(Ich möchte dieses Mal gerne meinen groben Schreibprozess nachzeichnen, falls das jemanden interessieren sollte. Wenn nicht, könnt ihr das natürlich gerne ignorieren und/oder das Gedicht einfach so auch erstmal interpretieren. ^-^)
Seit Donnerstag quälen mich diese Verse regelrecht. Ursprünglich ging alles damit los, dass ich eine dunkle Vokalfolge für die betonten Silben verwenden wollte, um ein leises Flüstern zu beschreiben. Die dunklen Vokale sollten eine Art Hintergrund darstellen, der gezielt durch helle Vokale durchbrochen werden sollte, etwa im Wort Lippen. Vor diesem Hintergrund ist dann relativ schnell der Arbeitsvers "phone lugen forsch aus dem öhr deiner lippen" entstanden. (Beim Vergleich mit dem, was oben steht, sollte schon jetzt klar sein, dass nahezu kein Wort an seiner Stelle geblieben ist.) Aus dem forsch ist unter leisen Zweifeln zunächst ein vorsichtig geworden, womit ich für mein eigentliches Ziel aber zu früh zu viele helle Vokale im Vers hatte. Ich habe mich also im Laufe des Schreibens immer mehr von der Idee der rein lautlich orientierten Beschreibung entfernt und stattdessen nach einem Inhalt gesucht, den ich nun ausdrücken wollte. Über aufgefädelte Phone kam ich schließlich auf einen verlorenen Faden, womit das Gedicht zwischenzeitlich den Titel Ähm bekam und in einer Version auch als Haiku geplant war:
Ähm
phone lugen forsch
aus dem öhr deiner lippen
der faden ist fort
Mit dem Haiku kann ich an sich gut leben, aber jetzt hatte ich schon so viel Zeit investiert, dass ich eigentlich auch gerne etwas Längeres daraus gemacht hätte. Damit kommen wir beim Freitag an. Zunächst wurde das Haiku also wieder enthaikut und in eine Versform gebracht, mit der ich gerne weiterarbeiten wollte. Dabei gab es ziemlich viele, ziemlich frustrierende Zwischenergebnisse, die ich an dieser Stelle nicht im Details festhalten werde. Irgendwann war ich jedenfalls so weit, dass ich das Öhr komplett aus dem Gedicht herausgenommen hatte und stattdessen mit einer Fenstermetaphorik gearbeitet hatte:
phone lugen vorsichtig aus
(kleinsten) fenstern,
beschlagen, benebelt, geformt
fast unbemerkt von deinen
lippen
Während ich klanglich von der Auflistung im dritten Vers doch irgendwie angetan war und deshalb auch lange daran festgehalten habe, musste ich doch irgendwann einsehen, dass die Metapher an sich halt einfach nicht funktioniert hat. Also wieder ein radikaler Umbau mit der Suche nach neuen Worten, die zumindest den klanglich ansprechenden Auflistungscharakter beibehalten. So war ich dann irgendwann bei der Liste "sie
tröpfeln, treiben, fließen, leben", wobei das leben inhaltlich nicht zu den anderen Worten passte, dafür aber einen schönen Reim auf schweben in einem späteren Vers darstellte. Abends habe ich mich dann irgendwann wieder an den ursprünglichen Faden erinnert und diesen wieder aufgenommen. Dass das Tröpfeln damit wieder wegfallen müsste, dürfte offensichtlich sein.
Was folgte, waren vier handschriftliche Seiten in meinem Lyrik-Notizbuch und vier weitere Seiten in meinem Lyrik-Dokument am Laptop. Exemplarisch halte ich mal diese Version fest, die zumindest schon deutlich näher an der finalen Version ist:
Flüstern
heimliches öhr,
fadenlos geformt, fast,
unbemerkt, von deinen
lippen.
phone lugen vorsichtig
hindurch.
Womit ich hier lange zu kämpfen hatte, war unter anderem die Platzierung von fast unbemerkt, weil der Part immer wieder zu viele Kommata provoziert hat. Ohne die Kommata würde es hier zum Beispiel bedeuten, dass die Lippen das fadenlose Formen fast nicht mitbekommen hätten. Das ist aber ja nun wirklich nicht die Bedeutung, die ich ausdrücken wollte.
Die Augen kamen dann tatsächlich erst relativ spät hinzu. Ausgangspunkt war diese Überlegung:
unter
funkelnden augen
formen
deine lippen
fast
unbemerkt ein öhr
und
phone fädeln ein.
ein
hauch, mehr nicht.
Ich mag die Kürze dieser Version noch immer, hatte aber zugegebenermaßen auch so meine Experimentierfreude, weiterhin mit ähnlichen Klängen um mich zu werfen. Relativ schnell wurde daraus deshalb dann:
wie
ein magnet
funktionieren
funkelnde augen,
der
fokus ist gesetzt.
fast
unbemerkt dagegen
formen
deine lippen
ein
zartes öhr und
zerbrechliche
phone fädeln ein,
ein
hauch, mehr nicht.
Am Abend und auch heute Morgen habe ich dann immer wieder Kleinigkeiten hinzugefügt, entfernt oder verschoben, bis ich schließlich bei der finalen Version angekommen bin. Der Titel war übrigens erst das aller letzte, was ich festgelegt habe, nachdem die finale Version stand. Vorher hat sich der Inhalt dann doch einfach zu oft geändert.
Da ich den Schreibprozess ohnehin relativ genau festhalte, dachte ich mir, dass es vielleicht ganz interessant sein könnte, den hier auch einmal grob zu skizzieren. Die Übergänge zwischen den einzelnen Versionen waren natürlich alle sehr viel kleinschrittiger, oft habe ich einfach nur den Zeilenumbruch an einer anderen Stelle gesetzt oder einzelne Worte ausgetauscht. Alle Versionen im Detail festzuhalten und zu erklären, was ich mir dabei gedacht habe, würde aber definitiv ausufern, deshalb hier die Beschränkung auf ein paar Eckpunkte in meinem Prozess. Vielleicht interessiert das ja tatsächlich jemanden. ^^'
Übrigens: Nein, zufrieden bin ich mit der aktuellen Version noch immer nicht, aber sie wollte jetzt endlich raus. ^^'