei rasche Schläge mit den Flügeln waren nicht nötig, um etwas Geschwindigkeit aufzunehmen. Anschließend legte es diese an und drehte sich wie eine Schraube.

    „Zwecklos“, kommentierte der rothaarige Trainer gelassen.

    „Hä?“

    Erneut ein Aufschrei, erneut war er laut und schrill und erneut stellte Schwalboss die Quelle dar. Während sich die Schwalbe in Rückenlage befunden hatte, waren Washakwils Klauen bereits nach ihm ausgestreckt gewesen, bereit den Gegner zu Packen und zu Boden zu bringen, wie eine hilflose Beute. Doch kaum war das Ausweichmanöver von dem Adler durchschaut worden, hatte dieser eigenständig seine Flugbahn korrigiert und mit dem Schnabel, anstelle der Krallen angegriffen. Es traf Schwalboss erneut mitten in den Rumpf. Damit nicht genug, knüpfte Washakwil nun an seinen vorangegangenen Angriff an. Die ausgestreckten Klauen schlossen sich mit eisernem Griff um den Hals den schwarz- weißen Vogels und zogen ihn gewaltsam zur Erde hinab. Als wolle er jeden Knochen im Leib seines Gegners zertrümmern, rammte der Adler Schwalboss in den trockenen Waldboden. Seine Schreie erstarben augenblicklich. Das grässliche Bild des Aufpralls wurde zum Glück weitestgehend von erneut aufwirbelndem Staub verdeckt.

    Für einen Moment blieb Washakwil auf dem geschlagenen Körper seines Widersachers ruhen, spreizte die Flügel und setzte zu einem triumphalen Siegesschrei an. Der zerzauste Kopf richtete sich gen Himmel als er seine schrille Stimme erhob. Jeder sollte wissen, was sich hier für ein Kampf abspielte und wer als Sieger aus ihm hervorging. Einen letzten, vernichtenden Blick ließ Washakwil dem Jungen in der Jeansjacke noch zukommen, als wollte es ihn warnen. Dieser reagierte darauf nicht, erwiderte den Blick lediglich, bis der Adler sich schließlich mit einigen Flügelschlägen von seinem Opfer erhob und wieder vor seinem Trainer Position bezog.


    „Warum hast du nicht auf mich gehört, du Idiot“, knirschte Ryan frustriert vor sich hin. Er achtete allerdings darauf, seine Stimme nicht zu stark zu erheben, sodass Andrew sie nicht würde hören können. Kommentare dieser Art halfen jetzt in keinster Weise weiter, dessen war er sich bewusst. Er selbst hatte sich diese Form der Rücksicht in der Vergangenheit nicht selten von anderen Trainern gewünscht, welche seinen Kämpfen beigewohnt hatten. Vermutlich war Andrew sich seines Fehlers inzwischen auch bewusst geworden, doch nun musste er eben damit leben, dass die Erkenntnis wohl zu spät kam.

    „Ich muss sagen, ich hatte mehr von dir erwartet“, stichelte Terry von der anderen Seite des Kampffeldes herüber.

    „Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als dein Schwalboss den Staub gekostet hat. Was ein Anblick.“

    Dann geschah allerdings etwas Unerwartetes. Andrew schnaubte auf und es klang... belustigt? Nein, mehr noch, es klang siegessicher, gar schon spöttisch.

    „Halte den Moment gut fest, Amigo. Wir drehen den Spieß jetzt um.“

    Wieder zogen sich Terrys Augenbrauen zusammen. Woher um alles in der Welt nahm der Kerl bitte diese Zuversicht? Washakwil hatte sein Schwalboss nach alles Regeln der Kunst verdroschen und selbst nichts abbekommen. War er irre?

    „Oder was meinst du, Kumpel? Komm schon, gib mal´n Laut von dir!“, rief er in die Staubwolke hinein, in der irgendwo sein Partner lag. Zunächst ließ nichts darauf schließen, dass Schwalboss dem Wunsch seines Trainers nachkommen konnte. So lange, bis sich langsam die dunkle Silhouette eines Vogels erhob. Die Flügel, hingen sie erst noch schlaff und kraftlos hinab und bewegten sich nur mit der keuchenden Brust auf und ab, wurden dann aber in die Breite geschlagen, wodurch die Wolke verweht wurde und das Antlitz von Schwalboss wieder freigab. Des Gegners Illusion von einem schnellen, einfachen Sieg wurde geradewegs mit fortgeweht. Mit wildem Kreischen sowie einem energischen Funkeln in den Augen zeigte es deutlich seine Entschlossenheit. Es ließ sich nicht unterkriegen. Nicht hiervon.

    „Gar nicht übel“, erkannte er widerwillig an. Dieses Schwalboss konnte doch was einstecken. Ferner ließen sich beide nicht im Geringsten entmutigen oder abschrecken. Gar schienen sie den Sieg nun mehr denn je zu wollen.

    „Eines musst du mir verraten Terry. Wie hast du es geschafft, unser Aero-Ass am Anfang des Kampfes zu kontern?“

    Der Trainer aus Einall hätte die Chance wahrnehmen können, Andrew aufzuziehen und zu verspotten. Völlig ohne Anlass tat der sowas aber nicht. Es imponierte ihm, dass er so unverfroren und hemmungslos fragen konnte, obwohl man sich damit eine Art der Unterlegenheit eingestand.

    „Ich habe deine Taktik durchschaut. Du hoffst durch die spiralförmige Flugbahn deinen Gegner zu verunsichern. Aero-Ass kann man so gut wie gar nicht ausweichen und auf diese Weise willst du einen Gegenschlag erschweren.“

    Dabei spielte es nicht einmal eine Rolle, ob man mit einem Fernkampfangriff oder einer direkten Attacke antworten wollte. In beiden Fällen war es äußerst schwer, die Flugbahn zu erahnen und das Ziel zu treffen.

    „Ist an sich auch eine gute Strategie, da sich der richtige Moment so nur schwer abschätzen lässt. Aber für mein Washakwil so etwas kein großes Problem.“

    Demonstrativ spreizte der Adler erneut die Schwingen und kreische überlegen, um die Aussage seines Trainers zu unterstreichen.

    „Wenn du aufgepasst hast, wirst du bemerkt haben, dass Washakwil bei seinem zweiten Angriff genau die gleiche Stelle getroffen hat, wie zuvor.“

    Es war Andrew durchaus aufgefallen und ihm war wohl bewusst, dass er seinen Gegner eventuell unterschätzt hatte. Und auch wenn er bis hierhin im Grunde gar nichts hatte bewirken können, um dieses Match zu seinen Gunsten auszurichten, wuchs nun sein Ehrgeiz. Jetzt hatte er ein erstes Bild von Terry und dessen Kampfstil bekommen. Jetzt konnte er ihn und seine Stärke einschätzen und das bedeutete, dass er ihn schlagen konnte. Jedoch musste er es schnell tun, da Schwalboss eine weitere Attackenkombination dieses Kalibers vermutlich nicht würde standhalten können. Sein Federkleid war völlig zerzaust, mehr sogar noch als die Kopffedern von Washakwil und aus der Brust trat sogar tropfenweise Blut aus, was wohl auf die beiden Treffer zurückzuführen war, welche sein Gegenüber bereits angesprochen hatte.

    „Was ist, machen wir weiter?“, fragte dieser nun als würde er eine Aufgabe von Andrew erwarten. Wenn er dies tat, so dachte der, war er noch dämlicher als angenommen.

    „Pff. Du stellst Fragen.“

    Terry schien zufrieden mit der Antwort. Für einen kurzen Moment wurde sein Lächeln, das er bereits den gesamten Kampf über aufgesetzt hatte, fast freundlich und er nickte anerkennend. Ryan runzelte leicht die Stirn. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sein verhasster Rivale wohl kaum irgendwelche Nettigkeiten in einem Kampf aufkommen ließ, musste er nach ausgiebiger Recherche in seinem Gedächtnis jedoch feststellen, dass er solch eine Geste noch nie bei Terry gesehen hatte. Ob das eine Bedeutung hatte?

    „Flügelschlag!“, kam es dann von beiden Seiten, wie aus einem Munde. In einer vollkommen synchronen Bewegung erhoben sich beide Flugpokémon wieder in die Luft und nahmen Tempo auf. Und beide taten dies mit unverkennbarer Zielstrebigkeit. Schwalboss für seinen Teil hatte nun definitiv den Schnabel voll davon, immer den Kürzeren zu ziehen. Wenn die Trickkiste hier nicht half, so spielte es eben seinen Ehrgeiz aus und preschte mutig voran. Jetzt war es an der Zeit, dass Washakwil die Quittung erhielt. Dieses hatte nun seinerseits nichts anderes im Sinne, als seinen Gegner in einem offenen Kampf gegenüberzutreten und seine eigene Stärke mit ihm zu messen. Da es seinem Kontrahenten bislang in jeder Hinsicht überlegen gewesen war, kam die Option, jenem zu unterlegen, weniger in Frage denn je, obwohl sie eigentlich nie wirklich im Raum gestanden hatte. Ab jetzt ging es in diesem Match um die Ehre.

    So gab es auch keinerlei Befehle für irgendwelche Ausweichmanöver oder Finten. Die Visiere wurden hochgeklappt und der Kampf völlig offen geführt, voller Stolz und Willenskraft. Nun, da beide Vögel unmittelbar vor dem Aufeinandertreffen standen, sah es für den Bruchteil einer Sekunde so aus, als hätte Washakwil das bessere Timing erwischt, da es mit seinem linken Flügel bereits zum Angriff ansetzte, bevor Schwalboss überhaupt reagierte. Doch bewies Andrews Partner ein gutes Reaktionsvermögen, da er den heranrauschenden Schlag mit einer flinken Bewegung seines eigenen Flügels blocken konnte und beide Pokémon einander unbeschadet passierten. Doch ein Unentschieden wollte keinem der beiden wirklich schmecken und so ging es in eine zweite Runde. Diesmal vollführten sie die Attacke gleichzeitig und prallten somit aneinander ab. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Male und keiner konnte in diesem Duell aus Flügelschlägen die Oberhand gewinnen. Doch während Terry dem ausgeglichenen Schauspiel nur mit starrer, unberührter Miene beiwohnte, war Andrew die Anspannung regelrecht ins Gesicht geschrieben. Er fieberte mit jeder Faser seines Körpers mit. Ryan stellte dies mit Zufriedenheit fest. Das Match wurde ausgeglichener und Schwalboss fand nun besser hinein, aber dennoch war es weit von einem Sieg entfernt.

    „Komm schon, wo ist die Lücke?“, hörte er seinen besten Freund plötzlich vor sich hinmurmeln. Wenn dieser den verwunderten Blick seines jüngeren Kindheitsfreundes bemerkte, so ignorierte er ihn gekonnt. Nicht nur dies, seine gesamte Umgebung schien er ausgeblendet zu haben. Für ihn gab es nur noch das Match gegen Terry.

    Und dann geschah etwas, das man in Pokémonkämpfen selbst auf hohem Niveau nur selten zu Gesicht bekam. Ein Moment, in dem Trainer und Pokémon ohne ein Wort der Absprache, gar ohne auch nur einen kurzen Blick auszutauschen, in jeder Hinsicht miteinander übereinstimmten. Sie erkannte absolut gleichzeitig, wann und wo sich ihre Chance eröffnete. Instinktiv wussten sie, was zu tun war.

    „Jetzt, Schnabel!“, brüllte Andrew aus heiterem Himmel. Gerade waren die kämpfenden Vögel ein weiteres Mal auf Kollisionskurs und Washakwil bereits wieder im Ansatz für einen weiteren Flügelschlag gewesen, da preschte Schwalboss urplötzlich mit einem einzigen Stoß seiner Schwingen voran und überrumpelte seinen Gegner. Zu einem lebendigen Pfeil werdend rammte es seinen Schnabel in den linken Flügel Washakwils. Es war eine süße Genugtuung, ein köstliches Rachegefühl für Schwalboss, endlich den Schmerzensschrei seines Gegners zu hören. Nur sehr ungern unterlag es in einem Kampf und schon gar nicht gerne unterlag es jemandem, der ihm den Himmel als sein Reich streitig machen wollte. Es würde sich nicht so ohne Weiteres schlagen lassen. Es wollte triumphieren!

    Washakwil war für den Bruchteil einer Sekunde völlig überrumpelt. Diese schwächliche Schwalbe, dieser unehrenhafte Vogel hatte ihn überwältigt, ihn ausgetrickst. Das war für ein stolzes Wesen wie ihn völlig inakzeptabel. Weiter kam der Adler mit seinen Gedanken allerdings nicht. Der Treffer an seinem Flügel war nicht mehr als ein Nadelstich, traf aber dafür an die empfindlichste Stelle. So knickte er ein, verlor die Balance und krachte zu Boden. Ausgerissene Federn und bröckelige Erde wirbelten durch die Luft als sich der Körper überschlug und schließlich erst mit einem schmerzvollen Aufprall an dem nächsten Baum zum Ruhen kam. Einige Laubblätter regnete langsam zu Boden und verunstalteten Washakwils Gefieder.

    Jenes blieb nur für einige Sekunden bewegungslos. Sogleich stemmte es sich auf, mit einem wütenden Funkeln in den Augen, das nach Vergeltung verlangte, wieder auf. Seine Klauen gruben bedrohlich Furchen in die Erde.

    „Weiter mit Ruckzuckhieb!“, erschallte auf einmal die Stimme Andrews. Washakwil konnte noch den Kopf wenden, um seinen verhassten Gegner wiederzufinden, während dieser mit rasantem Tempo auf es zuschoss.

    „Ruhig bleiben, nochmal Windstoß“, ordnete Terry nun an. Er musste die aufkeimende Hoffnung ersticken. Wenn er zuließ, dass Andrew das Momentum auf seine Seite holte, konnte hier wieder alles Mögliche passieren.

    Mit einer raschen Drehung seines Körpers sandte Washakwil mit einem kräftigen Schlag seines unverletzten rechten Flügels eine weitere Windböe in Richtung Schwalboss. Erneut wurde dabei jede Menge Staub aufgewirbelt, welcher den Blickkontakt der Kämpfenden unterbrach. Doch schon im nächsten Moment schoss das Schwalben-Pokémon aus der Wolke hervor, die Flügel eng an den Rumpf gepresst. Dank dieser aerodynamischen Körperhaltung stach es durch den Windstoß hindurch wie ein Pfeil und zog einen weißen Lichtblitz hinter sich her. Eine weitere Reaktion war nicht mehr möglich. Ruckzuckhieb war eine flinke Attacke, der man nur äußerst schwer zuvorkommen oder ihr entgehen vermochte. So rammte Schwalboss mit aller Kraft Washakwil direkt in die Brust, wodurch es ein weiteres Mal mit dem Baum kollidierte, während sich die Schwalbe in seinen Rumpf bohrte. Ein erstickter Schrei entwich seiner Kehle, als dem Adler sämtliche Luft aus den Lungen gepresst wurde.

    Schwalboss ließ rasch wieder von seinem Kontrahenten ab, um einer möglichen Gegenattacke zu entgehen und positionierte sich wieder über seinem Trainer. Mit den unbarmherzigen Klauen hatte es bereits einmal Bekanntschaft gemacht. Ein zweites Mal brauchte es die Erfahrung ganz sicher nicht machen. Andrew wart inzwischen ein absolut zufriedenes Grinsen ins Gesicht geschrieben und er freute sich schon auf die Worte, die er gleich aussprechen würde.

    „Hey, Terry.“

    Seine Stimme klang zum ersten Mal seit Beginn des Matches nicht nur selbstsicher, sondern absolut überlegen. Als wollte er seinen Gegenüber so gut wie möglich imitieren.

    „Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen, als Washakwil seine Visage dem Baum vorgestellt hat. Was ein Anblick.“

    Der Junge aus Einall blieb zunächst stumm, schien nichts auf die Sticheleien von Andrew erwidern zu wollen, bis plötzlich wieder das überlegene Lächeln erschien, das er zuvor schon aufgesetzt hatte.

    „Ich hatte schon befürchtet, enttäuscht zu werden“, sprach er langsam, wobei er kaum merklich mit dem Kopf nickte. Andrew wusste nicht ganz, was er davon halten sollte. Mit so mancher Reaktionen hatte er gerechnet, aber nicht mit dieser. Jedoch entschied er sich dazu, sein Pokerface aufrecht zu erhalten und sich siegessicher zu geben. Schließlich gab es keinen Grund, sich einschüchtern zu lassen. Er hatte endlich Fuß gefasst in diesem Kampf und war nun sicher nicht gewillt, das Ruder wieder aus der Hand zu geben. Wenn er es weiter verhindern konnte, von Washakwils Attacken getroffen zu werden und immer wieder kleine Nadelstiche wie eben landete, standen seine Chancen recht gut.

    Bei dem Gedanken an Terrys Pokémon wanderte Andrews Blick zu der Gestalt, die noch immer regungslos an dem Baum lehnte, welchen es gerammt hatte. Der zerzauste Kopf war auf die Brust gesunken, wodurch ein Blick in seine Augen verwehrt blieb. Nicht eine Sekunde rechnete er damit, dass Washakwil bereits kampfunfähig war. Einem Flugpokémon, das so brachial und energiegeladen angreifen konnte, traute er eine derartig schwache defensive nicht zu. Dieser Adler war sicher zäh. Und tatsächlich hob dieser sodann das Haupt.

    Der Blick in seinen Augen brachte ihn zum Schlucken. In ihnen brannte ein Feuer. Ein alles verzehrendes, todbringendes Feuer, angefüttert von Wut und Rachegelüsten. Wenn Blicke töten könnten, so hätte man für diesen gleich einen ganzen Friedhof anlegen müssen. Glatt konnte man annehmen, dass dieses Pokémon gerade wahnsinnig wurde.

    „Du hast ein Problem, mein Freund“, offenbarte Terry nun. Dass Andrew nur mit großer Mühe eine mehr oder weniger unbeeindruckte Miene beibehalten konnte, entging ihm dabei keinesfalls. Ryans einzige Reaktion war ein resignierender Seufzer, als sei er es, der gerade kämpfte. Doch schien der Blonde zu wissen, was seinem Kindheitsfreund und Reisegefährten nun bevorstand.

    „Du hast mein Washakwil wütend gemacht.“

    Betont langsam richtete sich der Adler nun wieder auf, den Blick erneut zu Boden gerichtet und die Flügel nur leicht vom Körper gespreizt. Einen Moment lang verharrte es in dieser Pose, bevor Washakwil seine Schwingen auf ihre volle Breite entfaltete. Den Kopf richtete es zunächst gen Himmel und dann direkt in Richtung von Andrew und Schwalboss, wobei man augenblicklich annehmen könnte, ein Monster vor sich zu haben. Wie eine wild gewordene Bestie mit Federn schrie der Adler sämtlichen Zorn und Unmut über die Frechheit und Dreistigkeit seiner Gegner, ihn herausgefordert zu haben, heraus. Sowohl Ryan als auch Andrew verzogen ob ihrer schmerzenden Trommelfelle das Gesicht und hielten sich die Ohren zu. Terry zeigte wie schon zuvor keine Reaktion, als sei er immun gegen derartige äußerliche Einwirkungen. Wie er dies fertig brachte, blieb ein Rätsel, denn der Lärm, der von Washakwil ausging, musste über Kilometer zu hören sein. In der nahen Umgebung konnte man die ängstlichen Schreie einiger wilder Pokémon vernehmen, welche sich fluchtartig in ihre Löcher und Höhlen verkrochen oder sich panisch aus den Wipfeln der Bäume erhoben und davonflogen. Der Schrei hielt an und hielt an, als hätte der Adler einen unbegrenzten Vorrat an Luft in seinen Lungen, welche er hinauskreischen konnte. Doch nach einer gefühlten Minute erstarben die schrillen Laute endlich, wofür nicht zuletzt die beiden Johtonesen sehr dankbar waren. Doch der Blick, mit dem Terry und sein Pokémon ihre Gegner weiter beäugten, konnte nichts Gutes verheißen.

    In einen Anime Charakter persé verliebt zu sein ist etwas anderes, als einen Anime Charakter lieben. Dessen sollte man sich als aller erstes bewusst sein. Und selbst wenn wirklich ersteres der Fall sein sollte, fände ich das schon... fragwürdig. In eine fiktive Figur wirklich verliebt zu sein geht doch etwas in Realitätsflucht über, wie ich finde. Wenn man es so interpretiert, dass man sagt "Wäre er/sie echt, würde ich mich sofort in sie verlieben", wäre das wohl okay. So einen Fall habe ich nämlich selbst bei ihr hier.


    Jedenfalls sollte man aufpassen, dass man nicht zu sehr in das Fiktive abdriftet, das geht nämlich ganz leicht. Aber einen Charakter zu sehen, den man am liebsten sofort heiraten möchte WENN ER REAL WÄRE - das Gefühl kennen wohl die meisten.

    Allgemein ist die Season meiner Meinung nach ziemlich arm bestückt und bietet nur gut eine Hand voll Titel, die mich wirklich interessieren. Diese wenigen haben es aber absolut in sich.


    Angefangen mit meinem absoluten Highlight diesen Sommer (und der einzige Titel, für den ich bislang die Zeit gefunden habe) - Akame ga Kill! Als Kenner des Mangas, der zu meinem unangefochtenen Favoriten wurde, weiß ich um die Story größtenteils bescheid und kann prophezeien, dass die ohnehin schon spannende Handlung mit der Zeit noch packender wird. Das Konzept des Anime ist eine Rarität und das düstere Erwachsenen-Setting mit dern krassen Actionszenen sowie den ansprechenden Charakteren könnte zu einem der besten Animes ever werden. Doch selbst meine Vorkenntnisse haben nicht verhindern können, dass mich gewisse Szenen und Ereignisse ein zweites Mal in ihren Bann ziehen und mich mit Begeisterung vorm Bildschirm zurück lassen, wenn das Ending über den Bildschirm rollt. Die bewegten Bilder mit toller Animation, musikalische Untermalung und liebevolle Inszenierung lassen einen einfach nicht mehr los. Vertraut mir, das Ding wird euch alle begeistern.


    Der wohl bekannteste und am meisten erwartete Titel ist sicher Sword Art Online II. Ehrlich gesagt war ich schon nach den ersten Gerüchten um die Fortsetzung der SAO Geschichte skeptisch. Braucht diese eigentlich so schön beendete Story wirklich einen Nachfolger? Ich war der Meinung, dass es nicht so ist. Als ich dann noch erfuhr, dass mein geliebtes, mittelalterliches Fantasy-Setting nun von Schusswaffen und Laserschwertern verdrängt wird, hatte ich echt die Befürchtung, das der ganze Titel einfach nur ausgeschlachtet wird, um möglichst viel aus dem Erfolg rauszuholen und lediglich ein paar neue Inhalte beizufügen, die mir nicht einmal richtig gefallen. Aber nach dem was ich bislang gehört habe, soll alles wirklich gut umgesetzt sein und dass sowohl Optik als auch Action überzeugen können, war eh zu erwarten. So oder so muss ich SAO II ansehen, da die erste Staffel zu den größten Errungenschaften der letzten Jahre gehört und ich einfach wissen will, wohin das alles führt.


    Etwas überrascht bin ich, dass der Anime Tokyo Ghoul im Startpost nicht erwähnt wird. Schon der Manga erfreut sich sowohl in Japan als auch hierzulande großer Beliebtheit und soll mit echt abgefahrenen Charakteren, einem interessanten Konzept und dunkler Story daherkommen. Bleiben denn da noch Wünsche offen? Eigentlich nicht und sehr bald werde ich mir auch die Zeit nehmen, den Anime endlich anzuschauen.


    Abgesehen von diesen "Großen Drei" habe ich mir noch ein paar kleinere Titel vorgemerkt. Zankyou no Terror gilt für viele als Geheimtipp und soll eine interessante, tiefgründige Geschichte bieten, die man so selten zu sehen bekommt. Allerdings hat sich für mich persönlich der Anime nicht herausragend aus der breiten Masse hervorheben können, weswegen ich ihn nicht ganz so vielversprechend einordne, wie die oben genannten. Doch interessant könnte es durchaus werden.
    Hanamonogatari ist für mich ein Muss, das ich aber wohl noch eine Weile vor mit herschieben werde. Die Monogatari-Reihe ist ziemlich einzigartig, mit einem sehr kreativen, künstlerischen Stil und unglaublich ansprechenden Dialogen. Doch es ist etwas, auf das man Bock haben muss, da man hier mit wenig Action oder Spannung auskommen muss. Hier werden Probleme mit Worten gelöst und oberflächlich betrachtet banale Themen behandelt, die sich aber als sehr tiefgründig erweisen und vor allem durch sehr charismatische Figuren sehr unterhält.
    Serei Tsukai no Blade Dance könnte sich eventuell neben Titeln wie Mahou Sensou oder Seikoku no Dragonar einordnen, was ich allerdings nicht hoffe. Das würde nämlich bedeuten, dass der Anime enttäuscht und einfach 0815 ist. Ich hoffe aber, dass das durchaus interessant klingende Konzept mit ansprechenden Charakteren, gutem Humor und sinnvoller Story unter einen Hut gebracht wird. Viel mehr erhoffe ich mir gar nicht, doch irgendwie hat der Titel einfach meine Neugier geweckt und die will nicht abflauen, weshalb ich dem Anime eine Chance geben werde.